Lunchwish123Der Lockvogel

 

Meine Hände zitterten, während mein Herz mir bis zum Hals schlug. Wummernd klopfte es gegen meine Rippen, als würde es sie sprengen wollen. Ich atmete tief ein, schluckte schwer.

Es war nur ein Handy. Nichts weiter. Ein altes iPhone, mit gerissenem Display und abgegriffenen Kanten. Unscheinbar, es sah aus als könnte es jedem gehören.

Doch das tat es nicht.

Ich wusste genau, wem es gehörte. Und ich verstand, dass ich erneut in den Abgrund blickte.

Auf der Speicherkarte des Telefons waren noch etliche Fotos gespeichert, einen Sperrcode hatte es nicht gegeben. Es war etwa das zweihundertste Bild in der Galerie. Auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches. Eine junge Frau, etwa zwanzig. Sie lächelte nicht, sondern blickte mit provokant vorgeschobenem Kiefer in die Kamera, das schwarz gefärbte Haar in Strähnen ins Gesicht gekämmt. Es war eine ganze Fotoreihe, gefolgt von weiteren. Immer die selbe Frau, manchmal lachend oder das Gesicht in den Händen versteckend.

Doch dann ein Bild von einem Paar. Aneinandergeschmiegt und selig grinsend saß es auf einer Parkbank, und im Hintergrund war ein kleiner Brunnen zu sehen.

Ein ganz gewöhnliches Paar –

auf den ersten Blick jedenfalls.

Ich schob das Telefon in meine Rocktasche und sank kraftlos auf die Knie. Nein. Das durfte nicht wahr sein. Wie war das bloß passiert?

Mit tauben Fingern klaubte ich mein eigenes Handy aus meiner sündhaft teuren Handasche. Räusperte mich, setzte mich aufrecht hin.

Automatisch wählte ich einen Kontakt aus, der als „ALT – Nebenjob“ eingespeichert war.

„Boss? Ja…. ich bin es. Bitte, bitte werd nicht wütend! Hör mich an!“ ,etwas in meiner Stimme, vielleicht der schrille Unterton ließ ihn aufhorchen. „Ich.. es gibt ein Problem! Es geht um Florian Rüpcke. Mein erster… Genau, mein erstes Ziel. Erinnerst du dich?“ Ich flüsterte nur noch. „Wieso ist er aus der Anstalt entlassen worden? ……Natürlich ist das schon über zehn Jahre her… aber du… du hast mir versprochen dass er da niemals rauskommt!“ ,mein Herz sackte ab. „Du wusstest davon? Er hat mich gefunden verdammt!“ Ich schluchzte laut auf, jetzt immer lauter werdend. „Er hat mich gefunden! So eine Scheiße!“ verzweifelt schmiss ich das Handy davon, und das reißende Geräusch mit dem es über den Asphalt schlitterte gab mir den Rest. Tränen liefen mir über meine Wangen und fielen tropfend auf meine Seidenbluse.

Etwa eine Stunde zu spät kam ich an meinem Ziel an.

„Schatz?“, kam es besorgt aus dem Inneren des Einfamilienhauses, welches ich mit meinem Mann seit etwa zwei Jahren bewohnte. „Ich bin es Phillip!“, rief ich zittrig. „Anne? Ist etwas passiert?“ Phillip schob seinen attraktiven, groß gewachsenen Körper in den Hausflur. „Um Gottes Willen, wie siehst du denn aus? Bist du in Ordnung? Deine Kleidung ist ja ganz…. hast du geweint?“

Verzweifelt blickte ich ihn an. „Auf dem Heimweg haben mich zwei Männer angerempelt, sie waren so groß und…“

Es kostete mich keine Mühe mich in ein schwaches, verzweifeltes Häufchen Elend aufzulösen. „Ich … Ich hatte kein Bargeld und dann haben sie… sie haben mich einfach auf die Straße gestoßen und alles mitgenommen!“

Es war mir ein Leichtes gewesen, die Tasche samt Inhalt in den erstbesten Mülleimer zu werfen – getrennt von all meinen Papieren und meinem iPhone, damit sie niemals den Weg zurück zu mir fand. „Selbst….Selbst die Tasche!“ Ich warf mich gegen die Brust des Mannes, den ich geheiratet hatte. Er wollte eine schöne Frau, und ich wollte ein unbeschwertes Leben ohne Sorgen um Geld. Von Liebe war auf meiner Seite nie die Rede gewesen – nicht ehrlich jedenfalls.

Aber ein schönes Gesicht und ein zierliches Äußeres, und schon wollten die Männer einem glauben.

Solche Männer wie Phillip jedenfalls, die sich sicher waren, dass ihnen ohnehin niemand je widerstehen könnte.

Mein Ehemann schloss seine Arme um mich, die noch immer in einem teuren Hemd steckten. „Shh… Alles wird gut meine Liebste. Ich rufe gleich den Besten Anwalt des Landes an, er wird sich heute noch um die Anzeige kümmern. Und Morgen ersetzen wir die Tasche, und alles was in ihr war. Und ich verspreche dir, dass du am Abend schon an etwas ganz Anderes denken wirst.“ Seine langen Finger strichen über mein blondiertes Haar. „Jetzt gehst du erst mal etwas in die Sauna, und zur Entspannung bestelle ich dir eine Massage, ja? Lin Fen, die magst du doch am Liebsten.“

Tja, Geld konnte eben Berge versetzen.

Während ich niedergeschlagen in unseren Wellnesskeller ging, hörte ich wie Phillip im Salon anrief und forderte, dass sofort jemand zu uns kam, er würde das doppelte zahlen.

Die Tasche war mir in Wirklichkeit egal. Mein Wahres Problem war das Handy, dass ich noch immer in meiner Rocktasche trug.

Florian.

Fest presste ich meine Hand auf meinen Mund, während meine Augen sich in Angst weiteten und sich erneut mit Tränen der Verzweiflung füllten.

Phillip hielt ihn für meinen verrückten Ex, der mich gestalkt hatte und schließlich in der Geschlossenen gelandet war. Nun, der letzte Teil stimmte auch. Nur hatte ich ihn dort hineingebracht, und wir waren nie wirklich zusammen gewesen.

Sein Vater hatte sich mit üblen Kerlen angelegt. Üble Kerle, die mich großgezogen haben. Bereits kurz nach dem Erreichen der Volljährigkeit hatte ich für diverse Ziele den Lockvogel gespielt – ihnen eine Zeit Lang die große Liebe vorgespielt, bis sie mir blind vertrauten. Dann hatte ich sie auf ein überraschendes Date eingeladen, auf dem wir dann unverhofften Besuch bekamen. Mal war es der Sohn, mal der Bruder, und manchmal war es der Vater. Mal ging es um Lösegeld, mal um Rache, und manchmal um eine Warnung. Aber manchmal ging es auch um nicht bezahlte Schulden.

Doch bei Florian war alles aus dem Ruder gelaufen –

sein Vater hatte nicht bezahlt. Also hatten wir sein gesamtes Haus in Brand gesteckt, während die Familie vermeintlich im Urlaub war.

Doch nach Florians Entführung hatten sie ihren Ausflug abgesagt. Das war uns entgangen.

Florians Mutter, die im Rollstuhl saß schaffte es nicht hinaus und verlor ihr Leben in den Flammen.

Florian klagte mich und meinen „Vater“ an, aber er war kein Gegner für uns. Ehe er sich versah litt er unter Verfolgungswahn, einer Borderline Störung und einer Bipolaren Persönlichkeitsstörung, und würde wohl den Rest seines Lebens in der geschlossenen Psychiatrie verbringen, und niemals wieder ein normales Leben führen können, sollte er jemals in einem Zustand entlassen werden, in dem sein Hirn mehr als grauer Brei war.

Wieso also erinnerte er sich? Und wie um alles in der Welt hatte er mich gefunden? Ich hatte viele Operationen, eine neue Identität und regelmäßig den Aufenthaltsort gewechselt.

Das Schloss klickte. Ich schreckte auf. „Phillip?“

In wenigen Schritten hatte ich die Tür erreicht. Rüttelte an ihr. Verschlossen.

„Phillip!!“ schrie ich aus Leibeskräften, begleitet von heftigem Hämmern gegen das Holz.

Bis ich ein Lachen vernahm.

„Ich bin doch hier, Liebste.“ Ein Geräusch, als würde er mit dem Fingernagel langsam die Tür herunterfahren. „Anne. Julia. Rebecka. Luisa. Christine. Fiona.

Ich rang nach Atem. Woher kannte er….

„Ja… ich kenne jeden deiner Namen, Fiona Weinecke. Aber du bist nicht die Einzige, die ein neues Leben angefangen hat.“ Wieder lachte er. „Dreh dich bitte mal um Liebste, so gern ich deinen kleinen Hintern auch ansehe, ich würde jetzt viel lieber dein Gesicht sehen! Oh ja.. du bist nicht die Einzige, die ihre schmutzigen Spielchen spielt.“ Ich fuhr herum, und blickte geradewegs auf eine Kamera, die auf den ersten Blick wirkte wie ein Rauchmelder – nur dass jetzt ein rotes Aufnahmelämpchen regelmäßig aufblinkte.

„Ph….Phillip? Schatz, wovon…“, begann ich, doch ich wurde unterbrochen.

„Wie schön, dass du mein Handy gefunden hast.“

Klirr. Der Groschen fiel.

„Florian.“

,flüsterte ich erstickt.

„Ganz.Genau.“

Mit jedem Wort schlug er krachend gegen die Tür.

„Oh wie ich auf diesen Tag gewartet hab! Fiona Weinecke, der Lockvogel! Wolltest du, dass meine Mutter ihr Leben verliert? Wie hat es sich angefühlt, eine ganze Familie zu zerstören? Hast du es genossen, sie schreiend bei lebendigem Leibe verbrennen zu hören!? Oder hat dein Monster – Daddy dir etwa keine Menschlichkeit beigebracht?!“ Polternd schlug es weiter gegen die Tür.

„Ich habe so lange gebraucht dich kleines Miststück zu finden. Ich habe ebenfalls ein neues Gesicht bekommen – denn ich wurde bereits nach einem halben Jahr entlassen. Ihr habt einen Maulwurf! Einen Verräter! Schon witzig, nicht? Dass ihr all die Jahre nichts bemerkt habt..“

Wieder dieses Lachen, bei dem es mir nun eiskalt den Rücken herunter lief.

„Keine Sorge, Liebste, du wirst genau verstehen, was es bedeutet eingesperrt zu sein. Sich zu verstecken. Zu Bedauern. Zu Vermissen.

Falls du dazu in der Lage bist, jedenfalls.“

Schluchzend ließ ich mich zu Boden sinken, das Gesicht in den Händen vergraben. Verdammt.

„Er hat dich nur benutzt, Fiona. Er hat dich weggeworfen, und du hast dich dem erstbesten Reichen Mann an den Hals geschmissen. Ich habe wirklich überlegt, dich umzulegen, als ich von deinem kleinen Geheimnis erfahren habe. Aber ich habe dich geheiratet. Ich bin alles was du hast.“

„Phillip – Florian.. bitte! Es tut mir so leid! Ich… ich wusste doch nicht was ich tat! Ich wollte nie, dass es so weit kommt! Bitte, ich hatte doch keine Wahl!“ ,hörte ich mich flehen. Verdammt, wie konnte ich nur so unaufmerksam gewesen sein? Ich war doch stets auf der Hut gewesen! Hatten mich all die Jahre des Versteckens denn nichts gelehrt?

„Ich glaube dir kein Wort. Ich wäre überrascht, wenn die Tränen nicht nur Schreck wären, weil ich deine Masche durchschaut habe.“

Ich hörte, wie er übertrieben weinerlich unser Gespräch von vorhin nachäffte.

„Wirklich filmreif. Nun, ich überlasse dich jetzt ein wenig dir selbst. Ich habe Dinge zu klären –

schließlich wurde meine Frau gerade tot aufgefunden.“

Ich schnappte nach Luft.

„Das kannst du nicht tun!“

„Oh doch, Anne. Das kann ich. Geld öffnet Türen, das solltest du doch wissen. Und ich werde dich für alles bezahlen lassen, was du getan hast. Ausgiebig. Und dann bringe ich dich eines Tages um. Aber bis dahin ist noch Zeit- es gibt nämlich so viele Dinge, die schlimmer sind als der Tod.“

8 thoughts on “Der Lockvogel

  1. Spannend und überraschend. Dein Schreibstil ist flüssig und man kann ihm gut folgen. Ich habe noch ein paar Probleme zu glauben, dass Anne in all den Jahren tatsächlich keinen Verdacht geschöpft hat – trotz Operation, aber das tut der Spannung keinen Abbruch.

  2. Hi,
    eine gute Geschichte.
    Ich persönlich fand, dass der Spannungsbogen etwas zu schnell abflachte. Die Auflösung kam mir zu abrupt.
    Aber Dein Schreibstil ist gut und klar. Du hast vor allem in der ersten Hälfte die Gefühlswelt von Anna/Fiona/… sehr gut beschrieben.
    Mach weiter, da steckt Talent in Dir.

    P.S. vielleicht hast Du ja auch Zeit und Lust, meine Geschichte (“Glasauge”) zu lesen und ein Feedback da zu lassen.

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