SarahOllFaustrecht – Right of way

Faustrecht
~ Right of way ~
Meine Schritte hallen von den Wänden wieder, während ich den Flur entlang laufe. Der Beamte, der vor mir her läuft, hat einen sicheren Gang. Im Gegensatz zu mir hat er jeden Tag mit diesen Menschen zu tun und ist deswegen viel gelassener als ich. Nach viel Bürokratie, die mein Verlag überwinden musste. Es bis fast nie. Ich weiß nicht, wie mein Chef es geschafft hatte, aber nun war ich hier. Mir wurde gesagt, dass alles, was in dem Raum gesagt, mir aber auch nichts passieren, trotzdem war ich nervös, denn ich wusste nicht, was ich alles erfahren würde. Ich klammere mich um meine Umhängetasche und hoffe, dass alles glattgeht. Ich habe vier Stunden Zeit für das Interview, was mir jetzt schon ein wenig Druck macht, nicht weil es zu viel oder zu wenig Zeit ist, sondern weil ich bisher nie feste Rahmen hatte, was neu für mich ist.Wir bleiben vor einer Stahltür stehen und der Wärter holt einen Schlüsselbund hervor, schließt die Tür auf und tritt beiseite, als ich den Raum betrete, höre ich, wie die schwere Tür hinter mir wieder ins Schloss fällt und von außen abgeschlossen wird. Auch wenn ich nur Besucherin bin, mich um. Der Raum ist weder groß noch klein. Es gibt keine Fenster, dass einzige Licht kommt von einer schlichten Lampe, die von der Decke hängt. Vor mir befindet sich ein Tisch an dem zwei Stühle sich gegenüber stehen. Ansonsten ist der Raum leer und wirkt trostlos und runtergekommen. Zögernd setze ich mich auf den Stuhl und hole mein Diktiergerät aus der Tasche und lege es auf den Tisch. Während ich warte, überlege ich, wie es sein wird einem verurteilten Mörder gegenüber zu sitzen.Plötzlich öffnet sich eine Tür an der Seite ein Mann mit einer blauen Hose und einem blauen Pullover, wird in Handschellen, von zwei Beamten hereingeführt und auf den Stuhl gesetzt. Einer der Beamten verlässt den Raum und schließt von außen die Tür wieder ab, der andere stellt sich in die Ecke neben der Tür. Der Mann, der mir gegenübersitzt, ist groß und kräftig gebaut. Seine hellblauen Augen haben eine düstere Aura und seine schwarzen Haare sind ordentlich nach hinten gekämmt. Er hat eine charismatische Ausstrahlung die während sein Blick einen durchbohrt. Die Stille hat etwas Bedrohliches. Gerade als ich etwas sagen will, eine tiefe warme Stimme, „Sie sind also von der Zeitung und wollen einen Artikel über mich schreiben. “.Es ist keine Frage, sondern vielmehr eine Feststellung.„Sie wirken noch relativ jung und unerfahren. Ich bezweifle, dass sie die Richtige für diesen Job sind.“, er klingt herablassend sogar gelangweilt, was mich kränkt, ich lasse jedoch nicht einschüchtern, „Ihr Name ist Michael Ender, sie sind 36 Jahre alt und Sie sitzen im Gefängnis, weil sie wegen zweifachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden sind.“ ,meine Stimme klingt fester, als ich gedacht habe. Er betrachtet gelangweilt seine Fingernägel. Zufrieden lehne ich mich ebenfalls zurück, ich habe es geschafft und ihn neugierig gemacht. “Die Opfer waren unterschiedlichen Alters und Geschlechts noch hatten sie ein ähnliches Aussehen, was darauf, deutet, dass sie keinen bestimmten Opfertypus hatten. Zusätzlich interessant ist, dass sie ein Pärchen getötet haben. Zwei Menschen zu kontrollieren bedeutet, dass sie vorbereitet waren. Dass die Opfer erschossen wurden, zeigt, dass sie kein Interesse daran hatten es zu genießen. Sie haben die beiden weder vor noch nach dem Mord gequält oder verstümmelt, womit das Merkmal der Grausamkeit fehlt.“, ich beende meinen Vortrag und warte auf eine Reaktion. Als keine kommt, fahre ich fort, „Sie haben auch weder bei der Polizei noch bei der Verhandlung sich dazu geäußert, warum sie diese Menschen umgebracht haben. Weshalb es mir so vor kommt, als würde es ihnen zwar egal sein das sie Menschen ermordet haben und sie kein Mitleid empfinden, jedoch wollen sie damit auch nicht prahlen oder angeben.“Mein Gegenüber nickt mir anerkennend zu. Er hat während meines Vortrages keine Miene verzogen oder auch nur mit der Wimper gezuckt. Sein Blick ist jedoch sehr kühl geworden und noch durchdringlicher als ohnehin schon. Nach einer Minute des Schweigens lehnt er sich nach vorne und auf den Tisch und sagt leise, „ Ich bin erstaunt, sie haben sich anscheinend sehr mit mir und meinem Fall beschäftigt, aber wenn sie schon so viel wissen warum sind sie dann hier. Ein Geständnis brauchen sie ja auch nicht mehr, ich bin ja, wie sie bereits gesagt haben verurteilt worden.“Ich schlucke, seine Stimme hat nun einen eisigen Unterton angenommen, „Mein Ziel und dann ohne sich dafür zu rechtfertigen verurteilen lässt.“ Antworte ich ruhig. Ein spöttisches Lächeln umspielt seinen Mund als wäre ich ein naives kleines Kind das nicht einmal eins und ein zusammenzählen kann. „Sie wollen den Grund erfahren, wieso jemand plötzlich zum Mörder wird? Wieso jemand fünf Menschen ermordet?“, ich nicke in der Hoffnung, doch schneller hier wegzukommen als eigentlich geplant, denn ein düsteres Grinsen macht sich auf seinem Gesicht breit, sodass ich Gänsehaut bekomme. „Dann müssen sie die ganze Geschichte hören und auch veröffentlichen, denn ich werde mir ihren Artikel durchlesen und ich hoffe für sie das sie zu den Menschen gehören die einem nicht das Wort im Mund herum Drehen.“, ich schlucke bei seinen Worten. „Sie wollen mir drohen?“, zum ersten Mal, seit ich hier bin, zittert meine Stimme und Angst überkommt mich. „Sehen sie es als Warnung.“, antwortet er gleichgültig.Ich schaue auf die Uhr, wir sitzen bereits eine Stunde hier und reden und bisher habe ich nichts Brauchbares erfahren, was mich ein wenig nervt. „Können wir nun anfangen, weshalb ich hier bin, oder verschwenden sie nur meine Zeit, weil ihnen langweilig ist?“, ich klinge ein wenig gereizt, was ihn zu amüsieren scheint. „Sie wollten mit mir sprechen nicht umgekehrt. “. Genervt blättere ich in meinem Notizbuch, um eine freie Seite zu finden, für neue Notizen. Mein Diktiergerät was bisher das gesamte Gespräch aufgezeichnet hat, liegt noch immer auf dem Tisch. „Also was Mich interessiert warum haben sie die Menschen umgebracht?“ Frage ich, obwohl ich nicht weiß, ob ich es wirklich wissen will. „Wie gesagt um das zu erfahren fangen wir nicht beim `warum´ an, sondern beim `wie´. Und um das zu verstehen müssen sie erst mal wissen, wer die Opfer waren.“, erklärt er mir in einer Art als würde er einem Kind erklären, dass eins plus eins, zwei ergibt. „Wollen sie etwa sagen sie kannten die beiden?“, frage ich etwas perplex. Mein Gegenüber nickt leicht als Antwort. Für einen kurzen Moment bin ich sprachlos. Mein leicht entsetzter Blick scheint ihn zu amüsieren, „ Wir kannten uns flüchtig.“, sagt er ruhig. Kurz schließt er die Augen, dann fährt er mit kaum hörbarer Stimme fort, „Ich bin aber nicht einfach so in ihre Wohnung und habe beide erschossen, sondern sie das durchleben lassen, was dieser Mistkerl uns hat durchleben lassen. “. Seine Stimme zittert vor Wut beim letzten Teil, „Ich bin nicht stolz darauf, jedoch habe ich keinen anderen Weg gesehen, um Frieden zu finden. Was ich ihnen jetzt erzähle, weiß selbst meinem Anwalt nicht.“, nach einer kurzen Pause erzählt er weiter, „Ich habe sie angefangen auszuspionieren, mir ihre Tagesabläufe gemerkt und als ich bereit war, bin ich zur Tat geschritten. Ich habe ihnen per Post ein Handy zugeschickt, auf dem ich Fotos von ihr gespeichert hatte. Diese hab ich gemacht, während sie gejoggt ist, wenn sie zur Arbeit gegangen ist und als sie sich mit Freundinnen getroffen hat.“. Ich muss schlucken, wenn ich mir vorstelle, wie ich mich fühlen würde, wenn mir so etwas passiert, wird mir übel. Man muss sich direkt beobachtet fühlen egal, wo man ist. Ich schaue ihn an und kann in seinen Augen sehen, dass auch er dieses Gefühl kennt, doch ich. „Ich habe ihnen immer wieder Bilder zugespielt, es zog sich über Wochen hinweg, sie sind kaum noch außer Haus gegangen.“, fährt er fort. Doch eins macht mich stutzig, „Warum haben sie nicht die Polizei eingeschaltet?“, frage ich verwundert, denn das wäre eine logische Reaktion in einer solchen Situation. „Weil die Polizei nur aktiv wird, wenn jemanden etwas passiert.“, bekomme ich die Antwort, „aber das konnten sie doch nicht vorher wissen oder?“, frage ich skeptisch. „Sagen wir mal so. Ich habe meine Erfahrungen gemacht.“, sagt er entschieden, „Nach einem Monat hatte ich sie an dem Punkt wo, an dem mein nächster Schritt kam. Ich wollte sie zur Rede stellen, also klingelte ich kurzer Hand bei ihnen. Da ich wusste, dass es schwierig wird, beide ruhig zu halten ohne, dass es ein Chaos wird, hab ich mir eine Waffe gekauft. Hatte aber nie vorgehabt sie zu benutzen. Ich bedrohte sie schließlich mit der Waffe, um die Kontrolle zu behalten, um ihn zur Rede zu stellen. Doch anstatt, es einzusehen und Reue zu zeigen hat er mir ins Gesicht gelacht, seine Angst war plötzlich weg und es war nur noch Hohn und Spott. Er lachte mich aus. Sein Lachen hallt mir noch immer in den Ohren. Seine Frau lachte zwar nicht aber sie zeigte ebenfalls keine Reue, sie verstand es nicht, sie sah nicht ein, dass ihr Mann ein Monster war, da er ihr gegenüber immer den liebevollen Ehemann spielte, sein Zweites Gesicht kannte sie entweder nicht oder wollte es sich nicht eingestehen. “. Er bricht ab und schließt die Augen. Im Raum herrscht eine Spannung, die fast greifbar ist. Ich warte darauf, dass er weiter spricht, da ich mich selbst nicht traue, die Stille zu zerreißen. „Es war schrecklich, die Verachtung in ihren Augen zu sehen und in seinen Augen einfach nur ein irres funkeln. Er fing an, mich zu provozieren. Er sagte, ich war nicht Mann genug meine Frau zu schützen und wäre ein Feigling. Ich hätte eine Waffe und hätte nicht den Mut sie zu benutzen.“, seine Stimme ist voller Verzweiflung und ich habe lebhaft das Szenario vor meinen Augen. „Ich schrie ihn an, dass er still sein sollte doch er hörte nicht auf, als ich plötzlich einen lauten Knall hörte und er leblos zusammen sackte. Um ihn herum breitete sich eine Blutlache aus und wurde immer größer, seine Frau schrie und beugte sich über ihn und ich, ich konnte mich nicht bewegen oder denken.“, erneut unterbricht er sich und in seinen Augen tut sich ein Abgrund auf, der tiefer ist, als man erahnen kann. Ich merke, wie ich während seiner Erzählung den Atem angehalten habe. Leise räuspere ich mich, „wieso haben sie denn auch seine Frau umgebracht?“, meine Stimme ist kaum mehr als ein flüstern. „Das war ein Unfall. Sie stürzte sich auf mich und es kam zu einem Handgemenge, wobei sich ein Schuss gelöst hat, der sie tödlich verletzte. Ich kam mir vor wie in Trance und habe auch eher aus Reflex den Notruf gewählt. Wirklich realisiert habe ich es erst, als ich auf dem Polizeirevier saß und verhört wurde. Der Grund, warum ich nie eine Aussage gemacht habe, ist, dass ich im Gegensatz zu den meisten Menschen dafür gerade stehe, was ich getan habe. Ich weiß, dass ich zwei Menschen umgebracht habe und damit das Leben ihrer Familie und Freunde zerstört habe. Das kann man nicht wieder gut machen geschweige denn, ändern. Auch gibt es keine Strafe, die dem gerecht wird. Denn egal, wie man mich bestraft, es holt diese zwei Menschen nicht wieder zurück.“, die Reue in seiner Stimme, ist echt und auch in seiner Mimik sehe ich, dass er alles, was er mir gerade gesagt hat, ehrlich meint. Ich schweige ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es ist eine bedrückende unangenehme Stille. „Und nun“, , „werde ich ihnen verraten, wieso ich es getan habe, was sie darüber denken oder ob sie es verstehen, ist mir, ehrlich gesagt, ein wenig gleichgültig, ich verlange auch nicht, dass man mich bemitleidet, nur vielleicht werden sie dann die ganze Geschichte mit anderen Augen sehen.“ Er atmet tief ein und schließt die Augen, als würde er sich beruhigen müssen, dann beginnt er, „Vor etwa zwei Jahren, fing es an, meine Frau hat beim Joggen ein Handy auf einer Parkbank gefunden, und es erst einmal mit nach Hause genommen, um in Ruhe rauszufinden, wem es gehört, um es dem Besitzer gegebenenfalls zurückzugeben. Doch bis auf Fotos war nichts in dem Handy eingespeichert. Die Fotos haben sie gezeigt, in unserer Wohnung, natürlich sind wir mit dem Handy zur Polizei, bis auf ihre Fingerabdrücke, wurde nichts gefunden. Natürlich haben wir das Handy bei der Polizei gelassen, doch wirklich geholfen haben sie uns nicht. Ab da begann der Psychoterror. Es wurde mitten in der Nacht bei uns geklingelt, es klingelte öfters am Tag ihr Handy, immer wenn sie abnahm, hörte man am anderen Ende nur ein rauschen. Selbst als sie ihre Handynummer wechselte, hörte es nicht auf.“ Erneut bricht er ab und ich merke wie ich beim Zuhören den Atem anhalte. Mir wird einiges bewusst, doch ich will ihn nicht unterbrechen. „Nach drei Wochen folgten Briefe, manche waren, geschrieben wie Liebesbriefe, andere wiederum Morddrohungen. Wir gingen immer wieder zu Polizei und brachten ihnen alles, was wir bekamen. Doch statt uns zu helfen, gab es lediglich immer die Antwort, wir können eine Anzeige gegen Unbekannt machen, was aber nicht viel bringen würde, wirklich helfen könnten sie erst, wenn was passiert.“. Er schießt seine Augen und dreht seinen Kopf weg, doch ich sehe, wie ihm eine Träne über die Wange rollt. Ich kann nicht ansatzweise nachvollziehen, wie schrecklich es sein muss sich in einer solchen Situation, so alleine und verlassen zu fühlen. „Meine Frau zog sich immer weiter zurück, ich kam kaum noch an sie heran. Ich hatte keine Ahnung, wie ich ihr helfen konnte. Diese Hilflosigkeit und die Sorge, hat mich fast krank gemacht. Sobald ich das Haus verließ, um einzukaufen oder um zur Arbeit zu gehen, hatte ich ein schlechtes Gewissen, dazu kam, dass auch ich mich zunehmend verfolgt gefühlt habe. Als ich eines Abends nach Hause kam, erwischte ich jemanden, wie er sich gerade an unserem Briefkasten zu schaffen machte. Ich bin auf ihn losgegangen und habe ihn zur Rede gestellt, wobei es zu einer Rangelei kam. Einer unserer Nachbarn musste es mitbekommen haben und die Polizei gerufen haben, als sie kamen und sich informierten, was passiert sei, erklärte ich es ihnen. Daraufhin baten die Beamte den Mann, seine Taschen zu lehren, doch diese waren leer genauso wie, unser Briefkasten, also durfte er gehen und auch die Polizei ging wieder. Als er ging, streifte er leicht meinen Arm und lies, anscheinend unbemerkt, etwas in meine Tasche gleiten. Es war ein kleiner Zettel, welchen ich aber erst in meiner Wohnung bemerkte, als ich in meiner Jacke nach meinem Handy suchte. Darauf stand: Das war ein Fehler! Mir dämmerte es, dass die Situation von ihm inszeniert gewesen war. In mir stieg die Wut hoch, ich wusste nicht, wie er diesen Zettel vor den Polizisten verstecken konnte und das er wirklich eine Konfrontation mit uns gesucht hat. Ich beschloss, meiner Frau nichts zu erzählen. Erst als ich nach ihr rief, fiel mir auf, dass es ungewöhnlich still war. Dann sah ich, dass im Badezimmer Licht brannte, einerseits dachte ich, mir nichts dabei. Sie badete oft und las dabei ein Buch, weshalb sie in dann auch nichts mehr um sich herum mitbekam.“, während des letzten Satzes wurde seine Stimme immer brüchiger und tränenerstickter. Der Mann der mir gegenüber sitzt ein großer, kräftiger Kerl, brach in Tränen aus. Und obwohl ich nicht wusste, was passiert ist, konnte ich mir vorstellen, was gewesen ist. „Sie hat den Freitod?“, frage ich vorsichtig. Auch meine Stimme ist tonlos und leise. Ich merke, wie ich einen Kloß im Hals habe, bei der Vorstellung daran, einen geliebten Menschen in der eigenen Wohnung leblos aufzufinden. Mit der Erkenntnis das dieser durch das erlebte, so verzweifelt ist, dass diese Person lieber tot wäre, muss schrecklich sein. Ich habe einen Mann, wir sind mittlerweile seit zehn Jahren verheiratet und wenn ich mir vorstelle, ich würde nach Hause kommen, ihn tot auffinden und aufgrund der Situation, wie ich ihn auffinde, zu wissen, dass er sich selber umgebracht hat, würde ich zusammenbrechen. Keiner sagt was, ich sehe ihm beim Trauern um seine Frau zu, die Bilder und Erinnerungen die unser Treffen wieder hochkommen lässt, lassen ihn seinen gesamten Schmerz erneut durchleben. Ich habe Mitleid mit ihm und ich kann ihn verstehen, ich weiß nicht was ich in seiner Situation tun würde. „Es tut mir aufrichtig leid, was ihnen passiert ist, ich hoffe es ist jetzt nicht pietätlos aber ich hätte nur noch eine Frage. Wie kam es zu der Situation, die jetzt passiert ist? Haben sie ihn gesucht, um sich zu rächen?“, frage ich etwas schüchtern, da mir der Zeitpunkt der Frage so unpassend vorkommt. „Nein, ich hatte beschlossen, ihn nicht zu suchen, auch wenn der Drang danach extrem groß war. Es verging fast ein Jahr, und irgendwie habe ich versucht, endlich wieder ein normales Leben zu führen, soweit wie es nach einem solchen Schicksalsschlag eben geht. Bis ich ihn plötzlich durch Zufall wieder traf. Er stand mit mir an einer Bushaltestelle, ich denke, dass er mich nicht erkannt hat ich ihn jedoch sofort. Ich weiß nicht warum aber ich folgte ihm, wahrscheinlich aus Neugierde. Ich kann es nicht genau erklären. Ich kann auch nicht sagen wieso. Er muss von dem tot meiner Frau erfahren haben, denn seit dem Tag an war wieder ruhe gewesen. Jedenfalls folgte ich ihm zu, wie ich später herausfand, seiner Wohnung. Als mir bewusst wurde, was ich tat, kam ich mir dämlich vor und ging nach Hause, doch mit den Wochen traf ich ihn immer wieder und immer wieder irgendwann habe ich ihn dann mit seiner Freundin gesehen, ich beschloss sie anzusprechen und sie mit dem was er getan hatte zu konfrontieren, doch sie lachte mich nur aus und meinte, ich wäre krank und da war der Punkt wo ich, beschloss mich zu rächen.“ Damit beendete er seine Erzählung. Einige Minuten sitzen wir beide da und sehen uns nur an. Der Mann, der von allen ausschließlich als herzloser, eiskalter Mörder angesehen wird, ist nun jemand, der gehandelt hat, ohne nachzudenken. Ich verstaue mein Notizheft, was komplett leer geblieben ist und mein Diktiergerät in meiner Tasche und verabschiede mich. Er nickt mir lediglich zu und starrt mit leerem Blick an mir vorbei, ich kann nicht sagen warum, aber ich habe ein seltsames Gefühl, ihn hier zurückzulassen, den auf einmal wirkt er an dieser Stelle fehl am Platz. Bevor ich den Raum verlasse, drehe ich mich ein letztes Mal um und sehe einen gebrochenen Mann am Tisch sitzen, der lediglich noch wie ein Schatten seiner selbst wirkt. Als ich wieder an der frischen Luft bin, atme ich erst mal mehrmals ein und aus, obwohl ich nur drei Stunden, im Gefängnis war, kommt es mir vor, als wenn es der ganze Tag war. Zurück in der Redaktion beginne ich den Artikel zu schreiben, ich bin schnell fertig damit, doch am Ende füge ich noch, was hinzu, was nicht auf meinem Diktiergerät ist. Ein Mann, der für seine Tat Verantwortung übernimmt und weiß das er falsch gehandelt hat, wird für die einen zurecht und für die anderen die nun die andere Seite der Geschichte kennen, zu Unrecht bestraft. Selbstjustiz ist in unserem Land verboten, er wäre also selbst mit einer Aussage verurteilt worden, doch hat in diesem Fall unsere Justiz versagt und hätte schon viel früher reagieren müssen? Opfer von Stalking sollten schon von Beginn an geschützt werden, um Tragödien wie diese zu verhindern. Drei Menschen sind gestorben und einer verurteilt. Doch war es der Richtige, der schuldig gesprochen wurde oder hätte man den zweifachen Mord verhindern können? Mit gemischten Gefühlen speichere ich meinen Artikel und sende ihn an meinen Vorgesetzten, ob er gedruckt wird oder nicht ist nicht in meiner Macht, doch die Hoffnung das er morgen veröffentlicht wird und eventuell Menschen zum Nachdenken anregt, ist groß.

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