HanaMiyaKuckkuck

Samstagmorgen, es war eine lange Nacht und müde trat eine junge Frau aus ihrer Wohnung um ihre Post zu überprüfen. Als sie den Briefkasten öffnete, war ihre Verwirrung groß. Ein Smartphone lag dort zwischen ihren Briefen. Seltsam, sie griff sich instinktiv an die Gesäßtasche und wie erwartet, befand sich dort ihr Handy. “Wessen Handy ist das und was macht es hier? Dachte jemand, dass ich es verloren habe?”, überlegte sie verdutzt. Behutsam nahm sie es in die Hand und untersuchte es. War es kaputt? Nein, nicht mal ein Sprung. Neugierig wischte sie mit dem Finger zum Entsperren, vielleicht konnte sie Anhaltspunkte finden um den rechtmäßigen Besitzer des Geräts ausfindig zu machen.

Bestimmt handelte es sich einfach um einen netten Nachbarn, der dachte sie hätte ihr Handy verloren oder es war schlicht und ergreifend ein Missverständnis. Jemand leiht es sich aus und wirft es in den falschen Briefkasten, solche Dinge kamen bestimmt vor.

Wo sollte sie anfangen mit ihrer Suche? Das innere Kind freute sich über die kleine Detektivarbeit und brachte sie ein wenig zum Kichern. Während sie langsam die Treppe zu ihrer Wohnung hochging, hatte sie sich dazu entschieden die Fotos in Angriff zu nehmen. Ein wenig intim, aber es war nur zur Identitätssuche gedacht. “Hoffentlich nicht zu intim. Auf nackte Tatsachen kann ich heute Morgen echt verzichten.”, dachte sie sich grinsend und öffnete die Bilderapp.

Ein augenblicklicher Schauer krabbelte ihren Rücken herunter und fast ließ sie alles fallen. Was sie hier vorfand war schlimmer als jedes Nacktfoto. Es löste in ihr den starken Drang zum Schreien und Fliehen aus. Ihr Körper schrie förmlich: Rückzug sofort! Wohnung!

Sie hastete die letzten Stufen hoch, riss ihre Haustür auf und ließ sie laut hinter sich ins Schloss fallen. Ein, zweimal drehte sie ihren Schlüssel um und sank dann zitternd zu Boden. Ihre Augen fixierten immer noch ihren Fund, aber kein klarer Gedanke wollte sich bilden. Es war als wäre plötzlich eine Wolke in ihrem Kopf, nein Watte, die alles verstopfte. Sie hatte den Ordner mit der Bezeichnung ICH geöffnet, in der Annahme er sei gefüllt mit Fotos vom Eigentümer. Dem war nicht so. Er war voll mit Fotos von ihr selbst. Fotografiert beim Einkaufen, Joggen, Gesprächen mit Nachbarn… Es schien als wäre ihr überall hin ein Schatten gefolgt. Sie scrollte schnell durch die Dateien. Wie viele sind das?! Wie lange geht das schon so? Warum hatte sie nichts bemerkt? Die Liste schien unendlich bis sie endlich an den Anfang kam.

Es war ein Foto von ihr bei einer Vernissage im letzten Monat. Sie stand lächelnd vor ihrem Bild. Die Person schien ihr ziemlich nah gewesen zu sein, was leider bei solchen Veranstaltungen, selbst für die lokalen Kunstszene, vollkommen normal war. Sie konnte sich an keine Gesichter erinnern. Ihr Atem ging flach und in ihrem Hals bildete sich ein saurer, heißer Kloß. Ihre bebenden Finger scrollten wieder langsam nach oben, auch wenn sich in ihr alles sträubte, ihre Neugier was für Bilder sich noch hier befanden war zu groß. Jedes Foto inspizierte sie mit wachsender Unruhe. Anscheinend wurde sie bei der Vernissage schon so ziemlich auf Schritt und Tritt verfolgt. Sie versuchte den brennenden, sauren Kloß runter zu schlucken, doch er saß komplett fest. Das nächste Foto, dass sie erblickte ließ sie zusammenfahren und das Handy von sich werfen. Schwungvoll raffte sie sich auf und rannte in ihr Badezimmer.

Der einzige Raum ohne Fenster.

Dort ließ sie sich auf den kalten Fliesenboden gleiten und blieb erst einmal, mit der Stirn gegen die Badewanne gelehnt, einige Momente reglos sitzen. Ihr Herz raste, die Gedanken schlugen Purzelbäume. Hatte sie gerade richtig gesehen? Hatte sie jemand in ihrem Arbeitszimmer fotografiert? Nein, nein, nein. Ein Irrtum nichts weiter. “Krieg dich wieder ein!”, stieß sie leise aus und zwang sich dazu tief durchzuatmen. Was sollte sie tun? Ihre Kleidung schien widerlich an ihr zu kleben.

Sie musste raus aus ihnen. Raus aus dem Ganzen. Duschen. Alles abduschen.

Sehr heiß. Sie musste sich reinigen. Von all dem Unfug.

Sie war sicher nur übermüdet, paranoid und komplett bescheuert. Das sind garantiert keine Fotos von ihr, da sah ihr jemand nur verdammt ähnlich. Während das Wasser auf sie niederprasselte, suchte sie eine logische Erklärung für diese Situation. Schritt für Schritt holte sie das heiße Wasser zurück in die Realität. Sie hatte sich sicherlich einfach verguckt. Künstler gibt es genug auf der Welt und mit IKEA hatten viele ähnliche Innenausstattungen. Langsam entkrampften sich ihre Schultern. Ja, es war alles ein Irrtum und irgendeine freundliche Seele aus dem Haus, hatte auch gedacht, dass sie auf den Fotos zu sehen ist und hat sich die Mühe gemacht, das Handy bei ihr einzuwerfen. Sie schloss kurz ihre Augen und stellte das Wasser ab. Das leise Tropfen vom Duschkopf erdete sie ein wenig. Genau, sie musste das Handy einfach im Fundbüro oder bei der Polizei abgeben. Es ging sie nichts an.

Keiner verfolgte sie. Warum sollte das auch passieren?

Sie trat aus der Dusche und trocknete sich sorgfältig ab.

Ja, wer sollte denn hinter ihr her sein?

Eine Erinnerung machte sich in ihr breit.

Das schwarze Zimmer. Die Schreie. Die Schläge. Es fühlte sich an, als würde alles langsam zurückschwappen.

Die Angst, Isolation, Ungewissheit.

Bevor sie sich wieder aufregen konnte, spritzte sie sich kaltes Wasser ins Gesicht und starrte in ihr beschlagenes Spiegelbild. Normalerweise sperrte sie diese Erinnerungen weit weg und wenn sie ausbrachen, dann nutzten sie ihrer Kunst als Katalysator. Das war ihre Art mit den Geschehnissen umzugehen. Natürlich war sie auch in unterschiedlichen Therapien gewesen, aber letztlich zeigte sich ihre Malerei als beste Methode um das Trauma zu verarbeiten. Es war Jahre her. Es würde gar kein Sinn ergeben, dass sie wieder hinter ihr her waren. Und doch fühlte sie sich so unruhig, dass sie daran dachte ihren Vater zu benachrichtigen. Allerdings widerstrebte sich alles in ihr, denn ihm erneut Probleme bereiten, vielleicht auch noch aus einem Missverständnis heraus? Sie schüttelte den Kopf, warf sich ihren Bademantel über und spähte vorsichtig aus ihrer Badezimmertür. Das Smartphone lag immer noch nahe der Wand. Von draußen waren nur die täglichen Straßengeräusche zu hören.

“Natürlich ist hier niemand, du paranoider Idiot!”, ermahnte sie sich, straffte die Schultern und verließ ihr Badezimmer. Trotzdem schlich das unangenehme Gefühl beobachtet zu werden mit. Bevor sie sich wieder dem unbekannten Gerät widmete, begab sie sich in ihr Schlafzimmer um sich anzuziehen und auf dem Weg zum Wohnzimmer, schnappte sie sich das auf dem Boden liegende Handy. Da sie es unbedacht ziemlich heftig geworfen hatte, inspizierte sie es und stellte leider fest, dass eine leichte Schramme im Touchscreen entstanden war. Das schlechte Gewissen nagte zwar, aber solange es ihr niemand nachweisen kann, sollte es ja kein Problem sein es so abzugeben.

Noch wollte sie nicht zum Fundbüro. Geistesabwesend zog sie die Vorhänge im Wohnzimmer zu und ließ sich auf ihr Sofa sinken. Sie legte das Smartphone behutsam auf dem Tisch ab und starrte es an. Mit sich hadernd, nahm sie es wieder in die Hand nur um es erneut auf den Tisch zu legen und anzustarren. Sollte sie sich nicht doch vergewissern? In fremden Eigentum herumzuschnüffeln gehörte sich eigentlich nicht, aber was wenn sie doch in Gefahr war? Wieder schüttelte sie heftig den Kopf um sich selbst zu widersprechen. “Niemand ist hinter dir her. Die Sache liegt viel zu lange zurück und außerdem hat es sich doch damals alles geregelt.”, versuchte sie so ruhig wie möglich laut auszusprechen. Doch die leeren Worte halfen nicht gegen ihre ansteigende Angst und damit verbundenen Neugier. Sie musste sich einfach absichern, dass nicht sie selbst auf den Fotos abgebildet war. Wenn sie es nicht überprüfte, würde es sie wieder länger als nötig beschäftigen.

Sie ignorierte den Umstand, was es bedeuten würde wenn sich ihr Verdacht bestätigte. Daran wollte sie einfach nicht denken.

Also nahm sie das Smartphone wieder an sich und entsperrte es. Mit klopfendem Herzen untersuchte sie das letzte Bild, dass sie geöffnet hatte. Sie suchte nach Details im Zimmer, die ihr definitiv sagten, dass es nicht ihr Zimmer war. Doch nach genauerem Hinsehen stellten sich wieder ihre Nackenhaare auf. Sie konnte es nicht fassen. Es war definitiv ihr Arbeitszimmer. Sie erkannte die Zimmerpflanzen, ihre Malutensilien und vor allem das große Bild, das an der Wand lehnte. Langsam scrollte sie wieder durch den Ordner um sich andere Fotos auch genauer anzusehen. Bis auf das erste Bild von der Vernissage, waren alle Bilder recht wackelig und definitiv mit Zoom aufgenommen. Auch hier gab es keine Zweifel, dass es sich um sie handelte, denn es war ihr Autokennzeichen, sogar die Praxis ihres Hausarztes und das neueste Foto zeigte sie mit ihren Freunden in der Bar letzte Nacht. Es wurde von einem Tisch weiter aufgenommen. Jemand war ihr seit der Ausstellung gefolgt. Warum?

Sie war noch lange nicht so bekannt mit ihrer Kunst, dass sie plötzlich Paparazzo erwarten würde. Noch arbeitete sie ganz regulär als Sekretärin bei einer Werbeagentur, also war auch ihr Besitz nicht wahnsinnig wertvoll. Emotionaler Wert ja, aber sonst eher durchschnittlich. Selbst wenn jemand plante sie auszurauben, warum sollte dieser Paparazzi die Fotos unter dem Titel ICH speichern? Ihr drehte sich der Kopf. Jemanden anzurufen erschien ihr sinnlos. Sie wusste nicht, was sie erzählen sollte ohne übergeschnappt zu wirken. Wenn sich herausstellte, dass sie sich doch geirrt und Wirbel um nichts gemacht hatte, könnte sie ihrem Vater nie wieder unter die Augen treten.

Es reichte, dass sie ihn schon einmal wegen einer Dummheit in Schwierigkeiten gebracht hatte.

Also machte sie sich daran, ein bisschen mehr Information aus dem Smartphone zu bekommen, Stieß jedoch schnell an ihre Grenzen, denn das Teil war ungewöhnlich leer. Keine Kontakte, keine Nachrichten geschweige denn andere Fotos. Es existierte nur dieser eine Ordner.

Mit einem Klick löschte sie ihn und schaltete das Handy aus. Vielleicht würde die Person aufgeben, wenn sie merkt, dass ihr Gerät verschwunden ist. Vielleicht entpuppt sich alles einfach als aberwitziger Traum. Sie warf das Smartphone in den Mülleimer und verschwand in ihr Arbeitszimmer und drehte ihre Musik auf.

Zeit für ein Gemälde.

Während sie in ihrer Kunst versank, merkte sie nichts von den Blicken hinter der Fensterscheibe oder den leisen Schritten in ihrer Wohnung. Sie gab sich komplett dem Malen hin, so wie immer wenn sie gewisse Ereignisse versuchte auszublenden. Als sie endlich wieder bei Sinnen war, gingen auf den Straßen die Lampen an. Sie fühlte sich erleichtert und sperrte im Kopf ihren Safe ab.

Hätte sie überprüft, ob das Smartphone noch im Mülleimer liegt, hätte sie vermutlich ihr nächstes Kunstwerk anfertigen können. Doch sie genehmigte sich ein warmes Bad mit Lavendelöl und legte sich später mit einem guten Buch ins Bett. Nichts war passiert. Nichts war zu vermelden. Niemand musste sich Sorgen um sie machen, denn es war nichts passiert.

Doch Irren ist bekanntlich menschlich.

Natürlich wachte sie am nächsten Morgen auf, als wäre sie von einem Auto überfahren worden. Sie drängte jeglichen Gedanken an den verlorenen Samstag von sich und begann mit ihrem Sonntagsprogramm. Zum Frühstück gab es Spiegelei, Speck und eine bescheuerte Sitcom, bei der man sein Gehirn gut ausschalten konnte. Und auch wenn sie lieber auf dem Sofa liegen wollte, griff sie nach ihren Sportsachen und machte sich auf zum Fitnesscenter. “Alles ist okay. Alles ist gut.”, murmelte sie immerzu ihr Mantra bis sie endlich die Wohnung verließ. Nach ein wenig Sport fühlten sich ihre Muskeln zwar schwerer an, aber der Kopf schien leichter zu sein.

Doch als sie ihre Wohnung betrat, sammelte sich wieder ein riesiger, saurer Kloß in ihrem Hals. Sie war sich sicher, dass sie gut abgesperrt und alle Lichter gelöscht hatte. Trotzdem kam Licht durch die halb geöffnete Wohnzimmertür Was ging hier vor sich? Das Herz schlug wie wild und ihre Atmung wurde flach. Ihr war als müsste sie sich übergeben. Dennoch streifte sie sich ihre Schuhe vorsichtig ab und schlich den Gang entlang. Alles in ihr schrie wieder um sie zur Flucht zu bewegen, doch die Neugier ist nun mal der Katze Tod. Als sie den Raum betrat wurde mit einem Mal alles schwarz. Sie merkte noch einen explodierenden Schmerz und danach nichts mehr.

 

“Hallo? Hallo Maya? Bist du da?”, drang eine hallende Stimme zu ihr und holte sie so ein wenig zurück in die Wirklichkeit. Sie lag in etwas Kühlem, Glatten. “Du wirst ja wohl nicht tot sein?! Oh nein, nein, nein, nein. “, sprach die fremde Stimme nun eine panische Oktave höher, “Dabei müssen wir doch reden. Ja, reden….Wir müssen…” Maya hob langsam den Kopf und ihre Augen öffneten sich langsam. Sie wurde geblendet von einem strahlendem Weiß und erkannte nach einigen Sekunden, dass sie wohl in ihrer Badewanne lag. Über ihr stand eine fremde, dunkelhaarige Frau, die sie voller Sorge ansah.

Wer bist du? Was willst du hier? Wie kommst du in meine Wohnung? All das wollte Maya fragen, doch das Einzige was zu hören war, waren gedämpfte Laute. Ihre Zunge drückte gegen einen rauen Stoff, der ihr als Knebel diente. Erst dann kam sie wirklich zu sich und merkte, dass sie nicht nur geknebelt sondern auch fixiert worden war. Der Versuch ihren Körper zu bewegen oder um sich zu treten scheiterte kläglich. Alles fühlte sich an wie Blei. Schwer und unnachgiebig. “Tut mir leid Maya, dich wortwörtlich überfallen zu müssen. Aber wir müssen reden.”, sagte die Fremde plötzlich in einem Tonfall, als wären sie beim Kaffee, ” Jetzt schau mich doch nicht so schockiert an. Die Situation ist für mich auch nicht einfach. Wärst du ein paar Minuten später nach Hause gekommen, wäre ich auch schon weg gewesen. Unglaublich, dass du so viele Bilder malst aber kein einziges Fotoalbum zu Hause hast. Macht das Sinn? Oder war es: Ergibt das Sinn? Oh, überfordere ich dich?”, sie unterbrach lächelnd ihren Monolog und sah Maya prüfend an, die absolut verwirrt von dieser bizarren Situation war. Dann schlug sich die Frau schwungvoll mit der flachen Hand gegen die Stirn und meinte, immer noch in ihrem Plauderton: “Ich Idiot, sollte mich auch erst einmal vorstellen, dir deine missliche Lage hier erklären und warum du das alles auch verdient hast.” Dann räusperte sie sich und sprach nun in einer beunruhigend ruhigen Stimme: “Also mein Name ist Maya Fuchs, wurde am 30ten Mai 1990 geboren und vor 15 Jahren hast du mir mein Leben genommen.” Dann strahlte sie Maya an, während die in der Badewanne gerade nicht mehr richtig denken konnte. Hatte sie gerade richtig gehört? Was sollte dieser Unsinn? Ein Schluchzen und ein dicker Brocken waren in ihrem Hals. Während ihre Gedanken Purzelbäume veranstalteten, fuhr die Fremde wieder mit ihrem heiteren Tonfall fort: “Oh ja, wir sind praktisch Doppelgänger! Ich wollte es auch erst nicht glauben als ich meinen Namen in der Zeitung sah. Du weißt schon, für die Kunstveranstaltung vor einem Monat. Ich musste das einfach überprüfen, was du mit meinem Leben hier anstellst! Wir haben uns dort doch sogar unterhalten!”

Maya verstand die Welt nicht mehr. Was redete diese Irre da? Sie starrte sie entgeistert an und versuchte sich zu erinnern. Bei der Vernissage waren viele Gesichter auf sie zu gekommen, dazu kam auch noch ihr miserables Menschengedächtnis. Sie schüttelte langsam den Kopf und traute sich nicht einen Laut von sich zu geben. Da fiel das Lächeln der Fremden wie eine Maske ab und sie sah Maya einige Momente bitterböse an. Dann stieß sie hervor: “Mein Leben stehlen und sich nicht mal an mich erinnern. Das ist wirklich unter aller Sau.” Ihr Blick ließ Maya noch mehr in sich zusammensinken. Ihr ganzer Körper schien sich aus Panik abschalten zu wollen, gefangen zwischen Hitze und Eiseskälte blieb die Zeit stehen. Sie wagte es nicht einen Muskel zu rühren.

Immer noch lag der prüfende Blick der Frau auf ihr, als diese jedoch keine weitere Regung ausmachen konnte, erzählte sie munter weiter: “Das kann doch echt nicht sein. Aber egal, ich bin eigentlich nur hergekommen um zu sehen ob du ein Fotoalbum von meiner Familie hast und ob hier vielleicht sogar Hinweise darauf sind, warum du gerade mein Leben wolltest. Aber”, sie holte scharf Luft und schnaubte schließlich verächtlich, “aber du hast ja gar keine Alben. Dabei wollte ich doch nur Papas und Mamas Gesichter sehen. Ach, und das Haus. Unser wundervolles Haus in der Nähe von dem süßen See. Du kennst es ja, mit den drei Eichen in der Nähe. Naja, außerdem wäre es schön gewesen meine Kindheitsfotos zu bekommen. Natürlich um zu beweisen, dass du nicht die echte Maya Fuchs bist.” Sie verstummte kurz und drehte in dem kleinen Bad einige Runden und drückte dabei ihre Hände gegen die Schläfe. Ihr Gesicht verzerrte sich immer wieder, als müsste sie sich zusammenzureißen um nicht zu schreien oder zu weinen. Mayas Augen folgten fassungslos dem Schauspiel. Ihre Gedanken rotierten auf Hochtouren, aber es kam einfach nichts dabei raus.

Vor 15 Jahren wurde sie entführt und nach langer Tortur in Gefangenschaft, war sie wieder zu ihren Eltern gelangt… Was sollte das heißen, dass sie nicht die echte Maya Fuchs war. Wer sollte sie denn sonst sein? Wer war diese verwirrte Frau? Wieso kannte sie das Haus, das sie nach dem Vorfall verkauft hatten? Viele Fragen brannten ihr auf der belegten Zunge. Dann drehte sich plötzlich die Andere wieder zu ihr und raunte: “Vielleicht muss ich dich einfach selbst fragen. Ich muss einfach wissen wie und warum du es getan hast. Wie hast du meine Eltern überzeugt, dass du, ich bist? Wer bist du wirklich? Und kannst du dir überhaupt vorstellen, was ich dank dir durchgemacht habe?!” Ihr Blick ließ Maya das Blut in den Adern gefrieren. Diese blutunterlaufenen Augen, die einen derartigen Hass ausstrahlten. Neben der Panik spürte Maya auch ein wenig Mitleid aufkeimen. Was hatte diese Frau nur genommen, dass sie so verwirrt war? Einige Sekunden, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten, starrten sich die Frauen an. In diesem ruhigen, vor allem nahen Moment wirkte das Gesicht seltsam vertraut. Maya sah in braune Augen, die ihren recht ähnlich waren. Auch sonst hatte sie das Gefühl in einen leicht verzerrten Spiegel zu sehen. Die Haare, die Nase, die Wangen, der Mund…

Was war hier nur los? Bevor sie jedoch einen weiteren Gedanken fassen konnte, nestelte die Frau an dem Knebel herum und murmelte: “Ich will Antworten. Wenn du schreist, breche ich dir deine Finger. Einen nach dem Anderen. Für jeden Schrei. Das willst du doch nicht, Frau Künstlerin?” Dann nahm sie Maya den Schal aus dem Mund. Erleichtert atmete sie sofort die kühle Luft ein und versuchte, unter dem strengen Blick der Fremden, so leise wie möglich zu husten. Da schwang wieder die Stimmung der anderen Maya um. Sie machte große Augen und fragte mit ehrlich klingendem Mitleid: “Möchtest du ein Glas Wasser? Warte hier, ich hol dir eins. Dann können wir uns in Ruhe austauschen.”, sprang auf und marschierte aus dem Bad. Verblüfft sah ihr Maya hinter her, ohne auch nur einen Pieps von sich zu geben. Sie traute sich nicht mal ihre Zehen zu bewegen, zu mehr war sie ohnehin in der Lage.

Sie wollte nur, dass es aufhörte.

In der Wohnung knarrte, raschelte und klimperte es. Dann kam die Fremde wieder ins Bad zurück, mit einem Stuhl in der einen Hand und ein Glas in der anderen. Nachdem sie sanft die Tür hinter sich geschlossen hatte, platzierte sie den Stuhl vor der Badewanne und ging rasch zum Waschbecken um das Glas aufzufüllen. Dann tippelte sie zu Maya zurück und hielt ihr das Getränk hin, nur um sich dann kichernd auf den Stuhl niederzulassen. “Stimmt ja, du kannst es gar nicht halten. Mein Fehler!”, gluckste sie mit einem breiten Grinsen, “Hier!” Sie griff plötzlich nach Mayas Kiefer und drückte ihr mit den Fingern so gegen die Wangen, dass ihr Mund ein kleines O bildete. Sie hob das Glas in die Nähe von Mayas Mund und ließ etwas Wasser hineinfließen. Natürlich ging auch einiges daneben. Trotzdem war die Erleichterung groß, als die Flüssigkeit den trockenen Hals erreichte. Nach ein, zwei guten Schlücken ließ sie Maya wieder los und stellte das Glas auf dem Badewannenrand ab. Ihre Beine überschlug sie und sah nun erwartungsvoll ihre Gefangene an. Maya konnte jedoch gar nichts sagen, aus Angst das bei einer “falschen” Antwort böse Konsequenzen drohten. Also schauten sich die Beiden wieder eine Zeit lang an, bis die andere Maya den Kopf in den Nacken warf, ihre Augen verdrehte und ein genervtes Schnalzen von sich gab. Mit verengten Augen blickte sie wieder ihr Gegenüber an und raunte: “Wenn du jetzt nicht sofort anfängst, dich zu erklären werde ich dich mit diesem schönen Spielzeug ein wenig piksen. Wo magst du es am liebsten? Deine Arme, Beine oder dein beschissenes Gesicht? Liegt ganz bei dir! Also rede endlich!” Dabei zog sie ein kleines Messer aus ihrer Hosentasche und hielt es Maya direkt vor die Nase.Sie konnte sich gerade noch davon abhalten, einen Schrei von sich zu geben und versuchte ruhig zu atmen. Sie wollte weg, weg von dieser Irren, raus aus dieser engen Badewanne. Weg von alledem. Am besten in einem Zimmer weit weg in dem sie nichts mehr hören oder sehen musste. Heiße Tränen liefen an ihren Wangen herunter und wollten einfach nicht aufhören. Das schon seit gefühlt Stunden festsitzende Schluchzen fand seinen Weg nach draußen und hallte in dem kleinen Bad vor sich hin. Die Fremde lehnte sich wieder zurück und packte behutsam ihre Waffe weg und wartete geduldig, bis einigermaßen Ruhe eingekehrt war. Dann fing sie wieder an zu reden: “Also gut, weil du es bist liebste Doppelgängerin und ich bei Tränen einfach nicht Nein sagen kann, werde ich dir meine Geschichte berichten.” Sie schloss kurz die Augen, atmete laut aus und fixierte daraufhin wieder Maya: “Aber dann verrätst du mir, wie du es geschafft hast mich zu ersetzen.” Das leichte Nicken war ihr Antwort genug, also erzählte sie: ” Vor 15 Jahren, meine Liebe, wurde ich aus meinem Leben gerissen. Entführt von irgendwelchen Verrückten, die Kohle von meinen Eltern wollten. Nach einigen Wochen in Gefangenschaft haben sie mich jedoch, ohne Kommentar, irgendwo im Nirgendwo ausgesetzt. Als ich es irgendwann geschafft hatte, die Polizei einzuschalten und zu erklären wer ich war und was mir passiert ist, wurde ich nur ausgelacht. Kannst du dir das vorstellen? Mir wurde gesagt, ich solle doch keinen Unsinn reden, denn die Tochter des Bankier Fuchs wurde schon vor einiger Zeit gefunden. Du hast mir damals mein Leben geklaut. Kannst du mir dafür eine Erklärung geben?”

Stille. Im Bad und in Mayas Kopf. Natürlich konnte sie das nicht, wie denn auch?

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