BlackDiamondWingBlühende Hyazinthen

Bei der Arbeit ging es heute wieder drunter und drüber. Die Server einer Firma, die er betreute, waren komplett ausgefallen und es hatte bis zum Abend gedauert sie wieder in Gang zu bekommen. Trotzdem wusste niemand wieso sie überhaupt abgestürzt waren. Das ärgerte ihn in höchstem Maße, denn so konnten er und seine Kollegen nicht sicher sein, dass alles zuverlässig läuft und nicht in wenigen Stunden wieder zusammenbricht. Dann ständen sie wieder vor dem gleichen Problem.

Seit seine Freundin vor einem Monat mit ihm Schluss gemacht hatte beschwerte sich immerhin niemand mehr, wenn er so spät nach Hause kam. Er vermisste sie zwar sehr, aber sie hatten in den letzten Monaten viel über Kleinigkeiten gestritten und er hatte immer wieder festgestellt, wie er sich unwohl fühlte, wenn er von der Arbeit kam. Denn Nele hatte ihm häufig vorgeworfen hatte sich nicht für sie zu interessieren, weil er immer nur am arbeiten sei. Doch jetzt kam es ihm komisch vor am leeren Küchentisch zu sitzen und ohne sie zu essen.

Nach diesem anstrengenden Arbeitstag ging Martin also alleine nach draußen auf seinen Balkon. Dieser war zwar klein, aber groß genug für eine kleine Bank, auf der sie gemeinsam viele Stunden verbracht hatten, und ein paar Blumen. Seine Hyazinthen, die jetzt im Frühjahr blühten, mochte er am liebsten. Jedes Mal, wenn er nach draußen trat duftete es intensiv nach ihnen. Er hatte sie in fast allen Farben des Regenbogens und es macht ihn jedes Mal glücklich zwischen dieser strahlenden Pracht zu sitzen und die letzten Sonnenstrahlen eines schönen Tages zu genießen. Auf Balkonien ließ es sich schließlich leben, da musste man gar nicht in den Urlaub fahren.

Wie so häufig hatte er sich ein Buch und ein Sandwich mit nach draußen genommen. So konnte er sich immer entspannen und seine Sorgen vollkommen vergessen. Die Momente in denen er laß waren die einzigen, in denen er weder an Nele, noch an die Arbeit dachte. Heute hatte er sich für einen dicken Krimi entschieden.

Doch gerade als er so richtig in sein Buch vertieft war klingelte es an der Tür. „Wer könnte das wohl sein?“, fragte er sich, denn er erwartete niemanden mehr um diese Uhrzeit.

Genervt stand er auf und ging zur Tür. Bestimmt brauchte sein Nachbar wieder Milch, weil er nicht mehr einkaufen gehen wollte. Der Schlüssel lag auf der Kommode neben der Tür, wo er ihn immer, wenn er nach Hause kam ablegte. Er steckte ihn ins Schlüsselloch, schloss auf und öffnete die Tür. Auf der anderen Seite stand ein Paketbote. Dieser drückte ihm in aller Eile ein Packet in die Hand, ließ ihn unterschreiben und ging wieder.

Martin drückte die Tür nachdenklich hinter sich ins Schloss und ging in die Küche. Dort angekommen legte er das Packet auf den Esstisch. Eigentlich hatte er in letzter Zeit nichts bestellt, aber auf dem Versandettiket stand definitiv sein Name und seine Adresse. Leider konnte er keinen Absender finden, komisch schließlich war das heutzutage auf den meisten Paketen dieser Größe der Fall. Er starte das Packet noch eine ganze Weile nachdenklich an. „Was solls, dachte er schließlich, irgendwann musste er es ja auf machen, wenn es für ihn bestimmt war.“

Auf der Küchentheke stand der große Messerblock, den ihm seine Eltern zum Einzug geschenkt hatten. Seit einiger Zeit fehlte darin das lange Tranchiermesser, sodass er unglücklicherweise das Brotmesser mit der gezackten Klinge nehmen musste, um das Packet zu öffnen. Das war zwar nicht optimal, aber erfüllte seinen Zweck.

Vorsichtig durchtrennte er die Klebestreifen und öffnete das Packet. Wie immer quoll ihm eine Flut an Verpackungsmaterial entgegen, bei welcher er sich jedes Mal fragte ob das wirklich nötig war. Da ihm in den Shoppingmals dieser Welt grundsätzlich zu viel los war ging er nicht gerne shoppen und bestellte fast alles im Internet. Sogar wenn er Bettwäsche oder Klamotten bestellte war jedes Mal mehr Müll, als Ware im Paket enthalten. Das störte ihn, auch wenn er zugeben musste, dass er trotzdem nicht aufhörte online zu kaufen.

Doch als er nun ihn das Paket schaute war er sehr überrascht, denn dort fand er die Verpackung eines Handys. Dabei hatte er sein neues Handy erst seit wenigen Monaten und war sehr zufrieden damit. Auf gar keinen Fall hatte Martin ein neues bestellt. Daran würde er sich erinnern.

Vielleicht sollte er Nele anrufen und fragen ob sie es gekauft hatte und dabei nicht an ihre neue Adresse gedacht hatte. Auch wenn ihm das sehr unwahrscheinlich vorkam griff er als erstes zum Handy und wählte ihre Nummer, welche er noch immer auswendig konnte. Als Martin verbunden wurde erschien wie immer das Bild auf dem Display, das er so liebte. Nele stand neben ihm und sie strahlten beide lachend in die Kamera. Damals waren sie noch glücklich gewesen.

Nachdem es mehrmals geklingelt hatte ging Nele schließlich dran. „Was willst du?“, fragte sie nicht besonders freundlich. Es verletzte ihn zwar, dass sie ihn so begrüßte und kein nettes mehr Wort für ihn übrighatte, dennoch fragte er sie, ob sie ein Handy auf seinen Namen bestellt hatte.

Martin konnte förmlich hören wie seiner Exfreundin vor Empörung die Kinnlade runterviel. „Wie kannst du es wagen mir nach allem was passiert ist zu unterstellen ich würde dich ausnutzen und unter deinem Namen einfach Sachen bestellen“, keifte sie in den Hörer. So hatte er das natürlich nicht gemeint, das wusste sie vermutlich, aber Nele wollte ihn nicht verstehen. So war es zum Ende ihrer Beziehung immer gewesen. Ohne ein weiteres Wort legte er auf und ignorierte ihren Versuch ihn sofort zurück zu rufen. Auf die Diskussion wollte Martin sich gar nicht erst einlassen.

„Nele hatte das Handy also nicht bestellt“, überlegte er laut, „aber wie sollte es denn sonst bei ihm gelandet sein?“

Erneut betrachte er das Paket eingehend, aber auch dieses Mal fand er keinen Absender oder einen anderen Hinweis darauf wo das Paket her kam. Sollte es dem Versender nicht wichtig sein etwas so Wertvolles wie ein Handy zumindest in der Hinsicht abzusichern, als dass man es dem Kunden ermöglicht es zurück zu schicken, falls man es nicht haben will.

Jetzt hielt er die Verpackung des Handys in der Hand und da fiel ihm auf, dass diese schonmal geöffnet wurde. Die kleinen Klebestreifen, die normalerweise die Verpackung davon abhielten einfach auf zu gehen waren schon einmal durchtrennt worden, sodass er sie einfach öffnen und hineinschauen konnte.

Auf dem Plastikuntergrund lag ein nagelneues Handy. Martin nahm es in die Hand und drehte es. Als er die Rückseite des Smartphones ansah bemerkte er, dass dort ein kleiner Zettel klebte. Vorsichtig, um ihn nicht zu zerreißen, löste er ihn ab und faltete ihn auseinander.

Der Zettel bestand aus fleckigem, knitterigem Papier, als hätte ihn jemand oft zusammen und auseinander gefaltet. Martin dachte natürlich nicht darüber nach, dass auf ihm vielleicht Fingerabdrücke oder DNA-Spuren sein könnte, doch als er laß was auf dem Zettel stand ärgerte es ihn, dass er das Papier einfach so angefasst hatte.

„Ich mache dich dafür verantwortlich du perverses Schwein!!! Sieh dir die Fotos an, ich kann dir alles beweisen.“

Vor Schreck lies Martin den Zettel fallen, was meinte der Schreiber des Zettels nur damit, was konnte er ihm beweisen und welche Fotos waren gemeint. Aus irgendeinem Grund ging Martin direkt davon aus, dass der Zettel von einem Mann verfasst worden war, auch wenn er es nicht hätte erklären können, wenn ihn jemand gefragt hätte.

Langsam nahm er das Handy wieder in die Hand. Irgendwas musste er übersehen haben, schließlich drohte man nicht jemanden vollkommen ohne Grund. Vor allem nicht mit etwas wovon der andere gar nichts weiß.

Rechts an der Seite des Handys befand sich der Knopf zum Anschalten des Geräts. Martin drückte ihn. Das Display leuchtete auf und das Smartphone schaltete sich ein. Es war nicht mit einem Passwort oder ähnlichem gesichert. Auf dem Handyscreen erschien der Homebildschirm. Dort waren nur eine Uhr, das Album und das Telefonbuch zu sehen.

Zuerst öffnete Martin das Album. Er musste wissen von was für Fotos auf dem Zettel die Rede war. Es waren nur 3 Bilder im gespeichert. Das erste zeigte ein junges Mädchen. Es war blond und lächelte in die Kamera. Das Bild wirkte schon älter, aber auf ihm musste das Mädchen etwa 15 gewesen sein. Im Hintergrund blühten Hyazinthen. Wie paradox, schließlich waren das Martins Lieblingsblumen. Als er das zweite Bild ansah stockte ihm der Atem. Zu sehen war wieder das Mädchen vom ersten Bild. Nur dieses Mal war ihr Haar nicht mehr blond, sondern fast vollkommen farblos. Sie hatte jeglichen Glanz verloren. Ihre Wangen waren eingefallen und ihr ganzer Körper war spindeldürr. Vor allem aber war sie tot.

Was war das hier eigentlich für eine kranke Scheiße. Wieso guckte er sich diese Fotos überhaut noch an. Er sollte das ganze Packet einfach zur Polizei bringen, bevor er noch weitere Spuren verwischte. Doch er konnte sich nicht davon abhalten auch das dritte Bild anzusehen. Dabei handelte es sich um einen Screenshot von einem Chatverlauf. Mit Erschrecken musste Martin feststellen, dass ihm dieses Bild tatsächlich etwas sagte. Den abgebildeten Chat hatte er vor etwa einem Jahr mit einer jungen Frau geführt. In dem Forum hatte sie sich Laila87 genannt. Er war immer davon ausgegangen, dass 87 für ihr Geburtsdatum stand, auch wenn sie ihm nie etwas persönliches über sich verraten hatte. Als er einmal gefragt hatte ob sie sich nicht mit ihm treffen wolle hatte sie sich nicht mehr bei ihm gemeldet. Damals hatte ihn das sehr verletzt, aber jetzt fragte er sich ob nicht eh der ganze Chat eine Lüge war, nachdem was die Bilder hier andeuteten.

Zuerst wollte Martin das Handy einfach wieder weglegen, aber dann entschied er sich dazu auch die letzte App noch zu öffnen. In dem Telefonbuch war nur ein einziger Kontakt unter dem Namen Papa abgespeichert.

Martin wählte die Nummer, was hatte er denn zu verlieren?

Am anderen Ende meldete sich eine brüchige Stimme. Sie sagte drohend, „Du hast meine Tochter umgebracht, du bist derjenige der als letztes mit ihr Kontakt hatte bevor sie verschwand. Keine Sorge, ich werde nicht zur Polizei gehen, aber sei dir sicher, dass ich dir dein Leben zu Hölle machen werde. Die Sache mit Nele war erst der Anfang.“

3 thoughts on “Blühende Hyazinthen

  1. Was für eine großartige Geschichte.

    Ich bin durch Zufall bei dir gelandet und war total gefesselt.

    Dein Schreibstil ist ambitioniert und voller Schreiblust.

    Komplett genial.

    Kompliment.

    Deine Geschichte hat mich gefesselt und berührt.

    Du müsstest schon mindestens 10 bis 20 x mehr Likes haben.

    Man spürt dein Herzblut und dein Talent.

    Insgesamt war die Geschichte absolut seriös, kurzweilig und spannend.
    Und das Finale war super und überraschend.

    Bitte schreib weiter.
    Und du wirst noch viele bezaubernde Geschichten schreiben.

    Ich wünsche dir und deiner Geschichte alles Gute und viel Erfolg.

    Mein Herz hast du natürlich sicher.

    Liebe Grüße, Swen Artmann (Artsneurosia)

    Vielleicht hast du ja Lust und Zeit, auch meine Story zu lesen.
    Über einen Kommentar würde ich mich sehr freuen.
    Meine Geschichte heißt:
    “Die silberne Katze”

    Vielen Dank.
    Swen

  2. Hey, gute Geschichte! 👏 Sie liest sich flüssig und ist spannend erzählt. Das Ende hat mich überrascht. Als ich es gelesen habe war ich auch überrascht, dass die Geschichte schon zu Ende ist. Es hätte mich sehr interessiert wie es weitergeht.

    Vielleicht magst Du ja auch meine Geschichte “Stumme Wunden” lesen, das würde mich sehr freuen! 🌻🌷

    Liebe Grüße Sarah! 👋 (Instagram: liondoll)

    Link zu meiner Geschichte: https://wirschreibenzuhause.de/geschichten/stumme-wunden?fbclid=IwAR1jjPqPu0JDYk0CBrpqjJYN78PYopCEU1VGdqzCvgp7O4jnGKQSFdS6m6w

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