Rolf LindauFrohe Ostern!

                         Rolf Lindau

                        Frohe Ostern!

Kurzgeschichten-Sammlung

#wirschreibenzuhause

© 2020

0172/3864570 – Frohe Ostern

Wann ist das Essen fertig, Schatz?“, ruft sie in Richtung Küche, während sie den Esszimmertisch dekoriert.

Ihr Mann werkelt in der Küche. Sie hört, wie er das elektrische Küchenmesser einschaltet. Es gibt Lammbraten.

Immer wieder faszinierend, was er in der Küche zaubert, denkt sie anerkennend.

Sie erinnert sich, wie sie ihn kennen gelernt hat. Er, der junge Doktor der Biologie, sie, die Absolventin der Betriebswirtschaftslehre, frisch von der Uni.

Er, der so viel über Fauna und Flora des Niederrheins zu berichten weiß. Er kann sich so richtig in seine Vorträge hinein steigern. Da ist er einfach sehr leidenschaftlich. Das hat sie fasziniert. Von Anfang an.

Sie sind sich zufällig über den Weg gelaufen. Im wahrsten Sinn des Wortes. Kurz vor ihrer Prüfung hat sie sich zum Lernen mit einigen Kommilitoninnen getroffen. Auf dem Nachhauseweg hat sie immer wieder die Formeln vor sich her gesagt, die sie sich zum Teufel noch mal nicht merken konnte. Dabei hat sie völlig den Straßenverkehr vergessen.

Er auch. Er ist in Gedanken noch seinem Vortrag hinterher gehangen, den er zwei Stunden zuvor vor einer stattlichen Anzahl wichtiger Leute gehalten hatte.

Da ist es plötzlich wie aus dem Nichts passiert: Als sie beide um eine Häuserecke gebogen sind, sind sie zusammengestoßen.

Es hat nicht nur fürchterlich gekracht, sondern auch gefunkt.

Quasi als Wiedergutmachung hat er sie zum Essen eingeladen. Und so ist es gekommen, wie es kommen musste.

Fünf Monate, nachdem sie sich kennen gelernt hatten, sind sie verheiratet.

Und nun wohnen sie seit vier Jahren in diesem abgelegenen Anwesen, mitten in der Dingdener Heide, wo er als Förster tätig ist. Sie ist Juniorpartnerin bei einer Weseler Steuerberatungsgesellschaft.

Das Essen ist in fünfzehn Minuten fertig“, ruft er aus der Küche.

Prima, ich freue mich. Mir läuft schon das Wasser im Mund zusammen“, gibt sie zurück und fährt fort, den großen Eichentisch zu dekorieren.

Bei der Einrichtung sind wir ganz schön altmodisch, denkt sie. Vielleicht hätte zu dem alten Anwesen ein modernes Ambiente besser gepasst. Sie waren sich jedoch einig, dass sie den Geist des alten Gutshofes bewahren wollten. Daher Holzfußböden und Möbel der Marke Eiche rustikal.

Sie drapiert Ostergras, Moos und Heu um das selbst gekaufte Osterlamm vom Discounter. In der Mitte des Tisches steht ein Osternest mit gefärbten Eiern aus dem Supermarkt.

Sie tritt zwei Schritte vom Tisch zurück.

Sieht toll aus, denkt sie stolz.

Aber das Wichtigste fehlt noch: die Ostergeschenke.

Aus der Küche hört sie geschäftiges Klappern.

Sie öffnet die edel wirkende Einkaufstasche aus der Oberhausener Shopping Mall. Nach und nach holt sie fünf nahezu gleich große Kartons heraus.

Das wird eine Überraschung für ihn. Der wird Augen machen…

Ein Glücksgefühl macht sich in ihr breit. Ja, auf diesen Tag hat sie sich schon seit Wochen gefreut.

Das wird er definitiv nicht erwarten, denkt sie begeistert und gluckst leise vor sich hin.

In der Küche pfeift ihr Mann das Lied des Jägers aus Kurpfalz.

Das musikalische Intermezzo ihres Mannes bringt sie auf die Idee, noch ein wenig mehr Atmosphäre zu schaffen. Sie stellt ein paar Kerzen auf den Tisch, zündet sie an und dimmt das elektrische Licht. Sie geht zum Sideboard, schaltet die Stereoanlage ein und sucht einen Sender mit klassischer Musik. Kurz darauf ertönt Schubert.

Sie wendet sich wieder den Präsenten zu und legt die Päckchen jeweils in kleine, mit Süßigkeiten dekorierte Osternester.

Aus der Küche riecht es grandios. Das Brutzeln verrät ihr, dass er sich nun an seine berühmten Bratkartoffeln macht.

Liebling, machst du bitte die Küchentüre zu, damit es hier nachher nicht so nach Essen riecht?“, ruft sie.

Sein Kopf erscheint in der Türöffnung.

Selbstverständlich, mein Schatz!“, flötet er und wirft ihr eine Kusshand zu.

Die Küchentüre geht zu.

Als nächstes macht sie sich daran, die fertigen Osternester im Esszimmer zu verstecken. Sie gibt sich nicht so viel Mühe dabei, denn bei diesen Ostergeschenken wird nicht das Suchen, sondern der Inhalt der Nester das Highlight des Abends sein.

Der Mann ist gerade bei den letzten Vorbereitungen für ein außergewöhnliches Osteressen. Es duftet nach verschiedenen Kräutern, die er gekonnt zwischen den Fingern reibt und über die verschiedenen Menü-Bestandteile verstreut.

Er schaut in den Kühlschrank und fühlt an der Schale, die schon seit geraumer Zeit gekühlt wird. Er atmet tief ein und nimmt das Rum-Aroma der vorbereiteten Herrencreme wahr, schließt vor Begeisterung die Augen und fährt sich mit der Zunge über die Lippen. Ein weiterer Kontrollblick geht in den Backofen, wo der Lammbraten final vor sich hin gart.

Er stellt den Ofen aus, holt den Braten heraus und richtet die Teller an.

Fertig“, sagt er zu sich und öffnet die Küchentür.

Die Frau sieht, wie ihr Mann das Esszimmer betritt. Er trocknet seine Hände an der Kochschürze ab, die er um seine Hüfte gebunden hat.

Der Esstisch ist festlich geschmückt und liebevoll eingedeckt.

Es ist soweit. Hilfst du mir beim Auftragen, Schatz“, fragt er und lächelt sie an.

Natürlich“, antwortet sie.

Beide holen die angerichteten Teller aus der Küche, bedienen sich gegenseitig und setzen sich auf ihre Plätze.

Er öffnet einen trockenen Rotwein und gießt seiner Frau und sich davon ein.

Zum Wohl und guten Appetit, mein Goldstück“, sagt er und prostet ihr zu.

Zum Wohl und guten Appetit, mein Schatz“, wiederholt sie und stößt mit ihm an.

Sie essen wortlos. Im Hintergrund ist Schuberts „Der Tod und das Mädchen“ zu hören.

Dann sagt sie: „Mein Gott, Schatz, du hast dich wieder mal selbst übertroffen!“

Vielen Dank. Alles nur für dich. Du bist meine Inspiration“, erwidert er.

Ab und zu schauen sie von ihren Tellern auf und sich in die Augen. Dabei lächeln sie.

Bald darauf sind sie mit dem Hauptgang fertig.

Möchtest du schon Nachtisch, Hase?“, fragt er.

Puh, nein danke, erst mal noch nicht. Ich bin satt“, stöhnt sie und ergänzt: „Wie wäre es vorher mit Ostereier-Suchen?“

Hast du denn auch schon alle Osternester versteckt?“, fragt er und lächelt verschmitzt.

Natürlich. Damit bin ich fertig“, antwortet sie. „Komm, los geht‘s: Suchen!“

Und du?“, fragt er.

Nein, zuerst du“, entgegnet sie.

Okay“, sagt er und holt tief Luft.

Sie schaut ihm beim Suchen zu.

Typisch. Er lässt sich immer unterkriegen!

Was ist nur mit uns passiert, denkt sie.

Im Lauf der Jahre hat er sich immer mehr seiner Arbeit zu- und von ihr abgewendet.

Seine Arbeit, die sie früher so faszinierend fand. Jetzt ist es nur noch seine Kochkunst, die ihn für sie so anziehend macht.

Langweilig und gleichgültig ist er. Geworden.

Er durchsucht das Zimmer und findet nach und nach die Osternester. Bei jedem Fund runzelt er die Stirn.

In jedem Nest steckt ein verpacktes Mobiltelefon.

Als er Nummer fünf findet, sagt sie: „So, das war‘s. Gut gemacht“ und applaudiert.

Und jetzt?“, stutzt er, zuckt mit den Schultern und setzt ein fragendes Gesicht auf.

Sie verdreht die Augen.

Na, was wohl? Auspacken!“

Der Mann nimmt das erste Handy und startet es. Der Bildschirmschoner ist ein Porträt von ihm. Darunter steht „Mein Loser Bild 1“

Er schaut seine Frau, die ihn breit angrinst, verständnislos an.

Was soll ich damit?“, fragt er verwirrt und runzelt die Stirn.

Du wirst doch wohl ein Handy bedienen können, mein Schatz!“, sagt sie vorwurfsvoll.

In der Mitte des Handys ist der Kamera-Button zu sehen, den er mit seinem Zeigefinger antippt.

Ein Video erscheint. Aufgenommen in einem ihm unbekannten Schlafzimmer. Darin ein ausladend großes Bett, in dem sich zwei Menschen vergnügen. Die Intensität ihrer Geräusche signalisiert, dass sie gerade sehr viel Spaß haben.

Die eine Person ist ein gut gebauter Mann, die andere seine Frau. Die steht jetzt neben ihm und lacht ihn gerade verachtend aus.

Frohe Ostern, du Langweiler“, säuselt sie und küsst ihn auf die Wange.

Genieße diese Küsse, denn sie werden die letzten sein, die du von mir bekommst. Ich werde dich verlassen.“

Der Mann schaut verlegen auf den Boden.

Er nimmt das zweite Handy (Startbildschirm „Mein Loser Bild 2“) und betätigt auch hier den Kamera-Button.

Ein weiteres Video. Noch ein Schlafzimmer, diesmal: Seine Frau und eine Gespielin beim Liebesakt.

Seine Augen weiten sich ungläubig.

Sie lacht: „Das hättest du mir nicht zugetraut, was?“, sagt sie mit lauterer Stimme und küsst ihn. „Mensch, du bist immer tiefer in dir, in deine Arbeit oder in Gott weiß was versunken, von der Außenwelt abgeschnitten. Und mich dabei ganz vergessen! Ich habe den Eindruck, ich bin nur noch Luft für dich. Das habe ich dir schon so oft gesagt, aber du registrierst es einfach nicht. Ich bin jung, genau wie du, aber im Gegensatz zu dir will ich noch was erleben.“

Handy-Video Nummer drei, verwackelt, zeigt seine Frau mit einem feisten Mann beim Sex in einer Sauna.

Sie sagt: „Wir haben auch eine Sauna im Keller, aber immer, wenn ich dich dort verführen will, fliehst du fast vor mir.“

Das vierte Handy-Video wurde in der Dusche eines öffentlichen Schwimmbades aufgenommen. Seine Frau in den Händen eines muskelbepackten Mannes im weißen Sportdress.

Im Erlebnisbad Bahia“, staunt der Mann.

Schwimmlehrer“, ergänzt sie zur Erläuterung und ergreift seine Schultern mit beiden Händen und schüttelt sie kurz.

Verstehst du? Ich kann alle haben und vergeude meine Zeit mit dir hier in dieser Einöde!“ Sie küsst ihn erneut auf die Wange.

Der Mann legt das Gerät beiseite und ergreift zögerlich Nummer fünf, bereit, die nächste Demütigung über sich ergehen zu lassen.

Es bringt den Mann zum Schwitzen. Es zeigt einen spärlich beleuchteten Kellerraum, den er als Kneipentoilette identifiziert. Im Hintergrund hört man Karnevalsmusik. Die wird jedoch vom Stöhnen seiner Frau, die als Oktoberfest-Mädel verkleidet ist und es mit einem Mann im Batman-Kostüm treibt, übertönt.

Das war das Geilste“, flüstert sie ihm ins Ohr und küsst es anschließend. „Weil uns dabei mindestens zehn Leute zugesehen und angefeuert haben.“

Der Mann wendet sich von ihr ab und sagt dabei tonlos. „Ich habe auch noch was für dich vorbereitet.“

Die Frau sieht ihn fragend an.

Ach, lass es doch einfach“, sagt sie entnervt und winkt ab.

Hast du denn immer noch nicht genug von mir? Begreife es doch endlich: Es ist aus!“

Oh nein, mein Schatz! Ich habe noch nicht genug von dir. Das hier ist für dich“, erwidert er ruhig und holt einen Gegenstand aus der Tasche seiner Schürze.

Seine Frau starrt mit großen Augen auf das Präzisions-Jagdmesser, das sie ihm zum ersten Jahrestag geschenkt hatte.

Der Mann nutzt das Überraschungsmoment und zieht das Messer mit der gekonnten Bewegung eines erfahrenen Försters über ihre Halsschlagader. Sofort strömt Blut aus der hässlichen Wunde und versaut den gepflegten Parkettboden ihres Esszimmers.

Was…“, bringt sie noch hervor, bevor sie zusammenbricht und auf den Boden fällt.

Bleib schön hier“, befiehlt ihr Mann und lacht. Er geht zum großen Esszimmerschrank Eiche rustikal und öffnet beide Türen.

Er holt fünf verschieden große Pakete heraus.

Die Frau versucht sich mit letzter Kraft von ihrem Mann weg zu bewegen. Ihre Füße schaben über den Boden, aber sie ist schon zu geschwächt, um noch vorwärts zu kommen.

Glaubst du, ich weiß nicht, was du in deiner Freizeit so alles treibst und mit wem? Wozu gibt es Privatermittler?“ fragt er rhetorisch.

Der hat mich zwar eine Menge Geld gekostet, aber er war jeden Cent davon wert.“

Er nimmt die Handys, auf deren Displays noch die Videoaufnahmen als Standbilder zu sehen sind und kniet sich vor seine sterbende Frau. Dann hält er ihr die Geräte nach und nach vor die Augen.

Handy eins: Pascal Frenzen, Weberstraße, Dingden“, beginnt er und legt das Gerät in eine Geschenkpackung.

Nummer zwei: Cornelia Brethammer, Ringenberger Straße, Hamminkeln“, fährt er fort.

Nummer drei: Frank Hermeyer, Osterstraße, Bocholt. Vier: Stefan Dünkhausen, Dingdener Straße, Bocholt. Fünf: Torsten Brandt, Trappstraße, Wesel.“

Die Handys wandern in jeweils ein Paket.

Seine Frau versucht etwas zu sagen, aber es kommt nur noch ein Röcheln aus ihrem Mund. Blut fließt aus der klaffenden Wunde.

Er beugt sich zu ihr und flüstert ihr ins Ohr: „Auch deine Lover“, er stockt, verzieht sein Gesicht und lacht glucksend, „und, äh, deine Loverin (oder wie sagt man das?) sollen ein unvergessliches Osterfest haben. Mit einem lebensechten Souvenir von dir persönlich!“ Er kichert. „Lebensecht, das ist gut!“

Dann holt er eine große Plastikplane aus der Garage und legt sie auf den Parkettboden. Nun rollt er ihren immer noch lebenden Körper darauf.

Er sieht das Bewusstsein der Frau schwinden.

Ihre Augen fallen immer wieder zu.

Beeil dich, treibt er sich an.

Seine Bewegungen werden hektischer, denn er hat keine Zeit zu verlieren. Also steht er rasch auf und eilt in die Küche.

Er kommt zurück und kniet sich erneut zu ihr.

Nein, nein. Schön wach bleiben, mein Schatz.“, ruft er ihr zu und schüttelt sie. „Du sollst auch noch was von diesem außergewöhnlichen Abend haben!“

Die Frau sieht ihn mit letzter Kraft entgeistert an.

Sie versucht sich zu artikulieren, aber es kommt nur etwas heraus, das sich anhört wie „…was…“

Er lässt sich davon nicht ablenken und streichelt über ihren blutüberströmten Kopf. Dann hält er den Gegenstand, den er aus der Küche geholt hat, wie einen metallisch glänzenden Fetisch hoch.

Dabei zitiert mit irrer Stimme: „Diese fünf Pakete, heil‘ges Osterlamm,‘s ist alles, was ich dir geben kann“

Und startet das elektrische Küchenmesser.

Für Loriot

2 thoughts on “Frohe Ostern!

  1. Hallo Rolf,

    das dürfte in der Tat für einige Personen ein unvergessliches Osterfest werden 😉

    Mit Bezug auf Deine Widmung „Für Loriot“: Da weht wirklich ein Hauch von Loriot durch den Text, finde ich. Ich denke da an sein wunderbar böses Adventsgedicht mit der Förstersfrau, das Dir vermutlich auch beim Schreiben durch den Kopf ging. Anfangs dachte ich noch: Der Protagonist muss aber ziemlich leidensfähig (oder anders gesagt: ein bisschen dämlich ;-)) sein, dass er alle fünf Handys auspackt und sich jedes Mal aufs Neue demütigen lässt. Aber da ahnte ich ja noch nicht, dass er seinerseits einen perfiden Plan geschmiedet hat – guter „Twist“!

    Der Reim ganz am Schluss liest sich etwas holperig, vielleicht kannst Du da noch ein wenig nachbessern. Alles in allem aber ein schönes, rabenschwarzes Lesevergnügen!

    Liebe Grüße,
    Ana2020

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