Ramona CarlIch bin Nummer 9

 

Ihre Lunge brannte, unaufhörlich wie ein glühender Bolzen, der ihr in die Brust getrieben wurde und daran konnte auch der kalte Novemberwind, der auf sie eindrosch, nichts ändern. Doch sie rannte und rannte, vollkommen kopflos, Hauptsache weg, immer weiter, ihrer schmerzenden Lunge und ihrer fehlenden Kondition zum Trotz. Was sie gesehen hatte, hatte sie so verstört, dass es sie gänzlich um ihren Verstand brachte, denn ihr sonst so scharfsinniger Kopf lief genauso heiß wie ihre Lunge und ihre Füße. Sie konnte einfach keine einleuchtende Erklärung dafür finden, was sich ihr eben für ein Bild geboten hatte. Und mit Bild war das sehr wörtlich gemeint.

 

Nichts ahnend ging sie wie üblich einmal in der Woche ihren Besorgungen nach, stets bemüht allen aus dem Weg zu gehen, denn sie wollte in Ruhe ihrem Auftrag nachgehen, wohlwissend immer die Stimme ihrer Mutter im Hinterkopf:,, Verhalte dich so unauffällig wie möglich und kehre schnellstmöglich wieder zurück, damit die Macht nicht aufmerksam auf dich wird.“ Jaja war ihre übliche Antwort darauf– wobei sicherlich jedem von uns dabei die Bedeutung dessen durchaus geläufig ist- waren wir denn in einem verdammten Star Wars Film oder was ?! Die dunkle Macht wartete sicherlich nicht darauf, sie bei strömenden Regen und peitschendem Wind auf ihrem Weg zum Wocheneinkauf zu überfallen, mit sowas gaben die sich wohl kaum ab.

 

Deshalb war sie selbstverständlich nicht den kürzestesten Weg zum Supermarkt gegangen, sondern schlenderte noch über einen kurzen Umweg an der Bushaltestelle vorbei, wo seit 3 Tagen ein neues Werbeplakat hing, dass sie wie Licht die Motten anzog. Und heute wollte sie dem Verlangen nachgehen, endlich nachzusehen, was sie daran so magisch anzog, denn sie konnte es von ihrem Fenster aus nicht einmal wirklich erkennen, da es viel zu weit weg war und nur seitlich zu sehen war. Außerdem bewegten sich diese doofen Dinger ja auch noch in regelmäßigen Abständen, was ihre Sicht darauf erschwerte.

 

Folglich stand sie ungeduldig vor der Bushaltestelle, den Werbebanner fest im Blick und darauf wartend, dass sich endlich das Motiv änderte. Was dauert denn da so lange, es regnet wie verrückt, nun mach schon ?! Ging es ihr im Kopf auf und ab, während sie teppernd da stand, damit ihr nicht noch kälter wurde. Kurz abgelenkt von einem grimmig und zugleich irritiert dreinschauenden Fußgänger, der seine Kapuze wegen des Wetters derart tief ins Gesicht gezogen hatte, dass man kaum etwas davon sah. Offensichtlich fühlte er sich von ihrer Anwesenheit gestört, denn er musste wohl vergebens auf den nicht eintreffenden Bus gewartet haben. Es verwunderte sie ohnehin, dass überhaupt eine Menschenseele freiweillig draußen war bei dem Dauerregen, aber sie war ja nun mal auch draußen und stand für Außenstehende vollkommen unnütz in der Gegend herum. Bis sie von dem surrenden Geräusch der wechselnden Anzeige aus ihren Gedanken gerissen wurde. Und es traf sie wie ein Schlag mitten in ihr triefend nasses Gesicht, das war ihr Antlitz auf einer knapp 2000 Jahre alten, römischen Stele. Zunächst dachte sie, dass sie sich einfach im Gehäuse der Werbereklame gespiegelt hatte, aber dem war nicht so. Wie vom Blitz getroffen, stand sie da, noch nicht einmal den malträtierenden Wind nahm sie mehr war. Nach geraumer Zeit vollkommener Regungslosigkeit irritierte sie ein Geräusch, es kam ganz aus ihrer Nähe, doch was sollte die Quellen dessen sein, hier war absolut nichts und niemand. Dennoch kam ihr das Geräusch äußerst geläufig vor, aber der stets boeige Wind war es nicht. Und da sah sie es. Auf der Bank der Bushaltestelle lag ein Smartphone, das in regelmäßigen Abständen durch die eingehenden Fotonachrichten vibrierte. Es war ihr allerdings erst ins Auge gefallen, da es an diesem Ort wie ein Leuchtfeuer die Dunkelheit durchschnitt. Doch was sie innerlich zerschnitt, in der Sekunde da sie erkannte, was das Handy auf dem Display abbildete, war noch unglaublicher als die Abbildung auf dem Museumsplakat. Es zeigte sie in teurem äpyptischem Tuch und in noch unbezahlbareren Schmuckstücken in Anwesenheit der wohl berühmtesten Pharaonin schlechthin: Cleopatra. Und es ploppten immer mehr dieser Fotos auf dem Display auf, die sie in schillernsten Farben in längst vergangene Zeiten abbildete. Stets begleitet von demselben Text: Erinnerst du dich ?

 

Sie konnte nicht mehr genau sagen, welche Sicherungen ihr dann durchgebrannt sind, aber sie rannte los, so schnell sie konnte, denn sie hatte einen Geistesblitz. Der Typ, der auf den Bus gewartet hat, saß genau hier, er muss doch wissen, was es damit auf sich hatte. Da sie aber nicht genau wusste, wie viel Zeit sie bereits in ihrer Schockstarre verharrt war, konnte er bereits einen riesigen Vorsprung haben. Doch sie musste es versuchen, versuchen in einzuholen und ihn zu fragen, was es damit auf sich hatte.So brachte sie möglichst schnell möglichst viel Distanz zwischen sich und die vereinsamte Bushaltestelle, die sich immer noch durch das Plakat in leicht goldenes Licht tauchte, während sie in stoischer Ruhe von ansonsten tristem, grauen Bordstein umgeben war.

 

,,Außenwerbung trifft jeden“ hat es die gegenüberliegende Werbetafel bereits treffend formuliert, dachte der Fußgänger bei sich. Die Kleine hatte gesehen, was sie sehen sollte und er musste nur noch warten, bis sie ihn im passenden Moment vor dem Museum einholen würde. Noch rannte sie recht blindlings durch den kalten Novemberregen, aber das würde sich irgendwann legen, denn alle Wege führten zu ihm so auch ihrer. Deshalb galt es keine Eile zu haben, Schakale wie er brachten schließlich auch ihre Beute durch eine ausdauernde Jagd zur Strecke und er hatte Zeit, alle Zeit der Welt, denn er war schließlich der Gott der Unterwelt, Anubis, dem früher oder später jeder einmal gegenüber treten würde. Also ließ er es mit größter Gelassenheit auf sich zukommen, er hatte jetzt lange genug gewartet, aber die paar Minuten würde er dann auch noch überstehen. Er war gekommen, um sich zu holen, was ihm zustand, sie sollte schließlich erfahren, wer sie wirklich war und was sie getan hatte.

 

Als sie letztlich von ihrer kläglichen Kondition zum Anhalten gezwungen wurde, stoppte sie inmitten irgendeiner Straße, wo war nicht von Belang. Zuallererst war sie damit beschäftigt, um Luft zu ringen, der Rest war vorerst nebensächlich. So stand sie einige Minuten triefend nass, vornübergebeugt auf dem tiefschwarzen Flickenteppich an Teer, den der Name Straße nicht würdig war.

 

Zunächst hatte sie es für eine Windverwehung gehalten, die sich in einer Pfütze in einem Schlagloch spiegelte gehalten, doch jetzt sah sie es schon wieder. Zweimal hintereinander denselbe Schemen, das konnte kein Zufall sein oder lag das an ihrem derzeitigen Sauerstoffmangel, dass ihre Augen ihr einen Streich spielten. Als sie sich aufrichtete, sah sie es sogar durch den Regen recht klar, wie sie einen stetig schärfer werdenen Umriss einer Person erkannte. Und sie glaubte sogar etwas mehr oder weniger vertrautes daran zu erkennen, aber ihr fiel es nicht direkt auf, was es war. Herr Gott wer ist denn bitteschön bei dem Sauwetter noch draußen unterwegs ? Dachte sie bei sich und genau in diesem Moment fiel es ihr auf, es war der vermummte, hagere Typ, der vorhin an der Bushaltestelle an ihr vobeigeschlichen war und sie so argwöhnig angefunkelt hatte. Halleluja ! Doch ihr Instinkt warnte immer lauter, dass sie gehen sollte, doch wohin ? Sie hatte schließlich keinen blassen Dunst wo sie war. Vor allem wäre wichtig, sich nichts anmerken zu lassen, was nach so einem Kräfte zehrenden Spurt natürlich vollkommen irrwitzig war. Folglich entschloss sie sich dennoch dazu, ganz normal weiterzugehen, so weit dass ihr erschöpfter Zustand zuließ, denn sie hatte weitere Stimmen in der Nähe wahrgenommen. Andere Menschen, genau das konnte sie jetzt in ihrer Situation gebrauchen. Also folgte sie den Geräuschen bis sie der Quelle immer näherkam. Dann hielt sie kurz inne, denn sie fand sich vor genau dem Museum wieder, von dem die Werbung war, die sie nicht einmal gelesen hatte vor lauter Schreck. Sie war sichtlich verwundert über die Tatsache, dass um die Uhrzeit noch Leute ins Museum gingen, aber gut in der dunklen Jahreszeit schätzte man auch häufig die Uhrzeit falsch ein. Die Skepsis schüttelte sie recht schnell ab und las auf dem Plakat, dass am Eingang des Museums hing:,, neue Cleopatra Ausstellung, Eröffnung an der langen Museumsnacht“ und das war ganz offensichtlich heute. Durch diese dumme, kurze Ablenkung hatte sie den dubiosen Fußgänger aus den Augen verloren. Verdammt ! Hektisch sah sie sich in dem Getümmel um und prüfte jedes Grüppchen an Menschen, die sich vor dem Eingang gesammelt hatten. Da ! Sie hatte ihn noch gerade so entdeckt, bevor er im Inneren des Museumseingangs verschwand.

 

Kurzerhand entschied sie sich, sich mit der vor ihr eingetrudelten Gesellschaft mit hineinzumogeln. Was erstaunlich gut funktionierte, da wohl aufgrund des Wetters niemand großes Prozedere um Einlass machte oder die Veranstaltung am Eröffnungsabend offensichtlich kostenlos war. Das kam ihr gerade gelegen und sie drängelte sich durch die Gruppen hindurch, um dem unheimlichen Kerl möglichst unauffällig zu folgen. Also ließ sie sich immer weiter mit den Leuten in die Tiefe der Museumsgebäude treiben, bis sie in einem der Räume wie magisch von einem Ausstellungsstück angezogen wurde.

 

Es kam ihr so unverhofft bekannt vor. Es war die abgebildete Stele von der Werbetafel und der unbekannte Atem in ihrem Genick, die sie vor Gewissheit erstarren ließen. Die darauf folgenden Worte gaben ihr endgültig den Rest:,, Du kannst mir nicht entrinnen wie der Sand der Sahara zwischen deinen Händen, denn alles und jeder kehrt irgendwann zu mir zurück so auch du. Erinnerst du dich ?“

 

 

Es war ein leichter Lufthauch, der durch den Raum ging, wie eine leichte Brise, die sich allerdings von einem Moment auf den nächsten zu einem Tornado entwickelte, der sie schlagartig wieder aus ihrer Schockstarre in das Hier und Jetzt katapultierte. Die Worte kaum hörbar nahezu untergegangen bei dieser Geräuschkulisse von gesprächigen Diskussionsrunden, doch sie hatte sie glasklar vernommen, als ob sie in einem luftleeren Raum verhallt wären. Sie spürte den Atemzug, der die Worte preisgegeben hatte, immer noch auf ihrer Haut und hinterließ ein unangenehmes Prickeln auf ihrer Gänsehaut. Das bedeutete aber auch, dass sie wieder anwesend war und langsam wieder zu sich fand. Doch das änderte sich bereits schlagartig, als sie wie elektrisiert auf die Stele vor sich sah. Die altägyptische Darstellung darauf war aus der Zeit Cleopatras wie die Plakate sie bereits wissen ließen.

 

Erneut fuhr sie herum, weil sie meinte, schon wieder die Stimme vernommen zu haben, doch zu ihrer Überraschung sah sie niemanden in ihrer unmittelbaren Umgebung. Alle waren in Gespräche vertieft, doch sie konnte niemanden ausfindig machen, der ihr auch nur zugewandt wäre. Und doch da war sie wieder. ,,Sieh sie dir an, die letzte Pharaonin. Mit ihr ging auch meine Welt unter und das allein ist deine Schuld !“, hallte es in ihrem Kopf wider. Das konnte nicht sein, diese Geschehnisse sind so alt, dass man sie in Museen ausstellen konnte, was sollte das bitte mit ihr zu tun haben ? Während sie versuchte, der Sache auch irgendwie auf den Grund zu gehen, indem sie weiter die Stele in Grund und Boden starrte, fiel es ihr ins Auge, dieses kleine Detail, dass sie stutzen ließ und den Tornado in ihrem Kopf endgültig entfesselte.

 

Direkt hatte sie die überlieferte Geschichte von Cleopatras legendärem Tod vor Augen, wie sie sich durch den Biss einer Kobra das Leben nimmt, nachdem ihr Gemahl Marcus Antonius sich ins Schwert gestürzt hatte, um nicht als Kriegsbeute von Oktavian – später dann Augustus – in Rom vorgeführt zu werden. Und ja so ist eine ganze Welt versunken, die seit Jahrtausenden Bestand hatte. Doch hat es sich wirklich so zugetragen ? Sie wollte es sich selbst nicht eingestehen, doch sie wusste tief in ihrem Innersten, dass es nicht so war und sie hatte lange versucht, es tief zu begraben und doch dieses beklemmende Gefühl kroch unaufhörlich weiter an die Oberfläche. Allerdings war heute anscheinend der Tag der Wahrheit hereingebrochen, obwohl er doch so harmlos angefangen hatte.

 

Denn plötzlich stand sie vollkommen alleine in dem Raum mit der Stele und es herrschte Grabesstille, nicht ein Hauch des Lärms von eben zu vernehmen, aber sie wunderte sich über nichts mehr. Wie in Zeitlupe sah sie sich um, doch nichts und niemand war zu sehen oder zu hören, bis sie wie aus dem Nichts eine Hand mit dürren Fingern und langen Nägeln am Hals packte. ,,Sag schon, raus mit der Sprache, ich will es von dir hören !“, forderte die Stimme energisch, während ihr bereits die Tränen in die Augen stiegen. ,,Du weißt genau, was ich wissen will !“ Zunächst war ihr absolut schleicherhaft, was ihr Gegenüber erwartete, bis er ihr folgende Worte sagte:,, Der jahrhunderte lange Schlummer vermag die Erinnerungen sehr zu verblassen, gar auszuradieren. Du wirst dich doch wohl selbst sofort auf dieser Stele und auf all den anderen Abbildungen hier erkannt haben.“ Plötzlich sackte sie in sich zusammen und der Tornado trieb eine Sturmflut heftigsten Ausmaßes an die Küste ihres Verstandes. Sie wusste es nun. Und er wusste es auch. Aber es wirklich auszusprechen, was sie getan hatte, raubte ihr den Atem.

 

Sie versuchte Worte zu finden, um den Anfang zu machen, doch es gelang ihr nicht recht.,, Ich… ich wusste doch nicht… dass es so weit kommen würde.“, stammelte sie vor sich hin, bemüht nicht sofort zusammenzubrechen. ,,Ich höre !“, wurde sie angeherrscht. ,,Es … es gab nie eine Schlange.“, sprach sie leise vor sich hin, wohlwissend was sie bereits damit zugegeben hatte. ,,Aha und das bedeutet?“, antwortete er ungeduldig. ,,Ich hab es getan.“,,Was genau, sag es mir !“, forderte er sie erneut auf, kurz davor endgültig die Geduld zu verlieren. ,,Cleopatra, meine Schwester, die letzte Pharaonin, hat sich nicht das Leben genommen, sondern ich habe sie getötet, weil es meine Krone war !“, presste sie hervor, während sie Anubis mit einem stechenden Blick durchbohrte, der von Tränen umrahmt wurde. ,,Und somit hast du egoistisches Ding unsere gesamte Welt zugrunde gerichtet ! Zuerst war es wie eine verblassende Erinnerung, doch dann verschwand unsere Kultur ganz. Zusehends verwässert von römischen und später auch von anderenTraditionen, verlor sich Alles, Bräuche, Gepflogenheiten und schlussendlich auch die Götter. Das ist der einzige Weg einen unsterblichen Gott zu töten, dass er in Vergessenheit gerät, Arsinoe.“, folgerte Anubis abschließend und gab ihren Hals wieder frei. ,,Und doch bist du hier.“, stellte Arsinoe skeptisch fest, nachdem sie einigermaßen ihre Fassung wiedergewonnen hatte. ,,Tja gestorben wird halt immer, das kommt nie aus der Mode, also hatte ich das große Glück, mich durchschlagen zu können. Aber nun ist es an der Zeit, dass du so einiges wiedergutmachst.“, warf er ihr an den Kopf und legte ihr einen großen, goldenen Halsreif um, wie ihn normalerweise nur Pharaonen trugen. Kaum dass er ihren schmalen Hals umschloss, begann er kurz aufzuleuchten und zwang sie umgehend in die Knie. ,,Was ist das ?“, fragte sie aufgeregt, während sie vergebens versuchte, sich von dem glänzenden Teil zu befreien. ,, Das ist der Halsreif Cleopatras, über die Jahrhunderte verwunschen mit der Gier nach Rache und getränkt mit uralter Magie. Kurzum er hält deine Kräfte im Zaum und macht es mir leichter, dich auszuliefern.“, stellte Anubis klar, während er über das goldene Schmuckstück strich. ,,Du glaubst doch nicht wirklich, dass das alles hier reiner Zufall ist, was sich heute Abend so zugetragen hat ?“, setze er noch nach. ,,Du hast das Smartphone absichtlich dort positioniert und du wurdest von jemandem geschickt…“, entgegnete Arsinoe resigniert, jetzt dämmerte ihr langsam, was ihre Mutter ihr immer damit sagen wollte, sie solle sich nicht von der dunklen Macht aufspüren lassen. Denn so viel war sicher, die meisten Gottheiten waren eitel, überheblich und stets auf ihren Vorteil bedacht, warum sollte es also bei diesem Exemplar anders sein. ,,Mütter haben immer recht !“, schoß es ihr durch den Kopf und konnte nicht leugnen, dass da was dran sein musste. Verflixt ! Außerdem verdankte sie ihrer Mutter, dass ihr diese Eigenschaften nicht unbekannt waren, denn sie war es, die Arsinoe als Halbblut gebahr. Vielen war sie unter dem Namen Bast oder Bastet geläufig und sie kannte diesen reudigen Köter, der sie hier gerade festhielt, nur zu gut. Deshalb war ihr sofort klar, dass seine Bemühungen irgendeine Art Aufwandsentschädigung nach sich ziehen musste, wie gesagt uneigennützig sind die wenigsten Götter.

 

Noch nicht zu Ende gedacht, begann Anubis seine Ausführung des weiteren Vorgehens:,, Also wir zwei Hübschen harren hier jetzt einen Moment aus, bis wir äußerst nette Gesellschaft bekommen und ganz begierig darauf sind, dich endlich kennenzulernen, kleine Weltenzerstörerin ! Dafür sollst du jetzt mein Türöffner für die Welt der neuen Götter werden, also benimm dich. “ Oh das ließ nichts Gutes vermuten, vor allem weil ihr immer noch schleierhaft war, was sie letztendlich wirklich von ihr wollten.

 

Kurz darauf trat ein gut gekleideter Mitdreißiger in den leeren Raum – wobei ihr sich nicht erschloss, wie das funktionierte inmitten dieser Veranstaltung, aber das war wohl so ein göttliche Aura Ding oder sowas – und nickte Anubis grüßend zu. ,,Wie ich sehe, konntest du die kleine Göre auftreiben. Na Miezi wie geht’s?“, wandte er sich zu ihr und machte einen schnöseligen wie wiederwärtigen Eindruck, mit seinem Küsschenmund der seine aalglatte Haut für einen Moment zum kräuseln brachte. ,,So ein Kotzbrocken !“ schoss es ihr sofort durch den Kopf und versuchte nicht die Augen zu verdrehen, was ihr natürlich nicht annähernd gelang.

 

,, Also unser kleines Täubchen hier hat also deine gesamte Welt zerstört, nur weil sie die letzte Pharaonin sein wollte ? Respekt das hätte ich dir gar nicht zugetraut, eine jahrtausende alte Ära über den Jordan zu befördern. Ha Wortwitz !“, musste er anmerken, um dann selbst angestrengt gekünstelt über seinen ,,Witz“ zu lachen. Na hervorragend, ,,lustig“ war er also auch noch ! Was kommt als nächstes, dass er seinen Namen tanzt und zwar im Riverdance Style ? Wo war sie hier nur reingeraten.

 

,,Ja das ist die kleine, egoistische Ziege. Aber nichts destotrotz bringt sie mit, wonach ihr schon sehr lange auf der Suche seid und mich wohl auch dementsprechend entlohnen werdet, denn sie ist das letzte Teil, dass euch zu eurem Puzzle fehlt.“, stellte Anubis nüchtern fest. ,,Und warum bist du dir so sicher ?“, entgegnete der Lackaffe vollkommen zurecht, denn Arsinoe sah ihn genauso fragend an wie der Anzugträger. ,,Allein die Tatsache, dass sie so lange versteckt und so lange am Leben gehalten wurde, musste doch driftige Gründe haben.“, begründete Anubis und warf damit in Arsinoes Kopf nur noch mehr Fragen auf. Dass sie ihm seinen zustehenden Platz als Gott aus einer Welt, die sie zum Einsturz gebracht hatte, zurückhaben wollte von ihr, da sie dafür mehr oder weniger verantwortlich war, dem konnte sie noch folgen, aber der Rest blieb ihr überaus undurchsichtig. ,,So wie es aussieht, hast du meine Liebe überhaupt keine Ahnung, was das alles soll, wie ich deinem grenzdebilen Gesichtsausdruck entnehmen kann.“, stellte der Anzugträger recht uncharmant fest, ,, Dann will ich dir mal erklären, was hier so vor sich geht. Um es kurz zu fassen: Wir sind die Zukunft sozusagen das neue Alpha und das neue Omega !“ Wow da muss aber jetzt schon ein bisschen mehr kommen, dachte sie bei sich, weil das bis jetzt sehr viel von dem üblichen Politik Blabla hatte, viel sagen ohne was zu sagen. Doch er führte weiter aus:,, Sind wir doch mal ehrlich, den traditionellen Religionen laufen ihre Schäflein davon und da kommen wir ins Spiel.“ Was auch immer das jetzt damit zutun hatte, Arsinoe wusste absolut nicht worauf er hinaus wollte. ,,Die digitale Welt sind die neuen Gottheiten, die jetzt auf ihrem Siegeszug sind. Internet, Smartphones, Social Media und wie sie alle heißen. Doch sie haben noch ein großes Defizit zu überwinden, um es komplett in ihrer Hand zu haben: Kreativität. Denn alles andere lässt sich in Algorithmen oder Einsen und Nullen formulieren, bis auf diese willkürliche Anomalie, die mit nichts zu ersetzen ist. Folglich haben wir begonnen nach einer Lösung des Problems zu suchen und da hat deine Wenigkeit ihren großen Auftritt.“, schloss er seinen Werbespot ähnlichen Vortrag, bei dem er keine Mine verzogen hatte. ,,Du bist Nummer 9.“, setzte er noch knapp nach, was ihr gedankliches Dickicht nicht im Geringsten lichtete. ,, Es gibt einen alten Mythos, es gibt 9 Frauen, die alle kreativen Schöpfungsvorgänge in sich versammeln, die Musen, falls dir einfältigem Ding das überhaupt was sagt. Wir haben sehr lange nach dir gesucht, deine Mutter wusste dich lange gut zu verstecken. Doch dank der tatkräftigen Unterstützung unseres netten Gehilfen hier, gelang es endlich, dich aufzuspüren. Und er wird es jetzt auch sein, der sich deiner annimmt und dich verwahrt, bis wir unsere Codes und Prozessoren auf diesen lang ersehnten Tag vorbereiten können. Anubis, du weißt nun, wie weiter zu verfahren ist, ich werde auf dich zukommen, wenn es an der Zeit ist, die Weltherrschaft zu beginnen. Einen Tag rauf oder runter, das wird die neue Ära auch noch einen Tag länger aushalten. Freunde, die Zukunft beginnt jetzt !“, nickte er selbstsicher, während er eher schlecht als recht versuchte, ein gewinnendes Zwinkern auf zusetzten, das an Arsinoes erfrorener Mine gänzlich abzuprallen schien.

 

So schnell der Fatzke auf der Bildfläche erschienen war, war er auch wieder entschwunden. Während Arsinoe immer noch wie erstarrt auf die sich noch bewegende Tür blickte, wurde sie grob von Anubis aus ihrer Trance gerissen. ,,Wir zwei Hübschen gehen jetzt zu deinem Versteck, wo dich garantiert niemand suchen und erst recht niemand entwenden wird. Dich wird wohl ohnehin niemand vermissen.“, sagte er, während er sie zeitgleich harsch an ihrem goldenen Halsreif packte und sie zur Tür zerrte. Sie versuchte sich mit allen Kräften zu wehren, doch der Halsschmuck raubte ihr in der Tat jegliche Kraft, folglich war es nicht mal mehr als ein zartes Winden, was der große, hagere Typ locker ausgleichen konnte.

 

Die Leute ! Fiel es ihr schlagartig ein, sie waren schließlich in einem Museum voller Menschen, da könnte wohl kaum jemand so auffälliges wie der schakalähnliche Gott einfach eine junge Frau hinter sich herschleifen, ohne dass das jemand bemerkte und hoffentlich eingriff. Doch ihre aufkeimende Hoffnung wurde jäh zerschlagen, denn sie schritten in mitten der Menschenmassen durch den Raum, die wie in einem wabernden Nebel zur psychedelischen Schlieren verzogen wurden. Zunächst ergab das für sie keinen Sinn, doch dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Menschen waren nicht im Stande, etwas wahrhaftig Göttliches zu sehen, deshalb kam sie vorhin auch einfach so ins Museum. Die Leuten sahen sie schlichtweg nicht. Doch Arsinoe sah Anubis klar und deutlich vor sich, was Beweis genug für ihre Halbblutabstammung war.

 

 

Also konnte Anubis sie ohne großes Aufsehen zu erregen, aus dem Museum schleusen und nun standen sie in dieser unsagbar runtergerockten Kamesche, die zu allem Überfluss auch noch den irrwitzigen Namen ,,Tempel“ trug. Wobei das so ziemlich das einzige in ihrem tranceartigen Zustand war, was sie wahrgenommen hatte. Keinerlei Erinnerung an den Weg hierher oder gar ein Zeitgefühl wie lange sie schon unterwegs waren. Das musste die Macht dieses verdammten, verwunschenen Halsreifs sein, sie konnte nicht mal eine klaren Gedanken fassen. Sie war nicht annähernd mehr Herrin ihrer Sinne. ,, Fühl dich wie Zuhause, Kätzchen !“, brach es mit schallendem Gelächter aus Anubis heraus und setzte nach kurzem Gepruste nach, ,, Hier kannst du dich wenigstens noch ein bisschen nützlich machen, bevor der Big Boss dich für deine große Mission abholen kommt. Dafür dass du über 2000 Jahre auf dem Buckel hast, siehst du noch ganz ansehnlich aus.“ Anubis hielt sich den Bauch vor Lachen und als er wieder zu Atem kam, meinte er noch:,, Du ziehst dir jetzt was Nettes an und zeigst mal, ob da was dran ist, dass Bastets Töchter von Männern Alles haben können, was sie begehren. Wir wollen ja schließlich nur ihr Bestes: ihr Geld ! pahaha !“ Oh wow da hatte aber jemand einen Clown gefrühstsückt, dachte Arsinoe bei sich und hatte Anubis nicht im Geringsten Gehör geschenkt, da sie viel zu sehr damit beschäftigt war, sich Fluchtoptionen auszudenken und wie sie dieses lästige Schmuckstück loswird.

 

Das einzig Gute war, dass es sie schon mal nicht an diesen Ort zu fesseln schien, denn sie hatte es seit dem Museum an und es hatte sich nichts verändert in der Zwischenzeit. Also konnte dieses Problem eventuell auf später verschoben werden. ,,Hier raus, hier raus, hier raus…“, rotierte es Gebetsmühlenartig in ihrem hämmernden Schädel. Bingo ! Sie hatte eine Idee und die würde sie bestimmt aus diesem seltsamen Klamaukladen, der irgendwo zwischen totalem Absturz, einer abgedrehten Freakshow und der Tür zum Wunderland stetig hin und herschwankte, schnurstracks nach draußen führen. Dann wollen wir mal ! Sprach sie sich selbst Mut zu ,, Unterschätze niemals die Waffen einer Frau, erst recht nicht einer aus dieser Familie.“ Ihre Augen loderten im schummrigen Licht auf, wie die eines Wildtiers, das geradewegs in den Lichtkegel eines herannahenden Autos blickte. ,,Und da kommt auch schon mein Ticket in die Freiheit geradewegs auf mich zu.“, grinste sie in sich hinein und schlich sich an, um ihre Beute zu erlegen.

 

 

,,Du wirst sie schon finden.“, hat man mir gesagt, ,, andernfalls wird sie dich finden.“ Das war die einzige Antwort, die ihn nach langen Nachforschungen erwarteten und ihn tatsächlich in dieses heruntergekommene Etablissment gebracht hatten. Aber wie dem auch sei, musste er feststellen, dass seine Quelle in der Tat recht behalten sollte…

 

 

Kaum trat er in den Raum, dunkel wabernd, voll von zwielichtigen Gestalten, die ihn abfällig musterten, da er hier mit seinem schlabrigen, verwaschenen Nerdshirt offenkundig gänzlich fehl am Platz war. Doch augenblicklich riss ihn ein stechender Blick aus dem Meer der toten Augen, die sich bereits an allem satt gesehen hatten, und ihm schoss sofort der Wahrheitsgehalt der Aussage seines Informanten durch den Kopf. Sie bahnte sich sichtlich mühelos den Weg durch die verschwitzten, tanzenden Gäste, während sie mich weiterhin mit ihren grünen Augen auffordernd anfunkelte.

 

Da waren sie nun, in einem Stripschuppen, der sicherlich schon bessere Zeiten gesehen hatte, und er war abolsut bereit, alles herauszufinden über Vergangenes und Zukünftiges, Mythen und Wahrheiten. Denn er musste die Revolution um jeden Preis stoppen, auch wenn er nur ein vermeintlich kleiner Programmierer war, der sich schon schreckhaft in seinem eigenen Zimmer umsah, wenn er sich denn mal ins Dark Net getraut hatte.

 

Doch so weit kam er gar nicht erst, als er ihr vollkommen seiner Muttersprache beraubt gegenüberstand und nicht wusste, wo er bei dieser abstrusen Story überhaupt glaubhaft anfangen sollte – er hatte es anfangs ja selbst als Humbug abgetan. Dabei verschlug es ihm im Wohl denkbar ungünstigsten Moment die Sprache, weil die Zeit ihnen bereits jetzt wie heißer Wüstensand zwischen den Fingern zerrann. Denn er konnte nicht nur ihre Blicke auf sich kleben spüren, sondern auch eine unfassbare Präsenz allgegenwärtiger, göttlicher Macht in dieser Unterwelt, aus der er sie entreißen musste…

 

 

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