EyleenAusstieg

Ausstieg

Berlin, 19. September 2015

BKA, Abteilung der Verdeckten Ermittlung

“Etiam electos“, der Name dieser Sekte hätte unpassender nicht gewählt werden können. 

Der Anblick der Fotos, welche uns vorliegen, gleichen der einer Schlachtung: Brutalität und Grausamkeit sind nicht zu übertreffend. 

27 Menschen wurden als Opfergabe auf die nur denkbar unmenschlichste Art und Weise von dieser Glaubensgemeinschaft hingerichtet. Als Lustspiel sahen die Mitglieder es an, ihre Opfer zu jagen, zu fangen und sie letztendlich vor den Augen alle verbliebenen Anhänger zu ermorden….

Es wird von Kannibalismus, Zwangsheirat und Orgien berichtet, von Ritualen und illegaler Arbeit, von Straftaten im größtmöglichen Ausmaß. Und doch erscheint derartiges Schauspiel so geheim, dass es für uns überaus schwer war, den Anführer der Sekte ausfindig zu machen. Die “etiam elctos“ zählen Hunderte, wenn nicht gar  Tausende Mitglieder weltweit zu koordinieren. Doch heute, meine Damen und Herren, darf ich mich glücklich schätzen, Ihnen mitteilen zu können, den Kopf dieser Gemeinschaft den Prozess gemacht zu haben!“.

Als Generalsekretär Scholb seine Rede beendete, vernahm man einen tosenden Applaus aller Mitarbeiter der Abteilung für verdeckte Ermittlungen des BKA Berlins.

„Ich danke Ihnen, vielen Dank: doch der Applaus gebührt nicht mir. Ohne die hervorragende Dokumentation anhand von Aufzeichnungen sowie Bild- und Videomaterial durch unserer Ermittler Henrick Pfeiler und Luis Phal wäre dies alles heute nicht möglich gewesen. Die beiden Kriminalbeamten schleusten sich vor einigen Monaten als Mitglieder der Sekte ein und sammelten genügend Material, um den Hauptverantwortlichen dieser Glaubensgemeinschaft zu überführen.“

Erneut wurde der kleine Raum beschallt von dem tosenden Klatschen meiner Kollegen. Ich schaute hinüber zu Henrick, der diesen Akt der Ehrung zu genießen schien. Ich hingegen stehe nicht gerne im Mittelpunkt. Eher würde ich mich als introvertierten Menschen bezeichnen, welcher große Auftritte meidet. Doch als ich meinen sonst so ernst aussehenden, bereits in die Jahre gekommenen Chef auf der Bühne stehen sah und wie dieser meine Kollegen und mich lächelnd auf die Bühne winkte, empfand ebenso meine Person Stolz. 

Ein Augenblick der Gelassenheit und Freude. Momente wie diese hatte ich während der Zeit als verdeckter Ermittler vermisst.

Die Menschen waren glücklich über den Erfolg der Mission, der Chef sah den Feind als besiegt an, doch ich wusste, inwiefern dies Henrick und mich wirklich mitnahm. Die Bilder aus der Zeit wollen mich nicht loslassen. Ich höre die Schreie der Opfer noch nachts und träume von den Gesichtern der Mitglieder der „etiam electos“.

 

Am Ende jeden Monats wiederholte sich die Opfergabe. Es wurde ein Fest gefeiert, gebetet und gesungen. Es fällt mir schwer, den Gedanken daran loszulassen – und ich weiß, dass es Henrick genauso gehen muss. Ihm gefiel seine Rolle dort als “Otto“. Otto war ein selbstbewusster, mutiger, verführerischer Charakter: genau das Gegenteil von dem, was er eigentlich als Mensch ist. Für mich war Henrick nicht nur lange Zeit ein Kollege gewesen, sondern auch immer ein Freund. Er ist groß, schlacksig und sieht mit seinem schwarzen Mantel sowie der Nickelbrille älter aus, als er eigentlich ist. Ich hoffe inständig für ihn, dass sich Henrick nach derartigem Erlebnis etwas mehr wie Otto fühlen kann. 

Während der verdeckten Ermittlung verkörperte ich Jeff. Eine sehr spirituelle und weise Person, welche immer darauf bedacht war, es allen Recht zu machen. Stark verstellen musste ich mich für diese Rolle jedoch nicht.

„Für die nächsten drei Wochen werden sie die jungen Herren an meiner Seite wohl missen müssen. Die haben sich jetzt erst einmal eine ordentliche Auszeit verdient!“, verkündete Herr Scholb seufzend und klopfte mir dabei auf die Schulter. Die Menge applaudierte erneut. Ich verabschiedete mich von meinem Chef, meinen Arbeitskollegen und Henrick. Urlaub (…) ja, den brauchte ich tatsächlich, um wieder ganz Luis sein zu können.

 

Kapitel 2

Berlin, Karlshorst  

Luis

Ein Schritt vor den Anderen setzen. Die Sonne scheint – und dennoch weht eine kalte Brise, sodass man schon wieder eine Jacke bräuchte.

„Verdammt!“, schreit Luis auf, „pass doch mal auf wo du lang fährst!“. Er gerät ins schwanken. Der Fahrradfahrer, welcher ihn angerempelt hatte, dreht sich um und brüllt etwas in seine Richtung. Was genau, versteht Luis nicht. Er ist wie in einer Blase: nimmt Außenfaktoren zwar wahr, geht jedoch doch nicht wirklich auf diese ein. Sein Kopf tut weh. Er ist müde. 

„Hey, alles gut bei dir Luis?“. Es ist Henrick. Die beiden treffen sich öfter in dieser Gegend, denn genau  hier ist ebenso der Standort ihrer Lieblingskneipe.

„Ja, mir ist nur etwas schwindelig“ antwortet Luis mit einem schiefen Grinsen im Gesicht. „Ich fühle mich wie eine Großmutter, die ihre Gehhilfe vergessen hat.“ 

Henrick lacht, „hey, ich versteh dich. Jetzt wieder hier zu sein fühlt sich verdammt merkwürdig an.“

Luis nickt, obwohl er eigentlich nicht verstanden hat, was Henrick ihm damit eigentlich sagen will. Er ist einfach nur froh, aus der “etiam electos“ raus zu sein.

„Soll ich dich nach Hause bringen, bevor du mir noch abklappst?“, fragt Henrick und hält seinem Freund dabei den Arm. 

Luis schaut sich um (…) wie so oft in letzter Zeit. Er fühlt sich beobachtet. Als würde jemand versuchen, Löcher durch seinen Rücken zu starren. Er nimmt den Arm Henricks dankend entgegen.

„Weißt du (…) in letzter Zeit fühle ich mich so unwohl – als ob mich permanent jemand beobachten würde“ beginnt Luis zu erzählen. 

Henrick schaut ihn an, „du meinst, als würden dich alle Leute auf der Straße anstarren und über dich urteilen?“.

„Nein. Eher so, als würde mich jemand verfolgen.“

Die beiden laufen noch einige Zeit weiter, bis sie vor einem kleinen weißen Haus stehen bleiben. Es ist eine gemütliche Gegend, ruhig. Der Vorgarten sieht verwildert aus. Er hat wahrhaftig kein Talent für das Gärtnern, sodass er dies lieber ganz bleiben lässt. Luis kramt den Schlüssel aus seiner Arbeitstasche hervor und öffnet die Tür. Es ist gemütlich eingerichtet, nicht viel Schnick Schnack. Ein großes Bild hängt im Wohnzimmer über dem kleinen Kamin. Luis setzt sich. Ihm ist es etwas unangenehm Henrick hier zu haben. Es ist das erste Mal, dass die beiden sich nach dem Einsatz alleine sehen. 

„Ich fahre an die Ostsee zu meinen Eltern“ beginnt Henrick eine Unterhaltung. „Einfach mal ein bisschen raus, den Kopf freikriegen.“ 

„Was hast du vor? 3 Wochen Urlaub: da kann man viel erleben.“ Henrick lächelt.

„Ich bleibe hier. Will ankommen, mich sortieren, verarbeiten (…)“ Er hält inne und schaut seinem Kollegen ins Gesicht, welches sich plötzlich leicht verkrampft. Über ihren Einsatz sprachen die beiden bisher nicht – und vielleicht war es dafür auch noch zu früh.

Mit einem Räuspern meldet sich Luis wieder zu Wort: „meine Tür: ich will sie reparieren. Sie ist schon sehr alt, hakt manchmal etwas. Ich möchte das Schloss erneuern und ihr einen farbigen Anstrich verpassen.“

„Klingt nach einem tollen Projekt Luis!“ Henricks Gesichtszüge entspannen sich wieder, „viel Glück, ich komme mir das Endresultat auf jeden Fall anschauen!“

„Ich bitte drum.“

„Okay Luis, ich muss dann mal los. Ruf an, wenn was ist – so weit bin ich nicht weg, okay?“

„Danke. Genieß deinen Urlaub und lass dich ein bisschen verwöhnen.“

Die beiden verabschieden sich und Luis schließt die Tür. Sie zu reparieren war eigentlich nur eine spontane Antwort gewesen, um die Situation zu entspannen (…) doch tatsächlich könnte diese einmal wieder einen neuen Anstrich gebrauchen. Sie ist schwarz – genauso wie die Fensterrahmen. Es soll einen Kontrast zur weißen Hausfassade kreieren. Er hatte sich noch nichts vorgenommen, doch ein Bauprojekt könnte ihm und dem Haus sicherlich nicht schaden. 

 

Kaptitel 3

Luis Haus, am Morgen

Er hörte ein Geräusch, eine Art Scheppern: wie als würde man etwas schweres in eine Blechtrommel schmeißen. Als Luis die Augen öffnete, war es ruhig in seinem Schlafzimmer. Er sah seinen Kleiderschrank am Fuße des Bettes verweilen, betrachtete die Kommode rechts neben seinem Bett, den Stuhl mit seiner Kleidung drauf und ebenso das halb geöffnete Fenster, welches ihm verriet, dass es bereits früh am Morgen war. Er stand auf. Immernoch fühlte er sich unwohl, beobachtet. Nach  einer Dusche, Kaffee und etwas Sport machte Luis einen Spaziergang. Ein komisches Gefühl, wieder hier zu sein, nach all dem was passiert ist. Doch das Leben muss weitergehen. Er muss funktionieren, das ist sein Beruf. Er bog wieder in seine Straße ein, in welcher er eine zierliche Frau mit blondem Haar an seinem Briefkasten erblickte.

„Entschuldigung, was machen Sie da?“ Luis ging auf die Unbekannte zu. 

Diese entfernte sich von ihm. Erst langsam, dann fing sie zu rennen an. Schon bald war sie nicht mehr zu sehen.

Schnellen Schrittes lief Luis zu seinem Briefkasten, an welchem die mysteriöse Frau noch kurz zuvor stand.

Er hob ein in altes Zeitungspapier eingewickelte Handy auf und starrte es an. Das Smartphone war nicht gesperrt. Sein Blick haftete auf dem Sperrbildschirm, welches ein Foto von Ihm selbst zeigte. Die Aufnahme war aus einem merkwürdigen Winkel geschossen worden. Von unten, während er lief, aus einigen Metern Entfernung.

Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf: “werde ich gestalkt?“, “ist das ein dummer Scherz?“,“wer war diese Frau?“, “was hatte das alles zu bedeuten?“

Panik stieg in ihm auf. Wild drehte er sich hin und her, seine Augen liefen jeden Winkel seiner Umgebung ab. Doch sah er niemanden. 

Ein Brummen, sein Blick wandert in seine Hände.

„Triff mich um 19:00 Uhr hier, Molly“, liest er.

“Molly“ (…) Luis las diesen Namen immer und immer wieder. Er hatte ihre blonden Haaren nicht erkannt, ihren Geruch nicht vernommen und sie so schnell vergessen.

“Liebesbeziehungen und Sex sind während der Ermittlung strengstens untersagt.“ So ungefähr lautete eine der Regeln, welche das BKA ihm vor der Mission verkündete. Monate lang war er Mitglied der “etiam electos“. Musste so leben wie sie, ihre scheußlichen Rituale über sich ergehen lassen und heiraten. Molly heiraten. 

“Molly und Jeff, von nun an verbindet euch die Ehe bis ans Ende eurer Tage.“ Die Stimme und das Jubeln der Glaubensgemeinschaft schallen in Luis Ohr.

Generalsekretär Schob zu kontaktieren wäre zu riskant. Er hat die Regeln gebrochen. Er hätte das Versprechen nicht machen müssen, denn dazu war er auch eigentlich noch nicht lang genug “Mitglied“. Aber er wollte. Jeff war in Molly verliebt. Luis ist es nicht.

Luis packte sich das Handy in die Jackentasche.

“Das passiert nicht wirklich, das bildest du dir ein“ versucht er sich selbst einzureden. Er beginnt mit der Reparatur seiner Haustür. So hat er alles, was vor dem Grundstück passiert, im Blick und kann sich ablenken.

Kapitel 4

Luis, 19:00 Uhr

Niemand zu sehen.

“Also doch nur ein albernder Streich“, dachte sich Luis und wandte sich wieder seiner Haustür zu.

„Ich bin für dich ausgestiegen.“ Die Stimme der jungen Frau hätte Luis überall wieder erkannt.

„Du warst auf einmal weg. Es wurde gesagt, es läge an mir – ich bringe Unglück (…) Ist das wahr Jeff? Die Gemeinde hatte bisher immer Recht. Lag es an mir, dass du gegangen bist?“ Mollys Stimme bebte. Tränen liefen über ihre Wangen herab und sie begann allmählich zu schluchzen.

Luis traute seinen Augen nicht. Er brauchte einen Moment, bis er antwortete: „Molly, es lag nicht an dir. Meine Familie hat Fragen gestellt. Ich konnte mich einfach nicht völlig von ihnen lösen“, stammelte er vor sich hin.

„Warum hast du diese Bilder von mir gemacht Molly, was soll das?“ fragte er mit eindringender Stimme.

„Es tut mir leid (…) Ich (…) ich wusste nicht, wie ich dich sonst hätte erreichen können. Ich habe niemanden mehr, außerhalb der Gemeinde. Ich hab nur dich Jeff. Wir sind  miteinander verbunden. Ich musste dich einfach finden und sichergehen, dass es dir gut geht. Es war nie meine Absicht, dir Angst einzujagen!“ Molly sank auf die Knie: „Ich mache das alles für dich Jeff, wir gehören zusammen! So ist es gewollt, so ist es bestimmt!“.

Luis sah Molly lange an, bis er sie auf einen Tee ins Haus bittete. Die beiden unterhielten sich lange. Sie in der Rolle ihrer selbst und er als Jeff. 

Er wusste, wieviel Molly die Sekte bedeutet hatte. Sie war dort aufgewachsen. Der Gedanken, dass die “Etiam electos“ sie verstoßen hatte, eben weil er Molly nach der Heirat verließ, erbrachte ihm einen bitteren Beigeschmack. Doch die Mission war beendet. Er durfte nicht auffliegen (…) durfte endlich gehen und hatte seitdem keinen Gedanken mehr an Molly verschwendet.

Es ist falsch. Ihr Glauben ist falsch. Ihre Rituale sind falsch, barbarisch. Und dennoch sah er in Molly nicht die Frau, welche sie in der Gemeinde war. Diejenige, welche an Menschenopfer und Selbstverstümmelung als heilige Rituale glaubte,. Er sah in ihr eine Frau, die es nur nicht anders kannte und wegen ihm ihre Familie aufgegeben hatte. Doch lieben konnte er sie nicht. Jeff liebt sie. Jeff war eine Rolle, aber nicht er selbst (…) doch das konnte er Molly nicht erzählen.

„Wo lebst du momentan?“, fragte Luis.

„Meistens schlafe ich auf der Straße. Manchmal geben mir die Menschen Almosen. Deswegen war ich so glücklich, dich gefunden zu haben. Jetzt habe ich ein Zuhause! Du liefst durch die Stadt und ich konnte meinen Augen nicht trauen! Jeff, als ich dich sah (…) ich wusste dass es Schicksal war! Der Herr hat mich dich finden lassen!“, antwortete Molly mit immer breiter werdendem Lächeln.

Auch Luis, der sich sichtlich schwer mit dieser Situation tat, quälte sich zu einem Lächeln.

„Ich besorge dir ein Zimmer in einem Hotel ganz in der Nähe. Du kannst vorbei kommen. Ich versorg dich, bis du etwas eigenes gefunden hast, okay?“ Luis stand auf und begann in seinem Telefon, nach der Nummrt einer Unterkunft zu suchen.

„Was? Jeff, nein! Warum kann ich denn nicht bei dir bleiben? Wir sind verheiratet! Wir dürfen zusammen leben und eine Familie gründen und …“

„NENN MICH NICHT JEFF!“ Luis schrie ungewollt. 

Molly wurde still. Nach einiger Zeit atmet sie laut auf: „Ich verstehe … ich muss mich auch erst einmal neu finden. Wir haben Zeit Schatz, es ist ok.“ Sie lächelte verletzlich. 

Luis erwiderte das Lächeln nicht. Er hatte genug davon, dieses Spiel zu spielen, welches für Molly die Realität bezeichnete.

Die beiden fuhren zu einem Hotel in der Innenstadt und verabredeten sich für den nächsten Tag.

Luis schlief unruhig in jener Nacht: nicht sicher, wie sein bisheriges Leben nun weiter verlaufen sollte … jetzt, wo von einem zum anderem Tag alles verdreht wurde.

Kapitel 5

Luis, vor Mollys Hotel

Noch immer konnte er es nicht glauben, als er Molly aus den Türen des Hotels kommen sah. Sie wirkte mitgenommen: so, als hätte sie viel geweint und ebenfalls nicht geschlafen.

Sie setzten sich stumm nebeneinander in den Wagen und Luis fuhr los, unwissend wohin. Erst einmal weg von allem, was ihm bekannt war. Dort hin, wo er Luis sein musste … und nicht Jeff.

Er spürte, dass es Molly nicht gut ging. Sie war nervös, sehr ruhig und schaute mit leerem Blick auf die vorbeiziehenden Bäume am Rande der Straße.

Aus ihrer gemeinsamen Zeit wusste er, dass Molly in der Sektengemeinschaft groß geworden ist. Sie kannte das Leben außerhalb, weil sie arbeiten gehen musste, um so Geld für die Gemeinde aufzubringen. Ihre gesamte Familie – oder eher das, was sie von ihrer richtigen Familie kannte – war noch Teil der “Etiam electos“. Als Aussteiger war Jeff der Einzige, den sie kannte. Wenn man als Verheiratete verlassen wurde, galt man nach ihrem Glauben als unwürdiges und abstoßendes Mitglied, als Schande für seine Familie und aller anderen Anhänger.

Er fühlte sich unfassbar schuldig, Molly in diese Situation gebracht zu haben.

Vor allem wusste er jedoch nicht, wie er sie wieder los werden würde. Er konnte nicht mit ihr zusammen leben: das würde ihn ruinieren. Wenn herauskommen würde, woher sich die beiden kannten, würde er seinen Job verlieren. Zusätzlich konnte er es einfach nicht vergessen. Ihr Glaube. Die Überzeugung, mit welcher sie aufwuchs ebenso und ihre Rituale waren alles Dinge, die er verabscheute und versuchte, für immer aus seinem Kopf zu verbannen.

Sie fuhren durch ein abgelegenes Gebiet. Ein paar Häuser am Straßenrand waren zu erblicken, sonst nur Wiesen und Felder. 

„Jeff, kannst du bitte kurz anhalten?“ Molly klang den Tränen nah.

„Äh … ja, ja natürlich“, antwortet Luis etwas überfordert. Er fuhr an die Seite. Ihm war etwas mulmig zumute: doch er wartete ab und schaute dabei zu, wie Molly die Beifahrertür öffnete und ausstieg.

Luis sah sie eine Weile an. Wahrscheinlich wartete sie darauf, dass er ihr folgte. Dies hingegen hatte er jedoch nicht vor.

Sie lief geradeaus in das etwas kniehohe Kornfeld hinein und breitete ihre Arme aus. Der Wind streicht durch ihr Haar und sie hebt den Kopf. Einen Moment verweilt sie in dieser Position, bis sie schlussendlich zusammenbricht.

Luis stürmt aus dem Waagen. Er sieht sich um: doch niemand ist zu sehen. Er rennt zu der Stelle, wo noch kurz zuvor Molly stand. Mit etwas Abstand baute er sich nun vor ihr auf. Sie lag zusammengekauert auf am Boden, weinend. Mit zittriger Stimme fragte sie: „Was habe ich dir getan?! Warum hasst du mich so sehr Jeff?! Ich habe niemanden mehr außer dich, ich wurde verstoßen! Du bist gegangen, du hast mich im Stich gelassen! Wir sind doch von den gleichen Dingen überzeugt, wir gehören zusammen! Ich bin dir untergeben, ich mache alles was du willst. Nur bitte, lass mich nicht mehr allein …“ Molly starrte ihn an. Ihre Augen waren rot, ihre Lippen zitterten und vereinzelte Strähnen hingen aus ihrem sonst so streng gebundenem Zopf herab.

Luis nahm stumm ihre Hand und führte sie zurück zum Auto.

„Es tut mir leid. Von nun an kümmere ich mich um dich.“ Dies waren die einzigen Worte, welche Luis auf der Fahrt nach Hause zu Molly sagen konnte.

Den restlichen Tag verbrachte Jeff mit der Reparatur der Haustür. Seine Frau putze das Haus, betete und kochte zum Abendbrot.

Freiwillig bezog Molly das Gästezimmer am gegenüberliegenden Flur von Jeffs Schlafzimmer. Mittlerweile war es spät geworden und Luis lag in seinem Bett. Er dachte über das, was nun auf ihn zukommen würde, nach. Er ekelte sich vor Mollys Erziehung und Glauben – und doch musste er seine Rolle weiterhin aufrecht erhalten.

Kapitel 6

Haus Luis, ca. 03:00 Uhr morgens

Eine Tür fiel ins Schloss. Albträume bereitetem ihm seit langer Zeit schlaflos Nächte. Nun vernahm er Schritte, welche direkt auf seine Tür zusteuerten.

Vielleicht war es Molly, welche um diese Uhrzeit betet. Oder es war ein Einbrecher, der durch die noch nicht ganz so sichere Haustür hinein kam.  

So oder so: Luis wollte niemanden sehen. Die Polizei zu rufen wäre mit Molly im Haus zu riskant und der Einbrecher, insofern es denn einer war, würde schon verschwinden, wenn dieser Molly oder ihn zu sehen bekam.

Luis Herz schlug schneller, als die Tür seines Schlafzimmers geöffnet wurde und eine große, dunkel gekleidete Person das Zimmer betrat.

„Otto!“ Es war Molly. Sie klang bestimmt, trotz des Zitterns in ihrer Stimme.

Der Mann schloss die Tür hinter sich und stand nun im Raum. Luis rührte sich nicht, er stellte sich schlafend und hoffte, dass das, was er vermutete, nicht Wirklichkeit werden würde.

Er verstand nicht, was hier vor sich ging. Er zitterte, doch atmete gleichmäßig.

Die Schritte gingen durch den Raum. Er spürte, wie sein eigener Körper mit Gänsehaut überzogen wurde.

„Otto“ Die Stimme klang dunkel und stolz.

„Du musst verstehen, dass man sich diesen Namen erst wieder verdienen muss, wenn man die Gemeinde so stark kränkt. Molly hat gute Arbeit geleistet, dich um ihren Finger zu wickeln. Das zeichnet dich als Schwächling aus, lieber Luis.“ Ein leichtes Lachen war zu vernehmen. Im nächsten Moment hörte er, wie ein Stuhl neben das Bett gestellt wurde und Otto Platz nahm.

Er lauschte dem schweren Atem: „Es ist Zeit für ein Opfer, Jeff.“

Die flüsternde Stimme kam näher an sein Ohr. Er spürte eine Hand auf seinem Arm.

 

„Ich weiß, dass du nicht schläfst.“

 

2 thoughts on “Ausstieg

  1. Spannende Geschichte! Gerade das Ende lässt mich nun nicht locker, da ich unbedingt wissen muss, wie es weiter geht.
    Deine Ideen sind super! Sehr originell und wirklich gut durchdacht. Dran bleiben!
    Du hast wirklich Talent!:)
    Herzlich – Lia 🌿

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