SaryDer Psychotherapeut

Montagmorgen – der Start in eine neue Woche. Es war kein besonderes Tag. Markus stand wie üblich kurz nach sieben Uhr pünktlich auf, ging ins Bad und anschließend in die Küche, um sich seinen Morgenkaffee zuzubereiten. Da es ein milder Sommermorgen war, trank er seinen Kaffee auf dem tropisch gestalteten Balkon. Kleine Palmen in braunen Übertöpfen, kleine Dekoelemente und Möbel aus Bambus zierten seinen Außenbereich. Ein großer Balkon zum Entspannen.

Morgens genoss er die Ruhe, um auf dem Tablett gemütlich Nachrichten zu lesen oder Emails zu beantworten. Obwohl er sich vorgenommen hatte, die Arbeit nicht mit nach Hause zu nehmen, ertappte er sich immer wieder dabei, wie er trotzdem auf diese von zu Hause aus antwortete.

Markus Gemming, 47 Jahre alt, war Psychotherapeut, auch psychologischer Psychotherapeut genannt und Inhaber einer eigenen Praxis.

Er absolvierte ein Masterabschluss im Psychologie Studium, mit Schwerpunkt klinische Psychologie. Im Anschluss vollendete er noch eine Ausbildung zum Therapeuten.

Als Markus die Zustimmung seines Antrags auf staatliche Zulassung zur Ausübung eines Heilberufes erhielt, eröffnete er seine Praxis, um Menschen mit psychischen Problemen zu behandeln.

Wie jeden Morgen, fuhr Markus mit dem Bus zu seiner Praxis. Seit dem Frühjahr nahm er sich vor, ein Fahrrad zu kaufen, damit er mehr Bewegung in seinen Alltag integrieren konnte, aber auch um die schöne Landschaft zu genießen. Die Praxis ist eine Ortschaft weiter, dazwischen lag eine längere Landstraße. Auf einer Seite sind verschiedene Getreidefelder, auf der Anderen unberührte Natur. Gras. Blumen. Wildwüchsige Pflanzen und Büsche. Vögel flogen umher und am frühen Morgen konnte man manchmal Feldhasen umher hoppeln sehen.

Nach der Arbeit werde ich endlich ins Fahrradcenter gehen und mir ein Fahrrad kaufen“, nahm er sich an diesem Morgen vor.

Doch dann kam es anders.

Wie üblich war Frau Metz schon in der Praxis. Sie war die Empfangsdame. Sibylle, ihr Vorname, war hauptsächlich für die Terminvergaben zuständig.

Außerdem beschäftigte Markus noch zwei weitere Mitarbeiter: Tim Meyer in der Buchhaltung und Judith Blum als Reinigungskraft in Teilzeit.

Es war halb zehn, als er das Therapiezimmer betrat. In diesem Zimmer hatte er die meisten Zeit und Geld investiert. Es sollte perfekt sein. Große Fenster, damit genügend Licht, trotz massiver Vorhänge, hineinkam. Ein großer dunkelbrauner Ledersessel, indem er immer während seinen Sitzungen saß. Daneben stand ein kleiner runder Beistelltisch aus Massivholz, um seine Notizen abzulegen.

Die Patienten konnten zwischen einer ergonomischen Liege aus hellbraunem Polsterstoff und einem Zweisitzer im selben Stil wählen.

Die Wände waren in einem dezenten Cremeton gestrichen. Über dem Zweisitzer hing eine Leinwand mit der Weltkarte im vintage Stil. Der Raum wirkte trotz seiner wenigen Möbel sehr urig und warm.

Markus ging in sein Büro, welches nur vom Therapiezimmer aus erreicht werden konnte. Er wollte seinen Computer hochfahren, bevor die erste Patientin kam.

Täglich begannen seine Sitzungen um 10 Uhr. Beate Ahst, 63, war montags die erste Patientin. Seit sie Opfer eines Einbruches mit körperlicher Gewalt wurde, war sie nicht mehr die Gleiche. Durch das Erlebte entstand ein Trauma, Albträume plagten sie in der Nacht.

Markus hatte sich auf das Gebiet Angststörungen und Persönlichkeitsstörungen spezialisiert und war somit der ideale Ansprechpartner.

Am Schreibtisch angekommen sah er ein Handy darauf liegen, welches nicht ihm gehörte. Er nahmt es hoch. Beim Berühren einer der seitlichen Tasten erschien der Screensaver – das kann nicht sein!

Das fremde Handy hatte ein Bild von ihm als Screensaver eingestellt und zwar keines, dass auf der Homepage der Praxis zu sehen war, noch in sozialen Netzwerken. Es zeigte ihn sitzend auf dem Balkon mit einer blauen Tasse in der Hand. Anhand seiner Kleidung und dem Wetter müsste es im Frühling entstanden worden sein. Das Foto wurde von dem Fußweg aus aufgenommen. Seine Eigentumswohnung befand sich im ersten Obergeschoss.

Markus versuchte das Menü des Handys zu öffnen, jedoch war ein vierstelliger Entsperrcode erforderlich.

1 2 3 4 ungültig.

6 6 6 6 ebenso ungültig.

Nach ein paar weiteres Versuchen war das Handy für fünf Minuten gesperrt.

Wem gehört das Handy?

Die zeitlich begrenzte Sperrung war aufgehoben und so versuchte es Markus erneut: 0904. Sein Geburtstag, der 9. April. Tatsächlich. Das Handy war entsperrt. „Sehr eigenartig“, dachte er sich., hielt es aber noch für einen komischen Scherz.

Zudem Zeitpunkt hatte er aber noch nicht die Fotos auf dem Handy gesehen.

Während seiner ersten Therapiesitzung in dieser Woche, konnte er sich nicht richtig auf seine Patientin konzentrieren. Seine Gedanken wichen immer wieder ab, so sehr hatte ihn das gefundene Handy, mit seinem Foto und Geburtsdatum als Pin, verunsichert. Er riss sich zusammen und so vergingen die 60 Minuten schneller als erwartet.

Als Frau Ahst den Raum verließ, ging Markus erneut in sein Büro, um das Handy genauer zu untersuchen.

Er öffnete die Anrufliste – keine getätigten oder empfangenen Anrufe. In der Kontaktliste war nur die Nummer seiner Praxis eingespeichert. Markus öffnete die Fotogalerie und ihm wurde eines direkt klar – das Handy wurde bewusst hier platziert. Auf dem Foto befanden sich ausschließlich Fotos von ihm: beim Einkaufen, zu Hause auf dem Balkon, auf dem Weg zur Arbeit und generell Fotos aus seinem Leben.

Markus Neugier verwandelte sich in Angst.

Ich habe einen Stalker, was will er oder sie von mir?

Frau Metz!“, rief er während er vom Büro Richtung Anmeldung lief. „Frau Metz! War heute jemand anderes außer mir im Büro gewesen?“. „Nein, ich war heute die erste in der Praxis und habe diese aufgeschlossen. Kurz danach waren Sie da und im Anschluss Frau Ahst. “, antwortete sie verdutzt, „Wieso fragen Sie? Stimmt etwas nicht?“

Markus war verunsichert, er wusste nicht, ob er den Fund erwähnen, oder es erst mal für sich behalten sollte. „Ach, nicht so wichtig. Danke. Was ich noch fragen wollte, hat denn ein Patient oder eine Patientin angerufen, dass er oder sie etwas hier in der Praxis verloren oder vergessen hat?“, wich er aus.

Nur Herr Klang, wie fast jede Woche.“, lächelt Frau Metz. Herr Klang vergaß nach fast jeder seiner Sitzungen seinen Hut, denn er vor dem Gespräch an der Garderobe am Empfang oben auf dem Regalbrett ablegte. Markus versuchte seine Verunsicherung zu überspielen: „Ja ja“, lachte er mit, „Herr Klang mal wieder“. Er drehte sich um und ging in sein Therapiezimmer, denn der nächste Patient wartete bereits.

Judith Blum, die Reinigungskraft, kam vormittags vor der Mittagspause, wie üblich, in die Praxis. Sie war für die Sauberkeit zuständig, aber auch für das Kaffeekochen und Mittagessen zubereiten für die Kollegen, einschließlich sich. Die Mittagspause fand meistens zusammen statt.

Der Arbeitstag ging gefühlt nie zu Ende. Seine Gedanke waren zu abgelenkt, um sich intensiv um seine Patienten zu kümmern. Er machte wie immer Notizen zu jedem seiner Patienten während der Sitzung, jedoch fielen die Gespräche diesmal eher kurz aus.

Feierabend. Endlich. Markus ging auf dem direkten Wege nach Hause. Der vorgenommene Fahrradkauf wurde verschoben. Er fühlte sich beobachtet, ohne dass ihn jemand direkt ansah. Das mulmige Gefühl war wieder da.

Was will er von mir? Was will sie von mir?

Zu Hause angekommen, ging Markus direkt in die Küche, um sich einen starken Kaffee zuzubereiten. Der Geruch von frisch gemahlenen Bohnen lag in der Luft.

Er saß sich auf das Sofa und öffnete erneut die Galerie des gefundenen Handys. Bild für Bild schaute er sich aufs genauste an, doch auf keinem der Bilder konnte man erkennen, wer die Fotos aufgenommen hatte – kein Spiegelbild in einem Schaufenster, kein offensichtlicher Schatten, keine Details.

Ein Handy von Unbekannt.

Am nächsten Tag trank Markus seinen Kaffee nicht wie gewohnt auf seinem Balkon, sondern auf dem Sofa in seinem Wohnzimmer. Die Tasse schwarzen Kaffee stellte er auf den Couchtisch.

Ein kurzer Piepton erklang.

Er schaute auf sein Handy, nichts. Kein Anruf, keine SMS. Auch auf seinem Tablett war nichts erschienen. Dann stand er auf und ging an seine Arbeitstasche, in der er am Vorabend das gefundene Handy rein getan hatte.

Heute mal keinen Morgenkaffee auf dem Balkon?“, erschien auf dem Display. Noch bevor Markus nach der Absendernummer schauen konnte, war die Nachricht weg. Das Postfach des Handys war leer. Er rannte auf den Balkon, doch nichts erschien ihm ungewöhnlich. Es liefen ein paar Menschen mit ihren Hunden spazieren. Auf der anderen Straßenseite sah man drei Jugendliche gehen, doch keiner der Jungs hatte zu dem Zeitpunkt ein Handy in der Hand.

Während der Busfahrt zu seiner Praxis beschloss Markus, nach Feierabend mit dem Handy zur Polizei zu gehen, doch das Vorhaben änderte sich schlagartig, als er diesmal sein Büro betrat.

Auf seinem Computerbildschirm hing ein Zettel: „Lernt man das Berühren junger, labiler Mädchen während dem Studium? Oder ist das nur ein „Extra“ deiner Therapiesitzungen?“

Markus schloss die Türe seines Büros und sah auf der Rückseite der Türe Fotos von seiner Wohnung.

Erneut ertönte der Piepton. Er schaute auf das Handy und las folgenden Text: Stell dich der Polizei. Sonst übernehme ich das!

Frau Metz! Sagen Sie bitte alle Sitzungen für heute ab.“, rief er ihr zu. Sie sagte alle Termine für den Tag ab, ohne ihn zu fragen, was los war. Anhand seiner Stimme und Art des Rufens wusste sie, dass etwas nicht stimmte.

Während seine Angestellten ihre Arbeit wie üblich nachgingen, sperrte Markus sich in seinem Büro ein. Er zerriss den Zettel und die Fotos.

Was zur Hölle willst du von mir?

Zu Beginn der Mittagspause schickte er seine Angestellten in den Feierabend und ging selbst nach Hause. Zu Hause fühlte er sich nicht sicher, aber im Büro noch weniger.

Markus fiel es schwer, nur einen klaren Gedanken zu fassen. Vor lauter Angst, Wut und Unsicherheit vergaß er zu Essen an diesem Tag.

Bis zum Abend erschienen immer wieder Nachrichten auf dem Handy, die nach kurzer Zeit automatisch verschwanden.

Geh zur Polizei!“

Bereust du es?“

Wie fühlt es sich an, unbeholfen zu sein?“

Markus schmiss das Handy gegen die Wohnzimmerwand und betrachtete es keine Sekunde mehr.

Die Nacht war unruhig. Sehr unruhig.

Am nächsten Morgen wusste er noch nicht einmal, ob er überhaupt geschlafen hatte. Markus wollte sich nicht unterkriegen lassen und beschloss seinen Arbeitsalltag wie gewöhnlich fortzufahren. Diesmal nahm er aber einen Bus später. „Nicht mit mir“, dachte er sich, während er aus seiner Routine entkam:„Du magst Spielchen? Das kann ich auch.“

Beim Betreten seiner Praxis entschuldigte er sich bei Frau Metz für sein Verhalten vom Vortag. Er schob es auf einen schlechten Tag. „Guten Morgen Judith, Sie sind heute aber früh dran.“, begrüßte er seine Reinigungskraft. „Guten Morgen Herr Gemming. Ich habe heute Nachmittag einen wichtigen Termin. Ich wollte sie gestern fragen, ob es in Ordnung wäre, wenn ich heute meine Schicht etwas vorschiebe, aber Sie gingen gestern ja früher nach Hause und deshalb…“ „Kein Problem“, unterbrach er sie. „Gestern war kein guter Tag, da können Sie nichts dafür. Das ist in Ordnung.“

Gestern war kein guter Tag? Glaubst du wirklich, dass der heutige besser wird?

Sein Büro war wie er es verlassen hatte. Keine neuen Fotos oder Nachrichten. Der Morgen verlief bisher normal. Keine seltsamen Ereignisse. Keine Drohungen. Kein Handy.

Seit seinem aggressiven Handywurf, funktionierte das Handy nicht mehr. Das Display war zersprungen und der Bildschirm schwarz.

Markus startete wie gewöhnlich mit seiner ersten Therapiesitzung.

Während der zweiten Therapiesitzung stürmte plötzlich die Polizei in seine Praxis. Einer der Polizisten verhaftete ihn, da er versucht hatte sich zu wehren. Sie zerrten ihn zu zweit Richtung Polizeiwagen. In Höhe des Flures, schaute er Frau Metz an. Ihre Augen waren weit aufgerissen, ihr Mund stand offen. Sie war überrascht und entsetzt zu gleich. Dann wich sein Blick zu Judith ab, die sich ebenfalls hinter dem Empfangstresen befand, da sie gerade den Papierkorb leeren wollte. Sein Blick war leer. Judith zwinkerte ihm zu.

Als Judith ein junges Mädchen war, war sie ein Patientin von Markus Gemming. Mit gerade einmal 13 Jahren besuchte sie wöchentlich die Praxis, um ihre Therapiesitzungen wahrzunehmen. Judiths Eltern starben bei einem Autounfall, als sie 12 Jahre alt war. Seitdem wohnte sie bei ihrer Tante. Durch den tragischen Verlust, entwickelte sich bei dem jungen Mädchen eine Angststörung. Sie hatte panische Angst, dass ihrer Tante etwas zustoßen oder krank werden könnte. Sobald diese kurze Zeit nicht telefonisch erreichbar war oder sie nur kurz die Wohnung verließ, hatte Judith Panikattacken. Schweißausbrüche. Übelkeit. Magenschmerzen. Zittern. Todesangst. Die Angststörung wurde immer schlimmer, sodass ihre Tante beschloss, sie zu einem Arzt zu bringen. Nach einem Gespräch überwies er sie zu einem Psychotherapeuten, die Praxis von Markus Gemmingen.

Pubertät. Trauer. Angst. Das junge Mädchen war mit der ganzen Situation überfordert. Es dauerte Wochen, bis sie sich Markus öffnen konnte. Für ihn war es keine Seltenheit, oft sahen die Patienten gar keine Probleme an oder in sich. Doch genau dafür war er da – um diese herauszufinden und zu therapieren.

Sie fand ihn nett, bis er eines Tages die Situation ausnutze. Die Gespräche wurden intimer. Seine Blicke intensiver. Eine Berührung am Nacken war nur der Anfang. Er streichelte über ihren Oberschenkel, weiter bis in den Schritt. Judith nahm eine ablehnende Haltung ein, doch selbst ein „nein“ ließ ihn kalt. Sex gab es keinen, doch mit jeder Sitzung wurden seine Berührungen intimer. Aus Angst und Scham hat sie nie ein Wort über den Missbrauch verloren. Sie ließ sich nichts anmerken und ging weiterhin zu den Sitzungen, um keinen Verdacht zu schöpfen, dass etwas nicht stimmte.

Markus nutze das psychisch labile Mädchen aus. Statt seiner Patientin zu helfen, traumatisierte er sie zusätzlich.

Obwohl der Missbrauch schon Jahre her war, litt Judith noch immer darunter. Sie konnte das Erlebte nie verarbeiten. Bis heute traute sie keinem Therapeuten mehr. Nicht einmal ihrer besten Freundin hatte sie sich anvertraut.

Durch Sport und neuen Hobbys konnte sie sich ablenken und die Gedanken verdrängen. Bis vor eineinhalb Jahren, als sie beim Joggen ein junges Mädchen in Markus’ Praxis hineingehen sah. Das schüchterne Mädchen erinnerte sie an sich selbst. Innerhalb einer Sekunde, sah sie sich selbst auf der Therapieliege sitzen und vor ihr Markus. Das war der Moment, indem Judith beschloss, ihn dafür büßen zu lassen und zwar auf eine grauenvolle Art und Weise. Der Gang zur Polizei wäre sowieso zu spät und Beweise gab es keine.

Markus, jetzt du an der Reihe.

Judith hatte sich auf die Stelle als Reinigungskraft beworben und erhalten. Sie hatte keine Befürchtung, von Markus erkannt zu werden, denn bereits damals, nach der letzten Sitzung bei ihm, färbte sie sich die Haare von blond zu einem rötlichen Braunton. Mittlerweile trug sie eine Brille und ihr Kleiderstil hat sich über die Jahre ebenso verändert. Die größte Aufgabe war, stark zu bleiben. Zu schauspielern. Denn Markus durfte keinen Verdacht schöpfen.

Die Nervosität konnte sie nach außen hin verstecken, doch im inneren hätte sie losschreien können.

Der erste Schritt war gemacht. Tag für Tag beobachtete sie ihn und studierte seinen Tagesablauf. Sie wusste genau, wann er sich eine neue Tasse Kaffee holte, dass sein Fenster im Büro immer zu Beginn der Mittagspause geöffnet wurde und wann er sich bei Frau Metz über neue Termine oder Patienten erkundigte.

Ihren Job machte Judith hervorragend.

Eines Tages kaufte sie ein Prepaidhandy mit Touchdisplay. Die Kameraauflösung mit Zoomfunktion machte ihr Vorhaben perfekt. Judith begann Markus auf dem nach Hause weg unbemerkt zu folgen und zu fotografieren. Nicht täglich, aber immer in verschiedenen Situationen und Orten: beim Wocheneinkauf. Auf dem Weg zur oder von der Arbeit. Auf seinem Balkon.

Ihr bester Freund, hat es sogar einmal unbemerkt in die Wohnung geschafft, als er sich für einen Heizungsableser ausgab. Judith rief im richtigen Moment Markus mit unterdrückter Nummer auf seinem Festnetztelefon an. Sie legte direkt wieder auf, aber dieser Moment genügte, um Fotos von einem Teil seiner Wohnung zu machen.

Die Festnetznummer hatte sie ganz klassisch aus einem Telefonbuch.

Ihr bester Freund wusste nicht, wozu er Fotos von dieser Wohnung machen sollte. Er hatte Judith nie direkt gefragt, aber als er merkte wie wichtig ihr es war, tat er ihr diesen gefallen.

Markus ahnte davon nichts.

Die Fotos aus seiner Wohnung befanden sich nicht auf dem platziertem Handy.

Judith ließ sich nichts anmerken, sie freundete sich mit den anderen Kollegen an und war stets pünktlich und freundlich.

Sie war ursprünglich auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz zur Fotografin, doch bis jetzt erhielt sie nur Absagen. Somit war der Job bei Markus zum Überbrücken in zweierlei Hinsicht ideal. Rache und Einkommen.

Zeitlich war es optimal, da ihr freiwilliges soziales Jahr vor kurzem zu Ende ging.

Es war wohl Schicksal.

Markus, glaubst du an das Schicksal?

Wie sich während den Befragungen der Polizei herausstellte, war Judith nicht das einzige Opfer, seiner „speziellen Therapiemethoden“ gewesen. Über die Jahre gab es noch drei weitere Fälle, in denen junge, labile und ängstliche Mädchen missbraucht wurden. Sie hatten sich nie dazu geäußert, weil Markus ihnen drohte, sie in geschlossenen Anstalten einzuweisen. Für immer. Die Mädchen hatte Angst und glaubten ihm, obwohl dies gar nicht so einfach möglich gewesen wäre.

Er nutzte die unwissenden Mädchen aus. Kein Zeichen von Reue. Keine Entschuldigung.

Markus wurde in der Schule gemobbt. Während der Schulzeit galt er als Streber. Sein Übergewicht, von dem heute nichts mehr zu sehen war, gab den Mitschülern noch zusätzlich einen Grund ihn auszulachen. In seiner Pubertät hatte er mit Akne zu kämpfen. Dies machte seine Opferrolle nicht besser, im Gegenteil. Das Mobbing wurde immer schlimmer. Markus kehrte immer mehr in sich.

Seine Mutter bekam davon nicht viel mit. Sie war mit Maniküre, Kaffeeklatsch und Theaterbesuchen so beschäftigt, dass sie kaum noch Zeit für ihren Sohn hatte.

Nachdem sie neu geheiratet hatte, führte sie endlich ihr langersehntes „rich life“, wie es in den sozialen Medien hieß. Ihr neuer Mann, Markus’ Stiefvater war ein wohlhabender Unternehmer, der seiner Frau keine Wünsche offen ließ.

Sein leiblicher Vater verstarb, als Markus erst 9 Jahre alt war. Geschwister hatte er keine. Finanziell hat es ihm an nichts gefehlt, doch die Liebe, kann man sich nun mal nicht erkaufen.

Er hatte nur einen richtigen Freund, der aber nach der 10. Klasse aufhörte, weil er sich für eine Ausbildung entschied. Anfangs konnte der Kontakt noch erhalten bleiben, aber beide lebten sich auseinander. Die Interessen änderten sich. Er hatte eine Freundin und zog nach seiner Ausbildung mit ihr in eine andere Stadt.

Die letzten drei Jahre des Gymnasiums waren erträglicher. Das heranreifende Alter,der anspruchsvolle Unterricht und Prüfungen, haben das Mobbing fast vergessen lassen. Fast. Das war wohl mitunter der Grund, warum er sich für diesen Beruf entschieden hat. Er war sehr ehrgeizig.

Zum 3. Semester zog er ins Studentenheim, obwohl seine Mutter und sein Stiefvater ihm eine eigene Wohnung bezahlen wollten. Das Angebot lehnte er ab. Markus wollte nicht, aufgrund des Vermögens seiner Eltern, beurteilt und vielleicht wieder gemobbt werden.

Viele Freunde hatte er während der Studien- und Ausbildungszeit nicht. Zu beschäftigt war er mit dem Ziel, so früh wie möglich seine eigene Praxis zu eröffnen. Was ihm auch gelang.

Ein Psychotherapeut mit eigenen psychischen Problemen. Ein Widerspruch in sich, doch er wurde nie verraten. Bis zu diesem Tage.

Judith wusste nicht, dass es weitere Missbrauchsfälle gab. Somit hatte sie sich nicht nur für sich gerächt, sondern auch für die anderen Opfer.

Denn Rache ist bekanntlich süß.

– Ende –

 

 

von Sarah Z.

 

 

3 thoughts on “Der Psychotherapeut

  1. Coole Story! Das Lesen hat wirklich Spaß gemacht, da du die Spannung wirklich von Anfang bis Ende aufrecht erhalten hast. Mir persönlich hat dieses zusammenfassende Schreiben am Ende nicht ganz so zugesagt. Mir hätte es besser gefallen, hättest du diese News noch mit in die Story verpackt. Dein Schreibstil gefällt mir sehr gut! Dran bleiben, du hast wirklich Talent!:)
    Lg Lia

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