ChaPaEngelchen

Wie jeden Morgen steht Katharina auf dem U-Bahnhof Tempelhof und wartet auf die U6. Wie viele andere hört sie Musik und wischt auf ihrem Smartphone hoch und runter. Zwischendurch wird auch mal Etwas getippt. Nur zum Einsteigen und zur Sitzplatzsuche schaut sie kurz auf. Wie immer wird es Mehringdamm in der U-Bahn voll. Katharina sitzt mit dem Rücken zum Fenster und schaut erst ab Friedrichstraße hin und wieder hoch zur Anzeige, damit sie ihre Station nicht verpasst. Als sie bemerkt, dass sich einige um sie herum bewegen, schaut sie kurz auf. Sie vermutet, dass sie jetzt Friedrichstraße ist und in wenigen Stationen aussteigen muss. Sie hat recht. Während sie wieder herunter zu ihrem Smartphone schaut bemerkt sie einen dumpfen Schlag auf dem rechten Sitz direkt neben ihr. Katharina schaut nach rechts und sieht ein Smartphone auf dem Sitz liegen. Es muss jemandem wohl aus der Tasche gefallen sein, vermutet sie. Da es für sie eine Tragödie wäre, ihr Handy zu verlieren, greift sie direkt danach, hält es hoch und ruft in die U-Bahn nach rechts Richtung Tür: „Entschuldigung?! Ist jemandem das Handy aus der Tasche gefallen?“ Einige fassen sich in die Tasche und drängen sich kopfschüttelnd und Schulter zuckend weiter aus der Bahn. Sie schaut sich noch ein letztes Mal in der U-Bahn um und setzt sich wieder hin. Die Person scheint schon weg zu sein. Ohne große Hoffnung jetzt gleich den Besitzer mit dem Smartphone ermitteln zu können, drückt sie erstmal auf die Home-Taste. Der Sperrbildschirm ist eines von den voreingestellten Bildern. Sie wischt einmal quer über den Bildschirm und zu ihrer Verwunderung öffnet sich direkt der Startbildschirm. Das Smartphone scheint nicht personalisiert worden zu sein. Auch der Startbildschirm hat nur eines der voreingestellten Bilder im Hintergrund. Vielleicht hat jemand das Handy ganz neu gekauft und noch nicht fertig eingerichtet, denkt sich Katharina. Dennoch hofft sie, dass zumindest ein paar Kontakte eingespeichert sind. Also will sie erstmal in das Telefonbuch schauen. In diesem Moment vibriert das Handy und es erscheint eine Nachricht. Sie sieht ein Bild von sich wie sie in der U-Bahn sitzt und auf ihr Smartphone blickt. Katharinas Augen weiten sich und ihr Atem stockt. Sie reißt den Kopf hoch und hofft, dass sie jetzt gleich ein bekanntes, grinsendes Gesicht irgendwo entdecken würde. Doch sie sieht Niemanden, der ihr bekannt wäre. Noch immer hofft sie es sei ein Scherz und will wissen, wer dieses Bild geschickt hat. Es steht nur eine Nummer da. Die Nummer kommt ihr bekannt vor, doch das kann sie nicht glauben. Ziffer für Ziffer prüft sie, doch es gibt keinen Zweifel. Die Nummer, die das Bild von ihr in der U-Bahn geschickt haben soll, ist ihre eigene. Wie kann das sein? Sie schaut ihre Nachrichtenverläufe durch. Nichts. Ihre Bilder auf dem Handy. Auch nichts. Völlig verstört, schaut sie kurz auf die Anzeige. Mit grübelndem Blick steigt sie aus, mit beiden Handys in der Hand. Katharina muss erst überlegen, wo sie jetzt eigentlich lang muss. Als es ihr wieder einfällt geht sie nach links zum Ausgang. Ihr ist warm und ihr Herz scheint beschlossen zu haben stärker denn je zu schlagen. Sie muss sich erstmal beruhigen und packt beide Handys weg. Auf dem fünfzehnminütigen Fußweg zur Arbeit versucht sie durch zu atmen und sich einen Plan zu machen wie genau sie vorgehen will. Doch je länger sie darüber nachdenkt, desto mehr zweifelt sie daran, dass gerade das passiert ist woran sie sich meint zu erinnern. Sie muss sich irren. Aus Angst, vor dem was sie sieht, aber auch sich dann nicht mehr auf die Arbeit konzentrieren zu können, schaut sie den ganzen Tag nicht mehr auf das verlorene Handy. Sollte der Besitzer sich melden würde sie die Vibration schon wahrnehmen.

Auf dem Rückweg nach Hause, kann Katharina nicht an sich halten und holt doch das fremde Handy raus. Sie öffnet direkt die Nachricht mit dem Bild von ihr selbst. Diesmal will sie es sich genau ansehen. Ist sie das wirklich? Ihre Atmung setzt erneut aus, während ihr Herz bis zum Hals schlägt. Sie trägt genau dieselben Sachen auf dem Bild wie in diesem Moment. In der Hoffnung ihre Vermutung würde sich gleich in Luft auflösen, vergleicht sie hektisch die Person auf dem Bild mit sich selbst. Die blonden Haare, die engen Jeans, die Stiefeletten und der dunkelblaue Mantel alles scheint ihr zu gleichen. Andererseits hält Katharina ihren Stil nicht für besonders individuell, nicht jeder in Berlin strebt danach. Aber der pinke Schal lässt leider nicht mehr viel Raum für alternative Spekulationen. Bis eben hoffte sie so sehr, dass sie sich heute Morgen für den grauen Schal entschieden hat. Erst jetzt bemerkt sie, dass unter dem Foto noch etwas steht:

Hallo Engelchen!

Ich sehe dich!

Das löst in ihr so großes Unbehagen aus, dass Katharina sich gerade nicht mehr sicher ist, ob sie wissen will, wem das Handy gehört. Sie hat das Gefühl gleich zu platzen. Dennoch ist sie bemüht einen ruhigen, unauffälligen Eindruck zu machen. Sie fasst den Mut sich in der U6 umzusehen. Mittlerweile ist sie am Mehringdamm, viele Menschen steigen aus und wieder ein. Bis sie zu ihrer Station fühlt Katharina sich beobachtet. Auch auf dem Fußweg bis zu ihrer Wohnung, meint sie ständig einen Blick im Nacken zu spüren.

Zu Hause angekommen fühlt sich Katharina endlich sicher. Ganz bewusst lässt sie erstmal beide Smartphones, ihr eigenes und das vermeintlich verlorene, in ihrer Tasche im Flur. Ihr Kater „Beans“, der sie schon an der Tür begrüßte, folgt ihr ins Wohnzimmer. Kaum hat sie auf dem Sofa Platz genommen macht sich’s Beans erstmal gemütlich auf ihrem Schoß. Kurz bevor sie für einen Moment ihre Augen schließen will, bemerkt sie, dass sich etwas bewegt. Wieder komplett verspannt, reißt sie ihren Kopf hektisch nach rechts. So hektisch, dass auf den Schrecken ein stechender Schmerz in ihrem Nacken folgt. Mit schmerzverzerrtem Gesicht sieht sie zur zerknüllten Decke, die auf dem Sofa liegt. Erst als ihre Katze „Pika“ müde aus dieser Decke herausschaut, kann sie wieder aufatmen. Normalerweise würde sie sich jetzt etwas zu Essen machen, aber sie hat keinen Hunger. Katharina fühlt sich überfordert. Am liebsten würde sie unzählige Dinge gleichzeitig erledigen, doch sie fühlt sich wie gelähmt. Plötzlich springt Beans auf und Katharina hört wie jemand die Haustür aufschließt. Marco, Katharinas Freund, kommt zur Tür rein. Als Marco seine Freundin im Flur erblickt fragt er lächelnd: „Wie guckst du denn?“ Schulter zuckend und seufzend fällt sie Marco in die Arme. Etwas getröstet will sie Marco das Foto von sich zeigen, aber ist alles weg. Der Chat in dem noch ihre eigene Nummer angezeigt wurde ist einfach weg. Also erzählt sie ihm von dem gefundenen Smartphone, dem Bild, der Nachricht und das alle Beweise weg sind. Marco ist ungläubig aber möchte seine besorgte Freundin ernst nehmen. Im Wohnzimmer sieht er sich das Smartphone an. Tatsächlich kein Chat, er hat allerdings auch keine Idee, ob oder wie man solche Daten wieder zurückholen könnte. Darum schlägt er vor erstmal die Kontakte durchzusehen. Er hofft, den Besitzer ermitteln zu können und seine Freundin schnell von dem Smartphone zu befreien. Doch in den Kontakten ist nur eine Nummer abgespeichert. „Basti – wer hat denn nur eine einzige Nummer im Handy?“ fragt Marco mit zusammengezogenen Augenbrauen, noch immer auf das Smartphone blickend.

Da trifft es Katharina wie einen Schlag. Basti, war ihr Freund während der Schulzeit. Sie trennten sich noch kurz vor der mündlichen Abitur Prüfung. “Engelchen“ war damals Katharinas Kosename.

Marco sieht vom Handy auf und will Katharina gerade vorschlagen, diesen Basti mal eben anzurufen, da sieht er wie Katharina mit aufgerissenen Augen dasitzt. „Was ist los?“, fragt er und setzt sich zu ihr. Katharina taut kopfschüttelnd wieder auf und bittet Marco bei der Nummer im Handy anzurufen. Sie möchte zunächst noch nichts von ihrer Vermutung, eher ihrer Befürchtung, erzählen. Außerdem hofft sie, dass sich mit dem Anruf gleich alles erledigt hat und sie das Handy spätestens morgen wieder los ist. Mit dem Smartphone würde hoffentlich auch alles andere verschwinden. Als Marco aus dem Schlafzimmer zurückkommt, kann er Katharina nicht erlösen. Er konnte niemanden erreichen und hat daraufhin eine Nachricht geschrieben. „Hoffen wir, dass er sich bald meldet“ sagt Marco und holt erstmal zwei Bier aus dem Kühlschrank für sich und seine erstarrte Freundin.

 

Nachts kann Katharina nicht schlafen. Es drängen sich Erinnerungen auf, die sie lieber vergessen hätte. Damals hat sie sich von Basti getrennt, weil es ihr immer schwerer viel ihm in die Augen zu sehen. Doch warum sollte er das machen? Auch wenn sie sich damals von ihm getrennt hat, so stand sie immer hinter ihm. Katharina beendet den Kampf mit dem Schlaf und steht auf. Noch im Dunkeln sieht sie schon das fremde Smartphone auf dem Couchtisch aufblinken. Ein kleines, weißes Licht signalisiert, dass eine Nachricht noch ungelesen ist. Dem kleinen Licht folgend geht sie zum Couchtisch und drückt den Home-Button. Vom hellen Licht geblendet kann sie dennoch ihre Nummer und die ersten Worte erkennen. In der Stille kann Katharina ihren Herzschlag hören. Sie schluckt schwer als sie beginnt die Nachricht zu lesen:

Ich konnte dich nicht vergessen und du mich bestimmt auch nicht! Du fehlst mir.

Mit allem Mut, den sie aufbringen kann tippt Katharina: „Basti?“ und schickt die Nachricht ab. Weiter auf das Smartphone starrend setzt sie sich auf das Sofa. Doch es passiert nichts. Sie holt ihr Smartphone von der Ladestation und sieht all ihre Chats durch. Da ist nichts, wie kann das sein? Geplagt von der Frage wie da ihre Nummer stehen kann, beschließt sie ihre Nummer anzurufen. Ihr Smartphone zeigt lautlos den Anruf einer fremden Nummer an. Eine Weile wartet sie noch, ob jemand anderes abhebt, doch es passiert nichts. Nach Antworten suchend, beschließt sie das Internet zu fragen. Mit dem Stichwort „Nummernklau“ ergeben sich unzählige Treffer. Sie klickt auf den ersten Artikel mit dem Begriff SIM-Swapping im Titel. Der Artikel beschreibt, wie mit einem einfachen Anruf Betrüger nur mittels der Handynummer eine weitere SIM-Karte zuschicken lassen. Dafür rufen sie beim Mobilanbieter an und melden ihr Smartphone samt SIM-Karte als verloren und bitten um Ersatz. Normaler Weise würden sie das tun um TAN-Nummern beim Online Banking abzufangen und somit die Konten ihrer Opfer leer räumen zu können. Geschockt von dieser Information versucht Katharina über ihren Online Zugang die 2. SIM-Karte sperren zu lassen. Doch sie wird nicht fündig, sie könnte ihre SIM-Karte nur grundsätzlich sperren. Doch dann wäre sie wohl für niemanden mehr erreichbar. Da sie selbst kein Online Banking mittels Zusendung einer TAN-Nummer verwendet, beschließt sie gleich Frühs vor der Arbeit bei ihrem Anbieter anzurufen. Sie hofft, dass es dann möglich ist nur die 2. SIM sperren zu lassen. Grübelnd darüber, ob sie rausfinden kann, wer ihre SIM-Karte angefordert hat legt sie die Smartphones auf den Couchtisch und macht den Fernseher an. Nach einer Weile schläft sie auf dem Sofa mit Beans auf ihrem Bauch ein.

 

Katharina wird vom Klingeln an der Haustür wach. Es klingelt Sturm. Marco kommt aus dem Schlafzimmer und geht an den Hörer. „Wer ist da? – Ok“ und öffnet die Tür. „Wer ist das?“ fragt Katharina – „die Polizei“. Er zieht sich schnell eine Hose an, so scheint er mit dem T-Shirt, dass er zum Schlafen trägt, angezogen. Katharina schlägt das Herz bis zum Hals, was passiert hier gerade? Marco öffnet nun zwei Streifenpolizisten die Tür. „Marco Kaminski? – Ja? – „Dürfen wir eintreten, können Sie sich ausweisen?“ – „Äh ja, worum geht es denn?“ – „Dazu kommen wir gleich.“ Die Polizisten schließen hinter sich die Haustür und bleiben direkt vor ihr stehen. Die beiden Beamten stellen sich kurz vor, doch Katharina schafft es nicht sich die Namen zu merken. Nach einem kurzen Blick auf den Personalausweis, eröffnet Ihnen einer der Beamten: „Ok, Herr Kaminski, sie stehen unter dringendem Tatverdacht des Mordes an Bastian Grabowski. Sie sind vorläufig festgenommen und folgen uns nun mit auf die Dienststelle.“– „Wie bitte?!“ – „Es gibt hinreichende Hinweise, dass Sie mit der Ermordung an Bastian Grabowski direkt in Verbindung stehen. Alles weitere erklären wir Ihnen auf der Dienststelle“ – „Wer soll das sein?“ fragt Marco, der noch von einem Scherz ausgeht. Katharina löst sich aus ihrer Schockstarre: „Basti ist tot?“ – „Kathi du kennst den? Wer ist das?“ – „Mein Ex aus dem Abi“ – „Ich versteh gerade gar nichts“. Die Polizisten, wenig beeindruckt von dem was sich gerade in der kleinen Altbau Wohnung in Berlin Tempelhof abspielt, achten vorrangig darauf, dass Marco sich jetzt anzieht um mit Ihnen mitzukommen. Dennoch fragt er, ob er sich noch kurz duschen dürfte. Die Polizisten verneinen und fordern ihn dazu auf jetzt mitzukommen. Während Katharina die Tränen die Wangen runterlaufen, wird ihr erklärt, dass sie ihrem Freund später Klamotten und wenige Hygieneartikel bringen darf. In ihrem Kopf dreht sich alles und sie beginnt unzählige Fragen zu stellen. Wann soll Basti ermordet worden sein? Wie? Warum Marco, wie kommen sie darauf? Doch aus den Polizisten ist nichts herauszuholen. Sie erklären nur ruhig aber äußerst bestimmt, dass sie Marco während seiner Aussage aufklären werden und dass Katharina gegebenenfalls informiert wird um ebenfalls eine Aussage zu machen. Immer wieder beteuert sie flehend Marcos Unschuld, doch es ist nichts zu machen. Marco geht mit den Polizisten die Treppe runter und Katharina steht völlig verloren in ihrer gemeinsamen Wohnung. Beans reißt sie mit einem auffordernden Miauen nach Fressen aus ihrem Gefühl des bodenlosen Fallens. Erstmal in Bewegung, bleibt Katharina keine Sekunde mehr ruhig. Unkonzentriert und hektisch versorgt sie die Katzen und packt eine Tasche für Marco.

Mit noch roten Augen und dem Gefühl trotz Dusche noch die getrockneten Tränen auf den Wangen zu spüren bemüht sich Katharina um klare Gedanken. Sie meldet sich und Marco erstmal bei der Arbeit krank. Danach fährt sie direkt los um ihrem Freund die Tasche zu bringen.

Was zum Teufel passiert hier?

Unterwegs will sie nach einem Anwalt im Internet suchen. Sie gibt “Anwalt Mordverdacht“ in die Suchleiste ein und fühlt sich mit all den Treffern überfordert. Sie merkt, dass sie kaum eine Zeile verständlich lesen kann. Ein Gedanke jagt den nächsten und mit jedem neuen kaum zu greifenden Gedanken mischen sich ihre Gefühle zu einem dicken Knoten in ihrem Bauch.

In der Haftanstalt Moabit erfährt sie schnell, dass sie bald ebenfalls zum Mord von Bastian Grabowski aussagen soll. Sie bekommt einen Termin am Montag 9 Uhr. Zunächst ist sie geschockt von der Information, dass Marco das ganze Wochenende in Haft bleiben muss. Doch der strenge Ton der Beamtin verschreckt sie ungemein, sodass sie Kleinlaut bald wieder die JVA verlässt.

Am liebsten würde Katharina das ganze Wochenende bei einer Freundin oder ihrer Mama bleiben, aber jemand muss sich um die beiden Katzen kümmern. So gerne würde sie mit jemandem darüber reden, Trost und Hilfe suchen, doch es ist ihr auch unangenehm. Sie hat Angst, dass jemand Marco für einen Mörder halten könnte, wie soll sie dann reagieren? Wie soll sie ihn in Schutz nehmen? Kann sie das überhaupt? Kann sie überhaupt mit Sicherheit sagen, dass er unschuldig ist? Sie schiebt ihre Zweifel auf das Chaos in ihrem Kopf und den dicken Gefühlsknoten in ihrem Bauch.

Wieder zu Hause versucht Katharina diesmal mit ihrem Laptop nach einem Anwalt zu suchen. Nach unzähligen Pausen kann sie noch immer nicht genug Konzentration für die Anwaltssuche aufbringen. Darum beschließt sie Lavendeltabletten zu nehmen. Als sich die beruhigende Wirkung bemerkbar macht, fühlt sich Katharina nur noch erschöpft. Beans und Pika schmiegen sich beide direkt an, als sie sich ins gemeinsame Bett legt. Sie schließt die Augen, weil sie vor lauter Tränen kaum noch etwas sehen kann.

 

Plötzlich ist es unglaublich hell. Katharina bemüht sich die Augen zu öffnen, es scheint mittlerweile dunkel geworden zu sein und dennoch sticht ihr ein helles Licht in die Augen. Langsam beginnt sie zu erkennen, dass es das Taschenlampenlicht eines Smartphones ist. „Marco?“ fragt Katharina noch benommen vom Schlaf. „Nein, du kleiner schlafender Engel“ sagt eine sarkastische Frauenstimme. Katharina schrickt auf und setzt sich ruckartig im Bett auf. Die Katzen haben wohl schon Reißaus genommen. „Wer sind Sie?“ fragt Katharina eine dunkle Gestalt, die sich um ihr Bett bewegt und das Taschenlampenlicht auf sie gerichtet hält. „Na ich bin´s“, sagt die Stimme triumphierend. Die Stimme kommt Katharina bekannt vor und sie hört sich selbst sagen: „Saskia?“ Damit hat sie sich selbst überrascht und hofft inständig, dass sie sich irrt.  Die Gestalt stößt nur ein „Ha!“ aus und hat sich nun vor ihrem Bett positioniert. Hektisch knippst Katharina die Nachttischlampe an. Kaum erkennt Katharina das Gesicht der Person vor ihrem Bett, ist sie wieder starr vor Schreck. Es ist Saskia. Sie war ihre beste Freundin. Bis Saskia behauptete, dass Katharinas damaliger Freund Bastian sie vergewaltigt hätte.

„Ich hab´ doch gewusst, dass du mich nicht vergessen hast“ sagt Saskia mit einem vertrauten Lächeln. Katharina findet keine Worte, sie hat schon oft überlegt, was sie ihr als erstes sagen würde, wenn sie Saskia wiedersehen würde. Doch es viel ihr nie etwas ein. Wenn sie ehrlich sein soll, hat sie immer gehofft, das würde nie geschehen. Saskias Blick ist fest auf Katharina gerichtet, dabei nimmt sie das Smartphone herunter und lässt es in ihrer Jackentasche verschwinden. In diesem Moment fällt Katharina auf, dass Saskia einen schwarzen länglichen Gegenstand in der anderen Hand hält. „Es hat mir gefehlt mit dir zu reden, also so richtig“ Katharina ist verwundert über den freundlichen Ton. „Ich weiß, ich… aber Basti“ und schüttelt den Kopf. „Ja? Katharina, was willst du sagen?“, Saskia dreht ihren Kopf zur Seite und hält ihre rote Haare nach hinten um das Ohr freizulegen. Katharina sitzt weiter steif in ihrem Bett und ringt nach Worten. „Du brauchst nichts sagen, ich bin ja hier damit wir endlich wieder Freunde sein können“, dabei hat Saskia die Hand gehoben und deutet abwechselnd auf sich und Katharina mit einem schwarzen Messer, dass an einer Seite der Klinge viele Furchen zeigt. So ein Messer hatte Katharina bisher höchstens in Filmen gesehen. „Saskia, bitte, es tut mir leid. Ich weiß, ich weiß, das war schrecklich, aber… Bitte, Saskia!“ fleht Katharina. „Jetzt beruhig dich erstmal“, sagt Saskia die Augen verdrehend. Katharina schluchzt, noch nie hatte sie solche Angst. „Es tut mir so leid Saskia“ – „Es ist ok, aber zuerst musst du es endlich zugeben“ – Katharina stutzt, einen Moment lang versteht sie nicht, was Saskia erwartet. „Sag endlich, was Basti getan hat. Du weißt, dass er es getan hat, auch wenn du es immer geleugnet hast“ obwohl Saskias Stimme ruhig klingt, wird ihr Griff um den Schaft des Messers immer fester. „Er hat dir…“, zögernd beendet Katharina den Satz „wehgetan“. Mit einem lauten „Verdammt“ rammt Saskia das Messer in das Bett, dabei fällt ihr langes Haar über ihr Gesicht. Katharina schreckt zusammen und umklammert ihre Beine. „Er hat mir nicht wehgetan“, den Schluss betont Saskia als wäre es kein richtiges Wort. „Basti hat mich …“, Saskia richtet die Messerspitze auf Katharina und sieht sie auffordernd an. Durch ihr rotes Haar blitzten ihre blauen Augen und ein mattes Lächeln. Katharina ist wie gelähmt. Mit einem Schwung wirft Saskia ihre Haare nach hinten und geht mit der Messerspitze auf Katharina gerichtet zu: „Was hat Basti getan?“ Katharina zittert und drückt sich gegen das Kopfteil des Bettes. „Was hat er?!“ schreit Saskia und bleibt mit dem Messer direkt vor Katharina stehen. „Vergewaltigt! Er hat dich vergewaltigt. Saskia es tut mir wirklich leid!“ und bricht erneut in Tränen aus. Sich selbst schluchzend hörend, erinnert sie sich daran, wie Saskia vor ihr weinend saß und erzählte, dass Basti sie vergewaltigt hatte. Katharina konnte und wollte das nicht glauben. Sie fühlte sich sogar betrogen von ihrer besten Freundin. Seit Katharina mit Basti zusammengekommen war, gab es immer wieder Streit wegen ihm. Saskia schien nichts unversucht um diese Beziehung zu brechen. Stattdessen zerbrach ihre Freundschaft. Danach fiel Saskia immer wieder mit Wutausbrüchen auf bis sie dann die Schule abbrach und Katharina nichts mehr von ihr hörte. Bis jetzt.

Sichtlicht erleichtert richtet sich Saskia auf und richtet ihre schwarze Lederjacke.

„Okay, jetzt muss ich mich entschuldigen. Also es tut mir leid, das mit Marco, aber das hatte sich einfach so ergeben“ dabei zieht sie die Schultern hoch und neigt den Kopf zur Seite. Im Augenwinkel sieht Katharina, dass ein Licht im Haus gegenüber angeht. Sobald die Bäume keine Blätter mehr tragen, kann man besonders abends den Nachbarn direkt in die Wohnung sehen. Saskia bemerkt den abschweifenden Blick dreht sich zum Fenster und zieht die Vorhänge zu. „Na gut, vielleicht war es kein großer Zufall, aber ich kann auch nicht behaupten das wäre genau so geplant gewesen.“ Katharina ist gelähmt vor Angst, beginnt aber langsam zu verstehen, worauf Saskia hinauswill. Der fragende Blick bleibt nicht unbemerkt. „Naja also ich wollte Bastian Angst machen, Jahrelang habe ich mich vor ihm gefürchtet und ich wollte, dass er das auch mal zu spüren bekommt. Also habe ich, als Marco, ihm immer wieder einige Nachrichten zukommen lassen. Die Idee kam mir erst vor kurzem. Allerdings war das sehr unbefriedigend. Nur selten konnte ich seine Reaktion mitbekommen also wusste ich gar nicht, ob das etwas bringt. Also wollte ich ihm richtig Angst machen und dabei geschah ein Unfall. Aber auch der hatte etwas Gutes. Lange habe ich mich nicht mehr so selbstbestimmt gefühlt, wie in diesem Moment. Es war auch schockierend, ganz klar, ich dachte nicht, dass ich dazu fähig wäre auch wenn ich es mir sehr oft vorgestellt habe, aber ich fühlte mich auch kraftvoll. Damals fühlte es sich an als hätte er mir jegliche Selbstbestimmung in meinem Leben geraubt. Und dich hat er genauso gestohlen und jetzt hol ich mir alles wieder.“ Das Gesagte sickerte nur langsam in Katharinas Verstand. Immer wieder fragt sie sich ob sie einfach aufstehen und losrennen soll, doch sobald ihr Blick auf die zerfetzte Decke, in die Saskia mit voller Wucht einstach, fiel, verließ sie der Mut. Nur am Rande nimmt sie Saskias Erzählungen wahr. Es geht um Freundschaft und Verzeihen, ihren Leidensweg der letzten Jahre und warum Katharina Verständnis haben soll. Doch sie denkt nur darüber nach in welchem Szenario ihr am ehesten eine Flucht gelingt. Saskias Wutausbrüche machen ihre Handlungen kaum kalkulierbar. Um Lebend und möglichst unverletzt hier rauszukommen muss sie schnell in Sicherheit kommen. Es scheint das Badezimmer die einzige Möglichkeit zu sein sich schnell in Sicherheit zu bringen und nach Hilfe zu rufen. Es ist von außen nicht möglich das Schloss zu öffnen und sie haben zum Glück ein Fenster zum Hof. Aber sie muss es im richtigen Moment wagen, Saskia stand ist bisher keine 2 Meter von Katharina entfernt. Also versucht sie es mit einem Ablenkungsversuch. „Saskia, entschuldige, aber ich sehe gerade ich müsste die Katzen jetzt füttern“ ihre Stimme zittert. „Oh ja, kein Problem meine Liebe. Ich kenne deine Katzen ja noch gar nicht“, Saskia lächelt und scheint nichts zu befürchten. Katharina ringt sich ein mattes Lächeln ab und steht aus dem Bett auf. Ihr Körper ist völlig steif vor Angst, ihre Knie zittern und das Herz springt ihr beinahe aus der Brust. Darum bewegt sie sich zunächst sehr langsam um das Bett herum und an Saskia vorbei. Diese wirkt entspannt , beginnt aber sobald Katharina an ihre vorbei war, ihr langsam, nur wenige Schritte entfernt, zu folgen. Katharina atmet einmal tief durch und spürt wie Saskia ihr folgt, traut sich aber nicht sich umzudrehen. Vor der Badezimmertür angekommen, traut sich Katharina nicht hinein zu flüchten, zu nah ist Saskia ihr auf den Fersen. „Die Katzen sind bestimmt im Wohnzimmer, vielleicht unter dem Sofa“ und deutet auf den Raum neben der Küche, in der Hoffnung Saskia würde nach Ihnen sehen wollen. Doch Saskia bleibt dicht hinter ihr. Also bleibt ihr nichts anderes übrig als den Katzen etwas zu fressen zu geben und sich danach wieder auf das Bett zu setzen.

Katharina sieht Saskia stumm an. Als diese gerade zu einem weiteren Gespräch ansetzen will, hört man einige Schritte im Treppenhaus. Saskia beginnt zu lauschen. Die Schritte enden auf ihrer Etage. Saskia wirkt etwas unruhig und Katharina hofft gleich eine Chance zu erhalten ins Badezimmer zu flüchten. Dann klingelt es an der Tür. Katharina schreckt auf, und sieht Saskia mit großen Augen an. Saskia wirkt besorgt und hält ihren Zeigefinger vor ihren Mund. Katharina soll schweigen, Saskia flüstert „Wenn wir ganz leise sind, geht derjenige bestimmt gleich wieder“. Doch sie sollte sich täuschen. Es wird kräftig an die Tür gehämmert, es ist die Polizei und droht gleich die Tür gewaltsam zu öffnen, sollte nicht geöffnet werden. Katharina wartet auf Saskias Anweisung, diese ist jetzt völlig verunsichert und läuft vor dem Bett auf und ab. Schwer atmend schließt sie die Schlafzimmertür und versucht eine Kommode vor die Tür zu schieben. Erneut hämmert es kräftig an der Tür. „Hilf mir doch mal!“, schreit sie. Katharina springt auf, hofft aber so sehr auf Hilfe, dass sie nur andeutet die schwere Kommode zu schieben. In diesem Moment bricht die Haustür auf, Saskia rennt panisch zum Fenster. Im selben Moment stürmen zwei Polizisten ins Schlafzimmer, einer der beiden rennt zum Fenster während Saskia es aufreißt und springt. Er schaut Saskia nach, ruft etwas in den Raum und rennt wieder hinaus. Im Flur kann Katharina sehen wie zwei weitere Polizisten ihm folgen. Einer blieb direkt bei Katharina stehen und fragt, ob sie verletzt sei und einen Arzt benötige. Sie schüttelt nur stumm den Kopf.

Saskia überlebte den Sprung und wurde wenige Monate später wegen Mord an Bastian Grabowski sowie Einbruch, Bedrohung und Nachstellung verurteilt.

Manchmal hat Katharina noch Schuldgefühle, weil die Vergewaltigung und die fehlende Opferanerkennung ihre damalige Freundin buchstäblich in den Wahnsinn trieben, dennoch hofft sie ab jetzt Saskia nie mehr begegnen zu müssen.

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