LauraKDas Lied vom Tod

Ich starre auf das Handy. Die Bilder darauf zeigen mich. Mich, wie ich im Büro vor der Kaffeemaschine stehe, die Bluse voller Falten und unter der Hose blitzen unterschiedliche Socken hervor. Dann mich, auf einer Parkbank sitzend, gerade dabei, mit einem verärgerten Gesicht den Senf von meinem Shirt zu entfernen.

    Mein Leben ist ein einziges Chaos. Und das hier ist weder mein Handy noch habe ich die Bilder je zuvor gesehen.

    Eigentlich sollte der heutige Tag gut werden. Voller Zuversicht bin ich früh aufgestanden und rechtzeitig zur Arbeit gekommen, sogar den Papierkram habe ich heute geschafft und konnte den Chef damit beeindrucken. Keine Kaffeeflecken auf der Hose, selbst meine Frisur sitzt noch perfekt. Auch gab es keinen Stau, als ich wieder nach Hause fuhr. Dafür jedoch fand ich ein Handy in meinem Briefkasten, welches weder mit einem Code verschlüsselt war noch irgendwelche Kontakte beinhaltet. Nur diese seltsamen Fotos.

    Ich starre weiterhin auf das Handy, ehe ich es achselzuckend auf das Sofa in meiner Wohnung fallen lasse und in meine Küche gehe, um mir einen Tee zu kochen. Dabei entdecke ich auch die Reste des gestern gekauften Apfelkuchens. Doch noch ehe ich mir eine Gabel nehmen kann, um die Reste zu verspeisen, durchbricht ein lautes Vibrieren, gefolgt von einem Nachrichtenton die Stille.

    Sofort eile ich ins Wohnzimmer und greife nach dem Handy auf dem Sofa. Eine neue Nachricht. Nur ein Satz.

    „Ich weiß wer du bist.“

    Langsam breitet sich ein Lächeln auf meinen Lippen aus, ehe ich das Handy erneut auf das Sofa fallen lasse. Ob ich Angst habe? Nein. Ob ich mir Sorgen mache? Nicht wirklich.

    Ich hole mir den Apfelkuchen aus der Küche und setze mich damit neben das Handy auf die Couch. Genüsslich esse ich das Stück, ehe ich das Handy in die Hand nehme. Es ist ein Smartphone, allerdings ein ziemlich altes. Es hat deutliche Gebrauchsspuren. Sowohl der Bildschirm als auch die Hülle sind zerkratzt, doch ich kann keine deutlichen Fingerabdrücke darauf feststellen. Die Hülle ist schwarz mit weißer, verschnörkelter Schrift: „Keep calm and never stop loving“. Welch Ironie.

    Genau als ich das Handy wieder weglegen will, ertönt erneut der Ton, dass es eine neue Nachricht gibt. Ich öffne sie.

    „Heute 8h. Erfurter Straße Ecke Mozartstraße bei der Eisdiele. Sei da.“ Mit Kommasetzung hat der anonyme Schreiber es ja nicht gerade.

    Ich schaue auf die Uhr und sehe, dass ich noch eine knappe Stunde Zeit habe. Wer es wohl ist? Ein heimlicher Anbeter vielleicht? Ein ehemaliger Liebhaber? Oder Liebhaberin?

 

Am Himmel zeigt sich bereits der Mond, welcher vom Licht der untergehenden Sonne angestrahlt wird. Der Himmel ist ein einziges Kunstwerk, das sehe selbst ich, die nie etwas von Kunst verstanden hat. Instagram-würdig vermischt sich rot mit orange, selbst die vereinzelten Wolken sind vielfarbig. Wer den Himmel auf Erden sucht, hat im Erdkundeunterricht geschlafen, hat meine Mutter immer gesagt. Auch ansonsten ist sie ein sehr positiver Mensch gewesen.

    Langsam trete ich auf die bereits geschlossene Eisdiele zu. Ich liege gut in der Zeit, meine Uhr sagt mir, ich hätte noch drei Minuten übrig. Doch ich sehe nirgendwo jemanden, der auf mich warten könnte.

    Eine Gruppe Jugendlicher läuft an mir vorbei, aus ihren Boxen dröhnt etwas, was sie wohl als Musik bezeichnen. Ungeduldig wippe ich auf dem Fußballen nach vorn. Noch zwei Minuten.

    Ein Pärchen, wohl Touristen, halten zusammen eine große Stadtkarte in der Hand, ehe sie einen älteren Mann aufhalten, um nach dem Weg zu fragen. Dieser schüttelt nur leicht den Kopf, ehe er schnellen Schrittes in eine Straße einbiegt, den Aktenkoffer fest umklammert. Eine junge Mutter läuft dicht an mir vorbei, einen Kinderwagen schiebend, in welchem ein Baby am Daumen nuckelnd schläft, und ein älteres Kind unter den Arm geklemmt. Noch eine Minute.

    Langsam werde ich doch unruhig. Mein eigenes Zeitmanagement mag nicht besonders gut sein; ich bin eigentlich immer zu spät, aber es gibt auch Situationen, in welchen man eher nicht zu spät kommen sollte. Entnervt trommle ich mit meinen Fingern auf meine Unterarme. Wenn schon jemand versucht, mich auf solche Art zu kontaktieren und mir wahrscheinlich Angst damit machen will, dann soll er doch bitte wenigstens pünktlich da sein. Schließlich verpasse ich jetzt nur wegen ihm die Wiederholung meiner Lieblingsserie. Acht Uhr.

    Nichts. Nichts und niemand. Verärgert stelle ich den Kragen meiner Jacke zum Schutz gegen die Abendbrise hoch und will bereits umdrehen und zurück in meine Wohnung gehen, als ich an der Eisdiele einen Zettel bemerke. Ein einfacher Zettel, der an der Tür klebt, auf welchem steht, dass die Eisdiele gerade wegen der Sommerpause geschlossen ist. Doch am Rand finden sich alle meiner Initialen wieder. Zufall?

    Ich reiße den Zettel ab und stecke ihn in meine Tasche, ehe ich damit nach Hause gehe. Dort angekommen, hole ich ihn sofort wieder aus der Tasche und lasse die Jacke ungeachtet auf einen Stuhl fallen. Der Zettel wurde handschriftlich geschrieben, sodass die Initialen kaum auffallen, doch einem geübten Auge entgeht nicht, dass es verschiedene Schriften sind. Doch auf dem ersten Blick lassen sich auf den Blatt keine anderen Merkmale feststellen. Die Rückseite des Blattes ist leer, keinerlei Anzeichen auf weitere Informationen. Unsichtbare Tinte wäre eine Möglichkeit, aber auch ein totales Klischee. Oder vielleicht soll genau das der Beweis sein, dass die Person genau weiß, wer ich bin…

    Ich nehme das Handy mit der schwarzen Hülle vom Kaffeetisch und mache das, was ich schon viel früher hätte tun sollen: Ich schreibe eine Nachricht.

    „Wer bist du?

    Prompt kommt eine Antwort: „So einfach werde ich es dir nicht machen meine Liebe.

    Amüsiert schaue ich auf den Bildschirm. „Weißt du wirklich, wer ich bin?“

    „Ja.

    Das Lächeln verschwindet von meinen Lippen und ich runzle die Stirn. „Kenne ich dich?“

    Diesmal muss ich etwas länger auf die Antwort warten. „Nein.“

    „Woher kennst du mich?“ Doch so sehr ich auch auf eine erneute Nachricht warte, in der mir das erklärt wird, es kommt keine. Verärgert presse ich die Lippen zusammen, ehe ich das Blatt Papier erneut in die Hand nehme. Aus einer Schublade hole ich nun doch ein Feuerzeug heraus und halte das Papier vorsichtig über die Flamme. Und tatsächlich, auf der Rückseite zeigt sich eine Nachricht, welche scheinbar mit Zitronensaft darauf geschrieben wurde. Nur ein Satz: Rache ist Blutwurst.

    Ich halte das Ganze für einen Witz. „Rache ist süß“ oder „Rache ist ein Gericht, das man am besten kalt serviert genießt“, das sind Sprichwörter, die mir geläufig sind. Aber Blutwurst? Warum Blutwurst?

    Es ertönt der mittlerweile altbekannte Nachrichtenton. „Wusstest du dass Titus Andronicus seine Feinde nach dem Töten zu einer Pastete verarbeitete?“

    Sofort ruckt mein Kopf nach oben. Diese Person weiß, was ich mache. Sie weiß, zu welchem Zeitpunkt ich die Nachricht entdeckt habe. Aber die Kamera des Handys ist abgeklebt… Ich beschließe, mir vorerst keine Gedanken darüber zu machen.

    Und Titus Andronicus… Wer zum Teufel ist das? Ich bin in Geschichte immer eingeschlafen. Doch als ich meinen Laptop vom Esstisch nehme, aufklappe und den Namen in die Suchleiste eintippe, spuckt mir Google sofort einen weiteren Namen aus: Shakespeare. Shakespeare? Der von Romeo und Julia? Ein jeder mag mich jetzt einen Kulturbanausen nennen, aber ich hatte bereits in der Schulzeit besseres zu tun, als mit dem Deutschkurs ins Theater zu gehen.

    Aber Rache… Warum Rache? Dieses Motiv verkleinert den Kreis der Personen, die hinter dieser ganzen Poesiegeschichte stecken könnten, nicht wirklich.

    Und Andronicus… Was soll der mit dem Ganzen zu tun haben? Es wird ja kaum jemand in der Stadt herumlaufen, der so heißt. Also was will mir die Person damit sagen.

    „Was willst du von mir?“, schreibe ich an die Nummer. Ich könnte versuchen, das Handy anhand der Nummer zu hacken und so den Standort der Person herausfinden oder vielleicht einen Namen dank eines Mobiltelefonvertrags, doch ich kann mir bereits denken, dass mir das nichts bringt. Diese Person weiß, wer ich bin, also wird sie es schon etwas schwerer für mich machen.

    „Alles und nichts. Ich möchte nur ein Spiel spielen.“

    Unbeeindruckt hebe ich eine Augenbraue. „Und wenn ich nicht spielen will?

    Erneut muss ich nicht lange auf eine Antwort warten. Fast so, als wäre sie bereits vorgetippt…

    „Dann kann ich dafür sorgen dass gewisse Leute genau wissen wer und wo du bist. Du kannst fliehen doch man wird dich finden. Ich werde dich finden“

    „Schön für dich, doch du hast keinerlei Beweise für etwas, was ich angeblich getan haben soll.

    „Möchtest du es darauf ankommen lassen?“

    Wütend knirsche ich mit den Zähnen. Dann lass uns ein Spiel spielen!

 

Der nächste Morgen kommt viel zu früh. Ich habe in der vergangenen Nacht kein Auge zugemacht, jedenfalls fühle ich mich so. Ein Problem, mit welchem ich mich nicht an die Polizei wenden kann, ohne selbst ins Schussfeld zu geraten. Auch habe ich ansonsten niemanden, den ich damit belasten könnte. Niemanden, der mir helfen könnte, bei diesem Spiel mitzuspielen. Sagt man deswegen „Karma ist eine einfache Rechnung: eine Tat gegen eine Tat, egal ob die Tat gut oder böse ist“? Vielleicht kommt jetzt doch die Abrechnung.

    Im Schlafanzug sitze ich auf dem Boden vor dem Sofa, die Augenringe ausgeprägter als jeder Schmuck, den ich sonst trage, meine schuhlosen Füße kalt wegen fehlender Fußbodenheizung. Die Nachricht des Satzes „Rache ist Blutwurst“ ist angekommen, doch warum die Referenz zu Andronicus? Ich habe es bereits mit Anagrammen versucht, doch nichts. Und wenn die Referenz eher auf Shakespeare hinweist? Shakespeare… Hat irgendetwas in dieser Stadt mit Shakespeare zu tun?

    Ich erinnere mich daran, bereits an einem Restaurant vorbeigelaufen zu sein, welches etwas mit diesem Dichter zu tun hat. Die Stadt der Dichter und Denker. Es muss doch etwas anderes als ein Restaurant geben, welches auf ihn hinweist!

    Ich gehe in mich und suche mit den Gedanken jede Ecke, jeden Winkel dieser Stadt nach einem Hinweis ab. Shakespeare… Wo könntest du stecken? Vielleicht ein Denkmal? Und tatsächlich. Im Park! Ein Denkmal des Dichters, welches jeden Winter in ein Betonkleid verpackt wird, um es zu schützen. Doch noch ist nicht Winter, das Denkmal muss nicht geschützt werden. Somit ist es frei sichtbar und vielleicht auch ein perfektes Versteck für einen Hinweis, den eine Person versteckt hat, die auf Rache aus ist. Rache wegen etwas, was ich nicht ihr direkt angetan habe, da ich sie ja anscheinend nicht kenne.

    Ich ziehe mich rasch an und putze Zähne, ehe ich mir in der Küche ein Brötchen zwischen die Zähne schiebe und zur Wohnungstür laufe. Im Vorbeigehen an der Garderobe schnappe ich mir noch meine Tasche und krame in einer anderen Jacke nach einem Taschenmesser. Besser so als gar nicht bewaffnet.

    Der Weg in den Park ist nicht besonders weit, sodass ich bereits einige Zeit später im Park und vor dem Wegweiser stehe. Ich lasse meinen Blick einige Male über die Karte schweifen, ehe mein Blick daran hängen bleibt. Das Shakespeare-Denkmal. Sofort präge ich mir den Weg dorthin ein und laufe los.

    Nur wenige Menschen kommen mir entgegen. Dies könnte einerseits an der Uhrzeit, andererseits an dem Fakt liegen, dass heute Feiertag ist. Somit hat so ziemlich jeder etswas Besseres zu tun. Außer ich. Ich jage einem Unbekannten hinterher, der gerne Spiele spielt. Doch das wird er bereuen. Niemand macht so etwas mit mir und kommt unbeschadet davon, dafür würde ich jede meiner selbst aufgesetzten Regeln brechen.

    Die Blätter, welche sich bereits bunt verfärben, scheinen mich zum Denkmal zu führen. Und tatsächlich: Da sitzt er, der Dichter mit einem Totenkopf zu seinen Füßen, in den Händen eine Rolle Pergament und eine einzelne Rose. Die Rose, das Zeichen der Liebe, des Lebens und der Unschuld. Aber auch des Schmerzes und des Todes.

    Und tatsächlich: Zu den Füßen Shakespeares, kaum erkennbar, wenn man nicht danach suchen würde, liegt ein Umschlag, auf welchem erneut meine Initialen zu sehen sind. Er fühlt sich etwas schwerer an, so, als ob er etwas anderes als einen einfachen Brief beinhalten würde. Vorsichtig öffne ich den Umschlag mit dem Taschenmesser und lasse seinen Inhalt in meine linke Hand gleiten: Es ist ein einfacher USB-Stick. Keine Notiz dazu, nur der Stick. Schnell stopfe ich ihn in meine Tasche und gehe, so schnell ich kann, nach Hause. Dort stecke ich ihn, ungeachtet, ob da Viren oder ähnliches drauf sind, sofort in meinen Laptop. Auf dem gesamten USB-Stick befindet sich nur eine Datei: Eine Audiodatei. Misstrauisch schaue ich auf die Megabyte-Anzahl, ehe ich tief Luft hole. Du hast schon Menschen für Geld getötet, warum sollte dir ein USB-Stick Angst machen?, rede ich mir selbst zu. Dann öffne ich die Datei.

    Kurz ist es so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können, als die Datei lädt. Dann dringt eine Melodie aus meinen Lautsprechern. Ich halte meinen Atem an, als ich das Lied erkenne.

    Spiel mir das Lied vom Tod.

    Mir gefriert das Blut in den Adern.

2 thoughts on “Das Lied vom Tod

  1. Hallo Laura!
    Mir gefällt der Anfang total gut – mal ganz anders!!! Es fängt – bum- direkt an!! Und dann ist man drin und liest und liest und……Ende!? Ich hätte sehr gerne weiter gelesen! Mein ❤ hast du trotzdem!
    Vielleicht hast du ja Lust auch meine Geschichte “Die Rache” zu lesen!?
    LG, Iris

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