Anja UEingeholt

Ein nerviges Piepen riss mich aus dem Schlaf. Ich stöhnte auf. Wecker waren eine furchtbare Erfindung. Ich war eher der Typ Mensch der ausschlief. Zum Glück verstummte das Geräusch schnell wieder. Das hatte ich meinem lebendigen Kissen unter mir zu verdanken.

David lachte und setzte mir einen Kuss auf den Scheitel. Ich hob meinen Kopf und küsste ihn. Ich hasste es wenn er bei mir schlief und ich nicht in ruhe schlafen konnte, aber es hatte auch seine Vorteile. Als ich den Kuss intensivieren wolle schob er mich von sich und lachte.

“Ich würde wirklich gern weiter machen. Aber leider kann nicht jeder von uns mit dem Geld der Eltern über die Runden kommen.”

Ich drehte mich von ihm weg um weiter zu schlafen. Wenn er dafür keine Zeit hatte konnte ich mich auch direkt wieder meinem Schönheitsschlaf widtmen. So lief das bei uns. David und ich führten keine Beziehung im klassischen Sinn. Meistens ging es eher um Körperlichkeiten. Ich genoss mein Leben schließlich in vollen Zügen.

Er hatte Recht, nicht jeder konnte solch ein Glück haben wie ich. Meine Eltern hatten genug Geld, daher musste ich mir nie um irgendetwas Gedanken machen. Sie zahlten meine Wohnung, schließlich studierte ich noch und konnte mich nicht nebenbei auch noch auf einen Job konzentrieren. Fast hätte ich laut aufgelacht. Ich glaube selbst meinen Eltern war bewusst, dass ich keinen meiner letzten Studiengänge wirklich ernst genommen hatte. Ich belegte ein paar Kurse, ging allerdings nie zu den Vorlesungen und wenn ich tatsächlich etwas dafür tun musste, sagte ich einfach ich hätte es mir anders überlegt und wollte doch eine andere Karriere einschlagen. Dann wechselte ich den Studiengang. Wieso sollte ich mir diese Freiheit nehmen lassen. Irgendwann würde ich sowieso die Firma meines Vaters erben, jemanden einstellen der seine Aufgaben übernahm und einfach genauso weiter machen wie bisher.

Die Dusche ging an und ich überlegte kurz ob ich noch einen Versuch starten sollte, allerdings würde ich bestimmt niemandem hinterher laufen. Das hatte ich wirklich nicht nötig. David konnte sich glücklich schätzen, dass ich mich überhaupt so lang mit ihm abgab. Aber er hatte nun mal seine Qualitäten.

Ich war schon fast wieder eingeschlafen, als David an die Schlafzimmertür trat und sich verabschiedete.

“Soll ich nach der Arbeit wieder kommen oder heute nicht?”

“Ja, wieso nicht. Aber nur wenn du etwas zu essen mit bringst”, erwiederte ich.

“Klar, schreib mir später was du gern hättest. Bis dann.”

Wir gaben uns keinen Abschiedskuss oder so etwas. Er ging einfach. Und ich schlief endlich wieder ein.

Als ich dann erwachte schien die Sonne bereits durchs Fenster und erhellte das Zimmer. Ich machte mich fertig, wie jeden Tag. Meine blonden Haare lockte ich mir etwas und schminkte mich dezent. Wie immer trug ich schwarzen Kajal auf um meine blauen Augen hervorzuheben. Ich zog mir ein kurzes, figurbetontes Kleid an – ich wollte schließlich zeigen was ich hatte. Nach einem kleinen Frühstück beschloss ich shoppen zu gehen. Vielleicht fand ich etwas neues für heute Abend. David würde bereuen, dass er mich heute morgen hat abblitzen lassen.

Es waren nicht allzu viele Menschen unterwegs, was sich allerdings mit betreten der Shopping-Meile änderte. Ich ging in einige Läden und fand ein paar Teile die ich mitnahm. Wie sehr ich es hasste, wenn niemandn mir die Einkäufe abnahm. Nachdem ich den nächsten Laden verlassen hatte, beließ ich es daher bei wenigen Teilen und setzte mich noch in ein Cafe.

Während ich mein Getränk zu mir nahm und durch Instagram scrollte, hatte ich das Gefühl beobachtet zu werden. Es war mir nicht neu, dass die Leute mich ansahen. Ich war hübsch, trug schicke, teure Kleidung und fühlte mich sichtlich wohl in meinem Körper. Doch diesmal hatte ich das Gefühl, dass mich jemand pausenlos anstarrte. Ich hob den Kopf von meinem Smartphone und ließ meinen Blick durch den Raum schweifen bis ich plötzlich an einem grauen Augenpaar hängen blieb. Es gehörte zu einem Mädchen, sie war wohl gerade so volljährig. Als unsere Blicke sich trafen erschrak sie sichtlich und wandt schnell den Blick ab. Naja vermutlich hatte sie noch nicht viele Menschen gesehen, die so hübsch waren wie ich. Solang sie das mit dem anstarren nun sein lies, sollte es mir egal sein. Ich wandte mich wieder meinem Telefon zu und trank meinen Kaffee.

Als dieser dann leer war, beschloss ich, dass es Zeit wurde nach Hause zu gehen. Ich hatte keine Lust am Ende noch mehr Taschen tragen zu müssen. Also packte ich meine Sachen zusammen, stand auf und holte noch kurz einen kleinen Spiegel und meinen Lippenstift aus meiner Tasche. Ich überprüfte kurz mein Aussehen und trug noch etwas Lippenstift auf, wo er sich leicht abgetragen hatte, als mich jemand anrempelte. Ich drehte mich um und sah das Mädchen mit den grauen Augen vor mir stehen.

“Ein Glück habe ich so eine gute Reaktion und mich jetzt nicht vermalt, sonst könntest du was erleben. Hast du keine Augen im Kopf, vorhin hast du mich doch auch die ganze Zeit angestarrt. Naja, wenn ich so aussehen würde wie du, würde ich mich wohl auch freuen, wenn ich mal so etwas schönes vor mir sehen würde”, pampte ich sie an, während ich Spiegel und Lippenstift wieder in meine Tasche gleiten lies, bevor ich den Laden sicheren Schrittes verlies.

Dieses Gör hatte wirklich Glück gehabt, dass ich meinen Kaffee schon ausgetrunken hatte, der hätte sich sicher gut auf ihren, ohnehin ziemlich hässlichen, Klamotten gemacht. Ich lächelte selbstgefällig bei dieser Vorstellung und machte mich auf den Heimweg.

Dort angekommen stellte ich meine Tasche auf einen der Stühle in der Küche. Die Tüten mit den neuen Klamotten lies ich mit meinen Schuhen und meiner Jacke im Flur zurück. Ich überlegte gerade was ich nun mit dem restlichen Tag anfangen sollte, während ich mein Handy aus meiner Tasche holte. Als ich es hochnahm leuchtete der Bildschirm auf und ich erschrak. Auf dem Sperrbildschirm war eine Zeichnung zu sehen, die eindeutig mich darstellte. Das hatte ich nicht eingestellt und ich hatte auch diese Zeichnung noch nie zuvor gesehen. Als ich das Smartphone entsperren wollte viel mir noch etwas auf, meine pinke Schutzhülle mit den Glitzersteinen war nicht mehr angebracht. Dann viel es mir wie Schuppen von den Augen – dies war gar nicht mein Handy. Schnell wühlte ich in meiner Tasche um kurze Zeit später, mit meinem Telefon in der einen und dem fremden Gerät in der anderen Hand, in der Küche zu stehen.

Woher kam dieses Ding? Ich legte mein eigenes Handy auf den Küchentisch, behielt das Andere allerdings in der Hand. Als ich mehrmals auf den Home Button drückte um mir das Bild immer wieder anzusehen, da ich krampfhaft versuchte irgendeinen Hinweis darauf zu finden, dass das gar nicht ich auf diesem Bild war, entsperrte es sich plötzlich. Ich musste keinen Code oder ähnliches eingeben sondern hatte direkt eine Seite mit wenigen Apps vor mir.

Durch die wenigen Applikationen auf dem Bildschirm war das Hintergrundbild, welches ebenfalls die Zeichnung zeigte, gut zu erkennen. Das war es was mich dazu brachte die Bildergalerie zu öffnen. Was ich dort sah ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Es waren Fotos von mir in verschiedenen Situationen und an verschiedenen Orten. War dieses Handy etwa von einem Stalker? Doch woher kam es und warum war mir nicht aufgefallen, dass jemand an meiner Tasche war? Die Bilder zeigten mich beim Lebensmitteleinkauf, beim Shoppen, bei alltäglichen Dingen. Es waren tatsächlich auch welche von diesem Tag dabei. Wie ich in die Läden ging, aus einer Umkleidekabiene kam und sogar wie ich in diesem Sessel saß und meinen Kaffee trank. Dieses Bild brachte mich dann auf eine Idee. Es war aus einer perspektive gemacht worden, dass es nur das Mädchen geschossen haben konnte. Moment, sie war doch mit mir zusammengestoßen, als ich das Cafe verlassen wollte. Ob sie es mir dabei zugesteckt hatte? Doch warum sollte sie mit zeigen wollen, dass sie mir nachstellte.

Ich schloss die Gallerie, da mir diese ganzen Bilder nun doch etwas ungeheuer wurden und besah die wenigen anderen Apps. Ich öffnete zuerst die SMS, doch leider war keine einzige zu finden. Nicht ein Mal eine dieser nervigen SMS der Netzanbieter. Es war auch kein einziger Kontakt eingespeichert und seltsammer Weise konnte ich noch nicht mal die Nummer des Telefons sehen obwohl mir die Balken am oberen Bildschirmrand verrieten, dass eine funktionierende SIM-Karte eingelegt war. Ich hatte ein ungutes Gefühl und legte das Handy, nachdem ich den Bildschirm wieder gesperrt hatte, ebenfalls auf den Küchentisch.

Mein Mund war staubtrocken und ich konnte schon nicht mehr Schlucken, daher beschloss ich mir zunächst etwas zu trinken zu holen. Ich öffnete den Kühlschrank und entschied, dass ich mir nach dieser Entdeckung wohl ein Bier genehmigen könnte. Nachdem ich die Flasche geöffnet und zwei große Schlücke genommen hatte zeigte mein Handy mit einem kurzen Signalton an, dass eine Nachricht eingegangen war. Ich nahm es von Tisch und las die Wörter auf dem Display. David fragte mich was er zu Essen mitbringen sollte.

>Ist mir egal, bring mit was du möchtest.< war meine knappe Antwort.

Ich schmiss das Handy zurück in meine Tasche und wollte gerade mein Bier vom Küchentresen holen als ich wieder einen SMS Ton hörte. Im ersten Moment dachte ich David hätte noch ein mal geschrieben, doch als ich mein Smartphone in die Hand nahm, musste ich feststellen, dass dort gar keine Nachricht angezeigt wurde. Wieder erklang ein Ton und diesmal bemerkte ich auch, dass es sich nicht um meinen Klingelton handelte. Der Bildschirm des fremden Handys leuchtete auf.

Ich nahm es hoch und sah dass zwei Nachrichten eingegangen waren.

>Hallo Stacy<

>Ich hoffe meine Bilder haben dir gefallen. Möchtest du noch mehr sehen?<

Was zur Hölle hatte das zu bedeuten? Ich entsperrte das Handy und öffnete die SMS, ein Absender war nicht zu erkennen. Die Zeile ,in der eine Nummer oder ein Name stehen sollte, war leer. Waren die Nachrichten von dem Mädchen aus dem Kaffee? Und wenn ja, woher wusste sie meinen Namen? Ich war mir sicher, dass ich sie noch nie gesehen hatte. Ich versuchte wie üblich cool zu bleiben und tippte schnell eine Antwort ein.

>Natürlich, wie sollten bei jemandem wie mir auch keine schönen Fotos herauskommen?<

Da ich nun doch neugierig geworden war und meine typische überheblichkeit mir neuen Mut verlien hatte, setzte ich hinterher:

>Du kannst mir gerne noch mehr Bilder schicken, vielleicht stelle ich dich ja zukünftig als meinen persönlichen Fotografen ein<

Ich lachte trocken über meinen eigenen Witz doch das Lachen blieb mir schnell in der Kehle stecken als tatsächlich ein neues Bild ankam. Dieses Foto zeigte mich beim schlafen in meinem Bett. Das Bild war offensichtlich von der Tür meines Schlafzimmers aus fotografiert worden. Das bedeutete, dass diese Person in meiner Wohnung war während ich geschlafen hatte. Beim eintreffen der nächsten SMS hätte ich vor schreck fast das Handy fallen gelassen.

>Wenn du so friedlich schläfst wirkst du glatt freundlich. Wie der Schein doch trügen kann, nicht wahr?<

Ich gab es nicht gerne zu, aber in diesem Moment hatte ich furchtbare Angst. Als es kurze Zeit später an meiner Tür klingelte war ich noch immer wie erstarrt. Es vergingen einige Momente bis ich mich wieder rühren konnte und die Klingel ein zweites Mal ertönte. Während ich das Handy so fest umklammerte, dass ich schon befürchtete, es würde zerbrechen, lief ich langsam in Richtung meiner Wohnungstür. Es klingelte erneut. Ich sah auf das Display neben der Tür und atmete erleichtert auf, als ich auf dem Kamerabild David unten stehen sah. Ich drückte auf den Knopf zum öffnen der Haustür. Das Handy welches sich noch in meiner Hand befand ließ ich schnell in meine Tasche in der Küche gleiten bevor ich wieder zur Tür eilte um sie David zu öffnen. Er trat mit einer Tüte in der einen und einer kleinen Tasche in der anderen Hand ein. Offensichtlich war er kurz bei sich gewesen um frische Klamotten zu holen.

“Hey, ich dachte schon du lässt mich gar nicht mehr rein” begrüßte er mich.

Ich lachte nur kurz und nahm ihm die Tüte mit dem Essen aus der Hand. Noch war ich nicht wieder in der Lage etwas schlagfertiges zu erwiedern oder überhaupt einen normalen Satz zu formulieren. Um einem weiteren Smalltalk aus dem Weg zu gehen, brachte ich das Essen direkt in die Küche und nahm zwei Teller aus dem Schrank. Ich stellte sie auf den Tisch und nahm bei der Gelegenheit noch mal ein paar Schlücke von meinem Bier. Der Alkohol darin tat seine Wirkung und ich fing langsam wieder an mich etwas zu entspannen.

Wärend wir das Sushi aßen, das David mitgebracht hatte unterhielten wir uns etwas über seinen Arbeitstag. Ich erzählte jedoch nichts von der seltsamen Begegnung und dem Handy.

Der restliche Abend verging wie im Flug und ich konnte die Geschehnisse des Tages fast vergessen, doch als wir dann im Bett lagen konnte ich einfach nicht schlafen. David neben mir, schnarchte leise und war schon lange im Land der Träume. Normalerweise würde ich mich in solchen Momenten noch mit meinem Handy beschäftigen und vielleicht ein paar Online-Bestellungen tätigen, doch ich brachte es nicht über mich mein Smartphone zu holen. Lange lag ich da und versuchte zwanghaft einzuschlafen. Ich war schon kurz davor, als mir einfiel, dass diese Person sich ja schon einmal Nachts in meine Wohnung geschlichen hatte. Da ich nun definitiv nicht mehr ruhig im Bett liegen konnte, stand ich auf, zog mir einen Morgenmantel über und verließ das Schlafzimmer. Natürlich erst nachdem ich noch kurz nachgesehen hatte ob das Fenster sicher verschlossen war. Ich schloss leise die Tür hinter mir und hatte das erste mal in meinem Leben Angst vor all den dunklen Schatten in meiner Wohung. Ich wollte schon fast über mich selbst lachen, da ich mich wie ein kleines Kind benahm, doch diese dämliche Angst lähmte mich. Mir trat kalter Schweiß auf die Stirn und mein Inneres zog sich bedenklich zusammen. Zum Glück war das Abendessen schon eine Weile her. Ich tastete mit zittrigen Fingern nach dem Lichtschalter an der Wand und als das Licht anging, atmete ich erleichtert auf. Mir war nicht aufgefallen, dass ich sogar die Luft angehalten hatte.

Ich ging zunächst zu meiner Wohnungstür und verschloss diese von innen. Danach ging ich in jedes Zimmer, überprüfte die Fenster und, obwohl ich es mir nicht eingestehen wollte, sah ich tatsächlich nach ob die Räume leer waren. Als ich dies getan hatte wurde ich wieder etwas ruhiger, doch nach wie vor fühlte ich mich sehr unwohl in meinen eigenen vier Wänden. Ich überlegte mir sogar das Licht im Flur an zu lassen und einfach zu behaupten, dass ich es wohl vergessen hatte als ich noch mal auf der Toilette war, doch das war mir dann doch zu albern. Während ich versuchte mir selbst einzureden, dass ich keine Angst haben musste, hatte ich schon die Hand auf dem Lichtschalter. Bevor ich diesen jedoch tatsächlich betätigen konnte vernahm ich ein Geräusch aus Richtung meiner Küche. Es war nicht irgendein Geräusch, sondern der SMS-Ton des fremden Handys. Ich hatte meine Tasche einfach in der Küche stehen gelassen und nicht mehr angefasst seit dem David hier angekommen war.

Mit zittrigen Beinen betrat ich die Küche und schaltete auch hier die Deckenlampe an. Ich brauchte eine gefühlte Ewigkeit um das Handy aus meiner Tasche zu nehmen und als ich sah, dass die Nachricht schon wieder ein Bild enthielt wurde mir übel. Wie in trance entsperrte ich es und öffnete die Nachricht. Das Bild war dunkel und ich konnte nichts darauf erkennen, bis ich es antippte und es größer wurde. Mir blieb die Luft weg und ich spürte nichts außer meine Angst. Auf dem Bild war wieder mein Bett zu sehen, allerdings lag diesmal nicht ich darin, sondern David. Ich betrachtete es genauer und als ich die Digitaluhr auf meinem Nachtschränkchen sah spürte ich wie mir die Galle in der Kehle hochstieg. Ich sah auf die Uhr über der Küchentür. Das Bild war vor geradeeinmal 5 Minuten gemacht worden. Es musste aus dieser Nacht sein, da mein neues Kleid neben Davids Klamotten auf dem Boden lag. Ich hatte es vorher noch nie getragen.

Auch wenn meine Angst mich fast lähmte, übernahm mein Körper in einem plötzlichen Rausch von Adrenallin die Oberhand. Ich nahm ein Messer aus dem Messerblock des Küchentresens und ging in Richtung meines Schlafzimmers, an der Tür hielt ich doch noch kurz inne. Was wäre wenn die Person darin David bereits etwas angetan hatte und nur auf mich wartete? War das eine Falle? Sollte ich doch lieber die Polizei rufen? Nein. Ich würde das hier und jetzt beenden. In einer schnellen Bewegung öffnete ich die Tür und schaltete das Licht an, doch der Raum war leer. Naja, bis auf den jetzt vorsichtig ins Licht blinzelnden David. Das einzige was sich seit meinem verlassen des Raumes geändert hatte war das nun weit geöffnete Fenster.

“Was ist denn los?”, fragte David verschlafen. Als sein Blick sich klärte und er mich mit dem Messer im Türrahmen stehen sah, wurde er mit einem Schlag wach.

“Stacy, was ist passiert? Was hast du mit diesem Messer vor?”, seine Stimme wurde zum Ende hin leicht panisch.

Ich starrte immer noch wortlos auf das offene Fenster, bis mich der nächste kalte Luftzug zurück in die Realität brachte und ich das Messer loslies. Es fiel mit einem lauten Knall auf den Boden und ich rannte ohne es zu beachten zum Fenster und verschloss es. Ich war mir sicher gewesen, dass ich es fest geschlossen hatte bevor ich den Raum verlassen hatte. Panisch sah ich mich im Zimmer um, da mein Schlafzimmer ziemlich klein war und ich außer dem Bett nahezu keine Möbel hier stehen hatte, befürchtete ich die Person könnte sich noch darunter befinden. Ohne groß weiter darüber nachzudenken warf ich mich auf den Boden um unter mein Bett sehen zu können, doch zu meiner erleichterung versteckte sich dort niemand.

David war inzwischen aufgestanden und kam vorsichtig auf mich zu. Angst lag in seiner Stimme als er sagte: “Stacy? Ist alles in Ordnung? Schlafwandelst du?”

Ich setzte mich auf meine Knie und sah ihn verständnisslos an. War diese Frage ernst gemeint? Mein Körper war wie taub, daher spürte ich die Wut in mir nur kurz, bevor auch sie von der Taubheit verschluckt wurde.

Er setzte sich neben mich und nam meine Hände, die ich zu Fäusten verkrampft hatte, vorsichtig in seine. Ich bemerkte am Rande, dass seine Hände sich unnatürlich warm um meine anfühlten. Plötzlich schossen mir die Tränen in die Augen und es sprudelten unzusammenhängende Sätze aus meinem Mund.

“Da war dieses Mädchen mit dem Handy – die vielen Fotos – und dann die Nachrichten – erst nur ich – vorhin plötzlich du”, ich wusste dass er nicht begreifen konnte wovon ich redete, doch ich konnte mich nicht zusammenreißen. Der einzige Satz der am Ende ganz ruhig aus meinem Mund kam war: “Ich dachte sie wäre hier.”

David sah mich an als würde er glauben, dass ich verrückt geworden bin. Er zog mich zu sich und wieder kam er mir unnatürlich warm vor. Die Tränen liefen mir mittlerweile über das Gesicht und dann auf seine nackte Schulter. Er war im Gegensatz zu mir noch komplett nackt. Als mir das bewusst wurde lachte ich kurz auf, was ihn dazu bewegte sich leicht von mir zu lösen um mir in die Augen zu sehen.

“Jetzt noch mal in Ruhe: Was ist los?”

Ich berichtete ihm wie ich an das Handy gekommen war und von den ganzen Nachrichten. Je mehr ich erzählte, viel mir auf, dass meine Stimme immer teilnahmsloser wurde. Als würde ich ihm die Story eines schlechten Horrorfilmes erzählen den ich letztens gesehen hatte. Als ich meinen Bericht beendet hatte schien er ebenfalls beunruhigt.

“Wo ist dieses Handy? Hast du es in der Küche liegen gelassen?”, seine Fragen waren ernst und direkt.

“Ich – ich denke schon”, stotterte ich.

Er stand auf und wollte den Raum verlassen als er mich noch mal ansah. Kurz schien er zu überlegen, dann schnappte er sich seine Boxershorts, zog sie schnell über und half mir beim Aufstehen. Meine Beine fühlten sich an wie Wackelpudding. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich am ganzen Körper zitterte. Er schien das zu bemerken, denn er trug mich schon fast in die Küche und verfrachtete mich auf einen der Stühle. Danach sah er sich um und entdeckte das Telefon neben dem Messerblock liegen. Er nahm es in die Hand als, zum wiederholten Male in dieser Nacht, der Ton erklang um uns mitzuteilen, dass eine weitere SMS eingegangen war. Schockiert sah David auf das Display. Dann hielt er es mir ohne ein Wort hin, damit ich die Wörter darauf lesen konnte.

>Na hast du schon Angst? Das war erst der Anfang!<

Ich schlug seine Hand weg, sprang auf und stürzte zur Spüle da mir Augenblicklich mein Mageninhalt hoch kam. David hielt mir die Haare und ich zitterte mittlerwile so sehr, dass ich mich an der Arbeitsplatte festhalten muste um nicht zu stürzen. Ich schaffte es irgendwie mir kurz den Mund auszuspülen und David führte mich wieder zu meinem Stuhl.

Ich sah dass er etwas sagen wollte um mich zu beruhigen, doch offensichtlich wusste er nicht was. Mein Gehirn war wie leer gefegt. Das war erst der Anfang? Es war jemand in meine verschlossene Wohnung eingedrungen während ich in einem anderen Raum war!

Mit kratziger Stimme sagte ich: “Wir müssen die Polizei rufen.”

“Du hast recht”, war Davids kurze Antwort und ich bildete mir ein, ein kleines Lächeln auf seinem Geischt zu erkennen. Doch offensichtlich spielten mir meine Augen einen Streich, denn im nächsten Moment sah er wieder besorgt aus.

“Bleib du hier sitzen, ich hole mein Handy und das Messer aus dem Schlafzimmer und dann warten wir hier gemeinsam bis die Beamten da sind.”

Ich war nicht in der Lage zu wiedersprechen. Es wiederstrebte mir, dass er mich auch nur für eine Sekunde allein lassen wollte, doch eine andere Möglichkeit gab es wohl nicht. Ich konnte schließlich kaum noch aufrecht auf diesem Stuhl sitzen. Er verlies den Raum und da sich langsam alles zu drehen begann stütze ich meine Ellebogen auf die Tischplatte und legte meinen Kopf in meine Hände. Ich musste die Augen schließen, da ich mich ansonsten vermutlich wieder übergeben hätte. Und dann spürte ich nur noch einen kurzen Schmerz am Hinterkopf und alles wurde schwarz.

*

Als ich wieder erwachte, dachte ich zunächst, ich wäre immer noch in meiner Küche. Ich saß auf einem Stuhl, doch ich konnte meine Hände, die unnatürlich hinter der Lehne überkreuzt waren, nicht bewegen. Langsam öffnete ich die Augen und sah einen schwach beleuchteten Raum vor mir. Alles war steril und weiß und außer dem Stuhl, auf dem ich saß, war der Raum vollkommen leer. Eine massiv aussehende Tür war mir gegenüber in die Wand eingelassen.

Ich versuchte erneut meine Hände zu bewegen, wobei mir klar wurde, dass sie gefesselt waren und ich nicht aufstehen konnte. Mein Herzschlag beschleunigte sich und ich spürte Panik in mir aufsteigen. Hatte mich diese Person tatsächlich entführt? Und was war mit David? Wo war er? Als mir der Gedanke kam, dass er vielleicht noch in meiner Wohnung liegen könnte, schwerverletzt oder vielleicht sogar tod, schnürte sich mir die Kehle zur. Natürlich hatte ich ihn nie wirklich geliebt, aber aber trotzdem machte mir diese Vorstellung angst. Ich bekam immer schwerer Luft und als sich wie von selbst Bilder von einem toten David in meinen Gedanken herauskristalisierten wurde meine Kehle noch enger und ich hatte das Bedürfnis mich erneut zu übergeben. Ich schluckte hart um die Übelkeit los zu werden, da ich hier kein Spülbecken oder gar eine Toilette sah, in der mein Erbrochenes verschwinden würde. Der Gedanke hier neben meinem eigenen Mageninhalt sitzen zu müssen, brachte mich skurielerweise tatsächlich so weit, dass ich mich wieder etwas beruhigte und das Bedürfnis sich zu übergeben in den Hintergrund rückte.

Ich hätte gerne gewusst wie viel Zeit vergangen war, doch da es kein Fenster und natürlich auch keine Uhr in diesem Raum gab, hatte ich jegliches Zeitgefühl verloren. Ohne irgendeine dieser Orientierungsmöglichkeiten, fiel es mir sogar schwer, einen Überblick zu behalten, wie lang es her war, dass ich hier drin erwacht war. Meine Gedanken rasten und es kamen immer wieder die gleichen Fragen in meinem Kopf auf.

Wo war ich hier? – Was würde mit mir passieren? – Warum tat mir jemand so etwas an? – Was würden sie mir noch antun? – Würde ich überhaupt noch mal eine menschliche Person zu Gesicht bekommen? – Vielleicht würden sie mich hier einfach sterben lassen. – Warum das alles? – Würde ich hier jemals wieder raus kommen?

Zwischendurch überlegte ich zu schreien, doch ich war mir ziemlich sicher, dass mich sowieso niemand hören würde. Zumindest niemand, der mir zur Hilfe eilen würde. Um mich von diesem Gedankenkarusell abzulenken und vielleicht doch einen kleinen Überblick über die vergangene Zeit zu behalten, fing ich irgendwann an, meine Atemzüge zu zählen. Ich konnte mich allerdings nicht genug konzentrieren um mehr als 25 am Stück im Kopf zu behalten. Immer wieder musste ich von neuem anfangen, was mich fast noch mehr um den Verstand zu bringen schien, als die ganzen Fragen in meinem Kopf.

Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und schrie. Ich schrie um Hilfe, sagte, dass meine Familie Geld hatte und sie so viel bekommen würden wie sie wollten, wenn sie mich nur hier raus ließen. Ich beteuerte, dass ich niemanden meiner Entführer gesehen hätte und sie niemals identifizieren könnte, selbts wenn es jemand von mir verlangen würde. Natürlich blieben alle Versuche vergebens. Irgendwann war ich heiser und ich konnte nicht mehr anders, als in Tränen auszubrechen. Ich hatte furchtbare Angst. Das schreien und weinen laugte mich vollkommen aus und wäre ich nicht an dem Stuhl festgebungen gewesen, wäre ich sicherlich zur Seite gekippt und einfach auf den Fliesenboden gefallen.

So grotesk die Vorstellung auch war nun zu schlafen, war ich kaum noch in der Lage die Augen offen zu halten. Ich hatte die ganze Nacht nicht geschlafen und die Ohnmacht war auch alles andere als erholsam gewesen. Langsam forderte das alles seinen Tribut und mir fielen immer wieder die Augen zu. Als ich kurz davor war in einen unruhigen Schlaf abzudriften, wurden plötzlich die Lichter in dem Raum gleißend hell, was meinen Herzschlag direkt auf ein neues Level hob. Ich hörte mehrmals einen Lauten knall. Es kam mir vor als wären es Schüsse, die um ein vielfaches verstärkt wurden und von allen Seiten zu kommen schienen. Meine Trommelfelle waren nahe daran zu zerreißen und ich schrie auf, da es mir solche Schmerzen bereitete. Und dann war plötzlich alles wieder vorbei. Das Licht dimmte sich wieder und es war erneut totenstill in dem Raum. Ich hatte das Gefühl, dass ich meinen eigenen, viel zu schnellen Herzschlag hören konnte. In mir keimte die Angst auf, dass ich einen Herzinfarkt erleiden könnte. Diese Angst wiederum brachte mich dazu meinen Atem zu beschleunigen. Alle Emotionen in mir kochten hoch und ich spürte nur noch meine Angst und mein viel zu schnell schlagendes Herz. Ich bekam mittlerweile fast keine Luft mehr.

Genau in dem Moment, als ich dachte ich würde wieder ohnmächtig werden, öffnete sich plötzlich die Tür vor mir. Als ich die Person erkannte, die durch die Tür in den Raum gehetzt kam, dachte ich kurz mein Herz würde stehen bleiben. David rannte auf mich zu und packte mich an den Schultern. Er sah mir besorgt in die Augen und ich fing wieder an zu weinen. Ich war gerettet. Wie auch immer er es geschafft hatte, David würde mich hier raus holen. Es war vorbei.

Doch meine Hoffnungen wurden mit einem Schlag zunichte gemacht, als er aufstand und lachend einige Schritte von mir weg trat.

“Du solltest mal dein Gesicht sehen. Als wäre ich ein Ritter in goldener Rüstung”, er brachte die Worte vor lachen kaum heraus, “Dachtest du wirklich ich würde einfach so hier rein spatzieren, wenn ich gekommen wäre um dich zu retten? Dumme, dumme Stacy. Ich bin nur gekommen um dich davon abzuhalten schon wieder in Ohnmacht zu fallen. Wir haben doch noch so viel mit dir vor.”

Meine Freude verwandelte sich schneller in Angst als ich es für möglich gehalten hätte. Die nächsten Worte von David ließen mir zum wiederholten Male das Blut in den Adern gefrieren.

“Erinnerst du dich nicht? Das ist erst der Anfang.”

Diese ganze Situation war einfach unmöglich. Das waren die Worte aus der SMS. So hatte die letzte Nachricht aufgehört. Mein Kopf war wie leer gefegt.

“Eigentlich wollten wir dich mit diesen SMS noch viel länger auf trab halten, es konnte ja keiner ahnen, dass du so zimperlich bist und direkt in der ersten Nacht komplett zusammenbrichst”, am Ende klang er fast bedauernd.

“D.. du warst das? Aber warum?”, fragte ich mit zittriger Stimme.

Ich war erstaunt, dass ich überhaupt in der Lage war noch einen Ton von mir zu geben. Alles fing an sich zu drehen. Ich hatte David vertraut, hatte ihn in meine Wohnung gelassen und dachte letzte Nacht wirklich, dass er mir helfen würde. Ich war so froh, dass er da war und ich nicht allein in dieser Situation war und nun wollte er mir sagen, dass er das alles geplant hatte?

“Geht es dir um Geld? Du kannst alles haben. Bitte, du bekommst so viel wie du möchtest, nur lass mich bitte gehen. Ich werde es niemandem verraten, du kannst einfach verschwinden und dir mit dem Geld ein neues Leben aufbauen. Du wirst nicht verfolgt, dafür sorge ich, nur bitte lass mich gehen. Bitte David!” Wie ein Wasserfall sprudelten die Wörter aus mir heraus. Es musste ihm um Geld gehen, aber dafür hätte er doch nicht so etwas tun müssen.

Sein schallendes, herablassendes Gelächter unterbrach meine Gedanken.

“Du Miststück denkst wirklich, dass es mir um Geld ginge? Ich war zwar nicht immer ehrlich in deiner Gegenwart, aber so gut solltest du mich doch kennen. Denk genau nach. Sie mich genau an. Meinst du nicht, dass ich dich an jemanden erinnere? Eine Person aus deiner Vergangenheit.”

Was meinte er? Wenn er kein Geld wollte, was dann? Wieso fragte er, ob er mich an jemanden erinnerte? Ich blickte in sein Gesicht, irgendetwas daran kam mir verändert vor. Nicht nur, dass es zu einer seltsammen Grimasse verzogen war. Irgendetwas essenzielles hatte sich verändert. Dann blickte ich ihm direkt in seine Augen und mir blieb kurz die Luft weg. Er hatte immer blaue Augen gehabt, doch nun waren sie grau. Genauso wie die des Mädchens aus dem Cafe.

“Was ist mit deinen Augen passiert? Sie sehen aus, wie die von dem Mädchen”, meine Stimme war nicht mehr als ein flüstern.

Nun sah er wütend aus. Scheinbar war das nicht die richtige Antwort gewesen. Er kam schnell einen Schritt auf mich zu und schlug mir mit der flachen Hand ins Gesicht.

Er schrie: “Das Mädchen aus dem Cafe? Wirklich? Wie kannst du dich an sie erinnern, aber nicht an die Person die du Jahre lang gequält hast? Sie hatte die gleichen Augen und sie hatte es nicht verdient so behandelt zu werden. Von so einer miesen Schlampe wie dir, die nichts außer Daddys Kohle und den neuesten Kleidern im Sinn hat. Du hast dich kein Stück verändert. Vielleicht hätte ich mir alles noch mal anders überlegt, wenn du etwas Reue gezeigt hättest. Wenn du versucht hättest dich zu ändern. Doch du bist noch genauso wie damals. So wie sie dich immer beschrieben hat, wenn sie wieder weinend daheim ankam. Wie kann es sein, dass du dich nicht mehr daran erinnern kannst?”

Und da erkannte ich plötzlich die Ähnlichkeit, die ich schon vorhin hätte sehen sollen. Bei genauerer Betrachtung hatte er nicht nur die gleichen Augen, es waren auch die Gesichtszüge die ihr so ähnlich waren. Selbst seine Stimme hatte für einen Mann erstaunliche Ähnlichkeit mit der von meiner ehemaligen Klassenkameradin. Er sah aus wie Nicole. Diese hässliche Schnepfe, die sich immer angezogen hatte als würde sie unter der Brücke wohnen. Oft hatte ich ihr das vorgehalten, ich hatte sie aufgezogen wegen ihrer hässlichen und ungepflegten Haare und ihres komischen Verhaltens. Einmal hatte sie sich sogar vor Angst, vor der ganzen Klasse in die Hose gemacht. Kurz darauf war sie mit ihrer Familie umgezogen. Ich wusste nicht, dass sie offenbar einen Bruder hatte.

Ihr Name kam mir nur schwer über die Lippen, doch ich sah in Davids Blick, dass er genau das von mir hören wollte.

“Ja Nicole. Meine kleine Schwester Nicole. Sie hat nie wirklich erzählt was du mit ihr gemacht hast. Wie du sie vor der gesammten Schule tagtäglich gedehmütigt hast. Sie hielt das alles Geheim, bis es sie von innen aufgefressen hatte und sie alle Tabletten, die sie im Bad finden konnte auf ein mal eingenommen hatte. Es hat wohl nicht lang gedauert bis sie tot war und als wir sie gefunden hatten, konnten wir ihr nicht mehr helfen. Es war bereits zu spät. Und weißt du wer sie gefunden hat? Ausgerechnet Tessa, unsere kleine unschuldige Schwester Tessa, musste Nicole tot in diesem Zustand auf dem Badezimmerboden finden. Unsere Eltern wussten nichts davon, doch Nicole hatte uns einen Abschiedsbrief hinterlassen. Es war mehr ein Tagebuch. Sie hatte alles aufgeschrieben was du ihr angetan hast und weil sie das nicht mehr ertragen konnte, hat sie sich das Leben genommen”, zum Ende hin wurde seine Stimme immer hysterischer und brach dann ganz. Tränen glitzerten in seinen Augen.

Ich war sprachlos. Uns wurde nur erzählt, dass sie weggezogen waren und dann waren ihre ganzen Social Media Accounts gelöscht worden. Wir dachten immer sie hätte Angst dort weitere Hassnachrichten von uns zu bekommen und dass sie einfach neu anfangen wollte. Tatsächlich hatten wir sie auch recht schnell vergessen und waren froh diesen Klassenclown los zu sein. Ich glaube nach spätestens einer Woche hatte niemand von uns auch nur noch einen Gedanken an sie verschwendet.

Ich hatte das Bedürfnis etwas dazu zu sagen und öffnete den Mund: “David, das wusste ich nicht. Es hieß sie sei weggezogen und das war doch nie meine Absicht. Sie… Sie war einfach so anders und-“

Weiter kam ich nicht, da er mich wieder Schlug. Diesmal allerdings mit seiner Faust, was wesentlich schmerzhafter war, als das davor. Der Geschmack von Blut breitet sich in meinem Mund aus, es schmeckte nach Eisen und mir wurde übel. Ich hatte das Gefühl, dass er noch mal zuschlagen wollte, als ich die Stimme eines Mädchens hörte. Sie klang fast wie ein Engel, doch ihre Worte machten diese Vorstellung schnell zu nichte.

“Stopp David. Wir haben doch noch mehr mit ihr vor, so ein schnelles Ende wäre eine viel zu milde Strafe für das, was sie unserer Schwester angetan hat.”

Als der Angesprochene sich umdrehte konnte ich auch die Person zu der Stimme sehen. Es war das Mädchen mit den grauen Augen. Die selben Augen wie Davids. Das musste die kleine Schwester sein, er hatte sie Tessa genannt. Sie sah wirklich kaum älter als 18 aus, doch irgendwie war ihr Blick kalt und leer. Ihre Stimme war so ruhig gewesen als hätte sie ihm gesagt, dass er doch bitte das Fenster schließen solle.

Mit einem wahnsinnigen, aber etwas ruhigeren Blick, richtete sich David wieder an mich: “Das ist Tessa. Sie ist an dem Fund ihrer großen Schwester zerbrochen. Sie war mehrere Jahre in Therapie, doch schließlich haben wir es gemeinsam geschafft das ganze zu verarbeiten. Wir haben angefangen das hier zu planen. Auszuarbeiten wie wir dir alles heimzahlen würden, hat uns noch enger zusammengeschweißt und wir hatten wieder einen Grund nach vorn zu sehen. Das schlimmste war der Part, mich als dein Freund auszugeben. Also versteh mich nicht falsch, die Abende und Nächte hätte ich auch schlechter verbringen können, aber das einzige was mich davon abgehalten hat dir gleich etwas anzutun, war die Vorstellung, dich noch mehr leiden zu lassen, als du es mit Nicole getan hast .”

Ich hatte Angst. Langsam wurde mir klar was sie vor hatten, sie würden mich langsam und qualvoll töten und ich hatte keine Chance zu entkommen. Ich hatte das doch niemals gewollt. Ja, sie sollte leiden, einfach weil sie da war und nicht dazu passte. Niemand mochte sie und ich war nicht die einzige die so mit Nicole umgesprungen war, warum musste nun nur ich dafür leiden?

“Was habt ihr mit mir vor?”, fragte ich mit tonloser Stimme. Ich war mir nicht sicher ob ich es überhaupt wissen wollte, doch schon jetzt brachte mich diese Ungewissheit dazu, mir die schlimmsten Dinge vorzustellen.

Erst jetzt wurde mir bewusst, dass Tessa ein Glas Wasser in der Hand hielt, doch nun kam sie damit auf mich zu.

“Trink”, sagte sie und hielt es mir an die Lippen.

Ich war so ausgetrocknet, dass ich es einfach meine Kehle hinabrinnen lies, ohne groß darüber nachzudenken. Als das Glas gelehrt war, trat sie neben ihren Bruder.

Mit ruhiger Stimme erklärte sie mir: “Hast du mal etwas darüber gelesen wie es ist zu verhungern? Es tut weh, dein ganzer Körper wird schmerzen und sich nach Nahrung verzehren, doch es wird lang dauern. Ganz langsam wirst du schwächer und dann irgendwann ist es vorbei. Der Schlafmangel wird dir die restlichen Kräfte rauben und dich halluzinieren lassen.”

Sie wollten mich verhungern lassen? Wie krank waren die beiden bitte? Das konnte einfach nicht ihr ernst sein. So etwas passierte doch nur in schlechten Filmen. Ich hörte mein Blut in den Ohren rauschen und mir blieb mal wieder die Luft weg. Ich senkte den Blick auf meine Oberschenkel und ganz plötzlich wurde mir wirklich bewusst, dass ich nie wieder das Sonnenlicht erblicken oder meine Eltern sehen würde. Ich würde diesen Raum nie wieder verlassen.

Diesmal war es David der sprach: “Aber keine Angst, wir werden dir die Zeit so angenehm wie möglich gestallten. Wir werden dich beschäftigen und dich spüren lassen, was Nicole gespürt hat. Und wenn uns die Zeit nicht reicht wirst du vielleicht sogar noch mal etwas zu essen bekommen. Wir wollen ja nicht, dass dieser Spaß zu schnell ein Ende hat.”

Und mit diesen Worten ließen sie mich allein und ich wusste, dass ich die schlimmsten Tage meines Lebens vor mir hatte.

Sie würden mich qualvoll und allein in diesem Raum sterben lassen.

11 thoughts on “Eingeholt

  1. Wow, ich finde du hast den miesen Charakter der Hauptakteurin wirklich gut hersusgearbeitet. Dein Schreibstil gefällt mir. Außerdem hab ich richtig mitgefiebert. Und finde es toll, dass du so ein wichtiges Thema wie Mobbing behandelt hast.

  2. Hi, schöne Geschichte, hat mir gut gefallen.
    Ein paar kleine Anmerkungen, die mir aufgefallen sind:
    – hier und da haben sich ein paar Rechtschreibfehler eingeschlichen, du hast oft statt “fiel” (>von Fallen) “viel” (> von Viele) geschrieben; zudem könntest Du vielleicht nochmal die Geschichte nach fehlenden Satzzeichen durchforsten, da sind einige dabei … . Das macht das Lesen etwas angenehmer, ist aber nur ein Schönheitsfehler.
    – Ich hätte einige Charaktereigenschaften der Protagonistin nicht in der “Ich-Form” erzählt, aber das ist Geschmacksache.
    – In einem Nebensatz hast Du auf ein leises Lächeln auf dem Gesicht von David hingewiesen, das sie sich vielleicht nur eingebildet hätte. Das würde ich raus nehmen, ab diesem Zeitpunkt wußte man dann eigentlich schon, dass er der Bösewicht ist…
    Ansonsten fand ich Deine Geschichte ganz “rund”. Mein Like hast Du.

    P.S. vielleicht hast Du ja auch Lust, meine Geschichte zu lesen >>Glasauge
    Über ein Feedback würde ich mich freuen.

  3. Hi, ich finde die Idee zu deiner Geschichte auch gut und sehr modern. 🙂
    Ab und zu, fand ich, dass Stacys Gedankenmonologe etwas zu lang waren und so ein bisschen etwas von der Spannung genommen haben. Cool wäre es, wenn du vllt auch aus der Sicht eines der anderen Charaktere schreiben würdest. Aber das ist Geschmackssache.
    Dennoch war eine gewisse Spannung bis zum Ende der Geschichte da.
    VG Emelie

    Falls du Lust hast, meine Geschichte zu lesen und ein Feedback zu geben > https://wirschreibenzuhause.de/geschichten/kontrolle

    1. Hallo und Danke für deine spannende Geschichte.
      Coole Idee, die Hauptperson als so negativ und arrogant darzustellen.
      Deine Geschichte schreit förmlich danach, verfilmt zu werden.
      Da und dort hast du zu viele Längen und zu genaue Beschreibungen.
      Die Geschichte hat mich gefesselt. Ich musste sie unbedingt direkt durchlesen.
      Einen Tipp habe ich noch.
      Lass deine Geschichten vor der Veröffentlichung immer von ein, zwei anderen Menschen gegenlesen. Man selbst kann seinen eigenen Text nur schwer berichtigen, korrigieren oder kürzen. Schließlich liebt man jede Zeile seiner Geschichte.
      Korrekturleser sind da weniger emotional und finden schneller Fehler und zu ändernde Dinge.

      Insgesamt eine schöne, spannend erzählte Geschichte.
      Kompliment.
      Schreib weiter.

      Liebe Grüße, Swen (artsneurosia)

      Vielleicht hast du ja Lust, meine Geschichte “Die silberne Katze” zu lesen.
      Vielen Dank

  4. Hey, die Grundidee der Geschichte hat mir sehr gut gefallen. Der Anfang hat sich etwas gezogen, die Spannung kam dann eher Richtung Schluss. Insgesamt würde ich kürzen, um Spannung zu erzeugen. Das die Hauptfigur so unsympathisch und fies ist war Mal was anderes, allerdings habe ich dadurch nicht wirklich mit ihr mitgefühlt und die Geschichte konnte mich erst emotional mitnehmen, als es um die Schwester ging, die sich umgebracht hat. Das Oberthema ist für mich eher Mobbing als Identität. Aber das ist natürlich auch ein wichtiges Thema.

    Vielleicht möchtest Du ja auch meine Geschichte lesen, dann würde ich mich über Feedback sehr freuen. Sie heißt “Stumme Wunden”. 😊

    Liebe Grüße Sarah! 👋 (Insa: liondoll)

  5. Hallo Anja,

    finde ich gut, dass Du Dich getraut hast, eine durch und durch unsympathische Hauptfigur zu erschaffen. Das habe ich hier so noch nicht gelesen. Deine Geschichte bekommt dadurch Witz und liest sich sehr unterhaltsam. Richtig identifizieren kann man sich als Leser natürlich nicht mit Stacy – muss man aber auch nicht unbedingt, um die Geschichte zu mögen, finde ich.

    Die einzelnen Bedingungen – Handy, Fotos, Rache etc. – sind gut in die Geschichte eingebaut und das Ende ist konsequent. Irgendwie hatte ich damit gerechnet, dass ganz am Schluss noch eine überraschende Wendung kommt, aber es scheint tatsächlich darauf hinauszulaufen, dass Stacy qualvoll in dem Raum sterben muss. Es sei denn, ihr gelingt doch noch die Flucht, aber das verrätst Du uns nicht 😉

    Leider wird das Lesevergnügen ein bisschen getrübt durch ziemlich viele Rechtschreib- und Flüchtigkeitsfehler. Hier kann es Gold wert sein, die eigene Geschichte vor dem Abschicken noch mal von einer unbeteiligten Person Korrektur lesen zu lassen.

    Liebe Grüße,
    Ana2020 (ohne eigene Geschichte)

  6. Moin Anja,

    starke Storie! Die Stacy ist ja ne richtige Bitch! Super skizziert! Hab ich so in der Form noch nicht gelesen.

    Der Anfang war etwas schleppend, aber ab dem Zeitpunkt wo Stacy wieder zu Hause war, ging sie ab die wilde Fahrt. Schöner Spannungsbogen. Fesselnd geschrieben.

    Hat mir gut gefallen. Das Ende kam jetzt für mich nicht wirklich überraschend. Das der gute David da irgendwie seine Finger im Spiel hat, war mir recht schnell klar. Intuition! 😉☺️

    Mein Like lass ich dir gerne da und wünsche dir alles Gute für’s Voting.

    LG Frank aka leonjoestick ( Geschichte: Der Ponyjäger)

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