Philippa FeilGuten Gewissens

Normal
0

21

false
false
false

DE
X-NONE
X-NONE

/* Style Definitions */
table.MsoNormalTable
{mso-style-name:”Normale Tabelle”;
mso-tstyle-rowband-size:0;
mso-tstyle-colband-size:0;
mso-style-noshow:yes;
mso-style-priority:99;
mso-style-parent:””;
mso-padding-alt:0cm 5.4pt 0cm 5.4pt;
mso-para-margin-top:0cm;
mso-para-margin-right:0cm;
mso-para-margin-bottom:8.0pt;
mso-para-margin-left:0cm;
line-height:107%;
mso-pagination:widow-orphan;
font-size:11.0pt;
font-family:”Calibri”,sans-serif;
mso-ascii-font-family:Calibri;
mso-ascii-theme-font:minor-latin;
mso-hansi-font-family:Calibri;
mso-hansi-theme-font:minor-latin;
mso-bidi-font-family:”Times New Roman”;
mso-bidi-theme-font:minor-bidi;
mso-fareast-language:EN-US;}

Guten Gewissens

„Widerwärtig, einfach widerwärtig“, Kommissar Max Wildgans ist erschüttert. Vieles hat er gesehen, konfrontiert mit dem Tod und den Abgründen des Lebens. Situationen wie diese hier in der kleinen Hochparterre-Wohnung im Münchner Stadtviertel Bogenhausen machen ihm emotional trotzdem schwer zu schaffen.

Die Rettungskräfte knien auf dem Boden, der nackte Körper der jungen Frau ist in eine Wärmedecke gewickelt, sie ist bewusstlos. Gerade entfernt der Notarzt vorsichtig das Klebeband, das sich in die Haut um ihren Mund schier eingefressen hat. Blutverkrustete Stellen und blaue Flecken verteilen sich im Gesicht, Würgemale am Hals. Er möchte nicht wissen, wie zerschunden ihr Körper ist.

„Was treibt jemanden an, so grausam zu sein?“, nachdenklich schüttelt der Kommissar den Kopf. Er spürt, wie in ihm die Wut aufsteigt. In seinen Ohren rauscht es, sein Puls wird schneller. Sein verbissener Wille, dieses abscheuliche Verbrechen aufzuklären, beginnt schon in den Fingern zu kribbeln.

„Wann wird sie ansprechbar sein?“
Ohne ihn anzusehen, antwortet der Notarzt: „Wir sind froh, wenn sie soweit stabilisiert ist. Eine Vernehmung können Sie erstmal vergessen.“

Wildgans überhört den gereizten Ton, klar, der Doc hat hier alle Hände voll zu tun. Mit einem tiefen Seufzer wendet sich Wildgans an den gerade eingetroffenen Leiter der Spurensicherung und gibt ihm erste Infos. „Offenbar Vergewaltigung und Misshandlung einer jungen Frau, Einbruchsspuren gab es an der Wohnungstüre nicht, wir haben die Tür mit einem festen Tritt geöffnet. Der Kollege hat schon angefangen, Nachbarn zu befragen. Bislang keine Erkenntnisse, keiner hat was gehört, keiner hat was gesehen. Viele sind jetzt zur Mittagszeit gar nicht da. Wir wissen ja nicht, wie lange die Frau hier schon so liegt. Der Notruf ist heute in der Früh um 8 Uhr in der Zentrale eingegangen. Sie konnte nicht reden, wir mussten das Handy orten.“

Der Spusi-Mann klopft Wildgans beruhigend auf die Schulter. „Wir arbeiten mit Hochdruck. Morgen früh hast du die ersten Auswertungen. Wie geht’s der Frau?“

„Der Notarzt stabilisiert sie, ich hoffe, sie kommt bald zu sich. Und ich hoffe, sie ist bereit, über das, was ihr angetan worden ist, zu reden.“

„Wenn sie sich erinnern kann. Eine Amnesie nach so einem traumatischen Erlebnis kann Jahre dauern“, seufzt der Kollege von der Spurensicherung.

Wildgans dreht sich um und beobachtet ein paar Sekunden die Situation, die sich immer noch auf dem Boden abspielt. Unverändert versuchen Arzt und Sanitäter die Frau aufzuwecken, prüfen ihre Reflexe, versorgen die Wunden und messen den Puls. Sie handeln routiniert, stellt Wildgans fest.
Nur mit Professionalität kann man die verstörenden Eindrücke vor Ort ertragen. Nachdenken darf man über das nicht, was die Frau durchgemacht haben muss. Ihre Verletzungen erzählen die Geschichte eines Martyriums. Wildgans bekommt jetzt schon einen Kloß im Hals, denn irgendwann im Laufe der Ermittlungen wird er sich damit auseinandersetzen müssen.
Diesen Zeitpunkt fürchtet er genauso wie er ihn herbeiwünscht. Ab dem Moment fokussiert er sich auf den Täter und kann dessen Persönlichkeit klar definieren. Dann ist es nicht mehr weit bis zur Identifizierung. Und dann schnappt die Falle zu.
Wann es soweit ist, die Beute einzufangen, hat Wildgans immer schon gewusst.
Er will als Sieger aus dem Spiel hervorgehen.
Immer.
Instinktiv ballt er die Faust.

Ein lautes Wehklagen zerreißt die geschäftige Atmosphäre plötzlich. An diesen Ton und die Sekunden der Starre, die sich über den Raum in dem Moment legt, wird sich Wildgans noch Jahre später mit einem kalten Schauer erinnern. Es ist der Ausdruck eines tief in die Seele eingebrannten Schmerzes, den die junge Frau ihr Leben lang mit sich tragen wird.

Und sie wird nie den Grund dafür erfahren.

———-

Der Duft von Kaffee weckt seine Lebensgeister. Er muss bei der Aktendurchsicht eingeschlafen sein. Mühsam rappelt er sich von seinem Schreibtischstuhl hoch und erschrickt. Hinter ihm steht sein Kollege von der Spurensicherung mit einer Tasse dampfenden Kaffee und einer durchsichtigen Plastiktüte voll mit Utensilien aus der Wohnung der jungen Frau.

„Weiß man schon was aus dem Krankenhaus?“, will der Spusi-Mann wissen. Der Kommissar schüttelt den Kopf.

„Das hier solltest du dir anschauen. Das Handy haben wir bei der Frau in der Wohnung gefunden. Aber außer dem Anruf zur Rettungsstelle und vielen Fotos ist auf dem Handy nichts zu finden, was auf sie schließen lässt. Das Handy gehört nicht ihr. Die SIM-Karte ist nicht registriert.“

Wildgans packt das Handy aus der Plastiktüte: „Dann hat der Täter es dort liegen gelassen? Oder vergessen?“ Der Spusi-Mann schlürft seinen Kaffee und schaut ihn mit hochgezogenen Augenbrauen über den Tassenrand an. Wildgans kann das Schweigen nicht deuten. „Gibt es noch was, was ich wissen muss?“

„Bitte, Max, schau dir die Fotos an.“ Wildgans stellt es alle Härchen am Körper auf. Die leise Stimme seines sonst sehr sachlichen Kollegen verheißt nichts Gutes.
Er ist höchst alarmiert.

Mit wenigen Klicks ist die Fotogalerie offen und er wischt von Foto zu Foto.
„Das sind meine Tochter und meine Frau“, mit offenem Mund starrt er den Spusi-Mann an.
Er wischt weiter. „Wir drei vor dem Haus meiner Schwiegereltern.“
Das letzte Foto zeigt die junge Frau mit schreckgeweiteten Augen und fest gezurrten Fesseln an Händen und Füßen. 

„Schau auf die Uhrzeit des Fotos und dann schau, wann der Rettungsdienst den Anruf bekommen hat.“
Wildgans klickt sich durch die Funktionen des Handys. „22.07 Uhr und 7.58 Uhr… Ich kann nur hoffen, dass die arme Frau die meiste Zeit bewusstlos gewesen ist!“

„Ich habe mir den Notruf in der Zentrale vorhin angehört, um eventuell Geräusche oder Stimmen im Hintergrund zu orten. Aber man hört nur ihr Wimmern“, der Spusi-Mann versinkt in Gedanken.
„Ja, der Täter hat ihr ein ganz fieses Plastikband über den Mund geklebt. Die Fesseln hat er wohl gelockert, so dass sie wenigstens das Handy bedienen konnte“, resümiert Wildgans.
Beide sitzen eingesunken an seinem Schreibtisch und starren auf das Handy in seiner Hand.

Er wischt wieder zu den Fotos zurück, die seine Frau und seine Tochter zeigen.
Alltagssituationen: beim Einkaufen, beim Einsteigen ins Auto, Emma mit ihrer Sporttasche auf dem Weg zu Hiphop. Clara in der Küche. „Das war gestern früh! Das weiß ich sicher. Ich habe sie noch auf die Farbe ihres Shirts angesprochen. Der war gestern früh an unserem Haus gestanden und hat von gegenüber in die Küche fotografiert!“
Ruckartig reißt er sein eigenes Handy aus der Hemdtasche und wählt die Nummer seiner Frau. Sie meldet sich mit fröhlicher Stimme. Wildgans gibt sich gar keine Mühe, seine Aufregung zu unterdrücken: „Ist bei euch alles in Ordnung?“

„Auch einen schönen guten Morgen!“, Wildgans geht nicht darauf ein.

„Clara, wo ist Emma?“
„In der Schule wie jeden Tag um diese Zeit! Was ist los?“

In kurzen Worten erzählt Wildgans von seinem Fall.

„Du meinst, er hat das Handy für dich am Tatort gelassen?“, Claras Stimme ist jetzt ein wenig schrill. Wildgans gibt es einen Stich ins Herz, er liebt ihre Fröhlichkeit so sehr und er holt sich bei ihr das leichte Leben außerhalb seines Jobs ab. Von Leichtigkeit ist Clara im Moment weit entfernt. „Max, ist Emma in Gefahr?“

„Ich kann es nicht ausschließen. Ruf‘ bitte in der Schule an, ob sie da ist.“ Schon ist das Gespräch unterbrochen.

Der Spusi-Mann legt ihm beruhigend seine feingliedrige Hand auf die Schulter.

„Wenn es eine Botschaft ist, dann wird er dir auch sagen, was er von dir will. Emma geht es gut. Ich bin sicher.“

Claras Anruf bestätigt dies wenig später. Sie fordert von ihm Sicherheit.
„Ja, Liebling, ich werde Personenschutz für euch beantragen. Bleib daheim. Ich hole Emma später von der Schule ab!“

Max Wildgans weiß, wer das Handy am Tatort für ihn zurückgelassen hat.
Er rechnet seit sechs Jahren damit, dass er ihm auf die Spur kommt. Jetzt ist er da.
Er schaut auf die Uhr, kurz nach 10 Uhr.
Wenn er Chris immer noch richtig einschätzt, wird er gegen 15 Uhr bei ihm anrufen.

————–

Mit einem langen schmiedeeisernen Stab stochert Chris in der Glut. Schade um die schönen Klamotten, gleich ist  nur noch ein kleiner glimmender Haufen Asche davon übrig. Die letzte und die einzige Spur seiner dreckigen Tat ist somit vernichtet. Gerade läutet die Kirchenglocke vier Mal und dann noch …neun, zehn, elf Mal. „Dieses Scheiß Kaff hat mich die längste Zeit gesehen“, grollt er in seinen Drei-Tage-Bart.

Natürlich lässt er sich jetzt noch ein bisschen Zeit, bis er den Herrn Kommissar anruft. Jetzt hat er sechs Jahre, drei Monate und vier Tage auf seine Rache gewartet, da kommt es auf ein paar Minuten wirklich nicht an.
Immer noch freut sich Chris über seine hervorragende Recherche-Arbeit.
Wobei ihm natürlich das Glück auch ein bisschen geholfen hat. Aber bei der Polizei nach seinem ehemaligen Geschäftsfreund zu suchen, wäre ihm wirklich nicht als erstes eingefallen, wenn nicht bei der Party von Rebeccas Bekannten über den Kommissar Max Wildgans mit dem lustigen Schweizer Akzent und seine eigenartigen und sehr erfolgreichen Ermittlungsmethoden gesprochen worden wäre.
Auf einem Foto, das ihn bei der Spurensicherung am Tatort irgendeines Modefuzzis zeigt, hat er Martin dann erkannt. Aus Martin ist ein Max geworden. „Wildgans“ – sehr nette Überleitung seines Geburtsnamens „Kronschnabel“. Kreativ war Martin wirklich immer schon. Und mit einem guten Instinkt ausgestattet.

Vom Architekten zum Kommissar – eine perfekte Tarnung für das neue Leben. Respekt!
Aber gut, mit fünf Jahren Betrugserfahrung und 20 Millionen Schweizer Franken auf dem Konto ist schnell ein neuer Lebenslauf gebastelt. Angefangen von den Zeugnissen und Papieren bis zum Architektenhaus in der Münchner Vorstadt, in dem er mit seiner Clara und deren Töchterchen ein passables und völlig unauffälliges Leben lebt.
„König des Finanzimperiums“, Chris sieht den Titel der Zürcher Zeitung noch vor sich, die ihm sein Anwalt bei einer der unzähligen Besprechungen vor die Nase hält. Die Autoren berichten über Martin und seine angeblichen Immobilien in der ganzen Welt.
Chris ist der, dem die Looser-Rolle zukommt.
Er ist der, wegen dessen Unachtsamkeit der Betrug aufgeflogen ist.
Er ist der, der an einer Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen gescheitert ist.
Er ist der, der im Gefängnis sitzt und nichts, aber auch wirklich gar nichts zu Martins Verbleib sagen kann.
Er arbeite nicht mit der Staatsanwaltschaft zusammen, haben sie gesagt. Deswegen gibt es keine Strafmilderung für ihn.

Die Immobilien, die sie für teures Geld verkaufen, hat es nie gegeben. Die mondänen Villen und Prunk-Lofts in aller Herren Ländern sind alle auf Martins Reißbrett entstanden und in den Hochglanz-Katalogen für die kaufwilligen Investoren verewigt worden.
Die Nachfrage ist groß. In den meisten Fällen ist das Geld kofferweise bezahlt worden. Schwarzgeld, das direkt in ihre Taschen fließt, der Rest geht ganz offiziell aufs Konto.
Es ist sein Erfolg. Ihm, Chris, steht der Ruhm für das Imperium zu, er ist der Kopf dahinter. Der Titel „König des Finanzimperiums“ gebührt ihm.

Während er auf den Seychellen weilt, wird die Krankenkasse wegen einer unerheblichen Summe von ein paar Tausend Euro nicht gezahlter Sozialversicherungsbeiträge aufdringlich. Martin wird das offenbar zu heiß, er räumt das Geld von den Konten, leert die Depots und Schließfächer und setzt sich ab.
Nichtsahnend von dessen Vorgehen hört er am Züricher Flughafen nur noch die Handschellen klicken.
Wegen ein paar Tausend Euro! Es hat nicht lange gedauert, bis die Schweizer Exekutive darauf gekommen ist, dass sie da einen ganz großen Fisch im Netz haben. Chris hat über vier Jahre lang seinen Alltag in der Einöde einer Gefängniszelle erleben dürfen.
Martin bleibt unauffindbar. Die Staatsanwaltschaft in der Schweiz und in Deutschland suchen mit Nachdruck nach seinem Verbleib. Er und die 20 Millionen Schweizer Franken bleiben verschwunden.
Bis vor kurzem das Foto auftaucht. Zwei Jahre nach seiner Entlassung ist ihm der Zufall bei seiner Suche behilflich.
Plötzlich sind die Millionen zum Greifen nah!

Der dreckige und auch der gefährliche Teil der Arbeit ist jetzt zumindest erledigt.
Die Kleine hat sich wirklich sehr dumm angestellt. Warum, in Gottes Namen, lässt man als Frau im Hochparterre die Balkontür offen? Sie hat ihm fast ein bisschen leid getan, wie sie sich erschrocken hat, als er plötzlich bei ihr im Zimmer gestanden ist. Sie hat keine Zeit zum Schreien bekommen, das Klebeband lässt keinen Ton durch. Damit war die Gefahr gebannt, dass man ihn und sein schändliches Tun in der Nachbarschaft hören könnte.
Alles andere war ein Kinderspiel. Gegen ihn als 90-Kilo-Mann hatte sie keine Chance. Die Fesseln hat er ihr nur für das Foto angelegt. Das muss weh getan haben, ihr liefen die Tränen runter und ihre Handgelenke waren ziemlich aufgescheuert, als er sie wieder gelockert hat.
Die Vergewaltigung hat sich so ergeben.
Ihre Hilflosigkeit und seine Ungeduld, endlich an das Geld zu kommen – er war völlig von Sinnen.
Ähnlich wie bei den Verhandlungen mit den Investoren. Wenn er gespürt hat, dass sie unbedingt etwas wollten, was angeblich in seinem Besitz war. Ihr winselndes Flehen, doch genau ihnen diese unglaublich hochwertige Kapitalanlage zu verkaufen. Und sie dann am Haken zappeln zu lassen – nur nicht zu lange, dass sie nicht abspringen. Diese Situation hat ihn damals angemacht und zugleich äußerst reizbar gemacht.
Wenn dann der Vertrag unterschrieben war, ist seine Ungeduld und Anspannung endlich der Gewissheit eines gelungenen Millionen-Coups gewichen.
Doch noch nie hat er dieses Spiel und seine Macht über Menschen so körperlich gespürt wie gestern Abend. Er hat sich einfach gehen lassen.
Aber hey, was soll’s. Sie wird sich an nichts mehr erinnern können, dafür hat er gesorgt.
Und wenn sie sich erinnern kann, vertraut er auf Martin. Er will sicher nicht, dass seine Tarnung als ‚Kommissar Max Wildgans‘ auffliegt. Was natürlich passiert, wenn er Chris verhaften würde.

Jetzt kommt also der strategische Teil. Sein Herzschlag wird gleich schneller, wenn er daran denkt, wie Martin auf seinen Anruf reagieren wird.
Das will er miterleben. Wenn er sich nicht täuscht, wird Martin den kleinen Fratzen von der Schule abholen, weil er natürlich befürchtet, dass Chris ihn nach den Fotos auf dem Handy am Tatort noch weiter unter Druck setzen wird. Aber das ist jetzt noch nicht nötig.
Nur wenn Martin nicht spurt, dann kann er demnächst seine Clara zusammenklauben, irgendwo aus einem dunklen Kellerloch, ähnlich zusammengerichtet wie die Kleine gestern Abend.
 
Grob stochert Chris in der Glut, bis die letzten Funken verfliegen. Er will seinen Anteil an den Millionen. Er will das Geld und keine weiteren Drohszenarien aufbauen.
Jetzt ist er endlich dran, er will gut leben!

Oberste Priorität wird für Martin sein, seine Identität zu wahren. Wie soll er die Ermittlungen leiten, wenn schon die erste Spur direkt zu ihm führt? Max Wildgans darf nicht auffliegen. „Morgen sind die zehn Millionen Schweizer Franken bei mir!“, Chris dreht sich grinsend vom Feuer weg und steuert aufs Haus zu.
Jetzt erstmal ausgiebig duschen und dann wieder zurück nach München.

————–

Max Wildgans fährt schon eine Stunde vor Schulschluss in der Nähe des Gymnasiums herum. Er hat sich ein anderes Dienstauto ausgeliehen, denn er möchte nicht anhand des Autos von Chris erkannt werden.

Er ist sich sicher, dass er irgendwo in der Nähe sein wird, wenn er Emma abholt. Den Bildern nach zu urteilen, hat er über mehrere Tage hinweg sein Leben beobachtet.
Chris überlässt nichts dem Zufall, ist gewissenhaft und notorisch kontrollsüchtig. Umso verwunderlicher war sein Lapsus damals mit den Versicherungsbeiträgen.

Wenn er Chris wäre, dann würde er gerne das Gesicht sehen, wenn er anruft und seinen verschollenen Anteil einfordert.
Max ist sich sicher, dass er ihn unter Druck setzen wird, droht, Clara und Emma etwas von seinem früheren Leben zu verraten.
Er kann ja nicht wissen, dass Clara alles, wirklich alles, über ihn weiß.

Er hat damals bei seiner überstürzten Flucht aus der Schweiz alles auf eine Karte gesetzt. Das Geld hat er auf verschiedenen Wegen an verschiedene Orte transferiert, um jederzeit unauffällig darauf zugreifen zu können. Damit hat er die Millionen gerettet, für sich und für Chris.

Eine Freundin hat er damals nicht gehabt. Es hat sich auch davor nie etwas Festes ergeben, zu seinem Schutz. Keine sollte von seinen betrügerischen Machenschaften erfahren.
Nachdem er für ein halbes Jahr in der Einsamkeit des Dorflebens untergetaucht gewesen ist, hat er sich geschworen, dass er jetzt sesshaft wird und einem ordentlichen Beruf nachgehen wird.
Keine Geheimnisse mehr.

Seine neue Identität war schnell angelegt, die Anstellung als Kommissar zunächst in der niederbayerischen Provinz ein Kinderspiel, seine Versetzung nach München folgte seinem guten Ruf, den er sich in kurzer Zeit erworben hat.

Clara hat er wenige Wochen später kennengelernt. Zwischenzeitlich hat er sich das nette Häuschen in einem lebendigen Vorort von München gekauft, wo er sich noch heute sehr wohlfühlt. Samstagvormittag gehörte nur ihm und seinem geliebten Viktualienmarkt.  Stundenlang kann er heute noch durch die bunten Stände laufen, um danach in einer Wirtschaft oder Biergarten einzukehren.
Dort traf er auf Clara. Sie saß allein an einem Tisch, versetzt von einer Freundin, wie sich im Gespräch herausstellte. Sie verbrachten den Nachmittag, den Abend, die Nacht und den Sonntag zusammen. Seitdem sind sie unzertrennlich, ein Spitzen-Team, tolle Eltern für ihre Tochter. Sie erzählte ihm gleich von Emma und er erzählte ihr sehr bald von seiner Vergangenheit.
Sie nahm es gefasst auf, meinte nur: „Die Alternative ist Gefängnis. Da leben wir lieber gut davon.“
Ihrer Initiative ist es zu verdanken, dass er eine großzügige Spende an das Kinderheim im Ort für eine dringend benötigte Sanierung machte. Sie meinte damals, dass er mit dem Geld, das aus irgendwelchen dunklen Geschäften stammen könnte, auch etwas Gutes tun könnte.
Die Spende war anonym, keiner sollte auf irgendwelche Ideen kommen! Aber ihm hat sie eine große Gewissenserleichterung verschafft, es geht ihm seitdem viel besser, er fühlt sich irgendwie reingewaschen von allem, was in seinem Leben moralisch nicht einwandfrei gelaufen ist.

Er hat nie den Anteil von Chris für sich beansprucht, hat sich aber auch nicht die Mühe gemacht, ihn zu kontaktieren. Für ihn als Polizist war es ein Kinderspiel herauszubekommen, wo Chris sich nach seiner Entlassung vor zwei Jahren aufhält, und er hat ihn im Auge behalten.
Chris‘ Suche nach ihm ist immer detaillierter geworden. Er ist ihm aber nie gefährlich nahe gekommen. Wie er jetzt plötzlich aus dem Nichts auftaucht, kann er sich nicht erklären. Dass er nicht den direkten Weg zu ihm genommen hat, überrascht ihn nicht. Das ist Chris‘ Art, mit seiner Beute zu spielen.
Die junge Frau tut ihm leid, sie war nur der Lockvogel für ihn und wurde dem Spiel geopfert.
Er muss höllisch aufpassen, dass er den Fall dienstintern schnell abschließen kann. Sonst ist seine Tarnung gefährdet.
Wenn Chris ihn wütend macht, dann überführt er ihn kurzerhand wegen Vergewaltigung mit Mordversuch. Auf die Lorbeeren für die schnelle Aufklärung des Falles wird er gerne verzichten. Die Papiere für ein erneutes Untertauchen sind bereits hinterlegt. Für ihn, für Clara und für Emma. Der Ort, wo sie zusammen leben, ist ihm egal. Für seine Familie und das gemeinsame Leben würde auch er Opfer bringen. Dafür würde er sogar töten.

Unauffällig rollt er durch die Straßen um das Gymnasium in der Maxvorstadt. Geschäftig eilen Männer mit Aktenkoffern Richtung Hauptbahnhof, ein paar halbwüchsige Schüler lehnen am Eingang zum Park. Wachsam lässt er seinen Blick schweifen, irgendwo muss Chris sein. Seine Statur ist unverkennbar: Groß, sehr groß, leicht gebeugt und mit dichtem grauem Haar, etwas länger, aber immer noch männlich. So zumindest hat er vor sechs Wochen ausgesehen, als er ihn mal wieder routinemäßig ein paar Stunden beobachtet hat.

Das Telefon klingelt. Unbekannte Nummer.
„Grüazi Chris“, meldet sich Max.
Am anderen Ende ein heiseres Lachen. „Du hast meinen Anruf erwartet, wie schön!“
„Oh ja, die Botschaft auf dem Handy war eindeutig. Musste das sein? Das arme Mädchen.“
„Du und dein weiches Herz. Mach dir keine Gedanken über sie. Sie wird sich nicht mehr erinnern. Dafür habe ich gesorgt.“
„Du hast wirklich kriminelle Energien. Das war mir gar nicht so bewusst.“
„Vier Jahre Knast machen dich hart, glaube mir.“
Max Wildgans schweigt. Auch dafür hat er die Spende ans Kinderheim gemacht. Aber das lässt er unerwähnt, das geht Chris nichts an.
„Du willst deinen Anteil, nehme ich an.“
„Ja, so schnell wie möglich.“
„Gut, bis morgen habe ich das Geld zusammen.“
„Ich rufe dich morgen Nachmittag für den Treffpunkt an. Noch was: Keine Tricks. Ich weiß, wie sehr du an deiner Familie hängst. Sehr idyllisch, dein trautes Leben zu Dritt.“
„Du bekommst dein Geld ohne Wenn und Aber.
Lass dir nicht einfallen, mich zu erpressen. Bis morgen!“

Max wartet nicht ab, ob Chris noch etwas sagen will und drückt den roten Button. Das Gespräch ist unterbrochen und erst jetzt merkt er, dass ihm der Schweiß in Perlen auf der Stirn steht.
Chris hat ihn in der Hand, das ärgert ihn. Noch mehr ärgert ihn, dass Chris sich seiner Sache so sicher ist.  
Langsam fährt er noch eine weitere Runde um das Schulgebäude und bleibt dann vorm Eingang stehen.

Jetzt sieht er ihn. Lässig lehnt er am Schultor. Bevor Max irgendwie reagieren kann, geht Emma schon an ihm vorbei. Chris schaut dem Mädchen provozierend nach und ihm dann direkt ins Gesicht. Max kocht innerlich. Eiskalt erwidert er seinen Blick, bevor er sich Emma zuwendet, die sich mit einem genervten „Endlich“ auf den Beifahrersitz fallen lässt.

————–

Während der Autofahrt ist Chris hin- und hergerissen. Martin hat sich während des Telefonats nicht wohl in seiner Haut gefühlt. Ein paar Mal hat er sich fahrig den Schweiß von der Stirn gewischt. Von seinem Aussichtspunkt aus hat er ihn mit dem Fernglas gut beobachten können und es sehr genossen, seinen alten Geschäftsfreund so schwitzen zu sehen.
Dass Martin ihn am Ende des Gesprächs zurechtgewiesen und einfach aufgelegt hat, ist ein Affront. So ein arrogantes Verhalten steht ihm nicht zu. Ein Wort und er könnte ihn auffliegen lassen.

Er fährt in die Hofeinfahrt und hält den Atem an. Da steht Martins Auto. Aber es steigt nicht er, sondern der Bekannte von Rebecca aus dem Auto aus. Ja klar, Martin war ja mit einem anderen Auto unterwegs. Als wenn das was nützen würde. Er beruhigt sich und begrüßt ihn freundlich. Wie hieß er doch gleich? Egal.

„Ja hallo! Was führt dich denn zu mir? Neues Auto?“

„Nein, das Auto eines Kollegen. Ist Rebecca da?“

„Nein, sie kommt heute nicht. Sie hat 24-Stunden-Schicht im Altenheim.“

„Ach, davon hat sie mir ja gar nichts gesagt.“

„Weiß auch nicht. Magst auf ein Bier bleiben?“

Nach zwei Bier fragt Chris ganz beiläufig: „Und wie isses in der Arbeit? Hast du aufregende Spuren zu verfolgen?“

„Nichts von Bedeutung, alles nur Routine.“

Chris mag es nicht, wenn man ihn in die Bedeutungslosigkeit schickt. Er hakt nach. „Das klingt ja ultra-langweilig. Ich hätte mir deinen Beruf aufregender vorgestellt.“

„Was ist daran aufregend, wenn man jeden Tag mit dem Ergebnis konfrontiert ist, das der gesellschaftliche Abschaum hinterlässt?“

Chris nickt ganz langsam, er kämpft innerlich, ihm nicht seine Faust ins Gesicht zu jagen.
Abschaum, er und Abschaum.
Sein Plan ist genial. Von Anfang bis zum Ende.
Dieser Langweiler ist arrogant und dumm.

„Ich gehe jetzt, morgen um sechs geht der Tag wieder los. Danke fürs Bier!“

Chris hebt nur die Hand zum Gruß.
Abschaum, ich bin kein Abschaum.
Ich bin der König eines Finanzimperiums.
Nur mit mir und durch mich konnte Martin so groß werden, alleine hätte er das nie geschafft.
Mir stehen mehr als 10 Millionen zu, ich will 15. Mindestens.

Er greift zum Handy und wählt die Nummer von Martin.

Martin hebt nicht ab.

Chris schäumt vor Wut. „Geh hin!“, schreit er in das Handy, während er es weiter klingeln lässt. „Geh hin, du verdammter Bastard. Du hast gefälligst hinzugehen, wenn ich anrufe!“

——–

Max und Clara sitzen am Küchentisch, als das Handy läutet.

„Es ist Chris“, er nimmt das Handy und beide starren es an. „Ich gehe nicht hin. Ich ahne nichts Gutes.“

Er legt das Handy zur Seite und lässt es weiter klingeln. Irgendwann hört es auf.

„Ich glaube, er wird nervös. Er traut dir nicht“, konstatiert Clara.

Martin schaut sie nachdenklich an. „Da kannst du recht haben.“

„Ist das gut oder schlecht?“, fragt Clara nach.

„Ich weiß nur, dass er ungenießbar und vor allem unberechenbar ist, wenn er nervös wird. Er kann es nicht aushalten, wenn er das Gefühl hat, er hätte die Fäden nicht in der Hand.“

Beide atmen gleichzeitig tief ein und lachen dann. Nie war Max so glücklich mit jemandem wie mit Clara.

Es muss der letzte Betrug in meinem Leben sein. Ich mag das Spiel von Täuschen und Tarnen nicht mehr, schwört er sich erneut.

——–

Zur verabredeten Zeit klingelt das Telefon am nächsten Tag. Max geht sofort dran.

„Warum hast du gestern nicht abgehoben?“ Chris‘ Stimme ist heiser, Max spürt, wie Chris sich nur schwer zurückhalten kann.

Seine alten Ängste, nicht ernst und nicht wahrgenommen zu werden, schlagen bei ihm sehr schnell in Wut um. Und dann noch die Anspannung vor dem Deal. Daran hätte er gestern denken sollen, als er Chris‘ Anruf nicht entgegengenommen hat. Ein taktischer Fehler, schimpft sich Max selbst.

„Ich habe es nicht gehört, tut mir leid!“

„Okay!“ Max hört ihn tief durchatmen.

„Hast du das Geld?“

„Ja klar. Wann und wo?“

„Heute Abend, 21 Uhr. Ich schicke dir gleich noch die Adresse per WhatsApp.“

„Okay, bis später!“

„Warte! Keine Tricks und vor allem keine Polizei, außer dir natürlich!“, Chris lacht über seinen eigenen Scherz. Max lacht gekünstelt mit und beruhigt ihn.

„Natürlich nicht. Ich weiß ja, dass du mich in der Hand hast.“

„Sehr gut erkannt“, sein Unterton nimmt eine bedrohliche Färbung an. Max reagiert nicht drauf. Schweigend aufzulegen scheint ihm die beste Taktik zu sein.

Früher hat Chris seine Ungeduld oft in Alkohol ertränkt, bis der Vertrag dann unterschrieben und die Millionen in ihre Taschen gewandert sind. Dann war alles gut, die Laune bestens und der Schampus ist – wieder – in Strömen geflossen.

So wird es dieses Mal wohl auch sein. Wahrscheinlich trinken sie miteinander noch ein Bier, weil der Plan für Chris aufgegangen ist.
Wenn es nur schon soweit wäre, freut sich Max auf den Augenblick, wenn er den Heimweg antritt.

Was fällt dem eigentlich ein, schon wieder einfach aufzulegen? Chris bemüht sich, nicht unbeherrscht noch einmal anzurufen und von ihm gleich die 15 Millionen Franken zu fordern. Er will Martin ein bisschen schikanieren und leiden lassen, während er längst auf den Seychellen weilt.

————–

Max wundert sich, dass Chris ihn zu sich nach Hause bestellt.
Clara sieht das pragmatisch: „Er weiß ja nicht, dass du weißt, dass das sein Zuhause ist. Und vermutlich will er sich mit dem Koffer voller Geld sofort absetzen.“

„So könnte es sein“, murmelt er vor sich hin, als er die WhatsApp noch einmal liest, bevor er sich auf den Weg zu Chris macht.

Max beruhigt sich mit dem Griff zu seiner Dienstwaffe. Für alle Fälle. Er streicht über das weiche Leder, in dem die Waffe steckt. Es ist ein Gefühl, das ihm Sicherheit vermittelt.

Die Begrüßung zwischen den beiden ehemaligen Geschäftskollegen fällt kurz aus. Chris führt ihn in eine muffige, dunkle Wohnküche.

„So wohnst du also!“ Max schaut sich um, tut so, als wenn er das erste Mal hier wäre und wundert sich doch erneut. So eine Absteige ist völlig unter Chris‘ Standard und Niveau.

„Ich finde, dass mir mehr als die Hälfte zusteht“, eröffnet Chris das Gespräch aggressiv.
„Schließlich war ich über vier Jahre im Gefängnis und habe dich völlig unbeschadet gelassen. Auch jetzt decke ich dich noch.“

„Ich habe jetzt genau die Hälfte dabei. 10 Millionen 102 Tausend Schweizer Franken. Wenn es mehr sein soll, muss ich nochmal kommen.“
Max überlegt fieberhaft, wie er Zeit gewinnen kann. Mehr als die Hälfte! So ein Unsinn.

„Wo ist das Geld?“

„Alles in dem Koffer!“ Mit Schwung hievt er den schwarzen Aktenkoffer auf den zerkratzten Holztisch und lässt die beiden Schlösser theatralisch mit einem verschwörerischen Grinsen aufklappen.

„Perfekt!“, Chris scheint zufrieden, seine Gesichtszüge entspannen sich.

„Finde ich auch!“, tönt es plötzlich von der Küchentür. Dort steht Thomas, der Spusi-Mann. Seine verschwindend kleine Pistole hält er in beiden Händen und richtet sie abwechselnd auf Max und Chris, der automatisch die Hände hebt.

„Wo kommst du denn her?“, Max ist völlig perplex und tastet instinktiv nach seiner Dienstwaffe.

„Hände hoch! Dein Kumpel macht das schon sehr gut!“ So unwirsch hat Max seinen Spusi-Kollegen noch nie erlebt.

„Ich bin dir gefolgt, die ganze Zeit. Das Handy, das wir am Tatort gefunden haben, ist meines. Ich habe es Rebecca für ihren Freund geliehen, weil er seines angeblich ertränkt hat.
Als ich es auf Spuren untersucht habe, habe ich meine Initialen innen im Akkudeckel gefunden.“

Sein Blick geht zu Chris und mit Verachtung im Ton sagt er: „Deine Vergangenheit kenne ich inzwischen. Die Verbindung zu dir, Max – oder soll ich Martin sagen? – war mit den Fotos auf dem Handy offensichtlich. Da musste ich nur noch warten, bis die verschollenen Millionen auftauchen.“ Triumphierend schaut er Max an.

Plötzlich knallt ein Schuss.
Mit einem überraschten Gesichtsausdruck bricht der schlaksige Spusi-Mann zusammen.
Mit einem Siegerlächeln nickt Chris Max zu, bevor sich der überhaupt rühren kann.

Zufrieden mit sich steckt Chris die Waffe weg. Ja, er ist derjenige, auf den man sich verlassen kann. Er hat die Fäden in der Hand. Seine schnelle Reaktion hat ihnen beiden den Hals gerettet.

Max ist ganz schlecht, er mochte den Spusi-Mann. Er blickt auf den verrenkt daliegenden Mann, ihm läuft Blut aus Mund und Nase, seine Augen stehen weit auf. Die Schusswunde tränkt seinen dunkelgrünen Wollpulli langsam in ein dunkles Rot.

„Pack deine Sachen und das Geld und hau‘ ab. Irgendwohin, wo dich keiner findet. Auch ich nicht.“
Max ist ganz bei sich und übernimmt instinktiv das Kommando. Das ist seine Chance, Chris für immer loszuwerden.

„Lass die Waffe einfach liegen. Dann hat die Spurensicherung schon mal Beschäftigung.“

Chris verschwindet ohne Widerrede nach oben in sein Schlafzimmer. Kurze Zeit darauf steht er mit gepackten Koffern vor ihm.
Clara hatte recht, er wollte sich eh absetzen. Jetzt hat er einen Grund mehr, das Weite zu suchen. Mord kann ihn lebenslänglich ins Gefängnis bringen.

Max legt einen wohlmeinenden, fast flehentlichen Ton in seine Stimme: „Leb wohl, Chris! Melde dich nie mehr bei mir, zu deinem eigenen Schutz. Verstehst du mich?“ Chris nickt. Er ist froh, morgen schon Tausende Kilometer weit weg zu sein.

„Rebecca ist deine Freundin und sie wohnt hier?“, fragt Max scheinheilig. Er weiß aus seinen Observationen natürlich von ihr.
Chris nickt.
„Gut, sie wird die Ermittlungen mit ihrer Entdeckung hier in Gang bringen. Und ich bringe sie in die richtige Richtung.“

Chris grinst zufrieden. Die Männer verabschieden sich mit einer kurzen Umarmung.

Max bleibt noch im Haus.

Er bemüht sich, seine Gedanken zu beruhigen, um jetzt auf den letzten Metern nur ja keinen Fehler zu machen.

Nach wenigen Minuten steht er auf und fährt nach Hause.

Er wird noch einmal eine sehr großzügige, wohltätige Spende machen, im Namen von Chris. Immerhin geht es um Mord und Vergewaltigung und auch ein bisschen um Erpressung.
Die zwei Millionen Schweizer Franken, die er gerade noch aus Chris‘ Geldkoffer in seine Taschen hat wandern lassen, sind dafür gut angelegt.

Dafür hat Chris sicher Verständnis. Und er selbst ein gutes Gewissen.

Philippa Feil

Schreibe einen Kommentar