tousmelanieKarma

                                                          Karma

für Sarah: ALWAYS

Er musste raus. Einfach mal eine Runde joggen. Nur für ein Stündchen. Noch länger hätte er sie nicht ertragen. Es war sonst schon nicht einfach mit ihnen, aber nun in Zeiten von Corona wurde es für ihn jeden Tag unerträglicher. Natürlich sollten sie nicht merken, wie sehr sie ihm auf die Nerven gingen. Gott sei Dank durfte man noch vor die Tür gehen.

Selbst er, der Meister der Lügen und der Gefühle vorspielen kam immer mehr an seine Grenzen.

Es war nicht einfach jeden Tag so zu tun als würde er sie und ihre drei Kinder abgöttisch lieben. So gerne würde er ihr ins Gesicht sagen wie unglaublich dumm sie ist. Dass ihre Balgen nicht den Hauch einer Chance hätten mal ein besseres Leben zu führen, bei so einem Vorbild. Die Äpfel fallen halt nicht weit vom Stamm.

Doch er musste sich zusammen reisen, dies bläute seine Mutter ihm auch immer wieder ein. Sie würde ihm so schnell wohl nicht mehr aus der Patsche helfen. Bislang konnte er Mutter immer besänftigen und versprach jedes Mal es besser zu machen. Aber er meinte zu bemerken, dass sie sich für ihn nicht mehr so ins Zeug legte und auf Abstand ging. Das enttäuschte ihn sehr, schließlich war er ihr Erstgeborener.

Allmählich ging ihm ein Licht auf. Schuld daran waren seine Geschwister. Felix, der Jüngste, bislang immer das größte Sorgenkind, war endlich vernünftig geworden, heiratete 2018 endlich und lebte sein Leben. Anrufe drehten sich nur noch um Mutters Wohlbefinden und nicht darum das er wieder einmal Mist gebaut hatte. Oft luden seine Frau und er die Eltern zu sich in die Schweiz ein. Das Sorgenkind stieg zum goldenen Kalb auf. Echt zum kotzen!

Und dann war da noch die Mittlere, die hatte ihr Leben zwar auch nicht im Griff, konnte es aber besser verkaufen als er seins. Sina die Hochbegabte, die schon seit elf Jahren Mathematik und Religion auf Lehramt studierte. Seit elf Jahren! Das ihr das überhaupt jemand glaubte. Und nicht nur das, sie besaß noch eine Wunderwaffe: Klara.

Gerissen war sie, dass musste man ihr lassen. Denn ganz „ungeplant“ wurde sie mitten im Studium schwanger und ehelichte den Trottel von Erzeuger. Mit ihrer Enkelin Klara hatte Sina bei Mutter ein Stein im Brett.

Und er? Bei seinem letzten Versuch sein Leben in den Griff zu bekommen kam er zwar weiter als sonst, scheiterte aber auch hier nach fünf Jahren. Er hatte seine Frau unterschätzt. Nie im Leben hatte er damit gerechnet, dass sie ihn wirklich verlassen würde. Wegen ein paar dummer Fehler, die nicht hätten passieren dürfen. Zum Glück kam er noch mal mit einem blauen Auge davon.

Seine nächste Wahl fiel also auf Chantal. Sie war das perfekte Opfer. Sie war so dämlich, wie man es bei ihrem Namen vermutete.

Chantal hatte so verzweifelt nach Liebe gesucht, dass er bei ihr ein leichtes Spiel hatte.

Allerdings bedachte er nicht wie furchtbar anstrengend es auf die Dauer würde. Jeden Tag mit so viel Dummheit konfrontiert zu werden, und das bei seinem Intellekt, ließ ihn manchmal glauben buchstäblich in der Hölle gelandet zu sein.

 

Allmählich ging ihm die Puste aus. Nach der nächsten Kurve musste die Bank endlich kommen, dann könnte er mal eine Pause einlegen.

Von weitem sah er schon das etwas auf der Bank lag. An seinem Ziel angekommen sah er, dass es ein Handy war. Er schaute sich um, aber außer ihm war keine Menschenseele zu sehen. Da heutzutage jeder einen Sperrcode aktivierte, ging er davon aus „leider“ nicht rausfinden zu können wer der Besitzer sei. Hmm… sollte er es bei Ebay Kleinanzeigen verticken oder doch lieber als Zweithandy nehmen. Schließlich gab es Dinge die Chantal nichts angingen und bevor sie irgendwann in seinem Smartphone rumschnüffelte wäre ein zweites Smartphone schon ganz gut.

Obwohl er nicht glaubte es entsperren zu können versuchte er sein Glück. Tatsächlich kein Sperrcode. Der oder die Besitzer/in schien wohl nicht ganz clever zu sein. Nun nahm er auf der Bank Platz und wollte ein wenig stöbern. Zu entdecken gab es aber nichts. Keine App, keine Nummern und keine Nachrichten. Doch dann sah er doch einen Ordner, mit seinen Initialen: C.S. Was ein lustiger Zufall.

Als er den Ordner öffnete fand er die ganze Angelegenheit gar nicht mehr lustig. In ihm befanden sich hunderte von Fotos von ihm und zwar nur von ihm.

An allen möglichen Orten und in den unterschiedlichsten Situationen. Er, wie er im Parkdeck saß und sein Bier trank, er wie er sich am Bahnhof mit einem Kumpel traf und Grass kaufte.

Wie war das möglich und vor allem wer hatte diese Fotos gemacht?

Verdammte scheiße!

Plötzlich traf eine SMS ein. Mit zittrigen Fingern drückte er auf den kleinen Briefumschlag.

In der Nachricht stand:

„Morgen um 13:05 Uhr, also in genau 24 Stunden gibt es eine große Überraschung!

PS.: Du tust mir nicht mehr weh!“

What the fuck?!? Was sollte das für ein kranker Scherz sein? Wenn er es nicht besser wüsste, würde er auf seine Ex Frau Michelle tippen, aber das konnte nicht sein. Er hatte alle Zelte in der alten Heimat abgebrochen. Keiner wusste wo er jetzt lebte. Außerdem war sie kurz vor seinem Verschwinden in die Psychiatrie eingeliefert worden. Nervenzusammenbruch. Aber wer zog dann so eine Nummer mit ihm ab? Er sah sich die Nachricht noch einmal an und tippte dann die Nummer in sein Handy ein. Es erschien kein Name, also eine Unbekannte.

Na dann ruf ich dich doch mal an.

Er drückte auf den grünen Hörer, aber anstatt eine Freizeichens kam direkt die Durchsage das der Gesprächspartner zur Zeit nicht erreichbar sei.

Was sollte er jetzt machen? Seine liebste und effektivste Taktik war es Dinge die unangenehm waren zu ignorieren. Um das Handy tat es ihm leid, aber er beschloss es dort liegen zu lassen. Natürlich nicht ohne vorher die Fotos und die Nachricht zu löschen.

Er joggte wieder nach Hause. Eigentlich hatte er seine Ruhe vor Chantal und den Kindern gewollt, aber musste sich nun anders ablenken von dem seltsamen Ereignis. Das klappte am besten beim Playstation zocken.

Zu Hause angekommen wunderte er sich als er die Haustür öffnete. Keine Geräusche.

„Schatz?“ rief er. Keine Antwort. Er ging in die Küche und dort lag ein Zettel.

„Bin mit Kitz bei Papa. Bis speter. ILD“

Meine Fresse! Wenn er ihre Rechtschreibung sah wurde ihm übel. Dämliche Kuh!

Sollte ihm ganz Recht sein, so brauchte er sich wenigstens keine Story ausdenken, warum er alleine vor der Playstation hocken wollte, anstatt etwas mit ihnen zu unternehmen. Trotzdem könnte er sich wieder aufregen. Sie kapierte mit ihrem Spatzenhirn scheinbar nicht was Kontakverbot bedeutete. Egal!

Es war 14 Uhr. Mit ein wenig Glück würden sie und die Kinder nicht vor 18 Uhr zurück kommen. Also vier Stunden einfach nur zocken. Herrlich!

Im Flur streifte er sich die Schuhe ab und kickte sie in die Ecke. Dann ging er in die Speisekammer und holte sich sein Sixpack Bier, das er hinter dem Regal versteckt hatte. Chantal sah es nicht gerne, wenn er trank. Im Grunde juckte ihn das nicht. Er war clever genug es so zu tun, dass sie nichts merkte oder auch nicht merken wollte. Auf jeden Fall hatte er sich das flüssige Gold mehr als verdient.

Mit dem Sixpack unter dem Arm schlurfte er ins Wohnzimmer, startete die Playstation, machte es sich auf der Couch bequem und öffnete sein erstes Bier.

Seit einer Stunde spielte er Fortnite als es plötzlich an der Haustür klingelte. Sofort schaltete er den Fernseher lautlos und horchte angestrengt. Das war bestimmt der nervige Nachbar von oben der ihn wieder einmal daran erinnern wollte das morgen Montag und sie an der Reihe sein die Mülltonnen an die Straße zu fahren. Der sollte mal keinen Stress machen, schließlich war es erst 15 Uhr.

Als nach ca. einer Minute nichts zu hören war, stellte er den Ton wieder an. Keine 30 Sekunden später klingelte es schon wieder. Diesmal mehrmals.

Mein Gott verpiss dich!

Aber nun gab der Freak von oben nicht so schnell nach. Er erhob sich, um es schnell hinter sich zu bringen, damit er noch ein paar Stunden in Ruhe zocken konnte und riss die Tür auf. Niemand da.

Boah, scheiß Klingelmännchen!

Niemand zu sehen. Er trat einen Schritt vor und stolperte. Auf dem Boden lag ein Päckchen. Komisch, der Postbote müsste doch schon da gewesen sein und er konnte es doch nicht einfach so ablegen. Als er es aufhob und näher betrachtete fiel ihm auf das nur sein Name in dicken Buchstaben darauf stand. Keine Adresse, kein Absender und auch keine

Briefmarke.

Er nahm es mit in die Küche, schnappte sich ein Messer und schnitt es auf. Das Messer fiel ihm aus der Hand als er den Inhalt erblickte: das Handy.

Mit zittrigen und schweißnassen Händen nahm er es aus der Schachtel. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals als er es entsperrte.

Auf dem Display wurde eine SMS angezeigt und ein Ordner, wieder mit seinen

Initialen – C.S.  Was soll der Mist?!?              

Zuerst öffnete er den Ordner und da waren sie wieder. Die ganzen Fotos die er vor einer Stunde gelöscht hatte. Mit einem mulmigen Gefühl tippte er auf den kleinen Briefumschlag und las die SMS.

„Du tust mir nicht mehr weh! Deine Überraschung gibt es in 22 Stunden! PS.: Wer glaubt, dass Schweigen Probleme löst, hält sich auch die Augen zu, um unsichtbar zu werden.“

Allmählich machte sich Wut in ihm breit. Was war das für ein Spinner der ihm so auf die Nerven ging? Vielleicht war die Nummer jetzt erreichbar, er versuchte sein Glück. Doch wie bereits beim ersten Mal kam die Ansage, dass der Gesprächspartner nicht erreichbar sei.

Den Karton brachte er nach draußen in den Mülleimer und legte noch ein paar Zeitungen drüber, damit Chantal ihn später nicht entdeckte. Wieder drinnen schnappte er sich das Handy vom Küchentisch und setzte sich ins Wohnzimmer.

Seine Gedanken rasten nur so. Wer steckte hinter diesem blöden Scherz? Und was sollte er nun tun?

Er ging die Leute, denen er geschadet hatte, in Gedanken durch. Davon gab es genügend, doch keiner von denen wusste wo er zur Zeit lebte. Alle Spuren die zu ihm führten hatte er gelöscht. Umgemeldet hatte er sich auch nicht, nicht das eines Tages Post von seinen ganzen Gläubigern eintrudelte. Dann müsste er ja schon wieder alle seine Zelte abbrechen und darauf hatte er mit seinen bald 36 Jahren keine Lust mehr.

Die einzigen die wussten wo er lebte waren seine Familie. Er konnte sich wirklich keinen Reim auf das ganze machen.

Am besten würde er es einfach ignorieren. Er glaubte, dass sich einer einfach einen saudummen Scherz erlaubte. Jemand den es in Zeiten von Corona verdammt langweilig zu sein schien. Ignoranz war so zu sagen seine Superheldenkraft. Damit kam er bislang immer weit. Also schaltete er das Handy ganz aus, steckte es in seine Hosentasche und beschloss weiter zu zocken. So konnte er das ganze am besten vergessen.

Gegen 17:30 Uhr fing er langsam an seine leeren Bierflaschen in seinen Rucksack zu packen, da schaute Chantal nicht rein, und ging sich die Zähne putzen, damit sie nicht roch das er getrunken hatte.

Pünktlich um 18 Uhr ging die Haustür auf. „Wir sind wieder da Schatz!“

Na was ein Glück. Innerlich zählte er bis drei und trat dann in den Flur, gab ihr einen Kuss und fragte wie der Tag beim Schwiegervater in spe gewesen war. Chantal und die Kinder plapperten sofort drauf los und er hatte innerlich schon abgeschaltet. Es interessierte ihn nicht die Bohne was sie gemacht hatten. Stattdessen machte er sich nun doch wieder Gedanken darüber welcher Spinner ihm das Handy vor die Tür gelegt hatte, was der- oder diejenige damit bezwecken wollte und was es in 19 Stunden für eine Überraschung geben sollte. Vielleicht war es ja auch eine heimliche Verehrerin, obwohl er diese dann eher als Stalkerin bezeichnen würde. Sehr liebevoll klangen die Nachrichten nämlich nicht.

Bei dem blöden Gelaber von den Vieren konnte er auch nicht in Ruhe nachdenken. Doch er brauchte diese. „Du Chantal ich muss gleich noch mal weg. Der Torben braucht meine Hilfe. Irgendwas wegen seinem PC. Weiß noch nicht wie lange das dauert.“

„Oh muss das heute sein? Hatte mich so auf einen schönen Kuschelabend mit dir gefreut“, jammerte sie wie so eine Fünfjährige.

„Sorry das ist wichtig. Der brauch den ja fürs Homeoffice.“ Chantal sah zwar alles andere als begeistert aus, aber sie nickte verständnisvoll.

Gutes Kind! Um ihr aus dem Weg zu gehen, da sie für die Kinder das Abendessen vorbereitete, sprang er unter die Dusche. Nachdem er sich fertig angezogen hatte verabschiedete er sich von der kuhäugig guckenden Chantal, verneinte die Frage, ob er nicht noch mit essen wolle und machte sich mit seinen Rucksack auf den Weg zum Lidl.

Dort gab er seine Pfandflaschen ab und holte sich ein neues Sixpack und noch ein paar Zigaretten, stopfte alles in seinen Rucksack und machte sich dann auf den Weg zum Parkdeck.

Dort saß er oft und gerne, denn da hatte er seine Ruhe und konnte sein Bier trinken ohne sich blöde Standpauken anhören zu müssen.

Er setzte sich in seine Lieblingsecke, wo man ihn nicht auf Anhieb sehen konnte, öffnete die erste Flasche und zündete sich eine Zigarette an. Den ersten Zug sog er ganz tief ein und es tat so gut.

Nach fünf Minuten war die erste Flasche leer und die Kippe fertig geraucht. Also öffnete er die nächste Flasche und überlegte, ob er das Handy noch mal anschalten sollte. Die Neugier nahm ihm diese Entscheidung ab. Dann kam ihm plötzlich in den Sinn, dass es keine gute Idee gewesen war das Handy auszuschalten, schließlich könnte es einen Pin Code haben und dann wäre die Sache eh gelaufen. Irgendwie beruhigte ihn dieser Gedanke. Dann bräuchte er sich gar keinen Kopf mehr machen. So viel Glück hatte er aber nicht. Es gab keinen Pin Code. Unruhig schaute er auf das Display. Keine neuen Nachrichten. Er versuchte auch wieder die Nummer anzurufen, aber es kam nur wieder die ihm bereits bekannte Ansage.

Die dritte Flasche wurde geöffnet und so langsam entfaltete sich die Wirkung des flüssigen Goldes. Na endlich.

Warum sollte er sich Sorgen machen? Ihm konnte keiner was, er war zu clever für diese Welt. Irgendwann würde seine Mutter das auch kapieren. Also Schluss mit dem grübeln und noch mal schnell zum Lidl bevor dieser schloss. Schließlich wollte er gleich nicht auf dem Trockenen sitzen und bis er nach Hause ging könnte es auch noch ein Weilchen dauern. Er wollte Chantal heute nicht mehr begegnen und die ging meist erst spät ins Bett.

Die drei Flaschen die noch übrig waren versteckte er, stopfte die drei leeren in den Rucksack und ging zielstrebig los.

Die Verkäuferin hatte ihn ziemlich blöd angestarrt, aber das war ihm Latte. Zum Glück konnte er noch genug zusammen kratzen. Morgen würde er dieses seltsame Handy bei Ebay Kleinanzeigen rein setzen, dann hätte er die Brieftasche mal wieder gefüllt. So langsam hatte nichts mehr. Sein Geldbeutel war im Moment aus Zwiebelleder, zum heulen wenn man rein sah. Über diesen Gedanken musste er kichern.

Zurück am Parkdeck sah er zuerst nach, ob seine drei Flaschen noch da waren, nicht wie beim letzten Mal. Da hatte irgendein Penner die einfach mitgenommen. Frechheit! Doch heute war alles gut gegangen. Das neue Sixpack stellte er neben die restlichen Flaschen, öffnete die nächste und zündete sich eine Kippe an. Es war mittlerweile 20 Uhr. So vier bis fünf Stunden musste er noch irgendwie rum kriegen, vorher würde Chantal bestimmt nicht schlafen.

Da Chantal ihm ein niegel nagel neues Handy vor ein paar Monaten besorgt hatte, natürlich mit Vertrag auf ihrem Namen, konnte er sich die Zeit bei Youtube vertreiben oder bei KIK mit ein paar hoten Girls schreiben. Mit viel Glück würden die ihm ein paar rattenscharfe Pics senden. Runtergeholt hatte er sich schon ein paar Tagen keinen mehr. In Corona Zeiten wo die ganze Bagage daheim war 24/7, gestaltete sich das außerdem schwierig. Und bei Chantal bekam er schon seit längerem keinen mehr richtig hoch. Dann jammerte sie immer, ob es an ihr liegen würde. Am liebsten würde er ja sagen, schließlich war sie wirklich keine Schönheit, aber er musste sich zusammen reisen. Natürlich läge es nicht an ihr, sondern an ihm. Im Moment würde er sich einfach zu viele Sorgen machen. Ja nee, ist klar. Wieder musste er grinsen. Bei den heißen Chicks auf KIK hatte er keine Probleme einen Ständer zu bekommen.  Gut das Chantal so dumm war, aber es hätte ja nicht schaden können, wenn der liebe Gott sie wenigstens ein bisschen hübsch gemacht hätte. Tja, scheinbar konnte man nicht alles auf einmal haben.

Er schreckte auf. Tatsächlich war er kurz weggenickt. Das piepen seines Handys hatte ihn aufschrecken lassen. „ Kommst du balt Hause? ILD“ Och nein, Chantal die Nervensäge. Als er auf die Uhr sah fiel ihm auf, dass er wohl doch länger geschlafen hatte: 23:30 Uhr.

Sie wollte bestimmt ins Bett. In seiner Antwort schrieb er, dass es noch dauern würde und sie sich ruhig schon einmal hinlegen sollte. Wenn er nach Hause käme würde er sich an sie kuscheln. Ein Scheiß werde ich! So würden sie es machen schrieb sie, war wieder mega verständnisvoll und bewunderten ihn dafür was für ein toller Mensch er sei. Immer für andere da. Beim Lesen der Nachricht verschluckte er sich so sehr an seinem Bier, dass es ihm aus der Nase schoss. Ein Hoch auf Chantal. Meine Fresse, wie dumm kann man sein?!?

Gut das sie das glaubte. Seine Ex Frau und diverse andere Ex Freundinnen sahen das wohl ein wenig anders.

Passend zu diesem Gedanken tauchte auf dem anderen Handy eine neue Nachricht auf: „Nichts kann einen Menschen so hässlich machen, wie ein mieser Charakter!“

Aha, da war aber jemand sehr philosophisch. Er überlegte, ob er noch mal versuchen sollte die Nummer anzurufen, entschied sich aber dagegen. Was sollte das bringen? Einfach weiter ignorieren.

Er hatte noch anderthalb Stunden Zeit seine Flaschen leer zu trinken und konnte dann endlich zurück gehen. Die Gefahr das Chantal dann noch wach wäre würde er eingehen, denn allmählich wurde es ihm auch kalt.

Gegen ein Uhr nachts machte er sich auf dem Heimweg. Vor der Haustür musste er sich mit der linken Hand abstützen und versuchte mit der rechten das Schlüsselloch zu treffen. Nach ein paar Versuchen schaffte er es schließlich, versuchte so leise wie möglich zu sein um niemanden zu wecken und torkelte dann ins Bad. Er musste unbedingt die Zähne putzen.

Als dies erledigt war legte er sich im Wohnzimmer auf dich Couch. Sich neben Chantal ins Bett zu legen war das letzte was er jetzt wollte.

Er schaltete den Fernseher an, machte den Ton so leise wie möglich und sah sich eine Tierdokumentation an. Endlich mal was vernünftiges, nicht immer dieses scheiß Trash TV, was Chantal tagtäglich guckte.

Ihm fielen fast schon die Augen zu als das Handy piepte. Mist, er hatte vergessen es auf vibrieren zu schalten. Er horchte, nichts regte sich. Noch mal gut gegangen. Wieder eine neue SMS: „Manche Menschen treten in dein Leben ein, wie ein Segen, andere wiederum wie eine Lektion! PS.: Noch 12 Stunden, bist du schon aufgeregt?“

Er verdrehte die Augen. Lektion des Tages, ihr könnt mich alle am Arsch lecken! Das Handy steckte er in seine Hosentasche, sah wie zwei Löwen sich paarten und schlief darüber ein.

„Schatz, warum hast du denn auf der Couch gepennt. Ich dachte du wolltest mit mir kuscheln?“

Diese furchtbare Stimme. Gefühlt hatte er nur fünf Minuten geschlafen. Tatsächlich war es aber bereits 8 Uhr. „Ich wollte dich nicht wecken, war ganz schön spät geworden.“ Sie sah ihn so verliebt an: „Du bist so süß!“ Am liebsten würde er kotzen. Grade wollte sie sich schon an ihn kuscheln da stand er auf und flüchtete ins Bad: „Muss duschen!“

Er schloss die Tür hinter sich ab, nicht das sie noch auf die glorreiche Idee kam ihm zu folgen. Chantal konnte ganz schön anhänglich sein und das konnte er um diese Uhrzeit echt nicht vertragen. Außerdem hatte er doch ein wenig Kopfschmerzen.

Beim Duschen ließ er sich Zeit. Nach einer Stunde kam er aus dem Bad, ging in die Küche um sich einen Kaffee zu holen und fühlte sich nach der ersten Tasse ein wenig besser.

„Was wollen wir denn heute machen?“, rief sie aus dem Wohnzimmer. Am liebsten nichts. Bevor er antworten konnte schrie sie zu ihm rüber: „Wir könnten heute doch zu meiner Schwester gehen.“ Ach du Kacke! Darauf hatte er nun wirklich keine Lust, aber ihm viel auf die Schnelle nichts ein. Irgendwie war er noch nicht ganz in Form. Chantal hatte ihn kalt erwischt. Also sagte er ja und sie quiekte vor Freude wie ein Schweinchen. Er verdrehte die Augen. Plötzlich merkte er, dass es in seiner Hosentasche vibrierte. Das Handy! Er hatte gar nicht mehr an das Teil gedacht.

Schnell ging er ins Gäste WC und schaute nach: „Unterschätze mich niemals! Ich weiß mehr, als ich sage. Ich denke mehr als ich spreche und ich bemerke mehr, als du glaubst! PS.: Noch vier Stunden, na schon nervös?“

Klar ganz bestimmt, so allmählich ging ihm das ganze tierisch auf die Nerven. Wie viele Glückskekse hatte der oder die gefuttert um solche tollen Sprüche rauszuhauen?

Genervt steckte er das Handy wieder in die Hosentasche. Kaum stand er im Flur kam Chantal um die Ecke: „Hab grade mit Karin telefoniert. Wir sollen um 14 Uhr da sein.“ Er nickte nur, stammelte was von Kopfschmerzen und legte sich ins Bett. Das Chantal sich dazu legte brauchte er nicht zu befürchten, schließlich musste sie sich um die Kinder kümmern.

Um die fast genauso dämliche Schwester nachher zu ertragen brauchte er noch ein wenig Schlaf. Sonst hielt er den Nachmittag nicht durch. Am besten würde er später Ben kontaktieren. Nach so einem Treffen hatte er sich eine Tüte mehr als verdient.

Gegen 12 Uhr wurde er von Chantal geweckt: „Schatz, dass Essen ist fertig!“

Widerwillig stand er auf und setzte sich zu den lärmenden Gören an den Mittagstisch. Lieber hätte er noch ein Stündchen geschlafen, aber er wollte mal nicht so sein.

Wie üblich schaufelte er schnell alles rein und ging dann eine rauchen.

Es vibrierte wieder in seiner Hose. Mensch Junge, langsam nervst du echt! Er musste das scheiß Teil endlich verticken. Dann hätte er endlich seine Ruhe. Die Neugier war allerdings doch groß genug um nachzusehen: „Das Karma kommt dann, wenn es niemand erwartet. PS.: Noch 25 Minuten, die Spannung steigt.“

Du mich auch! Das einzige was in 25 Minuten wahrscheinlich passieren würde, wäre das er gepflegt einen in der Schüssel versenken würde.

Er steckte das Handy weg, drückte die Kippe aus und setzte sich zu den Kindern vor die Glotze.

Sein Bauch rumorte und er sah auf die Uhr, 13 Uhr und dachte: Sag ich´s doch. Jetzt aber ab auf die Schüssel.

Er ging zur Toilette und stöberte, während er sich erleichterte in dem Handy mal rum, was dieses für Funktionen hatte. Schließlich musste er es später gut anpreisen, wenn er es bei Ebay Kleinanzeigen rein setzte.

Vor Schreck hätte er fast fallen lassen, denn um 13:04 Uhr trudelte schon wieder eine Nachricht ein. Dann bin ich ja mal gespannt, was ist denn jetzt mein Preis?

Er tippte auf die Nachricht: „ Bye, bye und bon vojage!“

Aha, also er tippte darauf das der oder die Stalker/in nun aufgab. Da klingelte es an der Haustür.

„Schatz kommst du bitte mal?“ „Moment“, schrie er genervt. Bestimmt der nervige Nachbar von oben wegen den Mülleimern, die er dann doch vergessen hatte. Konnte Chantal den nicht selber abwimmeln?

Als er aus dem Bad trat bekam er weiche Knie und hatte das Gefühl, dass seine Beine ihn nicht mehr halten könnten. Vor der Haustür standen zwei Polizisten. Er wurde schneeweiß im Gesicht, Chantal hatte die Augen weit aufgerissen. Bevor er was sagen konnte, ihm fehlten eh die Worte, donnerte einer der Polizisten: „Sind sie Christian Schulte?“

Am liebsten hätte er den Kopf geschüttelt, aber was hätte das gebracht. Fluchtmöglichkeiten gab es keine, also nickte er benommen. Dann hörte er nur noch: „Sie sind vorläufig festgenommen…“ und das Klicken der Handschellen.

 

Es war Mittwoch. Die Sonne schien und die Blumen blühten. Ein richtig schöner Frühlingstag.

„Hallo Svenja, ich freu mich so dich zu sehen. Sollen wir im Klinikpark spazieren gehen?“

Svenja umarmte Michelle und nickte. Schweigend liefen die Beiden nebeneinander her. Im Park angekommen liefen sie zur nächsten Bank, setzten sich und Michelle schaute Svenja erwartungsvoll an: „Und, hat alles so geklappt wie wir es geplant haben?“

Sie nickte und hielt ihr einen Zeitungsartikel hin. Die Schlagzeile lautete: „Flüchtiger Mann endlich gefasst.“

Michelles Augen füllten sich mit Tränen. Endlich bekam Christian das was er verdiente. Die ganze Anspannung die auf ihr gelastet hatte fiel von ihr ab. Svenja liefen auch die Tränen über die Wangen. Die beiden Freundinnen nahmen sich in den Arm und weinten gemeinsam.

Als sie sich wieder einiger Maßen gefasst hatten las Michelle den ganzen Artikel:

„ Der 35 jährige C. aus Kirchen wurde am Montag, den 27.04.2020, festgenommen. Bereits seit einem Jahr suchte die Polizei nach ihm, da ein Haftbefehl gegen ihn vorlag. Der Mann tauchte vor über einem Jahr unter und konnte nur aufgrund eines anonymen Hinweises gestern verhaftet werden. Unter anderem wurde er wegen mehrfachen Betruges und sexueller Nötigung gesucht. Der Mann sitzt in der JVA Wittlich in Untersuchungshaft. Der Beginn des Prozesses wurde auf Anfang Juli festgesetzt.“

Michelle schüttelte den Kopf: „Wenn man bedenkt was er dir, mir und allen anderen Frauen vor mir angetan hat, klingt das vergleichsweise noch harmlos.“

Svenja atmete tief durch: „ Da hast du vollkommen Recht. Trotzdem bekommt das, was er schon lange verdient hat! So schnell wird er niemandem mehr weh tun!“

Wieder füllten sich Michelles Augen mit Tränen: „Es tut mir so unendlich leid! Ich bin mit Schuld daran, dass er dich an gegrabscht hat. Und…“ „Nein, dass darfst du nicht einmal denken! Er ist Schuld und sonst keiner. Mir tut es leid das wir nicht früher bemerkt haben, was für ein Arschloch er ist und wie er dich seelisch fertig macht!“ Wieder fielen sich die Beiden in die Arme und weinten. Nach einiger Zeit hatten sie sich wieder gefangen.

„ So und nun erzähl mal, hast du Chantal und seiner Frau Mutter die Briefe zukommen lassen?“ Svenja nickte: „Ja das habe ich. Waren ziemlich dicke Umschläge. Bei den ganzen Beweisen da drin, was er mit dir abgezogen hat, kein Wunder. Chantal kann uns eigentlich dankbar sein. Und seine Mutter müsste eigentlich alles aus dem Gesicht fallen, wenn sie mal schwarz auf weiß sieht was er alles abgezogen hat.“

Michelle grinste: „Vielleicht bekommt sie ja auch den schon lange prophezeiten Herzinfarkt. Leid täte es mir ehrlich gesagt nicht. Schließlich wusste sie von den meisten Sachen und hat ihm trotzdem immer wieder geholfen. Und das auf Kosten der unzähligen Frauen, denen er geschadet hat.“ Svenja lachte: „Also mein Mitleid hält sich auch in Grenzen. Der Privatdetektiv war definitiv eine gute Investition!“

Eins war den Freundinnen klar. Niemand, wirklich niemand würde sie je auseinander bringen. Das sie immer für einander da waren und das ihr Zusammenhalt den Mann, der Michelle seelisch und finanziell beinahe zerstört und Svenja sexuell belästigt hatte, dank ihnen hoffentlich für eine sehr lange Zeit hinter Gittern sitzen würde.

Das so andere Frauen vor ihm geschützt waren und er dies keiner Frau je wieder antun würde. Er hatte gedacht er würde ewig damit durchkommen, aber da hatte er hatte die Beiden maßlos unterschätzt.

Michelle ging es von Tag zu Tag besser und zusammen mit Svenja und ihrer Familie, die sie wirklich von ganzem Herzen liebten, würde sie einfach alles schaffen und sich nie wieder von einem Mann so fertig machen lassen.

Tja Christian, Karma is a Bitch!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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