Moritz HirschmannLagerraum 56

Was wäre, wenn dein Leben in nur wenigen Stunden komplett auf den Kopf gestellt werden würde? Dieser Gedanke und viele andere gingen mir durch den Kopf, kurz bevor es das letzte Mal komplett schwarz um mich werden würde, für immer.

Der Tag hatte eigentlich normal begonnen. Ich wachte neben meinem Mann auf, der wie immer etwas länger schlief als ich und bevor ich das Haus zur Arbeit verließ, packte ich meine Brotzeit ein und schenkte mir noch Kaffee in meine Thermoskanne. Hätte ich gewusst, dass dies mein letzter Kaffee werden würde, dann hätte ich sicherlich noch etwas Rum dazu geschüttet.

Ich war Eva, ich arbeitete als Leitung einer Einkaufsabteilung in einem kleinen Unternehmen hier in meinem Heimatort. Ich war seit zehn Jahren verheiratet, hatte ein kleines Häuschen – alles hätte perfekt sein können. Und das war es für mich eigentlich auch. Ich war mein Leben lang ehrlich, doch seit einigen Monaten log ich den Menschen an, der mir bisher am meisten am Herzen lag. Ich hatte mich verliebt, in Katharina. Sie war vor ein paar Monaten als externer Consultant bei uns in der Firma und wir haben uns sehr gut verstanden. Es hatte quasi sofort klick gemacht, wie man immer so schön sagt. Aus Kaffee trinken wurden schnell Abendessen und aus den Abendessen wurde schnell etwas Festes. Wir waren so glücklich, auch wenn ich damit Johannes, meinen Mann, aufs widerlichste hinterging. Johannes kannte ich schon seit dem Kindergarten, unsere Mütter waren befreundet und so wurde er für mich schnell der Junge von nebenan. Auch wenn er seine Eifersucht nicht unter Kontrolle hatte, war er immer gut zu mir und irgendwie hatte ich das immer an ihm geliebt. Aber genau deshalb konnte ich ihm auf keinen Fall von Katharina erzählen.

Ich ging jedenfalls los. Es war noch dunkel draußen. Da ich in der Regel zuerst das Haus verließ, stand mein Auto in der Auffahrt und das von Johannes in der Garage. Ich wunderte mich kurz über eine Delle an der Stoßstange meines drei Monate alten Wagens, aber ich dachte mir auch nicht sehr viel dabei. Johannes hatte mich gewarnt, bei meinem Fahrstil einen Neuwagen zu kaufen, doch ich wollte mir einen langersehnten Traum von einem silbernen BMW-Cabrio erfüllen. Die zwanzigminütige Fahrt zur Arbeit hörte ich einen Podcast über das aktuelle Tagesgeschehen. Politik und Grausamkeit, überall auf der Welt, doch ich mochte es auf dem Laufenden zu sein. Ich begrüßte den Pförtner und er gab mir wie jeden Morgen meine Post mit. Viele Briefe, welche sicherlich Angebote oder Rechnungen enthielten, die ich im Laufe des Vormittags an meine Mitarbeiter verteilen musste. Im Büro öffnete ich erst einmal das Fenster, um die frische Morgenluft hereinzulassen und beschäftigte mich mit meinen E-Mails. Nach dem morgendlichen Teammeeting verzog ich mich wieder in mein Büro und aß meinen Obstsalat. Als ich gerade auf einem Apfelstück herumbiss fiel mir der Stapel Briefe ins Auge, die ich total vergessen hatte. Eigentlich wollte ich diese ja im Teammeeting verteilen, aber ich war vorher zu sehr von meinen Mails abgelenkt. Ich stopfte mir noch einen überhäuften Löffel Früchte in den Mund und nahm mir den Stapel. Anhand der Absender verteilte ich die Briefe auf drei Stapel für meine Mitarbeiter zur Bearbeitung.  Beim letzten Umschlag klappte mir die Kinnlade herunter, beinahe wäre mir eine Weintraube aus dem Mund gefallen. Es war ein brauner Umschlag, auf dem keine Empfänger- oder Absenderadresse stand. Die einzige Aufschrift, mit schwarzem Filzstift geschrieben, war wohl eine Art Drohung: „Nicht, wenn ich euch zuerst erwische“

Was sollte das nur bedeuten? Ich schnappte mir das Telefon und rief in der Pforte an. „Bruno, guten Morgen, ich habe hier einen Umschlag, der nicht direkt an mich adressiert ist. Weißt du wie der in meinen Poststapel kommt?“

Bruno antwortete: „Eva, Hallo, ja der wurde gestern Abend von einer Dame abgegeben mit der Bitte ihn dir persönlich auszuhändigen. Sie war aber so schnell wieder verschwunden, dass ich sie nicht fragen konnte, wer sie war.“

Das war schon etwas komisch, vielleicht von Kathi? „Danke Bruno, dann schau ich einfach mal was drin ist. Schönen Tag noch“, verabschiedete ich mich und legte auf.

Warum sollte Kathi mir so eine komische Nachricht schicken? Es gab sowieso nur eine Möglichkeit das herauszufinden, daher öffnete ich den Umschlag, der zusätzlich mit Klebeband verschlossen war und entdeckte außer einem Smartphone im inneren nichts. Meine Verwunderung ließ allerdings nicht nach, im Gegenteil, das Smartphone schien eindeutig Kathi zu gehören. Das erkannte ich an der roten Lederhülle und dem Hintergrundbild auf dem Sperrbildschirm. Warum sollte sie mir ihr eigenes Handy schicken, vielleicht hatte sie sich ein neues gekauft und wollte mir das hier überlassen? Ich hatte mich öfter beschwert, dass ich kein neues Diensthandy bekomme, obwohl meines so langsam den Geist aufgab. Doch was hatte die Nachricht auf dem Umschlag damit zu tun? Mein Wundern half alles nichts, daher beschloss ich Kathi anzurufen. Zu meinem Erschrecken fing aber das Handy auf meinem Tisch zu klingeln an, auf dem Display erschien ein Bild von uns beiden und mein Name. So langsam wurde mir bei der Sache mulmig zumute. Glücklicherweise kannte ich den Pin, um das Handy zu entsperren. Vielleicht steckte da ja irgendein Spiel dahinter. Das erste was ich sah, war ein gespeicherter Screenshot eines Chatverlaufes zwischen mir und Katharina.

Sie schrieb: „Ich wünschte wir könnten für immer Zusammen sein, wenn da nicht Johannes wäre“

Meine Antwort war spaßeshalber: „Dann müssten wir Johannes schon aus dem Weg schaffen, sonst wird er mich niemals gehen lassen.“

Beendet hatte ich diese Nachricht sogar mit einem zwinkernden Smiley.

Jetzt verstand ich gar nichts mehr. Ich steckte mir die letzten Obststückchen in den Mund und dann fiel mein Blick wieder auf den Umschlag: „Nicht, wenn ich euch zuerst erwische.“ Jetzt erkannte ich auch die krakelige Schrift.

Mir fiel der Löffel aus der Hand, klappernd sprang er von der Tischplatte auf den Laminatboden, doch den Lärm nahm ich nicht mehr wahr. Hatte Johannes etwa das zwischen Kathi und mir herausgefunden? Würde er so weit gehen, um mich das Wissen zu lassen? Als ich mich nach dem Löffel bückte, steckte meine Sekretärin ihren Kopf durch die Tür und fragte ob alles in Ordnung wäre und ich gab ihr zu verstehen, dass ich nicht gestört werden wollte. Ich schnappte mir mein Handy und wählte Johannes‘ Nummer. Es klingelte kurz, sprang ab er sofort auf die Mailbox um. Ich versuchte es etliche Male, beim letzten vergeblichen Versuch hinterließ ich ihm eine Nachricht.

Ich wunderte mich sehr über Johannes, als Kathis Handy läutete und ein Nachrichtensymbol auf dem Bildschirm erschien. Ich öffnete die Nachricht und musste mir eingestehen, dass das mit dem Arbeiten heute wohl nichts mehr werden würde. Jemand hatte Kathi, beziehungsweise mir ein Bild geschickt, auf dem ich selbst gerade verwundert das Handy und den Umschlag betrachtete. Ich trat verunsichert an mein Bürofenster und versuchte im Gebäude auf der anderen Straßenseite jemanden zu erkennen. Das Foto konnte nur von dort aufgenommen worden sein und auch ungefähr aus dem gleichen Stockwerk. Doch die meisten Etagen dieses Gebäudes standen leer. Unsere Geschäftsleitung hatte kürzlich erst überlegt dorthin zu expandieren. Ich beschloss umgehend nach Hause zu fahren und Johannes zur Rede zu stellen. Selbst wenn er herausgefunden hätte, dass ich ihn betrog, rechtfertigte das noch lange nicht, mich so zu terrorisieren. Beim Verlassen des Gebäudes fiel mein Blick auf den Eingang der anderen Straßenseite. Vielleicht war er ja noch dort?

Da nur zwei der fünf Stockwerke vermietet waren, war im Eingangsbereich kaum etwas los. Die Anzeigetafel am Aufzug zeigte, dass der vierte Stock tatsächlich leer stand. Ich drückte auf den Knopf und fuhr hinauf. Was würde geschehen, wenn ich Johannes jetzt begegnen würde? Die Aufzugtüren wurden aufgezogen und ich betrat das leere Bürostockwerk. Ich versuchte mich zu orientieren und den Raum zu finden, dessen Fenster zu meinem zeigte. Gerade als ich die letzte mögliche Türe öffnen wollte klingelte Katharinas Handy erneut und zeigte eine weitere Nachricht an. Es war ein Video, welches ich sofort anklickte und noch bevor das Bild anfing sich zu bewegen sank ich geschockt in die Knie. Auf der Aufzeichnung war eindeutig Kathis Wohnzimmer zu sehen, sie saß in ihrem Sessel und las ein Buch. Das Video musste von dem großen Bücherregal aufgenommen worden sein und wie es aussah, war sich Kathi dessen nicht bewusst. Mein Blick fiel auf den Zeitstempel im unteren rechten Eck des Videos. Es war von gestern. Im Bild hinter Katharina tauchte eine Gestalt auf. Sie war in schwarz gekleidet und hatte das Gesicht vermummt, aber an der Statur erkannte ich sofort Johannes. Was für ein krankes Spiel spielte er? In der Aufnahme schleicht Johannes sich vorsichtig von hinten an Kathi an. „Nein. Nicht. Pass auf“ sagte ich verzweifelt in dem Wissen, dass Kathi mich nicht hören konnte. Meine Augen füllten sich mit Tränen, als ich zuschauen musste, wie Johannes Kathi eine Hand über den Mund legt und ihr eine Spritze in den Oberarm stößt. Nach wenigen Sekunden sank sie zusammen und ihr Buch fiel zu Boden. Ich saß mittlerweile weinend am Boden des leeren Flures und versuchte zu verstehen was aus diesem Tag geworden ist. Ich beobachtete das Geschehen auf dem kleinen Bildschirm weiter. Johannes hatte sich Kathis reglosen Körper über die starken Schultern gelegt und hielt einen Zettel in die Kamera. Ich hielt das Handy näher an mein Gesicht, um die Schrift lesen zu können: „Schau, ein Geschenk auf dem Fensterbrett“ stand dort mit schwarzem Filzstift. Sollte ich die Polizei rufen? Ich versuchte mich, nicht das letzte Mal an diesem Tag, wieder zu sammeln und ging etwas wackelig auf den Beinen in das Büro und zu dem Fenster. Tatsächlich hatte man einen perfekten Blick in mein Büro. Da musste ich mir definitiv für die Zukunft etwas einfallen lassen, dachte ich mir. Aber der Gedanke wurde von der Kühltasche vertrieben, die auf dem Fensterbrett stand. Irgendwie musste ich geahnt haben was mich erwartet, denn mir kamen erneut die Tränen und mit zittrigen Händen öffnete ich vorsichtig den Reisverschluss. Zwischen verschiedenen Kühlakkus und halb geschmolzenen Eiswürfeln fand ich einen wiederverschließbaren Frischhaltebeutel, den ich herauszog. Vorsichtig, da ich keine Fingerabdrücke zerstören wollte – ja soweit hatte mich dieses Psychospiel bereits getrieben – öffnete ich das Tütchen, durch dessen milchige Folie ich bisher nichts erkennen konnte. Ob es daran lag, dass ich mittlerweile schon leergeweint war oder ob der Schock über den Anblick des Inhaltes so groß war, dass meine Körperfunktionen für einen Augenblick aussetzten, wusste ich nicht. Jedoch starrte ich wie hypnotisiert auf den Finger in dem Beutel. Der rosa Nagellack mit dem kleinen Glitzerstein am Nagelbett konnte nur von Katharina kommen. Abgelenkt von dem verstörenden Beutelinhalt, verpasste ich beinahe einen Anruf auf Kathis Handy. Schnell steckte ich die Tüte zurück in die Kühltasche und zog das Handy aus der Tasche. Ich drückte auf das grüne Telefon-Symbol, um den anonymen Anruf anzunehmen.

„H-Hallo?“, stotterte ich in den Hörer.

„Eva? Hier ist Kathi“, Die Stimme am anderen Ende klang ängstlich und panisch, war aber unverkennbar die von Kathi.

„Kathi? Oh mein Gott, geht es dir gut? Was ist passiert? Ich kann mir das alles nicht erklären“, schrie ich ins Telefon, doch ich bekam keine Antworten auf meine Fragen.

„Eva, du darfst auf keinen Fall die Polizei rufen. Johannes weiß alles und er droht, dir noch mehr Körperteile zu schicken, wenn du die Polizei einschaltest“, bettelte Katharina mich an.

„Aber was soll ich denn tun, wo bist du? Gib mir einen Tipp“ ich war total verzweifelt. Gerade als ich Fragen wollte was Johannes damit erreichen wollte, brach das Telefonat ab.

Ich verstand nicht, wieso Johannes mir so etwas antat. Wollte er mich einfach nur spüren lassen, was er für eine Macht über mich haben kann? Oder drohte er wirklich damit, Kathi und mich aus dem Weg zu schaffen? Verzweifelt kramte ich noch einmal den Umschlag aus meiner Arbeitstasche, doch auch diesmal konnte ich keine weiteren Hinweise darin finden. Also beschloss ich zu Kathi nach Hause zu fahren, da mir kein anderer Ort einfiel. Irgendwo musste er sie ja hingebracht haben.

In Kathis Wohnung schien niemand zu sein und da ich auch keinen Schlüssel hatte blieb mir nichts anderes übrig, als nach Hause zu fahren. Johannes Auto stand nicht in der offenen Garage und auch im Haus oder im Garten konnte ich ihn nirgends finden. Vielleicht konnte ich in seinem Arbeitszimmer irgendetwas finden, schoss es mir durch den Kopf. Dort bewahrte er all seine Dokumente und seinen Laptop auf. Glücklicherweise war die Tür nicht verschlossen und ich machte mich sofort daran, den Schreibtisch zu durchwühlen. Gerade als ich die Hoffnung aufgeben wollte fand ich in der untersten Schublade einen Hefter, in dem mehrere ausgedruckte Chatverläufe und Fotos waren. Ich ging die Seiten durch auf denen Johannes Screenshots von meinem Handy ausgedruckt hatte. Die Fotos zeigten Kathi und mich bei Spaziergängen, Abendessen und auch ein paar sehr abgegriffene Fotos, von uns beiden im Schlafzimmer. Angewidert legte ich die Akte wieder zurück und setzte mich an den Laptop. Wie es aussah hatte Johannes einen neuen Laptop. Komisch, dass er davon nichts erzählt hatte, aber vermutlich traute er mir seit einiger Zeit, verständlicherweise, nicht mehr. Der PC war nicht mit einem Passwort geschützt, also hatte er entweder nicht damit gerechnet, dass ich ihn finden würde oder es gab darauf einfach nichts zu entdecken. Der Desktop war zugemüllt mit etlichen PDF-Dateien und Ordnern. Nichtsdestotrotz musste ich auf Nummer sicher gehen. Einer dieser Ordner, ziemlich in der Mitte weckte meine Aufmerksamkeit. Es war ein Ordner mit dem Titel „Konto“. Das war typisch Johannes, trotz Online-Banking speicherte er jeden Monat seine Transaktionsdetails ab. Erst befürchtete ich, auch hier nichts Interessantes zu finden, bis mir ein regelmäßiger Abzug eines Self-Storage-Service ins Auge sprang. Auch davon wusste ich bis eben gar nichts. Konnten die beiden vielleicht dort sein? Ich suchte nach der Einrichtung im Internet und notierte mir die Adresse. In der Küche lag die Tageszeitung auf dem Tresen und ich blätterte kurz hindurch. „Mord mit Fahrerflucht“ hieß es auf einer der mittleren Seiten. Ich überflog den Text, in dem aufgerufen wurde, alle Beobachtungen der Fahrerflucht mit einem neuartigen weißen oder silbernen BMW zum Tatzeitpunkt zu melden. Da mein Auto aber an besagtem Abend von Johannes zum Kundendienst in die Werkstatt gebracht wurde widmete ich mich wieder meiner aktuellen Situation.

Auf der Fahrt zu der Lagereinrichtung missachtete ich jegliches Tempolimit und ich glaubte auch selbst, wenn mich die Polizei hätte anhalten wollen, wäre ich einfach weiter gerast. Meine Gedanken kreisten unaufhörlich um Kathi, die irgendwo verletzt von meinem Mann festgehalten und gefoltert wurde. Allein die Vorstellung, mich gerade in einer solchen Situation zu befinden, war so unglaublich absurd. Eigentlich hatte ich mir überhaupt keine Gedanken gemacht was ich tun würde, wenn ich nun Johannes und Katharina in dem Lagerraum antreffen sollte. Da mir Johannes aber auch keine Anweisungen gegeben hatte, war meine einzige Möglichkeit mich ihm zu stellen. Ich wusste, dass ich einen Fehler gemacht habe, aber diese Reaktion hätte ich ihm niemals zugetraut. Ich hoffte inständig, ich könnte das Schlimmste verhindern, wenn ich ihm persönlich gegenüberstand.

Die Self-Storage-Einrichtung befand sich, wo auch sonst, etwas außerhalb der Stadt. Auf dem Parkplatz zwischen zwei Industriehallen, stand ein Schiffscontainer, der als Anmeldung diente. Der grimmig auf seinen Computermonitor blickende Pförtner zischte ein „Ja bitte“ als ich den kleinen stickigen Raum betrat.

„Entschuldigung,“ stammelte ich und versuchte meine zittrige Stimme wieder zu beruhigen und meine Gedanken wieder zu fokussieren. „Entschuldigung. Ich habe hier seit Kurzem einen Lagerraum, habe aber dummerweise die Nummer vergessen. Könnten Sie bitte nachschauen unter dem Nachnamen Unger?“ Was nur, wenn Johannes einen falschen Namen verwendet hatte, um die Lagereinheit zu buchen?

Mit den beiden Zeigefingern tippte er wohl meinen Nachnamen in sein System und nachdem er mit dem Rechten besonders fest auf die Entertaste drückte warteten wir beide auf das Ergebnis. Als ich gerade anfing unruhig zu werden schnaubte er: „Diese neuartigen Systeme. In einem Register hätte ich das schneller gefunden. Ah, da haben wir’s ja. Eva Unger, sie haben die Lagereinheit 56. Gehen Sie in die kleine Halle und im Erdgeschoss befinden sich die Lagerräume.“

Ich bedankte mich und verschwand schnell. Draußen genehmigte ich mir einige tiefe Atemzüge, bevor ich mich auf den Weg zur kleineren der beiden Hallen machte. Hatte der Pförtner gerade „Eva Unger“ gesagt, meinen Vornamen hatte ich ihm doch gar nicht genannt? Wahrscheinlich habe ich mich nur verhört. Ich zog die schwere Eisentür auf und die Lichter in der Halle gingen an. Zu meiner linken befand sich ein langer Gang, von dem wieder weitere Gänge zu den Lagerräumen abgingen. Ich folgte dem Flur und hielt meinen Blick auf die Beschilderung gerichtet, die pro Gang zehn Lagerräume anzeigte. Tausende Gedanken gingen mir durch den Kopf und ich wusste immer noch nicht was mich erwarten würde. Je weiter ich durch die Gänge ging und je mehr Lichter vor mir angingen, desto mehr fühlte ich mich wie in einem Horrorfilm aus den Neunzigern. Nach einer gefühlten Ewigkeit sah ich endlich das Schild „Lager 50-59“ und ich blieb schwer atmend am Anfang des langen Flures stehen. Mit zittrigen Beinen, und so langsam kamen mir auch wieder Tränen, ging ich die Garagentore der Lagerräume entlang. Jetzt bereute ich es, dass ich mich nicht bewaffnet hatte. Mit einem großen Küchenmesser oder dem Radschlüssel aus meinem Auto hätte ich mich sicherer gefühlt. Tief in mir hoffte ich immer noch, dass das alles ein extrem dummer Scherz war und ich so etwas nicht brauchen werde. Endlich stand ich vor der Nummer 56. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Das Rolltor war heruntergezogen und das Schloss lag auf dem Boden. Ich versuchte angestrengt irgendetwas aus dem Inneren zu hören, doch außer Gemurmel konnte ich nichts verstehen. Als ich das Tor anheben wollte, drang ein markerschütternder Frauenschrei aus dem Inneren. Ohne weiter darüber nachzudenken riss ich den Griff nach oben und das helle Licht im inneren blendete mich für einen kurzen Augenblick. Ich blinzelte schnell und sobald sich meine Augen an die Umgebung gewöhnten, füllten sie sich abermals schlagartig Tränen. Inmitten des sonst leeren Raumes saß Katharina auf einem Stuhl. Die Hände waren hinter der Lehne und schienen dort verbunden zu sein und ihre Beine waren mit Kabelbindern fixiert, die offensichtlich zu eng waren, da sie ihr in die Haut schnitten.

„Oh Kathi!“, entfuhr es mir und ich stürmte auf Sie zu. Da sie mit einem Taschentuch geknebelt war, konnte sie mir nicht Antworten, ihre angsterfüllten Augen sagten aber bereits genug. Ich versuchte gerade den Knebel zu lockern als ich hörte, wie hinter mir das Tor zugezogen wurde und konnte gerade noch vor dem Rohr in Deckung gehen, dass über meinem Kopf hinwegsauste. Kathi schrie, was aber durch den Stoff in ihrem Mund nur gedämpft ankam.

„Warum tust du das?“, schrie ich weinend, während Johannes einen Gegenstand aus seiner Jackentasche kramte. Es war ein Etui, aus dem er eine Spritze zog, wie er sie in dem Video verwendet hatte, dass er mir geschickt hatte.

„Das Fragst du mich noch? Seit Monaten hintergehst du mich mit diesem Miststück?“, schrie er mir entgegen.

„Aber, wie kannst du nur?“, Ich deutete auf Katharina, um meine letzten Worte zu untermalen.

„Du glaubst mir gar nicht wie schlimm es für mich gewesen ist als ich herausgefunden hatte, dass du mich betrügst. Ich Idiot habe mich gewundert, dass die geschäftlichen Abendessen immer mehr wurden und bin dir eines Abends hinterhergefahren. Ich dachte, ich hau dem Typen eine auf die Fresse, wenn ihr rauskommt. Als ich dich dann aber mit dieser Frau sah und wie verliebt ihr euch angesehen habt, da dachte ich mir mit einem Schlag aufs Maul ist das nicht getan. Du hast unser ganzes Leben in die Tonne getreten und dafür sollst du büßen.“ Er stand jetzt nur noch etwa zwei Schritte von mir entfernt und ich befand mich in einer ausweglosen Situation. Meine letzte Chance war es, Johannes mit Worten zu bearbeiten.

„Johannes, Schatz, du glaubst gar nicht wie leid mir das alles tut. Ich habe so oft darüber nachgedacht dir davon zu erzählen. Aber wir waren so glücklich und ich glaubte das wollte ich nicht verlieren? Jetzt weiß ich, wie dumm das war. Du bist meine einzige große Liebe, Johannes. Das ist mir klargeworden und ich war dabei, das mit Katharina zu beenden, damit wir wieder zusammen sein können. Nur wir zwei!“, versuchte ich ihn zu besänftigen. Mit aller Kraft legte ich so viel Überzeugungskraft in diese Worte wie ich nur konnte, denn sie waren gelogen. Ich wollte nie wieder etwas mit diesem Monster zu tun haben und einfach nur meine Kathi wieder in den Armen halten.

Johannes Blicke zeigten mir, dass er meinen Worten auch keinen Glauben schenkte. „Du dreckige Lügnerin“, schmetterte er mir an den Kopf, „Wie kannst du es wagen mich jetzt auch noch so dreist anzulügen. Wir müssen ihn nur aus dem Weg schaffen, dann können wir für immer glücklich miteinander sein. Hieß es nicht so in eurem sonst so schlüpfrigen Chat?“

„Das war doch nur ein blöder Spruch, das war doch niemals so gemeint. Ich würde dir nie etwas antun“, ich brach wieder verzweifelt in Tränen aus und versuchte einen Schritt auf ihn zuzugehen, „Johannes, du musst mir glauben, ich wollte nicht, dass es so weit kommt.“ Auch er ging einen Schritt auf mich zu und ein Funken Hoffnung leuchtete in mir auf. Johannes öffnete seine Arme und ich lies mich, entgegen aller Intuition, hineinfallen. War das das Ende des Spukes? War es das, was er erreichen wollte? Doch bevor aus dem Funken ein Feuer werden konnte spürte ich einen Stich in meinen Oberarm. Meine Gliedmaßen erschlafften und es wurde schwarz um mich.

Ich wachte gefesselt wieder auf und schien nun selbst auf dem Stuhl zu sitzen, auf dem Katharina vorhin noch saß. Langsam kamen die schrecklichen Erinnerungen zurück, was alles geschehen war und ich versuchte mich von den Fesseln zu befreien. Doch bei dem Versuch schnitt ich mir damit nur immer tiefer in die Haut an den Handgelenken. Ich sah mich um und musste feststellen, dass ich allein war. Auch Kathi war verschwunden. Da es in dem Lagerraum keine Fenster, geschweige denn eine Uhr gab, wusste ich nicht wie lange ich weggetreten war. Es dauerte auch eine gefühlte Ewigkeit, in der ich versuchte, mich von dem Knebel zu befreien, bis ich von draußen Geräusche näherkommen hörte. Ich versuchte, so laut es mit dem Tuch in meinem Mund ging, auf mich Aufmerksam zu machen, doch es schien vergebens. Die Geräusche, die sich als Stimmen entpuppten, blieben vor dem Lagerraum stehen, in dem ich mich befand. Ich konnte aber nichts verstehen. Kurze Zeit später wurde das Tor aufgezogen und Johannes trat hinein, zu meiner Überraschung folgte ihm Katharina. Vollkommen putzmunter.

Die beiden sahen meinen verdutzten Blick und Katharina sagte plötzlich übertrieben fürsorglich: „Na mein Schatz, gut geschlafen?“

Kurz hatte ich die naive Hoffnung jetzt kommt die Auflösung eines katastrophal schief gegangen Scherzes, aber ich hatte den Glauben an ein Happy End aufgegeben.

„Du fragst dich sicherlich was hier los ist“, begann Johannes von oben herab zu reden. Ich versuchte ihm zu antworten, doch durch das Stofftuch kam nur ein dumpfes Gemurmel heraus. Mein trockener Hals machte mir das Reden sowieso nicht einfach.

„Liebling, vielleicht sollten wir das Ganze auflösen“, sagte Katharina. Zu meiner Ernüchterung nicht zu mir, sondern zu Johannes, der ihr eine Hand auf die Schulter legte. Zum letzten Mal an diesem Tag kamen mir die Tränen.

Er antwortete trocken: „Leg los.“

„Ach Eva, es tut mir wirklich leid. Johannes und ich haben seit einem Jahr eine Affäre. Wir haben uns in einer Bar kennen gelernt“, erzählte Katharina. Dabei sah sie Johannes mit einem verliebten Lächeln an, „Er war damals ja so traurig, weil seine Ehe nicht mehr so lief, wie früher und ich hatte mich von seinem Charme und seinen wunderschönen Grübchen, wenn er lacht, um den Finger wickeln lassen.“

Ich schrie sie an, was für eine hinterlistige Schlange sie wäre, aber das konnte sie natürlich nicht verstehen. Die beiden ließen sich auch von meinen Einwürfen nicht stören. Daher gab ich es auf und hörte mit hängendem Kopf zu, was sie zu erzählen hatten.

Johannes fuhr fort: „Wir hatten uns überlegt, wie wir es schaffen könnten dich loszuwerden, ohne dass wir dabei verdächtigt werden. Vor einem halben Jahr kam dann endlich eine Möglichkeit und wir schlugen zu. Kathas wurde von deiner Chefin beauftragt, ihr als Consultant zur Verfügung zu stehen. Wir haben beide nicht gedacht, dass du dich ihren Einladungen und all dem so einfach hingeben würdest, aber wir hatten wohl das Glück auf unserer Seite. Irgendwie hatte ich deine Anziehung zu beiden Geschlechtern auch immer schon im Gefühl. Ruckzuck wurdet ihr ein Paar,“ dabei lachte Johannes, „und du hast dich Katharina komplett an den Hals geschmissen. Wir hatten ein leichtes Spiel mit dir. Ich war natürlich empört, als ich dann hörte, wie einfach du mich betrügen konntest, das hatte ich dir vorhin ja schon an den Kopf geworfen. Doch dann kam Katharina mit diesem wunderbaren Plan.“

Den Kopf immer noch gesenkt versuchte ich erneut mich zu befreien, aber es hatte keinen Wert. Katharina, die Person, die ich für die Liebe meines Lebens gehalten hatte, hat mir unsere wundervolle Beziehung nur vorgespielt.

 „Ich hatte die Idee, wie wir aus dieser Sache als Gewinner rausgehen würden, auch wenn das hieß, dass wir dich total zerstören mussten. Eigentlich wollten wir dich soweit treiben, dass du dich selbst umbringst, aber im Endeffekt musste es nur so aussehen“, sagte Katharina mit einem verschwörerischen Lächeln im Gesicht. Ein Gesicht, dass mir auf einmal nicht mehr vertraut, sondern komplett fremd war.

Johannes kam auf mich zu und nahm mir den Knebel ab. Jetzt wo ich endlich wieder richtig Luft bekam und meinen Kiefer ordentlich bewegen konnte, fing ich an wie am Spieß zu schreien.

„Das bringt nichts Eva, die haben hier schon geschlossen, keiner kann dich hören“, sagte Johannes genervt.

„Was soll das? Was habt ihr jetzt mit mir vor?“, schrie ich die beiden an.

„Die Frage ist wohl eher, was du jetzt vorhast“, erwiderte Katharina vergnügt.

Johannes stemmte mich hoch und erst jetzt fiel mir das Seil auf, welches über dem Stuhl hing. Trotz meiner Versuche mich zu wehren schafften es die beiden mich auf den Stuhl zu stellen und gemeinsam steckten sie meinen Kopf durch die dafür vorgesehene Schlinge.

„Du warst so traurig, als du von der Affäre deiner besten Freundin und deines Mannes erfahren hast. Dein neuer Laptop ist voller Bilder von uns beiden, bei Dates oder im Bett. Die musst du alle aufgehoben haben, um uns damit zu konfrontieren. Aber als du dann noch diesen schrecklichen Unfall mit deinem neuen Wagen hattest, bei dem die arme Frau ums Leben kam und du Fahrerflucht begangen hattest, konntest du einfach nicht mehr mit dir und dieser Last leben. Alles schien sich gegen dich gerichtet zu haben. Du hast dir also mit deinem zweiten Bankkonto diesen Lagerraum gemietet, um dein Leben ein für alle Mal zu beenden.“, zitierte Katharina einstudiert vor sich hin, während Johannes mir die Fesseln abnahm und anschließend den Stuhl umtrat, auf dem ich stand.

In meinem ersten Reflex versuchte ich mich vergeblich aus der Schlinge zu befreien, doch die hatte sich fest um meinen Hals gezogen. Ich gab mich geschlagen meinem Schicksal hin und realisierte was Katharina da gerade erzählt hatte.

Johannes und Katharina sahen mir noch kurz zu und dann gingen sie zum Tor hinaus. Kathi winkte mir mit ihrer verbundenen Hand noch ein letztes Mal zu. „Das hat Spaß gemacht, lass uns das noch einmal machen“, sagte sie bevor sie das Rolltor schlossen und es ein letztes Mal schwarz um mich wurde.

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