SchaengelDer Plan

Es war einer der ersten kalten Novemberabende, als Jana aus ihrem Auto ausstieg, um die letzten Meter zu ihrer Haustür zu Fuß zu gehen. Die Kälte kroch ihr schlagartig in den Körper und sie begann zu frösteln. Jana war noch nie ein Freund der kalten Jahreszeit gewesen, zu abweisend und leblos kam ihr der Winter stets vor. Sie liebte es in der warmen Jahreszeit in Cafés zu sitzen, die Sonne auf der Haut zu spüren und Wärme zu tanken.

Beim Aufschließen der Haustür überkam sie das Gefühl großer Vorfreude auf die entspannenden Tage allein. Ein paar Tage Urlaub und ER war nicht zu Hause. Wieder einmal irgendeine Reise nach einer überraschenden E-Mail! ER hieß Ralph und war seit einigen Jahren an ihrer Seite. Auch wenn es eigentlich eine Beziehung zu dritt war. Am Anfang hatte Jana das Spiel mitgespielt in der Hoffnung, dass es sich ändern würde. Aber Fehlanzeige. Nach ein paar Jahren hatte sie gelernt, mit der Situation umzugehen und Ralph zwischen Abstand und Nähe zu dirigieren.

Sie betrat das großzügige Wohnzimmer. Dort fiel er ihr direkt auf. Er stand heute morgen noch nicht da. Dieser kleine rote Kasten mit schmuckvoller Schleife. Ihr Name war in schwungvoller Schrift auf der Karte darauf zu lesen. Ihr Vorname, nur ihr Vorname. „Er hat sich Mühe gegeben“, dachte Jana. Das war sie in den letzten Jahren nicht von ihm gewöhnt. Die meisten Aufmerksamkeit bekam SIE. Umso überraschter war Jana, von ihm ein Geschenk zu bekommen. Es war kein Jahrestag. Was mochte wohl darin sein?

Voller Neugier nahm sie es in die Hand und zog den Deckel der Geschenkverpackung ab. Der Inhalt überraschte sie. Aber was hatte sie eigentlich erwartet? Das jedenfalls nicht.

In der Packung lagen eine kleine Karte und ein altes Smartphone. Dass es alt war, war ihr anfangs gar nicht aufgefallen. Instinktiv drückte sie den Knopf zum Einschalten und der schwarze Bildschirm gab einen personalisierten Startbildschirm frei, der Jana den Atem verschlug. Von einem auf den anderen Moment verkrampfte sich alles in ihrem Körper. Sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. „Wie kann das sein?“, schoss es ihr durch den Kopf. Sie selbst schaute sich vom Handydisplay an. Dieses Bild, ein Zeugnis längs vergangener Zeit sollte eigentlich längst nicht mehr existieren. Wo kam es also plötzlich her?

Das Klingeln an der Tür riss Jana aus ihren Gedanken. Mit zitternden Händen öffnete sie die Tür. Sie erwartete eigentlich niemanden, war aber so in ihren Gedanken gefangen, dass sie wie in Trance zur Tür ging. Vor der Tür stand ein junger Mann, der von seinem Äußeren eigentlich gar nicht in diese Wohngegend passte. Er war mehr so der Surfertyp, mit braun gebrannter Haut und längeren blonden Haaren. Er war vor einigen Wochen nebenan eingezogen und es hat nicht lange gedauert bis er unter den alteingesessenen Nachbarn zum Gesprächsstoff geworden war. „Womit verdient er eigentlich sein Geld?“ und „Wie kann der sich dieses Haus leisten?“ Solche und ähnliche Fragen stellte man an normalen Samstagen während man sich mit den Nachbarn beim Straße kehren unterhielt. Nun blickte Jana in seine braunen Augen und hörte ihn fragen: „Ist alles in Ordnung? Ich war zufällig mit dem Hund spazieren, als ich ein Schreien hörte.“ Erst jetzt bemerkte Jana das zottelige Fellbündel, das neben ihrem Nachbarn artig saß und neugierig in ihre Richtung schnüffelte. „Ist bei Ihnen alles in Ordnung?“, hörte sie ihn erneut fragen. Offensichtlich hatte sie nicht schnell genug geantwortet. „Nein, ist es nicht du Idiot!“, schoss es ihr durch den Kopf. Am liebsten hätte sie ihn angebrüllt und ihren Gefühlen freien Lauf gelassen, doch das konnte sie nicht. Ein „Jaja, alles in Ordnung“, aus ihrem eigenen Mund durchbrach ihre Gedankenwelt, „die Technik will nicht so wie ich.“ Sie hoffte, dass der Surfertyp sich damit zufriedengeben würde. Zum Beweis ihrer Lüge wedelte sie mit dem alten Handy in der Luft, dass sie noch immer in der Hand hielt. Sie versuchte sich bewusst, solange er vor ihrer Tür stand, zur Ruhe zu bringen, auch wenn es in ihr gerade ganz anders aussah. Beinahe hätte sie sich die Lüge auch selbst geglaubt. „Ja, das kenne ich“, reagierte ihr Gegenüber. „Eigentlich sollen sie smart sein, und doch kommen sie einem manchmal wie ein Relikt aus alten Zeiten vor!“ Er schaute sie lächelnd an und wandte sich dann seinem vierbeinigen Begleiter zu: „Was meinst du, Bauschan, sollen wir nach Hause gehen?“ Kurze Zeit später verschwanden beide im Dunkel der Nacht. Jana blieb aber zurück und musste sich erst einmal an der Tür festhalten. Wie ein großer Gong, gegen den man zu fest gehauen hat und der nicht aufhören will einen Ton von sich zu geben, hallte nur ein Satzfragment durch ihren Kopf „Wie ein Relikt aus alten Zeiten“, murmelte sie leise vor sich hin, während sich ihre Hand fester um das alte Handy verkrampfte. Sie ließ sich noch an Ort und Stelle auf den Boden sinken, während die Tür geräuschvoll ins Schloss fiel. „Ein Relikt aus alten Zeiten“, murmelte Jana erneut, als sie den Mut aufbrachte, das Handy erneut anzuschalten und zu betrachten. Wieder fühlte sich der Anblick des Fotos auf dem Startbildschirm wie ein Stich in den Magen an. Sie und Simone lachend auf einem Foto. Ein Relikt aus längst vergangenen Tagen. Nie wieder würden die beiden Freundinnen so herzlich miteinander lachen können. Nie wieder so vertraut sein. Simone war tot! Schon seit Jahren. Zum ersten Mal seit langer Zeit überkam Jana Trauer. Sie weinte und vermisste die alte, die unbeschwerte Zeit. Die Zeit mit Simone. Sie betrachtete erneut das Handy, als ihre Trauer plötzlich durch eine auflodernde Erinnerung jäh beendet wurde. Es war nicht nur Simone, die sie von dem Display anstrahlte, es war auch noch ihr Handy, von dem sie es tat. Jana konnte sich noch genau an den Tag erinnern, als ihre beste Freundin das nagelneue Smartphone mit der roten Hülle präsentierte. Genau so eine Hülle um so ein Handy hielt sie nun in ihrer Hand. Nicht nur die Kälte des Fliesenbodens, auch ihre Emotionen ließen Jana zittern. Gerade als sie aufstehen wollte, um sich wärmer anzuziehen, fuhr es ihr erneut durch Mark und Bein. Das Smartphone vibrierte in kurzen Intervallen in ihrer Hand. Und damit nicht genug. Die eingehende SMS wurde durch einen personalisierten Klingelton angekündigt. Simones Lachen! Jana erkannte es sofort. Jahrzehnte hatte es sie begleitet. Es gab keinen Zweifel. Das kleine Smartphone lachte wie Simone. Sie ließ es zu Boden gleiten. „Was für eine kranke Scheiße läuft hier ab!“, konnte man Janas brüchige Stimme sagen hören. Aber es war niemand da, der ihr antwortete. Die Tränen rannen ihr in Strömen übers Gesicht. Ihre kurzzeitige Trauer war blanker Angst gewichen. Jana war immer eine Person, die planend durch Leben ging. Sie wollte stets die Kontrolle behalten und wissen, was als nächstes passierte. Jetzt aber war sie weit weg davon, irgendetwas auch nur im Ansatz kontrollieren zu können. Sie kauerte eine Weile auf dem Boden und versuchte einen Ansatz von Fassung zu gewinnen, als ihr Blick auf das blinkende Lämpchen am Smartphone fiel, das an den vorherigen Eingang der SMS erinnerte. „Vergiss mich nicht! Vergiss mich nicht! Vergiss mich nicht…!“, brüllte das Lämpchen Jana an. Jedes Mal spürte sie erneut das Stechen im Magen. Mit zitternden Händen griff sie nach dem Handy und las die Kurznachricht. Sie bestand aus nur einem Satz: „HAST DU MICH VERMISST?“

„Das kann nicht sein!“, schrie Jana das Smartphone an. „Du bist tot, ich habe dich sterben sehen!“

Jeder Versuch, die Fassung wiederzugewinnen, scheiterten. „Ein Relikt aus alten Zeiten“, schoss es Jana wieder durch den Kopf. „Was hatte der Surfertyp ihr damit sagen wollen?“ „Warum hatte er das gesagt?“ Wusste er vielleicht sogar, was es mit dem Handy auf sich hatte? „Er muss es gewusst haben“, war sich Jana plötzlich sicher. Alles hatte angefangen, als er an der Tür klingelte. Aber warum wollte er sie fertig machen? Was will er überhaupt von ihr? Warum spielte er dieses Spiel mit ihr? Er musste doch einen Plan verfolgen! Wie ein Trommelfeuer prasselten diese Fragen durch Janas Kopf und peitschten sie auf, zu allem entschlossen. Da war sie wieder, die taffe Jana, die das Zepter des Handelns selbst führte, bereit, dem Spuk ein Ende zu machen. Sie spürte die Kälte gar nicht mehr, als sie sich schnellen Schrittes auf den Weg zu ihrem Nachbarn, dem Surfertypen, wiederfand, das Smartphone noch fest umklammert. Sie wollte ihn zur Rede stellen, wissen, was er wollte.

Sie war noch völlig in Gedanken, als der Surfertyp die Tür öffnete und sie freundlich ansah. Noch ehe er etwas sagen konnte, schrie Jana: „Was soll das, was wollen Sie von mir?“

„Sie müssen schon etwas genauer werden!“, kam die prompte, sehr ruhige Antwort

Jana regte sich durch seine entspannte Art noch mehr auf und setzte mit drohender Geste nach, was aufgrund des Größenunterschieds reichlich lächerlich wirken musste: „Ich werde mich von Ihnen nicht fertig…!“ Weiter kam sie nicht, denn dann wurde ihre Drohung durch ein furchteinflößendes Knurren unterbrochen, das sie unmittelbar abbrechen ließ. Schon wieder hatte sie den zotteligen Vierbeiner übersehen. Er muss sich neben sein Herrchen geschlichen haben und fletschte die Zähne. Der Surfertyp nutzte die kurze Pause: „Was genau wollen Sie eigentlich gerade?“

„Sie haben mir doch eben die SMS geschrieben, und ich will wissen, was das soll!“

„Ich habe Ihnen keine SMS geschrieben. Ich habe ja noch nicht mal Ihre Nummer.“

„Es war ja auch nicht meine Nummer, es war ein fremdes Handy“, wollte sich Jana verteidigen.

„Sie schreien mich also an, weil ich Ihnen eine SMS geschickt haben soll, auf ein Handy, das nicht Ihnen ist, mit einer Nummer, die nicht Ihre ist? Klingt für mich so, als bräuchten Sie professionelle Hilfe!“

Jana stand vor der verschlossenen Haustür und kam sich so doof vor. So wie es der Surfertyp zusammengefasst hatte, klangen ihre letzten Erlebnisse zuhause wirklich verrückt und unglaubwürdig. Ohne weitere Verabschiedung hatte ihr Nachbar ihr die Tür vor der Nase zugeschlagen und sie stapfte zurück durch die Kälte. Sie schämte sich für diesen peinlichen Auftritt. Wutausbrüche waren ihr sonst fremd. Jana wusste aktuell nicht, was mit ihr los war. Das Smartphone schien ihr die Fähigkeit genommen zu haben, rational zu denken. Sie war gerade eine Getriebene ihrer Emotionen und eines Menschen, der ein Spiel mit ihr spielte. Eigentlich war es also nicht das Smartphone, das sie so wehrlos machte. Jemand hatte ihren wunden Punkt herausgefunden und wusste, ihn gezielt zu nutzen. Das störte Jana!

Zuhause erwartete sie eine Sprachnachricht auf ihrem eigenen Handy. Ralph meldete sich, dass er gut gelandet sei und dass er sich jetzt auf den Weg zur Kontaktperson machen würde. Solche Sprachnachrichten hatte er sich seit etwas mehr als zwei Jahren angewöhnt, wenn er einem Hinweis nachging. Meistens waren irgendwelche Hintergrundgeräusche zu hören, die bei Jana das Bild im Kopf festgesetzt hatte, wie er schnell noch beim Überqueren der Straße eine Nachricht in sein Handy spricht. Diese Beiläufigkeit ihr gegenüber machte sie rasend.

Was er nicht wusste, war, dass seine Suche auch diesmal ohne Ergebnis verlaufen würde. Nachdem Simone von einem auf den anderen Tag verschwunden war, hatte er nicht glauben wollen, dass seine Frau tot war. Deswegen hatte er diese Website eingerichtet, finding-simone.com, auf der er Hinweise zum Verbleib von Simone sammelte und dem einen oder anderen Hinweis auch selbst nachging. Um seinen Traum am Leben zu halten, und ihr gelegentliche Freiheit zu bescheren, war Jana es selbst, die ab und an einen Hinweis in das anonyme Kontaktformular der Webseite schrieb. Immer, wenn sie mal wieder Zeit für sich haben wollte, schrieb sie eine Nachricht, die gerade so konkret war, dass Ralph kurze Zeit darauf aufbracht, um dem Hinweis nachzugehen. Aus dem Grund hatte er sich auch schon vor längerem aus dem aktiven Geschäft seiner Firma zurückgezogen. Sie genoss die freie Zeit dann jedes Mal. Wenn er dann aber nach seinen natürlich erfolglosen Recherchereisen zurückkehrte, war sie für ein paar Wochen seine Nummer Eins. Das, was Jana immer gewollt hatte. In ganz rationalen Momenten fragte sie sich selbst, warum sie nicht so etwas wie Mitleid für ihn empfand. Darauf konnte sie sich nie eine plausible Antwort geben. Er war es in gewisser Weise vielleicht selbst schuld. Sie hatte es doch am Anfang versucht, für ihn da zu sein. Ihn auf andere Gedanken zu bringen, ihn von sich zu überzeugen, als seine Frau. Er hatte aber nie loslassen können, loslassen von IHR. Jetzt spielte sie mit ihm und er merkte es nicht einmal.

Plötzlich schallte wieder Simones Lachen durch das Zimmer – für Jana in einer unerträglichen Lautstärke. Sie fuhr zusammen. Es fiel ihr schlagartig schwerer zu atmen. Was mochte das kranke Schwein wohl diesmal wollen?

Jana drückte zaghaft auf den Button des Handys und die Nachricht war zu lesen: „WIE GEHT’S DIR DAMIT, WAS DU MIR ANGETAN HAST? S.“ Simone hatte ihre Nachrichten immer nur mit S. unterschrieben. Die innere Kälte wich einer plötzlichen Hitze. Jana wusste nicht, was sie tun sollte. Sie fühlte sich als Getriebene, hatte aber keine Fluchtmöglichkeit. Scheinbar hatte irgendjemand ihr Geheimnis herausgefunden. Aber wer konnte das sein? Den Surfertyp hatte sie ausgeschlossen. War es vielleicht doch Ralph? Nein, der konnte es nicht sein. Auf seiner Sprachnachricht hatte man deutliche Hintergrundgeräusche vom Flughafen gehört. Sie musste nachdenken. Was würde sie jetzt tun, wenn sie Herr über all ihre rationalen Fähigkeiten wäre? Ihr Kopf wollte ihr aber keine Antwort geben. „Denk nach!“, forderte sie sich selbst auf. Es war doch schon oft genug vorgekommen, dass sie als zierliche Frau übergangen werden sollte. Und jedes Mal waren die Männer damit gescheitert. Alle Männer hatten sie unterschätzt. Und sie wusste in solchen Situationen zielsicher Paroli zu bieten. „Paroli bieten…“ wiederholte Jana ihren letzten Gedanken halblaut. Das war die Lösung. Damit würde das kranke Schwein sicher nicht rechnen. Sie griff nach dem Handy und öffnete die Nachrichten-App. Es waren nur die beiden letzten SMS als Nachrichtenverlauf zu sehen. Sie tippte eine Nachricht ein: „ICH WEIß, DASS DU ES NICHT BIST, SIMONE. ICH SPIELE DIESES KRANKE SPIEL NICHT MIT!“

Als Jana die Nachricht verschickt hatte, fühlte sie sich ein bisschen besser. Ein erster Schritt, wieder die Oberhand zu gewinnen, wieder zu alter Stärke kommen. Simones Lachen kündigte die Antwort an: „WENN DU GLAUBST, ICH BIN ES NICHT, SOLLTEST DU DICH ÜBERZEUGEN, DASS ICH NOCH DA LIEGE, WO DU MICH ZURÜCKGELASSEN HAST! S.“ Jana wusste nicht, was sie davon halten sollte. „Das muss ein krankes Spiel sein“, versuchte sie sich selbst zu beruhigen. „Niemand weiß davon.“ Diesen Gedanken hätte sie besser nicht gedacht, denn wenn niemand von Simones Verbleib wusste außer ihr, gab es nur eine logische Erklärung für diesen Scheiß: Simone lebt! Das widersprach aber allem, was sie von Simones Tod wusste. Umgekehrt war es Simone, die Janas dunkles Geheimnis kennen würde. Deswegen musste Jana jetzt die Wahrheit herausfinden. Sie musste einfach.  Sie musste schnell aktiv werden.

In schwarze wetterfeste Kleidung gehüllt bestieg sie ihr Auto und legte die Taschenlampe auf den Beifahrersitz. Sie fuhr los durch die Nacht und achtete darauf, dass ihr keiner folgte. Als sie die Stadt auf der Landstraße verließ, wurden ihre Rückspiegel dunkel. Sie war sich sicher, dass sie allein war. Seit jener Nacht vor einigen Jahren war sie diese Strecke nie wieder gefahren. Sie hatte immer erfolgreich Ausreden gefunden, warum sie und Ralph nicht diesen direkten Weg zur Autobahn nehmen konnten. Sie wollte einfach nicht erinnert werden. Damals in jener Nacht lag Simone noch leise röchelnd im Kofferraum. Sie hatte sich vorher lange Gedanken gemacht, wie sie ihre beste Freundin umbringen sollte. Erschießen und erstechen waren ihr damals zu blutig. Sie hatte sich für eine Überdosis eines Medikaments entschieden, nachdem sie damals lange recherchiert hatte. Damals kam ihr der Südamerikaurlaub mit Simone und Ralph gerade recht. Hier hatte sie dann auch das Medikament besorgt, ohne dass es in Deutschland zu ihr zurückzuverfolgen war. Das Verabreichen war dann nicht mehr so schwer. Das obligatorische Glas Rotwein zum Frauenabend – zur Feier des Tages mit intensiver Eichenfassnote – verdeckte den Medikamentengeschmack. Der Polizei hatte sie damals gesagt, dass Simone am Ende des Abends nach Hause laufen wollte. „Die frische Luft würde ihr nach dem Rotwein gut tun!“ Zu Hause war sie natürlich nie angekommen. Ihr Verschwinden hatte es damals sogar zu Aktenzeichen XY geschafft. Leider konnten hier alle Hinweise nicht zum Auffinden von Simone führen. Das Medikament hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Simone merkte damals, wie ihr die Kräfte schwanden. Jana hatte ihr noch das Glas aus der Hand nehmen können, bevor es zu Boden gefallen wäre. Ihre Muskeln stellten nach und nach den Dienst ein. Wehrlos hatte Simone damals erleben müssen, wie ihre beste Freundin sie wie einen nassen Sack zum Auto gezerrt und in den Kofferraum verfrachtet hatte. Das war vor Jahren.

Als Jana heute den Waldweg erreichte, der die letzte Strecke ihres Weges darstellte, schaltete sie das Licht des Autos aus. Sie wollte sichergehen, dass niemand hier war und hoffte, im anderen Fall Lichtquellen zu sehen. Niemand war da. Mit Taschenlampe und Schaufel in der Hand schlich sie die letzten Meter zu Fuß. Obwohl sie seit jenem Abend nie wieder hier gewesen war, kannte sie den Weg noch genau. Die Oberfläche des Bodens verriet nichts darüber, ob hier eine Leiche vergraben war oder nicht. Sie trieb die Schaufel in das Erdreich. Überraschender Weise wirkte die Erde lockerer als vor Jahren. Sie musste eine ganze Weile graben. Damit keine Tiere die Leiche versehentlich ausbuddelten, hatte sie damals annähernd einen Meter tief gegraben. Diese Information hatte sie zufällig in einer Reportage gesehen. Schließlich hatte sie den Beweis. In dem Moment ihres Triumphes erfasste sie ein Lichtkegel. „Legen Sie die Schaufel zur Seite und nehmen Sie die Hände über den Kopf!“, hörte sie eine tiefe Stimme sagen. Sie erkannte keine Person, hörte aber die Bestimmtheit in dieser Stimme, die keinen Zweifel zuließ. Sie folgte den Anweisungen ohne Widerstand zu leisten. Als die Handschellen hinter ihrem Rücken klickten und sich die dazugehörige rechtliche Aufklärung über ihr ergoss, erblickte sie einen ihr schon bekannten Hund. „Sie?“, entfuhr es Jana. Der Surfertyp stellte sich in ihr Blickfeld und neben ihm saß sein Weggefährte. Herr und Hund blickten sie an. „Mein Name ist Thomas Bieber, ich bin von der Kriminalpolizei und habe Sie seit langem in Verdacht Simone Bieber ermordet zu haben. Jana stutzte: „Deinen Namen habe ich eine Ewigkeit nicht mehr gehört. Wie…“ „Du hast mich tatsächlich nicht mehr erkannt“, unterbrach Kommissar Bieber ihren Satz. Als du meine Mutter umgebracht hast, war ich gerade im Internat. Davor bin ich dir lediglich einige Male bei Familienfeiern begegnet. Das konnten wir nicht voraussetzen. Deswegen bin ich in das Nachbarhaus gezogen und musste in den letzten Wochen genau beobachten, ob du mich wiedererkennst.“ Kommissar Bieber begleitete Jana zu einem Streifenwagen, der mittlerweile als Verstärkung eingetroffen war, bevor er noch einmal alleine zum Grab zurückkehrte.

Noch im Morgengrauen hatten Polizei und Spurensicherung  den Fundort großflächig abgesperrt und begonnen, die sterblichen Überreste von Simone Bieber auszugraben und weitere Beweise zu sichern. Zu diesem Zeitpunkt saß Jana bereits im Polizeipräsidium in einem Büro, wartend auf die Vernehmung. Kommissar Bieber betrat den Raum und ließ die Stille einen Moment auf sich und die Tatverdächtige wirken. Mit sonorer Stimme fragte er schließlich nur „Warum?“

Jana war überrascht von dieser einfachen Frage. So einfach die Frage war, so schwierig tat sie sich mit der Antwort. Sie überlegte eine Weile und sackte dann sichtlich in sich zusammen. Mit einem kurzen Seufzer antwortete sie. „Ich habe deinen Vater immer geliebt. Die ersten Jahre war es für mich auch in Ordnung, die Freundin vom Ehepaar Simone und Ralph zu sein. Irgendwann wollte ich aber mehr. Deine Eltern waren aber nicht auseinanderzubringen. Dein Vater hätte deine Mutter niemals verlassen. Und Simone? Die hatte mich schnell durchschaut. Irgendwann hat sie mich in einem Brief zur Rede gestellt. Ich habe ihr dann in einem langen Telefonat erklärt, dass ich aufhören würde, Ralph nachzustellen. Ich wusste aber auch, dass ich damit nur Zeit gewinnen wollte, um mir einen anderen Plan auszudenken.“

„Du meinst einen Plan, meine Mutter umzubringen, um dich an meinen Vater ranzumachen?“

„Ja!“

„Meine Mutter hat geahnt, dass du nicht aufrichtig warst. In ihrem Tagebuch hat sie geschrieben, dass sie dir nicht mehr traut. Papa hat vor drei Jahren die alten Tagebücher auf dem Dachboden gefunden und ist mit ihnen zu mir gekommen.

Stille legte sich bleiern über den Raum. Kommissar und Verdächtige schauten sich lange an, bis schließlich Jana das Wort ergriff. „Das war alles eine Falle?“

„Ja, alles. Du warst damals wirklich vorsichtig und hast keine Beweise hinterlassen, die dich mit dem Mord in Verbindung bringen. Deswegen mussten wir dich dazu bringen, uns den Platz zu zeigen, an dem du meine Mutter vergraben hast. Nur der Täter konnte diesen Ort kennen“

„Aber wie konntet ihr mich finden? Ich habe doch genau darauf geachtet, dass mir niemand folgt!“

„Über das Handy konnten wir dir folgen. In sicherem Abstand. Und als wir im Waldweg waren, hat Bauschan uns zu dir geführt.“

„Der verdammte Köter!“, entfuhr es Jana. „Aber wie hast du das Handy ins Haus bekommen?“ Jana griff nach diesem Strohhalm in der Hoffnung, einen Ermittlungsfehler geltend machen zu können.

„Das habe ich hingelegt“, hörte sie eine ihr bekannte Stimme hinter ihr sagen. Sie drehte sich herum und erblickte Ralph.

„Ich dachte, du seist in…“ Sie konnte den Satz nicht mehr beenden, da sie Ralph bereits unterbrochen hatte:

„Ich weiß seit mehr als zwei Jahren, dass du mich mit falschen Hinweisen durch die Welt schickst. Seitdem planen wir deine Ergreifung. Als das Haus in unserer Nachbarschaft vor einigen Monaten angeboten wurde, konnten wir unseren Plan schließlich in die Tat umsetzen. Simone erstarrte vor Schreck. Damit hatte sie nicht gerechnet. In den Schreck mischte sich Wut über sich selbst, dass ausgerechnet Ralph sie so lange an der Nase herumführen konnte, ohne dass sie es gemerkt hatte. Dieser Waschlappen, der nicht im Stande war seine Alte loszulassen. „Du?“, platzte es aus ihr heraus. „Wie konntest du mich hinters Licht führen? Ausgerechnet du? Du hättest es so gut haben können bei mir, Ralph.“

„Ich hatte es gut und ich wollte nie jemanden anderes als meine Simone und du hast das kaputtgemacht.“

Vater und Sohn warfen sich einen triumphierenden Blick zu, dann drehte Ralph sich rum und verließ das Büro.

3 thoughts on “Der Plan

  1. Hallo,
    mir hat Deine Geschichte gut gefallen. Leider habe ich es nicht mehr rechtzeitig geschafft, Deine Geschichte noch vorm Ende des Votings zu lesen, sonst hätte ich Dir mein Like dagelassen.
    Mach weiter, man merkt, dass Du Spaß am Schreiben hattest.
    LG,
    der schweenie

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