micha.13Der Aprilscherz

Das er es mit ihr hier auf dieser Etage treiben würde, das war sein selbst erklärtes Ziel. Und wenn er ehrlich mit sich war, dann schien es nur eine Frage der Zeit, bis sie sich ihm willenlos hingab. Doch auf der Behindertentoilette, während der Mittagspause? Das war nicht nur riskant, sondern fast schon, das Schicksal herausfordernd. Und solche Dinge stachelten ihn nur zusätzlich an. Was wäre, wenn einer dieser Rolli-Fahrer nun ausgerechnet in diesem Moment mal musste und wartend vor der Tür parkte? Nicht auszudenken.

Das Riskantere jedoch, war die Uhrzeit. Denn seiner lieben Frau Ehegattin, durchzog des Öfteren einer dieser Geistesblitze, mit ihm gemeinsam die Mittagszeit verbringen zu wollen. Doch auch das, konnte ihm nicht im Geringsten dazu bringen, die Finger von seiner Sekretärin zu lassen.

Eine Hand klebte förmlich über ihrem Mund, damit sie nicht zu heftig stöhnte. Mit der anderen machte er grobe Knetungen an ihrer Brust, die er mühevoll aus ihrem BH und der dünnen Seidenbluse befreite. Den Slip zog sie sich noch selbst, die gebräunten Beine, hinunter. Nur den dunkelblauen Knierock, schob er nach oben, drehte sie, mit dem Blick zum Spülkasten, und tat sein Werk. Nicht lange. Das hatte Natalie sich anders vorgestellt.

Erik Schmiedebach, Leiter der Abteilung Schadensregulierung, begutachtete sich vor dem monströsen Spiegel in diesem geräumigen WC und fragte sich einerseits, wozu diese Benachteiligten so einen großen Spiegel benötigten, schließlich kostet das nur Geld, doch andererseits schöpfte er daraus mal wieder seinen Vorteil. So konnte er, ohne die beklemmende Enge auf dem Herrenklo, seine Frisur, sowie Anzug und Krawatte ohne blöde Blicke wieder herrichten. Sein fülliges, blondes Haar lag nahezu perfekt. Nichts wurde während seines kleinen Abenteuers zu sehr durcheinander gewirbelt. Der Wasserhahn ergoss sich in einem leicht-warmen Strahl, mit dem er seine Fingerspitzen anfeuchtete, um die Spitzen seines Oberlippenbartes zu begradigen und die ungeliebten Überreste ihres knalligen roten Lippenstiftes von Hals und Mund zu entfernen. Sie war wie ein wildes Tier.

Ab morgen, gibt es dieses penetrante Rumgelecke im Gesicht nicht mehr Natalie. Hast du verstanden? Schau doch mal wie ich aussehe. Mann Mann Mann... Stell dir vor, ich bekomme den Scheiß nicht mehr sauber. Dann könnte ich dich ja gleich bei mir zu Hause im Bett flach legen. Wie soll ich das meiner Frau erklären. Denk doch mal nach Süße.“

Ja. Okay. Es war nur… Ich dachte…“ Etwas eingeschüchtert, aber vielmehr frustriert, über die Art und Weise wie er plötzlich mit ihr umsprang, zog sie ihren Slip, auf dem Klo hockend, nach oben.

Du lässt dir Zeit. Verstanden?“ Und dann schnitt er ihr auch noch mitten im Satz das Wort ab. „Wenn du kurz nach mir rauskommst, dann sieht das merkwürdig aus. Von mir aus zieh den Lidstrich nochmal nach oder auch deine Lippen. Pack alles wieder ordentlich ein. Streich die Falten aus dem Rock. Nachher kommen die Großkunden. Da musst du vorzeigbar sein.“

Ja Chef.“ Sie rollte mit den Augen.

Hat Spaß gemacht mit dir. Bis vierzehn Uhr keine Anrufe durchstellen.“

Keines Blickes würdigte er seiner Sekretärin, während er behutsam die breite Tür des Behinderten-WCs öffnete und bedächtig auf den Flur schlich. Die Tür fiel ins Schloss und Erik hoffte, das die Kleine so helle war, sie gleich hinter ihm zu schließen. Sie tat es. Gott sei dank.

Sein Büro lag in der sechsten Etage und bescherte ihm einen schönen Blick über die Stadtautobahn. Zufrieden und mit einem Ich-bin-der-Geilste-Grinsen auf den Lippen, stand er vor seinem kleinen Reich. Dieser Trakt des Gebäudekomplexes wurde vor kurzem renoviert und sein Büro bestand nun aus gläsernen Wänden mit elektrischen Rollläden, anstatt der üblichen Rigipswände, in denen noch die Plexiglasfenster aus dem letzten Jahrhundert eingeklebt waren.

Das Schloss der Bürotür klickte und er trat ein. Innerhalb von dreißig Sekunden musste er einen vierstelligen Code, auf dem Terminal zu seiner Linken, eingeben. Der Amokalarm, der vor ein paar Jahren installiert wurde, nachdem so ein Idiot meinte, drei Magazine in diesem Gebäude leer ballern zu müssen. Wir leben in harten Zeiten. Und gerade in einer Versicherung, weiß man nie, wer so hinein schneit. Damals jedoch, war Erik noch bei der hausinternen Post tätig, und fand diese ganze Geschichte ziemlich belustigend.

Genug Zeit vertrödelt, dachte er. Jetzt aber ran ans Werk. Seit Monaten arbeitete er nun schon an einem Projekt, und der Stichtag näherte sich in zwei Tagen. Dem 1. April. Allerdings, wird es nur im Entferntesten etwas mit seiner Versicherungsarbeit zu tun haben. Doch das hielt ihn nicht davon ab. Schließlich hatte er einen Ruf zu verlieren.

Dringende Angelegenheiten schob er zu seinem Stellvertreter oder zu Natalie ins Vorzimmer. Einwände wurden mit strengem Blick und einer kurzen Handbewegung vom Tisch gefegt. Das reichte meistens aus.

Für einen kurzen Moment hielt er inne. Sein Blick schweifte durch das Zimmer, wie bei einem Falken der über sein Jagdgebiet kreiste. An seinem Nacken begann es zu kribbeln. Ganz leicht, als würden dutzende kleine Ameisen auf und ab laufen. Und das gefiel ihm gar nicht. Denn das bedeutete, dass sein vegetatives Nervensystem auf Achtung schaltete.

Der Schreibtisch stand seitlich zum Panoramafenster, mit diesem herrlichen Ausblick auf den Horizont. An der gegenüberliegen Seite reihte sich eine Kommode, die als Stellplatz für Espressomaschine und Gedeck diente. Spontane Gäste und Kunden muss man immer bewirten können. Im vorderen Bereich des Büros und noch vor dem Schreibtisch, stand die weiße Couchgarnitur, sowie diverse Hydrokulturen in den Ecken der Räumlichkeit.

Ein Duft lag im Raum, und das war es, was in ihm, eine nostalgische Epiphanie auslöste. Er schwebte durch die Luft, wie die Wolke eines frisch gebackenen Kuchens aus einem Disney-Cartoon. Erik schloss die Augen und konnte sich nicht erklären, wo er mit dieser Symphonie eines Engels schon einmal in Berührung kam. Aber es sollte ihm noch einfallen.

Erik erwachte, stand mitten im Büro, und so wie der Duft zur Tür hinaus zog, so zog auch die Wärme an seinem Fenster vorüber und eine dicke Regenwolke legte sich davor. Der Schleier der Dunkelheit breitete sich aus, und Erik schritt zur kleinen Minibar an seinem Schreibtisch und vervollständigte seine Mittagspause mit einem Drink. Den brauchte er, um dieses seltsame Gefühl zu vertreiben.

In seinem Bürostuhl lehnend, die Beine auf dem Tisch ausgestreckt, stellte er den Cognacschwenker auf den Tisch und entdeckte, das kleine rechteckige Päckchen. Was zum Teufel…

Skeptisch begutachtete er es. Nahm es in die Hand. Dicke Regentropfen klatschten gegen sein Fenster. Für einen Augenblick erschrak er, und das Päckchen viel zurück auf den Schreibtisch. Verstohlen blickte er sich um. Du Idiot, dachte er. Er öffnete es und entdeckte… ein Smartphone?

Schwarz. Leichte Gebrauchsspuren. Definitiv nichts Hochwertiges.

Was soll der Quatsch, ging es ihm durch den Kopf.

Kurze Zeit hielt er es nur in der Hand. Überlegte. Blickte es von allen Seiten an. Doch die Neugier obsiegte. Erik drückte für drei Sekunden den Knopf an der rechten Seite. Das Logo leuchtete auf und die Eröffnungssequenz ertönte. Auf dem Bildschirm erstrahlte ein weißes X auf schwarzem Grund. Es ähnelte dem, der Fernsehserie: Akte X.

Der Desktop war verwaist. Nur WhatsApp lag darauf.

Als würde ihn, just in diesem Moment, jemand beobachten, vibrierte das Smartphone in seiner Hand. Das unverkennbare Kling ertönte, und eine Nachricht traf ein. Absender: Ein X.

Eine Bilddatei erschien: Es war Erik, hinter dem Lenkrad seines so sehr geliebten, silbernen 3er BMW. Nur war er auf dem Bild nicht alleine. Eine Frau hockte auf dem Beifahrersitz. Man konnte ihr Gesicht nicht erkennen, doch die Position war eindeutig.

Danach folgte eine Sprachnachricht mit verzerrter Stimme:

Folge den Anweisungen, die ich dir auftrage, oder deine Frau bekommt ‘Das’ zu Gesicht. Ein X markiert die Stelle. Dieses Jahr wirst du niemandem das Leben zerstören.“

*

Den ersten Moment, den er auf das Bild starrte, schien eine Ewigkeit anzudauern. Sein Herz klopfte. Ein dicker Pfirsich reifte in seiner Kehle zu einer prallen Frucht heran,(der berühmte Klos im Hals) und schnürte ihm die Kehle zu. Das Kribbeln im Nacken setzte wieder ein, wenn es denn je verschwunden war. Doch der zweite Moment schien schon etwas kürzer. Die anfänglich zerfurchte Stirn glättete sich ein wenig. Aus dem, offen stehenden Mund, woran diese düstere Sprachnachricht schuld war, wurde ein spöttisches Grinsen. Irgendwer fordert mich also heraus. Nicht schlecht…

Und derjenige schien gut organisiert. Das musste er bei seiner Eitelkeit schon zugeben.

Seitdem Erik vom Brief-Fuzzi, zum einfachen Büroangestellten, vom Stellvertreter, bis hin zum Abteilungsleiter aufstieg, pflegte er eine lange Bürotradition. Er lernte sie von seinem damaligen Mentor, der jedoch bei weitem nicht so kreativ war, wie Erik heute.

Die Scherze zum 1. April wurden Chefsache. Und Jahr um Jahr, verringerte sich seine Hemmschwelle. Bis keine Grenzen mehr existierten. Er liebte es so sehr, dass er meistens schon im November damit begann, die ersten Vorbereitungen zu treffen. Anfangs waren es nur Nicklichkeiten. Kleine Späße, die den Leuten ein verlegenes Lächeln abzwangen.

Zum Beispiel entfernte er die Netzkabel der Kopiergeräte und die Kollegen liefen los und nervten die Haustechnik damit, nicht kopieren oder drucken zu können. Im nächsten Jahr, überzog er Knoblauchzehen mit Kuvertüre, und mischte diese in eine Bonbonschale. In einem Jahr füllte er Salz in den Zuckerbecher, für den ganz besonderen Morgenkaffee, im folgenden fror er Mentos-Kaubonbons in Eiswürfelbehälter ein, für die Angestellten, die ihre Softdrinks gerne kühlten.

Alle bekamen ihr fett weg: Reinigungskräfte, Hauspost, die Kollegen an den Bildschirmen, sein Schwager Marko, der ebenfalls in der Firma arbeitete. Wirklich jeder…

Vor zwei Jahren hieß es dann Erik Schmiedebach oder Kollege Weber, für die Stelle des Abteilungsleiters im Bereich: Schadensregulierung.

Weber, der blöde Arschkriecher, wollte mit einer Präsentation mächtig Eindruck schinden, in der er aufzeigte, wie man Arbeitszeit effektiver nutzen konnte, ohne dabei Mitarbeitermotivation zu reduzieren. Social-Skills, war das Stichwort. Der Bereichsleiter war begeistert und sicherte seine volle Unterstützung zu. Nur, träumte Erik schon lange von dieser Beförderung, und der 1. April stand an. Die perfekte Gelegenheit.

Mit Hilfe seines Schwagers Marko (Fachmann im Bereich: IT), manipulierte er die Präsentation so gekonnt, dass Weber das Folgende nicht mehr verhindern konnte. Bei jedem Folienwechsel, flog, nur für den Bruchteil einer Sekunde, eine Pornoillustration aus der Kategorie: erigierter Penis, durch das Bild. Anfangs, ohne zu wissen was da gerade an ihren Augen vorbei huschte, lag ein verlegenes Lächeln auf den Lippen der Damen und Herren vom Vorstand. Doch bei andauerndem Vortrag, versiegte das Lächeln und schwang um, in Empörung und Verärgerung. Aus war der Traum von der Leitung.

Erik löste seinen Scherz natürlich niemals offiziell auf. Doch Weber wusste haargenau, wem er es zu verdanken hatte, diese letzte Chance auf Beförderung verloren zu haben. Und schwor auf Rache.

Erik stürmte hinaus, den Flur entlang, stieß die Tür zum Großraumbüro mit einem unnachahmlichen Schwung auf, dass die Auszubildende mit dem ausländischen Akzent, die, dessen Namen sich Erik bei aller Liebe nicht merken konnte, die Tür fast an den Schädel bekam. Arrogant grinsend schritt er zu Webers Tisch und knallte ihm das Smartphone vor die Tastatur.

Hast wohl gedacht, ich durchschaue deinen Plan nicht. Hä? Da hat sich aber jemand tief ins eigene Fleisch geschnitten. Eigentlich hatte ich es gar nicht auf dich abgesehen, dieses Jahr, aber ich glaube, ich ändere meine Meinung nochmal. Mir machst du jedenfalls keine Angst, mein Junge.“ Abwertend fuhr er ihm durch die Haare. Drückte mit seinen Fingerknöcheln auf die Kopfhaut des Kollegen, bis dieser die Hand wütend zur Seite schlug.

Was ist denn dein Problem? Ich weiß überhaupt nicht… wovon du redest Mann. Was soll ich mit deinem Telefon? Und was… Verdammt… Ich versteh überhaupt nicht was du von mir willst.“ Das energische Auftreten verunsicherte Erik. Doch er blieb hartnäckig. Er beugte sich nach unten, dicht an Webers Ohr.

Sollte meine Frau dieses Bild sehen, dann mach ich dich fertig Kleiner. Hast du mich verstanden?“

Was? Welches Bild? Nimm deine Hände von mir.“

Im Raum hing eine Totenstille. Kleine runde Augen blickten über ihre Monitore und warteten gebannt auf den nächsten Akt. Man hätte eine, mit Schokolade überzogene, Knoblauchzehe fallen hören können.

Für euch alle… Hier die große Ankündigung. Wer auch immer hier meint, mich verscheißern zu müssen… Überlegt es euch gut. Ich sitze da hinten, am Ende des Flures, am längeren Hebel.“

Gemurmel begann, als er sich umdrehte und den Raum verließ. Erst jetzt spürte Erik, wie sehr seine Hände zitterten. Wie viel Wut in ihm aufstieg. Warum nur?

Na weil seine Frau, dieses beschissene Bild auf gar keinen Fall zu Gesicht bekommen durfte. Eine Scheidung konnte er sich beileibe nicht leisten. Mal ganz abgesehen von dem ganzen Geschreie und Gekeife. Auf der Couch zu pennen, darauf hatte er am wenigstens Bock. Oder vielleicht noch in der Garage. Und seine kleine, süße Tochter. Die wollte er auf keinen Fall verlieren. Oder noch schlimmer… zum Wochenend-Papa werden.

An der Stelle, an der früher die Raucherkabine stand, blieb er stehen, öffnete den Chatverlauf des Handys und begutachtete das Bild. Sich, und diese Frau auf dem Beifahrersitz. Klar wusste er wer die war, aber eigentlich erkannte man rein gar nichts. Unscharf. Könnte jedes Auto sein. Und die Tussi? Sie könnte sich auch gerade nach hinten drehen.

Doch da war das Nummernschild. Und das war eindeutig. Denn es enthielt die Initialen seines Hochzeitsdatums. Keine Ausrede der Welt würde ziehen, dafür war seine Frau schon zu misstrauisch. Verdammte Scheiße.

Erik schlug mit der flachen Hand gegen die Tür zur Besenkammer, und eilte zurück in sein Büro. So langsam wurde ihm bewusst, dass er das Spiel wohl oder übel mitspielen musste, und Weber schien wohl nicht der Spaßvogel zu sein.

Natalie. Welcher verdammte Idiot schlich sich während der Mittagspause in mein Büro?“

Äh… Hallo? Woher soll ich das wissen?“ Mit dem Telefonhörer zwischen Schulter und Ohr zuckte sie die Achseln.

Kleinen Moment bitte. Ich rufe Sie sofort zurück“, sagte sie höflich in den Hörer und legte auf.

Warum weißt du das nicht? Hast du dir schon wieder die Nägel lackiert? Wenn das so weiter geht mit dir, dann…“, fuhr er ihr energisch entgegen, doch sie unterbrach ihn, während er Luft holte.

Nein. Erik…“, sie betonte seinen Namen mit Absicht, „weil wir beide zu dieser Zeit eine winzige Kleinigkeit im Behinderten-WC zu erledigen hatten.“

Das tat gut, dachte sie. Vor allem die ‘winzige Kleinigkeit’.

Achso… Ja…“ Er verstummte. Das Gesicht glich trotzdem noch einer geballten Faust. Ohne ein weiteres Wort, verzog er sich in sein Büro. Die Tür knallte und fast hätte er den Code für den Amokalarm vergessen.

Nachdem er auf seinen Bürostuhl fiel, und dieser aufgrund der Fliehkraft fast nach hinten gerutscht wäre, vibrierte das Smartphone in seiner Hand.

Die nächste Sprachnachricht:

Nachdem du dich jetzt ausgetobt und wieder Platz genommen hast, hier die Erste Anweisung. Fahre nach Hause und suche das erste X. Ganz einfach, oder? Beeil dich lieber, bevor deine Frau nach Hause kommt. Ich muss dir jawohl die Wichtigkeit deiner Verschwiegenheit von dem, was wir beide hier tun nicht erläutern oder? Ansonsten…

Die dunkle Stimme endete abrupt. Der berühmte Nachrichtenton der App erklang erneut und das nächste Foto traf ein:

Eriks sechzehnjährige Tochter stand, mit schwarzem Rollkoffer in der Hand, ihrer Lieblingsjacke bekleidet, der mit dem roten Kragen und der grünen Kapuze, und ihrer mächtigen Junge-Mädels-Handtasche unter dem Arm geklemmt, vor dem Reisebus. Bereit zur Studienfahrt.

*

Verdammte Scheiße…“ Erik brüllte es seiner Windschutzscheibe entgegen, als trüge sie die Hauptschuld dieser ganzen Situation. Mit quietschenden Reifen verließ er das Parkhaus.

Wie konnte er… Woher weiß er… Verdammt nochmal, was läuft hier eigentlich…

Keine vier Minuten zuvor, schmiss er sein Jackett über die Schulter und stürmte in das Vorzimmer. Er hielt vor Natalies Schreibtisch, machte ihr mit wenigen Worten klar, dass sie alle Termine absagen müsse und den Hauch eines Widerspruchs bügelte er mit einem lauten: „Absagen. Verstanden?“ nieder.

Während er das Treppenhaus hinunter schoss, kramte er sein Privathandy hervor, und prüfte die Uhrzeit. Fast 13 Uhr. Erik Schmiedebach blieben ungefähr fünfzehn Minuten, nach Hause zu kommen, und was auch immer mit einem X gekennzeichnet war zu finden, bevor seine Frau, mit dem Stadtbus um 13:15 Uhr heim kam. Plus Minus ein paar Minuten. Normalerweise, und ohne einen kranken Irren im Nacken, brauchte Erik zwanzig Minuten für den Heimweg.

Der Verkehr staute sich nicht, war aber zäh-fließend und stockte. Die meisten Ampeln standen natürlich auf rot. Wie sollte es auch anders sein? Die Stadtautobahn würde ihm eine Zeitersparnis von acht Minuten verschaffen oder brachte ihm eine Verzögerung von zwölf Minuten, je nachdem… Die Entscheidung stand. Mit knapp 180 Sachen bretterte er auf der linken Spur entlang.

Als er den Stadtbus seiner Frau überholte, ihm der Abstand bewusst wurde, (der Bus musste nämlich noch drei mal halten) beruhigte sich sein Puls und stabilisierte sich auf ungefähr hundert Schläge pro Minute. Wer weiß wo der vorher lag… Er würde es schaffen, das ging ihm durch den Kopf. Und sollte er heraus bekommen, welches dämliche Arschloch diese Show mit ihm abzog, er schwor sich, während er den Knopf der Fernbedienung nutzte um das Tor zu seiner Einfahrt zu öffnen, der wünscht sich nie geboren worden zu sein.

Erik stürmte ins Haus. Schmiss seine Jacke über das Geländer der Treppe und begann krampfhaft nach irgendeinem X Ausschau zu halten. Er hob Rahmen mit Familienfotos von der Wand. Suchte in Schubläden. Kramte jeglichen Plunder unter der Treppe hervor. Nichts im Flur. Nichts im Gäste-WC. Auf nach oben. Dann blieb er auf der ersten Treppenstufe stehen und überlegte.

Ich soll es finden. Das ist doch das Ziel. Vielmehr, soll Andrea es finden. Das will der Bastard doch. Also. Welchen Raum betritt sie als Erstes?

Die Bremsscheiben des Stadtbusses quälten sich, und ein sterbendes Geräusch zog durch seine Ohren und in diesem wirren Moment, liebte er sie. Er liebte seine Frau, dass sie immer noch die Rettet-dieWelt-Einstellung besaß, umweltfreundlich zur Arbeit zu gelangen, da ja direkt vor der Haustür die Bushaltestelle ist, und sie deswegen kein zweites Auto benötigten.

Ja. Er liebte sie wirklich.

Die Küche, schoss es ihm plötzlich durch den Kopf.

Schnell betrat er den Raum, noch bevor sie die Haustür öffnete. Mit geschultem Auge, und vielleicht einer gewissen Intuition, entdeckte er einen Umschlag am Kühlschrank, befestigt mit dem Magneten seiner Tochter, dem, den sie ihm so liebevoll in der Grundschule bastelte, zu seinem fünfunddreißigsten Geburtstag. Du mieses Schwein.

Ein großes, schwarzes X prangte auf dem Umschlag.

Die Schlüssel seiner Frau klimperten. Etwas fiel zu Boden und sie fluchte. Dann die verwunderte Frage, ob er schon zu Hause sei.

Er antwortete, begrüßte sie flüchtig, und entschuldigte sich nach oben ins Badezimmer, mit der Begründung, er fühle sich nicht wohl. Der Magen Schatz, oder der Darm.

Aus allen Poren schwitzend, mit zitternden Händen und einem Druckgefühl im Oberbauch, als hätte sich dort ein Alien-Parasit eingenistet, hockte er auf dem Badewannenrand. Das fremde Smartphone in der Hand. Gott sei Dank, dachte er, denn erst beim Griff in die andere Hosentasche fand er es. Nicht auszudenken, hätte er es im Wagen oder noch besser, auf dem Küchentisch, liegen lassen. Während seine Frau jetzt mit weit geöffneten Augen das Bild von ihm und der kleinen Schlampe betrachtete.

Aber soweit kam es ja nicht. Niemals würde Erik zulassen, dass diese miese Ratte ihm sein ganzes Leben zerstört. Dafür geht er über Leichen.

Mit diesem unverkennbarem Kling, vibrierte das Ding erneut in seinen Händen.

Sprachnachricht:

Wie ich gesehen habe, hast du es rechtzeitig geschafft. Glückwunsch. Solltest du denken ich bluffe, dann öffne den Umschlag, wenn du es nicht schon getan hast. Wie du siehst, liegt dort ein Foto darin. Sieht echt schick aus die Kleine. Tolle Titten. Wo war das? Auf der Weihnachtsfeier? Deine nächste Aufgabe klebt unter der Sonnenblende deines so geliebten BMW. Mach langsam, deine Frau steht in der Küche und glotzt in den Kühlschrank.“

Das ausgedruckte Foto lag in seiner Hand. Erik, zusammen mit einer Schülerpraktikantin im Kellerabteil des Bürokomplexes. Keine Ausrede der Welt, würde dabei glaubhaft klingen. Köpfe und Körper, eindeutig zu erkennen. Pose, eindeutig zu erkennen. Spaß in seinem Gesicht, mehr als eindeutig zu erkennen.

Seine Knie zitterten, während er die Treppe hinunter stolperte. Zweimal musste er abrupt ans Geländer greifen, sonst wäre er gestürzt. Ohne seiner Frau Beachtung zu schenken, sie ihm ebenfalls nicht, sie war zu sehr in den Kühlschrank vertieft, schlich er, in Gedanken versunken, zu seinem Wagen.

Erik fiel mehr, als das er sich kontrolliert in den Sitz drehen konnte und griff nach dem Umschlag unter der Sonnenblende.

Ein großes, schwarzes X. Darin, ein korrekt gefaltetes DIN-A4-Blatt.

Deutlich darauf zu lesen die Botschaft, seinen heißgeliebten 3er BMW an der vorgegebenen Stelle, zu positionieren.

Ihm war auch durchaus bewusst, welcher Ort auf dem beigelegten Foto gemeint war. Der verwaiste Parkplatz unter der Brücke, in der Nähe des Straßenstrichs. Ein Ort, an dem man nachts nicht alleine herum laufen möchte. Erik war schon einmal dort. Nur woher wusste dieser Bastard davon?

Nachdem er dann seinen Wagen dort positioniert hatte, sollte er ihn mit Benzin übergießen und anzünden. Noch heute Abend!

Völlig in sich gekehrt, die Zeit vergessen, saß er immer noch in seinem BMW. Niemals werde ich das tun, du Arschloch. Der Druck im Oberbauch, wurde zu einer sauren Übelkeit, die seine Kehle hinauf kroch.

Woher wusste er, wann ich wieder ins Büro kam?

Wie kam er überhaupt in mein Büro hinein und in mein Haus?

Wie konnte er wissen, dass ich nicht mehr in der Küche war?

Mein Auto. Dieser Ort. Der abgefuckte Parkplatz.

Woher weiß er…

Der Tag neigte sich dem Ende. Er aß mit seiner Frau zu Abend. Sie sprachen über belanglose Dinge. Einkauf. Ein Geburtstagsgeschenk für ihren Chef. Über die Studienfahrt ihrer Tochter. Und beiläufig erwähnte seine Frau, dass sie Marko, ihren Bruder, morgen zum Abendessen eingeladen hatte. Er sah in den letzten Wochen wirklich schlecht aus. Sein Grundstück war nur ein paar Häuser weit entfernt und er brauchte mal wieder die Gesellschaft der Familie. Sein Problem sei zurück gekehrt und so langsam machte sie sich wieder Sorgen.

Erik nickte nur, doch als er Markos Namen hörte, kam ihm ein Verdacht.

*

Seit wann geht es ihm denn wieder schlechter?“, fragte Erik, mit der Espressotasse in der Hand, während seine Ehefrau hinter ihm ihr morgendliches Frühstücksmüsli zubereitete.

Ich weiß auch nicht so genau. Seit ein paar Wochen vielleicht. Die letzten Male verpasste er auch die Treffen seiner Selbsthilfegruppe. Seht ihr euch denn auf Arbeit gar nicht? Man sieht es ihm eigentlich an. Ach… Ihr Männer seht sowas natürlich nicht…“ Erik holte gerade Luft um sich und seine Spezies zu verteidigen, als sie einfach fort fuhr. … Die Trennung von Christina jährt sich jetzt so langsam wieder. Welchen haben wir heute? Ach ich seh schon, den einunddreißigsten März. Am sechsten April war es oder? Paar Tage nach deinem doofen Scherz. Ja ich erinnere mich. Er war fix und fertig. Hast du eigentlich dieses Jahr wieder nen Aprilscherz geplant? Wer muss dieses Mal unter dir leiden Erik?“

Mit einem Zug leerte er seinen Espresso, stand auf und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Dieses Jahr, das verspreche ich dir, habe ich gar nichts geplant. Ich glaube, ich bin aus dem Alter raus. Sollte ich wieder etwas aushecken, dann erinnere mich an dieses Gespräch, ja mein Schatz?“

Oh. Mein Schatz? Wie komme ich denn zu der Ehre?“

Na ich liebe dich einfach…“

Andrea setzte sich an den Frühstückstisch, kippte Milch ins Müsli und sagte: „Na das Beweis dann mal heute Abend. Es werden achtzehn Grad heute. Kauf etwas Fleisch zum Grillen und kümmere dich ums Essen, damit ich noch ein Bad nehmen kann. Heute kommen die Filialleiter und das wird anstrengend. Ich spüre jetzt schon, wie die Migräne langsam anklopft.“ Sie verabschiedeten sich und auf dem Weg ins Büro, wurde ihm immer klarer, das er seinen Peiniger enttarnt hatte.

Soviel Grips hätte er dem Versager überhaupt nicht zugetraut. Obwohl Technik und Computer seine Leidenschaft waren. Trotzdem blieb er, all die Jahre im Büro, nur ein einfacher Lakai.

Erik fand die Kamera in seiner Küche, genauso wie die, in seinem Büro. Cleveres Kerlchen. Ein ziemlicher Schrecken fuhr ihm am Vortag durch die Glieder. Dafür verdiente Marko Funkel Respekt. Doch er ging zu weit. Viel zu weit. Der ganze Scherz hätte furchtbar schief gehen können und das konnte Erik nicht auf sich sitzen lassen.

Dieser blöde Schlappschwanz hat nicht nur meine Ehe gefährdet. Mein ganzes Leben. Job. Karriere. Was hätte meine kleine Prinzessin von mir gehalten?

Blinder Hass überkam ihn, wenn er dieses Teufels-Handy betrachtete, doch er wollte wissen, ob das Spiel weiter ging. Natürlich fackelte er sein Auto nicht ab. Doch nicht seinen geliebten BMW. Der Tag verging und nichts geschah. Keine Konsequenzen. Wahrscheinlich doch nicht so perfekt geplant, seinen Aprilscherz. Amateur. Nichts mehr in der Hinterhand wie? Schließlich ist morgen erst der 1. April.

Dieser verkappte Alki. Nur weil seine Frau sich aus dem Staub gemacht hat. Und dann gab er auch noch Erik die Schuld daran. Lächerlich. Die Ehe war schon vorher zerstört. Auch ohne diese harmlosen Fotos. Schließlich war es nur ein Spaß. Aber den versteht ja immer keiner. Und er klärte die ganze Sache ja auch auf. Doch zu spät. Wörter sind gefallen, die man nicht mehr zurück nehmen konnte.

Der weitere Tag verlief ereignislos. Keine Nachricht auf dem Handy. Keine weiteren Aufgaben oder erpresserischen Bilder. Die Mittagspause stand an, und zur Wiedergutmachung, ließ er für Natalie einen mächtigen Strauss Frühjahrsblumen liefern. Anonym natürlich. Als sie ihn entgegen nahm, blickte sie in sein Büro, lächelte und Erik erwiderte es, leicht erregt.

Ich hab sie, dachte er und spürte wie es in seiner Anzughose etwas enger wurde. Die Kleine kann einfach ihre Finger nicht von mir lassen.

Doch das Lächeln von Natalie wurde ein sarkastisches Grinsen. Mit ihrem Mittelfinger zeigte sie ihm was sie von ihm hielt und der Strauss Blumen, flog so wie er war, in den Papierkorb. Die Auszubildende mit dem ausländischen Akzent, die, dessen Namen Erik sich bei aller Liebe nicht merken konnte, stand in der Tür und presste beide Hände vor den Mund. Dann lachte sie, als sie beide den Raum verließen und zum Mittag in die Cafeteria gingen.

Erik brodelte. Doch bekanntlich saß er ja am längeren Hebel.

Am Abend präsentierte er seinen trainierten Körper in Achselshirt und kurzer Hose, stand vor seinem selbst gemauerten Grill und entfachte das Feuer. Die Temperaturen stiegen sogar auf fünfundzwanzig Grad. Alles was er seiner Frau versprach, das tat er auch. Das gesamte Abendessen lag in seinen Händen.

Der Geruch von frischer Holzkohle stieg ihm in die Nase. Die Vögel zwitscherten. Das Bier strömte die Kehle hinunter wie flüssiges Gold. Es schmeckte nach Sommer.

Sein Schwager Marko Funkel lehnte am gemauerten Schornstein, während Erik immer wieder provozierend mit der Zunge schnalzte, nach jedem Schluck Bier, mit dem er seine Kehle befeuchtete.

Wie geht es dir Schwager?“

Man schlägt sich so durch. Viel zu tun. Du weißt ja wie das ist“, sagte Marko.

Das weiß ich… Irgendwas in letzter Zeit so getrieben?“

Nicht besonderes Erik. Das Haus ist leer. Ich arbeite viel, um mir die Zeit zu vertreiben. Bin manchmal noch bis spät nachts in der Firma. Wartet ja niemand auf mich“, sagte er, während er an seinem Wasserglas nippte.

Das kann ich mir vorstellen du Bastard. Und dann heimlich in meinem Büro Kameras installieren und Handys verstecken.

Willst du wirklich nichts trinken? Ich hab auch den Guten da. Echter Single Malt Marko. Den liebst du doch.“

Ich darf doch nicht Erik, das…“

Erik fiel ihm ins Wort. „Ach komm schon, das sind doch eher Richtlinien. Oder darfst du nie wieder?“

Nee. Eigentlich…“

Na siehst du. Eigentlich… Komm ich hol uns Gläser.“

Nein. Erik wirklich. Bitte. I-ich kann nicht.“

Na gut. Okay. Du hast recht. Das akzeptier ich. Aber sag mal… Wie geht es Christina eigentlich? Habt ihr noch Kontakt? Oder… Ich hab sie neulich mit so nem Typen in der Stadt gesehen. Wusste gar nicht, dass sie wieder da ist. War sie nicht auf Mallorca? Bisschen Party machen. Jedenfalls. Sie sieht gut aus. Verdammt nochmal. Wie konntest du sie nur gehen lassen. Großer Fehler Marko. Ganz großer Fehler. Und der Typ. Naja, passt auch besser zu ihr. Ein Riese von einem Mann. Hände wie Bratpfannen. Der kann es ihr bestimmt so richtig…“

Hör auf“, Marko unterbrach ihn mit zerknirschter Stimme.

Du weißt ganz genau, wer Schuld daran ist, dass sie mich verlassen hat.“ Das Wasserglas platzte in seiner Hand, wie ein rohes Ei. Ein roter Blutschwall schoss hervor.

Das wird ja sogar noch besser, dachte Erik.

Plötzlich stürmte Erik auf ihn zu, packte ihn, riss ihn zu Boden und kniete mit erhobener Faust über seinem Schwager.

Und deswegen willst du mir meine Ehe kaputt machen? Du dummer Versager. Das mit den Bildern, das war nur ein Spaß. Das habe ich aufgelöst. Die kleine Nutte hat dir keinen geblasen. Und selbst wenn, du warst so voll wie tausend Russen. Deine Ehe war schon vorher im Arsch. Es war nur ein Aprilscherz. Konnte doch keiner ahnen das Christina so ein prüdes Mauerblümchen ist, und keinen Spaß versteht.“

Jetzt hab ich ihn. Der Typ hat keine Eier. Gleich wird er heulend alles zugeben.

Erik lass mich… Verdammt nochmal. Was soll denn das. Nichts habe ich getan. Wirklich… Ich weiß nicht wovon du redest.“

Weiter auf ihn kniend erzählte er ihm, den gestrigen Tag. Das Smartphone. Die Fotos. Die Zettel. Immer wider den Blick zum Fenster im ersten Stock gerichtet. Die Jalousie war noch unten. Andrea lag noch in der Wanne.

Tränen der Wut traten in Markos Augen. Ein gebrochener Mann, und doch bestritt er alles, was Erik ihm vorhielt. Auch jetzt noch.

Blödes Arschloch“, beschimpfte er den Mann seiner Schwester und beförderte ihn zur Seite. Erik stand auf und klopfte sich den Staub ab. Marko griff nach der Küchenrolle, presste sie auf die Wunde seiner Hand und verließ den Hof Richtung Terrasse.

Wer auch immer dieses Spiel mit dir abzieht Erik. Du hast es verdient du arrogantes Arschloch. Du weißt deine Frau gar nicht zu schätzen. Hoffentlich erfährt sie von deinen Sauereien.“

Pass auf was du sagst, du Schluckspecht. Du legst dich mit dem Falschen an. Das schwöre ich dir. Du legst dich mit dem Falschen an…“

Das fremde Smartphone in seiner Tasche vibrierte. Marko stand noch auf den Steinen vor dem Wintergarten und versorgte die Wunde mit weiteren Tüchern. Eine Sprachnachricht ging ein:

Aufgabe nicht erfüllt. Hier deine erste Strafe. Leg du dich lieber nicht mit dem Falschen an, Erik Schmiedebach.“

Dann folgte das Bild.

Erik wurde plötzlich aschfahl. Alles in seinem Magen brodelte. Saurer Dunst stieg ihm die Kehle hinauf und er übergab sich direkt neben seinen Grill.

Auf dem Foto: Natalie. Die Kehle durchtrennt, das rechte Auge mit einem Messer durchbohrt. Erik blickte hilfesuchend zur Terrasse, doch Marko war schon gegangen.

*

Das Abendessen mit seiner Ehefrau rauschte nur so an ihm vorbei. Den Blick auf seinen Teller gewandt, doch an Essen war nicht zu denken. Das Gezeter von Andrea, die klirrenden Teller als sie endlich abräumte und wutentbrannt zu Bett ging, passierte in einer völlig anderen Welt. Nicht in der, in der Erik sich gerade befand.

Tief in ihm, riet ihm irgendetwas, nicht die Polizei zu rufen. Es war nicht seine Arroganz, sondern Angst. Tiefe Furcht, vor den Konsequenzen.

Irgendwann schlief er ein. Nicht in seinem Bett und nicht sehr fest. Er hockte auf seinem Sessel, und die Whiskeyflasche war am nächsten Morgen, bis auf den letzten Tropfen, leer.

Andrea blieb im Bett. Meldete sich mit Migräne krank und wollte nichts von ihrem Mann hören. Er verabschiedete sich nicht einmal.

Im Büro angekommen, vibrierte das elende Ding schon wieder, und brachte Erik dazu, mit hämmerndem Herzen auf die weiße Couch zu sinken.

Das war zu viel.

Wie du nun vielleicht langsam merken solltest, ist das hier alles kein Scherz. Ich habe gewartet, ob du irgendwelche Dummheiten begehst. Bravo. Du warst lieb und artig. Doch deine Zeit ist gekommen Erik. ‘April…April…’ Hier deine letzte Aufgabe: Heute Vormittag, um 11:00 Uhr, stellst du dich der Polizei. Du erhebst Anzeige gegen dich selber, wegen: ‘Vergewaltigung einer Minderjährigen’. Für die dazu notwendigen Beweise sorge ich… Damit endet mein Aprilscherz und du bekommst deine gerechte Strafe. Denk daran, wer am längeren Hebel sitzt…

*

Zweimal übergab er sich schon in seinen Papierkorb, doch ein weiteres Mal wird bestimmt noch folgen. Die Nachricht kam vor einer Stunde, nun war es kurz vor 11:00 Uhr.

Diesmal blufft er. Ich habe nichts getan. Ich habe niemals ein Kind angefasst. Niemals. Die kleine Schülerin auf der Weihnachtsfeier war achtzehn. Sie machte Abitur. Ich habe ihre Unterlagen selbst gesehen…

Eriks Hände bebten. Nichtmal ein Wasserglas konnte er anheben, ohne es sich über die Hose zu schütten. Was blieb ihm? Was konnte er tun?

Das Polizeigebäude lag nur kurz um die Ecke. Er hätte zu Fuß gehen können. Auch das wusste dieser Irre wahrscheinlich.

Nein. Spielt sich nichts ab… Dann wäre mein Leben vorbei. Dieses Stigma wird man nie wieder los. Auch wenn man unschuldig ist. Irgendwer verarscht mich hier. Natalie ist gar nicht tot. Definitiv nicht… Alles nur ein Scherz. Die war zu Halloween schon mal so geschminkt. Die kann so was. In Zeiten von YouTube können die das. Die stecken alle unter einer Decke.

Genau eine Minute nach 11:00 Uhr vibrierte das Handy.

Keine Nachricht. Kein Bild. Eine Videodatei baute sich auf:

Die Fenster im Schlafzimmer mit Vorhängen verschlossen. Seine Frau lag schlafend in ihrem Ehebett. Jemand betrat den Raum. Vermummt. Brutal schlug er ihr gegen den Schädel. Packte sie und knebelte sie mit Paketklebeband. Kein Moment der Verteidigung. Der Schock in ihren Augen muss unbeschreiblich gewesen sein.

*

Eriks Magen war leer. Deswegen kotzte er nicht. Das Zittern versiegte. Jetzt schoss Adrenalin, wie eine Droge, durch seine Adern. Er stürmte in sein Haus, die Treppe nach oben und dann ins Schlafzimmer. Ein dumpfes Licht schlug ihm entgegen. Kurz musste er sich an die Mischung aus hereinfallenden Sonnenstrahlen und Dunkelheit gewöhnen. Doch was ihn dann umhaute war der Geruch. Dieser betörende Duft, den er vor zwei Tagen, am Montag, an diesem Scheißtag an dem er das Handy fand, schon einmal vernahm. Er lag in seinem Schlafzimmer. Der Duft. Breitete sich auf den Möbeln aus. Auf seinem Bett. Der Decke. Auf dem Ort wo er seine Frau liebte. An dem Ort wo er sein Kind zeugte. Dort wo seine kleine Prinzessin, als Baby, in seinen Armen schlief.

Und plötzlich wusste er ganz genau, woher er diesen Duft kannte. Doch in diesem Moment, schaltete ihm etwas die Lichter aus.

Man konnte es durchaus mit einer Bowlingkugel vergleichen.

*

Ein Knistern. Ein Knarren. Etwas kühles klebte in seinem Nacken. Blut. Sein Kopf hing nach unten. Speichel rann aus seinem Mund und tropfte auf eine, unter ihm ausgebreitete Folie. Irgendwie fand er keinen Halt mit den Füßen. Sie gehorchten ihm noch nicht. Vernichtender Schmerz durchzog seinen Körper.

Die Arme hinter dem Rücken verknotet. Mit einem Seil wurde er über einen Dachbalken, die Schultergelenke in maximaler Streckung, fixiert. Ein Blubbern kam aus seinem Mund. Doch es sollte noch einen Moment dauern, bis es wieder Worte wurden.

Fahles Licht drang in seine Augen. Kahle Wände. Muffiger Geruch. Kleine Staubflocken stoben sanft durch die Luft.

Bist du wach?“, hörte er eine Stimme. Kein Mann, da war er sich sicher. Sie klang merkwürdig. Erik war noch zu weit weg. Seine Ohren rauschten immer noch.

Jemand schlug ihm direkt aufs Nasenbein, und er schrie auf.

Ob du wach bist, hab ich dich gefragt?“

Ein Akzent. Osteuropäisch. Definitiv.

Ich… Was…? Wo-wo bin ich?“

Spielt das eine Rolle?“

Er kannte diesen Akzent und den Duft, der das Muffige hinfort fegte, wie die Wellen den Sand, während die Person vor ihm trat.

Du hast verloren Erik Schmiedebach. Du hättest leben können. Im Gefängnis. Die Chance gab ich dir. Doch deine Arroganz wird dein Ende sein. Aber das habe ich mir schon gedacht. So warst du schon damals. Und ich bin darauf herein gefallen. Erik Schmiedebach. Der Charmante und Unwiderstehliche…“

Das Blut rauschte in seinen Ohren. Ihre Stimme entfernte sich.

…Es war nur ein harmloser Flirt, du mieses Schwein“, keifte sie ihm entgegen und ihre Stimme wurde wieder klar und deutlich.

Ich war damals sechzehn Jahre alt, als ich dieses furchtbare Praktikum machte. Wie alt ist deine Tochter Erik? Sag es mir, wie alt? Ein ‘Nein’ hast du einfach nicht akzeptiert. Und heute? Die letzten Monate? Du hast mich nicht mal wieder erkannt… Kennst du eigentlich meinen Namen? “

Der Duft… i-in mei-meinem Büro…? Du?“, er stammelte.

Ja. Ich wusste das würde dich verrückt machen. So sehr hat es dir den Kopf verdreht. Mein Parfum. Und doch…“

Mit einer Holzlatte hämmerte sie gegen sein Knie. Die kurzzeitig erreichte Stabilität erstarb. Er fiel ruckartig in seine überstreckten Schultergelenke. Ein vernichtender Schmerz betäubte ihn wieder.

Jetzt mussten seine Oberarmköpfe endgültig aus seinen Schulterpfannen gesprengt sein. Doch die Gelenke hielten.

Jedes Jahr versaust du die Leben anderer Menschen, lieber Schwager.“ Marko trat vor ihn.

Ich bin in seinem Haus.

Du hast meine Ehe zerstört. Trittst die Deine, seit Jahren mit Füßen. Du nimmst dir Dinge, die dir nicht gehören und zerstörst dabei die Seele eines unschuldigen Kindes. Sie heißt übrigens Palina. Ich habe ihr geholfen, seit dem sie letztes Jahr die Lehrstelle antrat. Sie wusste noch wer ich war, und was du mir angetan hast. Du glaubst gar nicht, wie simpel die Vorbereitung dafür war, wenn man sich nur ein wenig damit auskennt. Herzlich Willkommen in unserem kleinen Aprilscherz.“

Erik lachte, denn danach war ihm zumute. Ihr Name, der wäre ihm in hundert Jahren nicht eingefallen. Wozu auch? Instinktiv, nahm er den dicken Verband an Markos Hand war. Ging wohl doch schön tief, die Scherbe.

Er lachte weiter. Denn Marko war immer noch ein alkoholsüchtiger Versager und die kleine mit der Holzlatte in der Hand, schien nicht mehr als fünfundfünfzig Kilo zu wiegen. Bei all ihrer perfekten Planung, war die Fesselung stümperhaft und das verriet ihm ein wichtiges Detail…

Dir wird das Lachen schon noch vergehen…“ Palina stand plötzlich mit einem Hammer vor ihm.

Dafür musst du aber richtig treffen meine Kleine. Denn wenn nicht, dann musst du mehrfach zu schlagen. Und das war nicht euer Plan oder? Denn das kannst du nicht. Und der Alki da… naja, schau ihn dir doch an. Seine Hände zittern. Nie im Leben könnt ihr einen Menschen töten… Hey… Und wenn du ehrlich bist, unser kleines Abenteuer, es hat dir doch Spaß gemacht, oder?“

Tränen schossen in ihre Augen. Palina stürmte auf Erik zu, holte weit aus, bereit ihm seinen frisierten Schädel zu spalten.

Er trat ihr direkt in den Unterbauch. Der Hammer prallte gegen die Wand und blieb in der Ecke liegen. Ein Moment der Unachtsamkeit, die Emotion überwältigte sie und den nutzt er aus.

Marko trat vor, doch das hatte Erik kommen sehen. Er beugte sich nach vorne, wartete, wie sein Schwager unkoordiniert auf ihn zustürmte und warf ihn ohne die Hände zu nutzen über seine Schultern. Marko klatschte auf den Rücken, und im Bruchteil einer Sekunde trat Erik ihm auf die verletzte Hand.

Der Schmerzensschrei drang aus tiefster Kehle in die Welt.

Die Hände mittlerweile vor der Brust, widmete er sich Palina zu, griff nach dem Hammer, und schlug auf sie ein. Es dauerte nicht lange, ehe ihr zarter Kopf platzte wie eine Wassermelone. Erik kniete vor seinem Werk, und plötzlich spürte er den rauen Strick, der sich wie eine Schlange, fest um seinen Hals zog.

Abrupt sprang er auf. Beide stießen sie gegen die Wand. Ihm wurde schwarz vor Augen. Der Hammer fiel zu Boden…

*

Am Donnerstag den zweiten April, stand Andrea Schmiedebach an ihrer Küchenspüle und trocknete das letzte Geschirr. Sie blickte aus dem Fenster. Ein schöner Frühlingstag neigte sich dem Ende. Der Auflauf im Ofen nahm eine köstliche goldene Farbe an. Nicht mehr lange, dann könnten sie zu Abend essen.

Es dauerte ein wenig, das erklärte Marko ihr. Denn alles musste ganz normal erscheinen. Sie tastete die Stelle, an der er sie schlug. Es musste echt aussehen vor der Kamera. Das verstand sie. Andrea überlegte nicht lange, als Marko ihr Palina vorstellte, sie ihre Geschichte erzählte, und Marko ihr all die Bilder zeigte, die er die letzten Jahre von ihrem Ehemann heimlich fotografierte und von seinem Smartphone kopierte.

Erik stellte sich nicht freiwillig der Polizei, das wusste sie gestern schon, und erwartete auch nichts anderes von ihm.

Der Timer am Ofen piepte. Ein warmer wohltuender Duft strömte ihr entgegen. Andrea deckte für drei. Denn der Alptraum, hatte nun endlich ein Ende. Die Haustür ging auf. Sie hörte die Schritte im Flur. Die Küchentür schwang ihr entgegen.

Hallo mein Schatz. Mensch das riecht aber gut. Freut mich das du Auflauf gemacht hast. Mein Lieblingsessen. Ich brauch jetzt auch echt ne Stärkung. Du glaubst gar nicht, was heute los war…“ Erik wollte ihr einen Kuss geben, doch ihr Mund stand offen.

Oh. Wie ich sehe, hast du jemand anderen erwartet, oder?“

Dann schwang er den Hammer hinter seinem Rücken hervor…

Ende

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