AnjaGottschewskiKatherina

Hasserfüllt blicke ich in die Augen, die ich einst so geliebt hatte. Wie konnte alles so schnell aus den Fugen geraten? Wie konnte mir das passieren? Vor einem Monat war doch noch alles in Ordnung gewesen. Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen. Der Tag, an dem das Unheil seinen Lauf nahm.

 

Vom Sonnenlicht geblendet verließ ich meine Wohnung. Es war ein warmer Sommertag und Christoph hatte gefragt, ob wir uns am See am Rande der Stadt treffen. Der Tag war perfekt dafür und ich machte mich sofort auf den Weg. Allerdings fuhr ich nicht direkt zum See, sondern machte einen Abstecher zum Hafen. Ich positionierte mein Fahrrad so, dass es perfekt mit dem Wasser und der Sonne harmonierte. Das Selfie, das ich auf Instagram postete, war ein voller Erfolg. Ich war mir sicher, dass ich heute die 500-Likes-Marke knacken würde. Ein verschmitztes Lächeln machte sich auf meinem Gesicht breit. „Vielleicht machen sich aufgrund meines Posts auch ein paar schöne Frauen auf den Weg zum See.“

Der Weg führte am Wasser entlang. Segelschiffe wurden fleißig mit Essen beladen, die Leute lachten und man hörte Musik. Als ich im Vorbeifahren ein Pärchen dabei beobachtete, wie sie die Segel setzen, verspürte ich den starken Wunsch nach meinem eigenen Segelbootschein. Ich konnte es kaum erwarten, selber über das Wasser zu gleiten. Sobald genug Geld da ist, würde ich es sofort in Angriff nehmen.

Kurze Zeit später bog ich in den Wald ein. Dichtes Gestrüpp überragte den kleinen Weg und ein leichter Abhang mit vielen Kurven machte das Fahren anstrengender. Nach ungefähr fünf Minuten der holprigen Tour hörte ich etwas Merkwürdiges. Ich blieb sofort stehen und blickte mich um. Der Wald wirkte leer. An den Bäumen und Pflanzen, deren Namen ich nicht kannte, bewegte sich nicht ein Blatt. Es machte sich eine Stille breit, die mich erschaudern ließ. Und wieder kam dieses Geräusch. Was war das? Klingelt hier etwa ein Smartphone? Ich stieg ab und suchte, dem Geräusch folgend, danach. Unter einem Busch nicht weit von mir, fand ich es dann.

Unglaublich! Es war ein nagelneues Smartphone und überhaupt nicht beschädigt! Einfach klasse. Das Sperrbild zeigte eine Landschaft. Wahrscheinlich ein Beispielbild, was von Anfang an auf dem Handy war. Ich versuchte es zu entsperren. Es gelang mir problemlos. Es war, als wäre es für mich bestimmt!

Anscheinend hatte sein damaliger Besitzer dieses Handy noch nicht lange. Es gab weder eingespeicherte Kontakte noch irgendwelche Nachrichten. Lediglich zwei Anrufe mit einer unterdrückten Nummer zeigte es an. „Glück für mich“ dachte ich, „dann muss ich nicht so viel Aufwand treiben, um es auf mich zu registrieren.“ Ich grinste und wollte gerade die Galerie öffnen, als ich ein Fahrrad hinter mir hörte. Schnell stellte ich das Smartphone auf lautlos und steckte es ein.

 

Am See angekommen, sah ich Kevin und Jonas, die ein paar Bälle in der Nähe des Wassers kickten. Ich machte mich auf den Weg zu ihnen und hielt Ausschau nach dem Rest der Clique. Wenige Sekunden später entdeckte ich auch Johannes und Riko. Wie immer versuchten sie eine Gruppe Mädels zu beeindrucken. Doch auch heute schienen sie damit keinen Erfolg zu haben. Wie zwei Gorillas versuchten sie ihre Muskeln beim Klettern zu präsentieren. Ich sah, wie Johannes sich wild zu den nächsten Ast schwingen wollte, der jedoch unter ihm wegbrach. Er landete bäuchlings im Gras. Ich lachte laut auf. Es sah wirklich bescheuert aus.

Ich wollte etwas schneller zu ihnen laufen, doch konnte ich nur ein paar Schritte machen. Der Weg wurde mir von einer wunderschönen Frau versperrt. Ihre langen blonden Haare fielen über ihr grünes Bikini-Oberteil und ihre strahlendblauen Augen blickten mich fest an. „Na mein Schatz, ich wusste gar nicht, dass du auch hier sein wirst.“ Ich gab ihr einen Kuss und umarmte sie. Es schien ihr nicht zu gefallen, was ich gesagt hatte, und nach einer kurzen Pause antwortete sie „Hast du meine Nachricht nicht gesehen?“ Jetzt fing sie damit schon wieder an. Hanna und ich waren seit knapp drei Monaten zusammen. Ihre Ausstrahlung und herrliche Art waren mir damals sofort aufgefallen. Doch seit knapp einer Woche merkte ich kaum noch etwas davon. Sie verhielt sich immer merkwürdiger. Andauernd wollte sie wissen, wo ich bin und was ich mache. Es war, als dürfte ich keinen Freiraum mehr haben. Sie tauchte ständig dort auf, wo ich auch war.

Ich beschwichtigte sie schnell damit, dass ich mich wahnsinnig freue sie zu sehen und ich ihre Nachricht nicht gelesen hätte. Zum Glück war sie nicht nachtragend. Wir setzten uns gemeinsam zu den Jungs und ein paar Bier später hörte ich jemanden hinter mir rufen. Es war Christoph, der mit einen Einweggrill und ein paar Steaks auf uns zukam. Nachdem wir gegessen hatten und das Bier leer war, verabschiedete sich Hanna. Sie fragte mich, ob ich mitkomme, aber ich entschied mich dagegen. Ich wollte noch eine Weile bleiben.

Der Tag neigte sich langsam dem Ende zu. Ich blickte über das Wasser. Die Sonne schien immer noch sehr angenehm und nicht weit von mir bräunte sich eine Gruppe Mädels oben ohne. Es war ein sehr schöner Anblick.

Mein Handy summte. Als ich nachsah, konnte meinen Augen nicht trauen, denn die Bilder von heute hatten tatsächlich die 600 Likes erreicht. Es war ein wahnsinnig gutes Gefühl. Ich hatte damals noch gedacht, dass ich einen richtigen Glückstag hatte und schien einfach alles perfekt.

„Entschuldigung, könntest du mir den Rücken eincremen?“ unterbrach mich eine helle Stimme in meinen Gedanken. Eine kurzhaarige Brünette mit einem sehr knappen Bikini stand vor mir. In ihrer Hand hielt sie eine Flasche Sonnenmilch. Sie hatte eine tolle Figur und ihre Beine verdrehten mir komplett den Verstand. Sie legte sich neben mich und ohne zu zögern, rieb ich ihr den Rücken ein.

Am Abend machte ich mich mit einem Kontakt mehr in meinem Handy auf dem Weg nach Hause.

„Ich habe mich geirrt, jetzt ist der Tag perfekt.“ dachte ich, während ich fuhr. Hätte ich doch nur gewusst, dass es der Anfang vom Ende war.

 

Bei einer guten Folge meiner Serie und einem Stück meiner Lieblingspizza überprüfte ich mein neues Smartphone. Es hatte wirklich keinerlei Kratzer und sah komplett neu aus. Kontakte und Nachrichten gab es immer noch keine. Die Galerie schien ebenfalls ohne Fotos zu sein. Ich änderte den Sperrcode und wollte nachschauen, ob eine Speicherkarte vorhanden ist. Doch bevor ich das tun konnte, klingelte das Handy in meiner Hand. Es war eine WhatsApp-Nachricht. Ich öffnete sie und mir fuhr direkt ein Schauder über den Rücken runter. Meine Nackenhaare stellten sich auf und mein Herz fing an zu pochen.

Auf dem gesendeten Bild war ein Mann zu sehen, welcher direkt in die Kamera lächelte. Woher wusste der Fotograf, dass ich dieses Handy habe? Woher hat er diese Nummer? Während ich in meine eigene Augen blickte, bemerkte ich, dass das Foto heute am See aufgenommen wurde. Die Jungs und der Grill waren im Hintergrund deutlich zu erkennen.

Der Absender des Bildes tippte etwas in den Chat. Hat er mich beobachtet, wie ich das Handy eingesteckt habe? Ich könnte sagen, dass ich es nur gefunden habe und morgen zum Fundamt bringen wollte. Man kann mir keine Straftat nachweisen. Man hat nichts gegen mich in der Hand.

„Hey, du bist mir heute am See aufgefallen. Du hast eine sehr tolle und natürliche Ausstrahlung. Wäre schön, wenn wir uns mal auf einen Kaffee treffen könnten. :)“

Ich atmete erleichtert auf. Ich war umsonst panisch geworden. „Und woher hast du meine Nummer?“ antwortete ich schnell. „Das bleibt mein Geheimnis“. Ich schmunzelte. Mir gefiel diese geheimnisvolle Art. „Das ist aber ziemlich gemein, dass du so viel über mich weißt, aber ich weiß so gar nichts über dich.“ schrieb ich. Eine Antwort bekam ich allerdings nicht mehr.

 

Am nächsten Morgen wachte ich halbnackt auf. An meinem Arm gekuschelt lag Hanna. Sie war wunderschön, wenn sie schlief. Nachdem ich gestern etwas enttäuscht über die zu kurze Unterhaltung mit der Unbekannten war, hatte ich sie angerufen. Ich brauchte nicht viel zu sagen und sie war sofort vorbeigekommen. Zuvor hatte ich noch mein neues Handy vorsichtshalber vor ihr versteckt, um einen potentiellen neuen Streit zu vermeiden.

Ich stand auf und checkte, ob von der geheimnisvollen Dame eine Nachricht vorhanden war. Tatsächlich zeigte das Handy eine Bildnachricht an. Ich spürte sofort, dass sich im unteren Bereich meines Körpers etwas regte. Sie hatte ein Bild von ihrem Ausschnitt geschickt. Schwarze Spitze zierte ihre Haut und man konnte deutlich mehr erkennen, als ihrem Vater lieb gewesen wäre.

Mir fiel ein Tattoo auf, welches allerdings von dem BH größtenteils verdeckt wurde. „Du siehst wirklich heiß aus! Gibt es da auch mehr zu sehen? Vielleicht ein bisschen mehr von deinem Tattoo?“ schickte ich als Antwort in den Chat.

 

„Hast du ein neues Handy?“ ich erschrak, als Hanna plötzlich hinter mir stand. Schnell versuchte ich den Chat zu schließen, doch sie war schneller. Sie packte das Handy und schrie mich an. Es endete in einem langen, unschönen Streit. Als ich ihr das Handy wegnahm, wollte ich ihr erklären, dass ich es nur gefunden hätte und dass das nicht mein Chat sei. Aber sie wollte mir gar nicht zuhören. Weinend und mit den Worten ich solle zur Hölle fahren, verließ sie meine Wohnung. Hatte sie gerade mit mir Schluss gemacht? Wegen dem kleinen Chat? Sie konnte eine richtige Dramaqueen sein.

Ich setzte mich auf die Couch und öffnete erneut den Chat von der geheimnisvollen, heißen Frau. Leider hatte sie nicht geantwortet. Genervt von der ganzen Situation schaltete ich meine PS4 an. Etwas Dampf ablassen, war nun das, was ich brauchte. Zum Glück war Christoph online.

Ich erzählte ihm, dass Hanna mal wieder völlig unbegründet ausgerastet sei. „Was war es denn diesmal?“ fragte er. „Gestern waren noch ein paar Freunde hier. Einer von denen hatte anscheinend sein Handy hier liegen lassen. Ich hatte es entsperrt, um zu schauen, wem es gehört und da war ein Bild von einer echt scharfen Frau zu sehen. Also nur die wichtigsten Ausschnitte, du verstehst mich schon. Hanna hat die Situation anscheinend falsch interpretiert. Sie wollte mir gar nicht zu hören.“ Christoph verstand mich sofort. Er gab mir den Rat, ihr erstmal etwas Freiraum zu geben und dann noch einmal vorsichtig das Gespräch zu suchen. Vielleicht hat sich bis dahin die Situation beruhigt. Und wie immer hatte er Recht. Ein paar Tage später war alles so, wie vorher. Leider kam auch von der geheimnisvollen Frau keine weitere Nachricht mehr.

 

Die Tage vergingen und der Sommer zeigte sich von seiner besten Seite. Durch das gute Wetter wurden meine Posts noch besser und die Beliebtheit meines Instagram-Account wuchs stetig. Immer mehr Follower kommentierten meine Fotos. Es war ein berauschendes Gefühl. „Hörst du mir eigentlich zu?“ „Was?“ Ich blickte hoch. Hanna hatte ihre Stirn in Falten gelegt und nahm einen weiteren Löffel von ihrem Eis. „Du hängst schon wieder nur vor deinem Handy. Ich dachte, wir unternehmen endlich mal wieder was.“ „Wir sind doch gerade am Eis essen.“ „Das meine ich nicht.“ Schon wieder diese Tour. Genervt löffelte ich mein Eis und überlegte, was ich als nächstes sagen sollte.

Einige Tische weiter bemerkte ich eine Gruppe Mädels. Eines der Mädchen zeigte zunächst auf mich und dann auf ihr Smartphone, woraufhin die Gruppe begeistert zu mir herüberschaute. Ich zwinkerte ihnen zu, was anscheinend einen Ansturm von Glücksgefühlen in ihnen auslöste und sie kicherten laut. „Ist das jetzt dein Ernst?“ Hanna stand wutentbrannt auf. Ihre Lippen wurden sehr schmal und ihre Augen funkelten mich zornig an. „Was ist denn jetzt schon wieder?“ war offensichtlich die falsche Antwort. Denn als nächstes spürte ich das teure Schokoladeneis in meinem Gesicht.

Nachdem ich meine Kleidung gewechselt hatte, setzte ich mich auf die Couch. Es scheint egal zu sein, was ich mache, Hanna macht daraus immer ein Drama.

„Hey Süße, wie geht es dir? Meine Freundin ist heute schon wieder eine einzige Furie. Hättest du nicht vielleicht eine kleine Aufmunterung für mich?“ Meine Hoffnungen wurden erfüllt. Wenige Minuten später antwortete die geheimnisvolle Frau und im Chat tauchte ein Foto vom See auf.

„Das war wirklich ein schöner Tag. Doch wäre es noch schöner gewesen, wenn du mich angesprochen hättest.“

Die unbekannte Schönheit schickte daraufhin ein Bild von dem Eiscafé, wo ich mich vor ein paar Stunden mit Hanna getroffen hatte. Ich runzelte die Stirn.

„Da gibt es das beste Eis. Wollen wir da mal zusammen eins essen?“ schrieb ich und es kam erneut ein Foto als Antwort. Diesmal war es jedoch ein Auszug aus einem Notizbuch.

„Heute habe ich ihn wieder gesehen. Er ist im Eiscafé gewesen. Ich konnte ihn nicht ansprechen. Dieses Lächeln hat mich einfach sprachlos gemacht. Seine Ausstrahlung ist so anziehend. Seitdem ich ihn das erste Mal gesehen habe, gehen mir seine braunen Augen nicht mehr aus dem Kopf. Sie sind so wunderschön, wie flüssiger Bernstein. Ich könnte sie stundenlang anschauen… Aber nicht nur sein Äußeres scheint toll zu sein. Ich spüre, dass er jemand ganz besonderes ist.“

„Ist das dein Tagebuch? Das ist unglaublich süß. Ich finde das wirklich toll, wie mutig und offen du bist. Anscheinend kennst du mich schon sehr gut. Verrätst du mir deinen Namen?“

„Du kennst ihn bereits.“

Ich grübelte. Ich kannte ihren Namen bereits? Wer konnte sie sein?

Auch die nächsten Tage konnte ich nicht aufhören, über die geheimnisvolle Frau nachzudenken. Ich hatte sie um weitere Hinweise gebeten, doch mit ihren Antworten konnte ich nur wenig anfangen.

Das erste Bild war ein Baum gewesen, in das ein Herz mit Initialen geritzt war. Ihr Name musste demnach wohl mit K anfangen. Am See hatte ich meines Wissens jedoch niemanden mit K kennengelernt. Es machte mich wahnsinnig. Das zweite Bild zeigte ein Tanzoutfit. Offensichtlich war sie eine Tänzerin. Das erregte mich zwar sehr, aber weiter brachte es mich nicht. Ich musste herausfinden, wer sie war.

 

Ich stand auf und ging ins Bad. Im Spiegel überprüfte ich mein Gesicht. Es sah irgendwie komisch aus: Fleckig und gereizt. Ich wusch mich und cremte mein Gesicht ein. Vielleicht sollte ich etwas von Hannas Make-Up auftragen. So kann ich nicht hinausgehen. Doch nicht nur mein Gesicht fühlte sich anders an. Meine Wohnung wirkte ebenfalls irgendwie anders. Es lag ein komischer Geruch in der Luft. Ich suchte nach der Ursache, konnte sie aber nicht finden. Ich hatte ohnehin keine Zeit mehr, da ich zur Arbeit musste.

Als ich die Tür öffnete, fand ich ein Paket auf meiner Fußmatte vor. Ein Absender stand nicht darauf. Ich blickte mich um, aber im Treppenhaus war niemand zu sehen. Ich öffnete es und fand zunächst einen Brief. Der Zettel war zerknittert, als wäre er aus dem Mülleimer gefischt worden. Ich faltete ihn auf. Ein einziger handgeschriebener Satz zierte ihn: „Jetzt bist du dran.“ Erschrocken bemerkte ich, dass die Flecken, die über dem ganzen Brief verteilt waren, Blutflecken waren. Meine Ohren rauschten. Was zum Teufel sollte das? Was meint der Absender damit? Womit bin ich dran? Ich blickte in das Paket und fand eine Schachtel Pralinen und ein Parfüm für Damen vor. Ich runzelte die Stirn und blickte mich um. Noch immer war niemand im Treppenhaus zu sehen. War das ein blöder Scherz? Ohne zu zögern warf ich die Sachen in den Müll. Wahrscheinlich hatten sich die Jungs einen Spaß erlaubt. Ich zog die Tür hinter mir zu und machte mich auf den Weg zur Arbeit.

 

Nach meinem Feierabend hielt ich bei Hanna an. In der Hand hatte ich einen großen Blumenstrauß und in der anderen ihren Lieblingsfilm, Bridget Jones. Sie wirkte zunächst sehr abweisend, doch die DVD bewirkte die gewünschte Wirkung.

Wir bestellten uns eine Pizza und sahen uns den Film an. Nach einer gewissen Zeit wurde der Film jedoch uninteressant und wir widmeten uns in Hannas Schlafzimmer interessanteren Dingen.

 

„Hat dir mein Geschenk gefallen?“ Das Klingeln des Handys weckte mich auf. Es war 3 Uhr morgens. Schlaftrunken tippte ich in den Chat „Das Geschenk?“ „Das Paket mit den Pralinen und dem Parfüm“. Von ihr war das? „Das war von dir? Wieso schickst du mir sowas?“ „Weil du jetzt dran bist“ „Womit denn?“. Was zum Teufel geht hier vor? Woher kannte die Unbekannte überhaupt meine Adresse? Die Antwort, die ich bekam, machte mich hellwach. Das Foto zeigte ein Bett. Das Kissen lag auf dem Boden und die Decke war zerknüllt in die Ecke geworfen worden. Das Bettlacken war aufgerissen und mit blutigen Flecken übersäht. Bevor ich meine Gedanken sortieren konnte, kam ein weiteres Bild. Es zeigte den Hals einer jungen Frau, deren Gesicht verdeckt war. Würgemale umringten ihn wie ein Kranz und sie saß mit den Knien an sich gezogen auf dem Boden.

„???“ war die einzige Antwort, die mir darauf einfiel. Was geht hier vor? War das vielleicht ein seltsamer Fetisch?

Auf meine Antwort folgten weitere Bilder. Bilder von blauen Flecken, Bilder von zerrissenen Klamotten, Bilder von einem Schwangerschaftstest und von einem Dokument, das den Abbruch bestätigte. Schockiert und ohne zu antworten starrte ich sie an. Die Nachrichten wurden nicht weniger.

Das letzte Foto zeigte eine junge Frau, welche auf dem Boden einer Toilette saß. Ihr Gesicht war erneut nicht zu erkennen. In ihrem Arm steckte eine Spritze. Offensichtlich hatte sie sich den goldenen Schuss gegeben. Das musste ein schlechter Scherz sein! Doch bevor ich meine Antwort in den Chat tippen konnte, schrieb die Unbekannte: „Jetzt bist du dran“.

„Was ist denn verkehrt mit dir?! Alter, wenn das irgendein komischer Fetisch ist, dann steck ihn dir sonst wo hin. Das ist nicht witzig. Du bist widerlich!“

„Genau, das ist nicht witzig. Aber nicht ich bin widerlich – du bist es. Du und dein Charakter.“

Nachdem ich darauf keine Antwort gab, schrieb sie:

„Ich werde zerstören, was du liebst, so wie du es getan hast.“

Ich lachte laut auf.

„Du machst dich lächerlich. Wahrscheinlich bist du nur gekränkt, weil ich dir nicht die Aufmerksamkeit schenke, die du dir so sehnlichst wünschst. Süße, wir wissen beide, dass das nur leere Worte sind. Du wirst gar nichts machen.“

„Ich habe doch schon längst angefangen.“ Wie bitte? Verwirrt blickte ich den Chat an. Was hat sie angefangen? Was meinte sie damit? Ich beruhigte mich mit den Gedanken, dass dies wahrscheinlich auch nur leere Worte waren und legte das Handy weg. Doch bereits am nächsten Morgen verstand ich, was sie damit meinte.

An der Straßenlaterne vor meiner Haustür hängte ein Plakat mit der Aufschrift „Potenzprobleme“. Darunter befand sich ein Bild von mir. „Du bist nicht alleine. Unsere Selbsthilfegruppe hilft dir!“ las ich laut vor. „Na klasse“. Ich riss das Plakat ab und steckte es in meiner Tasche. Die Mühe hätte ich mir sparen können. Die Straßen waren voll damit. Genervt ging ich zur Arbeit. Ich hatte mein Büro kaum betreten, da empfing mich mein Chef. Ihm hat jemand mitgeteilt, dass ich unerlaubt Eigentum der Firma entwendet haben soll. Schneller als ich gucken konnte, stand ich mit meinen Sachen vor der Tür. Na toll. Wer hatte ihm das gesteckt? Er wusste sogar, wann ich es getan hatte. Das war unmöglich. Die Kameras waren nicht an gewesen. War sie das etwa auch gewesen?

 

Ich fuhr nach Hause. Meine Wut konnte ich kaum im Zaum halten. Sowohl mein Job als auch mein guter Ruf hatten binnen kürzester Zeit starken Schaden genommen. Die Kleine wird dafür bezahlen. Wenn ich doch nur wüsste, wer sie war.

Ich schloss die Wohnungstür auf. Ein Schwall des komischen Geruchs kam mir entgegen. War er schlimmer geworden? Was zum Teufel war das? Es roch nach einem sehr süßen Parfüm, von dem ich langsam Kopfschmerzen bekam. Ich suchte erneut nach der Ursache, aber auch diesmal hatte ich keinen Erfolg. Ich setzte mich an meinen Esstisch. Im Fenster spiegelte sich mein Ebenbild. Ich runzelte die Stirn. Mein Gesicht sah irgendwie noch schlimmer aus als am Morgen. Wie konnte das sein? Ich ging ins Bad und überprüfte es. Die Flecken hatten sich vermehrt und meine Haut war stark gerötet. Kein Wunder, dass es die ganze Zeit so gejuckt hatte. Ich warf einen Blick auf meine Tagescreme. Wieso sah die eigentlich so eigenartig aus? Ich ging zu meinem Vorratsschrank und holte eine neue Verpackung heraus. Tatsächlich sah diese komplett anders aus. Wie war das möglich? Hatte jemand die ausgetauscht? War sie etwa in meiner Wohnung gewesen? Mein Herz fing an zu rasen. Panisch suchte ich mein komplettes Zuhause ab. Allerdings konnte ich bis auf den Geruch und der Creme keine weiteren Indizien finden. Beunruhigt warf ich mich auf die Couch. Wie hatte sie das geschafft?

Während ich darüber nachdachte, wer dieses Miststück war und wie sie all die Sachen angestellt hatte, nahm ich mein Handy in die Hand. Es zeigte eine Unmenge an Nachrichten und Kommentaren an. Wenigstens etwas, was gut läuft. Ich öffnete Instagram.

„Oh nein.“

Mein Account hatte statt meiner 200 Posts nur noch einen und diesen hatte ich nicht selbst verfasst. Es war ein Bild von der jungen Dame. Ihr Gesicht war schon wieder nicht zu erkennen. Man sah die Würgemale und die blauen Flecken, welche mir letzte Nacht als einzelne Bilder zu gesendet wurden.

„Es wird Zeit, dass ich die Konsequenzen für meine Taten trage. Ich werde euch nicht länger den tollen Sunnyboy präsentieren, sondern zeige euch meine wahre Identität. Ihr sollt wissen, wozu ich fähig bin. Das Leben, welches ihr von mir kennt, ist eine einzige Lüge und die Maske, hinter der ich meinen richtigen Charakter verstecke, muss nun endgültig fallen. Durch meine Taten habe ich nicht nur meinen Job verloren, sondern auch ein unschuldiges Leben zerstört.“

Ich war fassungslos. Die Kommentare überhäuften sich. Nachdem jemand ein Bild von mir kommentiert hatte, wie ich mit meinen Sachen, dass Büro geräumt habe, häuften sich die Spekulationen. Ein Mix aus Wahrheit und großen Lügen überfluteten die Kommentare. Es war erschreckend. Mir wurden Steuerhinterziehung, Drogenhandel und Vergewaltigungen an den Kopf geworfen. Prostitution und Menschenhandel. Die Leute kamen auf die verrücktesten Dinge. Das Schlimme daran war, dass sie es auch noch glaubten. Die Fangemeinde, die ich gestern noch hatte, war inzwischen eine Welle aus Wut geworden. Sprachlos saß ich da. Ich hatte keine Ahnung, was ich jetzt noch machen sollte.

Ich schreckte auf. Die Tür hatte geklingelt. Auf der Fußmatte lag ein riesiger Strauß aus Rosen. Eine Karte mit den Worten „Für jemand ganz besonderes.“ lag oben auf. Ich nahm sie und der starke Geruch, den ich dank der letzten Tage nur zu gut kannte, kam mir entgegen. Ich rannte raus und hielt Ausschau nach dem Gesicht, das mein Leben zerstörte. Weit konnte sie nicht sein. Aber das Glück war nicht auf meiner Seite. Wütend trat ich gegen den Mülleimer. „He, sowas macht man aber nicht.“ Ich drehte mich um. Ein verwahrloster alter Mann mit mehr Zahnlücken als Zähnen sah zu mir herauf. Ohne zu zögern packte ich ihm am Kragen. „Wer hat die Rosen gebracht?“ schrie ich ihn an „Wer hat sie gebracht?!“ Der Penner sah mich erschrocken an. „Lass mich los“. „Erst wenn du mir gesagt hast, wer diese verdammten Rosen gebracht hat!“ Die Menschen, um uns herum, waren stehen geblieben und starrten mich an. Der Penner zappelte und wollte sich aus meinem Griff befreien. Es war sinnlos, von ihm eine Antwort zu erwarten. Ich schubste ihn zurück auf seine Matratze. Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, ging ich zurück in meine Wohnung. Es gab nur noch eine Sache, die ich jetzt noch tun konnte.

„Was willst du eigentlich von mir?! Was hab ich dir getan?!“ tippte ich in den Chat. Die Antwort, die kam, hatte ich nicht erwartet. Es war ein Video.

Es zeigte ein Zimmer, das mir mehr als vertraut vorkam. In der Mitte des Raumes stand eine zierliche junge Frau. Sie übte ein paar Tanzschritte. Sie war eine tolle Tänzerin. Ihr kurzes, enges Top hatte einen sehr tiefen Ausschnitt und die Katze, welche sie als Tattoo auf ihrer Brust trug, war klar zu erkennen. Mir stockte der Atem. Mein Herz, welches ohnehin schon gerast hatte, schlug noch schneller. Ich hätte es wissen müssen.

Kurze Zeit später klopfte es am Fenster. Sie hörte auf zu tanzen und öffnete es. Herein kam ein junger Mann in schwarzer Kleidung. Sie küssten sich. Er fragte, ob ihre Eltern im Haus sind. Sie hatten sturmfreie Bude. Offensichtlich gefiel dem Mann diese Antwort. Er küsste sie weiter und begann seine Hände über ihren Körper zu gleiten. Doch die junge Frau trat einen Schritt zurück. „Das geht mir etwas zu schnell“ „Ach, komm schon“ Der Mann trat wieder näher an sie heran und küsste sie am Hals. Man sah deutlich, dass sie sich nicht wohlfühlte. Sie versuchte ihm wieder zu entweichen, doch er packte sie an den Haaren. „Stell dich nicht so an. Du willst das doch.“ Er küsste sie hart auf dem Mund, sodass man ihre Antwort nicht verstehen konnte. Sie standen inzwischen an der Wand. Man sah nur noch seinen Rücken auf dem Bildschirm.

Ihre Hände hatte er mit einer Hand über ihren Kopf fest zusammengedrückt, während er mit der anderen über ihren Körper fuhr. „Du bist so wunderschön. Tanzt du für mich?“ Die Frau wimmerte, dass er sie los lassen solle. „Komm schon, Süße, so wie du mich geil gemacht hast, musst du es doch wollen.“ Und er küsste sie wieder. Ihre Antwort war nur ein leiser, gequälter Schrei. Er fuhr mit der Hand über ihr Gesicht zu ihren Brüsten. Mit einem kurzen Ruck riss er das Shirt herunter. Sie versuchte zu schreien und sich aus dem Griff zu winden, aber ohne Erfolg. Der Mann warf sie bäuchlings aufs Bett. Er nahm das Gymnastikband, welches auf dem Fußboden lag, und fesselte sie am Bettrahmen. Sie weinte. Der Knebel in ihrem Mund verhinderte ihre Schreie. Man hörte lediglich ihr Schluchzen. Er setzte sich auf sie und fing an sie zu küssen. Mit jedem Kuss zog er sie weiter aus. „Du bist so wunderschön.“ Sie versuchte mit aller Kraft sich zu wehren. Sie trat und zog an ihrer Fessel, aber der Mann machte einfach unbeirrt weiter.

„Weißt du jetzt, von wem das Tattoo ist?“ Ich drehte mich um. Hanna blickte mich eiskalt an. „Kannst du dich jetzt daran erinnern, was du getan hast?“ Sie machte einen Schritt auf mich zu. „Welches Leben du zerstört hast?“ Ein weiterer Schritt. „Hanna, wie bist du hier reingekommen? Woher kennst du dieses Video? Was geht hier eigentlich vor?“ „Was hier vorgeht?“ ihre Stimme ging in ein hysterisches Lachen über. „Scheiße man, hast du es immer noch nicht begriffen? Du wirst für deine Taten endlich büßen. Dir wird all das genommen, was dir lieb ist.“ Mit ihrem letzten Satz blitzte etwas hinter ihrem Rücken hervor. Ein paar Zentimeter weiter rechts und sie hätte mich mit dem Messer getroffen. „Hanna, was soll das? Was meinst du mit…“ Langsam verstand ich. „Du warst das. Du hast all diese Nachrichten geschickt. Du hast meine Creme ausgetauscht und die Plakate auf gehangen. Du hast meinen Boss angerufen und meinen Account gehackt. Du hast mein Leben zerstört!“ „DEIN Leben zerstört?“ wieder lachte sie hysterisch „Weißt du, was mit ihr geschehen ist, nachdem du sie dort einfach liegen gelassen hast wie ein Stück Scheiße?“ Sie zeigte auf das Handy in meiner Hand. „Blutend und mit Wunden übersät lag sie Tage lang im Bett!“ Ich weichte einer weiteren Attacke aus. „Sie war schwanger. Von dir! Doch wer hat alles abgestritten und dank seinem reichen Daddy kein Gerichtsverfahren bekommen?“ Ich schrie schmerzerfüllt auf, als ihr nächster Versuch mich an der Schulter traf. „Nach der Abtreibung war es dann endgültig um sie geschehen. Sie musste eingewiesen werden. Dank dir. Niemand wollte ihr glauben. Sie hat sogar mehr als einen Selbstmordversuch hinter sich. Und warum das Ganze? Damit DU 5 Minuten lang deine widerliche Lust befriedigen konntest.“ Ich lag am Boden und blickte direkt in ihr Gesicht. „Sag mir, was war das für ein Gefühl, als du sie weggeworfen hast?“ Ihre Augen waren eiskalt. Ich wusste, egal, was ich nun sagen würde, es würde sie nicht abhalten. Statt einer Antwort trat ich ihr mit voller Kraft meine Beine in den Leib. Sie fiel zu Boden. Ohne Zeit zu verlieren stürzte ich mich auf sie und entwendete ihr die Waffe. „Du bist doch verrückt! Das war ich nicht! Selbst wenn, du hast keinerlei Beweise. Dieses Video? Man kann mich nicht einmal darauf erkennen. Du hast nichts gegen mich in der Hand, du kleine, nutzlose Schlampe.“ Kaum hatte ich meinen letzten Satz beendet, pochte es an der Wohnungstür. Die Nachbarn hatten aufgrund des Aufruhrs die Polizei gerufen.

 

Ziemlich durcheinander verließ ich das Polizeipräsidium. Unglaublich, wie schnell alles aus den Fugen geraten war. Hanna wurde verhaftet und ich hatte meine Zeugenaussage gemacht. Die Polizisten waren ebenfalls nicht davon überzeugt gewesen, dass ich auf dem Video zu sehen war. Zum Glück, denn diese Schlampe hätte es beinahe geschafft. Woher kannte sie eigentlich Katherina? Das Ganze war doch vor Jahren gewesen… und Katherina hatte damals selbst gesagt, dass sie es wollte. Hannas Worte wollten mir dennoch nicht aus dem Kopf gehen. Hat Katherina wirklich versucht Selbstmord zu begehen? War sie wirklich schwanger gewesen? Ich dachte, sie hätte das nur gesagt, um mich an sie zu binden…

Ich fuhr die Straße entlang. Zurück in meine Wohnung wollte ich nicht. Das Chaos, das in mein Leben getreten war, hatte mich komplett aus der Bahn geworfen. Die Laternen leuchteten mir bis zu der kleinen Auffahrt den Weg. Ich hatte kaum mein Fahrrad abgestellt, da stand Christoph bereits an der Haustür.

„Erinnerst du dich, dass ich dir erzählt habe, dass ich das Gefühl hatte, dass mein ganzes Leben aus dem Ruder läuft? Wie sich herausgestellt hat, war es Hanna, diese Schlampe. Sie hat dank ihrer Eifersucht einen Rachefeldzug gestartet. Sie wollte mich wegen so ein paar Flirts fertig machen. Sie hat es vollkommen übertrieben.“ Ich nahm ein Zug von dem Joint, den mir Christoph gab. Eine beruhigende Wirkung hatte der allerdings nicht auf mich. „Sie hat diese Plakate auf gehangen und meinem Chef die Lüge mit dem Diebstahl erzählt. Die Alte ist total verrückt. Sie hat auch meinen Account gehackt und diesen komischen Post verfasst. Alter, sie ist sogar mit einem Messer auf mich losgegangen!“ „Nur wegen ein paar Flirts?“ Christoph klang sehr skeptisch. Kein Wunder, die Reaktion von ihr war ja auch einfach extrem. „Ja, ich sag‘s dir. Völlig unbegründ…“ Doch meinen letzten Satz konnte ich nicht mehr zu Ende sprechen.

 

Ein starker Schmerz durchfuhr meinem Körper, als ich aufwachte. Mein Schädel drohte zu explodieren. Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, merkte ich, dass ich in einer großen Kiste war. Es roch nach Metall und meine Hände waren mit kleinen Splittern übersäht. Was zum Teufel war gerade passiert? Ich tastete den Raum ab. Es schien keine Tür oder Klappe zu geben. „Christoph, was soll das? Lass mich hier raus! Das ist nicht witzig!“ „Witzig ist es schon lange nicht mehr.“ antwortete er mit viel zu ruhiger Stimme. „Was zum Teufel ist hier los?“ schrie ich. „Überleg doch mal ganz scharf. Ich denke, du weißt, wieso dir die ganzen Sachen passiert sind und jetzt sag nicht, dass Hanna eifersüchtig war. Wir wissen beide, dass das nicht stimmt. Um dir mal ein bisschen auf die Sprünge zu helfen, ich bin es, der dein Leben zerstört. Hanna hat nur kleinere Aktionen für mich ausgeführt. Sie versteht jedoch nicht, was die genaue Motivation hinter der ganzen Sache ist. Was das Schlimme an dir ist. Es geht nicht nur um Katherina. Es geht darum, dass du einfach weitermachst, als wäre nie was passiert. Dass du dich immer nur als Opfer darstellst. Dass du nie Schuld trägst. Dass du dir mit deinen Lügen eine neue Realität schaffst, die dir sogar noch geglaubt wird. Dass dir auch nicht mal ansatzweise in den Sinn kommt, was deine Taten für Konsequenzen haben.

Katherina war so ein toller Mensch.“ seine Stimme klang gequält. „Sie war wunderschön und lebensfroh. Sie hatte eine tolle Familie, die sie überall unterstützt haben. Sie wollte Chirurgin werden. Sie hatte Träume. Gott, ich habe sie so sehr geliebt.“ Nach einer kurzen Pause fuhr er fort. Seine Wut war zum Greifen nahe „Und du hast sie binnen weniger Minuten zerstört. Du hast sie weggeworfen, als wäre sie verdorben. Du hast sie geschwängert und wie Abschaum behandelt. Du hast sie als Lügnerin dargestellt, als wäre das alles ihre Schuld gewesen.“ Seine Stimme wurde immer lauter und wütender. „Du hast alle mit deinen Geschichten so den Kopf verdreht, dass ihr niemand mehr geglaubt hat. Nicht einmal mehr ihre Eltern. Und was ist das Resultat? Sie hat nicht nur die Schwangerschaft abgebrochen, nein, sie hat versucht sich das Leben zu nehmen. Wegen dir.“ Er haute auf meinen metallischen Käfig. Es dröhnte in meinen Ohren. Etwas ruhiger fuhr er fort „Für dich war das alles nur ein Spiel. Aber ich sag dir mal was: das Spiel ist vorbei. Game over.“ Die Wände meines Käfigs begannen sich laut knirschend zu bewegen. „Scheiße, bin ich etwa in der Müllpresse deines Onkels? Christoph, verdammt nochmal, hol mich hier raus!“ „Wieso denn? Was hat die Welt davon, dass du kleines Arschloch weiterlebst? Du zerstörst doch nur.“ Meine Hilferufe waren vergebens. Es war anscheinend niemand anderes in der Nähe. Die Wände bewegten sich weiter auf mich zu. „Christoph, hol mich hier endlich raus! Alter, ich bin dein bester Freund!“ Die Wände hörten auf sich zu bewegen. „Weißt du, du warst mein bester Freund. Aber nachdem Katherina mir ihr Tagebuch geschickt hatte, habe ich erkannt, was für ein widerlicher Mensch du bist. Du denkst immer nur an dich selbst. Dass es auch andere gibt, ist dir nie in den Sinn gekommen. Hanna war, bis sie das Handy in deiner Hand gesehen hat, auch noch Hals über Kopf in dich verliebt gewesen. Wieso, ist mir bis heute ein Rätsel. Sie ist weder dumm noch hässlich. Sie hätte jeden haben können, aber sie hat sich für dich entschieden. Ein Arschloch, das keine Gelegenheit auslässt, um mit einer anderen eine flotte Nummer zu schieben. Du hast nach der Sache mit Katherina einfach so weitergemacht, wie immer. Hanna war dein nächstes Opfer, da bin ich mir sicher. Du hättest sie genauso kaputt gemacht, wenn ich nicht eingeschritten wäre. Wie oft hast du sie schon betrogen? Ist ja auch egal. Ich wusste, dass es Zeit wird, dass man etwas gegen dich unternimmt.“ Wild hämmerte ich gegen den Käfig. Ich versuchte mit aller Kraft, Christoph davon zu überzeugen, mich hier raus zu lassen. Er sprach aber  unbeirrt weiter.

„Ich wollte dir sogar eine Chance geben. Die ersten Nachrichten waren die gleichen, die du Katherina geschickt hattest. Ich habe dir sogar ihre Tagebucheinträge geschickt! Hättest du das verstanden, wäre alles ganz anders ausgegangen. Alter, es war sogar das Datum zu sehen!“ erneut schlug er mit aller Kraft auf meinen Käfig. Ich zuckte verstört zusammen. Nach einer kurzen Pause fuhr er fort „Hanna hat Katherina übrigens sofort wieder erkannt. Sie hatte sich heimlich die Nummer herausgesucht und mir geschrieben. Sie wollte unbedingt wieder Kontakt zu ihrer alten besten Freundin, die so plötzlich aus ihrem Leben verschwunden ist. Aber du hast es nicht verstanden. Du hast nicht einen Gedanken an Katherina verschwendet. Hättest du wenigstens ein bisschen Reue oder irgendein Funken von Schuldgefühlen gezeigt, wäre die Sache ganz anders ausgegangen. Aber nein, sowas kann man bei dir nicht erwarten. Und entschuldige, daher kannst du auch keines mehr von anderen erhoffen. Der Zug ist abgefahren.“ Mein Gefängnis begann sich wieder zu bewegen und ich hörte, wie sich Christophs Schritte entfernten. Inzwischen waren die Wände waren so nah, dass ich den Druck auf meinen Körper spürte. Lange würde ich das nicht aushalten. Ich stemmte mich gegen den Käfig und versuchte ihn aufzuhalten. Es war vergebens.

An Katherina hatte ich tatsächlich schon lange nicht mehr gedacht. Ich hatte sie und diesen Tag einfach aus meinem Kopf gestrichen. Wie so vieles anderes auch. Ich spürte, wie mein Körper immer mehr zusammengedrückt wurde. Ich schrie und schrie. Es tat mir Leid, denn Christophs Vorwürfe waren wahr. Er wusste das und ich auch. All das, was ich anderen angetan hatte, wurde mir soeben schmerzhaft bewusst. Wie in einem Zeitraffer machten sich die Bilder vor meinem inneren Auge breit. War es wirklich so schlimm gewesen für Katherina? Hatte sie wegen mir tatsächlich Selbstmord begehen wollen? Und machte ich mit Hanna tatsächlich das Gleiche? Ich hatte nie realisiert, wie krass die Konsequenzen meiner Taten waren. Ich hatte so vieles als normal angesehen oder meine Schuld davon abgewiesen. Ich schrie alles heraus. Was ich getan hatte und wie sehr ich es bereue. Nicht nur, weil ich dadurch mein eigenes Leben beendet hatte. Ich wollte so nicht sein. Ich wollte Buße tun. Und dieses Mal waren es keine Lügen, die aus meinem Mund kamen. Doch ändern würde das wahrscheinlich nichts mehr…

4 thoughts on “Katherina

  1. Bäm! Wahnsinn! Das war ein glatter Gewinn meines Herzens. Zumindest bekommst du eins von mir, denn das bin ich dir hierfür allemal schuldig. Wahnsinn!
    Tolle Geschichte!
    Endlich mal jemand, der sich erst mal über sein „neues Handy“ freut! Ich glaube zumindest, bisher hat noch jeder das Handy vor Schreck fallen lassen, oder war zumindest skeptisch, in den anderen Geschichten die ich bereits gelesen habe.
    Überhaupt – dein Schreibstil gefällt mir sehr gut auch beschreibst du das sexuelle wirklich sehr reizvoll.
    Du hast wirklich Talent!
    Danke für deine Geschichte 🙂
    Herzlich – die Lia

  2. Hallo Lia,
    sehr, sehr vielen Dank für deinen Kommentar. Darüber freue ich mich wirklich sehr! Nachdem ich die anderen Geschichten gelesen habe (und aufgrund der geringen Herzchen-Anzahl), hatte ich ziemliche Zweifel, ob meine Geschichte überhaupt was taugt und habe sie extrem kritisch hinterfragt. Dank deinem Feedback bin ich wieder etwas weniger kritisch geworden. Wie die Jury auch meinte, nur weil es nicht jeder gut findet, heißt es nicht unbedingt, dass sie schlecht ist. 🙂 Dank also – das hat richtig gut getan 🙂
    Lieben Gruß
    Anja

  3. Moin Anja,

    ich kann Lia da nur zustimmen! Eine tolle Geschichte die du dir da ausgedacht hast.

    Du glaubst das deine Geschichte nichts taugt, dann lass mir dir sagen: da irrst du dich!

    Deine Geschichte lebt, sie ist flüssig und gut erzählt. Kreativität und Fantasie hast du auch. Also alles da! Was fehlt ist das auffinden deiner Geschichte. Bei über 1000 Geschichten ist es nicht einfach das deine gefunden wird. Lass dich von den Likes nicht vom Schreiben abhalten, wäre schade um dein Talent.

    Du hast eine tolle Art Situationen zu beschreiben, man kann das Tempo und die Dramatik durchs lesen spüren.

    Von mir bekommst du ganz klar ein Herz und ich hoffe das es mir andere noch gleichtun werden. Viel Spaß und alles Gute für Dich.

    LG Frank aka leonjoestick ( Geschichte: Der Ponyjäger)

  4. Moin, Anja, jaaaaaaa, coole Story! Was für ein Mistkerl, ab in die Presse mit dem 🙂
    Ein paar Rechtschreib-Schnitzer sind im Eifer des Gefechts reingekommen, aber das Lektorat würde ja auch etwas zu tun haben wollen, insofern: Like ist gegeben – für den Plot und den wirklich – im Grunde – flüssigen Erzählstil.

    Kollegiale Grüße!
    Kathrin aka Scrpiturine / https://wirschreibenzuhause.de/geschichten/die-nacht-in-der-das-fuerchten-wohnt

    … und Du darfst auch gern bei mir vorbeilesen, ich freue mich 🙂

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