nancy-sunshineDie Reise

Das konnte nicht sein. Woher kam dieses Foto? Niemand sollte davon wissen. Und vor allem nicht Fred oder Harald. Jetzt erstmal weg hier…

„Alles okay bei dir, du wirkst etwas bedrückt?“ Fred sieht mich besorgt an. Er kennt mich genau und weiß sofort, wenn mein Lächeln nur aufgesetzt ist. Zudem da ich mich fast 20 Minuten im Sanitärbereich aufgehalten hab. Doch was soll ich ihm sagen. Das Geheimnis darf nicht ans Licht kommen. Ich muss mit ihr reden und zwar schnellstmöglich. „Mir geht es gut, bin nur etwas kaputt. Ist ziemlich heiß heute“. Und das stimmt sogar. Heute sind 30 Grad und das Dachzelt auf unserem VW-Bus heizt sich ziemlich schnell auf. „Ich geh ne Runde schwimmen“ sage ich, nehme meine Badetasche und verschwinde.

Ich liege auf meinem Badehandtuch und denke zurück an den letzten Abend mit ihr. Wie schön er wieder war. Ihre schönen kleinen straffen Brüste, die langen, gewellten blonden Haare, ihre sinnlichen Lippen… Das war vor zwei Tagen, vor dem Urlaub mit Fred. Auch Lara ist hier mit ihrem Harald. Da die beiden Männer Camping lieben, war es nicht schwer, Termin und Reiseziel zu einem Nenner zu bringen. Harad und Fred kennen sich schon eine Weile und darüber hatten auch wir uns kennen gelernt, vor drei Jahren. Am Anfang fand ich sie einfach nur hübsch. Wir verstanden uns gut und verbrachten immer mehr Zeit miteinander. Die Anziehung bei jedem Treffen wurde größer, genau wie die zufälligen Berührungen, bis es schließlich an einem gemeinsamen Filmabend zu zum ersten Kuss kam und zum ersten Sex. Wie aufregend das war. Die Männer durften davon nichts wissen. Vor allem nicht von den Gefühlen, die wir füreinander haben…

Morgen sind wir zu einer Schifffahrt verabredet, die Männer wollen sich ein Oldtimer-Treffen anschauen. Eine gute Möglichkeit, mit Lara über das Foto zu sprechen. Das Foto, dass sie und mich knutschend im Park zeigt. Es war von einiger Entfernung fotografiert, jedoch sind wir beide gut zu erkennen. Es musste vor einer Woche gewesen sein. Ich hatte es direkt hinter unserem Bus gefunden, jemand musste es dort abgelegt haben. Konnte es Fred sein, der etwas herausgefunden hatte? Oder Harald? Und was wollte derjenige damit bezwecken?

Um 10 stehe ich fertig gestylt vor unserem VW-Bus, sage schnell Tschüss zu Fred und mache mich auf zum Wohnwagen von Harald und Lara. Da der Campingplatz fast vollständig belegt ist, haben wir leider keine Stellplätze direkt nebeneinander bekommen. Als ich bei ihrem Camper ankomme, läuft Harald aufgeregt hin und her. „Was ist los“? Harald schaut auf. „Lara ist gestern Abend nach ihrer Jogging-Runde nicht mehr heim gekommen. Ich habe schon an der Rezeption bescheid gegegen, dass sie vermisst wird. Interessiert die aber nicht. Sie wäre ne erwachsene Frau.“ Ich verstehe nicht. Hat er was mit dem Verschwinden von Lara zu tun und hat mir das Foto hingelegt? Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll und stammle mehr, als dass ich ordentlich rede. „Warum hast du uns denn nicht gleich gestern Abend bescheid gesagt?“ Harald wirkt etwas nervös oder täusche ich mich. „Ich habe die ganze Zeit gewartet und wollte euch nicht mehr stören, war schon so spät“. „Dann lass uns los, Fred informieren und sie suchen“ sage ich und versuche, normal zu klingen. Doch wem kann ich vertrauen, Fred oder Harald? Oder steckt jemand ganz anderes dahinter. Und was ist mit Lara geschehen?

Zwei Tage später ist von Lara immer noch nichts zu sehen. Wir haben tagelang überall gesucht, am Meer, auf dem Campingplatz, haben andere Touristen befragt, doch niemand hat sie gesehen. Mittlerweile ist auch die Polizei eingeschaltet und ein Flyer klebt in der Rezeption. Vermisste junge Frau, 25, verheiratet, keine Kinder. Ich überlege, wie ich weiter verfahren soll. Von dem Foto habe ich keinem erzählt. Ich weiß nicht, wem ich vertrauen kann. Mit Fred bin ich seit 5 Jahren verheiratet und seit 7 Jahren zusammen. 25 waren wir, als wir uns begegneten und unglaublich verliebt. Doch der Alltag hatte sich immer mehr eingeschlichen. Lara brachte mir meine Lebensfreude zurück. Ich war glücklich mit ihr. Unsere Liebe blieb dennoch heimlich. Warum weiß ich nicht. Vielleicht wollten wir beide unsere Sicherheit, Wohnungen, das normale Leben behalten? Den mutigen Schritt nicht wagen?

Am Abend, nach erneuter erfolgloser Suche, mache ich mich vom Strand auf dem Weg zurück zu unserem Bus. Fred scheint nicht da zu sein, auch er und Harald waren den ganzen Tag mit Suchen beschäftigt. Da unten liegt etwas, am Eingang vom Bus. Ich gehe näher und sehe erneut ein Foto. Ich schreie, als ich es von nahen betrachte. Lara, mit einem Knebel im Mund, gefesselt auf einem Stuhl. Das darf doch nicht wahr sein. Auf der Rückseite eine Notiz: „Wenn du es der Polizei erzählst, ist sie tot“. Ich sacke zusammen und weine. Meine liebe Lara. Könnte das wirklich Fred gewesen sein oder Harald? Ich kann das beiden nicht so wirklich zutrauen oder doch? Ich höre Schritte und sehe Fred, der den Weg entlangkommt. „Gibt’s was neues, hast du was von Lara gehört?“ Ich verstecke das Foto schnell in meiner Hosentasche. Ich will nicht mit ihm darüber reden. Er könnte sie entführt haben. Hatte er etwa von unserer Affäre erfahren? Ich werde auf jeden Fall weder mit den Männern, noch mit der Polizei sprechen, das scheint mir am sichersten.

Am nächsten Morgen schlüpfe ich in meine Jeans-Shorts, stecke meine Hände in die Taschen und fühle etwas. Ich hole es heraus, wieder ein Foto. Mir stockt der Atem, als ich es betrachte. Ich muss mich stützen und hinsetzen. Das konnten die beiden Männer nicht wissen, meine alte Identität. Es war so lange her und jetzt dieses Foto. Es zeigt mich mit langen braunen Haaren als Lisa. Mittlerweile sind meine Haare kurz und schwarz und ich habe meinen Zweitnamen angenommen, Marie. Fred wusste nichts von meinem früheren Ich. Was war mit Harald? Hatte er die Affäre entdeckt und in meiner Vergangenheit geschnüffelt? Auf der Rückseite eine Notiz: „Ich weiß, was du getan hast“.

Am Abend sitzen wir zusammen vor unserem VW Bus. Harald wirkt bedrückt. Ihm scheint Laras Verschwinden sehr an die Nieren zu gehen. „Ich weiß nicht mehr weiter“ sagt er. „Lara kann doch nicht einfach so weg sein. Meint ihr, sie wurde entführt?“ Auch Fred macht sich seine Gedanken „Ich kann es mir nicht vorstellen. Hier auf dem Campingplatz? Warum sollte das jemand tun? Das ergibt keinen Sinn“. Ich halte mich zurück, behalte die Fotos weiterhin für mich. Denn immer noch denke ich, dass einer der beiden dahinter stecken könnte. Oder liege ich falsch? Jemand, der etwas über meine dunkle Vergangenheit weiß, könnte nur eine Person von früher sein. Aber derjenige müsste dann ja auch auf diesem Campingplatz sein. Und vor allem wer?

In der Nacht liege ich wieder wach und denke an den schrecklichen Moment, der alles veränderte. Ich war damals 20, ging jedes Wochenende feiern und trank eine Menge Alkohol. So wie auch an diesem späten Nachmittag, auf dem Weg zu einer Gartenparty. Vorglühen gehörte für mich immer dazu, sonst fühlte ich mich viel zu schüchtern unter meinen Freunden. In einer Kurve passierte es. Eine junge Familie ging über die Straße, ich fuhr viel zu schnell und überfuhr den jungen Sohn. Er sitzt seitdem im Rollstuhl. Ich kam mit einer milden Strafe davon. Ich habe meinen Fehler zugegeben und lange Zeit keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken. Und ich konnte mich nicht mehr im Spiegel ansehen, sodass ich mein Äußeres und meinen Namen änderte und meine Heimat verließ, um in einer Großstadt neu anzufangen. Doch das alles war lange, bevor ich Fred kennenlernte.

Am nächsten Morgen bin ich schon zeitig auf den Beinen. Schlafen funktioniert einfach nicht mehr. Ich grüble die ganze Zeit, wer es noch sein könnte, wenn die beiden Männer nicht dahinterstecken. Ich bin auf dem Weg zum Strand. Beim Rauschen der Wellen kann ich besonders gut nachdenken. Um diese frühe Zeit sind noch kaum Menschen unterwegs. Ich laufe gerade den Dünen entgegen, als sich von hinten eine Hand mit einem Tuch um mein Gesicht legt. Es wird schwarz.

Ich erwache in einem kleinen dunklen Raum, sitze gefesselt auf einem Stuhl, wie Lara auf dem Foto. Ich bin allein. Ich weiß nicht, wie spät es ist. Es muss aber noch Tag sein. Die Sonnenstrahlen scheinen schwach durch die Türritze, sodass ich die Umrisse der Gegenstände erkennen kann. Hier finden sich Bürsten, Staubsauger und anderes Putzzeug, vielleicht eine etwas größere Abstellkammer vom Campingplatz? Aber dann müssten mich ja die Reinigungskräfte früher oder später finden. Ich hoffe es.

Einige Zeit später, Minuten oder Stunden, ich weiß es nicht. Die Sonne scheint immer noch und so kann ich die zwei Gestalten, die eintreten, nicht sofort erkennen, da ich geblendet werde. „Hallo Marie“ sagt er, Harald. Also doch. Und danach eine weibliche Stimme „Hallo Lisa“. Was? Das kann doch nicht sein. Ich erkenne die Stimme von Lara. Was geht hier vor? Licht wird angeschaltet und ich schaue in ihr schönes Gesicht. In meinem Kopf rattert es. Was hatte das zu bedeuten? Und woher wusste sie meinen alten Namen? „Du scheinst überrascht zu sein“ sagt Lara und ich schaue in ihre blauen Augen, in die ich schon so oft geblickt habe. War das alles nur Show, unsere Liebe, unsere Gefühle füreinander? Lara fährt fort „Du erinnerst dich nicht, oder? Ich sehe es dir an. Der Unfall vor vielen Jahren, als du Tristan überfahren hast, den kleinen Tristan, meinen Bruder.“ Ich denke nach. Bruder? Als der Unfall passierte, war er nur mit seinen Eltern unterwegs. Ich stand danach so unter Schock. Ich hatte mich nie damit befasst, ob er noch Geschwister hatte. „Ich war damals in einem Ferienlager.“ Ich überlege. Ich war 20, da musste Lara 13 gewesen sein. Ich hatte dafür gesorgt, dass ihr kleiner Bruder im Rollstuhl saß und musste dafür nicht einmal ins Gefängnis. Das musste schwer für sie sein. „Vielleicht fragst du dich, ob meine Gefühle für dich echt sind. Nein, Liebes. Alles nur gespielt. Ich habe schön dafür gesorgt, dass Harald und Fred sich beim Sport im Fitnessstudio anfreunden und wir uns kennenlernen und eine Affäre beginnen. Ich hatte dich lange beobachtet und wusste genau, dass du schon öfters was mit Frauen hattest.“ „Und was habt ihr jetzt vor und was sollte das mit deiner angeblichen Entführung“. Lara fährt fort: „Ich wollte, dass du leidest. Dass du dich verliebst und Angst hast und feststellen musst, dass alles nur gespielt wird. Aber wir haben noch viel mehr mit dir vor. Ich will, dass du noch mehr leidest, genau wie es mein Bruder muss.“ Die Tür schließt sich und ich bin wieder allein.

Die nächsten Stunden vergehen, wie ich annehme. Denn ich habe furchtbaren Durst, Hunger und habe eingepinkelt, da ich es nicht mehr halten konnte. Wie erniedrigend. Was haben die beiden nur mit mir vor? Von Fred hatten sich nicht gesprochen. Ich hoffe, dass seine Liebe nicht nur gespielt war. Als sich die Tür wieder öffnet, ist es stockfinster draußen. Es regnet und stürmt. Harald und Lara heben mich hoch und setzen mich in einen Rollstuhl, binden mich daran fest und kleben meinen Mund zu. Sie fahren mich zum Strand runter, auf einen Steg, der ins Meer führt. Mein Herz klopft, ich kann nicht glauben, was sie vorhaben. Wenn ich nur irgendwie Fred informieren könnte. An der vorderen Kante des Stegs bleiben sie stehen. Ich höre und sehe die dunklen Wellen. Der Wind weht, die Regentropfen patschen auf das Holz, ich bin schon klitschnass. Tief wird das Wasser hier noch nicht sein, aber wenn sie mich gefesselt im Rollstuhl ins Meer schieben, werde ich das wohl nicht überleben. Ich will schreien, mich befreien, aber nichts funktioniert. „So lange habe ich auf diesen Moment gewartet“ sagt Lara. Harald ist übrigens mein Cousin, falls dich das interessiert. Du fragst dich sicher, warum ich so lange gewartet habe. Ich wollte, dass du dich in Sicherheit wiegst. Adios“ sagt sie beide schieben mich auf dem Rollstuhl ins Wasser…

Sonnenstrahlen scheinen sanft durch die Jalousien. Ich öffne meine Augen und schaue mich um. Sieht aus wie ein Krankenhauszimmer. Ich lebe! Da öffnet sich die Tür und Fred kommt mit einem Kaffee herein. „Liebling, du bist wach“. Mein Fred. Er setzt sich zu mir und beginnt zu reden: „Ich bin so froh, dich gefunden zu haben.“ „Aber wie?“. „Ich habe dich gesucht, du warst schon so lange unterwegs. Da bekam ich eine SMS von Harald, dass ich zum Strand an den Steg kommen soll. Ich lief also zum Strand, da kamen mir Harald und Lara lachend entgegen. „Hoffentlich kann sie schwimmen“ sagte Lara. „Plötzlich Lara zu sehen und dann dieser Spruch, ich verstand das nicht, habe aber sofort gehandelt.“ Er erzählt mir weiter, dass er mit Klamotten ins Wasser lief und ziemlich schnell den Rollstuhl fand. Er hatte sich in der Leiter verhakt und war zum Glück nicht weiter nach unten gesunken. Er konnte mich losbinden und befreien. Herzmassage und Beatmung konnten mich retten. Es war klar, dass Lara nicht wollte, dass ich starb. Sie hatte gehofft, dass ich einen Schaden davontragen würde von zu lange zu wenig Sauerstoff. Doch diesen Gefallen tat ich ihr nicht. „Wo sind die beiden jetzt und was wird aus uns.“ Fred sieht mich lieb an. „Ich wusste die ganze Zeit, dass du eine Affäre mit Lara hattest. Ich habe euch beobachtet. Aber Marie, ich liebe dich und wenn du mich auch noch liebst, dann können wir es schaffen.“ Ich freue mich und er gibt mir einen Kuss. „Und Lara und Harald wurden noch von der Polizei aufgegriffen, als sie fliehen wollten. „Ich bin mir sicher, dass wir das wieder hinkriegen mit uns“ sage ich und bin mir noch nie so sicher gewesen, diesen Mann zu lieben, wie jetzt.

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