alicia.huelsMonopoly

Das ganze Leben ist ein Spiel und ich gewinne.

Eine Partie Monopoly.

Wem zuerst die Mittel ausgehen, der verliert. Wer jedoch Häuser verkauft und Geld anhäuft, der geht als Sieger hervor.

Eine simple Idee von Charles Darrow, der diese seinerzeit Elizabeth Magie stahl und seit 1943 erfolgreich war.

Ein breites Grinsen legte sich auf meine Lippen, während ich die Bettdecke weiter nach oben zog.

Ich gewann…

12:30 Uhr – noch 79 Stunden

 

Wenn ich mich im Spiegel ansah war ich zufrieden mit der Person, die mich anblickte. Ein hochgewachsener Mann in seinen 30ern, braunes volles Haar in einem modernen Haarschnitt, blaue Augen aus denen der Ehrgeiz sprach und eine sportliche Statur, gekleidet in die feinsten Stoffe der Berliner Modewelt.

Ich verkörperte beinahe schon klischeehaft genau das Bild „Immobilienmakler“. Es zählte eben nicht nur das fachliche Know-How, sondern auch eine gewisse Ausstrahlung.

In meinem Fall strahlte jede Pore Erfolg aus. Wissen. Macht.

Kontrolle.

Das Handy zwischen mein linkes Ohr und die linke Schulter geklemmt betrachtete ich mich weiter eingehend in dem Spiegel meiner Schrankwand.

„Frau Holtermann, das Haus liegt zentral und verkehrsgünstig direkt am Puls der Stadt. Sie können mir glauben, es entspricht ihren Vorstellungen durch und durch.“

Während ich den einstudierten Text herunterleierte, wie damals, als ich Argumente für Diskussionen auswendig gelernt hatte, um die Enttäuschung meiner Mutter ertragbar zu machen, sah ich mich weiter von oben bis unten an. Es mangelte der Witwe eines der erfolgreichsten Aktiengesellschaftern weder an Geld noch an dem nötigen Verhandlungsgeschick, nur der fehlende Entscheidungswille zeichnete sich als ihre Achillesferse aus.

Doch ich wäre nicht Alexander Kreuzfeld, wenn ich nicht auch ihr zu dem lang ersehnten Wohnglück würde verhelfen können, bildete ich mir doch ein selbst einen Nomaden in Berlin sesshaft werden lassen zu können.

17:20 Uhr – noch 72 Stunden und 10 Minuten

Die Unsicherheit der alten Frau hatte mir heute bei dem Besichtigungstermin deutlich in die Karten gespielt und das Verkaufen noch leichter gemacht als ohnehin schon.

Die Aktentasche in der linken Hand, die Tageszeitung in der rechten trat ich durch die Eingangstür hinein und stieß sie hinter mir mit dem Fuß zu, den Blick fest auf die Neuigkeiten des Tages gerichtet.

Flucht aus Justizvollzugsanstalt Plötzensee – „Wir stehen vor einem großen Rätsel“, so JVA Beamter Riegel.

Ohne mir den – die Seite ausfüllenden – Artikel weiter durchzulesen legte ich die Zeitung zusammen mit meiner Aktentasche im Flur ab und schritt weiter durch das große Foyer mit seinen weißen Marmorfliesen, wobei jeder meiner Schritte einen kleinen Hall von sich gab.

‚Bloß raus aus dem Anzug‘, war der Gedanke, der mich direkt ins Schlafzimmer gehen ließ, anstatt wie üblich zuerst zu inspizieren, was Anna oder Anja, oder wie auch immer unsere Haushaltshilfe nochmal hieß, mir gekocht hatte.

„Notiz an mich selbst: Haushaltshilfe feuern.“, stellte ich ernüchternd klar, als mein Blick durch den Raum schweifte. Das ausladende Schlafzimmer mit seinen zwei Rundbogenfenstern, die einen wunderbaren Blick auf den Park gewährten, befand sich noch in dem gleichen Zustand wie heute Morgen.

Wieder einmal konnte ich nur den Kopf schütteln und die negierende Haltung unserer Haushaltshilfe mit einem Schnaufen quittieren, die es einfach nicht einsah sich auch um die Dinge zu kümmern, die neben Putzen anstanden, denn drei weitere Varianten des Anzugs, der sich gerade an meine Haut schmiegte, hellgrau, schwarz und dunkelblau, lagen noch immer auf dem Bett verteilt.

„Da bist du ja.“, meine Verlobte kam aus ihrem begehbaren Kleiderschrank, und steckte das Handy in ihre Handtasche. „Ich gehe dann jetzt. Und ich will, dass du endlich diesen dämlichen Gärtner anrufst!“, fauchte sie und verließ den Raum.

Ohne ihr zu antworten griff mir den ersten der drei Anzüge, die es nicht geschafft hatten, mein Outfit des Tages zu werden, öffnete den Spiegelschrank und hing ihn zurück.

Wofür ließ man seine Anzüge denn in die Reinigung bringen, wenn sie dann den ganzen Tag auf dem Bett fristeten und sich Falten zuzogen wie eine eintrocknende Weintraube?

Gerade als ich auch den zweiten und dritten Anzug greifen wollte bleiben meine Augen an etwas anderem hängen.
Wenn auch alles andere genauso war, wie ich es heute Morgen zurückgelassen hatte, so hatte sich der Inhalt meiner Schublade doch geändert.

Wo sonst immer meine Uhr lag befand sich nun ein Smartphone. Schwarz, unauffällig und nicht meins.

„Was zum-“, begann ich und schüttelte verwirrt den Kopf. Jetzt legte Anja, Anna, oder wie auch immer, ihr Handy auch noch in meine Schublade? Was als nächstes? Ihre Hausschuhe in meinem Badezimmer?

Genervt griff ich das Mobiltelefon und wollte es direkt in den Flur legen, als der Bildschirm auf einmal aufleuchtete, da ich es aus Versehen zum Leben erweckte.

Als würde mich eine fremde Kraft steuern strich ich über den Bildschirm, der nichts weiter zeigte als einen der unzähligen Galaxy Themes Hintergründe. Keinerlei persönliche Note.

Das Handy ließ sich entsperren, zeigte mir jedoch nicht wie erwartet das Menü, sondern direkt einen Countdown.

72 Stunden. 3 Tage genau.

Langsam ließ ich mich aufs Bett sinken, welches unter meinem Gewicht nachgab, und starrte einige Sekunden einfach nur auf das Display. Ein unheilvolles Gefühl breitete sich in mir aus, zusammen mit dem Gedanken, dass das hier nicht das Handy meiner Haushaltshilfe war.

71:58:00

Wo das gesamte Haus bis zu diesem Zeitpunkt in kompletter Stille gelegen hatte drang jetzt eine unbekannte Stimme zu mir ins Schlafzimmer. Lauter und immer lauter, bis ich jedes einzelne Wort verstehen konnte. Erschrocken fuhr ich zusammen, augenblicklich schlug mir das Herz bis zum Hals, ließ das Atmen schwer werden.

Erst nach einigen Sekunden wurde mir klar, dass es der Fernseher war, der mich in eine solche Schockstarre gebracht hatte. Wollte diese Geldvernichtungsmaschine, die ich meine Freundin nannte, nicht schon längst wieder weg sein?

Erst 2018 hatte die JVA Plötzensee mit mehreren Ausbrüchen von Strafgefangenen aus dem Gefängnis umgehen müssen. Damals waren innerhalb von fünf Tagen neun Häftlinge entwichen.“

Der Stimme der Reporterin folgend, die anscheinend aus dem Fernseher im Wohnzimmer kam, steuerte ich auf die Couch zu und setzte mich auf die Kante, konnte den Blick jedoch keine Sekunde vom Bildschirm nehmen.

„Jessica?! Hast du den Fernseher angemacht?“, rief ich hinter mich, auch wenn ich eigentlich schon wusste, dass sie längst auf dem Weg zum nächsten überteuerten Schuh- oder Taschengeschäft war., um meine Kreditkarte nach Gnade winseln zu lassen.

Gegen 13 Uhr gelang es einem Häftling über die Mauern der Vollzugsanstalt zu flüchten. Zurzeit sind sämtliche Überwachungskanzeln der Haftanstalt nicht besetzt, weswegen die Flucht des Mitte 30jährigen nicht schnell genug gesehen und somit verhindert werden konnte. Nach dem jetzigen Stand der JVA Beamten hatte Kreuzfeld bei seiner Flucht keinen Komplizen.“

Die Stimme der Moderatorin war monoton und frei jeglicher Emotion, die ihre Berichterstattung wertend erscheinen lassen würde, dennoch sorgte sie dafür, dass mir das Blut in den Adern gefror. Ein Kribbeln setzte in meinen Händen ein und schoss mir durch den gesamten Körper, ließ mich in Unglauben und Schock zurück, als ich mir das Fahndungsfoto ansah.
Denn mein eigenes Gesicht blickte mich durch den Bildschirm an…

2 Jahre zuvor; JVA Plötzensee

„Ihr habt den Falschen!“, meine Stimme war kratzig vom Schreien, doch keiner meiner Rufe traf auf offene Ohren. Sie schallten lediglich durch das kalte Gemäuer der Justizvollzugsanstalt und verhallten irgendwo.

Ich war es nicht gewohnt, dass mir niemand zuhörte. Das war so nicht richtig.

„Ihr habt den Falschen! Ich bin unschuldig!“, meine Stimme zitterte und mit jedem weiteren Schritt hinein in das Labyrinth des Betonbaus mussten mich die beiden Beamten an meinen Seiten weiter mit sich ziehen. Bestimmend zogen sie mich weiter, auch wenn ich inzwischen die Füße schleifen ließ und hektisch nach hinten schaute auf der vergebenen Suche nach irgendjemandem, der mich vor diesem Schicksal würde bewahren können.

„Ich habe ihn nicht umgebracht!“

Die Stimme, die meiner Kehle entkam, klang nicht mehr wie meine. Sie wurde zu viel strapaziert, als dass man sie noch als meine hätte ausmachen können.

„Ich bin unschuldig!“

Immer wieder sah ich ihn vor mir, den Menschen, der mir schon seit Jahren meinen Platz als erfolgreichster Immobilienmakler in Berlin versucht streitig zu machen.

Lukas Eberich. Zurückgelassen in einem verlassenen Haus, gekettet an die Zentralheizung.
Ich konnte es beinahe spüren, sein warmes Blut auf meinen Händen, sein rasender Puls, während ich ihm gnadenlos die Kehle zudrückte und ihm mit jeder Sekunde weiter die Luft abschnürte.

Nur, dass ich es nicht war. Dass es nicht meine Hände waren, die ihm das Leben nahmen.

Dennoch ließ mich das Gefühl nicht los, wie es sich anfühlte jemanden umzubringen.

17:40 Uhr – noch 71 Stunden und 50 Minuten

„In seiner Zelle hinterließ der Inhaftierte die Nachricht ‚72 Stunden, dann wirst du es mir freiwillig zurückgeben.‘ und stellt die Beamten damit vor ein Rätsel.“

So groß die Verwunderung der Polizisten über diese Worte sein mochte, so wurden sie mir immer klarer und klarer. Wie ferngesteuert schaltete ich den Fernseher aus, konnte mich jedoch nicht von dem schwarzen Bildschirm lösen, mir schmerzhaft bewusst, dass meine Zeit tickte, dass ich etwas tun musste, mir einen Plan zurechtlegen.

22:17 Uhr – noch 66 Stunden und 13 Minuten

Seit Stunden saß ich tief gebeugt über Ausschnitten von Zeitschriften, Bildern aus Kindertagen, sowie Ausdrucken der Schulwebsite. Las Berichte über Auszeichnungen, Medaillen, Stipendium, Beförderung, sah daneben trostlose Augen, schreckliche Zeugnisse und blaue Briefe. Auf der einen Seite Erfolg und Ruhm, auf der anderen Versagen und Missachtung. Zwei Leben. Und keins davon war meins.

Flashback

 

„Sieh dir das an, herausragende Leistungen in sämtlichen Bereichen, außerschulisches Engagement.“
Ihre Stimme ist schneidend wie die Klinge eines Messers, welches sie mir mit jedem Wort weiter in den Brustkorb drückt.

„Schulsprecher, Jahrgangsbester.“
Mit jedem Wort, mit jeder Silbe sorgt meine Mutter dafür, dass der Hass in mir wächst, der Wunsch nach Anerkennung, der tiefsitzende Groll.

„Ich glaube wir haben uns damals das falsche Kind ausgesucht. Wieso kannst du nicht mehr wie dein Bruder sein?“

Jedes Wort. Beißend. Schneidend. Zerreißend und verletzend.

 

22:30 Uhr – noch 66 Stunden

 

Nein, ich bin nicht der Junge auf diesen Fotos. Schon lange nicht mehr, doch mit jeder verstreichenden Minute weiß ich, dass er sich auf den Weg hierhin macht, dass er mir nehmen wird, was mir gehört. Was ich mir erarbeitet und verdient habe.

Unzufrieden schlug ich die Alben wieder zu und starrte auf den Countdown. An Schlaf war in dieser Nacht nicht zu denken…

16:30 Uhr – noch 49 Stunden

 

Mit zitternden Fingern steckte ich den Schlüssel ins Schloss, öffnete die Tür und schob mich durch den Spalt, bevor ich sie schnell wieder hinter mir schloss. Die Arbeit war heute lang und Nerven strapazierend gewesen.

Anders als gestern achtete ich heute besonders darauf, wo die Kommode stand, wo die Wanduhr ihren Platz hatte, achtete darauf, dass noch alles an seinem Platz war.

Ein erleichtertes Seufzen verließ meine Kehle jedoch den Bruchteil einer Sekunde zu früh, als ich meinen Mantel an den leeren Haken, neben dem meiner Verlobten hängte.

Ihre Jacke war nicht mehr da.

Wie ich kurz darauf feststellen musste fehlten auch ihre Schuhe, die sonst stets ordentlich aufgereiht unter der Garderobe zu finden waren.

Schweiß trat mir aus jeder Pore, meine Augen huschten hin und her, ihre Kissen fehlten im Wohnzimmer, auf unserem gemeinsamen Bett lag nur eine Decke und auch nur ein Kissen, am Waschbecken eine Zahnbürste.

Ich habe eine Verlobte, eine Verlobte, eine Verlobte, eine Verlobte, wiederholte ich immer wieder, während ich manisch nach Beweisen für ihre Existenz suchte. Das war alles nur ein schlechter Scherz.

Flashback

 

Akribisch ordne ich die Zeitungsartikel und hefte sie ab, während im Hintergrund ein Bericht über die Schülersprechertagung des Ignatius-Gymnasiums läuft.

„Alexander Kreuzfeld.“, lasse ich den Namen über meine Lippen gleiten. Immer und immer wieder, bis es mir natürlich vorkommt.

 

00:40 Uhr – noch 40 Stunden und 50 Minuten

 

Er hatte sie weggeschickt. So wird es sein. Seit Stunden lag ich im Bett und schaltete die Nachttischlampe immer wieder ein, um mich zu vergewissern, dass alles noch an seinem Platz war.

Ich hatte eine Verlobte.

Lampe aus.

Ich wohnte in einem der nobelsten Viertel Berlins.
Lampe ein.

8:00 Uhr – noch und 33 Stunden und 30 Minuten

„Guten Morgen Trudy. Bitte sagen Sie meine Termine für heute ab.“
Die Haare standen mir dank der durchzechten Nacht wirr vom Kopf und hinter meiner Schläfe pochte es stärker mit jedem Wort, dass meine Lippen verließ.

„Entschuldigen Sie, mit wem spreche ich?“, fragte meine Sekretärin ernst.

Die nächsten Worte blieben mir im Hals stecken. Die Frau, die seit Jahren für mich arbeitete, fragte nach meinem Namen.

Trudy Berghoff. Sekretärin. Meine Sekretärin. Ich war Immobilienmakler. Ich hatte eine Sekretärin, die meine Termine koordinierte.

„Alexander Kreuzfeld, Trudy.“

„Nein, tut mir leid, Sie haben sich sicher verwählt.“

Ein Knicken ging durch die Leitung, dann war die Stimme am anderen Ende verschwunden. Gedankenfetzen rasten im Sekundentakt durch meinen Kopf, während ich meine Hände in den Haaren vergrub.

Ich war Alexander Kreuzfeld. Erfolgreicher Immobilienmakler. Verlobt. Ich hatte eine Sekretärin. Wie um den Gedanken tief in meinem Inneren zu verankern zog ich mir kräftig an den Haaren, riss Büschel des braunen Haars aus meiner Kopfhaut. Ich bin Alexander Kreuzfeld.

Flashback

Alles an ihm spiegelt ein Selbstvertrauen wider, das beneidenswert ist. Wie er dem jungen Ehepaar die Wohnung direkt meiner Gegenüber schmackhaft macht. Offene Gesten, ein verführerisches Lächeln. Und das obwohl er genau weiß, dass der ganze Wohnblock kurz vor dem Abriss stand.

„Sie werden hier mit Sicherheit glücklich werden.“, verspricht er, seine Mundwinkel heben sich noch weiter, der Kopf in leichter Schräglage, die Brust geschwellt wie ein stolzer Löwe, der seine Beute soeben erlegt hat.

„Sie werden hier mit Sicherheit glücklich werden.“, wiederhole ich die Worte vor meinem Spiegel immer und immer wieder, bis meine Haltung stillt und meine Stimme heiser wird.

 

14:30 Uhr – noch 27 Stunden

 

Mit jeder Minute scheint mir mein Haus fremder zu werden. Immer und immer wieder werfe ich einen Blick auf den Timer, der weiterhin unaufhaltsam die Zeit abzählt. Noch 27 Stunden. Ich fühle mich gelähmt. Machtlos.

Besaß ich nicht mal Silberbesteck?
Stand hier nicht einmal ein Fernseher?

War die rechte Seite des Schrankes nicht meine gewesen, hatten dort nicht Anzüge gehangen?

20 Paar Schuhe.

18. 19. 20. Alle noch da.

20 Paar.

18. 19. 20, zählte ich sie immer wieder.

Flashback

„Lukas Eberich.“

Den zweiten strammen Knoten an seinen Handgelenken quittiert der Familienvater mit einem Stöhnen. Zusammengesunken lehnt er an den Heizkörper hinter sich. „Nur einer kann das Spiel gewinnen und ich werde nicht zulassen, dass du das bist.“

Noch immer rinnt ihm das Blut seiner Platzwunde über die Schläfe.

„Wenn man Erfolg haben möchte muss man die Konkurrenz aus dem Weg räumen.“, höre ich meine eigene Stimme wie die Verse eines Gebets, während sich meine Hände um den dürren Hals meines Wettstreiters legen. Die Konkurrenz aus dem Weg schaffen. Zuerst ihn und dann meinen Zwillingsbruder.

 

22 Uhr – noch 19 Stunden und 30 Minuten

 

Mit welchem Recht nahm er sich das alles? Alles was ich mir aufgebaut hatte. Wer bin ich, wenn ich diese Statussymbole nicht mehr habe, wenn sie eines nach dem anderen um mich herum verschwinden, als hätten sie nie existiert.

Es gibt keinen Weg zurück.
Keinesfalls kann ich den Platz einnehmen, den diese mich verachtende Gesellschaft für mich vorgesehen hat. Das hier ist mein Leben. Ich habe das verdient.

Es sind meine Erfolge, meine Auszeichnungen, mein Leben.

Ich bin Alexander Kreuzfeld.

Ich bin es! Ich und nicht er! Nein, ich kann die Würfel noch immer zinken.

Flashback

 

Gehen Sie direkt in das Gefängnis. Gehen Sie nicht über LOS und ziehen Sie kein Gehalt ein.

Es war leicht gewesen Lukas Eberich bei seiner ersten Visite des verlassenen Hauses bewusstlos zu schlagen und meinen Bruder anschließend mit dem Angebot eines einmaligen Verkaufsobjekts herzulocken. Beinahe schon zu einfach…

Sirenen. Streifenfahrzeug. Befriedigt sah ich dabei zu, wie zwei Polizisten ihn mit sich führten.

Mord. Haftstrafe. Grinsend sah ich auf den Ausweis in meinen Händen. Das wird eine lange Haft, Alexander Kreuzfeld. Aber keine Sorge, ich werde deinen Platz einnehmen.

17:10 Uhr

Ich trat aus der Eingangstür und fand mitten auf der verlassenen Straße wieder. Wie in Zeitlupe drehte ich mich um, doch hinter mir war nicht mehr die Haustür. Hinter mir war kein Haus mehr. Hier, zwischen zwei weiteren Wohnhäusern, die an den viktorianischen Baustil erinnerten, umrahmt von einem märchenhaften Garten, da hatte mein Haus gestanden, ganz sicher. Ich hatte es doch gerade verlassen.

Und am Straßenrand, hatte da am Straßenrand nicht mein Auto geparkt?
Der schwarze Porsche Cayenne.

Schweiß trat mir aus jeder Pore, während ich mich immer und immer wieder um die eigene Achse drehte. Alles war weg. Es war weg, mein Leben, meine Existenz. Langsam glitt mein Blick an mir herunter.

Eine dreckige Jeans, ein blaues Langarmshirt, ausgetretene Sneaker, in der Hand die alte Pistole meines Vaters.

„Ich habe dich gewarnt.“, drang die Stimme meines Zwillings an meine Ohren.

Seine Augen glänzen vor Wut, er schien bereit sich zu greifen, was ihm nicht zustand. Was ihm nie zugestanden hatte, doch so weit würde ich es nicht kommen lassen. Er war nicht hier, das musste ich mir nur einreden. Er war nicht hier, das war nur ein Hirngespinst, ein weiterer Flashback.

„Ich bin Alex Kreuzfeld. Alexander Kreuzfeld.“, murmelte ich weiter vor mich hin, denn es war das Einzige, was mich noch definierte. Der Name.

Der Wind wehte haltlos über die unbebaute Fläche und trug zu der Gänsehaut bei, die sich auf meinem ganzen Körper ausbreitete.

„Gib mir endlich mein Leben wieder!“

Nein.

Nein, das war mein Leben. Ich hatte es verdient.

„Zwei Jahre hast du mich im Gefängnis verrotten lassen! Wenn es nach dir gegangen wäre würde ich immer noch einsitzen für deine Tat!“

Alexander Kreuzfeld. Ich muss es mir immer wieder vorsagen, während meine komplette Identität, alles was ich mir aufgebaut habe, um mich herum in sich zusammenfällt.

Immer und immer wieder vergrub ich die Hände in meinen Haaren, riss an ihnen, bis sie nachgaben.

„Doch ich hatte hinter Gittern viel Zeit Dinge in Erfahrung zu bringen. Bis zu meiner Haft hatte ich von deiner Existenz keine Ahnung, wurden wir doch schon im Kleinkindesalter getrennt. Das Schicksal meinte es hart mit dir Leon.“

Die Vertonung dieses Namens brennt auf meiner Haut wie Feuer. Ich muss ihn loswerden.

Diese ständigen Vergleiche. Einmal etwas Besonderes sein. Nur einmal spüren, was er jeden Tag zu spüren bekommt. Eine Welt zu Gesicht bekommen, die einem Liebe entgegenbringt, anstatt von dauernder Verachtung.

Ich bin nicht der Mann, den die Welt in mir gesehen hat. Ich kann nicht wieder zu diesem Mann werden.

Habe ihn verbannt, vergessen, ersetzt.

„Diagnostizierte Persönlichkeitsstörung. Das zerstörerische Bedürfnis danach geliebt zu werden, gesehen und gehört zu werden. So weit, dass du über Leichen gehst um mir meine Identität zu nehmen.“

Nein! Die Würfel sind noch nicht gefallen.

Das Spiel ist noch nicht vorbei.

„Das ist ein Spiel. Ein Spaß. So wie früher. Genauso wie damals.“, lachte ich. Wie damals, wenn wir gespielt hatten, nichts anderes.

Nur ein Spiel. Und ich gewann. Ich gewinne!
„Ich habe genug von deinem Spielchen Leon Kreuzfeld.“

Wieder dieser Name. Er brennt.

„Aufhören!“, kreischte ich.

Ich bin Alexander. Nicht Leon. Nie wieder Leon. Nie wieder. Nein.
Vom Wahnsinn getrieben hob ich die Pistole, die ich immer noch bei mir trug, höher. Intuitiv entsicherte ich sie und richte den Lauf auf meinen Zwillingsbruder.

„Genauso wie damals.“, wiederholte ich beherrschter, als ich es war, doch das Zittern, dass sich durch meinen Körper schlich drang nicht bis in meine Hände vor. Sie waren ruhig. „Nur, dass ich dieses Mal nicht zurückstecken werde. Nicht, wenn die Welt mich endlich liebt!“

Die Kugel trat direkt zwischen seinen blauen Augen ein und verließ seinen Hinterkopf zusammen mit jedem einzelnen Funken Leben.

Tief atmete ich ein und aus und während sein lebloser Körper auf dem Pflaster zusammensackte kam die Wirklichkeit zurück. Mein Auto, mein Haus, mein Anzug, alles. Mein Leben kam zurück. Meine Identität.

Ich gewinne…Ich bin der Sieger des Spiels.

Schwer atmend sah ich erneut auf den Bürgersteig, ein breites Grinsen auf dem Gesicht, doch seine Leiche war verschwunden…

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