Manuel RepkewitzDer Spiegel zum Ich

 

’’Die Krankheiten befallen uns nicht aus heiterem Himmel, sondern entwickeln sich aus den täglichen kleinen Sünden wider der Natur. Wenn diese sich gehäuft haben, brechen sie scheinbar auf einmal hervor’’ Hippokrates

Herr Sturm?’’, rief es erwartungsvoll ins Telefon, während Michael Tobias Sturm, seines Zeichens Psychotherapeut, gedankenverloren vor seinem Computer saß und eigentlich nach einem freien Termin Ausschau halten wollte. Doch wie so oft in letzter Zeit, verlor er den Faden auf halben Weg. Er schlug sich mit Flacher Hand mehrmals gegen seine, mit Schweißperlen übersäte Stirn, in der Hoffnung, so kommt er wieder in die richtige Spur. „Wie sieht es denn jetzt mit einem Termin aus Herr Sturm?’’Äh ja, ich hätte einen, sprach er. Gleich morgen 9 Uhr’’. Die neue Patientin bedankte sich. Ihre Stimme klang erleichtert, dachte sich der angesehene Therapeut. Angesehen, dass ist ein starkes Wort für jemanden, der auf seinem Bürotisch, neben seinem Computer, eine fast leere Flasche Whisky stehen hat. „Heute morgen war sie noch voll’’, sprach er in Gedanken vor sich hin. Er trank sich die Tage schön. Bei dem Gedanken musste er immer lachen. Schließlich wurde dadurch nicht ein Tag schöner. Erträglicher? Nicht wirklich. Aber er wurde vergesslicher. Und er musste so vieles vergessen. Er trank noch einen großen Schluck aus seiner Flasche und räumte seinen Tisch auf. ,,Ich brauch dringend eine Sekretärin’’ , sprach er los. Dabei hatte er früher eine. Sabine. Eine hübsche, junge Frau, Mitte 20. Sie war sehr fleißig und stand ihm zur Seite. Selbst dann noch, als er mit dem Trinken anfing. Aber seine Launen ließ er an ihr aus. Er wurde grob. Erst in Worten, dann sogar handgreiflich. Er hatte ihr Tausend Euro gezahlt. Schmerzensgeld nannte er es. Schweigegeld war es wohl eher. Und so lies er sie gehen. Wenn er ehrlich ist, dann lies sie ihn leben. Er hätte seine Approbation verlieren und sein Ansehen verlieren können. Keiner Hätte ihn noch anerkannt, sein Leben lang. Aber welches Leben hatte er seitdem. Jeden morgen kroch er aus seinem Bett und schleppte sich so zur Dusche. Vorausgesetzt er übernachtete nicht in einer Kneipe oder bei seinem Kumpel. Bernd war der einzige Freund, den er noch hatte. Wegen ihm wusste er zumindest noch wer er war und wer er ist. Wie oft hatte Michael weinend und betrunken vor seiner Tür gestanden und er öffnete ihm stets die Tür, wissend, dass er wahrscheinlich nicht mal erfährt warum er überhaupt weinte. Sturm beschließ nach Hause zu gehen. Ihm wurde immer wieder bewusst, wie sehr den Alkoholrausch schon gewohnt war. Denn er lief fast normal. Hier und da ein leichtes Schwanken, doch sonst war alles gut. Kurz vor seiner Wohnung lief Michael einem Fremden in die Arme, der scheinbar sofort mit Aggression reagierte und ihm, beim Fallen mit dem Ellenbogen ins Gesicht schlug. Am Boden liegend, verstand der Therapeut noch immer nicht, was hier passierte. Schließlich ist er doch nur versehentlich in ihn hineingelaufen. Ein fremder kam ihm zu Hilfe und konnte den wütenden Angreifer verjagen, in dem er mit der Polizei drohte. Nicht einmal sein Gesicht, hatte er erkannt. Eine tief nach unten gezogene Kapuze, versperrte die Sicht darauf. Nachdem er ihm beim Aufsetzten half, schlug er Hilfe aus. Sein einziger Trieb war der Drang in seine Wohnung, in seine Dusche zu gehen. Angekommen in der Wohnung, warf er seine Jacke auf den Esstisch. Noch beim Wurf, drehte er sich in Richtung Bad und hörte nur ein lautes poltern eines Gegenstandes, der auf den Tisch aufschlug. Schockiert drehte er sich um. Und sah ein Handy auf Kante des Tisches. Hastig griff er nach seiner Hosentasche und fühlte das dort sein Eigenes fest verstaut war. Aber wenn er sein Smartphone in seiner Tasche hatte, welches lag dann auf dem Tisch?

Michael näherte sich langsam dem Telefon. Zögernd und vorsichtig, als ob er Angst hatte, dass es es in den nächsten Sekunden, mit einem lauten Knall in die Luft fliegen würde und seine Wohnung gleich mit. Wo kam es her? Wer hatte es dort platziert? Ist es wirklich aus seiner Jacke gefallen oder hatte er sich den Knall nur ausgedacht? Schließlich, wäre es nicht das erste Mal, dass sich Michael etwas einbildete. Erst neulich, beim duschen, war es, als hätte ihn jemand beobachtet. Allmählich erschien es ihm als eine Art Suff Verfolgungswahn. Beim Aufnehmen des Handys bekam ihn ein ungutes Gefühl. Es war das gleiche Modell, wie das, dass er immer am Mann trug. Ein Gefühl von Neugier, gepaart mit einer Art Aufregung, breitete sich in ihm aus. Das Objekt ist Passwortgeschützt. Woher zum Teufel soll er das denn wissen, dachte er. Trotzdem wagte er zahlreiche Versuche, dass Passwort, zum Entsperren, des Handys herauszufinden. Einfache Zahlenkombinationen, sowie zufällig ausgewählte Wörter, die ihm nach und nach in den Sinn kamen, brachten keinen Erfolg. Michael war immer stolz auf sein berufliches Können, sich immer und zu jeder Zeit, in alle Situationen und Menschen hineinversetzen zu können. Stolz auf das Datum seiner ersten Patientin war er noch immer. Sie war so dankbar nach einer schier endlosen Suche endlich einen Therapeuten gefunden zu haben. Es war das erste mal das Sturmi, wie ihn sein Freund Bernd nannte, seine favorisierte Methode der Hypnose anwendete. Nach anfänglicher Nervosität seinerseits, merkte er dann schnell, dass seine Methode wirkte. Ihm eröffnete sich ein scheinbar unendliches Feld von Gedanken, Gefühlen und Erinnerungen seiner Patientin. In der 1-Jährigen Therapie war es für ihn fast schon einfach Ihre Probleme herauszufinden, anzusprechen und in den meisten Fällen auszulöschen. Es war ein unbeschreibliches Gefühl für ihn. Fast schon ein Gefühl von Macht. Ein unbändiges Gefühl von Kontrolle. Nicht nur über sich selbst, in der Therapie, sondern auch über die Gedanken und die Leben anderer Menschen. Ein Mensch…! Sich selbst noch als einen zu bezeichnen viel ihm schwer. In seinen Augen war er mehr als das. Sah sich selbst schon eher als gottgleich an. Außenstehende wären wahrscheinlich eher der Meinung, ihn als Tier zu sehen. Als Abschaum. Als Monster! Denn der Tag seiner ersten Patientin, war nicht nur der Tag seines Karrierebeginns, sondern auch der Tag , an dem er sich Stück für Stück veränderte. Mit jedem Mal und jedem Tag, an dem er diese Technik anwandte, begab er sich ein bisschen mehr auf einen Weg, an dem ich nicht mehr zurück konnte. Am Anfang begnügte er sich damit, auch für die Therapie nicht relevante Dinge über die Patienten herauszubekommen. Egal ob es geheime Phantasien waren, Verbrechen die, sie mal begingen oder einfache Daten, ja selbst Kontodaten wollte er herausbekommen. Nicht unbedingt, um das alles sofort zu benutzen. Oft einfach nur, um die große Macht zu spüren. Kontrolle zu haben. Über sich und Andere. Doch der Drang nach mehr wurde immer größer. Als Michael an das alles dachte, bekam ihn ein Anfall von Scham und Angst. Immer, wenn er so etwas  fühlte, griff er zur Flasche und auch heute war der Whisky nicht vor ihm sicher. Gerade heute, wo sich doch dieser Tag wieder jährte. Somit auch der eine Tag, an dem sich eine seine bisher schlimmste Tat wieder in sein Gedächtnis rief, Eine Erinnerung, die nicht mal der Alkohol unterdrücken konnte. Erst jetzt begriff er, dass die Tat und sein größter beruflicher Schritt, das selbe Datum hatten. Ein Datum, dass gleichzeitig der Entsperrcode des eigenen Handys ist. Der Code, den er mit zunehmender Angst auch in das Gefundene eingab, während sein Herz so schnell klopfte, als würde es jeden Moment zerspringen. Ein Gefühl, dass nur von dem Folgenden noch übertroffen wurde. Nämlich dem, als sein Herz für einen kurzen Moment aufhörte zu schlagen, während er den Code 28.03.15 eingab und sich das Telefon entsperrte.

Michael verlor kurz das Gefühl in seiner rechten Hand, in der er das Fundstück hielt und es viel auf den Boden.  Er konnte nicht glauben, dass es der selbe Code war. Sich selbst, hatte er immer dafür gelobt, dass er immer die richtigen Fragen, in seinen Therapiestunden stellte. Die Erste, die ihm in den Sinn kam lautete. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass zwei unterschiedliche Menschen, die sich nicht kennen den selben Code, als Sperrcode haben? Nicht wirklich hoch und doch möglich, sprach er leise, während er es aufhob. Doch völlig unmöglich ist, dass beide dasselbe Hintergrundbild haben. Zumindest dachte er das bis er sein eigenes Gesicht auf dem Telefon erkannte. Ein kurzes, aber auch wütendes „Was zur Hölle“ stieß er aus. Das muss ein Witz sein, dachte er. Nur ein Scherz, von einem, der es nicht besser weiß. Leider wurde ihm ziemlich schnell bewusst, dass das mit einem Scherz nicht viel zu tun haben konnte. Beim näheren Inspizieren bemerkte er, dass zusätzlich noch Dateien darauf waren. Ihm wurde schlecht, bei dem Gedanken, diese öffnen zu müssen. Klar war, dass er “sein Geschenk“ nicht einfach wieder in seine Jackentasche würde stecken können, wie auch immer es überhaupt dorthinein gekommen ist. Ein Schluck mehr aus der Pulle und er begann die erste Datei zu öffnen. Es war ein Foto von seinem Therapiezimmer. Seltsamerweise aufgenommen vom Patientensessel. Aber das war nicht das schockierende an diesem Bild, sondern die Tatsache, dass auch er auf dem Foto erkennbar war. Auf dem Sessel, auf dem er immer in der Therapie saß. Geradezu absurd, jemanden nicht beim fotografieren zu erwischen, während man auch noch davor sitzt. Die zweite Datei war ebenfalls ein Foto. Eines, von dem er wusste, dass so etwas nicht existieren konnte,  Es zeigte Michael, wie er eine Patientin, die offensichtlich unter Hypnose stand missbrauchte. Er wusste er hatte eine Überwachungskamera installiert. Früher mal dafür, dass er sich korrigieren konnte, sollte er Fehler gemacht haben, während der Therapie und um mit einzelnen Patienten die Gefühlsregungen, die während der Hypnose zu sehen, durchzugehen und zu besprechen. Bei einigen hat er das auch gemacht. Als er noch nicht so verkommen war, wie später im Verlauf der Jahre. Doch wie kam nun ein solcher Abschnitt, ein solches Bild, auf diesen fremden Gegenstand? Wie ist es möglich an solch ein Material heranzukommen. Schließlich brauchte man dafür Zugriff auf seinen Computer in seinem Praxis-Büro oder auf den hier in seinen eigenen vier Wänden. Wer immer das geschafft hat, hätte damit auch zur Polizei gehen können, aber tat dies nicht. Nur warum nicht? Er war klar zu sehen und auch die Patientin. Es handelte sich um Pia Meyer, die gerade ihr Vorgespräch hatte. Sie war gerade 18 geworden, als sie seine Patientin wurde. Sie kam ursprünglich mit schweren Depressionen zu ihm. Hatte traumatische Erlebnisse in der Kindheit und im jugendlichen Alter, wurde gemobbt und war unglaublich einsam und von ihm auch noch mehr bestraft. Er hatte sie, als schlimmstes Opfer auserkoren. Aber schon bevor sie überhaupt zur Tür hineinkam. Er wachte zu der Zeit schon mit dem Gefühl auf heute keinen seiner Gedanken zügeln zu können und wusste, dass er dem nachgeben würde. Michael brach in seinen Mülleimer, der neben ihm stand. Zu viel schreckliches hatte er ihr angetan und einen Teil davon jetzt zu sehen, brachte alles wieder zum Vorschein. Aus dem Drang sich das nicht mehr ansehen zu können, tippte er auf die nächste Datei. Auf dieser war ein Video zu sehen. Es zeigte erneut Pia. In einem Raum, was wie ein Jugendzimmer aussah. Poster an der Wand, ein bisschen rebellisch und trotzdem auch ein bisschen depressiv und melancholisch. Ein Abbild ihrer Seele, wenn man es so zu sagen vermochte. In dem Video sitzt sie scheinbar vor dem Computer, denn es zeigt sie direkt vor der Kamera. Verzweifelt und weinend sitzt sie auf einem Stuhl. Offensichtlich aus Holz, wie die dunkelbraunen Lehnen bewiesen. Sie sagt augenscheinlich etwas, aber man versteht nichts, da der Ton scheinbar auf der Datei fehlt. Plötzlich erscheint auf dem Bild eine Schrift. „ERINNERST DU DICH“ ist dort zu lesen, mit roter Schrift. Der Therapeut erinnerte sich nicht. Sei es durch den Alkoholkonsum der letzten Jahre oder durch den schock über das, was gerade in dem Video passierte, denn während die Schrift gerade erlosch, begann Pia sich selbst zu verletzten. Wie in Trance, aber auch exzessiv schnitt sie sich die Arme, bis diese Blutüberströmt waren. Dann brach der Film ab. Tränen der Verzweiflung flossen über seine Wangen hinweg. Auf der Suche nach einer vollen Flasche seines Getränks, ging er zu seinem Kühlschrank. Ein kurzer Ton mit vibrieren, zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Der Hauch von Hoffnung, es würde sich um sein eigenes Telefon handeln, verflüchtigte sich sehr schnell. Beim herantreten an das Objekt seiner größer werdenden Angst, sah er schnell, dass eine Nachricht darauf erschien. Diese öffnete sich nach einem kurzem tippen auf den Hinweis. Zu sehen ein Text in Großbuchstaben. Der Wortlaut: “ICH WEISS WAS DU GETAN HAST“. Völlig verstört von dem Text, den er sah, bekam Michael das leichte Knarren in seiner Wohnung gar nicht mit. Nicht mehr Herr seiner Sinne und schon gar nicht mehr seiner feinmotorischen Fähigkeiten, schaffte er es nicht mal mehr zu trinken, ohne sich die Hälfte über sich drüber zu kippen. Der plötzlich auftretende Klingelton vor ihm, zog aber dennoch seine volle Aufmerksamkeit auf sich. Ein eingehender Videoanruf lies ihn am ganzen Leib zittern. Was würde er darauf erkennen? Den Peiniger etwa, dem er diese Tortur zu verdanken hatte? Oder etwa eine weitere Grausamkeit aus der, trotz allem, noch jungen Vergangenheit?! Er wusste, dass es nur einen einzigen Weg gibt, dies herauszufinden und so nahm er den Anruf an. Zusehen war ein Mann auf einer Couch mit einer Flasche in der Hand. Man konnte sonst nicht viel erkennen außer, dass dieser ein Handy in der Hand hielt. Eines wie DIESES. Als er das sah, verflüchtigte sich für einen kurzen Moment sein Rauschzustand. Vielleicht war es auch nur der natürliche Schutzinstinkt, jedenfalls wollte er sich gerade umdrehen. Doch beim ersten Zucken spürte er nur noch einen harten Schlag auf seinem Hinterkopf und alles wurde Schwarz. Dröhnende Kopfschmerzen, waren das Erste das Michael merkte, als er langsam aus seiner Ohnmacht erwachte. Gefolgt von dem Geruch von Blut und Alkohol. Einige Minuten vergingen, bis es ihm gelang seine Augen zu öffnen und den leicht milchig verschwommenen Film zu überwinden und die bittere Wahrheit zu erkennen. Er war nach wie vor in seiner eigenen Wohnung,  aber gefesselt. Vor ihm ein Laptop neben ihm ein Fernseher. Er selbst? Gefesselt und augenscheinlich auf einem Sessel, der hier nicht hingehörte. Es war sein Therapiesessel. Wer konnte all das hier veranstaltet haben? Wer hatte die Möglichkeit, ein Handy in seiner Jackentasche zu verstauen, sich zutritt zu dieser Wohnung zu verschaffen? Er wusste es nicht. Es bereitete ihm noch größere Schmerzen es zu versuchen, sich daran zu erinnern, was eigentlich gestern geschehen ist. Der einzige der ihm einfiel, der diese Möglichkeit gehabt hätte, wäre dieser Kerl gewesen, mit dem er später zusammenstieß. Kurz bevor er in seiner Wohnung ging. Wer war er? Michael war sich fast sicher ihn nie zuvor gesehen zu haben. Oder war es genau dass, das ihn zum Verdächtigen machte? In seiner Straße sieht man immer nur die selben Leute. Er war an diesem Abend der einzige, der nicht dazugehörte. Einer, der trotz trockenem Wetters, mit Kapuze umherläuft. Etwa 1,75m groß und ein graziler Gang. Doch wo lag das Motiv? Michael lachte, bei diesem Gedanken. Hätte er laut gedacht, hätte man denken können er sei Detektiv. Holmes oder Poirot, dachte er. Vielleicht eine Mischung aus beiden. Die Leichtigkeit eines Poirot, hatte er vielleicht. Und den Drogenkonsum eines Holmes hatte er schon lange. Auch wenn seine Droge der Alkohol war. Bei diesem Gedanken verspürte er auch wieder das Verlangen danach. Seine Gedanken wurden je unterbrochen, als der Fernsehbildschirm nicht mehr das Rauschen zeigte, dass man bei jedem leeren Sender vorfand, sondern wieder den Schriftzug zeigte, den er, wie er sich erinnerte, vorher schon einmal gesehen hatte.  ICH WEISS WAS DU GETAN HAST! Wer bist du? Schrie er in den Raum hinein und windete sich, in der Hoffnung er könnte damit die vielen Seile lösen, die ihn an den Sessel kettete. WER BIST DU? Das stand plötzlich auf dem flackernden Bildschirm. „Wer soll ich schon sein?, rief er. Ich bin Michael Sturm. Ich bin Psychotherapeut und dieser beschissene Sessel ist aus meiner Praxis. „Ich weiss, dass du dieser Idiot bist, mit dem ich zusammengestoßen bin, gestern, vor meiner Wohnung. Kein Grund diesen Scheiß hier abzuziehen. Ich glaube nicht, dass ich dir irgendetwas getan habe. Komm zur Vernunft und lass mich endlich frei. Dann werde ich auch nicht zur Polizei gehen.“ WER BIST DU? „Das habe ich dir doch gerade schon gesagt. Ich weiss nicht, was du wissen willst. Ich weiss nicht, was verdammt nochmal du von mir hören willst?!“ DU BIST KEIN THERAPEUT. Michael wusste nicht, was dieser Fremde von ihm wollte und schon gar nicht, was dieser letzte Satz heißen soll. Natürlich war er Therapeut und habe dafür studiert. Mit 28 war er fertig und hatte eine lange Zeit in einer psychiatrischen Klinik gearbeitet, die vor allem für ihre hervorragende Tagesklinik bekannt ist. Und, als Beweis, hatte er ja immer noch seine Zulassung. „Ich habe eine Approbation. Eine Zulassung, falls du nicht weißt was das ist. Ich bin Therapeut und gut darin. Mach mich los und ich zeig dir die Wahrheit“. DU HAST 2 STUNDEN. Und plötzlich lief ein Timer auf dem Laptop herunterzulaufen. Michael begann nun mit immer heftiger werdenden Bewegungen, sich irgendwie aus dieser misslichen Lage zu befreien. Es musste doch einen Weg die Seile loszuwerden. Er sah, die leere Whisky-Flasche am Tisch und sah darin die einzige Möglichkeit, sich irgendwie da herauszuwinden. Mit ruckartigen Bewegungen, rutschte er Stück für Stück in Richtung Tisch, links von ihm. Schweißperlen zierten seine Stirn. Doch mit unbändiger Kraft, gelang es ihm, zum Tisch zu kommen. Doch angekommen, kam er nun zum nächsten Problem. Er musste es irgendwie schaffen eine Scherbe aus der Flasche zu bekommen und das, obwohl er immer noch gefesselt ist. Seine einzige Chance, so wusste er, würde sein, die Flasche in den Mund zu nehmen und auf die Tischkante zu schlagen. Und er durfte die Flasche nicht aus seinem loslassen. Koste es, was es wolle. Mit einem lauten Knall, schaffte er es seinen Plan in die Tat umzusetzen. Mit leichten Schnitten im Gesicht hielt die Flasche zwischen seinen Zähnen und Michael beugte sich jetzt soweit wie möglich nach vorn. Mit leichten Bewegungen schnitt er ungeduldig, aber konzentriert die Seile seines linken Arms durch. Als dieser frei war, war es ein leichtes aus seinen Fesseln zu kommen. Der Therapeut hatte für sich einen Entschluss gefasst. Er würde diesem Verbrecher zuvor kommen. Würde ihn schnappen, bevor er von einem Geisteskranken umgebracht wird oder was auch immer in diesen weniger als 2 Stunden passieren sollte. Mit einem Schal im Gesicht und einem Messer in der Jackentasche verlies er seine Wohnung. Sein Ziel war klar, er würde sich auf die Lauer legen. Irgendwann musste dieser Typ wiederkommen. Und wenn es soweit war, dann würde er da sein und wenn er es aus ihm herausprügeln musste. Und es verging nicht viel Zeit bis es soweit war. Eine Person ging aus der angekommenen Straßenbahn über die Straße, in Richtung Michaels Wohnung. Man konnte nichts über diese Person sagen. Vielleicht 1,75m groß, dunkle Jacke, Kapuze über dem Kopf, keine Tasche, weite Hose und sportliche Schuhe. Michael schlich der Person hinterher. Anfangs noch mit einigen Metern Abstand, kam er der Person näher. Doch es kam ihm nicht so vor, dass er schneller ging, viel mehr war es so, dass diese Gestalt vor ihm immer langsamer zu gehen vermochte. Nur noch wenige Schritte trennten die beiden. Innerlich zählte er runter. Drei, Zwei, Eins und dann packte er die Gestalt an beiden Schultern und dreht sie herum, als er es plötzlich in seinem Gesicht brennen spürte. Es war eindeutig Pfefferspray, dass er gerade ins Gesicht bekam. Doch diesmal, würde er sich nicht wieder überrumpeln lassen und packte noch fester zu und viel mit der Person zu Boden. Diese wehrte sich spürbar mit ganzer Kraft, doch Michael hatte mehr, Die Tortur würde hier und jetzt enden. Zu viele Ereignisse aus der Vergangenheit wurden aufgedeckt und ihm immer und immer wieder vorgespielt, nur um ihn zu quälen. Doch jetzt war er derjenige der agierte und nicht reagierte. All das soll heute enden. Er würde morgen früh wieder zur Arbeit gehen und ganz normal seiner Arbeit nachgehen. Allmählich hörten seine Augen auf zu brennen und er konnte langsam erkennen, was genau sich hier abspielte. Und er wünschte, er hätte nie gesehen, was hier vorging. Denn unter ihm lag nicht, wie vermutet, ein Mann, sondern eine Frau, die Pia Meyer wie aus dem Gesicht geschnitten war. Was soll das? Du bist tot. Du existierst nicht! Das schreien von Michael hörte man wahrscheinlich in der gesamten Nachbarschaft. Im Affekt fing er an die Frau zu würgen. Die Schreie der Frau wurden langsam leiser. Ein lautes Hey, scheinbar aus eines der Fenster in dem anliegenden Wohnblock, brachte ihn zur Besinnung. Er lies ab und merkte schockiert, dass er sich nur eingebildet hatte, dass diese Frau Pia ähnelte. Es war eine ihm völlig unbekannte Frau. Aber sie trägt die gleichen Sachen, wie sie damals. War es das, dass ihn bei der Begegnung vor seiner Wohnung störte. Fremd erschien.. Wer bist du? Warum hast du mir dieses Handy gegeben und was willst du von mir? Die Frau schwieg erst. Dann Sagt sie, dass sie ihm kein Handy gegeben habe und sie nicht wüsste, wer irgendetwas von ihm wollte. Er solle sie jetzt bitte in Ruhe lassen und sie gehen lassen, sie würde ihn auch nicht verraten. Aber sie müssen es getan haben. Sie sind die einzige Person, die es gewesen sein könnte. Michael wurde aufgeschreckt. Sirenen dröhnten in seinem Ohr. Er musste weg. Schnell rannte er die Straße entlang und wollte eigentlich in seine Wohnung, doch er konnte jetzt nicht aufgeben. Deshalb war sein nächstes Ziel seine Praxis. Irgendjemand musste dort Spuren hinterlassen haben. Es werden immer welche hinterlassen, dachte er. Nach einem Kilometer, sprang er in eine ankommende Straßenbahn und fuhr 4 Stationen. Angekommen beim Friedrich-Ebert Platz stieg er aus. Noch immer saß der Schreck noch tief in ihm. Er hätte fast eine Frau getötet. Vielleicht war es genau das, was der Unbekannte wollte. Ein Mord, den er mit seinen eigenen Händen beging. Kurz vor dem Haus, in dem seine Therapieräume lagen, dachte Michael über die ganze Sache nach. Bis zur Begegnung mit dieser Frau war völlig klar, dass es sich um einen männlichen Unbekannten handeln müsse. Wer sonst hätte ihn in den Sessel setzen können? Wer hätte die Kraft gehabt einen der schweren, grauen Therapiesessel in seine Wohnung, in den 5. Stock zu tragen? Für eine Frau sicher schwierig, aber nicht unmöglich. Nicht auszuschließen war, dass es auch mehrere Täter gab. Die Haustür des Gebäudes war offen. Das war sie immer. Selbst jetzt um 23:20 konnte man noch einfach ins Haus marschieren. Wenige Menschen lebten hier. Fast alles hier drin waren Arztpraxen. Michael ging hinauf in den ersten Stock und den Flur nach hinten. Angekommen bei seiner Praxis, holte er den Schlüssel aus seiner Tasche und öffnete die Tür. Zumindest wollte er das, aber er wollte einfach nicht ins Schloss passen. Hab ich den Falschen? In seiner Tasche kramend, tastete er nach einem anderen Schlüssel. Aber bis auf seinen Haustürschlüssel war da nichts mehr. Sein Praxisschlüssel passte nicht. In ihm stieg nun die Wut hoch und seine Reaktion darauf war, wild auf die Tür einzuschlagen. Sein verzweifelter Blick viel auf das Praxisschild und die dort angebrachte Klingel. Was dort zu lesen war, brachte ihn um das letzte bisschen verblieben Verstand. Praxis Dipl. Psych. Schuhler. Das kann nicht sein. Verdammt nochmal das ist nicht möglich. Die Worte ausgesprochen, wusste er tatsächlich nicht mehr, was hier gespielt wurde. Zugegeben Michael trank viel, aber ich hatte das doch alles nicht geträumt. Er war doch Therapeut und genau hier war seine Praxis. Oder war er das gar nicht? So langsam begann er an allem zu zweifeln. An allem was er erlebt hat und an allem, was er war. Wer war er? Wer bist du? Wie mit mit Hammer und Meißel, wurde ihm diese Frage wieder in den Kopf graviert. All das erlebte, konnte er sich doch nicht ausgedacht haben. Aber wenn er sich das ausgedacht hätte, woher stammten dann die Erinnerungen und die ihm gezeigten Videos? Andererseits, konnte er selbstverständlich die Hypnose und die Psychologie erlernt haben. Vielleicht hatte er keine Praxis. Keine echte vielleicht. Hatte er nur so getan, als ob er es geschafft hätte? Nein, ich darf nicht daran zweifeln und nicht an mir zweifeln. Bei einem Blick auf seine Uhr wurde ihm Bewusst, dass die Zeit bald abgelaufen war. Egal, was zu diesem Zeitpunkt passierte, es konnte nicht angenehmer sein, als alles, das ohnehin schon geschehen war. 23:32. In 28 Minuten würde er erfahren, was noch passierte. STERBEN! Das begriff er mittlerweile, als das kleinste Übel. Wenn er ehrlich war, war seine exzessive Trunkenheit, sein immer wiederkehrender Drogenkonsum sowieso darauf ausgelegt ihn Schritt für Schritt in den Tod zu treiben. Er hatte sich scheinbar schon vor einer ganzen Weile für die qualvolle Variante des Sterbens entschieden. Anders waren die letzten Monate nicht zu erklären. Doch er wollte nicht durch die Hand eines Anderen verschwinden. Doch was würden jetzt die nächsten Schritte sein? Wohin könnte er gehen? Ein Unterschlupf hatte jetzt die höchste Priorität. Nach Hause konnte er jetzt nicht zurück. Es waren jetzt nur noch gute 20 Minuten.15 brauchte er mit der Straßenbahn bis nach Hause. Mit einem Taxi würde es vielleicht schneller gehen. Ein Blick in seine Brieftasche sagte ihm aber, dass er keine Bargeld dafür hatte. Und Zeit für einen Besuch bei der Bank hatte er keinen. Beim schießen seines Geldbeutels viel ein Terminzettel heraus. Diese waren scheinbar längst vergangen. 2 Jahre schon. Aber es war nur ein einzelner Zettel. Kein Name, keine Anschrift, keine Firma. Nichts. Nur Datum und Uhrzeit. Die hämmernden Kopfschmerzen wurden immer heftiger. Konzentration zu halten, glich nunmehr schon einem Hochleistungssport. Hilflosigkeit. Das war das Gefühl, dass er spürte, als in ihm der Entschluss reifte, den einzigen Menschen aufzusuchen, dem er in diesem Moment noch vertrauen konnte. Noch 14 Minuten. Michael trat auf die Straße. Rennen war das einzige, dass ihm jetzt noch was brachte. Mit der Straßenbahn und U-Bahn würde er es nicht rechtzeitig schaffen. Hätte er ein Auto, dann würde er nur 9 Minuten brauchen. Aber so, würde er in normaler Geschwindigkeit 27 Minuten brauchen. Er wusste es genau, weil er den Weg schon öfter gegangen war. Nach 2 Kilometern schaute er entsetzt auf die Uhr und stoppte abrupt ab. 0:00 Uhr. Und auf die Sekunde genau bekam er wieder eine Nachricht mit Anhang. Mit großer Angst öffnete er diesen und schaute ihn an. Es handelte sich um eine weitere Videoaufnahme. Es zeigte 2 Kameraperspektiven. Zum einen wieder das Zimmer von Pia Meyer. Zum anderen einen Flur. Zwei geschlossene Türen wäre darauf zu sehen. Pia saß wieder vor ihrem Computer. Wieder hörte man nichts. Bis auf.. ein Taktmesser. Eines, dass auch Michael so oft in seiner Therapie, in der Hypnosetherapie benutzte. Dann geschah etwas auf dem Video. Man konnte sehen, wie Pia, in eine Art Trance verfall. Sie ging zu ihrem Bett, das gerade noch zu sehen war und zog unter diesem ein großes Messer mit scharfer Klinge hervor. Fast schon wie ein Geist schlich sie aus der Tür und landete in dem Flur, der auf der anderen Kamera zu sehen war. Sie ging zur anderen Tür und wollte sie gerade öffnen, als sie mit ihrer Bewegung stoppte und zu zittern anfing. Pia drehte sich um und starrte einfach für eine Minute regungslos nach vorn. Dann nahm sie das Messer und erstach sich selbst.

Michael konnte kaum hinsehen. Er hatte das fast schon verdrängt, aber nach und nach kamen Erinnerungsfetzen hoch. Die Polizei war damals aufgrund dessen, dass Pia Patientin bei ihm war, bei ihm und wollte etwas über die Hintergründe der Therapie herausfinden. Auf Nachfrage der Mutter, Nathalie, hatte er auch volle Akteneinsicht gewährt. Die Beamten und die Mutter fanden Akten über ein sehr verzweifeltes Mädchen, dass in Trauer und Schmerz ertrank. Natürlich war auch Selbstmord da ein Thema. Doch die Beamten hatten Zweifel. Sehr brutal war dieser vonstatten gegangen. Zu brutal. Doch die Polizei fanden keine Hinweise auf irgendwelche Drohungen, die sie zu dieser Tat bewogen hat. Eigenartigerweise fanden die Beamten damals auch keine Daten auf der Kamera im Flur. Jetzt war der Beweis hier auf diesem fremden Handy, dass er in der Hand hielt. Mit Fingerabdrücken von sich selbst darauf. Natürlich konnte er nicht zur Polizei. Weil er dieses verdammte Handy besaß. Und natürlich auch, weil er jetzt wusste, dass er es war, der damals mit am Bildschirm von Pias Computer zu sehen war. Er hatte sie damals in Hypnose versetzt, mit einfachen Worten, die er ihr damals, in vorherigen Therapiesitzungen eingepflanzt hatte. Und er befahl ihr damals etwas, an das er mit diesem Video erinnert wurde. Er befahl ihr, ihre Mutter zu töten. Und ganz offensichtlich war ihr unterbewusst sein doch so stark, dass sie sich im letzten Moment dagegen sträuben konnte. Scheinbar war der Drang zu töten aber so präsent, dass Pia sich dann selbst umbrachte.

Tragisch war auch, dass sich Nathalie einen Tag später, selbst das Leben nahm.

Bei den nun folgenden Bilder die ihm über das Handy geschickt wurden, hat Michael sich dann auch nur noch halbherzig angeschaut. Das Erste zeigte sein Bankkonto, dass nun leergeräumt war. Das Zweite seine Wohnung, die nun wieder wie vorher aussah. Kein Sessel, keine Seile, keinen Monitor. Alles war wieder wie vorher. Das Einzige, dass sich Michael in diesem Moment noch selbst abgewinnen konnte, war ein verzweifeltes Lachen. Er verlangsamte seinen Gang und führte sein Weg jetzt außerplanmäßig zu den U-Bahnen. Erstarrt und nicht wissend, was er jetzt tun sollte stand er da. Das Handy, den Gegenstand der Folter, immer noch in der Hand. Der pfeifende, quietschende Ton der ankommenden U-Bahn, wirkte für ihn schon fast, wie eine Einladung. Ihm war klar, dass keine Zukunft mehr bestand. Welcher Mensch würde ihm seine Geschichte glauben. Hatte er überhaupt eine Geschichte? Denn ganz offensichtlich, war er ein Peiniger und ein Mörder. Aber das erste Mal in seinem Leben zeigte er Reue. Die Bahn kam an und ein kurzes Zucken, in Richtung Bahngleis, wurde dann doch noch von großen Zweifeln eingeholt. Feigling! Das war alles, wofür er sich noch hielt. Er wollte sich bei jemanden entschuldigen. Egal bei wem. Fast schon die Erlaubnis zum  Sterben holen, sollte auch ihm nichts einfallen. Diese Person seines Vertrauens, war stark, intelligent und hatte, damals erwähnt, früher bei der Polizei gearbeitet zu haben. Als Kommissar, wie ihm gerade einfiel. Und so ging er doch noch zu seinem besten Freund.

Nürnberg ist zu dieser Uhrzeit sehr ruhig. Ihm gefiel es sehr. Dieser Kontrast von Tag und Nacht. Von Hektik und Ruhe. Fast schon friedlich. Michael erkannte die Ironie, in diesen Gedankengängen, denn friedlich, war sein Leben schon lange nicht mehr. Das schlimme war, dass er bei allem Leid, welches er Pia zugefügt hatte, immer ein Stück Normalität empfand. Keine Angst oder Reue. Nichts in ihm, widerstrebte dagegen, während seiner “Therapiestunden“. Doch damit war ein für allemal Schluss. Auch ein weiterer Ton, aus dem fremden Telefon, konnte dem Therapeuten nicht davon abbringen weiterzugehen und bei der einzigen Person vorstellig zu werden, der er jetzt noch vertrauen konnte. Ein weiteres Bild. Diesmal war aber nicht Pia zu sehen, sondern ein Stuhl. Aus Holz, mit dunkelbraunen Lehnen. Darauf ein Messer. Halt! Es war sogar genau das Messer, mit dem sich sein Opfer umbrachte. Darunter die Nachricht “WER BIST DU? WAS BIST DU? BIST DU BEREIT ZU STERBEN? Diese Fragen. Wer bist du..? Wie oft sollte er die Frage noch beantworten?! Und was war an seiner Antwort nicht richtig? Gab es überhaupt eine Richtige? Würde er nicht so oder so durch die Hand seines Peinigers sterben, ganz egal, was er behauptete zu sein? Nicht, wenn ich es verhindern kann? Das letzte bisschen Trotz, durchströmte ihn, wie ein letztes aufkeimendes Feuer, das sich in ihm ausbreitete. Oder Peinigerin? Je mehr Zeit, zwischen diesem Ereignis verging, desto größer wurde in der Gedanke, dass diese Frau, die er gestellt hatte, nicht zufällig da war. Denn es gibt keine Zufälle! Ein berühmter Satz, in der Psychotherapie. Alles hatte einen Grund. Man tut nichts zufällig, sagt nichts zufällig, denkt nichts zufällig und man träumt sogar nicht mal zufällig irgendetwas. Alles hat einen bestimmten Grund. Einen Auslöser. Wie groß, war die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Menschen, die sich nicht kennen, die selbe Kleidung tragen? Genau das, hatte er sich in dem Moment gedacht. Möglich sicher. Aber die Personen, waren gleich groß und hatten auch dasselbe Gangbild. Und die gleiche Nase. Nicht selten, staunte er selbst, über seine Beobachtungsgabe. Diese Fähigkeit, hatten sogar manche Detektive nicht, obwohl es deren Job ist. Und der Job eines Therapeuten geht schließlich noch weiter. Ein Blick, ein runzeln der Stirn, ein zucken mit dem Bein. Das alles sind für einen guten Therapeuten schon genug Hinweise, um eine Person zu analysieren. Für einige Patienten fühlt sich das an, wie ein Zaubertrick. Letztendlich ist es, aber nur eine Form von Schlussfolgern. Eben genau, dass, was Detektive eben so machen. Wenn all, dass vorbei ist und ich hier lebendig herauskomme, werde ich mit Bernd eine Detektei eröffnen. Ein Therapeut und ein Ex Polizist. Eine perfekte Mischung. Dabei viel ihm auf, dass sein Freund und seine Wenigkeit sich nie näher darüber unterhielten, was er eigentlich jetzt genau macht, Seine beiläufige Antwort “ Er mache jetzt was mit Menschen“ hatte ihm damals ausgereicht. Was soziales eben. Vielleicht könnte er auch da mit einsteigen. Sein eigener Sarkasmus kotzte ihn an. Er würde gar nichts machen können, wenn all das vorbei ist. Entweder wäre er tot oder im Knast. Doch in diesem Augenblick, wurde Michael schmerzlich bewusst, dass, die Wahrheit alles kaputt machen könnte. Bisher war die Fantasie so stark, dass alles wieder normal wird. Nur, dachte er da noch nicht an die Tatsache, dass er ihm auch von seinem Verbrechen würde erzählen müssen. Und welcher Mensch würde dann noch etwas mit ihm zutun haben wollen. Sicher, Bernd wusste die schlimmsten Eigenheiten an ihm zu schätzen, doch hier redete man von indirektem Mord. Und von Missbrauch. Natürlich auch von Anstiftung zum Mord. Vielleicht noch vieles mehr. Da kam dann auch der schlechte Nebeneffekt von Bernds früherer Polizei-Tätigkeit zum tragen. Doch auch, wenn er sofort die Polizei rufen wolle, würde Michael es akzeptieren. Aber er würde ihn trotzdem darum bitten, ihm bei der Suche, nach der Person zu helfen, die das Kartenhaus, dass über Jahre aufgebaut wurde, in den letzten Stunden zum Einsturz gebracht hatte.

Was ist los? Bernd erkannte gleich, wenn etwas an seinem Freund nicht stimmte. Die Körperhaltung Sturmi’s war eingefallen, Schnitte zierten sein leidgeprüftes und immer noch Angsterfülltes Gesicht. Ganz zu schweigen, von den Augenringen. Wirklich geschlafen hatte er ja schon lange nicht mehr. Kann ich erstmal reinkommen? Es..es ist wichtig, fragte Michael kleinlaut. Tut mir leid. Selbstverständlich. Komm rein. Michael bemerkte, dass es sein Kumpel immer noch nicht geschafft hat, sein Klingelschild richtig anzubringen. Aber auch er war eben einfach unverbesserlich. Nimm doch Platz. Willst du was trinken? Immer die erste Frage, wenn Michael ins Wohnzimmer kam. Bernd versuchte ihn zu testen. Heute hätte ich es mehr als nötig, glaub mir, so seine Antwort. Das hast du immer. Seit Jahren. Und ich hab dir schon hundert mal gesagt, du sollst mit dem Mist aufhören. Das behindert das Denken. Oder ist dir dein Job schon so egal, dass du das nicht mehr als wichtig bezeichnest? Und wie immer traf ihn sein Freund mitten ins Mark. Natürlich hatte er recht. Aber er steckte schon zu tief drin. Nein danke, ich trinke nichts, anders als die letzten Jahre. Ein kurzes Nicken seines Freundes zeigte ihm, dass er mit der Antwort zufrieden war. Also.. was ist los? Du bist ja wahrscheinlich nicht einfach so hierher gekommen. So wie du aussiehst, hast du mindestens eine harte Nacht hinter dir? Michael zögerte einen Moment. Zweifel überkamen ihn wieder. Doch es platze alles aus ihm heraus. Die ganze Geschichte. Kein Detail hat er ausgelassen. Und er hoffte auf so etwas, wie Verständnis. Doch war ihm natürlich bewusst, dass er dafür keines bekommen würde. Immer wieder ging sein Blick einfach ins Leere oder einfach in der Wohnung umher. Scham war dass, das er empfand, wenn er in die Augen seines Freundes blicken musste. Nicht einmal Trauer, sah er darin. Es war mehr purer Zorn, vielleicht sogar Hass. Ich weiß, dass es zu viel verlangt ist, aber ich brauche deine Hilfe. Ich muss diese Person finden, die mir gerade mein Leben zerstört hat. Michael ahnte, damit auf wenig Gegenliebe zu stoßen. Dein Leben zerstört?, sagte Bernd. Hast du dich mal vielleicht gefragt, wessen Leben du zerstört hast? Sturmi merkte, dass es keine gute Idee war die Wahrheit zu sagen. Er ahnte, dass es schlimm werden würde. Doch der Hass auf ihn, war deutlich spürbar, sodass er immer weiter mit seinem Oberkörper zurückwich, in diesen Sessel. Grau, in den er immer tiefer einsenkte.  Hör zu, mir ist bewusst, dass ich Fehler gemacht habe. Ich bin bereit, es wieder gut zu machen, auch ohne die Person zu kennen, die dies hier aufgedeckt hat. Ich werde zur Polizei gehen, bevor alles noch schlimmer wird. Wer weiß sonst, wer die nächste Person sein wird. Michael stand mit einem Ruck auf. Wissend, dass er hier nicht mehr Willkommen ist. Plötzlich spürte er einen Schlag auf den Rücken und wurde, mit sehr viel Kraft, gegen die Bar gerammt. Du gehst nirgendwo hin, sagte Bernd und griff sich seinen Gegenüber und schlug ihn gegen den Türbogen auf dem Weg zum Flur. Was zum Teufel soll das? Wir sind Freunde, sagte er, während zu seinen Wunden auch noch eine gebrochene Nase hinzukam. Doch er sah nichts mehr von dem Bernd, den er kennengelernt hatte. Von dem Unterstützer seines Lebens. Von dem, der neu anfangen musste, nachdem er damals, von seiner damalige n Ehefrau betrogen und verlassen wurde. Doch er veränderte sich zunehmend. Michael ahnte, dass Bernds psychischer Zustand, zu der Zeit, wohl Grund für seinen Berufswechsel war. Allen erzählte er immer wieder, dass er gegangen ist, doch letztendlich war es wohl eher eine Entlassung. Michael schlug zurück, traf aber nur den Brustkorb. Den kurzen Moment, konnte Micha nutzen, um Richtung Tür zu rennen, als ihm auffiel, dass links neben ihm eine weitere Tür war und rechts daneben eine Treppe nach Oben. Panisch rannte er diese nach oben und ging links ins Schlafzimmer. Er schloss die Tür hinter sich und versuchte nach Gegenständen Ausschau zu halten. Nur eine Nachttischlampe viel ihm in die Hände. Damit könne er sich wenigstens kurz verteidigen. Schritte! Michael hörte, wie Bernd langsam nach oben lief. Sein Griff nach der Lampe wurde fester und er ging etwas in die Knie, bereit gleich auf seinen, was auch immer er war anzugreifen. Plötzlich machte sich eine unheimliche Stille breit. Nach kurzem warten, ging er Schritt für Schritt, in Richtung der Tür und lehnte sein rechtes Ohr sang daran. Der Schweiß floss ihm von der Sinn hinunter. Stille..Er musste jetzt einen Entschluss fassen. Wie lange würde er brauchen, bis nach unten? 30 vielleicht 40 Sekunden? Denken, war nicht mehr möglich. Eine Wahl hatte er nicht. Sich hier zu verschanzen würde nichts bringen. Also griff er vorsichtig nach dem Türknauf. Leise öffnete er die Tür und behielt die Lampe fest in der Hand. Kurz bevor sein Blick nach unten viel, schaute er geradeaus. Dort befand sich noch ein Zimmer. Es stand offen. Die Tür nicht vollständig geöffnet. Auf einem Schreibtisch befand sich ein Computer mit Kamera. Davor fehlte ein Stuhl. Poster waren an der Wand. Michael kannte das Zimmer. Allerdings von einer anderen Perspektive. Es war das Zimmer von Pia Meyer. Aber das konnte nicht sein. Was hatte Bernd damit zu tun? Sein vollständiger Name war doch Bernd Strohe. Und er hatte nie von einem Strohe gehört, in Verbindung mit dem Vorfall. Michaels Blick viel zum Fenster links von ihm, auf dem schmalen Flur zwischen den beiden Zimmern. Ein Sprung aus dem Fenster, würde er nicht überleben. Dafür war das Haus zu hoch. Dann hörte er ein nicht zu überhörendes Knacken. Geschockt schaute er zurück in Pias Zimmer, in dem der Computer zu Leuchten anfing. Darauf zu sehen, Bernds Gesicht. Er redete mit monotoner Stimme. HYPNOSE! Genau das war es, dass er da sah. Und in dem Moment drehte sich sein Gegner um die Tür. mit einem Messer in der Hand. Eben dem Messer, mit dem sich das Mädchen umgebracht hat. Was geht hier vor? Was hast du getan?, sagte Michael und zweifelte nun selbst an sich und an dem, was er sah und hörte. Was hier vorgeht fragst du dich? Dabei kennst du doch die Antwort. Dir ist doch hoffentlich bewusst, dass wir nicht mehr beide existieren können. Schließlich warst du es, der mich die ganze Zeit davon abhalten wollte. Weil dir nicht bewusst ist wie es ist, ständig dieses Hämmern im Kopf. Diesen Zweikampf mit sich selbst. Du weißt es doch selbst, damals hat Eva uns betrogen und das auch noch mit unserem Besten Freund. Klingelts? Nein? Dann helfe ich dir doch auf die Sprünge. Sag mir, wie hieß denn unser bester Freund? Michael wusste nicht, was hier passierte. Er fühlte sich, als ob er jeden Moment platzte. Als ob die Wände auf ihn einschlugen. Dann kam es ihm. Micha. Er schlug sich mit seiner Flachen linken Hand zwei mal gegen den Kopf, bevor er die Verzweiflung förmlich in seinen Adern spürte. Genau, Micha. So hieß er. Und kommt es dir jetzt langsam? Dieser miese Dreckskerl, hat uns alles genommen und dann lief es nicht mehr. Der Job war weg. Die Frau. Das Haus. Und dann kam eine neue Frau. Nathalie. Reich und wunderschön. Sie hat ihr Tochter mit in die Beziehung gebracht. Tolles Mädchen, doch wurde sie immer gemobbt und war einsam. Zeitlich haben wir uns, sagen wie mal “Selbstständig gemacht“. Denn wir haben ja schließlich zu unserem eigentlichen Beruf, noch Psychologie studiert. Und das kam uns jetzt entgegen. Wir haben uns erst ein paar Opfer ausgesucht. Um zu üben. Hypnose will schließlich gelernt sein. Das ging mehr oder weniger gut. Aber wir haben sogar ein paar Menschen geholfen. Später, als es uns immer leichter gefallen ist, haben wir angefangen Pia zu therapieren. Und dann haben wir gemacht, was wir machen mussten. Michael ballte die linke Hand zu einer Faust. Mussten? Was mussten wir tun?, sagt er. Ich wollte Macht. Endlich gab es niemanden mehr, der uns etwas wegnehmen konnte. Jetzt waren wir an der Reihe und natürlich ist es nur ein Zwischenschritt, um uns auch an Eva und ihrem Schoßhund zu rechen. Doch zugegeben, ein bisschen Geld ist auch von Nöten. Und deshalb musste Nathalie sterben. Und ab morgen, werden wir dann einfach weitermachen. In Michaels Kopf machten sich immer mehr Fragen breit. Was hatte er mit dem ganzen zu tun? War er doch nicht der, der Pia das angetan hat? Warum redet Bernd immer von Wir? Wir haben das nicht gemeinsam getan. Wer ist er? Und das die wichtigste Frage.. Wer bin ich? 

Sein Gegenüber lachte laut, als er diese Frage hörte. Du verstehst die Frage allmählich was? Nur zu spät. Ich werde ab hier ohne dich weitermachen. Tut mir wirklich leid. Aber ich brauch dich nicht mehr. Du warst mir nur nütze, um tatsächlich vorerst Leuten zu helfen. Aber da der Plan jetzt anders aussieht, bist du mir nur noch ein Klotz am Bein. Eine Last. Mit einer plötzlichen Bewegung, rannte Michael nach unten. Er musste hier raus. Musste diese Hölle hier verlassen. Doch Bernd holte ihn ein. Stieß ihn mit voller Kraft Inn den Raum am Fuße der Treppe und sah den fehlenden Stuhl aus dem Mädchenzimmer und viele Monitore. Bernd packte ihn von hinten am Hals und drückte das Messer direkt an den Rücken seines Opfers. Bist du jetzt drauf gekommen? WER BIST DU? Ich weiß es nicht, antwortete Michael. Als er in dem Moment die Spiegelung im Fenster sah, wurde es ihm bewusst. Ich bin Bernd. Ich bin wir. Dann rammte sein Peiniger ihm die Klinge in den Rücken. WAS BIST DU? Stand an den Wänden geschrieben. Bernd flüsterte…Nur noch eine Fantasie. 

1 Jahr später 

Bernd brachte sein neues Klingelschild, neben seiner neuen Wohnung an. Groß und geräumig. So wie er es mochte. Sein Umzug in das beschauliche, kleine Städtchen namens Greiz, im Osten Thüringens war ein voller Erfolg. Auf dem Schild stand Bernd Schuhler. Der Name, so gefälscht, wie sein neuer Ausweis und sein Aussehen, nach einer teuren OP. Nichts erinnerte mehr an ihn, von vor einem Jahr. Mit dem Auto fuhr er in seine neue Praxis am Gartenweg. Seine Einrichtung gemütlich. Sein Highlight seine grauen Sessel von IKEA, in die man sehr schön einsinken konnte. Ein wichtiger Faktor, bei seiner  Hypnosetherapie.

Seine neue Patientin wartete schon vor der Praxis. Hallo, wir können hineingehen, sagte er freundlich. Seine Patientin nahm in einen der Sessel Platz und wartete auf den Beginn der Therapie. So, sie sind wegen ihrer staken Depression hier, Frau Köster. Erzählen Sie mal, was glauben Sie sind die Gründe für Diese?

Während seine Patientin ihre Geschichte erzählte, starrte Bernd auf seinen Notizblock, auf dem er sich, die Eckpunkte der Gespräche aufschrieb.

Notiert hatte er sich nur eine Sache.

Eltern der Patientin:

Mutter: Eva Köster

Vater: Micha Köster

Erzählen sie doch etwas über Ihre Eltern….

 

geschrieben von Manuel Repkewitz

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