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Fiona

Jule Falkenroth

April 2020

Tag 1

Ich war gerade mal 16 Jahre alt und war im 8.Monat schwanger. Im ersten Moment wusste ich nicht, wie ich mit dieser Ausnahmesituation umgehen sollte. Die Schule hatte ich schon fast abgeschlossen und ich wollte noch im gleichen Jahr aufs College gehen um Medizin zu studieren, aber…

Bevor ich weiter lese“, sagte Dr. Müller, „hätte ich noch ein paar Fragen an sie, Frau Hartman. Und zwar sagten sie in der letzten Sitzung, dass sie eine sehr schöne Kindheit und auch eine recht angenehme Jugend hatten. Sie haben mit keiner Silbe ihre Schwangerschaft erwähnt.“

Fiona Hartman antworte nicht und schien ziemlich abwesend.

Dr. Müller bemerkte dies und entschloss sich dazu die Situation anders an zu gehen.

Also Frau Hartman, weshalb sind sie denn überhaupt nach Deutschland gekommen?“, fragte er mit sehr einfühlsamer Stimmlage.

Meine Mutter wollte nicht, dass ich bei ihr bleibe und hat alles in Bewegung gesetzt um mit meinen Vater in Kontakt zu treten. Ich sollte zu ihm… nach Deutschland.“ Fiona antwortete ohne den Blick zu heben.

Weil sie schwanger waren?“ Dr. Müllers Stimme klang sanft.

Sie nickte und nachdem sie sich die warmen Tränen heimlich von der Wange zu streifen versuchte, fuhr sie fort: „Sie war sehr enttäuscht.

Ich habe es ihr in den ersten Monaten nicht erzählt, da ich wusste, dass sie meine Situation nicht nachvollziehen konnte. Dies traf im Endeffekt auch ein. Sie wollte nicht, dass ich ihn behalte und ihren Willen hat sie am Ende dann bekommen.“

Dr. Müller guckte sie fragend an und schob die Taschentücher zu ihr auf die Tischseite.

Ich habe meinen Sohn geboren, ihn zur Adoption freigegeben und bin zwei Monate später zu meinen Vater nach Deutschland gezogen.“, sagte sie ohne eine einzige Miene zu verziehen. Allerdings merkte man, dass es ihr nicht so leicht fiel wie sie es hier schilderte. „Seitdem habe ich nichts mehr von ihr gehört.“

Anschließend bekam sie doch nochmals einen dicken Kloß im Hals. Sie unterdrückte ihre Tränen so stark, dass es schon schmerzte.

Dr. Müller sah für den heutigen Tag keinen Sinn mehr in der Sitzung und beendete sie.

Beide verabschiedeten sich und Fiona verließ das Praxiszimmer des Psychologen. Als Dr. Müller ihr noch hinterher rief, dass sie nächste Woche um die gleiche Zeit dort weiter machen würden, tat Fiona so als hätte sie es nicht mit bekommen und ging aus der Praxis.

Auf dem Heimweg war sie völlig in ihren Gedanken vertieft, sodass sie im ersten Moment nicht mal die Rufe ihrer Nachbarin hörte. „Frau Hartman! Frau Hartmann, entschuldigen sie die Störung“. Fiona drehte sich zu ihr um und schenkte ihr ein sehr aufgesetztes Lächeln.

Ich habe für sie ein Paket angenommen.“, sagte die Frau. „Ich habe es vor ihre Tür gestellt. Ich hoffe sie kommen mal auf einen Kaffee runter, ich würde mich so freuen!“

Ja,ja… Ich danke Ihnen“, antworte Fiona nur und schloss die Haustür des Mehrfamilienhauses auf.

In ihrer Wohnung angekommen schmiss sie ihre Sachen achtlos auf die Couch, ebenso das Paket.

Nachdem sie keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte, entschloss sich Fiona ihre Jacke und die Schuhe wieder anzuziehen um zur Arbeit zur gehen. Sie brauchte eine Ablenkung.

Was machen sie hier Frau Hartman?“ Fiona kam gar nicht dazu zu antworten. Der junge Mann verstellte ihr den Weg. Er blickte mit einem abfälligen Gesichtsausdruck auf sie ab. „Sie wurden beurlaubt, bitte verlassen sie die Klinik und gehen nach Hause.“

Mir geht’s gut, ich kann arbeiten wirklich!“, Fiona fühlte sich hilflos. „Ich bin jetzt schon so lange zu Hause, mir fällt die Decke auf den Kopf. Ich muss einfach arbeiten.“

Gar nichts müssen sie, Frau Hartmann! Sie sind jetzt seit mehr als drei Monaten im Zwangsurlaub und kein Tag ist vergangen, an dem sie nicht hier aufgetaucht sind und behauptet haben, dass es ihnen gut gehe. Solange ihr Therapeut keine ärztliche Begutachtung schreibt, dass sie wieder arbeiten kommen können, werden sie auch nicht arbeiten! Habe Ich mich klar ausgedrückt?“

Aber…“, Fiona versuchte zu antworten.

Nichts aber!“, unterbrach er sie mit lauter Stimme.

Ich werde sie hier nicht arbeiten lassen. Unsere Patienten brauchen keine Pflegekräfte die psychisch in der gleichen Verfassung sind, wie die Patienten selber.“

Herr Albers!“ schrie plötzlich eine tiefe Stimme. „Ich habe jetzt mal überhört wie sie mit ihrer Kollegin gesprochen haben. Gehen sie sofort wieder an ihre Arbeit.“

Der ältere Mann, der sich plötzlich in das Gespräch einmischte, wollte sich gerade bei Fiona entschuldigen, als sie IHN sah. IHN mit seinen schwarzen, lockigen Haaren und seinem Dreitagebart. Seine strahlenden, aber zugleich auch furchteinflößenden, blauen Augen konnte sie trotz der Entfernung genau erkennen. Sie erstarrte und in ihrem Kopf lief das vergangene letzte Jahr noch einmal vor ihrem inneren Auge ab. Sie rannte aus der Klinik. Zu Hause betrat sie in Schweiß gebadet ihre Wohnung und schloss ihre Tür hinter sich so oft es ging ab. Ohne sich auszuziehen legte sie sich ins Bett. Einige Zeit lag sie da und bewegte sich keinen Millimeter, doch dann schlief sie ein.

 

Tag 2

Nach einer sehr unentspannten Nacht, ging Fiona erst mal in die Küche. Sie machte sich einen Kaffee und zündete sich eine Zigarette an. Während sie aus dem Fenster schaute, ließ den vergangenen Tag nochmal Revue passieren. Auch wenn sie diese erneute Konfrontation mit IHM am liebsten vergessen wollte, musste sie doch den gestrigen Tag in ihrem Tagebuch festhalten.

Fiona fand Dr. Müllers Herangehensweise zwar ein wenig fragwürdig, aber wenn sie die ganzen Vorkommnisse nicht notierte, um diese mit ihm zu besprechen, würde sie auch nicht mehr arbeiten dürfen. Fiona liebte ihre Arbeit.

Also drückte sie ihre Zigarette aus, nahm ihren Kaffee mit ins Wohnzimmer und setze sich auf die Couch. Aus ihrer Tasche holte sie ihr Tagebuch und einen Stift, als ihr plötzlich wieder das Paket ins Auge fiel.

Sie schaute das Paket an und suchte nach einem Absender, fand aber keinen. Plötzlich hatte sie ein komisches Gefühl im Bauch.

Ich möchte es nicht öffnen“ dachte sie sich.

Was wäre, wenn es wieder so etwas war? So etwas, weshalb man sie als Verrückte angesehen hatte? Aber sie musste…

Also holte sie ein Messer und öffnete langsam den Klebestreifen. Sie zitterte und fing an zu schwitzen.

Als sie das Paket geöffnet hatte, war dort nochmals eine kleine Kiste drin. Nun hatten sich ihre Bedenken bestätigt. Es war das gleiche Muster, genauso war ER schon mal vorgegangen. Langsam und mit zittriger Hand holte sie die Kiste raus und nahm den Deckel ab. Sie traute ihren Augen nicht.

Ein Smartphone, mit einen kleinen Zettel auf dem stand: „schalte mich ein! – C.“

Sie ließ alles auf den Boden fallen und rannte auf den Balkon. Sie brauchte dringend frische Luft.

Das kann einfach nicht sein!“ dachte sie. „Wie konnte das passieren? Er ist doch weggesperrt?! Oder ist er doch wieder frei? Ich habe IHN also wirklich gesehen, aber in der Klinik kann man sich ja auch als Patient überall aufhalten. ER sitzt ja nun mal nicht im Gefängnis. Aber nein, dass kann nicht sein! ER kann nicht auf freiem Fuß sein. Aber wie sollte ER sonst an ein Handy kommen und es mir schicken?“ Fionas Gedanken überschlugen sich.

Nach dem ersten Schock setzte sie sich erneut auf die Couch, machte das Handy mit zittrigen Händen an und sah etwas völlig Unglaubliches.

Als Hintergrundbild war sie selbst zu sehen. Fiona starrte eine Ewigkeit auf das Handy um erneut sicher zu gehen, dass sie es sich nicht einbildete. Sie schaute in die Galerie des Smartphones und ihr Verdacht bestätigte sich. Es waren die gleichen Bilder von ihr, wie vor einen Jahr. Außer Eins. Auf dem war nicht sie abgebildet, dafür etwas anderes.

Das Haus in dem sie erst seit ein paar Monaten wohnte.

Wie konnte ER an diese Adresse kommen? Woher weiß ER wo ich bin? Und wie hat ER es geschafft aus der Klinik zu kommen?“ Fragen schossen ihr durch den Kopf, sie wusste nicht was sie tun sollte.

Schließlich entschloss sie sich dazu Dr. Müller anzurufen um nach einen spontanen Termin zu fragen. Fiona durfte direkt zur Praxis kommen.

Also schmiss sie sich über ihren Schlafanzug ihren Wintermantel, band ihre schwarzen, schulterlangen Haare zu einem Zopf zusammen und zog sich ihre Schuhe an.

Sie packte das Handy und die kleine Kiste mit der Nachricht in ihre Handtasche und ging sofort los.

Als sie nach einer gefühlten Ewigkeit in der Praxis ankam, wollte sie am liebsten sofort mit Dr. Müller reden. Da machte ihr die junge, attraktive Sprechstundenhilfe allerdings einen Strich durch die Rechnung und forderte sie auf, im Wartezimmer Platz zu nehmen.

Fiona tat dies nach einigen Diskussionsversuchen, auf welche die junge Sprechstundenhilfe allerdings nicht einging.

Sie musste eine Stunde warten, bis sie aufgerufen wurde.

Die Stunde verbrachte sie mit einen angespannten Gefühl. Sie lief nur im Wartezimmer auf und ab. Sie nahm das ebenfalls wartende, mit Sicherheit noch minderjährige, Mädchen gar nicht zur Kenntnis. Das Mädchen starrte Fiona nur, ohne ein Wort zu sagen zehn Minuten an, bis sie schließlich das Wartezimmer verließ.

So Frau Hartman“ begann Dr. Müller mit einer äußerst ruhigen Stimme. „Was ist vorgefallen? Erzählen sie mal.“

Fiona konnte nicht aufhören zur zittern und schob ihm das Paket mit den Handy über den Tisch zu.

Dr. Müller guckte sie fragend an und zeigte auf das Paket. „Machen sie es auf, ER…“ Fiona unterbrach den Satz und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Dr. Müller öffnete die Kiste. Er las sich den Zettel durch und seine Stirn runzelte sich. Nachdem er den Zettel samt Paket an die Seite geschoben hatte, sagte er mit ernster Stimme: „Frau Hartmann, ich kann mir schon denken was auf dem Handy zu sehen ist. Ich dachte wirklich wir wären auf einem guten Weg der Besserung. Sie sind umgezogen, sie schreiben für mich ein Tagebuch über ihr Leben und wir besprechen es hier. Ich hatte wirklich eine Besserung erkannt. Zumindest habe ich das seit der gestrigen Sitzung gehofft. Aber mit so einer Aktion habe Ich wirklich nicht gerechnet.“

Fiona schaute erschrocken und wollte gerade etwas dazu sagen, als Dr. Müller sie unterbrach: „Ich werde mir die Dinge auf dem Handy nicht anschauen und halte es für angebracht, wenn Sie jetzt nicht nach Hause gehen, sondern zur Ruhr Klinik für Psychologie.“

Warum soll ich denn zur Arbeit gehen?“ fragte sie verwundert.

Sie sollen nicht als Pflegerin dort hingehen, sondern als Patientin. Ich kenne alle Psychologen und Therapeuten dort, entweder persönlich oder ich bin mit ihren Praktiken vertraut und bin mit ihnen sehr zufrieden.“ Es kam eine kurze Pause in der absolute Stille herrschte.

Dr. Müller räusperte sich und fuhr fort: „Frau Hartmann, so leid es mir tut, wenn sie nicht einstimmen, dann muss ich sie Zwangseinweisen.“

Plötzlich stand Fiona auf und schrie: „Nein! Das können sie nicht machen!“

Während sie dem Psychologen Vorwürfe machte, schlug sie die Sachen vom Schreibtisch. Alles flog auf den hellen Parkettboden und die Vase, mit den Rosen seiner Frau zersprang in tausend Teile.

Bitte Frau Hartman, beruhigen Sie sich! Wir beide werden jetzt zu Ihnen nach Hause gehen. Ich begleite sie. Sie dürfen gerne noch selbst ein paar Sachen zusammen packen. Danach begeben wir uns zur Klinik und sie werden nur für ein paar Tage dort bleiben.“

Nein“ sagte Fiona nachdem sie etwas runter gekommen war. „Ich kann nicht mit IHM unter einen Dach sein!“

Mit wem? Mit Christopher James?“ fragte der Arzt. Sie starrte ihn mit großen Augen und offen stehendem Mund an.

Nach einer Weile nickte sie aber.

Herr James wurde vor einiger Zeit entlassen. Setzen sie sich bitte wieder, Ich glaube wir müssen noch einiges besprechen.“ Fiona setzte sich hin und schaute Dr. Müller schockiert, aber gleichzeitig fragend an. „Als Sie von ihrem Arbeitgeber beurlaubt wurden…“

Zu unrecht.“ dachte Fiona sich.

Dr. Müller sprach langsam und leise weiter: „…wurde der Fall von Herrn James nochmals begutachtet und die Psychologen und Therapeuten sind zu dem Entschluss gekommen, dass dem guten Mann nichts fehlt, was einer geschlossenen Stationierung gerecht würde.“

Guter Mann… Ich glaube ich spinne. Er ist ein Monster! Er hat mich gestalkt! Ich habe ihn irgendwann mal auf der Arbeit gesehen. Er fragte mich nach dem Weg zur Cafeteria. Ich dachte er würde einen Patienten bei uns besuchen, also habe ich ihm den Weg erklärt und mich weiter an meine Arbeit gemacht. Bis er irgendwann immer häufiger auf die Arbeit kam. Er war dauerhaft in meiner Nähe, egal wo ich war. Und irgendwann, nach ein paar Monaten stand er sogar vor meiner Haustür. Es ging über Drohbriefe bis zu den Fotos. Zuerst kamen sie noch ausgedruckt, anschließend kam ein Handy…“

Ich kenne ihre Sichtweise der Geschichte“ unterbrach er sie. „Aber das Fachpersonal hat ihn entlassen, so leid es mir für sie tut, Frau Hartman. Ihnen glaubt niemand mehr. Aber eine Frage habe ich noch. Was ist denn diesmal auf den Bildern zur sehen? Erklären sie es mir. Ich werde sie mir nicht ansehen! Ich möchte es von ihnen hören.“

Ich bin zu sehen. In allen Lebenslagen, wirklich in allen…“

Nach einer kurzen Pause, sprang sie plötzlich wutentbrannt auf und rief: „Ich bin nicht verrückt! Und wenn ich es bin, bin ich nicht verrückter als ER!“

Sie sprang auf und rannte aus der Praxis. Dr. Müller und seine Sprechstundenhilfe waren nicht schnell genug um sie aufzuhalten. Fiona lief und lief. Als sie Ihren Kopf drehen wollte um zu schauen ob jemand sie verfolgte, gab es einen lauten Knall. Fiona schaute durch die Windschutzscheibe in SEIN Gesicht. „Er ist überall“, dachte sie in dem kurzen Moment, bis sie über die Front des blauen Pkws geschleudert wurde. Sie knallte mit ihrem Kopf zuerst auf und war direkt Bewusstlos.

Tag 3

Fiona öffnete langsam ihre Augen. Es war ziemlich hell und schnell wurde ihr bewusst, dass Sie nicht zuhause war. Allerdings wusste sie nicht genau wo sie war und setzte sich schnell und aufgeregt hin. Ihr war schwindelig. Erst bemerkte sich nicht, dass noch eine weitere Person im Raum saß, bis eine männliche Stimme plötzlich sagte: „Du bist wach, was für eine Freude.“ Fiona drehte erschrocken ihren Kopf und bemerkte, dass dies nicht wirklich gut war. Ihr Kopf dröhnte, wenn sie ihn bewegte. Alles deutete auf eine Gehirnerschütterung hin.

Nachdem ihre Kopfschmerzen leicht abnahmen, konnte Sie genau sehen wer mit ihr in dem mysteriösen Raum war. Sie erschrak und wollte trotz ihrer Schmerzen aus dem Bett springen.

Er hielt sie aber fest um Schlimmeres zu verhindern.

Lass mich los!“, schrie Fiona. „Was machst du hier? Wo hast du mich hingebracht?“

Entspann dich. Du bist im Krankenhaus. Du hattest einen Autounfall.“ Ihre Blicke trafen sich.

Du möchtest eher sagen, du hast mich angefahren!“, unterbrach sie ihn.

Ich habe dich nicht angefahren. Dein Psychologe hat mich angerufen um mich zu informieren, dass du einen Unfall hattest. Ich bin sofort hergekommen.“

Das kann nicht sein! Wieso sollte er ausgerechnet meinen Stalker anrufen, vor dem ich mich so sehr fürchte?“, dachte Fiona während sie schockiert auf dem Krankenhausbett saß.

Was tust du hier?“ fragte sie mit ängstlicher, aber zugleich wütender Stimme.

Ich bin dein Sohn.“, antworte Christopher. Es herrschte eine angespannte Stille im Raum.

Nach ein paar Sekunden riss Fiona sich den Zugang aus der der Armbeuge und rannte panisch zum Fenster am Ende des Raumes. „Du bist nicht mein Sohn!“, schrie sie. „Mein Sohn lebt in Amerika. Ich habe ihn seit der Geburt nicht mehr gesehen!“

Christopher versuchte sie zu beruhigen und ihr entgegenzukommen, aber Fiona forderte ihn auf stehen zu bleiben.

Ich bin dein Sohn, Mama und das weißt du ganz genau.“ sagte Christopher verwirrt.

Fiona wusste nicht wie Sie sich verhalten sollte. Ihr schossen tausend Fragen durch den Kopf. „Wieso lauerte er ausgerechnet mir so auf?“ und „Weshalb sagt er jetzt, dass er mein Sohn ist?“

Wenn er wirklich mein Sohn wäre, warum erzählt er mir das erst jetzt? Bin ich wirklich verrückt, so wie es alle behaupten? Nein, nein, das kann alles nicht sein!“

Plötzlich brach sie zusammen.

Christopher rief Hilfe und eine Schwester half ihm sie wieder ins Bett zu bekommen. „Die Patientin braucht jetzt Ruhe. Vielleicht ist es besser, wenn Sie erst mal nachhause gehen. Wir halten sie auf dem Laufenden.“, sagte die Schwester zu Christopher.

Fiona kam wieder zu sich, war diesmal aber vollkommen alleine im Raum. Sie fühlte sich ziemlich benommen, dass lag wahrscheinlich an den Medikamenten die ihr verabreicht wurden. Sie konnte sich kaum bewegen und war nun in dem hellen Krankenhauszimmer mit ihren Gedanken vollkommen alleine.

Werde ich jetzt wirklich verrückt oder bin ich es schon? Ich verstehe nichts mehr. Zuerst werde ich bei der Arbeit beurlaubt, anschließend glaubt mir Dr. Müller nicht mehr.

Christopher James…

Er hat mein komplettes Leben auf den Kopf gestellt. Was will er von mir?“

Fiona sah ihre Tasche neben ihrem Bett stehen. Obwohl sie sich kaum bewegen konnte, kramte sie ihr Tagebuch raus und blätterte darin herum. Auf der Seite, auf der Dr. Müller aufgehört hatte zu lesen, blieb sie stehen: Die Schule hatte ich schon fast abgeschlossen und ich wollte noch in diesem Jahr aufs College gehen um Medizin zu studieren, aber dies konnte ich wohl vergessen. Ich wusste nicht, ob ich auf das Kind, welches in mir heranwuchs sauer sein sollte oder auf mich selbst. Dem Vater des Kindes habe ich ebenfalls nichts von der Schwangerschaft erzählt. Er sollte nichts davon wissen. Sein Leben sollte nicht in die gleichen Trümmer zerfallen wie meins. Vielleicht hatte meine Mutter doch Recht. Vielleicht sollte ich zu meinen Vater ziehen, dachte ich immer häufiger und so tat ich dies auch. Nach der Geburt von meinen Sohn zog ich nach Deutschland zu meinem Vater. Nach diesem Tag hat mein Leben sich drastisch verändert, aber da wusste ich noch nicht, dass es sich im Laufe der Jahre noch einmal so verändern würde. Seit dem Tag der Geburt habe ich nichts mehr von meinem Sohn gehört. Ich werfe ihm zwar tief in mir drin vor, dass er meine Zukunft ruiniert hat, aber trotzdem habe ich ihn unfassbar lieb.

Seitdem ich in Deutschland ankam, hatte ich auch keinen Kontakt mehr zu meiner Mutter. Mein Vater kümmerte sich allerdings liebevoll um mich und stand mir immer zur Seite, egal was passierte. Ich lernte schnell die deutsche Sprache und machte nach zwei Jahren eine Ausbildung zur Pflegekraft in einer Klinik für Psychologie. Das Medizinstudium war zwar immer noch ein großer Wunsch von mir, aber mit der Ausbildung war ich ebenfalls glücklich. Ich liebte meine Arbeit. Bis zu dem Tag als er, ungefähr 20 Jahre später, kam. Christopher James…

Fionas Augen füllten sich mit Tränen und sie hörte für eine kurze Zeit auf zu lesen.

…Christopher James. Als ich ihn zum ersten Mal sah, wusste ich noch nicht wie sehr er mein Leben verändern würde. Er sprach mich an und fragte mich wo die Cafeteria sei. Ich ging davon aus, dass er jemanden besuchte und erklärte ihm wie er zur Cafeteria komme. Er kam immer häufiger zu mir auf die Arbeit. In den ersten Monaten machte ich mir keine größeren Gedanken darüber. Auch nicht, dass er immer wieder versuchte mit mir Kontakt aufzunehmen. Bis er irgendwann vor meiner Tür stand. Ich rief die Polizei, nichts passierte. Doch es wurde immer schlimmer. Ich bekam so gut wie jeden Tag Drohbriefe, dass er nicht aufhören würde mit mir Kontakt aufzunehmen. So lange bis ich es zulasse. Immer mit dem gleichen Pseudonym „-C“. Die Polizei tat nicht wirklich etwas dagegen und ich hatte Angst. Pure Angst. Ich konnte nachts nicht mehr schlafen, auch wenn er mir keine körperliche Gewalt zufügte, war das blanker Psychoterror für mich. Auf der Arbeit konnte ich mich nicht mehr richtig konzentrieren und fing an durch zu drehen… Aber es kam noch schlimmer. Irgendwann bekam ich kleine Pakete mit Fotos von mir in allen Lebenslagen. Erst ab dem Moment fing die Polizei an gegen Christopher James zu ermitteln. Es gab ein Gerichtsverfahren und er wurde für Unzurechnungsfähig erklärt. Aus diesem Grund kam er in die Klinik in der ich arbeitete. Auf einer Seite war ich froh etwas mehr Ruhe zu haben, auf der Anderen verstand ich nicht weshalb er ausgerechnet in meine Klinik kam. Er konnte mir doch jetzt umso mehr auflauern. Nun fing ich wirklich an durchzudrehen. In jedem männlichen Patienten sah ich ihn. Ich wurde nicht handgreiflich oder ähnliches. Aber mein Chef beschloss mich zur beurlauben, als ich im Zimmer eines älteren Mannes, dem ich nur das Mittagessen bringen sollte, einen Nervenzusammenbruch bekam. Wie alles genau ablief weiß ich nicht mehr. Ich bin sofort auf Beruhigungsmittel gesetzt worden…

Und so kam ich zu Dr. Müller“, dachte Fiona sich. Es ist doch alles plausibel.

Sie verstand nicht, warum er entlassen wurde, geschweige denn weshalb er sie überhaupt besuchen durfte. Er konnte nicht ihr Sohn sein. Das hatte er nur erfunden.

Ich bin nicht verrückt!“, schrie sie auf einmal und wiederholte es so lange bis eine Schwester dies mit bekam. „Wie schön, sie sind ja wach! Wie geht es ihnen?“

Fiona antworte nicht und schrie weiter: „Ich bin nicht verrückt, ich bin nicht verrückt!“ Die Schwester holte den zuständigen Arzt. Der Arzt versuchte Fiona zu beruhigen, aber sie ließ es nicht zu und schubste ihn weg. Der Arzt entschloss sich dazu ihr ein Beruhigungsmittel zu verabreichen und sie schlief langsam ein.

Tag 4

Fiona wachte benommen auf. Langsam öffnete sie ihre Augen und sah, dass sie immer noch im Krankenhaus war. Sie lag zur Seite in Richtung Fenster. Sie bemerkte, dass hinter ihr jemand im Raum stand, trotzdem tat sie weiterhin so, als ob sie schlafen würde.

Die letzten drei Tage waren für ihre Mutter sehr anstrengend Herr James. Wenn sie möchten kann ich sie über alles aufklären, einen Teil haben sie ja schon mitbekommen.“ Christopher stimmte ihm zu. Der Doktor fuhr fort: „Es hat plötzlich angefangen, mitten am Tag. Aber lassen Sie uns besser vor die Tür gehen, nicht das ihre Mutter aufwacht. Sie muss selber wieder zu sich finden. Wenn sie es so erfährt, würde sie das noch mehr durcheinander bringen.“

Die beiden gingen vor die Tür.

Wieder zu mir finden? Durcheinander bringen? Wieso redet der Doktor mit ihm?“, dachte Fiona und stand langsam vom Bett auf. Sie lauschte an der Tür.

Ich wusste, wenn ich aus dem Urlaub wieder komme und sie besuche, dass es schlimm wird, aber dass es so schlimm wird damit habe ich selbst nicht gerechnet.“ Christophers Stimme klang traurig.

Ja, das kann ich verstehen.“, antwortete der Arzt. „Ich habe persönlich auch nicht mit solch einem Anfall gerechnet. Aber auch damit werden wir fertig. Wir werden ihr helfen, das verspreche ich.“ Christopher bedankte sich und bat den Arzt ihm zu berichten was in den letzten drei Tagen passiert war.

Also, ihre Mutter ist in die Rolle einer Fiona Hartman gerutscht. Sagt ihnen der Name etwas? Gibt es jemanden in ihrer Familie oder im Bekanntenkreis der diesen Namen trägt?“

Christopher verneinte dies und konnte sich das nicht erklären. Der Arzt fuhr fort: „Na gut, auf jeden Fall hat es wie immer angefangen. Sie schrieb eine Geschichte aus der >Ich< Perspektive in ihr Tagebuch. Sie schrieb über früher, über Amerika und über ihre frühe Schwangerschaft. Ebenfalls über Ihre Flucht nach Deutschland.“

Also so, wie es immer anfängt?“ unterbrach ihn Christopher fragend.

Genau. Sie dachte, dass sie hier arbeite und ihr altes Zimmer in Block 3 wäre ihr Wohnhaus.“

Ja, soweit habe ich alles verstanden, aber sonst erkennt mich meine Mutter doch auch. Und dieses Mal hatte sie eine solche Panik vor mir! Lag es daran das ich im Urlaub war?“

Der Doktor schüttelte leicht den Kopf: „Machen sie sich bitte keine Vorwürfe Herr James. Es kann passieren, dass Menschen mit der Krankheit ihrer Mutter, ihre Liebsten nicht mehr erkennen. Allerdings hat ihre Mutter sie erkannt, sie wusste wie sie aussehen und wie sie heißen. Sie wusste nur nicht, dass sie ihr Sohn sind.“

Sie fühlte sich von mir gestalkt.“ sagte Christopher mit einer traurigen Stimme.

Ich weiß, dass es schwer für sie ist, aber ich sehe Hoffnung für ihre Mutter. Sie ist jetzt erst mal hier auf der Überwachungsstation, da sie ja aus der Klinik abhauen wollte und vom Auto erfasst wurde.“ Christopher nickte bedrückt.

Sie dürfen ihre Mutter weiterhin besuchen.“ fuhr der Arzt fort. „Am Anfang müssen wir schauen wie sie reagiert, aber wir kriegen das alles wieder hin, Herr James.“

Der Arzt legte seine Hand kurz auf die Schulter von Christopher, der ziemlich bedrückt war.

Aber eine Frage hätte ich noch!“ Der Arzt bejahte dies.

Wer ist Dr. Müller?“

Das wollte ich sie auch fragen, hier in der Klinik arbeitet kein Arzt, geschweige denn ein Pfleger mit dem Namen Müller und der Name ist ja nicht gerade selten. Ebenfalls erwähnte sie immer wieder ein Smartphone auf dem Bilder von ihr sein sollen, dies kann ich mir auch nicht erklären!“

Fiona, die immer noch hinter der Tür lauschte, verstand die komplette Situation nicht mehr. Sie hatte genug gehört und setzte sich wieder auf das Bett. „Ist Christopher wirklich mein Sohn? Hat er mich wirklich nie gestalkt? Habe ich mir Dr. Müller wirklich nur eingebildet? Wo ist das Handy mit den Bildern? Existiert es wirklich nicht? Habe ich mir alles nur eingebildet?“

Und die häufigste Frage die sie sich stellte:

Wenn ich nicht Fiona Hartman bin, wer bin ich dann?“

Jule Falkenroth

One thought on “Fiona

  1. Eine gute Geschichte, die mich total verunsichert hat, weil die Autorin geschickt mit Wahrheit und Lüge spielt! Es könnte sehr gut auch der Anfang eines ganzen Romans sein. Weiter so! Mit diesem Potential hat die Autorin sicherlich noch Einiges zu bieten!

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