DerMarcusAugenblick der Rache

Er straffte sich, die Hand glitt hinunter zum Zündschlüssel und drehte ihn. Mit einem Stottern erwachte der V8 zum Leben. Jetzt war es also soweit. Gleich würde sich zeigen, wie süß seine Rache sein würde. Nur dass sie für seinen Widersacher tödlich enden würde.

Alles hatte recht harmlos angefangen, mit einem neuen Job. Eine kleine Firma, ein No-Name – aber mit gigantischen Aussichten. Er war deshalb extra in die große Stadt gezogen. und hatte seine Frau und seinen kleinen Sohn auf dem Land zurückgelassen. Man hatte ihn gewarnt. Sein alter Professor hatte bei dem Namen des neuen Chefs am Telefon hörbar ausgeatmet. „Seien Sie vorsichtig,“ war sein Rat gewesen. Doch er hatte die Warnung in den Wind geschlagen. War voll eingestiegen. Dann hatte er die Nächte zum Tag gemacht. Zwanzig Stunden, was war das schon. Als stellvertretender Geschäftsführer musste man schließlich Einsatz zeigen. Alles war so glatt gelaufen. Bald hatte sein Chef angefangen sich großzügig zu zeigen. Ein neues Auto? Kein Problem! Ein kleiner Wochenendtrip in die Tschechische Republik? Ein Klacks.

Die Scheinwerfer am Ende des Weges waren stehen geblieben. Hatte er etwas gemerkt? Nein, von dort wo der andere Wagen jetzt stand konnte man ihn nicht sehen. Er gab mit dem rechten Fuß einmal Gas. Der Motor grollte beruhigend. Aber vielleicht hören? Das könnte seinen Plan zu Nichte machen. Die Scheinwerfer ruckten und kamen langsam weiter auf ihn zu.

Und auf einem solche Partytrip war es dann wohl auch passiert. Klar, es waren Frauen im Spiel gewesen. Sehr junge Frauen und viel Sex.  Und dann dieses weiße Pulver. Hier und da kämpfte er bis heute mit Lücken in seiner Erinnerung.

Irgendwann, hatte er seinen Chef gefragt, wie er denn das alles finanziere. Woher denn das ganze Geld käme, denn Aufträge hatten sie so gut wie keine. Wie auch, jetteten Sie doch oft schon am Mittwoch nach Prag, um am Freitag-Abend vollkommen übernächtig wieder nach Hause zu kommen. Sein Chef hatte nur gegrinst. „Mach Dir keine Sorgen, genieße es, und schau‘ dass das Finanzamt mitspielt“, war die Antwort gewesen. Er hatte sich Sorgen gemacht, kannte die Bücher und wusste was auf dem Spiel stand. Ein Spiel, dass e eigentlich nicht verstand.

Stattdessen hatte er ein neues Smartphone auf seinem Tisch gefunden. Mit der kurzen handschriftlichen Nachricht seines Chefs: „Falls es Dir langweilig wird, das Teil hat eine gute Kamera. Vielleicht überzeugt Dich das?“

Er dachte an den Moment zurück. Jenen Moment der ersten Klarheit. Damals hätte es noch ein Zurück gegeben. Er hätte zur Polizei gehen können, er hätte seiner Frau Klara alles sagen können. Vielleicht hätte sie ihn verstanden. Doch er hatte es nicht getan. Stattdessen stand er jetzt auf diesem Waldweg und wartete auf den entscheidenden Augenblick.  Er griff auf den Sitz neben sich. Kühl und kräftig fühlte sich der Stahl der Pistole an, die dort lag. Das Magazin war voll, eine Patrone im Lauf. Er würde es heute zu Ende bringen – in wenigen Augenblicken.

Die Scheinwerfer waren noch ein Stück nähergekommen. Seine Hand glitt zurück zum Schalthebel und zog daran. Ein Ruck ging durch den Wagen. Die Fahrstufe war eingerastet. Er schaltete zurück in den Leerlauf. Es war noch Zeit.

Er erinnerte sich an den Moment, als er sich die Bilder auf dem neuen Smartphone angesehen hatte. Damals war ihm fast das Herz stehen geblieben. Wie hatte das junge Ding geheißen? Iwana, Ilka, Olga?  Er konnte sich nicht mehr erinnern, bis zu dem Foto, das den tschechischen Pass zeigt. Sie war erst 15 gewesen. Und dann all das weiße Pulver.

Ein nach diesem Schock hatte ihn sein Chef zu sich gerufen und ihn vor die Wahl gestellt. Entweder keine Fragen mehr, oder seine Frau würde diese und einige andere, eindeutige Aufnahmen zu sehen bekommen. „Und vergiss die Polizei, auch dafür haben wir vorgesorgt.“ Er hatte weitergemacht wie bisher, doch es hatte an ihm genagt – jede Minute, jede Stunde, jede Nacht, jeden Tag.

Und dann war er zur Polizei gegangen. Der Kommissar, dem er an einem verregneten Oktober-Nachmittag gegenüber gesessen hatte, hatte sich geduldig die ganze Geschichte angehört und hatte ihn zu Geduld und Vorsicht gemahnt.

Als er am folgenden Wochenende nach Hause gekommen war, war das Haus leer gewesen. Auf dem Tisch nur ein Foto. Darauf er und das Mädchen. „Wir sind bei meinen Eltern, ruf mich nicht an. Der Anwalt meldet sich,“ das war alles gewesen, was Sie dazu geschrieben hatte.

Am Montag darauf hatte ihn sein Chef wieder ins Büro zitiert. „Verstehst Du jetzt dass es uns ernst ist,“ hatte er ihn gefragt. Er hatte stumm genickt. „Benimm Dich, tu‘ das was ich Dir sage und wir bügeln das mit Deiner Frau wieder aus,“ fuhr er fort. „Tust Du das nicht …“ mit der rechten Hand war er sich quer über die Kehle gefahren.

Und jetzt saß er hier. Heute würde er es zu Ende bringen, denn er hatte nichts mehr zu verlieren. Man hatte ihm alles, was ihm lieb und teuer gewesen war genommen. Denn natürlich hatte sein Chef nichts wieder eingerenkt. „Damit Du weißt, wer hier da Sagen hat,“ war die zynische Antwort gewesen. Man hatte ihn zu dem gemacht, was er heute war. Ein Krimineller, ein Mitwisser. Ein Alkoholiker, ein Kokser, ein – ja, ein Verlierer. Der Motor stockte kurz, fing sich aber gleich wieder.

Vor sechs Monaten hatte er Maike kennen gelernt und der Albtraum hatte von vorne begonnen. Wieder hatte man ihm Bilder geschickt. Er und Maike im Café, im Park und in ihrer kleinen Wohnung. Das mit Maike, das war anders als mit seiner Frau. Er hatte Maike danach sofort reinen Wein eingeschenkt. Er hatte ihr alles, lückenlos alles erzählt, reinen Tisch gemacht. Und sie hatte ihn verstanden. Sie hatte verstanden, warum er nicht zur Polizei gehen konnte, warum er dort weitermache musste wo er gerade stand. Maike hatte nicht gefragt, sie hatte einfach akzeptiert.

Und er, er hatte daraufhin gegraben. Gewühlt, im Dreck, in Aktenbergen und gesammelt. Er hatte langsam begriffen, dass es letztlich nur einen Ausweg geben konnte. Und dieser Ausweg musste endgültig sein.

Wieder stotterte der Motor. Verdammt, was war da los. Er nahm den Gang heraus. Er trat leicht das Gaspedal bis der Motor wieder rund lief.

Und dann kam der Nachmittag, an dem alles zusammenbrach. Er hatte in diesen Tagen nach einer heftigen Erkältung von zu Hause aus gearbeitet. Außerdem stand der Jahresabschluss bevor und das Finanzamt hatte eine außerordentliche Prüfung angesetzt. Es hatte an der Türe geklingelt. Als er geöffnet hatte, standen dort zwei Polizisten in Zivil. Ihm waren auf einen Schlag alle seine Sünden durch den Kopf gegangen. Die Minderjährige, das Koks, die frisierten und manipulierten Bücher. Doch es war noch schlimmer gekommen. „Wir müssen ihnen leider mitteilen,“ hatte der eine der beiden Polizisten, ein hagerer mit Schnauzbart schier unbeteiligt begonnen, „dass Ihre Frau und ihr Sohn heute morgen bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind.“ Er war im Krankenhaus wieder aufgewacht.

Erst Tage später hatte er die ganze Geschichte erfahren. Die ganze Wahrheit. Oder das, was man ihm als solche verkaufen wollte. Es war Fahrerflucht gewesen. Ein anderes Auto hatte den Wagen seiner Frau auf gerader Strecke von der Straße gedrängt. Der Wagen hatte sich überschlagen und war sofort in Flammen aufgegangen. Stundenlang hatten ihn die Ermittler durch die Mangel gedreht. Doch er hatte seine Frau da schon wochenlang nicht mehr gesehen. Im Koksrausch hatte er da gelebt, über den gefälschten Bilanzen. Irgendwann hatten sie von ihm abgelassen. Der Arzt wollte ihn zur Reha schicken. Er hatte es abgelehnt. Maike war für ihn da gewesen, hatte ihn ertragen. Sie hatte ihm Essen gekocht, seine Wäsche gewaschen und er hatte nur auf dem Sofa gesessen. Irgendwann war ihm die SMS seiner Frau wieder eingefallen. Am Tag vor dem Unfall hatte sie ihm geschrieben. Sie müsse ihn sehen, sie müsse mit ihm reden. Er hatte es damals ignoriert. Und jetzt war sie tot. Genauso wie sein Sohn. Sicher seine Ehe war kaputt gewesen. Aber sein Sohn, der war doch noch viel zu klein gewesen.

An einem dieser Tage war sein Chef plötzlich vor der Türe gestanden, in Begleitung eines seiner Handlanger. Er hatte einen dünnen Hefter vor ihm auf den Tisch gelegt. Ein Nummernkonto auf den Keyman-Inseln. Daneben hatte er einen dicken, braunen Umschlag gelegt. Bargeld und falsche Pässe. „Du verschwindest sofort von der Bildfläche,“ hatte sein Chef gezischt. „Du nimmst die Kleine mit. Und Ihr kommt nie wieder, sonst …!“ Er selbst hatte nur stumm genickt. Kurz darauf hatte ihn einer der Polizeibeamten angerufen. Er wolle sich noch einmal mit ihm unterhalten. Sie hatten ihn für den nächsten Tag aufs Präsidium bestellt. Er war nicht gekommen. Zu dem vereinbarten Zeitpunkt saß er mit Maike bereits in einem Flugzeug auf halbem Weg über den Atlantik. Seine Eltern würden sich um die Abwicklung seiner Wohnung kümmern.

Der Motor brabbelte satt vor sich hin. Das war gut. Der Typ, der ihm die Karre heute Nachmittag verkauft hatte, hatte etwas von Motorproblemen gefaselt. Egal, die alte Karre musste ja nur noch dieses eine Mal funktionieren. Die Lichter waren inzwischen noch etwas nähergekommen.

Und so hatte er sich einige Tage nachdem sein Chef ihn „versenkt“ hatte in einem Liegestuhl in einer First-Class-Anlage in Acapulco in Mexiko wiedergefunden.

Die folgenden Tage und Wochen hatte er im Delirium verbrachte, dank Unmengen Tequila. Es hatte gut drei Wochen gedauert, bis Maike wieder zu ihm durchgedrungen war. Bis er wahrgenommen hatte, dass sie überhaupt da war. Bis er aufgewacht war. Irgendwann hatte sie ihn vor die Wahl gestellt. Entweder er werde jetzt einmal nüchtern oder sie werde gehen. Es hatte gewirkt.

 

Nach und nach hatte sich ein Bild ergeben. Ein schreckliches Bild. Man suchte ihn in Deutschland inzwischen. Wegen Verschleierung, Wirtschaftskriminalität und wegen des ungeklärten Todes seiner Frau. Maikes Ex-Chef, ein Anwalt der kleinen Leute, wie er im Bilderbuch für Juristen nicht besser hätte beschrieben werden können, hatte sich zwar zunächst geweigert, auch nur einen Finger für sie krumm zu machen. Nachdem er ihm aber die Jahresmiete der chronisch in den roten Zahlen befindlichen Kanzlei überwiesen hatte, war der Mann doch zugänglicher geworden.

Er hatte erfahren, dass sein Ex-Chef, der seit Jahren im Visier der Fahnder für organisierte Kriminalität stand,  ihn ans Messer geliefert hatte. Denn er war schließlich der Profi-Buchhalter, der Bilanzspezialist, der Fachmann für Waren- und Geldströme. Die Fahnder hatten damals Klara, seine Frau als Schwachstelle ausgemacht. Wollten sie in ein Zeugenschutzprogramm aufnehmen. Dann hatte man sie umgebracht und er war abgetaucht.

Sie hatten nächtelang darüber diskutiert. Bis zu zwanzig Jahre Knast drohten ihm in Deutschland, mindestens. Denn sein Chef würde als Kronzeuge gegen ihn aussagen. Würde ihm die ganze Schuld in die Schuhe schieben. Würde ein freier Mann sein. Er würde einsitzen, weil er zu gierig gewesen war. Ganz stimmte das Bild nicht, zumindest sagte er sich das regelmäßig. Er war blind gewesen, hatte die Warnungen seiner alten Freunde und den gut gemeinten Rat seines Doktorvaters in den Wind geschlagen. Und als er irgendwann dahintergekommen war, worum es überhaupt ging, da war er bereits zu tief im Netz der Spinne gefangen. In einem Netz aus Sex, Drogen und viel Geld.

Die Scheinwerfer standen noch immer still. Wie weit war der andere Wagen noch entfernt? Zweihundert Meter vielleicht? Er war sich sicher: Vor der Stelle an der der andere stand, konnte er ihn unmöglich gesehen haben.

Dann hatte eines Morgens der Anwalt aus Deutschland angerufen und Maike erklärt, dass ihr Versteck wohl keines mehr sei. Die Staatsanwaltschaft gehe davon aus, dass er sich zusammen mit seiner Geliebten in Mexiko aufhalte. Sie hatten noch am selben Tag die Koffer gepackt, waren im Zick-Zack um den halben Globus gejettet. Wieder viel weißer Strand, diesmal eine Inselgruppe. Hier würden sie ihn höchstens vor Ort liquidieren, ausliefern war unmöglich.

Dann hatte er erfahren, dass sein Vater schwer krank war. Und so wie die Dinge standen, würde er seinen alten Herrn wohl nicht mehr lebend zu Gesicht bekommen. Und wieder war es Maike gewesen, die ihn umgestimmt hatte. Eine Flucht nach vorne. Der Anwalt in Deutschland hatte den Rest erledigt und so saßen Sie eines diesigen Morgens einem sonnenbebrillten Deutschen gegenüber, der sich als Fahnder des BKA ausgewiesen hatte: „Beruhigen Sie sich. Sie sind der kleiner Fisch,“ hatte die Sonnenbrille das Gespräch begonnen, „ das wissen wir. Aber sie sind ein wichtiger, kleiner, stinkender Fisch.“ Sie hatten ihm einen Deal angeboten. Mit Hilfe seiner Aussage sollte sein Chef in den Knast wandern für immer. Er und Maike würden in ein Zeugenschutz-Programm aufgenommen werden.

„Gehen sie davon aus, dass sie auch da ein paar Mal umziehen müssen,“ der Fahnder hatte genüsslich an einem Cocktail geschlürft. „Aber ist das nicht besser, als Knast oder Friedhof?“

Schließlich hatte er zugestimmt. Er würde auspacken. „Der Unfall Ihrer Frau, das ist der wunde Punkt,“ hatte der Fahnder gebetsmühlenartig immer wieder wiederholt. „Da können wir ansetzen, mit ihrer Hilfe.“

Er griff an seine Brust. Fühlte das Mikrofon, das darauf fest geklebt war. Tippte kurz darauf. Die Scheinwerfer hatten sich wieder in Bewegung gesetzt, etwas schneller diesmal.

Und so war, in den Wochen nach dem Besuch der Sonnenbrille alles geregelt worden. Er und Maike waren unter falschem Namen wieder nach Deutschland eingereist und hatten sich an diversen Orten in der Republik mit den Fahndern des BKA getroffen.

Der Plan war simpel und gefährlich. Er sollte seinen Ex-Chef anrufen, ihm mit der Polizei drohen, ihn erpressen. Bei der Übergabe müsse er dann nur geschickt dafür sorgen, dass sein Ex-Chef das mit dem Unfall zugab. Dann würde die Falle noch vor Ort zu schnappen. Für Ihn klang das nach purem Wahnsinn.

Der Knopf in seinem Ohr regte sich. Eine männliche Stimme: „Gruppe 1, er kommt. Eine Person im Fahrzeug.“

Zunächst war alles glatt gelaufen. Er hatte seinen Ex-Chef angerufen. Hatte ihm die Situation geschildert, dass er abgebrannt sei, man ihn bestohlen habe und dass er entweder noch einmal Geld sehen wollte, oder auf direktem Wege zur Polizei gehen würde. Fünf Millionen hatte er gefordert, wie die Fahnder es ihm gesagt hatten. Sein Chef hatte zwar mit den Zähnen geknirscht, war dann aber auf den Deal eingegangen. Auch der Forderung, ihm alles über den Unfalltod seiner Frau zu sagen, hatte sein Chef zugestimmt. „Es ist schließlich egal. Ich habe sie nicht mehr geliebt,“ hatte er am Telefon gesagt. Sie hatten alles besprochen. Den Ort der Übergabe und wie die ablaufen sollte. Die Fahnder waren immer dabei gewesen. Nach dem Gespräch hatte er sich übergeben. Danach hatte er einen Entschluss gefasst. Einen finalen Entschluss. Maike hatte nur stumm genickt und seine Hand gedrückt.

Es war Zeit das Ruder zu übernehmen. Sein Trumpf war sein alter Sandkasten-Kumpel Ingo. Heute war Ingo eine mittelgroße Nummer auf dem Kiez. Autos, Frauen und was sonst noch. Es war ihm egal. Er hatte sich mit Ingo getroffen. Wie im Krimi war sein Kumpel in der Waschstraße ins Auto gestiegen und hatte sich die Kurzform der Geschichte angehört. Beim Namen seines Ex-Chefs hatte Ingo durch die Zähne gepfiffen: „Det is jut,“ hatte er mit seinem breiten Berliner Akzent gesagt. „Da hab ik noch wat offen. Ik kümmere mir!“ Dann war Ingo kurz vor der Heißluft verschwunden. Seine Schatten, die vor der Waschstraße gestanden hatten, hatten nichts bemerkt.

Ingo hatte sich gekümmert. Hatte den alten Geländewagen besorgt, den er am Vormittag in einer Hinterhofwerkstatt abgeholt hatte. Im Kofferraum hatte er die beiden Pistolen mit Schalldämpfer, einen Stadtplan mit ein paar Markierungen und ein einfaches Handy gefunden. Das hatte dann auch geklingelt und Ingo war dran gewesen. „Dat wird verdammt heiß Alter, Respekt wenn Du det schaffst und da wegkommst. Und pass mir auf die Kleene auf.“

Er würde sich Mühe geben. Dieses eine Mal noch.

Mit einem Funkgerät auf dem Bauch und einer kugelsicheren Weste war er rechtzeitig in den von der Polizei vor dem Hotel bereitgestellten Wagen gestiegen. Maike würde laut Plan auf dem Zimmer bleiben. In Wahrheit saß sie kurz darauf bei Ingo in dem alten Geländewagen, den er hinter dem Hotel abgestellt hatte. Hinter dem Haus stand seit dem Mittag kein Bewacher mehr. Die Folgen dauernder Personalknappheit bei der Polizei. Sie hatten ihn kurz vorher verdrahtet.

Sie waren losgefahren und er hatte schon drei Straßen weiter an einer Tankstelle angehalten. Ein kurzer unplanmäßiger Pinkel-Stopp. Seine Schatten waren wohl nervös geworden, mit in die stinkenden Toilettenräume wollten sie aber nicht. Dem mattschwarz gerollten Jeep, der im Halbdunkel der Waschstraße parkte hatten sie scheinbar keine Aufmerksamkeit geschenkt. Und dann war Ingo an seiner Stelle, in den gleichen Klamotten und mit tief in die Stirn gezogener Base-Cap in den Wagen gestiegen. „Und falls Du Dir det doch anders überlegst,“ hatte Ingo am Telefon gesagt, „dann spiel ik halt Dir. Denn brauchen wir nur det bisschen Glück und die Bullen.“

Er brauchte kein Glück, er brauchte dreißig Sekunden. Dreißig Sekunden, sobald der Wagen seines Ex-Chefs am richtigen Punkt vorbeifuhr. Und er brauchte Maike, die neben ihm saß. Minutiös waren sie alle noch einmal durchgegangen. Und nochmal, und noch einmal.

Es knackte wieder in seinem Ohr: „Gleich ist der Wagen durch die Kurve. Dann übernimmt Gruppe 2.“ – „Wir sehen die Lichter“, war die knappe Antwort.

Er rammte den Schalthebel nach hinten und trat das Gaspedaldurch. Der alte V8 bockte, dann griff die Kupplung und der betagte Geländewagen schlingerte rückwärts und nahm den kleinen Hügel hinunter Fahrt auf. Immer schneller raste er der Kreuzung zu, auf deren linker Seite die Scheinwerfer der Limousine langsam auftauchten und sich um die Kurve schoben. Ihr Fahrer hatte den heranrasenden Schatten noch nicht bemerkt. Wenn er ihn sehen würde, dann würde es zu spät. „Nimm ihn mit dem Heck of die Hörner,“ hatte Ingo gesagt. „Da ist die olle Karre am stabilsten, wa. Und bis die Bullen da sind hast Du jut sechzig Sekunden. Det sollte für Deine Abrechnung reichen. Ik halte det für glatten Wahnsinn, aber …“

Jetzt erfassten die Lichtkegel der Limousine den auf sie zu schießenden Geländewagen. Ein schwarzer Berg, der unaufhaltsam mit seinem Heck voraus aus einem Seitenweg auf die Straße zuschoss. Der Fahrer der Luxuslimousine trat instinktiv auf die Bremse. Doch es war schon zu spät. Mit einem ohrenbetäubenden Knall bohrte sich die breite, schwere Heckstoßstange mit der großen Anhängerkupplung in die Beifahrerseite der Limousine. Eine Kackofonie aus splitterndem Glas, sich kreischend verbiegendem Metall das im Bruchteil einer Sekunde anschwoll, während der Wagen seitwärts gegen einen Baum geschoben wurde. Dann war alles still.

Bis in seinem Ohr die Hölle losbrach: „Gruppe 1, was ist das?“ – „Gruppe 2, machen Sie Meldung!“ Die Stimmen überschlugen sich.

Er riss sich den Stöpsel aus dem Ohr und drückte die Türe auf. Rollte sich aus dem Auto. Spührte einen heißen Luftzug, den eine Kugel neben seinem Ohr vorbeipfiff und sich in das Metall des Wagens bohrte. Er sah aus den Augenwinkeln, dass Maike die Beifahrertüre aufgerissen hatte und ebenfalls aus dem Auto rollte, auf dem Weg in Richtung Kofferraum. Denn dort würde der Koffer mit dem Geld deponiert sein.

 

Dann war er wieder auf den Beinen. In Filmen sah dieser Stunt immer so leicht aus. Ihm taten jetzt alle Knochen weh, er sah Sternchen humpelte mehr die letzten Meter auf die eingequetschte Limousine zu. Noch im Laufen hob er die Waffe in der linken Hand. Sein Finger krümmte sich um den Abzug. Er würde im Laufen wohl nicht tödlich treffen, aber seinen Gegner beschäftigen. Die Pistole zuckte in seiner Hand. Die Windschutzscheibe de Limousine zerbarst. Der Schatten von Maike war inzwischen am Kofferraum des Wagens angekommen. Öffnete die Klappe. Er sah, wie sie den silbernen Koffer herausnahm und geduckt um den Geländewagen herumlief. Das war gut gegangen. Aus dem an seiner Schulter baumelnden Ohrhörer bellte irgendjemand kurze Befehle.

Er selbst stand vor der eingedrückten Seite der Limousine. Er roch das auslaufende Benzin, irgendwelchen Qualm und war. Ja, er wurde plötzlich ganz ruhig. Vor seinem inneren Auge sah er Klara und seinen Sohn. „Für euch,“ dachte er kurz und hob die linke Hand mit Der Waffe. Ein Stöhnen drang sein Ohr, gefolgt von einem Knall. Wie ein Faustschlag traf ihn etwas an der linken Schulter. Sein Arm schien zu brennen und sackte kraftlos nach unten. Doch es kümmerte ihn nicht. Er war so ruhig wie nie zuvor in seinem Leben. War sich sicher, dass es auch für ihn gleich vorbei sein würde. Er nahm nicht mehr wahr, dass sich ihm mehre Gestalten im Laufschritt näherten. Hörte die gebrüllten Aufforderungen die Waffe auf den Boden zu legen nicht.

„Du Arschloch,“ spie er dem röchelnden Bündel in dem Wrack vor ihm entgegen. „Jetzt rechnen wir ab!“

Er hörte seine eigenen Schreie, seine Fragen nachdem „Warum?“ nicht. Stattdessen ging er noch einen Schritt weiter auf das Wrack zu. Die Pistole zuckte einmal, zweimal in seiner Hand. Daneben. Sein Ex-Chef saß zusammengekrümmt mit dem Rücken an die Wagentüre gedrückt und hielt sich die Schulter. Überall war Blut. Aber erlebte noch und grinste ihn mit seinem zu einer Fratze verzogenen Gesicht an: „Weil sie es verdient hatte,“ röchelte sein Gegenüber. „Sie hätte mich verraten. Hätte alles kaputt gemacht. Dafür musste sie sterben, Du Trottel.“ Sein Ex-chef spie ihm die Worte entgegen. Blut lief ihm in einem dünnen Rinnsal aus dem Mundwinkel.

Er spürte nur noch Leere. Er hob den rechten Arm ein letztes Mal. Jetzt würde er es zu ende bringen. Endgültig, unwiderruflich. Die Waffe lag leicht in seiner Hand. Das war der entscheidende Moment. Ein roter Schleier legte sich vor seinen Augen. Alles lief wie in Zeitlupe ab, die welt um ihn herum hörte auf zu existieren. Sein Finger am Abzug krümmte sich. „Nein,“ drang es dumpf an sein Ohr. Maike? Doch das Rauschen wurde noch lauter. Das Pumpen seines Herzens war in seinen Ohren zu einem donnernden Dröhnen angeschwollen. Ein Dröhnen, dass in der Leere seines Kopfes alles auszufüllen schien. Die Bilder begannen zu verschwimmen. Dort auf dem Sitz, in dem qualmenden nach Benzin stinkenden Wrack saß nicht sein Ex-Chef. Dort saß Klara. Er keuchte, sein ausgestreckter Arm mit der Waffe begann zu zittern, er wankte.

Den Schlag spürte er erst, als seine letzte Kugel das Wagendach bereits durchschlagen hatte. Er wurde herumgewirbelt und zu Boden gedrückt. Ihm wurde schwarz vor Augen. Es war vorbei. In ihm war nur Leere.

Sechs Wochen später

„Mister und Misses Fischer,“ der Angestellte der Fluglinie lächelte sie professionell an, als er Maike die Pässe zurückgab. „Ich wünsche einen guten Flug, eine gute Reise und“, mit einem Blick auf seinen bandagierten Arm fügte er hinzu, „und gute Besserung!“

Dann wandte er sich den nächsten Passagieren in der Schlange zu.

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