Janina LindenlaubDer Taxifahrer

 

Der Taxifahrer

 

 

 

Montag, 7.15 Uhr

 

 

 

Der Pferdeschwanz sitzt hoch und streng. Die junge Mutter und Ärztin, Katharina Swinthoff, führt ein aufregendes aber stressiges Leben. Sie arbeitet als erfolgreiche Ärztin in der Chirurgie im einzigen Krankenhaus der Stadt und sie liebt ihre Arbeit. »Hallo Schatz!«, kommt es von der Treppe. Daniel steht an der Treppe und wartet auf eine Antwort seiner Frau. Katharina aber geht zügig zum Kleiderschrank, um die kleine blaue Jacke und die roten Schuhe mit Klettverschluss für Jan zu holen. Jan sitzt auf seinem Stuhl in der Küche und isst sein Erdbeermarmeladebrot. Der kleine Kerl hat die klebrige Marmelade über sein Gesicht verschmiert. »Hast du meinen Ring gesehen?«, tönt es nun aus dem Wohnzimmer. Katharina lugt, immer noch mit Jans Jacke und seinen Schuhen in der Hand ins Wohnzimmer und antwortet ihrem ruhigem Ehemann: »Er liegt wahrscheinlich auf den Büchern von Jan. Auf dem Boden beim Sofa, neben dem Teppich«. Sie eilt in die Küche, um ihren kleinen Sohn für den Kindergarten bereit zu machen. »Oh nein! Auch das noch! Jan, Schatz, was hast du denn gemacht? Na toll und ich darf dich jetzt sauber machen. Stimmt´s?«, gibt die junge gestresste Mutter von sich. Ihr kleiner Sohn lacht daraufhin nur und fasst sich noch mit den verklebten Händen in die vor paar Minuten erst frisch frisierten Haare. In dem Moment kommt Daniel um die Ecke in die Küche und fragt lachend: »Ja, wer ist denn dieser kleine Klebrige Marmeladenkerl? Ist das mein Kumpel Jan?« Von Jan kommt nur ein kurzes Lachen und kurz darauf gibt sich das noch glückliche Ehepaar einen Kuss, dann ist Daniel auch schon zur Tür heraus. »Na komm, dann mach ich dich jetzt schnell noch sauber«! Leicht genervt und unter Druck gehen die beiden ins Badezimmer, um die klebrige Konsistenz von Jans Haaren und seinem Gesicht abzuwaschen.

 

Als sie endlich am Kindergarten angekommen sind, geht Jan sauber und fröhlich mit Löwenrucksack in seinen Gruppenraum „Die mutigen Kängurus“. »Bis später, mein Großer!«, ruft Katharina ihrem Sohn nach, aber Jan begrüßt schon seine Freunde und dreht sich nicht mehr zu seiner immer noch wartenden Mutter um. Katharina läuft wieder zum Auto zurück.

 

8 Uhr

 

Als sie am Auto ankommt, bemerkt sie, dass sie ihre Mappe mit Akten, den Laborwerten und den Blutbildern enthaltend, von einem Patienten, der gleich operiert wird, zu Hause vergessen hat. Sie hat eine der wichtigsten Sachen, die sie für die Arbeit braucht, zu Hause liegen lassen. Also setzt sie sich mit einem Seufzen auf den Fahrersitz ihres kleinen schwarzen Fords und fährt noch einmal heim.

 

Zu Hause angekommen, denkt sie nur an eins: Schnell die Mappe mit den Werten finden, schnappen und ab ins Krankenhaus. Sie läuft zum hellbraunen relativ neuen Esstisch und greift nach der Mappe, die offen auf dem sauberen und ordentlichen Tisch liegt. Kurz bevor sie den schwarzen Umschlag mit den wichtigen Werten greifen kann, hält sie inne und zieht ihre Hand zurück. »Was macht das Handy dort? Das ist nicht meins. Vielleicht ist es Daniels Handy, aber das kann nicht sein«, grübelt Katharina, die langsam zum Schichtdienst ins Krankenhaus muss. Katharina fasst trotzdem – um sicher zu gehen – in die Gesäßtasche ihrer blauen Jeans. Aber ihr Handy ist vorhanden. Daniel hat ein iPhone und hier liegt ein vollkommen anderes Handy. »Wie kommt das hier her?«, fragt sie leise.  Plötzlich leuchtet das Display auf und eine eingehende Nachricht ist zu sehen. Katharina nimmt das seltsame Mobiltelefon in die rechte Hand und schaut sich die Nachricht an. Es ist keine normale Nachricht, sondern es sind Emojis zu sehen.

 

Eine braunhaarige Frau (so wie sie), ein gelbes Taxi und ein Bündel Geld sind zu erkennen. Und zwei Sätze stehen darunter. »Ich weiß, was du getan hast. Und du wirst dafür bezahlen, ganz sicher!«

 

Als Katharina auffällt, was diese Nachricht bedeuet, bekommt sie große Augen und lässt das Handy vor Schreck los. Es fällt auf die Mappe, die immer noch auf dem Tisch liegt. Sie schaut sich kurz in dem Raum, in dem sie steht, um. Katharina schnappt sich ihre Mappe, setzt sich in ihr Auto und fährt zum Krankenhaus. Im Auto fragt sie sich, wie jemals jemand herausgefunden haben konnte, was sie damals tat. Die Emojis waren eindeutig – jemand, irgendjemand, hat erfahren, wie auch immer, was sie damals vor Jahren getan hat und möchte, dass sie heute, im Hier und Jetzt, dafür bezahlt.

 

16.55 Uhr

 

Nach einem langen Arbeitstag hält Katharina an dem Kindergartenparkplatz und läuft zu dem Eingang der Kindergartengruppe ihres Sohnes. »Entschuldigung, Frau Swinthoff. Aber ihr Sohn wurde heute Mittag schon von Ihrem Ehemann abgeholt!«, erklärt die Erzieherin, die sich bei Katharina als Nele Winge vorgestellt hatte. »Was? Wie bitte? Wieso das denn?«, fragt Katharina verwirrt und überrascht zur selben Zeit. Die junge Frau, sieht Katharina an, als würde sie gerade von der jungen Mutter angeschrien werden. Plötzlich vibriert Katharinas Handy und fängt an, einen Ton von sich zu geben, der sie auf einen eingehenden Anruf hinweist. Sie dreht sich von der Erzieherin weg und zieht ihr Mobiltelefon aus der Gesäßtasche, drückt auf Anruf annehmen und legt sich ihr Handy an ihr Ohr.

 

»Oh, Hallo Steffan!«, begrüßt Katharina den Anrufer. Es ist ihr netter und schon etwas älterer Nachbar.

 

»Hallo Katharina. Sag mal, ist Daniel zu Hause? Ich bräuchte ihn mal kurz. Mein Flimmerkasten funktioniert nicht.«                                                                                                                                                         »Meinst du deinen Computer?«                                                                                                                         »Ja genau! Das Teil ist irgendwie komisch.«                                                                                                            »Nein. Ich glaube, er ist nicht da.«                                                                                                                         »Naja. Nicht so schlimm. Dann richte dem kleinen süßen Jan liebe Grüße aus, ja?«                               »Ja, das mach ich«                                                                                                                                                                                  »Ach, warte kurz. Da fällt mir ein, Daniel und Jan habe ich eben noch bei euch gesehen. Sie sind gerade erst von irgendwo wiedergekommen.«                                                                                                           »Ja? Wieso denn so früh?«                                                                                                                                               »Ich habe keine Ahnung. Tut mir leid.«                                                                                                                         »Nicht schlimm. Bis später dann.«

 

Mit diesem Satz legt Katharina auf und läuft aus dem Kindergarten zu ihrem Auto und fragt sich, wieso die beiden so früh nach Hause gegangen sind.

 

 

 

17.15 Uhr

 

»Bitte sprechen Sie nach dem Ton«                                                                                                                         »Daniel, wo bist du? Und wieso hast du Jan heute so früh vom Kindergarten abgeholt? Ruf mich zurück!«, ruft sie leise und ängstlich in ihr Handy auf Daniels Mailbox. Als sie zu Hause ankam, ruft sie ein zweites Mal bei Daniel an. Aber er nimmt nicht ab. Kurz darauf läuft Katharina zügig zu ihrem Auto, um zu Daniels Büro zu fahren. Im Carport ist es dunkel, als sie sich in ihr Auto setzt und den Motor starten möchte. Katharina nimmt ein schleifendes Geräusch war. Sie steigt aus und bemerkt einen platten Reifen. »Das darf doch jetzt nicht ernsthaft wahr sein!«, flucht sie wütend und frustriert. Sie greift nach ihrem Handy, welches sich immer noch in ihrer Gesäßtasche befindet. Katharina ruft sich ein Taxi, um jetzt endlich in Daniels Büro zu kommen. Es ist nicht verwunderlich, dass Daniel, wenn er im Büro sein sollte, noch nicht zu Hause ist. Er arbeitet meistens lange. Manchmal sogar in die Nacht rein, er geht dann aber morgens später zur Arbeit.

 

19.30 Uhr

 

»Guten Abend!«, wird Katharina von dem freundlichen Taxifahrer begrüßt. »N´abend!«, antwortet sie genervt, während sie sich auf die Rückbank sinken lässt. »Mein Name ist Karl Bielte und wo darf ich Sie heute Abend hin mitnehmen?«                                                                                                                                                                               »Ähm, Kanalstraße 4, bitte.«, gibt Katharina ihm zu verstehen, aber ein bisschen freundlicher als eben. »Schlechten Tag gehabt?«                                                                                                                                       »Das kann man wohl so sagen. Das Familienleben ist anstrengend«, antwortet die junge unerfahrene Familienmutter. »Aber es lohnt sich doch. Kinder sind das Beste, was einem passieren kann, oder etwa nicht? Haben Sie Kinder?«                                                                                                                                                                    » Ja, ich habe einen Sohn. Jan, mein Ein und Alles. Es lief auch alles noch gut, bis mein Ehemann, Daniel mit ihm verschwunden ist.«                                                                                                                                                                     »Und jetzt suchen Sie die beiden, was?«                                                                                                                                »Ja, er hat unseren Sohn vom Kindergarten abgeholt und jetzt sind Sie weg. Sie sind wahrscheinlich bei seinen Eltern. Sie müssen wissen, mein Mann geht immer zu seinen Eltern, wenn er irgendwie frustriert oder traurig ist.«, erklärt Katharina dem Taxifahrer.                                                                                                                                   »Warum lassen Sie sich nicht dort hinfahren?«                                                                                                                   »Ich weiß nicht.«, sagt sie und dreht ihren Kopf nach rechts. Katharina schaut aus dem Fenster und versucht ein bisschen ruhiger zu werden.

 

20.10

 

Als der Wagen zum Stillstand kommt und Katharina dem Taxifahrer das Geld für die Fahrt übergibt, rennt sie schon fast in das große Bürogebäude. Da Daniels Büro im Erdgeschoss liegt, braucht sie nicht lange, um den Raum zu erreichen.

 

»Hallo? Daniel? Jan?« – Keine Antwort. Sie drückt die Türklinke herunter und läuft zu seinem Schreibtisch. Er ist komplett leer. Der Laptop, den er immer mit nach Hause bringt, ist weg. Nicht mal das Familienbild, das er immer auf dem weißen sauberen Schreibtisch stehen hatte, ist da. Katharina dreht sich um und schaut sich die Regale an. Leer. Komplett leer. Sie läuft durch den kleinen Raum und schaut kurz aus dem Fenster. Als sie beschließt, zu Daniels Eltern zu fahren, dreht sie sich noch einmal zu dem Schreibtisch und durchsucht die große und einzige Schublade. Katharina wird förmlich angesprungen von dem, was sie dort findet. Die Schublade ist leer. Vollkommen leer. Bis auf einen einzigen zerknüllten Zettel. Katharina zieht ihn heraus und faltet ihn auseinander, um zu sehen, was Daniel offensichtlich wütend gemacht hat. »Sie ist der Killer!«, steht auf dem Zerknülltem Zettel und ein Zeitungsbericht von 1990 liegt dabei. Der Artikel beschreibt den Vorfall in einer Scheune der Stadt. Damals wurde dort ein Kind ermordet, welches schon Wochen zuvor entführt worden war. Warum dieser arme Junge damals sterben musste, wurde nie geklärt. Doch nur 3 Personen wissen, warum das arme Kind starb. Der Mörder, der Vater des Kindes und sie, Katharina.  Katharinas Augen werden groß und noch in diesem Moment rennt sie mit dem Zettel in der Hand aus dem Gebäude. Draußen angekommen hält sie ein anderes fahrendes Taxi, als bei der Hinfahrt, an und gibt die Adresse ihrer Schwiegereltern an.

 

 

 

20.25 Uhr

 

Nach einer kurzen Fahrt hält das Taxi vor dem Hochhaus, in dem Helga und Jürgen Swinthoff, Daniels Eltern, leben. Katharina nimmt den Fahrstuhl und drückt auf Stockwerk 4. Oben angekommen läuft sie sofort zu Wohnungstür 4B. Sie klopft einmal leise und zweimal lauter. Als sie schwere Schritte hinter der Tür hört, atmet sie erleichtert auf. Daniel macht auf und bleibt wie angewurzelt im Türrahmen stehen. »Was machst du hier?«, fragt er sie kühl. Katharina hält den zerknüllten Zettel hoch und antwortet:» Ich wollte mit dir darüber reden. Bitte. Nur kurz. Ich vermisse dich«, gibt sie ihm teils fröhlich ihn zu sehen und teils sauer, dass er ohne ein Wort zu sagen abgehauen ist, zu verstehen. »Ich gebe dir 5 Minuten.« » Danke!«, sagt sie, während sich die Tür hinter den beiden schließt.

 

20.35 Uhr

 

»Geh jetzt.«                                                                                                                                       »Daniel, ich liebe dich!«, versucht Katharina noch zu sagen, als Daniel die Wohnungstür, der Wohnung 4B, zudrückt.

 

22 Uhr

 

Nach einer dritten langen Taxifahrt möchte Katharina nur noch in ihr Bett. Doch plötzlich sieht sie auf dem Esstisch ein helles Leuchten. »Bestimmt nur der Mond, der so hell durch das kleine Küchenfenster scheint.«, flüstert sie zu sich selbst, um sich zu beruhigen. Als sie nach dem Zähneputzen aus dem Schlafzimmerfenster schaut, bemerkt sie, dass heute Nacht Neumond ist und das flimmernde Leuchten unten am Esstisch definitiv etwas anderes sein muss.

 

 

 

Dienstag, 9 Uhr

 

Am nächsten Morgen, der gleichzeitig auch ihr freier Tag ist, geht Katharina sofort zu dem Tisch, um nachzusehen, was es mit dem seltsamen Leuchten auf sich hatte. Es kam tatsächlich wieder von dem neuen Handy. »Oh nein! Mist! Ich habe ganz vergessen, Daniel von dem Handy zu erzählen!«, flucht sie. Katharina nimmt das Mobiltelefon in die rechte Hand und bemerkt eine neue eingehende Nachricht. Es sind wieder Emojis, aber diesmal andere. Als Katharina klar wird, welche Symbole sich auf dem Handy bemerkbar gemacht haben, schreit sie kurz auf und rennt aus dem Esszimmer. Während sie panisch aus dem Haus rennt, schnappt sie sich ihre Tasche und eine Jacke. Draußen ruft sie sich ein Taxi. Als das Taxi ankommt, gibt sie die gleiche Adresse, wie gestern bei der zweiten Fahrt an. Die Adresse von ihren Schwiegereltern, Helga und Jürgen Swinthoff. Auf dem Handydisplay waren ein Messer, ein Sarg und ein Wohn-bzw. Hochhaus zu sehen.

 

10.30 Uhr

 

Als sie bei der Wohnung ihrer Schwiegereltern ankommt, schließt sie die Wohnung sofort auf. Sie hat den Schlüssel für Helga und Jürgen Swinthoffs Wohnung schon vor Jahren von Helga bekommen, falls es mal einen Notfall geben würde. Sie stürmt in die kalte Wohnung und läuft vom Eingangsbereich in das Wohnzimmer, dieses ist aber leer, außer den Möbeln, ist hier nicht das geringste. Danach lugt Katharina in die Küche, doch auch dort ist niemand. Danach geht sie schnurstracks in das Schlafzimmer des alten Ehepaars. Sie reißt die Tür auf und bleibt geschockt und wie angewurzelt im Türrahmen stehen, nachdem sie erkannt hat, was sie dort wirklich sieht. Die rote Flüssigkeit, die ganz frisch aussieht und bei der sich Katharina wünschen würde, es sei nur ein böser Traum, kommt von einem Menschen, bei dem sie sich gewünscht hätte, das was sie da gerade sieht, niemals zu sehen. Katharina tritt Schritt für Schritt nach vorne und fängt an zu weinen. Als sie sich umdreht, bemerkt sie Helga und Jürgen, die Arm in Arm auf dem weißen Sofa in der Ecke des Raumes sitzen – ermordet durch zahlreiche Messerstiche. Daniel liegt am Boden, ein Arm baumelt an dem kleinen Bett für Jan.  Auch er ist tot. Nur Jans Bett ist leer. Völlig leer. Wo ist er? Als Katharina gerade überlegt, wer diese Tat begangen haben könnte, kommt ihr ein Verdacht. »Das Gesicht kam mir doch bekannt vor!«, sagte sie leise ganz in Gedanken – der Taxifahrer.

 

»Woher konnte er wissen, dass ich zu Daniels Büro und nicht zu Helga und Jürgen fahre? Ich habe das nie erwähnt. Er hat mir den Rat gegeben, zu meinen Schwiegereltern zu fahren, aber ich hätte ja zu ihnen fahren können.  Ich habe niemals gesagt, dass ich nicht zu ihnen fahre«, sagt sie sicher. »Jan, Schatz, wo bist du? Komm raus. Wir müssen hier weg, zur Polizei!«, ruft Katharina nach ihrem kleinen Sohn. Da kommt plötzlich der Taxifahrer der ersten Fahrt von vergangener Nacht in das große Gästezimmer. Als Katharina sich umdreht, steht Karl Bielte vor ihr und lächelt sie an. Es ist kein besonders schönes Lächeln, eher gruselig und unheimlich. Er fordert sie auf, mit ihm mitzukommen und keine Tricks oder Ähnliches anzuwenden, wenn sie Jan lebendig wiedersehen möchte. Karl Bielte führt sie zu einem Taxi, in dem sie gestern Abend noch saß.

 

11 Uhr

 

Als das Taxi wieder zum Stehen kommt und der braunhaarige (und definitiv etwas ältere) Mann aussteigt, fällt Katharina erst auf, wo sie sind. Sie stehen vor jener Scheune.  »Es tut mir leid, was damals passiert ist,« versucht sie sich aus der Situation, in der sie sich gerade befindet, herauszukommen, vergebens.

 

Karl Bielte redet erst wieder mit ihr, nachdem sie die Scheune betreten haben und Katharina sie zum aller ersten Mal von innen sieht. Karl geht zu einem bestimmten Platz in der Scheune. Er steht genau dort, wo sein Sohn damals, sterben musste, weil Katharina Mist gebaut hatte. Es war ihre Schuld, warum der kleine Timo Bielte, hier in dieser hässlichen alten Scheune den Tod fand.                                                                                                                »Ja, ich war damals Kunde bei dir, wie du heute Kunde bei mir bist.«, sagt er ihr sauer. »Du hast dir damals Geld von mir genommen und heute musstest du dafür blechen. Er hat Timo einfach umgebracht, ohne ein einziges Mal an Gnade für meinen Kleinen zu denken. Er hat einfach geschossen. Und warum? Weil das Lösegeld für meinen kleinen Timo nicht gereicht hat. Du hast mich damals zu jener Scheune gefahren und ich meinen Koffer mit dem Geld in dem kleinen Taxi kurz unbeaufsichtigt ließ, ergab sich für dich die beste Gelegenheit deines Lebens. Besser hätte es für dich nicht laufen können. Und wieso hat das Geld nicht gereicht? Das wissen wir alle! Weil du, Katharina Swinthoff, dir 200.000 € aus dem Koffer mit dem Geld für den Kidnapper, dem Koffer mit 1.000.000 €, genommen hast. Du bist Schuld, dass mein kleiner Timo nicht mehr bei mir ist. All die Jahre habe ich damit verbracht, zu trauern und dich zu finden, dich und deine Familie. Du sollst genauso leiden wie ich mein Leben lang gelitten habe. Du hast damals Medizin studiert und hast dir mit dem Job als Taxifahrerin Geld für das Studium verdient, ist es nicht so?«, schreit er sie an. Katharina nickt.

 

»Du hast meinem Sohn damals die letzte Chance auf ein Leben genommen. Ich musste handeln. Also habe ich dich gesucht und schlussendlich gefunden. « Karl schreit sich die Seele aus dem Leib und hat dabei sogar ein paar Tränen in den Augen. Er kommt langsam auf sie zu mit einem Stein hinter seinem Rücken. Er steht kurz vor der Frau, die Angst ohne Ende hat. Dann holt er aus und ohne inne zu halten rast der Stein auf Katharinas Schläfe zu. Sie sackt zusammen und kippt um.

 

15 Uhr

 

Nach Stunden wacht Katharina auf und hat starke Kopfschmerzen und eine heftige Beule. Sie schaut sich vorsichtig um, aber Karl Bielte scheint nicht mehr in der Scheune zu sein. Katharina steht ganz langsam auf und dreht sich einmal im Kreis, als sie plötzlich ein Geräusch von draußen hört. Sie dreht sich zu der Tür und läuft langsam und sehr vorsichtig auf sie zu. Mit zitternden Händen öffnet sie die leichte Holztür und kann ihren Augen kaum trauen. Vor ihr auf dem weißen Kies steht Jan, ihr Sohn. Als sie sich beide in die Augen sehen, geht Katharina in die Hocke und streckt die Arme nach ihrem Sohn, aus. Dieser rennt überglücklich in die Arme seiner Mutter. Und beide wollen nur noch eins – sich nie wieder loslassen.

 

 

 

 

 

3 thoughts on “Der Taxifahrer

  1. Sehr schöne, gute, harte Story.
    Hat mir sehr gut gefallen. Man spürt, dass du dich sehr mit dem Thema beschäftigt hast.
    Dein Schreibstil ist sicher und souverän.
    Manchmal hat man jedoch das Gefühl, als hättest du sehr schnell geschrieben.
    Man fühlt deine eigene Begeisterung beim Schreiben. Das überträgt sich auf den Leser.
    Deshalb ist die Geschichte auch so spannend.
    Ich gebe dir den Tipp, eine Geschichte nach dem Schreiben IMMER noch mal gegenlesen zu lassen. Damit lassen sich überflüssige Fehler vermeiden.

    Also, mein Fazit: gute Geschichte, spannend und überraschend.
    Und mit Herzblut geschrieben.

    Liebe Grüße, Swen Artmann (Artsneurosia)

    Vielleicht hast du ja Lust und Zeit, dir auch mal meine Geschichte durchzulesen. Würde mich freuen. Sie heißt: “Die silberne Katze”.
    Vielen Dank und alles Gute.

  2. Hallo Janina,
    Dein Schreibstil gefällt mir. Auch diese kurzen knappen “Kapitel”.
    Generell mag ich es, wenn Kurzgeschichten eben auch kurz gehalten werden.
    Du scheinst Spaß am Schreiben zu haben, das merkt man.
    Weiter so.

    Ich würde mich freuen, wenn Du auch meine Geschichten lesen würdest. Bin gespannt, was Du dazu sagst:

    https://wirschreibenzuhause.de/geschichten/niemand
    https://wirschreibenzuhause.de/geschichten/maedchenmoerder

    Liebe Grüße
    Xanny

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