v4n1LeChaos

Langsam und lautlos gleitet der Sarg hinab in die Tiefe. Es haben sich alle versammelt: Mutter, Vater, Geschwister, Tanten, Onkel, Cousins, Cousinen. Von nah und fern sind sie alle her gefahren um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Eine schwarz vermummte Gestalt sitzt auf dem Dach der Kapelle, wird von niemandem wahrgenommen. Er hat sich einen wunderschönen Tag ausgesucht um zu sterben.

 

*ein paar Stunden zuvor*

 

Es regnet in Strömen, kaum zu glauben, dass der Wetterbericht gestern für heute einen schönen Tag vorausgesagt hat und eigentlich will niemand bei diesem Wetter vor die Tür, doch Leo steht an diesem Morgen auf, zieht sich an, schnappt sich die Leine und leint den aufgedrehten, vor Freude tänzelnden Chaos wie jeden Morgen an. Sie gehen ihre übliche Route durch den Park, am See vorbei und durch ein kleines Waldstück, wo er Chaos frei laufen lässt. Sein Hund verschwindet im Dickicht und kommt kurze Zeit später mit einer baumelnden Kamera in seinem Maul wieder. Er packt die Kamera exakt vor die Füße seines Freundes. Leo hebt die Kamera auf und schaltet sie an. Ein wenig desinteressiert macht er ein paar Fotos, schaut sich daraufhin die Fotos an und stockt. Beunruhigt schaut er sich um, sieht aber niemanden. In Windeseile leint er Chaos wieder an und die beiden rennen nach Hause. Dort angekommen schließt er die Kamera an seinem Laptop an. Im Großformat sieht er nun genauer was ihn eben so beunruhigt hat. Auf dem Bildschirm direkt vor ihm, von einer fremden Kamera, sieht er Fotos von sich selbst in der alten Heimat, beim Gassi gehen oder im neuen Haus. Nach dem Vorfall hatte er den Kontakt zu allen weitestgehend so zurück gestellt, dass er sie höchstens einmal im Jahr sieht. „Scheiße!“, fluchte er und Chaos schaute ihn mit schrägem Kopf an. Leo wusste ganz genau wer diese Fotos geschossen hat und vor allem wusste er am allerbesten was er jetzt tun musste. Er hatte sich geschworen diesen Schritt zu gehen um nicht erpresst zu werden oder seine Familie in Gefahr zu bringen. „Also wieder alles von vorne, hoffen wir dass es das letzte Mal sein wird!“, raunte er seinem Hund zu, kraulte ihm hinter dem Ohr und rannte dann hoch in sein Schlafzimmer. Innerhalb von nicht mal zehn Minuten waren die Koffer gepackt und Chaos‘ Sachen hatten ebenfalls einen Platz in einem der Koffer gefunden. Er warf die Kisten und Koffer in seinen Transporter. Chaos hüpfte auf den Beifahrersitz. Leo ging im Kopf immer wieder seinen Plan durch. Er stand vor seinem leeren Kleiderschrank und ging dann noch einmal gründlich durch jedes einzelne Zimmer seines Mietshauses. Er schloss die Tür hinter sich, warf den Schlüssel in den Briefkasten und flüchtete sich vor dem kalten Nass auf den Fahrersitz. Mit einem letzten Blick auf sein mittlerweile altes zuhause gab er Vollgas. Das erste Ziel war seine Bank, wo er all sein Geld abholte. Hat schon Vorteile sich wichtige Menschen raus zu suchen, die einem noch etwas schuldig sind ohne Papierkrieg und ohne Fragen. Einen Teil davon packte er in eine leere Tasche und fuhr als nächstes zu seinem einzigen Verbündeten. In einem Hinterzimmer eines Zoofachgeschäfts empfing Felix ihn mit offenen Armen: „Alex, schön dich hier zu sehen!“ – „Du weißt, dass du diesen Namen nicht mehr benutzen darfst!“, knurrte Leo und Felix lachte nur: „Sei unbesorgt du weißt wie ich zu Menschen stehe, die einzigen Wachhunde hier sind aus Porzellan! Hier wird uns niemand weiter hören, dafür habe ich schon gesorgt. Denn nur ein glücklicher Kunde ist ein guter Kunde!“ Mit einem Augenrollen lässt sich Leo in den Sessel plumpsen. Kommentarlos übergibt er ihm die Tasche mit dem Geld. Noch bevor Felix etwas dazu sagen konnte, sprudelte Leo schon los: „Er hat mich gefunden! Auch nach einem Umzug über mehrere Kontinente hat er mich gefunden. Du bist der einzige der von meinem allerletzten Plan weiß. Das Geld in der Tasche ist für meine Familie. Hier, in dem Brief steht was für eine Beerdigung ich haben will.“ Ohne hinein zu schauen lässt Felix die Tasche auf seiner Seite auf den Boden fallen und nimmt den kleinen Briefumschlag mit einem kurzen Nicken entgegen. „Das hier ist dein Teil! Das du mir ja nicht auf falsche Gedanken kommst!“, zwinkerte er Felix zu und warf ihm ein Geldbündel zu. Felix grinste schief und steckte das Bündel in die Brusttasche seines Hemdes. Leo fuhr fort: „Ich habe meine Sachen gepackt und werde als nächstes zu deinen Containern fahren. Du meintest ja einer davon hat noch Platz. Meine Maschine muss für diesen Plan her halten…. Naja was soll’s. Kommen wir zu deinen Aufgaben: Du musst den Bestatter bestechen einen leeren Sarg einzubuddeln. Dein Polizeikumpel muss dasselbe sagen wie du! Du weißt was ich damit meine!“ Wieder nickte Felix kurz und deutete auf Chaos. „Er muss bei dir bleiben, bis alles fertig ist!“ Mit einer Geste schickte Leo seinen Hund an die Seite von Felix. Leo steht auf. „Bei dir ist alles klar? Ich hole Chaos ab, sobald der Sarg unter der Erde ist.“ Er schaut Felix mit fester Miene an. „Ich brauche danach noch ein letztes Mal einen neuen Namen.“ Dann dreht er sich um und geht ohne seinen Hund aus dem Zimmer und aus dem Geschäft. An seinem Wagen wird er abgefangen. „Wen haben wir denn da?“, fragt ein dicker Typ mit Glatze und Sonnenbrille im Gesicht. Den Mund ziert eine tiefe dunkle Narbe. Erschrocken schlägt Leo zu, trifft und der Dicke geht zu Boden. Schnell setzt er sich in den Wagen, startet und düst davon. In einem Hafen lädt er in einem der vielen Schiffscontainer seine Sachen ab, bevor er mit dem Wagen wieder losfährt. Jetzt provoziert er denjenigen, der vorhin seinen dicken Wachhund auf ihn gehetzt hat. „Zeig dich! Wo stecken deine Männer?“, murmelt Leo und fährt ganz langsam an den ganzen Gassen vorbei. Ein Auto rast plötzlich mit quietschenden Rädern aus einer Toreinfahrt. Leo schaut in den Rückspiegel, grinst und drückt das Gaspedal voll durch. Die beiden Fahrzeuge rasen durch die Stadt. Vorbei an Zivil- und Streifenwagen. Alle nehmen die Verfolgung auf. Der Wagen hinter ihm wird erst verschwinden, wenn er eine Kugel zwischen den Augen hat, soviel steht fest. In einem Tunnel nimmt er seine Abkürzung und kann sie für den perfekten Moment abschütteln. Er fährt unter eine Brücke und zieht seine KTM von der Pritsche seines Transporters. Dann setzt er den Helm auf, zieht seine Handschuhe an, schnappt sich die Benzinkanister die neben der Maschine auf der Pritsche standen und entleert sie überall im und am Transporter. Er setzt sich auf seine Enduro und schmeißt sein brennendes Zippo hinter sich. Im Spiegel sieht er das Blaulicht hinter den tanzenden Flammen des Transporters. Er dreht den Gashahn komplett durch und rast zurück auf die Straße. Mit einer Straßensperre versuchten sie ihn zu stoppen, doch er flüchtete fernab der Straße in den Wald. Schüsse umgeben ihn, er muss seinen Plan etwas abändern. Wie gerufen kam ihm da die Selbstmordbrücke in den Sinn. Seine Maschine ist schneller als die Autos das wusste er nur allzu gut. Er beschleunigte und hat sich somit ein Zeitfenster von zwanzig Minuten erspielt. Er gibt Gas und fährt frontal auf einen Stapel mit geschnittenem Holz drauf zu. Kurz vor dem Aufprall springt er ab und landet im Gras. Er steht direkt am Ufer unter der Selbstmordbrücke. Wie auf Bestellung sieht er eine Leiche, die erst seit kurzem hier liegen musste. So schnell wie möglich zieht er sich selbst und der Leiche die Sachen aus und tauschte sie. Er legte die Leiche so in Szene, dass es aussah als hätte er die Kontrolle über seine Maschine verloren und so wie er die Leiche dahin legte konnte selbst ein Laie erkennen, dass da kein Leben mehr vorhanden ist. Er versteckte sich hinter einem Brückenpfeiler und als er sich sicher sein konnte, dass die alle denken er sei tot, verschwand er lautlos. Bevor die Polizei auch hier aufkreuzte verließen die Wachhunde den Platz. Etwas später in den Medien sieht er die Verfolgung, erst mit dem Transporter, dann mit dem Motorrad. Der Beitrag endet mit einem Reporter, der vor dem Schrotthaufen steht, die Decke über der Leiche ist kurz zu sehen und ganz zum Schluss zeigt die Kamera ohne den Reporter die Überreste des Unfalls. Die Insassen des Wagens wurden nach einer Ewigkeit dingfest gemacht und damit der gesamte Ring zerschlagen. Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, kletterte er auf das Dach der Kapelle und schaute zu, wie sein leerer Sarg ins Grab hinab gleiten ließen. Felix stand etwas abseits der Menge, wie abgesprochen hatte er Chaos nicht dabei.

Chaos, der Hund mit der goldenen Nase, der Hund, der auf einem Spaziergang den richtigen Riecher hatte. Der zusammen mit Leo einem riesigen Verbrecher Netzwerk auf die Schliche gekommen ist. Leo ist seinem Hund gefolgt und sie landeten in einer vermeintlichen Garage, vollgestopft mit Plänen und Bildern. Als ein menschlicher Wachhund die beiden erwischte fing er sich eine Kugel ein. Als die beiden weiter forschten kamen sie zu einer wunderschönen Frau und einem kleinen Kind. Die Frau stürzte sich auf Leo und beim Gerangel auf dem Boden, kam einer der beiden an den Drehknopf, der das Gas für den Kamin lieferte. Nach einem Schuss aus ihrer Waffe stand die gesamte Wohnung in Flammen. Ein Balken fiel herunter und versperrte den Weg zwischen der Frau, dem Baby und dem Ausgang. Leo konnte nichts mehr tun und verschwand. Dass er die Familie des Ring-Bosses getötet hatte wusste er erst, als die ersten Drohbriefe in seinem Briefkasten landeten. Jetzt saß er also quasi auf seiner eigenen Beerdigung. Die Traube löste sich langsam auf und ging zum Leichenschmaus über. Felix blieb wo er war und als Leo sicher sein konnte, dass niemand mehr hier ist kletterte er herunter und stellte sich neben Felix. Jetzt war es an Felix zu reden. Mit seiner sehr tiefen, rauen Stimme begann er zu erzählen: „Die Polizei fand verbrannte Tierknochen im Transporter. Die Leiche, die neben deiner Maschine lag, erhielt eine angemessene Bestattung im Kreise der eigenen Familie. Deine Leiche habe ich identifiziert, sie sah so lädiert aus, das konnten wir den anderen nicht zumuten, sie verabschiedeten sich vor einem verschlossenen Sarg. Das Kennzeichen wurde geortet und sie haben den gesamten Kinderhandel-Ring zerschlagen. Hier, deine neue Identität, Jason Dryagan.“, sagt er und übergibt ihm einen Reisepass mit Geburtsurkunde und Personalausweis. Gemeinsam gehen sie zu dem alten Ford Mustang von Felix, wo Chaos geduldig auf die beiden wartet. Die beiden steigen ein und Leo, Verzeihung Jason, begrüßt seinen besten Freund. „Der Boss hat sich im Knast das Leben genommen. Er hätte sowieso nur noch drei Monate gehabt. Er wollte dich erst tot sehen, bevor es Zeit ist.“, raunt ihm Felix zu. Er fährt Jason zu dem Hafen und gibt seine Container nach Übersee frei. Keiner hat etwas mitbekommen, Jason und Chaos bauen sich fern der Heimat und fern der Familie ein komplett neues Leben auf. Am nächsten Morgen geht es los. Das neue große Abenteuer beginnt.

Schreibe einen Kommentar