JennyDie perfekte Fassade

Laura kam durchnässt in das kleine Cafe. Sie stellte ihren nassen Regenschirm in die Ecke, in der schon zwei andere standen. Es waren nicht viele Leute da. Sie setzte sich an den kleinen freien Tisch am Fenster. Den Platz hatte sie am liebsten. Der kleine runde Holztisch mit den zwei Stühlen und der gehäkelten Decke fand sie besonders gemütlich. Durch das große Fenster, das bis zum Boden reichte, hatte man einen wunderbaren Blick auf die Fußgängerzone des kleinen Städtchens. Normalerweise wimmelte es dort von Menschenmassen, die die Straßen auf und ab gingen. Verschiedene Charaktere, die ihre Besorgungen erledigten oder Freunde trafen. Laura stellte sich immer vor, welche Geschichte hinter jeder einzelnen Personen steckte und was sie zu erledigen hatten. Oft überlegte sie, ob sie solch ein Leben gegen ihres eintauschen würde. Ob sie dann glücklicher wäre?

Doch heute waren nur wenige Leute unterwegs. Der Wind peitsche den Regen gegen das Fenster. Laura mochte dieses Wetter. Es gab ihr ein wohliges Gefühl wenn sie drinnen im Warmen saß. Sie bestellte wie immer einen Cappuccino und schlug ihr Buch auf.

Sie kam öfters her wenn sie sich in ihrer Wohnung einsam fühlte. Das starke Verlangen etwas gegen die Leere in sich zu unternehmen und sich etwas abzulenken. Das Gefühl der Einsamkeit hatte sie öfter. Vor allem aber seit sie ihr altes Leben hinter sich gelassen hatte.

 

Das Buch, welches sie las, war nicht besonders spannend. Sie trank den letzten Schluck ihrer Tasse aus und bestellte die Rechnung. Erst jetzt fiel ihr die Person am Tresen auf. Der Statur zu urteilen vermutete Laura einen Mann. Er stand mit dem Rücken zu ihr und hatte eine dunkelgraue Regenjacke und einen braunen Hut an. Wegen des Wetters war das nicht ungewöhnlich. Trotzdem hatte Laura ein mulmiges Gefühl bei seinem Anblick. Irgendetwas störte sie an ihm. Sie redete sich ein, dass sie sich das nur einbildete und zog langsam ihre Jacke an. Sie wollte sich heute noch ein heißes Bad einlassen und es war schon spät. Auch der einschüchternde Mann ging gerade aus dem Cafe als ihm vor Laura etwas aus der Tasche fiel. Laura konnte das Gesicht immer noch nicht erkennen. Schnell griff sie auf den Boden und rief dem Unbekannten hinterher. Es war ein Handy, das ihm aus der Tasche gefallen war. Laura lief dem Mann hinterher als dieser nicht auf ihre Rufe reagierte. Doch der Mann war bereits aus dem Cafe gegangen. Laura schnappte sich ihren Schirm und ging ebenfalls nach draußen mit dem Vorhaben dem Unbekannten das Handy zurückzugeben. Doch als sie aus der Türe trat war niemand mehr zu sehen. Die Straße war leer. Laura überlegte wohin der Unbekannte gegangen sein konnte und beschloss dann das Handy nach einem Namen abzusuchen und es in das Cafe zurückzubringen. Wenn er das Handy vermissen würde, konnte er dort nachfragen. Doch als Laura das Handy entsperrte durchfuhr es ihren ganzen Körper mit einem Zucken. Sie stand wie angewurzelt da und bekam keine Luft. Panik stieg in ihr auf. Die Bilder, die sich auf dem Display zeigten, schockierten Laura. Sie beschloss das Fundstück mit nach Hause zu nehmen. Der Weg zu ihrer Wohnung kam ihr heute weit vor. Ständig blickte sich Laura um und fühlte sich verfolgt. Als sie endlich mit wackligen Knien die Wohnungstür aufschloss war sie erleichtert erst einmal in Sicherheit zu sein. Sie blickte noch einmal auf das Handy und hoffte, dass sie sich das Ganze eingebildet und ihre Wahrnehmung ihr nur einen Streich gespielt hatte. Doch die Fotos waren immer noch da. Lauras gesamte Erinnerungen kamen zurück. Erinnerungen, die sie mit dem Beginn ihres neuen Lebens abgeschlossen hatte. Erinnerungen, die sie für immer verbannen wollte. Laura fragte sich, ob es ein Zufall war, dass sie dieses Handy gefunden hatte. Aber wieso sollten ausgerechnet diese Fotos auf dem Handy sein. Auch der mysteriöse Mann kam ihr von Anfang an seltsam vor. Es kamen ihr so viele Gedanken und Möglichkeiten in den Sinn. Laura kam zu dem Entschluss, dass dies kein Zufall gewesen sein kann. Jemand wusste über ihre Vergangenheit Bescheid. Und das gefiel ihr nicht.

 

Lauras Wohnung war nicht sehr groß. Sie wohnte etwas abseits der Innenstadt, nahe an einem Waldstück. In dem Haus wohnten noch zwei andere Personen. Sie hatte die Wohnung in der obersten Etage. Es gab einen Wohn- und Essbereich, ein Badezimmer und ihr kleines Schlafzimmer. Da sie ganz oben im Haus wohnte, konnte sie von dort aus auf den Dachboden hinaufgelangen und diesen mitbenutzen. Im Flur war an der Decke eine Klappe angebracht, die sie hinunterziehen konnte. Durch eine ausziehbare Leiter, die an der Klappe befestigt war, konnte man leicht in den Dachboden gelangen. Er war nicht sehr groß und hatte keine Fenster. Dennoch genügte er, um dort ein paar Sachen zu verstauen.

Laura schnappte sich eine Taschenlampe und beschloss auf dem Dachboden nach etwas zu suchen. Nach einem Schuhkarton mit alten Fotos und Zeitungsartikeln. Die einzigen Gegenstände, die sie aus ihrem vorherigen Leben mitgenommen hatte. Außer diesem vollen Schuhkarton hatte sie nichts behalten. Nicht einmal ihren Namen.

 

Der Karton stand weit hinten. Laura musste gebückt laufen, da der Dachboden mit seinen Schrägen nicht sehr hoch war. Sie wischte den Staub von dem Deckel und öffnete die Box.

Das erste Bild zeigte Laura und ihre Eltern. Laura war noch jünger, ungefähr elf Jahre alt. Das Bild zeigte eine Aufnahme aus dem Urlaub. Sie waren in den Bergen beim Wandern. Sie standen oben auf dem Berg und grinsten in die Kamera. Laura erinnerte sich noch gut an diesen Urlaub. Sie hatten sehr viel Spaß und waren glücklich. Laura dachte gerne an diese Zeit zurück und wünschte sich manchmal so sehr dorthin zurückzukehren. Laura mochte ihre Eltern. Sie liebte ihre Mutter und auch ihren Vater. Zumindest bis dieser alles kaputt gemacht hatte.

Der Urlaub in Österreich hätte nicht schöner verlaufen können. Sie verbrachte schon immer viel Zeit mit der Familie und genoss die amüsanten Stunden.

Ihre Eltern umsorgten Laura sehr und auch die alleinige Aufmerksamkeit genoss sie. So kam es ihr nie in den Sinn, dass irgendetwas fehlen würde. Auch Geschwister hatte Laura dadurch nie vermisst. Im Urlaub hatten sie oft Karten gespielt, waren wandern und abends etwas essen gegangen. Es war alles perfekt. Doch kurz nach dem Urlaub änderte sich Lauras Leben. Sie bemerkte wie sich ihr Vater langsam veränderte. Manchmal musste er länger arbeiten oder hatte keine Lust etwas mit der Familie zu unternehmen. Die Spieleabende oder das essen gehen wurden weniger. Wenn die Familie trotzdem mal beisammen saß, merkte Laura, dass die Stimmung gedrückt war. Es war nichts mehr wie vorher. Auch Lauras Mutter setzte dies zu. Ihre Mutter vermutete immer, dass es an ihr lag und fragte sich, ob sie etwas ändern sollte. Sie versuchte es ihrem Mann immer recht zu machen und die Familie zusammenzuhalten. Doch als ihr das wieder und wieder nicht gelang wurde sie müde und zog sich immer mehr zurück. Für Laura war dies eine sehr schwere Zeit. Sie merkte, wie jeden Tag ihre Familie ein Stück weiter auseinanderbrach. Erst später erfuhren sie den Grund dafür, auch wenn Laura und ihre Mutter es bereits geahnt hatten. Ihr Vater hatte eine neue Frau und verließ schließlich die Familie. Die Situation setzte Laura und ihrer Mutter sehr zu. Vor allem Lauras Mutter zerbrach daran. Sie schämte sich vor anderen und ging immer weniger nach draußen oder traf Freunde. Sie isolierte sich zuhause ein und hatte keinen Antrieb. Auch Laura musste anfangs mit ihrem Kummer kämpfen. Doch sie kam irgendwann mit der Situation zurecht. Ab und zu besuchte sie ihren Vater und seine neue Frau. Laura war trotz der Umstände immer höflich zu ihr. Auch wenn sie diese Frau innerlich nie ausstehen konnte. Ihrem Vater konnte Laura nie richtig verzeihen, dass er sie im Stich gelassen hatte.

Mit ihrem neu hinzugewonnenen Stiefbruder Jannick konnte Laura keine richtige Verbindung aufbauen. Sie hasste es, wie er jene Aufmerksamkeit von ihrem Vater bekam, die sie früher für sich alleine hatte. Sie hasste es, wie er solche Abende mit der Familie verbrachte, die eigentlich ihr Vater mit ihr und ihrer Mutter verbringen sollte.

Ihre Mutter hatte wegen all dem immer noch Depressionen und Laura kümmerte sich liebevoll um sie. Mal wurde es zwar etwas besser aber sie fiel immer wieder zurück. Bis dies eines Tages tragisch endete. Lauras Mutter nahm sich das Leben.

 

Laura holte die ausgeschnittene Todesanzeige aus dem Schuhkarton. Langsam liefen ihr die Tränen übers Gesicht. Sie vermisste ihre Mutter so sehr.

Und an allem waren ihr Vater und seine neue Frau schuld. Sie hatten alles kaputt gemacht.

Ihr Vater sah langsam ein, dass auch er eine Schuld am Tod ihrer Mutter trug. Er hatte um seine ehemalige Frau sehr getrauert. Immerhin hatte er sie einmal geliebt und den Großteil seines Lebens mit ihr verbracht. Doch was daraufhin geschah damit konnte keiner rechnen.

Kurze Zeit später passierte ein weiteres tragisches Unglück. Lauras Stiefmutter wurde ermordet.

Sie wurde in ihrem eigenen Haus tot aufgefunden. Als Todesursache wurde eine Vergiftung festgestellt. Am Haus konnte kein gewaltsames Einbrechen ermittelt werden und das Gift befand sich versteckt im Werkzeugkeller. So wurde damals schnell Lauras Vater als Täter ausfindig gemacht. Als Motiv stand der Selbstmord seiner Ex-Frau. Er gab seiner neuen Frau die Schuld dafür und konnte ihre Gleichgültigkeit nicht verstehen.

Die Presse stürzte sich auf die Geschichte. Laura wurde tagelang belagert und in den Medien wurde sie nur noch als Kind eines Mörders bezeichnet. Sie bekam von Fremden Anfeindungen und Drohungen. Von Leuten, die ihr Leben nicht kannten. Und selbst ihre Freunde wandten sich größtenteils von ihr ab. Wer wollte schon mit dem Kind eines Mörders befreundet sein.

So beschloss Laura eines Tages einen anderen Namen anzunehmen und ihr Leben in einer anderen Stadt fortzusetzen. In einer Stadt, in der sie niemand kannte und sie ein komplett neues Leben aufbauen konnte.

Dies hatte bis jetzt auch gut funktioniert. Bis sie dieses Handy gefunden hatte. Diese Bilder rissen Laura aus ihrer Sicherheit. Es war das Foto von einem damaligen Zeitungsartikel: „Das Leben einer Mördertochter“.

Wusste jemand über ihr altes Leben Bescheid oder hatte sie ein Reporter gefunden? Sie hatte doch alles hinter sich gelassen und wollte damit nicht mehr konfrontiert werden. Laura hatte die Vergangenheit akzeptiert und damit abgeschlossen.

Doch was ihr noch mehr sorgen bereitete war das zweite Bild auf dem Handy. Vor diesem Bild fürchtete sie sich sehr. Jemand hatte etwas herausgefunden und sie wusste nicht wer es war. Jemand wusste über alles Bescheid. Das Bild war für Laura gefährlich.

Laura beschloss vorerst das Handy zu vergessen und weiterzumachen wie vorher. Allerdings wollte sie vorsichtiger werden und genau auf die Menschen in ihrer Umgebung achten.

 

Um den Kopf frei zu bekommen wollte sie noch eine Runde Laufen gehen. Das Wetter hatte sich etwas gebessert und sogar die Sonne ließ sich noch kurz blicken. Laura zog sich ihre Sportklamotten an, schnappte sich ihre Kopfhörer und verließ die Wohnung. Es war praktisch, dass sie am Rande der Stadt wohnte. So war sie schnell im Waldgebiet. Die Stille und das Magische, das der Wald ausstrahlte, mochte sie. Der Weg war eben und geteert. Perfekt für einen Lauf. Es war schon spät abends und die Sonne ging langsam unter. Laura rannte wie immer bis zur kleinen Holzhütte an der Weggabelung. Die Hütte war etwas heruntergekommen. Sie wurde wahrscheinlich selten benutzt. Vor der Türe stand eine kleine Bank. Manchmal machte Laura dort Pause und genoss ihre Umgebung. Doch heute beschloss sie direkt umzudrehen und den Heimweg anzutreten. Es dämmerte. Durch den schattigen Wald wirkte es bereits dunkler. Laura beschlich ein leicht mulmiges Gefühl.

Es waren heute nicht viele Leute unterwegs. In den Büschen hörte sie es rascheln. Immer wieder blickte sie um sich, um zu sehen, ob sie etwas erkennen konnte. Aber sie sah nichts. Wahrscheinlich werden es die Tiere sein, die im Wald auf Futtersuche sind, dachte Laura. Doch ganz beruhigt konnte sie nicht weiterlaufen. Der Weg war inzwischen sehr dunkel geworden und das Rascheln wurde lauter. Laura nahm ihre Kopfhörer ab und lief immer schneller. Sie wollte nur noch an ihrer Wohnung ankommen. Immer wieder bildete sie sich ein, dass ihr Schritte folgten und ständig blickte sie sich um. Doch in der Dunkelheit erkannte Laura nichts. Endlich kam die Wohnsiedlung in Sicht. Es fehlten nur noch einige hundert Meter. Laura fühlte sich beobachtet. Mit umschauendem Blick lief sie immer noch schneller. Völlig außer Atem kam Laura schließlich im Treppenhaus ihrer Wohnung an. Sie war erleichtert und ging schwermütig die Stufen zu ihrer Wohnung nach oben. Plötzlich hörte sie die große Haustüre unten im Treppenhaus in das Schloss fallen. Jemand stieg ziemlich schnell die Treppen empor. Laura kramte aufgeregt den Schlüssel aus ihrer Hosentasche. Allmählich bekam sie es richtig mit der Angst zu tun. Die fremde Person hatte sie bald erreicht und es gab nur ihre Wohnung auf dieser Etage. Was wollte also der Unbekannte hier. Endlich hatte Laura ihre Schlüssel gefunden und öffnete die Türe. Schnell schlüpfte sie hinein. Laura konnte hören, dass die Person ihr nahe war. Bevor sie die Türe ganz schließen konnte hatte jemand seinen Fuß hinein gestellt, sodass die Türe sich nicht mehr schließen ließ. Laura versuchte mit aller Gewalt dagegen zu drücken aber es gelang ihr nicht. Der Unbekannte war zu stark und drückte die Türe weiter auf um in die Wohnung zu gelangen. Laura erkannte nun die Person. Ihr Herz schlug wie verrückt. Damit hatte sie nicht gerechnet. Es war ihr Stiefbruder Jannick.

 

Er trat in die Wohnung. Sie wussten beide weshalb er hier war. Seit damals hatten sie keinen Kontakt mehr miteinander. Wortlos liefen sie in das Wohnzimmer. Jannick setzte sich auf das Sofa. „Ich wollte schon lange mit dir reden. Es hat einige Zeit gedauert, bis ich dich gefunden habe. Ich weiß nun über alles Bescheid!“ sagte er mit ernster Miene.

Laura ging in die Küche, welche sich hinter dem Sofa befand. Sie schenkte Jannick etwas zu trinken ein und brachte es ihm. „Was willst du?“ forderte sie ihn auf. „Das weißt du genau! Ich weiß alles von dir Laura. Ich möchte, dass du alles aufklärst.“

Laura wirkte skeptisch und ein wenig hilflos. „Ich weiß nicht wovon du redest. Lass mich bitte in Ruhe und verschwinde wieder aus meinem Leben. Ihr habt damals alles kaputt gemacht. Ihr habt meinen Vater verändert und mein und das Leben meiner Mutter kaputt gemacht. Ihr seid schuld!“ „Oh doch, du weißt genau von was ich rede. Wir konnten nichts dafür. Im Gegensatz zu dir sind wir alle unschuldig. Das wissen wir beide. Und ich werde es allen beweisen!“

Laura wurde nervös. Sie lief im Zimmer auf und ab.

Die Reaktion auf den Zeitungsartikel war wie ich es mir erhofft habe. Ich hatte dich schon öfters in dem Cafe sitzen sehen. Durch das Handy wusste ich auch genau wo deine Wohnung liegt und das Ganze ohne große Bemühungen. Lange habe ich auf den Moment gewartet. Als meine Mutter starb, war ich so sehr verletzt. Ich konnte es nicht fassen und war in meiner Trauer gefangen. Ich habe alles geglaubt. Und als sie deinen Vater verhaftet haben, hatte ich damit abgeschlossen. Irgendwann beschloss ich, ihn im Gefängnis zu besuchen und ihn zur Rede zu stellen. Ich wollte die Gründe von ihm erfahren und ihn meinen Schmerz spüren lassen. Doch als ich mit ihm redete merkte ich, wie sehr ihn alles belastete und das auch er trauerte. Er versicherte mir immer wieder, dass er es nicht gewesen sei. Er habe meine Mutter nicht umgebracht. Irgendetwas in mir glaubte ihm und so begann ich zu überlegen, wer noch die Möglichkeit und die Motive dazu hatte. Und je mehr ich darüber nachdachte, desto sicherer war ich mir. Der Mann, den alle für einen Mörder hielten war unschuldig und seine arglose und korrekte Tochter hatte ihn in das Gefängnis gebracht. Ohne jegliches Gewissen hatte sie alle belogen. Es kamen nie Zweifel an ihrer Unschuld auf. Du hast alle hinters Licht geführt. Du hast meine Mutter getötet!“

Laura war sprachlos. Sie setzte sich gespannt auf das Sofa und wartete bis Jannick weitersprach.

Ich habe mit einem Anwalt gesprochen und werde den Fall neu aufleben lassen. Das weitere Bild auf dem Handy ist mein Beweis. Ich habe Nachforschungen angestellt und herausgefunden bei wem du das Gift gekauft hast. Ich habe die Überwachungsbilder bekommen und das Bild zeigt eindeutig dich. Ein sehr belastender Beweis. Und deiner Reaktion im Cafe zu urteilen hatte ich mit allem Recht. Es hat mich noch einmal bestätigt.“ Jannick machte eine kurze Pause. Er merkte, wie ihm das Weiterreden schwerer fiel.

Ich wollte dir aber davor die Chance geben dich der Polizei zu stellen und die Wahrheit an das Licht zu bringen. Ich gebe dir bis morgen Abend Zeit“. Er war voller Entschlossenheit. Jannick stand auf und lief zu der Türe. Er wirkte größer und kräftiger als Laura ihn in Erinnerung hatte. Er verabschiedete sich und ging nach draußen.

Laura schloss die Türe und lehnte sich an sie. Für den ersten Moment konnte sie aufatmen. Was war das für eine Begegnung? Sie wusste nicht genau, was sie von Jannicks Anschuldigungen halten sollte. Meinte er es ernst? Sollte sie ihn vom Gegenteil überzeugen? Aber wie konnte sie das schaffen. Laura war verunsichert. Tausende Gedanken kamen ihr in den Sinn. Sollte sie ebenfalls einen Anwalt kontaktieren? Sie wusste nicht, was sie weiter tun sollte.

 

Laura stieg in die Dusche um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Das Wasser war angenehm warm und prasselte an ihrem Körper herab. Sie fühlte sich wieder frischer. Laura stieg aus der Dusche heraus. Essen konnte sie heute nichts mehr. Sie hatte überhaupt keinen Hunger und in ihrem Magen war eine unangenehme Spannung.

Da sie heute sowieso nicht mehr logisch denken konnte, nachdem was heute alles passiert war, entschied Laura sich dafür ins Bett zu gehen. Wenn sie darüber geschlafen hatte, würde bestimmt alles ganz anders aussehen und sie konnte nochmal mit ihrem Stiefbruder reden.

Die Nacht war kurz und nicht sehr angenehm. Laura wachte immer wieder auf und träumte verwirrende Dinge. Ständig sah sie ihren Vater und ihre Mutter. Auch Jannick und ihre Stiefmutter kamen in den Träumen vor. Sie konnte die Bilder nicht richtig zuordnen. Schweißgebadet wachte sie immer wieder auf.

Als es endlich Morgen wurde stand Laura auf. Ihre Gedanken kreisten immer wieder um ihre Familie, ihre Vergangenheit und die Geschehnisse von dem gestrigen Tage. Manchmal dachte sie, dass sie sich alles nur eingebildet hatte. Aber es war alles wahr. Jannick hatte ihr in dem Cafe aufgelauert und ihr ein Handy zugespielt, das sie finden sollte. Er hatte sie bis zu ihrer Wohnung verfolgt und sie besucht. Er hatte sie beschuldigt und ihr bis heute Zeit gelassen, das ganze zu erklären. Aber Laura wollte nichts erklären. Jannick würde es nicht verstehen. Konnte sie ihn überzeugen, dass dies alles ein Missverständnis ist?

Daran glaubte Laura nicht. Sie aß ihr knappes Frühstück fertig und trank ihren Kaffee aus. Laura würde in der Stadt noch ein paar Dinge erledigen bis Jannick sich bei ihr melden würde. Etwas anderes konnte sie sowieso nicht tun und so hatte sie wenigstens etwas Ablenkung.

Sie musste auf jeden Fall Jannick nochmal sehen und mit ihm sprechen. Sie hoffte, dass er mittags nochmal auf sie zukommen würde.

 

Nachdem Laura ein paar Läden besucht hatte, lief sie mit den vollgepackten Tüten nach Hause. Das Wetter war heute wieder etwas besser und es tummelten sich mehr Leute auf den Straßen. Kurz hatte Laura überlegt, ob sie wieder untertauchen sollte. Einfach verschwinden. Sie wollte nichts mehr mit ihrer Vergangenheit zu tun haben. Doch was würde das nützen. Jannick würde sie wieder finden und alles würde von vorne beginnen. Sie mussten das ein für alle Mal klären damit Laura ihr Leben normal fortsetzen konnte. Sie war nun fest entschlossen, dass alles zu beenden.

Als Laura an ihrer Wohnung ankam saß Jannick vor der Türe. Er hatte auf sie gewartet. Laura war nun bereit die Dinge zu bereinigen und endgültig mit allem abzuschließen.

Sie ließ ihren Stiefbruder herein und stellte die Einkäufe in der Küche ab.

Jannick blickte aus dem Fenster und beobachtete das Treiben auf der Straße. Es war ein kompletter Gegensatz zu der anderen Seite, auf welcher der Wald lag.

Und wie hast du dich entschieden? Willst du allen die Wahrheit sagen?“ Laura brachte sich und ihrem Bruder einen Kaffee. Er setzte sich zu ihr auf das Sofa. „Lass uns doch ein bisschen reden. Ich habe dich lange nicht gesehen und möchte, dass du meine Sicht auf die Dinge verstehst.“ „Ich glaube nicht, dass ich das verstehen werde“, sprach Jannick ungeduldig. Laura wurde nervös. „Ich habe mir ein neues Leben aufgebaut und mich von der Vergangenheit getrennt. Ich möchte das nicht wieder alles aufleben und die düsteren Zeiten zurück in mein jetziges Leben lassen. Wieso können wir die vergangenen Taten nicht vergessen? Es hat jeder bekommen was er verdient. Auch mein Vater. Denkst du wirklich das ich schuldig bin?“ Jannick trank den letzten Schluck von seinem Kaffee und stand auf. „Ja das glaube ich! Und ich habe dir die Chance gegeben die Wahrheit zu erzählen und vor allem es dir selbst einzugestehen. Dass nicht nur wir die Schuldigen sind sondern du auch einen großen Teil dazu beigetragen hast. Das du allein die Schuld am Tod meiner Mutter trägst!“

Doch auf einmal merkte Jannick wie es ihm immer schwerer fiel zu sprechen. Sein Atem wurde langsamer und er röchelte nach Luft. Seine Kehle schnürte sich zu und er drohte langsam zu ersticken. Ihm wurde schwindelig und schwarz vor Augen. Er schwankte und fiel schließlich zurück auf das Sofa. Jannick lag da und rang nach Luft. Er wollte Laura noch eine Chance geben, weil er dachte, dass sie sich verändert hatte. Vielleicht hatte er auch geglaubt, dass er sich in etwas hinein verrannte und Laura doch unschuldig sei. Doch nun wusste er, dass er Recht hatte. Jannick machte seinen letzten Atemzug. Das Gift aus seinem Glas hatte Wirkung gezeigt. Laura sah zufrieden auf ihn herab.

 

Sie hatte es wieder getan.

 

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