Melanie TagwercherDer Visionär

Der Visionär

Johannes Höfling denkt an diesen Tag sobald er die Augen aufschlägt. Wenn er seinen Kaffee macht, wenn er seinen Computer anschaltet, um zu arbeiten oder besser gesagt immer. Als Journalist für die Vorarlberger Zeitung hält sich der 1.70m große, schlanke Mann mit den breiten Schultern eher fern von anderen Menschen. Nicht weil er die Anwesenheit anderer Menschen nicht schätzen würde, sondern um sein Geheimnis zu wahren. Was hätten die Leute schließlich gesagt, wenn er ihnen vor zwölf Jahren mitgeteilt hätte, dass es kein Unfall war? Wie hätten die Menschen reagiert, wenn Johannes es ihnen gestanden hätte? Ich hatte den drang sie zu töten ich konnte nicht anders. Mit sie, meinte Johannes seine damalige große Liebe und beste Freundin Emilia Hems. Sie war damals in sein Dorf gezogen, direkt neben die Kirche. Für Johannes war es Liebe auf den ersten Blick. Die blonden Schulterlangen Haare das hell blaue Sommerkleid und ihr lächeln. All das hatte er bis heute nicht vergessen. 

Nach dem er seinen Artikel über den Mitarbeitermangel der Gastronomie beendet und seinem Boss geschickt hatte, nutzte er den sonnigen Tag, um seinen Garten wieder auf Vordermann zu bringen. Während Johannes in der Erde buddelte erinnerte er sich an ihren letzten gemeinsamen Tag.

Sie waren erst zwölf und gingen in den benachbarten Wald, um zu spielen. Als sie auf einer schönen Lichtung zum Stehen kamen, ließen sie sich auf einem umgefallenen Baum nieder. Das war seine Chance! Jetzt könnte er sie endlich Küssen! Emilia Hems.

Er wusste noch genau, wie aufgeregt er damals war.

Die Stimme seines nervigen Nachbars, riss ihn aus seinen Gedanken: „Hey Höfi! Was machst du da?“ 

„Wonach sieht es denn aus? Den Garten umgraben.“ Versuchte er so gelassen wie möglich zu sagen. 

„Na dann viel Glück noch weiterhin!“ Mit diesen Worten beendete sein Nachbar das Gespräch. Glücklicherweise.

Kaum machte sich Johannes wieder an die Arbeit begann dieses entsetzliche Kino erneut. Seine Erinnerungen liefen vor seinem geistigen Auge weiter wie ein Film.

Beim Versuch sie wirklich zu küssen, wich sie zurück. „Ach Johannes, ich mag dich auch, aber ich kann das nicht.“ Im Ersten Augenblick, akzeptierte er das. Doch sie war so schön, so zart und zerbrechlich. Und da kam ihm zum ersten Mal in seinem Leben dieser unumgängliche Gedanke. Er will ihr wehtun. Sie zum Bluten bringen. Er mochte die Farbe Rot. Mit etwas rot würde sie noch schöner sein. Seine Emilia.

Trotz den vielen stürmischen Gedanken konnte er sich ohne große Probleme körperlich in seinem Beet vorarbeiten. Er. War schon fast am Ende seines Gartens angelangt, welcher direkt an den Gehsteig drängte. Er fragte sich, wie lange die gerade gesetzten Pflanzen wohl bei diesen Wetterbedingungen brauchen würden, um zu wachsen. Doch diese winzige Frage wurde sogleich durch seine Erinnerung in den Schatten gestellt. 

Johannes konnte nicht anders. Sie beide kletterten auf ihren lieblingsbaum, wo sie sich gemeinsam immer die geheimsten Sachen verrieten. Es war einfach ihr gemeinsamer Platz. Die starke Eiche war bis oben hin sehr stabil. Johannes und Emilia kletterten immer über die dünnen Äste hinweg bis fast ganz hoch zur Spitze, zum letzten dicken Ast. Wenn der Baum blühte konnte man sie von unten gerade noch sehen.

Erinnerungen an den gemeinsamen Baum machten Johannes glücklich. Er stand auf und bewunderte seine Arbeit im Garten. Er freute sich auf eine Tasse Kaffee nachdem er aufgeräumt hatte. Johannes stemmte die Hände in die Hüfte und betrachtete den Verkehr und die Menschen, die selber in ihren Gärten saßen. Als sein Blick zu seinen Füßen schweifte, war er zunächst sehr verwundert und griff nicht nach dem Handy, welches noch ziemlich neu zu sein schien. Johannes blickte sich um, doch es war weit und breit kein Fußgänger zu sehen.

Er betrachtete das Rechteckige, dünne Kästchen, doch auch an der Hülle fand er keinen Hinweis darauf, wem es nun gehören könnte. Vielleicht würde er aus dem inneren des Handys mehr erfahren. Als Johannes es einschaltete, nahm er verwundert zur Kenntnis, dass es keine Sperre hatte. Er war ohne Probleme auf der Home-Seite des mobilen Telefons gelandet. Der Hintergrund war ein Standartmodell und lieferte ihm somit keine Infos. Johannes nahm es mit ins Haus während er sich einen Kaffee aus der Maschine lies, überlegte er was er nun machen könnte.

Als er genüsslich aus seiner Tasse trank, flogen seine Erinnerung wieder durch seinen Kopf.

Dort auf dem Baum. Es hätte so viel Schönes passieren können. Doch Emilia wollte einfach nicht. Es gab keinen anderen weg mehr. Die Stufe der erreichten Peinlichkeit zwischen Freunden war nun zu hoch. Er dachte an ihre letzten Worte: „weißt du, du bist wirklich mein bester Freund.“ und an dieses bezaubernde Lächeln, während sie diese Worte sprach. Zu schade aber auch dass Johannes sie vom Baum stoßen musste. Ihr lächelndes Gesicht verkrampfte sich während des Falls in eine von Angst umhüllte Grimasse, aber Johannes hatte sich keine Sorgen gemacht. Er wusste, dass dies nur wenige Sekunden dauern würde. 

Als er seine Schlimmsten Gedanken nun endlich geordnet hatte, widmete er sich erneut dem Smart Phone. Ihm kam der Geistesblitz, in die Fotos des Besitzers zu sehen, schließlich würden sich dort bestimmt einige Selfies befinden. Doch mit der Berührung des Touchscreens verbreitete sich ein Hauch von Angst in seinem gesamten Körper. Die Galerie war tatsächlich voll mit Bildern einer Person. Doch diese Person war Johannes. In Situationen, in denen er nie gedacht hätte, er würde fotografiert werden. Zum Beispiel, gerade vorhin. In seinem Garten. Selbst trotz diesem Ereignis konnte er sich nicht davon abhalten zuerst an Emilia zu denken.

Es war befriedigend von ihrem gemeinsamen Baum herunter zu klettern und sie zu sehen. Endlich hatte sie geblutet. Seine schöne Emilia. Und trotz der erhaltenen Befriedigung, fühlte er sich plötzlich schrecklich. Ihm schossen Tränen in die Augen. Er rannte panisch zurück zum Dorf und erzählte allen von dem Schrecklichen Unfall, welcher sich gerade ereignet hatte. Der Sturz aus dieser Höhe war nicht zu überleben.

Unbewusst ging er während seiner Gedanken – Ausflüge die gesamte Galerie des Mobile Telefons durch. Es waren nur Bilder von Johannes zu sehen keine anderen. Bilder, die immer wieder während seinem Alltag entstanden, ohne dass er es wusste. Das erste war etwa zwei Jahre alt, was Johannes eine Gänsehaut bereitete. Er wurde nun also seit zwei Jahren regelmäßig gestalkt und hatte nie etwas davon mitbekommen. Bis zu jenem Zeitpunkt.

Im nächsten Moment ertönte ein für ihn widerliches Geräusch. Seine Türklingel. Er mochte keinen Besuch. Gott sei Dank, bekam er diesen auch fast nie. Als er durch seinen Spion guckte, erkannte er einen blonden Mann mit etwa Schulterlangen Haaren. Er war ziemlich klein und schien verunsichert. Johannes öffnete die Tür und fragte so höflich als nur möglich, wie er diesem jungen Herrn denn helfen könne. Dieser fing zu stottern an: „Ehhmm, ich war vorhin jog…joggen und da habe ich mein Handy verloren i…ich glaube es s…sollte ungefähr hier vor Ihrem Haus aus meiner Ta…Tasche gerutscht sein.“ Dieses Stottern kam Johannes irgendwie bekannt vor, doch er konnte sich nicht erinnern einen Menschen gekannt zu haben oder einen zu kennen der einen Sprachfehler aufwies. Eine Sache steht allerdings fest. Er war der Besitzer des Handys mit den Fotos.

„Ja, ich habe ein Handy gefunden. Wenn das allerdings wirklich Ihres sein soll, sollten Sie mir mal erklären, wieso sich darauf so viele Bilder von mir befinden.“, sagte Johannes mit scharfem Ton.

„Naja, also…“ der Fremde wirkte unsicher und blickte zu Boden. Doch dies änderte sich rasch, denn in der nächsten Sekunde hatte er eine Pistole in der Hand und zwang Johannes den Rückwärtsgang in sein Haus anzutreten. Er hatte keine Angst, doch es war wohl besser keine Aufmerksamkeit auf der Straße zu erregen. Als beide nun die Türschwelle übertreten haben, schlug der bewaffnete Mann die Tür hinter ihnen zu und begann zu schreien. Erstaunlicherweise war das Stottern verschwunden. „Wieso? Du ekelhafter Hund fragst mich, wieso? Ich sag dir wieso! Ich habe Jahre auf diesen Tag gewartet, Jahre lang, habe ich dich beobachtet und bei deinem nächsten Fehler hätte ich dich gestürzt!“ er lief weiterhin auf Johannes zu, bis dieser Rückwärts stolperte und nun hilflos am Boden saß. Er hatte keine Ahnung, was der Fremde meinen könnte. Doch dann, wurde seine Stimme ruhig. „Heute, dank meinem Fehler mit dem Handy, darf ich endlich Rache ausüben für den Tag vor zwölf Jahren als du Widerling, meine Schwester getötet hast!“ die letzten Worte schrie er wieder aus vollem Hals, während er mit der Pistole in der Hand herumfuchtelte.

Johannes wirkte sichtlich verwirrt. Er musterte den Mann und plötzlich wurde ihm einiges bewusst. Er konnte kaum glauben, dass er diese Person vergessen hatte. „Du bist Ediz Hems.“ Emilias kleiner Bruder. In den seltenen Fällen, in denen er ihn reden gehört hatte, hatte Ediz gestottert. Außer wenn er wütend war. Da schien das Stottern immer noch zu ersterben.

„1000 Punkte für den Kandidaten.“ Ediz setzte ein krankes Grinsen auf. „Ich war dort. Im Wald. Ich dachte immer du liebst meine Schwester, ich hatte sogar Mitleid als sie dir einen Korb gegeben hatte. Doch du krankes Schwein hast sie vom Baum gestoßen! Ich wollte aufschreien, doch ich konnte nicht. Ich stand unter Schock. Keiner hätte mir geglaubt. Alle hätten gemeint, es wäre nur einer meiner Wutausbrüche, wenn ich dich verraten hätte. Seit diesem Tag, schwor ich mir selbst Rache auszuüben. Und nun ist sie endlich da.“

Johannes war sprachlos, doch er hätte auch keine Chance mehr gehabt etwas zu sagen. Denn das kranke Grinsen von Ediz verschärfte sich, während er die Waffe auf ihn richtete und der Schuss fiel.

Das war das, was heute passieren würde. Johannes hatte Visionäre Träume, welche immer wahr wurden. Jetzt, da er endlich aufgewacht war, konnte er dem allen aus dem Weg gehen. Wie damals. Dem Streit mit Emilia. Er hätte sie nie wiedergesehen. Allein die Vorstellung daran löste ein Ziehen in seinem Bauch aus. Deshalb musste sie sterben. Das war schließlich besser, als wenn seine Emilia jemand anderes bekommen hätte. Und wenn er heute nicht sterben will, dann wird Ediz der Nächste sein müssen. 

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