Pia RauschDie Richtige

„Mama, wach auf! Mir ist sooo langweilig! Ich will rausgehen“ höre ich Tom aus dem Flur rufen. Gerade erst hatte ich mich zu einem Mittagschlaf hingelegt – in letzter Zeit ist einfach alles so anstrengend, dass ich es nicht mehr bis abends aushalte. Es ist einfach unglaublich stressig momentan und Toms Vater ist viel zu lange arbeiten. Ich gucke auf die Uhr: 14.27 Uhr – Wow, der Mittagschlaf hat ganze 7 Minuten gedauert. „Mama! Komm jetzt!“, höre ich es jetzt aus der Küche schreien, mittlerweile in einem seiner typischen Mecker-Töne. Ich checke noch schnell mein Handy: keine Antwort, obwohl sein Vater online war und Mittagspause hatte. Aber gut, ich raffe mich auf, ziehe mir meine viel zu enge Jeans wieder an, gehe in den Flur und frage mich, wieso Tom sich noch nicht angezogen hat, obwohl ihm ja sooo langweilig ist.

Auch am Spielplatz angekommen, der komischerweise wie leergefegt ist, bin ich noch nicht richtig wach, also setze ich mich erstmal auf die Bank in der Sonne und versuche meine Augen für einen Moment zu schließen. Ich denke daran, was Toms Vater wohl gerade macht und hoffe, dass ihm auf der Arbeit nicht zu viele junge, hübsche Mädchen begegnen. „Mama! Komm schnell her! Ich hab‘ was gefunden!“. „Oh mein Gott, es kann doch nicht sein Ernst sein, mit 6 Jahren wird man sich doch auch einfach mal selbst beschäftigen können“, denke ich und stehe auf. Die Sonne blendet mich, aber ich sehe wie Tom mit irgendwas kleinem wedelt: „Guck mal, ein Handy, kann ich das behalten?“. „Natürlich nicht“, erwidere ich und nehme es ihm ab, „wir schauen jetzt erstmal ob wir herausfinden, wem es gehört. Ansonsten bringen wir es morgen in das Fundbüro in der Innenstadt“. Das Handy ist, wieso auch immer, nicht passwortgeschützt, also sollte sich der Besitzer über irgendeinen Kontakt herausfinden lassen, doch die Kontaktliste ist leer. „Hm, komisch“. „Was denn?“, fragt Tom. „Ach nichts, ich schaue mir das nachher mal genauer an, jetzt wird erstmal gespielt!“

Als Tom nach dem Abendessen endlich im Bett ist, lasse ich mich endlich auf das Sofa fallen. Jetzt werde ich einfach den Fernseher laufen lassen und mich von dieser sinnbefreiten Verkupplungssendung berieseln lassen. Als ich meine Jeans, die absolut alles abquetscht, vom Sofa in den Wäschekorb werfe, höre ich ein komisches Geräusch, so als wäre – Achja… – ein Handy in der Hosentasche. Das blöde Ding habe ich völlig vergessen, aber dann werde ich das jetzt wohl dem Fernseher vorziehen müssen, ich stehe also auf und nehme es mit auf das Sofa. Dort mache ich es mir gemütlich. „Es kann doch nicht so schwer sein, den Besitzer wieder zu finden“, denke ich gähnend.

Während ich das Handy nach Hinweisen auf den Besitzer durchstöbere, kommt plötzlich eine SMS rein:

Na also, du hast es ja doch gefunden. An deiner Stelle würde ich mir die Galerie ansehen.

Ich wundere mich, verfolge aber trotzdem den Hinweis der privaten Nummer. Ich weiß selbst nicht, warum ich nicht selbst auf die Idee gekommen bin, wahrscheinlich weil es einfach zu viel ist im Moment. Als ich die Galerie öffne, trifft es mich: Ich habe Bilder des Besitzers erwartet doch alles was ich finde sind Bilder von mir. Bilder von mir in meiner Wohnung, Bilder von mir am Strand, Bilder von mir unter der Dusche, Bilder von mir auf dem Weg zur Arbeit und am schlimmsten: Bilder von mir aus der Vergangenheit. Diesen Abschnitt hatte ich doch mittlerweile so gut verdrängt und niemand, der nicht selbst beteiligt war, weiß davon. Es sind Bilder von mir und Ben. Wer könnte genau diese Bilder noch haben, außer er selbst und ich? Nach dieser Sache folgten der Umzug, die Namensänderung und der Kontaktabbruch zu vielen Freunden und teilweise sogar der Familie. Woher sollte also jemand diese verfluchten Bilder haben? Das kann und darf nicht wahr sein!

Ich schließe meine Augen und versuche es mit der Technik meines Therapeuten: tief einatmen, bewusst machen, dass ich in Sicherheit bin und dass mir niemand etwas anhaben kann. Doch es ist zu spät, mir wird schwindelig, alles dreht sich und die Erinnerungen reißen mir den Boden unter den Füßen weg.

Es ist unglaublich heiß in dem rundum verglasten Restaurant, in dem ich auch diesen Nachmittag wieder bis Ladenschluss arbeiten muss. Durch die Tür kommen zwei neue Gäste, die ich kaum erkennen kann, da mir die Sonne genau ins Gesicht scheint. Kaum haben sie sich gesetzt bringe ich die Karte zum Tische und nehme die Getränkebestellungen auf. Der hübsche Typ mit dem markanten Gesicht bestellt sich einen Grünen Tee und seine weibliche Begleitung entscheidet sich für eine Diät-Cola. Das junge Paar bleibt den ganzen Abend und macht keine Anzeichen zu gehen. Da ich selbst noch Pläne für diesen schönen Freitagabend habe, erinnere ich die beiden kurz nach Ladenschluss höflich an unsere Öffnungszeiten. Während sie schon rausgeht, zahlt der Schönling die Rechnung. Er unterschreibt den Bon und gibt ihn mir wieder, doch was ich darauf sehe überrascht mich:

0160/4527851 – Ben

Ruf mich an 😛

Ich versuche diese Nachricht zu verdrängen, aber weil „Ben“ mir auch nach drei Tagen immer noch im Kopf herum schwebt, entschließe ich mich ihn anzurufen. Ans Telefon geht jedoch Maria Pukinski, wie ich an der Stimme erkenne die Begleitung aus dem Restaurant. Ich lege sofort wieder auf. Da ich jedoch nun ihren vollen Namen kenne, versuche ich sie auf Social Media ausfindig zu machen. Der eher seltene Nachname kommt mir dabei zugute und ich habe bald sowohl ihren als auch den Account von Ben gefunden. Auf einem seiner Bilder erkennt man im Hintergrund ein schönes, anscheinend eher ländlich gelegenes Haus. Da der Schönling offensichtlich Interesse an mir hat, muss ich ihm zu seinem Glück verhelfen und dazu beitragen, dass er Maria möglichst schnell wieder los wird und sie nicht seine Anrufe abfängt. Das Foto erweist sich dabei als äußerst nützlich, nach einer kurzen Recherche im Internet habe ich sowohl den Ort als auch den Straßennamen seines Hauses herausgefunden.

Zwei Tage später sehe ich sein Haus auch in echt, allerdings wäre es eher unklug direkt zu klingeln – immerhin ist Maria auch da. Damit, dass er zur Arbeit muss und direkt nach meiner Ankunft aus der Haustür kommt habe ich nicht gerechnet. Irgendwie ist es eine komische Vorstellung, dass nicht jeder so ein schönes Studentenleben führen kann, wie ich es tue. Ich ergreife jedoch meine Chance und verfolge ihn bis zu seinem Arbeitsplatz, wo ich einiges über sein Umfeld erfahren kann. Da ich jedoch nur begrenzt Zeit habe, verlasse ich diesen Ort viel zu früh wieder. Die nächsten Tage verbringe ich ebenfalls mit der Recherche, mittlerweile weiß ich, wo und was er studiert hat, wer zu seinen Freunden, seiner Familie und seinen Kollegen gehört und dass es mit Maria ziemlich gut läuft. Aber auch wenn Ben es noch nicht weiß, ich weiß es sicher: Wir sind füreinander bestimmt. Wieso hätte er mir sonst seine Nummer gegeben? Damit ihm das endgültig klar wird, muss ich ihn irgendwie von Maria abbringen und seinen Fokus auf mich lenken. Er wird bald erkennen, dass sie die falsche für ihn ist. Wie ich das anstelle, ist mir selbst zwar noch nicht klar, aber ich lerne Ben immer besser kennen und so wird sich die Lösung ganz von selbst ergeben.

Einen Monat später begegne ich Ben zufällig in seiner Mittagspause. Er scheint sich sehr zu freuen und meint sich an mich zu erinnern. Ich zeige mich jedoch zunächst verwirrt, damit er sich nicht wundert. Auf seine Nachfrage, was ich denn hier mache, entgegne ich, dass ich auf der Suche nach Literatur für mein Studium bin. Immerhin ist sein Makler-Büro direkt neben einer Bücherei. Da er nur eine kurze Mittagspause hat, bietet er mir an zusammen Mittagessen zu gehen. Ich stimme zögerlich zu. Bei diesem Mittagessen schwärmt er immer wieder von Maria, er fragt aber auch, warum ich ihn nicht angerufen hätte. Die beiden waren zwar zusammen im Restaurant, allerdings waren sie zu diesem Zeitpunkt getrennt, mittlerweile sind sie aber wieder zusammen – was ein lustiger Zufall. Es könnte also einige Schwierigkeiten geben, in meinen Versuchen Maria und ihn auseinander zu bringen.

Nur kurze Zeit später begegne ich Ben zufällig beim Joggen im Park. Dort erzählt er mir stolz, dass Maria und er ihr erstes Kind erwarten. Meine Pläne müssen jetzt konkreter werden, damit Ben erkennt, wer die richtige für ihn ist.

Ein tropfender Wasserhahn ist ein nerviges, aber alltägliches Problem. Nachdem der Handwerker nun von dem Hausmeister in Bens Haus gelassen wurde, da er und Maria unterwegs sind habe ich freien Zutritt zum Haus meines Bruders. Ich gehe einfach in das Haus, dessen Tür offensteht, rufe herein, dass Mama angerufen hat und erkläre dem Handwerker dann, dass ich dachte, dass mein Bruder zuhause wäre und ich einfach im Wohnzimmer auf ihn warte. Da der Handwerker jetzt endlich weg ist, kann ich mich in Ruhe umsehen. Ich weiß, dass eines der häufigsten Streitthemen der beiden die Arbeit ist. Da Ben immer zuerst zur Arbeit geht, manchmal aber auch von zuhause am PC arbeitet, wäre es fatal, wenn Maria bei ihrer morgendlichen Yoga-Session den PC kaputt machen würde – ups.

Nach einem langen und ausgiebigen Streit der beiden über das ständige Thema Arbeit und den beschädigten Computer treffe ich Ben wieder zufällig in seiner Mittagspause, weil ich neue Literatur für meine Hausarbeit besorgen muss. Beim gemeinsamen Essen erzählt er mir vom Streit und ich bestärke ihn darin, dass es absolut unverschämt von Maria ist, seine berufliche Karriere zu manipulieren. Immerhin ist sie diejenige, die schwanger ist, mit dem Kind zuhause bleiben wird und ganz entspannt sein Geld abstauben will. Es ist völlig unangebracht von ihr, sich darüber aufzuregen, dass er so viel arbeitet. Er soll bloß nicht nachgeben, denn er sollte unterstützt werden in seiner Arbeit, wo immer es geht. Am selben Abend schaue ich mal wieder nur von außen zu, wie sich die Situation der beiden entwickelt. Sie schreien sich an und weinen – das sieht doch gut aus. Allerdings scheint es nicht so, als wäre es genug, um Maria loszuwerden. Doch was stellt sie als nächstes an?

Als nächstes ist Bens Arbeit durch das fehlende Fahrzeug gefährdet. Nachdem Maria sich sein Auto das letzte Mal ausgeliehen hat, ist es nun nahezu fahruntüchtig. Das Licht, der Kotflügel, die Stoßstange und der Vorderreifen sind defekt. Und schon wieder hat sie ihm nichts von ihrem Missgeschick erzählt. Da Ben mittlerweile meine Nummer hat, ruft er mich nach diesem Streit an und hofft auf meinen neutralen, freundschaftlichen Rat. Natürlich erläutere ich ihm gerne meinen Standpunkt: Maria versucht ihn zu manipulieren. Sie ist eifersüchtig auf seine Arbeit und möchte mehr Zeit mit ihm verbringen. Wahrscheinlich findet sie, dass er sich einen anderen Job suchen sollte. Aber das sollte er nicht tun! Der Beruf, den er jetzt hat, ist schließlich schon immer sein Traumberuf gewesen. Sie selbst kann ja bald nicht mehr arbeiten gehen und soll sich doch jetzt einfach damit zufriedengeben, dass er das Geld für die beiden verdient. Aber so ist sie schon ziemlich undankbar. Natürlich kann er gerne bei mir auf dem Sofa schlafen, bei Maria zu bleiben wäre in der derzeitigen Situation eine Zumutung. Also ist er keine halbe Stunde später bei mir. Ich erkläre ihm, dass ich selbst einmal so eine Situation erlebt habe und selbst nicht erkannt habe, wie unfair und manipulativ ich von meinem Partner behandelt wurde. Er scheint wirklich mitgenommen zu sein, also nutze ich den Plan B: Alkohol. Wir betrinken uns gemeinsam und er versichert mir, wie lieb und hilfsbereit ich bin – endlich scheint es ihm bewusst zu werden. Nach ein bis acht Drinks schläft er in meinem Arm auf dem Sofa ein.

Als wir am nächsten Morgen aufwachen, vermisst er plötzlich sein Handy. Das ist zwar bereits an einem sicheren Ort in meiner Wohnung, doch ich versichere ihm, dass er es im Auto oder bei Maria vergessen haben muss. Immerhin war es abends in seiner Jacke, die den ganzen Abend an der Garderobe hing. So wird er nicht daran denken, dass er es mit reingenommen hat – schließlich hat er es bei mir nicht mehr angerührt, bevor es plötzlich weg war. Es ist jetzt nur darauf zu hoffen, dass sie nicht sein Handy los werden wollte, um ihm auch die letzte Möglichkeit zu nehmen, um von zuhause zu arbeiten. Nach kurzem Nachdenken macht er sich auf den Weg nach Hause, um sein Handy zu suchen und Maria gegebenenfalls zur Rede zu stellen. Überraschenderweise kann ich beim nächsten Streit der beiden zusehen, während ich auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehe. Das Handy lässt sich nicht finden und Maria ist die einzig Verdächtige. Da Ben aber mit seinen Kunden in Kontakt bleiben muss und seine Kontakte in der Cloud gespeichert waren, besorgt er sich einfach ein neues Handy und meldet sich auch damit in der Cloud an, was alle Kontakte wiederbringt. Die Situation mit Maria wird immer besser für mich und sein altes Handy in meinen Händen erleichtert mir die Arbeit. Bald wird er endgültig erkennen, wer die richtige für ihn ist. Ich schreibe ihm wieder aus purem Zufall genau als er sein neues Handy einrichtet, ob er sein altes wiedergefunden hat. Zur Sicherheit natürlich über Social Media, falls er sich ein neues besorgen musste. Er antwortet sofort und erklärt mir, dass er sich ein neues Handy kaufen musste, er aber zum Glück durch die Cloud seine ursprünglichen Kontakte wiederherstellen konnte. Was er aber nicht weiß, ist, dass durch die Cloud auch alle Nachrichten über sein altes Handy abrufbar sind, was wiederum gut für mich ist.

So sehe ich auch, wie er mit seinen Kumpels in den nächsten Tagen darüber schreibt wie schlimm die Situation mit Maria mittlerweile ist. Es gibt nur noch Streit wegen der Arbeit und sie will ihm weiterhin weis machen, dass sie unschuldig ist, allerdings ist das in seinen Augen wohl kaum zu glauben. Meine Chancen erhöhen sich also von Tag zu Tag. Das einzig große Problem ist, dass er sie wegen ihrer Schwangerschaft nicht verlassen will. Glücklicherweise stehen wir noch im ständigen Kontakt und begegnen uns immer wieder zufällig. Ich schlage ein erneutes gemeinsames Mittagessen vor, da ich den Kontakt nicht verlieren will. Immerhin soll er nach dem krönenden Abschluss und der Trennung von Maria mich als ersten Anlaufpunkt sehen und sich an mich wenden. Das Problem ist bloß, dass ich noch keinen perfekten Plan für diesen krönenden Abschluss habe. In den nächsten Tagen setze ich mich also noch mehr damit auseinander, was die häufigsten und schwerwiegendsten Trennungsgründe sind. Da auch bis jetzt die Arbeit immer der Schwerpunkt ihrer Streitigkeiten ist, sollte auch im letzten Streit dieses Thema eine Rolle spielen, um dem Ganzen ein Ende zu setzen. Nach meinen intensiven Studien wird der Plan nun endlich in die Tat umgesetzt: Sehr fatal wäre es, wenn Maria auch im Büro Probleme bereitet. Denn so hat sie auch hier einen negativen Einfluss auf die berufliche Karriere von Ben. Da für ihn der Beruf aber offensichtlich sehr wichtig ist, wäre das absolut ein Trennungsgrund. Sie sollte ihm sich einfach nicht immer in den Weg stellen. Diesen fatalen Fehler begeht sie jedoch trotzdem. Auf Bens Rechner im Büro sind am nächsten Tag von Marias E-Mail-Adresse unzählige anzügliche Nachrichten und Bilder eingegangen, auf denen man auch deutlich ihr Tattoo auf den Rippen sehen kann, weshalb eine Fälschung oder ein Scherz auszuschließen sind. Ärgerlich, dass diese Bilder durch die Cloud auch auf seinem alten Handy zu finden waren und sie dort noch mit ihrer Mail-Adresse wegen ihres letzten Online-Einkaufs über sein Handy angemeldet war. Als Ben das sieht, ist er entsetzt. Er fährt sofort nach Hause, um Maria zur Rede zu stellen, doch sie gibt sich ahnungslos. Für ihn ist es jetzt endgültig aus, es ist absolut unverständlich, wieso sie ihm in der Hinsicht so im Weg stehen muss. Sofort berichtet er seinen Kumpels davon und lässt seiner Wut im Gruppenchat freien Lauf. Da ich lange nichts mehr von Ben gehört habe, frage ich ihn in einer Nachricht danach, ob es mit Maria wieder besser läuft und wie es ihm geht. Natürlich antwortet er, dass es absolut nicht gut läuft und meint, dass er gerne vorbeikommen würde, um mir alles zu erzählen. Dieses Verlangen ist ja wohl ein eindeutiges Zeichen dafür, wer die Richtige ist! Ich biete ihm erneut mein Sofa an, was er dankend annimmt, allerdings wird er erst am Abend bei mir sein, um vorher ein paar Dinge auf der Arbeit klarzustellen.

Da Maria auch am Abend, nachdem er bei mir angekommen ist, noch versucht ihn anzurufen, stellt er sein Handy auf Flugmodus. Er erzählt mir die Geschehnisse des Tages und erklärt mir so gleichzeitig, weshalb es im Flugmodus sein sollte. Er möchte den Kontakt zu Maria bis auf weiteres abbrechen. Als er sich jedoch auf das Sofa setzt, unter dessen Kissen sich das Versteck seines alten Handys befindet, fängt dieses an zu vibrieren. Eigentlich habe ich zuvor den Ton ausgeschaltet, doch jetzt muss er sich dummerweise wieder angeschaltet haben. Ben greift in die Sofaritze und zieht sein Handy heraus. Ein falsches Wort und er vergisst, wie gut wir füreinander gemacht sind. Ich muss unbedingt eine plausible Erklärung dafür finden. Ich versuche ihm zu vermitteln, dass das Handy bei seinem letzten Besuch unbemerkt aus seiner Tasche gerutscht sein muss. Das klingt wohl einleuchtend für ihn, allerdings stellt er nun die Frage, wieso es noch an ist. Normalerweise müsste der Akku schon längst leer sein. Ich erkläre ihm, dass es dort unten wohl kaum Empfang gäbe und dieses Handy aufgrund des neuen Models eine sehr lange Akkulaufzeit haben müsse.

Dieser Fund war schwerwiegend für mich, da er jetzt doch wieder mit Maria redet, um ihr eine Chance zu geben. Er hätte sowieso nie geglaubt, dass sie sein Handy gestohlen hätte. Er ist zwar noch wütend wegen der Mails auf dem Rechner im Büro, aber er beschließt am nächsten Tag wieder zu ihr zu fahren, sobald sich die Situation ein wenig beruhigt hat.

Mittlerweile habe ich seit einigen Tagen nichts mehr von Ben gehört und da er auch sein altes Handy wieder mit nach Hause genommen hat, weiß ich gar nicht mehr, was er so macht. Ich könnte zwar bei ihm vorbeifahren, allerdings wäre das äußerst riskant, da ich mich sowieso schon verdächtig gemacht habe. Die Wahrscheinlichkeit ist zwar gering, dass sie mich, die harmlose und nette Studentin und Kellnerin, mit den ganzen Geschehnissen in Verbindung bringen, allerdings sollte ich lieber auf Nummer sicher gehen. Meine Versuche, Ben telefonisch zu erreichen scheitern. Nun ist es an der Zeit den Joker zu ziehen. Ich suche meinen Rasierer und nehme die Rasierklinge heraus. Der Plan ist natürlich nicht mir tatsächlich die Pulsadern aufzuschneiden, aber irgendwie muss ich ja Bens Aufmerksamkeit bekommen. Vielleicht habe ich die ja, wenn er sich um mich kümmern muss. Also schneide ich mir ins Bein, sodass es aussieht, als wäre ich beim Rasieren abgerutscht. Das blutet tatsächlich stärker als erwartet. Ich schicke ihm also zuerst ein Foto von meinem Schienbein und dem daneben liegenden Rasierer, dann schicke ich ihm eine Nachricht.

Hilf mir! Kannst du mich zum Arzt fahren?

Kurze Zeit später ist Ben bei mir – natürlich mit Maria. Ich bin zwar ein wenig weggetreten, bekomme aber dennoch mit, wie Maria die Wunde betrachtet. Dabei fällt ihr auf, dass die Wunde nicht tief genug ist, um mir gefährlich zu werden, aber besser genäht werden und ich ins Krankenhaus fahren sollte. Doch mein Plan scheint zu scheitern: Nach dem Unglück mit dem Handy ist auch Ben abweisender geworden. Trotzdem will er meiner besten Freundin Bescheid sagen, damit sie herfährt und sich um mich kümmern kann. Als er mein Handy entsperren will fragt er mich nach dem Code und scheint überrascht vom PIN:

150787

Unverständlich für mich, immerhin ist sein Geburtsdatum eine Zahl, die man sich gut merken kann. Wenn doch bloß Maria nicht auch mitgekommen wäre, dann würde er einfach bei mir bleiben und nicht noch weiter darauf hoffen, dass die beiden heute noch Essen gehen. Noch während ich mich ärgere bewirken die Schmerzmittel, die ich von den beiden bekommen habe in Kombination mit dem Blutverlust dann jetzt doch, dass ich eindöse.

Nachdem Ben und Maria direkt nach der Ankunft meiner alarmierten Freundin weiter ins Restaurant gefahren sind, habe ich nichts mehr von ihm gehört. Daran ist mit Sicherheit Maria schuld. Sie hat so einen schlechten Einfluss auf ihn und versteht nicht, wer eigentlich die Richtige für Ben ist. Da er es aufgrund ihrer Manipulation anscheinend genauso wenig versteht, müssen jetzt härtere Maßnahmen getroffen werden. Da ich weiß, wer welches Auto fährt und wer wann wohin muss, werde ich nun dazu beitragen, dass beide erkennen was wirklich richtig ist. Mithilfe einer Internet-Anleitung weiß ich jetzt genau, was man machen muss, um einen Autounfall zu provozieren. Es ist zwar ziemlich umständlich, mal eben so die Bremsleitung im Dunkeln durchzuschneiden, aber es klappt – glaube ich zumindest, wenn ich etwas anderes durchgeschnitten habe, hat es ja aber vielleicht den gleichen Effekt.

Am nächsten Morgen stehe ich gerade an der Fußgängerampel der großen Kreuzung als ein Auto die Laterne neben mir rammt. Da konnte wohl jemand nicht rechtzeitig bremsen: Ben. Natürlich bin ich als Ersthelferin sofort zur Stelle und selbstverständlich steht Ben nur unter Schock, aber ich bin ja für ihn da. Er versucht mal wieder als erstes Maria zu erreichen, doch dieses Mal geht sie nicht ans Telefon – ups da hat sie wohl plötzlich zufälligerweise ihr Handy verlegt. Ben ist super sauer auf sie, mir aber total dankbar, dass ich mal wieder zufällig in der Nähe war. Hoffentlich legt der Schalter sich jetzt endlich bei ihm um. Weil der endlich eintreffende Abschlepper ihn logischerweise nicht zur Arbeit fährt, übernehme ich diese ehrenwerte Aufgabe. Dort angekommen bitte ich ihn darum, sich zu melden, sobald er weiß, wieso er nicht mehr bremsen konnte.

Es ist kaum zwei Tage her, als mein Telefon klingelt und Ben berichtet, dass die Bremsleitung durchgeschnitten wurde. Da Maria kurz vorher das Auto zu einem Kumpel gebracht hat, um dort die Reifen aufziehen zu lassen, wurden beide bereits befragt. Sie wurden jedoch als unschuldig betrachtet, da die Bremsen auf dem Rückweg aus der Werkstatt schließlich noch funktioniert haben. Es besteht also die Möglichkeit, dass die Bremsleitung mutmaßlich zerstört wurde, weshalb jetzt auch die Nachbarschaft befragt wird. Langsam wird mir die Sache doch irgendwie zu heiß.

Plötzlich klingelt es an meiner Haustür. Nachdem ich gestern noch mit Ben drüber gesprochen habe, steht jetzt doch tatsächlich die Polizei vor meiner Haustür. Die Frage ist nur, woher sie etwas wissen und was sie überhaupt wissen. Das wichtigste ist also jetzt, die Ruhe zu bewahren und vertrauenswürdig zu wirken. Während des Verhörs gelingt mir das ziemlich gut. Ich kann die beiden Beamten glücklicherweise davon überzeugen, dass ich in einer Bar war und danach schlafen gegangen bin, was der Kassenbon über zwei Cocktails bestätigt. Danach hat meine beste Freundin mich nach Hause gebracht, was sie ebenfalls bestätigt, weshalb ich für die Polizei nicht als Täterin in Frage komme. Letztendlich hat Maria also doch bekommen, was sie wollte, denn jetzt ist es für mich tatsächlich an der Zeit abzutauchen. Ich packe also meine Sachen und mache mich so schnell ich kann auf dem Weg zum Flughafen. Hier nehme ich den nächsten Flieger möglichst weit weg: Nach Mexiko City.

Nachdem ich mir in den letzten Wochen hier mittlerweile ein Leben auf Basis meiner Ersparnisse bzw. der meiner Eltern aufbauen konnte, liege ich nun den ganzen Tag in der Sonne und döse dabei immer wieder weg, während ich Geld mit der Vermietung meiner Immobilie verdiene. Gerade jetzt nach dem Mittagessen ist es mal wieder Zeit für ein Nickerchen, also lege ich mich auf die Sonnenliege.

Plötzlich höre ich, wie die Tür aufgeschlossen wird und höre Schritte. „Maria, Schatz, was ist denn das für ein Handy auf dem Couchtisch?“ höre ich Ben fragen, der gerade von der Arbeit nach Hause gekommen sein muss. „Ich habe keine Ahnung, das wollte ich gerade herausfinden, ich muss schon wieder eingeschlafen sein. Ich habe das Handy vorhin extra mit auf das Sofa genommen, aber ich habe es ja nicht einmal geschafft, es anzumachen bevor ich eingeschlafen bin. Wir waren vorhin auf dem Spielplatz, da hat Tom es gefunden,“ antworte ich im Halbschlaf. Ich bin völlig verwirrt wo und wer ich bin, was Traum und was Realität ist. „Du siehst völlig fertig aus. Hast du wieder schlecht geträumt?“ fragt Ben. Ich bin zwar noch nicht ganz wach, doch trotzdem erkenne ich, was ich geträumt habe. „Erinnerst du dich noch an diese Studentin, die uns im Restaurant bedient hat? Die du dann zufällig auf dem Weg zum Mittagessen getroffen hast und wo du dann angeblich dein Handy vergessen hast? Hast du mal drüber nachgedacht, wieso sie verschwunden ist? Kann es sein, dass sie dich gestalkt hat?“ „Ähm, keine Ahnung. Hab‘ ich nicht drüber nachgedacht, wie kommst du denn jetzt darauf?“, fragt Ben, „du musst dir nicht immer so viele Sorgen machen. Du bist die einzige für mich! Es gibt keinen Grund für Eifersucht oder sowas! Ich glaube du bist einfach sehr gestresst im Moment…“, doch dann entsperrt Ben das Handy, um Informationen über den Besitzer herauszufinden. Als er die Galerie öffnet, steht ihm der Schrecken jedoch förmlich ins Gesicht geschrieben.

2 thoughts on “Die Richtige

  1. Moin Pia,

    also dich möchte man ja nicht zum Feind haben. Solltest du eine Neigung zum Stalken haben, wird mir jetzt schon Angst und Bange!

    Deine Storie ist klasse! Aus der Ich-Perspektive eines Stalkers zu schreiben, sorgt für Spannung, fesselt deine Leser. Den Stil den du dabei benutzt sorgt für Dramatik. Und wie du das Ganze nachher auflöst, setzt allem die Krone auf!

    Ich habe deine Geschichte super gerne gelesen und bedanke mich bei Dir dafür, daß du sie mit uns geteilt hast!

    Mein Like lass ich dir gerne da und wünsche dir alles Gute für‘s Voting.

    LG Frank aka leonjoestick ( Geschichte: Der Ponyjäger)

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