Kerstin SchönbergerDie Vertuschung

 

„Nein, Papa, verlasse mich nicht. Bleibe hier. Bitte! Ich habe doch nur dich.“, sagte Nina zu ihrem Vater.

 

Ninas Vater Paul litt an Darmkrebs. Für ihn war es eine Erlösung.

 

Zu Hause angekommen stieg Claudia zusammen mit ihrem Mann Lukas aus dem Auto.

 

„Was für ein anstrengender Tag“, sagte Claudia zu Lukas.

 

„Mir tut meine Nichte Nina so leid. Jetzt ist sie 22 Jahre alt und hat schon keine Eltern mehr.“

 

„Ja, mir tut sie auch leid. Aber wir werden uns um sie kümmern.“, sagte Lukas und marschierte ins Haus.

 

Claudia und Lukas waren seit 30 Jahren glücklich verheiratet. Sie wohnten auf dem Land in einem kleinen blauen Haus mit großem Garten. Lukas genoss schon seine Rente und verbrachte die meiste Zeit mit Gartenarbeiten.

 

Claudia war als Ärztin tätig. Sie liebte ihren Beruf über alles. Anderen Menschen zu helfen, war ihr schon immer ein großes Bedürfnis.

 

Bevor Claudia ihrem Mann ins Haus folgte, holte sie die Post aus dem Briefkasten. Die Prospekte warf sie gleich in die Papiertonne, ohne sich diese anzusehen. Nach der Beerdigung ihres Bruders hatte sie keine Lust auf Werbung. Allerdings befand sich ein Kuvert im Postkasten.

 

„Gar kein Absender und Poststempel vermerkt.“, wunderte sich Claudia, als sie den Umschlag betrachtete. Aber dafür mit einer gedruckten Aufschrift „Für Claudia“. Mit ihren Fingern öffnete sie das Kuvert.

 

„Ein Handy. Wer und warum schenkt mir ein altes Handy?“, fragte sie sich.

 

Es ist sogar eingeschaltet. Claudia drückte die Tasten. Es handelte sich um ein älteres Handy. Kein Smartphone mit Touchscreen.

 

Sie klickte auf Nachrichten, jedoch war keine einzige SMS vorhanden. Nicht bei Posteingang und nicht bei den Gesendeten.

 

Im Telefonbuch war kein einziger Kontakt, keine gespeicherte Nummer.

 

Claudia verstand es nicht.

 

Viele Funktionen hatte das Gerät nicht. Nur einen Ordner Bilder. Sie klickte auf den Ordner. Claudia traute ihren Augen nicht.

 

„Das gibt’s doch gar nicht. Das darf nicht wahr sein.“, schoss es ihr durch den Kopf.

 

Claudia war schockiert und starrte wie gelähmt eine Zeit lang auf das Handy. Sie drückte weiter und fand mehrere Bilder, die sie genauso überrumpelten, wenn nicht noch mehr. Sie ging im Garten hin und her. Sie war völlig durcheinander.

 

„Es darf nicht aufkommen, nicht nach all den Jahren.“

 

„Wer hat mir das Handy in den Briefkasten geworfen? Woher hat diese Person die Fotos?“, fragte sich Claudia.

 

„Mein ganzes Leben wäre kaputt und zerstört.“

 

Als Claudia sich wieder etwas beruhigt hatte, dachte sie sich, dass sie Ruhe bewahren musste.

 

„Jetzt nur nicht die Nerven verlieren.“, sagte sie mehrmals hintereinander zu sich selbst.

 

Sie schritt ins Haus.

 

 

 

Für das Treffen am nächsten Tag mit Nina, hatte sich Claudia ihr hellbraunes langes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ihre Nichte, war teilweise wie eine eigene Tochter für sie. Sie freute sich auf einen Spaziergang durch den Wald mit ihr. Sie war sich sicher, dass die frische Luft nicht nur Nina nach dem Tod ihres Vaters guttat, sondern auch ihr. Natürlich wegen dem Verlust ihres Bruders, aber auch wegen den Bildern. Claudia versuchte es zu verdrängen.

 

 

 

„Wie war der Spaziergang mit Nina?“, fragte Lukas.

 

„Es half uns beide. Wir haben über die guten alten Zeiten geredet, über den Tod ihrer Mutter vor Jahren und über die Zukunft. Ich bin mir sicher, dass Nina es verkraftet und bald wieder in ihrem Alltag einkehrt.“

 

„Und wie geht es dir? Du bist so abwesend und nachdenklich, seitdem wir von der Beerdigung zurückgekommen sind.“

 

„Ich brauche etwas Zeit, das alles zu realisieren. Aber mir geht es soweit gut und es ist alles in Ordnung. Mache dir keine Sorgen.“

 

Claudia versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Natürlich belastete sie der Tod von Paul, aber noch viel mehr das Handy mit den Bildern.

 

„Ich habe die Post übrigens auf den Küchentisch gelegt.“, sagte Lukas.

 

Um die Post kümmerte sich Lukas nie. Selbst seine eigenen Briefe öffnete er nie selbst. Mit Papierkram hatte er es gar nicht. Claudia übernahm immer diesen Posten.

 

Claudia wechselte zum Küchentisch.

 

Plötzlich sah sie schon wieder so einen Umschlag. „Für Claudia“, ist erneut auf dem Kuvert gedruckt.

 

Claudias Herz raste. Sie bekam Angst.

 

Schnell reiste sie den Umschlag auf. Sie hatte wieder mit Bildern gerechnet. Doch sie fand einen Zettel. Sie drehte das Papier um.

 

„Kläre es auf!!“

 

Claudia verschwand nervös ins Schlafzimmer. Sie ging dort auf und ab. Völlig außer sich, schwitzend und voller Angst, legte sie den Zettel zum Handy. Sie öffnete die Schublade ihres Nachtkästchens. In diesem Moment klingelte das Handy, welches sie im Briefkasten fand. Sie hob ab, sagte aber kein Wort.

 

„Tue es!“

 

Eine Computerstimme war zu hören. Vor lauter schreck legte Claudia gleich auf, schaltete das Handy aus und schob den Schub mit vollem Schwung zu.

 

Sie ging wieder auf und ab.

 

„Ok, irgendjemand wusste davon. Aber wer? Diese Person verlangt von mir, dass ich es aufklären soll. Aber warum? Ich kann das nicht. Warum habe ich das damals nur getan? Aber ich wollte doch nur das Beste für alle. Wer könnte dahinterstecken?“, fragte sich Claudia.

 

 

 

Am nächsten Morgen auf dem Weg zur Arbeit fühlte sich Claudia verfolgt. Sie hatte Angst, Alpträume und konnte an nichts anderes mehr denken. Die ganze Nacht hatte sie darüber nachgedacht, wer dahinterstecken könnte. In der Arbeit angekommen, ging sie in ihr Büro, bevor die erste Geburt losgehen würde. Sie arbeitete auf einer Geburtsstation. Als sie auf ihren Schreibtisch sah, traute sie ihren Augen nicht.

 

„Nein, nicht schon wieder!“, schrie sie.

 

„Ich warte!“, stand auf dem Zettel.

 

Claudia war psychisch am Ende. Sie konnte nicht mehr. Sie weinte und hatte furchtbare Angst.

 

Für einen kurzen Moment hatte sie überlegt, es Lukas zu erzählen. Aber sich dann dagegen entschieden. Er würde sie hassen, sich trennen. Ihr ganzes Leben wäre zerstört.

 

Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen und hatte zwei Geburten zu behandeln.

 

Danach war sie wieder etwas gefasster.

 

„Es kann doch nur die andere Familie sein. Wie haben sie das herausbekommen? Haben sie die Fotos schon immer? Wussten sie es die ganzen Jahre? Warum jetzt? Wieso nach Pauls Tod? Ich verstehe das nicht. Ich muss die Familie aufsuchen. Mit ihnen reden. Sie dürfen es nicht öffentlich machen und vor allem darf es meine Familie nie erfahren.“

 

Claudia zog eine ältere Akte aus ihren Arbeitsunterlagen und studierte sie genau.

 

 

 

„Nein!“, schrie Claudia und wurde wach. Sie war durchgeschwitzt. Sie hatte einen Alptraum und hatte sich im Traum im Gefängnis sitzen sehen.
Ihr Mann Lukas wachte durch den Schrei auf.

 

„Was ist los Claudia?“, fragte er mit einem sorgenden Blick.

 

„Nichts, ich hatte nur einen Albtraum.“

 

„Ich glaube, dass dich Pauls Tod mehr mitnimmt, als du dir selbst eingestehst.

 

„Du recht Lukas. Morgen treffe ich mich wieder mit Nina. Die Gespräche mit ihr tun mir gut. Wenn ich sehe, dass es Nina gut geht, dann geht es mir auch gut.“

 

Lukas war bald wieder eingeschlafen. Claudia jedoch nicht. Sie wusste genau, dass es nicht mit Pauls Tod zusammenhängt. In den Akten von damals hatte sie die Adresse der Familie gelesen. Sie wohnten ca. 50 km von Claudia entfernt.

 

 

 

„Und du fährst heute zu diesem Kongress?“, fragte Lukas.

 

„Ja, genau. Es kann spät werden. Warte nicht auf mich.“, antwortete Claudia.

 

Claudia konnte dabei ihrem Mann gar nicht in die Augen schauen. Sie hatte ihn angelogen. Aber es ging nicht anders. Sie musste diese Familie aufsuchen.

 

Dort angekommen, lies Claudia ihr Auto am Straßenende stehen. Sie zitterte am ganzen Körper und war aufgeregt. In dieser Straße mussten sie wohnen. Claudia ging am Gehweg die Straße entlang und hielt Ausschau nach der Hausnummer 11. Sie wusste gar nicht genau, wonach sie hier suchte oder was sie zu der Familie sagen sollte. Doch irgendetwas musste sie ja unternehmen.

 

Vor dem Haus mit der Nummer 11 blieb Claudia stehen. Das Haus war groß. Es schaute alles gepflegt aus.

 

Plötzlich ging die Haustüre auf. Claudia stand am Gartentor. Sie bückte sich und tat so, wie wenn sie sich ihr Schuhband binden wurde.

 

„Hallo, kann ich ihnen helfen?“, fragte eine Frau.

 

„N Ne Nein, danke.“, stotterte Claudia.

 

Die Frau ging die Straße entlang und Claudia blickte hinterher.

 

„Hat sie mich erkannt? Eher nicht. Dann hätte ich es ihr doch anmerken müssen. Soll ich ihr hinterher gehen? Hm, … nein ich beobachte lieber etwas das Haus. War das überhaupt die Frau? Das alles ist 22 Jahre her. In diesen Jahren kann man sich schon verändern.“, dachte sich Claudia.

 

Eine ganze Weile blieb sie in der Straße. Sie setzte sich wieder in ihr Auto und hat das Haus beobachtet. Doch alles blieb ruhig.

 

Als Claudia losfahren wollte, klopfte es an der Scheibe der Fahrerseite. Claudia erschrak. Es war die Frau aus dem Haus.

 

„Entschuldigen sie bitte. Ich bin auf der Suche nach unserem Hund. Es ist ein schwarzer Labrador, namens Rocky. Haben sie so einen gesehen?“, fragte die Frau.

 

„Nein, tut mir leid. Ich habe hier überhaupt keinen Hund gesehen.“, antwortete Claudia erleichtert.

 

„Schade, er ist seit heute Vormittag spurlos verschwunden. Er bedeutet uns sehr viel.“

 

Die Frau ging zurück ins Haus und Claudia fuhr wieder nach Hause.

 

„Die Frau kann nicht hinter dem Handy und den Zetteln stecken. Sie hätte mich erkennen müssen und wäre überrascht gewesen. Oder sie hat nur so getan, damit ich nichts merke. Vielleicht steckte aber ihr Mann oder ihr Sohn dahinter.“, dachte Claudia bei der Heimfahrt.

 

 

 

Zu Hause angekommen, wartete Lukas schon auf Claudia.

 

Claudia sah ihm sofort an, dass etwas nicht stimmte. Sie sah das Handy am Küchentisch liegen.

 

„Was ist das?“, fragte Lukas direkt mit scharfem Unterton.

 

„Was soll das sein?“

 

„Jetzt tu nicht so. Ich habe heute beim Aufräumen in deinem Schub das Handy gefunden. Ich habe es eingeschalten, weil ich dachte du betrügst mich. Zuerst habe ich mich gewundert, dass man gar keinen PIN braucht und dann über die Fotos. Was sind das für Fotos? Ich sehe Fotos von dir mit Babys. Fotos von drei Babys, kurz nach der Geburt. Man sieht wie du sie mit dem Namensband versorgst. Was sind das für Babys, Claudia?“

 

Claudia stockte der Atem. Sie wusste nicht was sie sagen soll.

 

„Claudia, antworte mir.“

 

„Das hat mir mal eine Patientin geschenkt. Sie hatte mich bei der Erstuntersuchung der Babys fotografiert und es mir als Erinnerung gegeben. Seitdem liegt das in dem Schub.“, log Claudia.

 

Claudia war sich unsicher, ob Lukas das als Erklärung reichte. Aber anscheinend hatte er es geschluckt. Zum Glück hatte er die Zetteln nicht bemerkt. Aber in der Schublade liegen so viele Zetteln durcheinander, da schenkte er diesen zwei Papierstücken keine Beachtung.

 

 

 

Ein weiterer Besuch bei Nina tat Claudia gut. Für Nina bedeuteten die Besuche und die Gespräche sehr viel. Das junge Mädchen lebte allein und bei Tante Claudia fand sie volle Unterstützung. Claudia konnte bei Nina die Bilder vergessen, zumindest für einen kurzen Moment.

 

„Ich werde immer für dich da sein.“, sagte Claudia zu Nina.

 

 

 

„Hoffentlich werde ich immer da sein können.“, dachte sich Claudia auf dem Heimweg.
„Wenn die Familie das anzeigt oder die Sache an die Öffentlichkeit bringen, dann werde ich das nicht mehr können.“

 

 

 

Nach einem stressigen Arbeitstag wollte Claudia nur nach Hause. Als sie in ihr Auto stieg, sah sie plötzlich an der Windschutzscheibe ein Papierstück. Es war in dem Scheibenwischer eingeklemmt. Sie stieg aus, nahm den Zettel und las

 

„Tue es endlich oder ich tue es!“

 

Claudia setzte sich in ihr Auto. Sie zitterte, hatte große Angst und weinte.

 

„Wer ist das? Warum jetzt nach all den Jahren? Der Einzige, der davon wusste, war Paul. Aber Paul ist tot. Ich verstehe das nicht.“, fragte sich Claudia.

 

„Ich muss nochmal zu der Familie fahren. Wenn ich mich entschuldige, vielleicht hat es dann ein Ende. Sie wollen bestimmt nur eine Entschuldigung und dann ist wieder alles gut. Ganz bestimmt.“, redete sich Claudia selbst ein und fuhr los.

 

Von unterwegs aus, rief sie ihren Mann an und sagte, dass sie einen komplizierten Fall in der Klinik hat und es deswegen später Abend wird, bis sie nach Hause kommt.

 

 

 

Claudia parkte vor der Hausnummer 11.

 

„Ich muss das tun. Was habe ich den für eine Wahl. Wenn ich nichts unternehme, dann werden sie mich anzeigen oder es öffentlich machen. Mein ganzes Leben wäre zerstört. Ich muss es wenigstens versuchen.“

 

Claudia nahm ihren ganzen Mut zusammen und stieg aus. Sie ging durch das Gartentor, weiter zur Haustüre. Dort atmete sie ein paar Mal tief ein und aus. Mit zittrigen Händen und Herzrasen drückte sie auf die Klingel. Ein junger Mann öffnete die Türe.
„Es tut mir so leid. Bitte entschuldigen sie. Ich habe einen großen Fehler gemacht. Das kann ich nie wieder gut machen. Aber glauben sie mir, es ist kein Tag vergangen, wo ich mir selbst keine Vorwürfe mache.“, sagte Claudia in einem Atemzug.

 

Der junge Mann steht mit offenem Mund da und schaute Claudia verwirrt an. Er hatte blondes kurzes Haar und trug eine Brille.

 

„Wovon reden sie und wer sind sie überhaupt?“, fragte er erstaunt.

 

„Mama, Papa kommt ihr mal!“, schrie der junge Mann.

 

Vor Claudia stand der junge Mann mit seinen Eltern.

 

„Ach Hallo, wir kennen uns doch.“, sagte die Mutter.

 

„Natürlich kenne ich sie.“, sagte nun der Vater.

 

„Sie waren doch die Ärztin bei der Geburt unseres Sohnes.“

 

 

 

Wieder zu Hause stellte Claudia fest, dass ihr Mann schon schlief. Sie setzte sich zum Küchentisch.
„Wenn die Familie es nicht war, wer dann?“

 

Ruckartig zuckte sie zusammen. Von draußen waren Schritte zu hören. Sie hörte wie jemand Claudia rief.

 

„Claudia, bist du da?“

 

Vom Fenster aus, sah sie, dass es zum Glück nur Nina war.

 

„Warte, ich mache dir auf.“

 

„Tante Claudia, ich fühle mich so einsam. Darf ich heute Nacht bei euch bleiben?“

 

„Aber natürlich. Komm ich bereite uns einen Tee zu.“

 

„Weißt du Tante, ich fühle mich so einsam. Wenn ich wenigstens einen Bruder oder eine Schwester hätte.“

 

 

 

Claudia blieb die Luft weg. Sie wusste nicht, was sie antworten soll.

 

„Ich kann ihr doch nicht einfach so sagen, dass sie einen Bruder hat.“, dachte sich Claudia.

 

 

 

„Am Sterbebett hatte ich das Gefühl, dass mir mein Vater etwas Wichtiges sagen wollte. Könntest du dir vorstellen, was das hätte sein können?“, fragte Nina.

 

Claudia wurde unwohl.

 

„Nein, leider nicht Nina.“

 

„Hier, dein Tee.“ Claudia reichte Nina die Tasse.

 

Nina nahm die Tasse und warf sie zu Boden.

 

„Du Lügnerin. Du verdammte Lügnerin!“, schrie Nina.

 

„Du willst mir jetzt nur Beistand leisten, weil du ein schlechtes Gewissen hast. Du hast mich um mein Leben betrogen. Meine Eltern sind gar nicht meine Eltern gewesen. Und ich habe einen Zwillingsbruder. Wenn du das nicht getan hättest, hätte ich noch meine Eltern und einen Bruder. Mein ganzes Leben ist eine einzige Lüge. Auf den Bildern sieht man genau, wie du die Namensbändchen der Babys im Krankenhaus austauschst. Dein Bruder und deine Schwägerin haben ein totes Kind zur Welt gebracht. Gleichzeitig hat ein anderes Ehepaar auf der Station Zwillinge bekommen. Du hast mich von meinem Zwillingsbruder getrennt und mich zu deiner Schwägerin gebracht. Dem Ehepaar hast du vermittelt, dass nur ein Baby überlebt hat. Was bist du nur für ein Mensch!“

 

„Du, du hast mir das Handy in den Briefkasten geworfen und mir die Zetteln mit den Botschaften zukommen lassen?“, stellte Claudia erstaunt fest.

 

„Ja. Weil ich will, dass du leidest. Du sollst keine ruhige Minute mehr haben. Mein Leben ist nicht das, was ich führen sollte und du wirst auch kein richtiges Leben mehr haben. Dafür werde ich sorgen, liebe Tante.“, drohte Nina.

 

„Lasse es dir erklären. Deine Mutter war psychisch krank. Sie hätte den Tod ihres Kindes nicht verkraftet. Deswegen haben Paul und ich gemeinsame Sache gemacht. Wir wollten nur das Beste.“, sagte Claudia weinend.

 

„Das Beste! Du hast das Schlimmste getan!“, schrie Nina.
„Woher weißt du das? Wie hast du das Erfahren?“, fragte Claudia.

 

Mein Vater, besser gesagt Paul, sagte es mir am Sterbebett.

 

„Nein, Papa, verlasse mich nicht. Bleibe hier. Bitte! Ich habe doch nur dich.“

 

„Nein, Nina, du bist nicht allein. Du hast einen Zwillingsbruder. Claudia und ich haben dich damals der Familie entnommen, weil mein wirkliches Kind Tod zur Welt kam. Am Tisch liegt ein Handy. Dort findest du Bilder drauf. Ich habe das damals fotografiert, um dir deinen Bruder zu zeigen. Verzeihe mir bitte. Es tut mir so leid.“

 

Paul schloss für immer die Augen.

 

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