JuleFeelicitasBild für Bild

Es ist Sebastian Fitzeks Gesicht, dass sich vor mir hin und her bewegt. Seine Hände bewegen sich gleichmäßig im Rhythmus seiner Worte. Er erzählt über das Schreiben, erklärt, worauf es ankommt, wenn man eine Kurzgeschichte schreibt. Seine Stimme ist motivierend, trieft förmlich vor Begeisterung. Er glaubt wirklich, über das Böse zu schreiben, sei etwas, das Spaß macht. Ich muss mich nicht fragen, ob ihm das Böse jemals im echten Leben begegnet ist. Ich kenne die Antwort. Würde er das Böse kennen, würde er nicht darüber schreiben. Der Live Stream endet und ich starre auf meinen Instagram Feed. Und da seh ich es. Ihr dummes Gesicht, wie sie in die Linse strahlt und ihren neusten Sport BH präsentiert. Lächerlich. Einfach lächerlich, diese Schlampe.

Ich drücke den Home Button und öffne die Galerie meines Smartphones. Es gibt ein Album, das ihren Namen trägt. Bianca. Ich tippe darauf. Inzwischen habe ich über dreihundert Fotos gesammelt. Manche davon sind mehr oder weniger peinlich. Aber alle haben etwas gemeinsam. Sie sind nicht für die Öffentlichkeit gedacht. Bianca betrunken auf der Toilette eines Clubs. Bianca wie sie besoffen mit einem Fremden rum knutscht, der nicht ihr Freund ist. Bianca wie sie sich sexy in Unterwäsche auf ihrem Bett rekelt.

Bianca. Bianca. Bianca.

Überall Bianca. Ich grinse.

Wenn sie wüsste.

Sicher findet ihr es erschreckend, dass ich all diese Bilder von ihr besitze, nicht wahr? Ihr findet den Gedanken abstoßend und pervers. Aber das liegt daran, weil ihr nicht die ganze Geschichte kennt. Ihr kennt nicht die Wahrheit. Ihr wisst nicht, was Bianca getan hat. Keine Sorge, das werde ich euch schon noch erzählen, versprochen. Ich lasse nicht zu, dass ich die Böse in dieser Geschichte bin.

Bianca bekommt nur das, was sie verdient. Ihr werdet es genau so sehen wie ich, werdet euch wünschen, dass sie ihre gerechte Strafe bekommt. So sind wir Menschen doch, oder nicht? Gerechtigkeit ist uns wichtig. Jeder soll eine Strafe bekommen, wenn er Unrecht getan hat, ist es nicht so?

Vor allem dann, wenn wir mit unserem Verhalten anderen Leid zu fügen. Und das hat sie. Sie hat mein Leben zerstört. Und das nur wegen ihrer naiven Art und Weise, ihr ganzes Leben mit der Welt zu teilen.

Jetzt sitze ich hier und habe dank Sebastian Fitzek den perfekten Racheplan. Ich zahle es ihr genau so heim, wie sie mir. Wie heißt es so schön?

Auge um Auge, Zahn um Zahn.

Nur in unserem Fall: Bild für Bild, Post für Post.

Ist es nicht ironisch, dass jeder von euch, es absolut übergriffig findet, dass ich all diese Bilder von Bianca im Internet teilen werde? Und gleichzeitig, macht ihr selbst nichts anderes, als das Internet mit eurem privaten Müll voll zu spamen?

#feiernmitdenbesten

#frühstückimbett

#filmeabendmitdemliebsten

Als ob sich irgendjemand ernsthaft dafür interessiert, wie gewöhnlich ihr seid. Ihr postet zwar nur die Highlights eures Lebens, aber glaubt mir, selbst die sind sowas von durchschnittlich. Und langweilig noch dazu. Hört auf, eure Freunde damit zu nerven. Ich weiß, sie ziehen sich diese Scheiße zwar rein, aber das liegt nur daran, weil ihr Leben genau so beschissen einseitig ist wie eures. Sie haben einfach nichts Besseres zu tun.

Naja, wie auch immer.

Damit ihr verstehen könnt, warum ich Biancas Leben und Privatsphäre mit Hilfe des Internets ruinieren werde, müsst ihr sie ein bisschen besser kennenlernen.

Bianca ist diese klassisch, narzisstische Persönlichkeit, die in Zeiten von Facebook und Instagram ihre Berufung gefunden hat. Endlich kann sie der Welt zeigen, wie toll sie ist. Bianca gehört zu den Lauten und Sichtbaren von uns. Sie fällt auf, wenn sie einen Raum betritt. Außerdem liebt sie es im Mittelpunkt zustehen. Diese ganzen wertlosen Likes und Kommentare sind wie Heroin für sie. Sie lebt regelrecht davon. Kommentare wie die Hose steht dir suuuuuper oder alberne Emojis, geben ihr alles, was sie braucht, um sich wertvoll zu fühlen.

Sicher fragt ihr euch, was das alles mit mir zu tun hat.

Tja, leider mehr als mir lieb ist. Das Problem, wenn man solche Instagram besessene Freunde hat, ist, dass sich ihre Sucht auf einen auswirkt. Sobald man mit ihnen Zeit verbringt, taucht man unweigerlich selbst im Netz auf. Entweder in einer Story oder in einem Post.

Bianca und ich waren Freundinnen, meistens verbrachten wir die gemeinsame Zeit damit, Sport zu machen. Wir gingen wir Joggen oder waren zusammen im Fitness Studio. Das ist eine der Sachen, die uns miteinander verbindet. Wir lieben den Sport. Alles daran. Der Schmerz, den Wettbewerb und dass man über Grenzen gehen muss, wenn man gut sein will. Aber nicht nur wir lieben den Sport. Auch Instagram liebt Sport. Vor allem Fotos davon. Bilder in denen junge Mädels enganliegende Sport Klamotten tragen, die Hüfte und Hintern betonen, kommen überaus gut bei der Meute an. Instagram weiß das. Und Instagram weiß auch, dass Leute es lieben, anderen dabei zuzusehen, wie sie produktiv sind. Vielleicht gibt es uns das Gefühl, Teil davon zu sein, so, als würden wir nur vom Zusehen sportlich werden. Bianca teilte leidenschaftlich Boomerangs, Bilder und Videos von uns, wenn wir Joggen waren oder Gewichte hoben. Du bist so hübsch, hatte sie immer gesagt und ein Foto gemacht, wenn ich gerade dabei war, irgendetwas zu stemmen. So kommt dein Körper am besten zur Geltung, sagte sie und zack, teilte es. So als wäre es wichtig. Als wäre das alles, was zählt. Lass später noch ein Selfie zusammen machen, ja? Die Bilder mit dir kommen immer besonders gut an. Was so viel bedeutet wie, schenk mir dein Gesicht für ein paar Likes. Zu diesem Zeitpunkt folgten ihr knapp fünftausend Leute. Nicht schlecht, wenn man bedenkt, wie nullachtfünfzehn sie eigentlich ist. Austauschbar wie die meisten BWL Studentinnen, die sich für wichtiger halten, als sie sind.

Und so kam es, dass sie dem Typen, der mich schon etliche Male, in unserer Stammkneipe angemacht hatte, ihren Instagram Namen verriet und mit einem Augen zwinkern sagte: Folge mir, dann siehst du auch ein bisschen was von ihr. Ich war fassungslos. Danach hatten wir einen heftigen Streit. Sie kannte keine Grenzen. Nicht mal jetzt, nach allem was passiert ist. Bianca wusste, dass ich keinen Bock auf diesen Typen hatte, der mich jedes Mal ansprach, sobald wir mit unserer Clique im Seb’s auftauchten. Er verstand nicht, dass ich kein Bock auf sein hässliches Gesicht hatte. Und schon gar nicht auf seinen jämmerlichen Schwanz. Die meisten Männer sind in diesem Punkt ziemlich beschränkt. Sie verstehen nicht, dass ein Nein genau das bedeutet. Nämlich Nein.

Und kein Versuch es doch morgen nochmal oder Bitte kämpfe mehr, um meine Aufmerksamkeit. Nein, es bedeutet, lass mich verdammt nochmal in Ruhe und verpiss dich endlich.

Natürlich fand er Biancas Profil und folgte ihr. Das war seine Chance, mich näher kennen zu lernen. Er schickte auch mir eine Anfrage, die ich ablehnte. Aber wie ich schon erwähnt habe, fand mein Leben, auf Biancas Profil statt. Also fütterte sie ihn mit Informationen und Bilder über mich, die nicht für ihn bestimmt waren. Dadurch, dass wir einem festen Fitnessplan folgten, wusste er bald, wann und wo wir trainierten. Er meldete sich im Fitness Studio an und belästigte mich dort weiter. Irgendwann ging ich dort nicht mehr hin. Ich sagte ihr, dass sie nichts posten solle, was mit mir zu tun hatte. Aber sie schaffte es nicht. Postete munter weiter. Und dann kam der Tag, an dem sie mit ihrer Sucht, alles kaputt machte. Und das nur, weil sie ständig, die ganze Welt in ihr Leben einlud. An dem Tag, als sich alles änderte, postete sie, dass wir die große Waldrunde laufen würden. Sie legte einen Farbfilter über ihr grinsendes Gesicht, schrieb ein passenden, extrem motivierenden, Hashtag dazu, und dann war sie endlich bereit, ihr heiliges Smartphone wegzupacken und loszulaufen.

Es war ein heißer Tag gewesen. Wir trugen beide kurze Shorts und Sport BH’s. Der Schweiß lief an mir herunter, als plötzlich jemand vor mich trat. Ich stolperte erschrocken und fiel hin. Bianca hörte mich nicht. Sie lief zwei Meter vor mir, weil dieser Teil der Strecke zu eng war, um nebeneinander zu laufen. Außerdem hörte sie wie immer Musik und bekam nicht mit, als ich ihr nachrief.

„Tut mir Leid“, nuschelte er und reichte mir eine Hand. Ich stand ohne seine Hilfe auf. Er war groß, fast zwei Meter. Ich musterte ihn. „Ich kenn dich doch“, sagte ich und als mir klar wurde, wer er war, packte er mich und drückte mir ein weißes Tuch ins Gesicht. Es war ein süßlicher Geruch, der sich in meiner Nase ausbreitete. Ich sah noch verschwommene Baumkronen über mir, bevor es dunkel wurde.

Als ich wieder zu mir kam, lag ich nackt im Wald. Irgendwo, weit weg von allen Wegen. Es dämmerte und ich wusste, dass mehrere Stunden vergangen sein mussten. Es brannte zwischen den Beinen und als ich mich dort berührte, klebte Blut an meinen Fingern. Ich fror, obwohl es warm war. Nirgends waren meine Kleider und mir war klar, dass er sie mitgenommen hatte. Zur Erinnerung.

In dem Moment, als ich realisierte, was passiert war, erinnerte ich mich daran, was er mir einmal in der Kneipe gesagt hatte. Du bist schön, weißt du das?, hatte er gefragt. Ich hatte ihm keine Antwort darauf gegeben, sondern mich genervt von ihm ab gewandt. Ich würde alles geben, um dir nahe zu sein. Natürlich nahm ich seine Worte nicht ernst. Wer tut das schon? Als Frau wird man jedes Wochenende angemacht, wenn man viel unterwegs ist und nicht unbedingt total scheiße aussieht. Mein Kopf dröhnte und ich lief eine Ewigkeit benommen durch den Wald, bis ich jemanden begegnete, der die Polizei rief.

Mir ist klar, dass das alles nicht passiert wäre, wenn Bianca nicht andauernd Fotos von uns geteilt hätte. Wenn sie mich aus ihrem online Leben raus gehalten hätte. Er wusste immer, wo wir waren, weil sie es ihm selbst ohne mit den Wimpern zu zucken verriet.

Er fand mich, ihretwegen.

Er vergewaltigte mich. Mehrmals. Und das ist ihre Schuld.

Manchmal kommen Bruchstücke der Erinnerung zurück. Ich war nicht durchweg bewusstlos gewesen, ich wachte auf und er ließ mich eine Weile bei Bewusstsein, bevor er mich wieder betäubte. Es gefiel ihm, wenn ich ihn dabei ansah. Mein Geist war wach, aber mein Körper war wie gelähmt. Ich bekam alles mit, während ich unfähig war, mich zu wehren. Es war die Hölle. Ich vergesse niemals, wie er in mich eindrang und sein heißer Atem an meinem Ohr. Sein Schweißgeruch und wie schwer sein Körper auf meinem wog. Die Art wie er sich bewegte, so ungestüm und drängend. Als hielte er keine Sekunde lang aus, mich nicht zu berühren. Aber vor allem werde ich nicht vergessen, wie nass und klebrig seine Küsse schmeckten. Wie seine Zunge grob in meinem Mund rum wühlte.

An diesem Tag verlor ich meine Unschuld. Die Art von Unschuld, die einen Sebastian Fitzek Thriller lesen lässt, weil sie einen gruseln und unterhalten. Aber das Böse unterhält einen nicht, wenn man es kennen gelernt hat. Als ich Bianca einige Zeit später wieder begegnete, fiel sie mir schluchzend um den Hals. Sie sagte, dass sie jeden Tag an mich gedacht hätte und froh sei, dass ich am Leben sei.

In diesem Moment wäre ich lieber tot gewesen. Aber das sagte ich ihr nicht. Ich sagte ihr auch nicht, dass ich es ihr heimzahlen würde. Dass sie ihr Todesurteil unterzeichnet hatte, in dem Moment, als sie das Bild in ihrer Story hochlud, das ihn zu mir führte.

Meine Seele wurde beschmutzt. Sie hat tiefe Rissen erlitten, die nicht so schnell wieder heilen werden. Ich will, dass sie genau so leidet, wie ich gelitten habe.

Am meisten macht es mich wütend, dass sie nicht aus ihren Fehlern lernt. Sie postet weiterhin ununterbrochen alles über sich und ihre Freunde. Ich werde ihr zeigen, wie es ist, wenn man nirgends mehr sicher ist. In den letzten Wochen habe ich sie so oft wie möglich fotografiert und mir Bilder von ihrem Handy zu geschickt. Vor allem die, die für ihren Freund bestimmt waren.

Ich werde ein Profil erstellen und täglich private Bilder von ihr posten.

Betrunkene, nackte, alltägliche Fotos.

Ich zerbreche ihre online Scheinwelt. Zeige, wer sie wirklich ist. Wie billig und falsch. Alle werden sie hassen. Ich offenbare die Seite ihres Gesicht, die sie im Dunkel versteckt hält. All das, was niemand sehen soll. Diesmal kann sie sich nicht hinter einem Filtern verstecken, der das Gesicht schmaler, die Augen größer und die Zähne weißer werden lässt. Ihr werdet sie sehen, wie sie ist. In ihrer ganzen Hässlichkeit. Bianca ist nicht perfekt, nur weil ihr Profil uns das glauben lässt. Auch sie hat Narben und Pickel. Und zwar überall.

Ich veröffentliche ihre Handy Nummer, teile ihre Adresse und alles Erdenkliche, das unter ihre Privatsphäre fällt. Wer die Privatsphäre anderer mit Füßen tritt, hat selbst keine verdient. Sie wird nirgends mehr sicher sein, weil ich alles über sie weiß, was ich wissen muss. Ich habe Bilder, die beweisen, dass sie keine Instagram Prinzessin ist. Weder unschuldig, noch brav. Wenn ihr wissen wollt, wer Bianca wirklich ist, dann fühlt euch herzlich dazu eingeladen, all ihre kleinen, hässlichen Geheimnisse auf @biancasanova369 zu erfahren. Und wer weiß, vielleicht wird sie es überleben.

So wie ich.

Aber es ist gut möglich, dass sie es nicht tut.

Dafür sorge ich.

One thought on “Bild für Bild

  1. Hey Jule, kurz vor Endes des Votings wollte ich mir noch ein paar Geschichten vornehmen.
    Deine Geschichte hat mich echt gepackt.
    Hast du super gemacht!
    Kleine Anmerkung: Ich finde die Formatierung etwas unschön. Wirkt sehr klein und das eingerückte machte es etwas unsauber.
    Ich drücke dir die Daumen und wünsche dir weiterhin viel Erfolg.
    Schau gerne bei mir vorbei, ich würde mich freuen. 🙂

    https://wirschreibenzuhause.de/geschichten/doppelte-identitaet-2

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