Valerie VonroeNebenjob Auftragskillerin

Kann der Beginn eines Neuen Jahres Etwas verändern – also automatisch?

Kann der Beginn eines Neuen Jahrzehntes Etwas verändern?

MEINE Antwort ist ein eindeutiges Nein oder Naja hoffentlich, …

Kann ich mich und somit mein Leben verändern?

MEINE Antwort ist JA!

 

Wir haben die Möglichkeit, zu sein wer wir wollen – jeden Tag immer wieder aufs Neue!

 

Ein neu gestrichenes, kreativ verändertes Kastl wird als Grundlage immer ein altes Kastl bleiben. Wir könnten es komplett zersägen, zerschneiden und Etwas Neues daraus schaffen – das Material ist aber noch immer das Gleiche. Wir könnten Sägespäne daraus machen und es neu pressen lassen, ja die Materialgrundlage ist noch immer da, aber jetzt ist die Seele des Kastls schon ziemlich erschüttert. Die gespeicherten Gefühle – die Fotos die draufgestanden sind, die vielen Male, wo jemand dagegen gelaufen ist, all die Dinge die darin aufbewahrt waren sind weg, weit weg – aber nicht ganz weg.

 

 

 

Also zurück zum Anfang, ich habe keine guten Vorsätze fürs Neue Jahr – nein so blöd bin ich nicht mehr, ich reiche mir wie ich bin und mehr geht sich da nicht mehr aus – echt nicht. Ich halte mich einfach nicht mehr aus und ich hasse mich nicht mal – auch das wäre ja eine Art Gefühlsregung.

 

Ausgerüstet mit keinen Vorsätzen, aber sehr wohl mit meiner Fassade, meinen Kerkermauern damit ja keine hochkommenden Gefühle diesen Abend gänzlich versauen traf ich in den ersten Februartagen meine Freundinnen. Der Jänner war ja schon mehrheitlich unauffällig ins Land gezogen, zwar für mich nicht ohne neuen Schaden – Code Pailettenkugel – aber dazu später.

 

Die einzig neue Idee des Jahres war, eine Schildkröte in mein trautes Heim zu holen. Mit dem Hintergrund dass jemand da ist, der aber, sollte ich wie so oft, total „im Eck“ sein ohne Allem überleben kann. Keine Liebe, keine Aufmerksamkeit, keinen Körperkontakt, kein Gassi gehen – also maximal ein Salatblatt zum Überleben braucht. Und mit einem Wesen mit dem ich mich identifizieren konnte, indem ich mich genauso in meinen Panzer zurückzog und nichts von mir zeigte – jedenfalls sobald ich das Haus verließ.

 

Das Größte, zwar oberflächliche Gefühl für mich ist, wenn ich in einer Sache genau weiß was ich will. Entschlossen, mit dementsprechender Körperhaltung (funktioniert immer so, achte mal drauf) marschierte ich in das Zoogeschäft. Gute Beratung, exakte Anforderungen und dementsprechende Kosten und Esmeralda war Geschichte bevor sie noch da war. Meine Vorstellung, als Behausung eine Schuhschachtel zu verwenden, also eine Stiefelbox um genau zu sein, erwies sich als nicht möglich. Dabei hatte ich sie schon mit Folie kreativ gestaltet und mit pinkfärbigen Ziersteinen ausgestattet. Eine Landschildkröte brauchte mindestens ein Refugium von zwei Quadratmetern, mit Steinlandschaft und einer Art Bipibox. Geschätzte Kosten rund 900,- Euro, wenn ich die hätte würde ich ein Neues Leben anfangen. Von der Platzproblematik gar nicht zu reden. Was hätte ich opfern sollen, einen der Schuhränke vielleicht, den Kosmetikschrank (also in der Größenordnung für über 50jährige), von der Garderobe gar nicht zu reden.

Total enttäuscht und ziellos begab ich mich in zusammengefallener Haltung wieder auf den Heimweg. In einem Dekogeschäft kaufte ich drei kleine Kunstpflanzen für die nunmehr leere Box.

 

Mädelsabend. Also an diesem Mädelsabend ging ich mit einer Freundin noch spätabends weiter, weil das konnte es ja noch nicht gewesen sein – meinte sie. Es war viel los, ein nicht völlig uninteressanter Typ älterer Natur sprach mich an. Wir plauderten und er kotzte mich nicht vollkommen an, das war ja schon was. Wir tauschten Telefonnummern und er wollte mich in ein tolles vegetarisches Lokal einladen. Ich bin zwar am anderen Ende der Vegetarierschiene angesiedelt, aber es ist ok, ich habe nichts gegen Gemüse und gute vegetarische Gerichte. Leider ereilte mich am nächsten Tag aus dem Nichts eine echte Grippe, mein Immunsystem hatte endgültig aufgegeben.

Er schrieb, ich antwortete wahrheitsgemäß. Nach einigen Tagen kamen Vorschläge für Kabarett (Karten gewonnen) oder Essen gehen. Ich wieder – leider total krank. Ich meine natürlich kannte er mich nicht wirklich – dass ich solcher Art Ausreden nicht gebrauchte – wenn ich nicht will, dann sage ich es und schreib nicht blöd herum. Ich habe innerlich an seine Menschenkenntnis appelliert, die er in diesem biblischen Alter ja durchaus haben könnte. Er hatte nicht – er konterte, wenn du jemals willst und kannst meldest dich halt!!!! Leck mich am A…. hat er nicht geschrieben, aber das spürte ich.

Nach zwei Wochen war ich wieder in der Lage das Haus zu verlassen und schrieb – will und kann am Mittwoch. Natürlich kam nicht gleich eine Antwort – das geht ja gar nicht, aber dann – es geht Donnerstag. Leider nein bei mir, also ging es doch Mittwoch. Ja also ich war noch guter Dinge, er wollte mich abholen – nein, nicht weil er so ein Gentleman ist, weil er praktisch vorbeifahren musste, aber trotzdem – der Wille geht fürs Werk. Als ich in das Auto stieg sagte er, ich MUSS ihm jetzt sofort erklären, was da los war?

Ich konterte betont freundlich – ich MUSS überhaupt nichts!

 

In eben dieser Sekunde betrat ich als Oscargekrönte Schauspielerin des Lebens wieder einmal die Bühne. Der Situation angepasst leider eine Kleinkunstbühne, die Hauptrolle war mir aber in jedem Fall sicher.

Ich handelte also meine Grippe ohne Vorlage eines ärztlichen Attests ab, wollte dem Abend jedoch eine Chance geben nicht in die vollkommene Sinnlosigkeit abzugleiten. Ganz nach meinen Lebensmotto – mach aus Allem das Beste – und lass dich überraschen.

 

Wir fuhren Richtung City, meine Frage nach dem tollen vegetarischen Lokal wurde nicht beantwortet. Die Parkplatzsuche entwickelte sich mühsam, er wollte sicherheitshalber schon den ersten Parkplatz nehmen der sich bot, auch wenn wir dann ein Stück gehen müssen. Ich wusste ja nicht wohin, war aber wiedermal sehr froh Sneakers anzuhaben, meine neuen Designerglitzersneakers. Wiewohl der alte Trottel gleich bei der Begrüßung angemerkt hat, dass ein erstes Treffen doch immer nach High-Heels schreit. Mein Instinkt hat mir aber schon vorher zugeflüstert – Sneakers – und jetzt schrie ebendieser, es wird kein zweites Treffen geben!!

 

Bevor er sich aus dem Auto hievte, ramschte er noch zwei A-4 Zettel aus der Mittelkonsole. Also wir werden doch nicht einen Plan brauchen um in der Innenstadt das Lokal zu finden? Er murmelte irgendetwas und steckte sie ein. Für das, dass wir nicht mal noch im Restaurant waren ging er mir schon ganz schön auf die Nerven. In der Hoffnung nun endlich bald Alkohol zu bekommen, das beste soziale Schmiermittel überhaupt, stampfte ich an seiner Seite durch die Stadt. Ich kannte mich wirklich sehr gut aus, aber nach und nach gingen wir an allen Lokalen vorbei und ich hatte echt keine Idee mehr welches Restaurant er ausgewählt hatte. Das musste ja der totale Geheimtipp sein unter Vegetariern mindestens, glücklicherweise saufen die genauso wie die Fleischfresser. Also schaute ich kurz auf meinen Schrittzähler, um der Situation auch etwas Positives abzugewinnen. Plötzlich blieb er vor einem Hoteleingang stehen, nein nicht vor einem der vielen tollen Häuser mit Rooftop-Restaurant und Haubenkoch. Ein altes Hotel mitten in der Stadt, quasi unsichtbar aber trotzdem noch da. Sprachlos zerrte er mich hinein, suchend nach dem Restauranteingang im Erdgeschoss – Personal gab es weit und breit keines.  Da waren sogar Menschen, also keine Schickeria und wir konnten uns den Tisch aussuchen, so gut war es dann doch nicht besucht. Mein Wohlfühlfaktor lag unter Null, da wäre ja ein vegetarischer Würstelstand das absolute Highlight gewesen. Jetzt aber Alkohol, ganz dringend. Dass hier Champagner nicht auf der Tagesordnung steht war mir klar, also eine Flasche Sekt wird ja wohl möglich sein. Er bestellte für sich ein Glas Sekt, die Frage nach meinen Wünschen stand nicht mal im Raum und ich musste rasch und eigeninitiativ handeln um wenigstens auch eines zu bekommen.

Kennst du diese hässlichen, kleinen, billigen Pressgläser für Sekt, die dann bis zum Rand gefüllt sind damit sich überhaupt 0,1 Liter ausgeht? Die gab es passenderweise hier, nur der Vollständigkeit halber der Sekt war warm.

Und schon wieder war ich sprachlos, aber das sollte nicht das Letzte mal sein, an diesem Abend.

Die Speisekarte erinnerte mich an meine Kindertage in den 60er Jahren, also der Nachkriegsgeneration, passend zum Innendesigns des Hotels. Und zwar im Original, nix Retroflair.

Dass es Vegetarier gibt war hier noch nicht durchgedrungen, es gab Fleisch oder Fisch und halt das Beilagengemüse.

 

Frag mich jetzt bitte nicht, warum er als überzeugter Vegetarierer DAS ausgesucht hat, die Antwort gebe ich dir etwas später.

Ich orderte Scampi am Gemüsebeet, die Frage nach einer möglichen Vorspeise wurde von ihm heftig negiert bevor er sich einen Fisch bestellte. Welche Fische wachsen auf Bäumen?

Für mich mache er heute eine Ausnahme beantwortete er meinen verdutzten Gesichtsausdruck. Was soll das, wir sitzen in einem heruntergekommenen, miesen Hotelrestaurant???

Ob er gefährlicher war, als ich ihn einschätzte? Wenn mir hier etwas zustoßen würde, hier sucht mich kein Schwein.

Er schlang den Fisch hinunter, wie wenn es kein Morgen gäbe. Ich mühte mich mit den winzigen gummiartigen, geschmacklosen Scampis ab, also eigentlich Shrimps. Das Gemüsebeet bestand aus einigen Fäden von Karotten. Als der Kellner vorbeikam gönnte ER sich noch ein zweites Glas Sekt, ich hob nur solidarisch den Arm. Als ich ein weiteres Mal auf mein leeres Sektglas deutete um dem Kellner nonverbal meinen Wunsch nach Nachschub mitzuteilen erntete ich einen kritischen Blick von Egon. Offensichtlich war der Zenit unsers Galadinners hiermit erreicht. Schnell und skrupellos, wie es so meine Art ist bestellte ich noch einen kleinen Espresso – ätsch! Er sofort die Rechnung, Gott behüte ich hätte noch etwas bestellt.

 

Und jetzt voila die Antwort zu allen offenen Restaurantfragen – er zog die A4-Zettel heraus, überreichte sie dem Kellner und bezahlte 22,50 Euro, mit Trinkgeld 24,- Euro. Die Konsumation der Dame war gratis, und weil wir ja jetzt schon fast Stammgäste waren, verrechnete er den Espresso auch nicht, …

Na aber ganz sicher kommen wir wieder, meine Sprachlosigkeit nahm ungeahnte Dimensionen an.

Wie berauscht, also nicht vom Alkohol verließ ich diese Bude, begleitet von den Worten des Kellners, dass wir nicht mehr über die Plattform buchen müssen. Wir zahlten jetzt als Stammgäste immer nur die Hälfte, …

 

Draußen angekommen atmete ich mal tief durch und griff sofort nach einer Zigarette. Es sind im Leben oft die kleinen Dinge, die mich vor dem totalen Zusammenbruch retteten. Ich brauch ja nicht wirklich zu erwähnen, dass er in dieser Sekunde mit einem Vortrag zur Schädlichkeit des Rauchens ansetzte. Mit einem geringen Maß an Glücksgefühl blies ich ihm den Rauch mitten in sein Gesicht, halt bitte einfach deinen Mund. Gedacht habe ich, halt doch endlich deine blöde Pappen, du mieser, kleiner, stilloser, alter, letztklassiger, präpotente Geizkragen, du Niemandskind.

 

Ja und jetzt stellte sich die Frage, wo wir noch EINEN Abschlussdrink nehmen würden. Ja klar, ich hätte sofort nach Hause fahren können mit der U-Bahn, weil in ein Taxi hätte ich für so einen Abend sicher nicht investiert. Aber ich bin so gestrickt, dass ich eine Sache fertigmachen möchte, auch wenn es offensichtlich ist, dass es schon vorbei ist – mein Scheiss-Pflichtbewusstsein ist da so groß wie der Riese Goliath. Außerdem verlangte mein Körper und vor allem meine Seele jetzt wirklich nach Hochprozentigem. Er schlug passenderweise eine Bar vor, die schon lange out war. Innerlich musste ich direkt lachen, vielleicht hatte er da auch noch ein Ass im Köcher – also einen Gutschein Zwei für Eins.

Mir wurscht, mit Vehemmenz die keinen Widerspruch duldete sagte ich, wo wir hingehen, im Übrigen die Bar wo wir uns kennengelernt haben. Er brabbelte noch so was, wie heute geschlossen, … an einem Freitagabend, … wie vertrottelt kann ein Mensch sich anstellen?

Also es war ja auch meine Lieblingsbar, dort fühlte ich mich wohl, dort kannte ich die Besitzer, die Kellner – ein erweitertes Wohnzimmer, ja richtig natürlich nimmt man in seinen Cocoon nicht einen Widerling mit. Aber ich konnte jetzt wirklich nur an mich denken, ich brauchte innerlichen Halt und Alkohol.

Erst beim Betreten fiel mir sein Outfit auf – Jean, T-Shirt, Wollweste – hier war Stil gefragt und es gab Kleidervorschriften. Für Männer war das Mindestmaß eine Stoffhose und ein Sakko, eine Krawatte kein Fehler. Die Besitzerin flüsterte mir ins Ohr, sie mache für mich eine Ausnahme, weil er ja mit mir da war. Ich genierte mich wirklich, weniger für sein Outfit als den Mann der da drinnsteckte. Ich bedankte mich und gab ihr zu verstehen, dass mindestens die Konsumation passen würde. Ich begrüßte meine Kellner, große Freude. Wir bekamen einen superschönen Tisch direkt an der Tanzfläche. Wie gesagt, man kennt mich hier – Wodka, Champagner, Sekt und davon natürlich eine Flasche, was sonst, war mein Repertoire, egal mit wem ich hier herkomme.

 

Er blätterte die Getränkekarte rauf und runter, total ätzend. Der Kellner fragte – wie immer? Ich lächelte gekünstelt in Richtung Egon, als dieser ansetzte ein kleines Bier bestellen zu wollen. Gottseidank spielte die Band genau zu diesem Zeitpunkt einen Geburtstagstusch. War es ein Fieberschub, eine Panikattacke, ein Schlaganfall oder von Allem etwas, ich nahm ihn an seiner nicht vorhandenen Krawatte in den Würgegriff. Du wirst hier ganz sicher kein kleines Bier bestellen – ich lasse dich von den Sekuritys vor die Tür werfen!!! Die Temperatur meiner Stimme war noch ein paar Grad nach unten gegangen, eiskalt war noch zu warm.

 

Mit einer Gelassenheit, die ihresgleichen niemals finden wird, nahm er neuerlich die Getränkekarte und studierte sie wie die Bibel. Es wurde ein Whisky, ich bestellte ein dreifaches Gin-Tonic.

Er hatte sogar noch die Chuzpe mit mir diskutieren zu wollen, was denn an einem Bier schlecht wäre, ich ging in mich und fragte mich wie schon oft in meinem Leben – Univerum WAS willst du mir mit diesem Abend sagen??

Nachdem mein Glas sehr rasch leer war, brachte mir der Kellner wortlos ein Zweites. Der Mimik von Egon war zu entnehmen, dass ihm das nicht gefiel während er an seinen 2cl Whisky zuzelte. Als selbst sein Glas geleert war, fragte der Kellner ob er eine neue Runde bringen soll, ich nickte kurz. Egon antwortete – danke wir haben noch – während nun sechs Augen die leeren Gläser anstarrten.

 

Lässig zurückgelehnt, mit dem leeren Whiskyglas in der Hand sagte er plötzlich zu mir – du bist eigentlich eine ganz Nette. Ja natürlich war es ganz egal was er gesagt hätte, es wäre immer das Falsche gewesen. Aber DAS, zu mir zu sagen ich bin eine Nette – das ist das Allerletzte. Terroristin, Betrügerin, Mörderin – das hat eine Aussage, ich wollte schon als Kind nicht nett sein. Nett ist nichts, es ist hilflos, verlogen ohne jede Bedeutung und in Kombination mit „eigentlich“ noch höher dosiert. In seinem Sinne meinte er möglicherweise, dass ich ihn noch nicht ermordet hab oder Ähnliches, …

 

Ich ging auf die Toilette um mich der Gummishrimps zu entledigen, als ich zurück zum Tisch kam bezahlte er gerade. Aus einem Stoffsackerl zählte er die Münzen heraus, begleitet von dem Kommentar – bei diesen Preisen kann man es dem Servierkörper ruhig schwierig machen,…

Das volle Disaster, habe ich jetzt alle meine Sünden bereits im Februar abgebüßt?

 

Er brachte mich nach Hause, ja auch jetzt hatte ich noch die Kontenance. Aber warum sollte ich auf den letzten Metern vor dem Ziel aufgeben, Geld für ein Taxi verschwenden – der Abend konnte sich nicht mehr steigern. Das war einfach unmöglich.

Die Idee eines Wiedersehens gab es auch von seiner Seite nicht, eigentlich unnötig zu erwähnen.

 

 

 

  

Heimkommen. Schon im Aufzug fühlte ich mich besser, öffnete den Mantel und freute mich jetzt meinen Gedanken nachzugehen, etwas für mich zu tun. Dieser Abend war eine eindeutige Aufforderung, ja geradezu eine Warnung – möglicherweise die Letzte – an mich, in meinem Leben, in mir etwas zu ändern. Ich konnte solche Erlebnisse, solch einen Abend immer noch aushalten, irgendwie.

 

Mein Ritual beim nächtlichen Heimkommen: Mantel auf das Sofa schmeißen, Schuhe daneben. Wohnzimmerfenster öffnen – Luft ist immer gut. Restliches Gewand, je nach meiner Befindlichkeit – in der Garderobe aufhängen oder auf den Haufen werfen, irgendwie. Heute war klarerweise die Haufenvariante dran. Jogginghose anziehen und der wichtigste Schritt – ein Glas alkoholisches Getränk mit Zigarette – juhu! Durchatmen, Anspannung loslassen.  Ja und dann vielleicht ins Bad zum Abschminken, aber heute nicht. Das würde mir und meiner Schönheit keinen Abbruch tun, nachdem was meine Seele heute hatte ertragen müssen.

Ich sterbe seit zwei Jahren und lebe immer noch – und das ist das Schlimmste!!

Ich hatte mal so einen Schnupperschauspielkurs besucht, einer meiner vielen Versuche irgendwie an meine verschütteten Gefühle zu gelangen. Im richtigen Leben konnte ich meine Standardrollen ja recht gut, aber halt ohne Gefühle – weil das hätte mich ja möglicherweise umgebracht – endlich.

Der Schauspiellehrer war beeindruckend, warf nur so kurze Weisheiten zum Nachdenken kommentarlos in die Menge. Die erste Voraussetzung für einen Schauspieler ist seine Rüstung, seinen persönlichen Panzer abzulegen, sich total nackt  seiner Emotionalität zu stellen und dann anzuziehen was für die Rolle gefragt ist. Sich als hochqualifizierter Handwerker der eigenen Gefühle, ausgerüstet mit dem Wissen der Notwendigkeit von Selbstdisziplin, Anerkennung seiner tiefsten Ängste, dem Wissen Opfer bringen zu müssen ans Werk zu machen. Kurz gesagt – das Einzige was zwischen uns und unserer Bestimmung (oder Rolle) steht ist unser EGO. Egal ob auf der Bühne oder im normalen Leben.

Innerlich bejahte ich jeder seiner Aussagen, aber beim Wort – Selbstdisziplin – machte ich innerlich sofort zu. Ich wusste von mir, dass ich die nicht habe, nicht mehr haben konnte. Mein Energielevel liegt gefühlt im einstelligen Bereich – das ist ein Überlebensmodus, ein Notprogramm. Vergleichbar mit einem Komapatienten angeschlossenen an lebensnotwendige Maschinen, die ihn überleben, aber nicht leben lassen. Sinnbildlich für mich, wenn ich das Ventil zu meinen Gefühlen aufmachen würde, wäre es das Gleiche wie die lebenserhaltenden Maschinen abzudrehen. Gefühle werden unkontrollierbare Monster.

Ich bin scheintod!

Unter dem Schuhkastl war eine riesige Lurchwolke. Die sah ich jetzt, genau in diesem Licht. Vielleicht hatte ich den Entspannungswodka doch zu schnell getrunken? Und wäre mir nicht meine Kreole entglitten wäre der Zettel den ich dort fand wohl für ewig verborgen geblieben. Gut er wäre mir aber auch nicht abgegangen. Vor einigen Jahren, als gedruckte Zeitungsinserate noch irgendeine Bedeutung hatten, saß ich mal mit meiner Freundin Karin zusammen. Wir formulierten Kontaktanzeigen für ein Qualitätsmedium, wir wollten uns unterscheiden von dem Internetsauhaufen und es wäre doch lustig mal wieder richtige Briefe aus Papier zu bekommen.

Ich wollte das damals am nächsten Tag bei der Post erledigen, also mit der Anmietung eines Postfaches und dann die Inserate aufgeben. Wenn ich jetzt vage zurückdenke, ich habe nie wieder auch nur einen Gedanken daran verschwendet, Karin übrigens auch nicht. Gut, wie hätte es werden können, hätte ich die Anzeigen geschalten?

Suche reichen Mann für schöne Stunden um mein Leben wieder in allen Richtungen genießen zu können.

Sehr hübsche 45-jährige Frau in finanziellen Turbulenzen geraten sucht ihren gebildeten, hilfsbereiten, großzügigen, gerne wesentlich älteren Retter dem sie Liebe und emotionale Wärme geben kann.

Liebevolle Frau  mit Stil, in finanzieller Bedrängnis (gebunden) hofft auf Hilfe durch einen warmherzigen, gut situierten, älteren Herrn, dem ich meinerseits ehrliche Freundschaft auf Vertrauensbasis anbieten möchte.

Was ist uns nicht Alles erspart geblieben, die Antwort habe ich bekommen – Egon´s in jeder Form. Alte Männer, die kurzfristig den Bauch einziehen – nein nicht nur die Wampe sondern auch gleich die Komplexe dazu. Mit dem guten Nebeneffekt, dass das beste Stück größer wirkt. Also optisch betrachtet und mit viel Optimismus. Großzügig wird gleichgesetzt mit einer Essenseinladung beim Wirt ums Eck, wo ihn jeder kennt und er dich ständig irgendwo antapscht. Damit es ja alle sehen.

Eine Illusion zu glauben, einen echt großzügigen Millionär mit Stil kennenzulernen. Da wäre ich schneller weg gewesen, als er – puh – sagen kann. Danke liebes Universum, das hast du gut gemacht.

 

Ich lasse tagtäglich viel weniger oder gar nix aus meinem Schutzpanzer raus, als ich mir reinziehe.

Der Pailettenkugelabend kam wir wieder in den Sinn, den hatte ich ja auch in meine total überfüllte Seelenkloake gestopft. Schon lange drohte diese verdreckte Schlammmasse über alle Staudämme zu brechen und Alles darunter zu begraben – also mich – das ist ein Naturgesetzt und keineswegs verwunderlich. Warum es noch nicht so war – ich habe keine Ahnung. Aber eines weiß ich ganz sicher, lange geht es jetzt nicht mehr.

Der Körper ist so ein Wunderwerk, er tut immer weiter mit allen Funktionen. Wenn ein System nicht mehr funktioniert schaltet er sofort eine Umleitung und es geht weiter. Nicht super, aber doch. So kommt halt ein Wehwechen nach dem andern, es funktioniert nicht mehr so gut. Selbst der Versuch sich mit gesünderer Ernährung oder Lifestyleoptimierung – wie es so schön heißt zu pushen scheitert. Es scheitert deswegen, weil sich auch diese Zellen zwar erneuern, aber das Prinzip der Zellerneuerung ist grundsätzlich – das Material was da ist zu duplizieren. Aus Dreck wird also noch mehr Dreck. Auch ich hatte natürlich die Idee mit hochwertigen Nahrungsergänzungsmitteln meine Zellen zu füttern. Bis mir klar wurde – die Zelle ist voll mit Dreck, sie kann nix mehr reinlassen weil da eben kein Platz ist, dazu müsste sie mindestens einen Teil rauslassen um Platz zu schaffen. Das kann sie aber im Notprogramm nicht, weil der Dreck jetzt schon bis an die Decke reicht, also bildlich gesprochen bis unter die Haut – sichtbar an Übergewicht, delliger, schlaffer Haut also Bindegewebe.

Es entspricht also der Tatsache, dass du all deine Kapseln auch direkt ins Klo geben könntest, weil der Weg ist der Gleiche, so verhält es sich auch mit der gesunden Ernährung. Die kommt genau so wenig hin, wie der fette Hamburger – also egal.

Als Lösungsmöglichkeiten bieten sich mehrmals wöchentliche Intensivinfusionen an, im Kostenrahmen eines Ferraris. Alternativ Spezialöle über Monate eingenommen – das erfordert wieder diese abstrakte Eigenschaft der Konsequenz, täglicher Selbstdisziplin und einer großen Portion Selbstliebe. Falls du diesen Marathon durchhältst gibt es einen Vorher-Nachhertest der das auch plastisch vor Augen führt.  Zur Selbstliebe möchte ich an dieser Stelle nichts hinzufügen, ich kann sie mir nicht mal vorstellen.

Was ich gerne noch loswerden möchte sind die Antiwörter unseres Zeitalters für noch mehr schlechtes Gewissen in mir. Ausgewogene Ernährung mit 60% Obst und Gemüse täglich, moderate tägliche Bewegung, Achtsamkeit, Konsequenz, und, und, und …  

Ich stand auf, um mir die Flasche Wodka zum Sofa zu holen, heute war ich mit mir noch nicht fertig, Im Vorbeigehen knallte ich das noch immer geöffnete Dachflächenfenster zu. Und ich wusste, ich musste beim Pailettenkugelabend beginnen. Der war keineswegs der einzige Grund meines lebensbedrohlichen Zustandes, aber wie heißt es so schön: Gib nicht dem Auslöser die Schuld, sondern suche nach der Ursache.

Ich begann mir einen Zugang zu meiner Gedankenstruktur zu schaffen, einen kleinen Kanal in diesem völligen Gedankengewirr mit dem Wissen, das ich es riskieren musste ein winziges Loch zu meinen Gefühlen zu öffnen. Ich wollte mich jetzt echt auf mich konzentrieren.

Das war kein leichtes Unterfangen und ich konnte gar nicht mehr zählen wie oft ich das schon probiert hatte, wie du dir denken kannst – ohne Erfolg.

Es ist auch eine unumstößliche Tatsache, dass wer um sein nacktes Überleben, also in finanzieller Hinsicht kämpfen muss, wobei kämpfen falsch formuliert ist, weil es keine Gegner gibt als Lebensgrundessenz Angst, genauer Existenzangst hat. Und auf dieser Basis, die in jeder Millisekunde egal ob im Schlaf oder wach wirksam ist, in jeder Zelle abgespeichert ist, ist jede Methode der Lebensverbesserung sinnlos. Das sagt die Wissenschaft und hochrangige Therapeuten, aber nicht zu laut – sonst könnten sie ja ihre Bücher, Seminare usw. nicht mehr an die ärmsten Menschen verkaufen. Diese Entwicklung ist meist mit mehreren heftigen Schicksalsschlägen gepaart, wo am Ende der Kette die finanzielle Mindestexistenzgrundlange in Kombination mit einer desolaten Seelenlage, die sich irgendwann auch körperlich niederschlägt, ja und… So jemand kann sich nicht um sein Inneres kümmern, das ist immer eine Wand dazwischen.

Da muten die gutgemeinten Ratschläge von – schaffen sie sich ein soziales Umfeld an Freunden, denken sie positiv und die Materie folgt der Aufmerksamkeit, visualisieren sie einen sechsstelligen Betrag auf ihrem Bankkonto,… als purer Hohn an. Allein ein Lottosechser wäre in der Lage dies zu ändern, der macht weder gesund noch glücklich, noch lässt er gute Freunde vom Himmel fallen. Er schafft allerdings freie Kapazitäten für den Rest. Milliardäre sind auch nur Menschen, gefällt mir gut.

Und so passiert es mir, dass  bei meinen Versuchen direkt hinzuschauen in mein Seelenchaos sofort ein Bild meines Kontostandes, des Bankbriefes – kommen sie in den nächsten Tagen vorbei und begleichen sie 3.800,- Euro um die Kontosperre zu verhindern – meiner Zahnlücke – meines grummelnden Eiskastens auftaucht und auch nicht mehr verschwindet. Das ist keine Ausrede, das ist eine Tatsache.

Ich mühte mich mit dem Wodka in der Hand ab, in die Konzentration zu kommen. Diese Metaebene, als einziger Zugang. Irgendwas war vorhin komisch, aber was? Ich ging nochmals die Wohnung ab, hatte ich irgendwo eine Zigarette vergessen, den Herd aufgedreht unbewusst, die Türe nicht zugesperrt…?  Nein Alles normal. Es passierte mir oft, dass ich Dinge gar nicht registrierte, diese innerliche permanente Überlastung nicht mehr jedes Detail dokumentieren will. Oft gehe ich mehrmals nachschauen, ob ich… lege etwas wohin und finde es nicht mehr…

Ich ging zum Fenster – das war es, was mich störte. Ich öffnete es nochmals, versuchte mich zu erinnern, es wieder abzurufen… Beim Schließen war da ein Schatten, ein kurzer Schrei, ja und irgendetwas ist von meiner Deko, die bei jedem Dachflächenfenster reichlich vorhanden war abgestürzt. Draußen war alles normal, keine Vögel oder sonstiges in der Dachrinne. Ich suchte zwischen Blumen, Flamingos, Engeln der Deko, es war so viel, da sieht man nicht auf den ersten Blick was fehlt. Ich schob die Blumentöpfe zur Seite, da war was. Ein klobiger, schmutziger, fleischiger, behaarter Finger. Blutig, wie aus dem Faschingsgeschäft. Ganz ruhig und gelassen versuchte ich das Bild des Fensterschließens herzuholen. Ja, da war irgendwie eine klobige Hand, dazu musste ein Mensch, ein Mann gehört haben, aber es ist stockfinster draußen und das Geräusch? Meine Fenster sind schalldicht, sobald ich es zuknalle ist es ruhig. Agatha Christy ist wieder in mir auferstanden, konnte es sein, dass mitten in der Nacht im 8.Stock ein Mann durch mein Fenster in meine Wohnung zu mir will? Warum?

Konnte es sein, dass ich unbewusst mir irgendwelche Drogen eingeworfen hatte und Halluzinationen, Wahnvorstellungen hatte? Zuviel Alkohol war es definitiv nicht. Aber der Finger war auch da und zwar frisch und noch warm.

Ich ging in die Küche, holte eine Küchenrolle und ein Desinfektionsmittel. Ich nahm den Finger und spülte ihn im Klo hinunter. Verteilte großzügig das Desinfektionsmittel und spülte die Küchenrolle ebenfalls hinunter.

Ja, und irgendwie fühlte ich mich insgesamt nicht schlecht, also nicht schlechter als vorher. Eher so, wie etwas enderledigt zu haben. Kurz überlegte mein Pflichtbewusstsein und ich, ob ich nach unten gehen sollte, weil da müsste der Rest vom Mann ja liegen und ja, was auch immer tun. Jetzt war wahrscheinlich schon eine Stunde vergangen, mein Fenster war noch immer oder schon wieder offen und ich hatte keine Schreckensschreie von Nachtschwärmern gehört, keine Polizei, keine Rettung. Es war einfach still. Manchmal feierten junge Leute vis a vis eine homeparty und grölten auch aus dem Fenster, mir war es egal, den anderen Bewohnern scheinbar auch. Also der entscheidende Gedanke jetzt, nein ich bleibe da, schließe das Fenster und mache jetzt endlich was ich machen wollte. Meine Erfahrung, gehe ich runter und rufe Polizei und Rettung bin ich noch die Schuldige, muss ich mich verteidigen, Fragen beantworten – klar das ist für die Exekutive einfacher.

Finale – ein weiterer Wodka, Eiswürfel holen, ja und dann bin ich am Sofa eingeschlafen.

 

 

 

 

Paillettenkugelabend. Der Abend im Jänner, der wiedermal Alles veränderte… Der Jänner ist ja generell so ein „toter“ Monat, da ist nix, da gibt’s nix. So wie die Ruhe vor dem Sturm, also des neuen Jahres, wo wir wieder glauben, aber jetzt… Nur der Ausverkaufsmarathon lockt uns da vom Ofen hervor. Und ja, mit Sicherheit wird der Februar ins Land ziehen und wir mit. Aber meine liebe Monk-Freundin, sie war sowas von strukturiert hatte schon im letzten Jahr am ersten Vorverkaufstag Karten für eine Konzertpremiere in einem kleinen Theater besorgt. Und so saßen wir in der ersten Reihe – I love it – total dabei zu sein. Weil wir natürlich auch überpünktlich waren, konnten wir dem Szenario des Plätzesuchens, der Selfiemania, dieser besonderen Atmosphäre bei Premieren beiwohnen. Da schob sich genau in meiner Augenhöhe eine riesige Paillettenkugel an mir vorbei, ja hielt sogar kurz inne. Man denkt ja immer, wenn auch unbewusst. Und mein erster Gedanke war – ein Dekoelement für die Bühne… Es bewegte sich nicht weiter und so glitt mein Blick nach oben. Es war eine Schwangere in Highheels mit einem enganliegenden bunten Paillettenkleid. Großhirn an Kleinhirn, finde ich das cool? Also, ich war niemals schwanger, bin outfittechnisch sicher keine von der dezenten Sorte, würde ich das Tragen wollen, mich so präsentieren wollen?  Während ich meinen Blick nochmals zum oberen Ende der Paillettenkugel lenkte, gefror mir plötzlich das Blut in meinen Adern. In ihre Seite geschmiegt stand mein Ex-Freund, also meine Ex-Liebe. Sie klebte an ihm wie eine Fliege auf der Windschutzscheibe.  Es war nicht irgendein Ex-Freund mit dem es halt nicht geklappt hatte, es war eine echte Liebe, eine Vertrautheit, ein Wohlfühlen wie ich es davor niemals so erlebt habe. Damals war einfach alles klar, keine großen Gedanken an Lebensabschnittspartnerszenen, wird noch ein Besserer kommen, was passt mir nicht an ihm, usw. Es passte einfach, die Basis passte, weil die Basis ganz simple, ehrliche Liebe war und das mitten in einem ganz normalen Leben. Ich spielte nie theoretische Szenen eines möglichen Beziehungsendes durch, warum auch? Wir waren beide, ja irgendwie speziell – das ist natürlich jeder Mensch – aber idealerweise harmonierten unsere Spezialitäten. Die Quintessenz jeder guten Beziehung – jeder kann so sein wie er ist und wird vom Anderen so akzeptiert, respektiert. Wir lebten ein Jahr zusammen, jeden Morgen beim Aufwachen war ich einfach glücklich, zufrieden, dankbar. Unbewusst.  Einfach so, ein Zustand der mir heute nicht mal ein Euromillionensechser ermöglichen könnte.

Er „sah“ mich nicht, war er doch zu beschäftigt seine Pailettenkugeltrophäe vor sich herzuschieben. Plötzlich spürte ich eine Kraft, eine Energie in mir die ich schon ewig lange vermisst, gesucht, verloren oder verschüttet hatte. Jetzt nicht unbedingt eine, wie man so sagt positive, aber auch nicht böse – also nicht werten, wirken lassen. Das Konzert begann, ich klatschte wie automatisiert obwohl ich so gut wie nichts mitbekam. Meine ewige Suche nach dem Grund, der Ursache hinter den Millionen Auslösern – das war es, er war es. Ich hatte mit ihm mein Herz, meine Gefühle geöffnet wie nie zu vor. Danach habe ich dieses Herz fest verschlossen, eine Reaktion, eine Selbstschutzmaßnahme, die mir ein Leben an der Oberfläche ermöglichte. Bis das irgendwann sich auch nicht mehr ausging. Also es ist eigentlich über Jahrzehnte gut gegangen. Ich habe mir nicht mehr erwartet und auch nicht mehr bekommen, auch nicht mehr gegeben. Erst als meine Schicksalsschläge mich wie Lawinen überrollten, klappte dieses Oberflächensystem nicht mehr. Um diese oder auch nur einen davon wirklich zu bewältigen braucht es zwingend die Gefühlsebene. Mit dem Verstand denke ich mich zu Tode, aber irgendwas ist ja sehr hartnäckig in mir. Warum? Das weiß mein Verstand auch nicht, ich sowieso nicht.

Es ging in diesem Programm um Liebe, genauer gesagt Selbstliebe. Es tut mir echt leid, aber wir wissen es doch Alle – ohne dieser Oberinstanz allen Lebens geht es nicht, mindestens  nicht gut – das muss ich jetzt wieder einmal sagen. Ja, das weiß ich natürlich schon lange, du auch nehme ich an. Was ich aber auch ganz sicher seit vielen Jahren weiß, ich habe sie nicht. Ich kann sie mir auch nicht einreden, einmeditieren oder sie visualisieren. Ich fand mich selbst nie so toll, hatte immer etwas auszusetzen am mir, probierte viel, machte viel – aber hundert Prozent waren es nie. Das wurde mir jetzt klar in diesem Moment und was mir auch klar wurde – damals mit ihm – war ich die Selbstliebe pur. Ich musste ihm also eigentlich dankbar sein, das Gefühl immerhin einmal in meinem Leben gefühlt zu haben. Auch wenn es jäh und total unvorhersehbar geendet hatte.

Es war Pause, ich stürzte zur Bar, meine Freundin war etwas verwirrt. Von unserem Platz aus waren wir doch sowieso die ersten bei der Bar. Zwei Gläser Sekt für die Damen sagte der Barkeeper. Gewohnheitsmäßig nickte ich und sagte wie automatisiert und einen dreifachen Tequila bitte. Eh, ja, da muss er erst nachschauen, ob sie den dahaben. Meine Freundin stupste mich nervös, irritiert – hinter uns waren jetzt schon die Massen von den billigen Plätzen. Sie schnappte die zwei Sektgläser und rettete sich zu einem Stehtisch. Ich deutete ihr noch, sie solle den Tisch ganz hinten in der Ecke nehmen. Ja natürlich, für gewöhnlich sind wir in der ersten Reihe zu Hause, aber man sieht ja wozu das heute geführt hat. Und da ich davon ausging, dass er noch immer so wohlerzogen und höflich war wie damals, wollte ich EINES auf alle Fälle vermeiden. Dass er mich begrüßt und die Paillettenkugel vorstellt. Nein, das war definitiv zu viel verlangt, selbst für ein Gefühlsalien wie mich.

Ich kippte den Tequila in einem Zug gleich direkt an der Bar stehend hinunter. Prost! Eine Freundin sagte immer Tequila erwärmt das Herz… ja wenn man eines hat.

Meine Freundin flüsterte, was ist den los mit dir, alles gut? Ich antwortete viel schärfer, als ich wollte: Jetzt nicht! Sie formte einen Spitzmund, wie immer wenn sie sich nicht auskannte. Und Gott sei Lob und Dank traf sie eine Arbeitskollegin, mit der sie in ein Endlosgeplauder verfiel. Hinter mir hörte ich zwei Männer reden – hab ihm gesagt, er soll auf jeden Fall einen Vaterschaftstest machen – es waren zwei Freunde von ihm…

Den zweiten Teil des Programmes erlebte ich wie in Trance, die Pailettenkugel rekelte sich demonstrativ. Sie saßen auch in der ersten Reihe, aber auf der anderen Seite,… Ich wollte nur nach Hause, ich hatte viel zu tun. Ich hatte endlich meine „Ursache“ gefunden, jetzt konnte ich daran arbeiten oder so was Ähnliches.

Meine Freundin verabschiedete sich verständlicherweise knapp. Komm gut nach Hause, wir hören uns. Ja, was sonst. Es tat mir leid, aber ich konnte jetzt nicht diese Geschichte mit ihm erzählen so wie es alle gewohnt waren. Lustig, für alle erheiternd mit kleinen, wenn auch erfundenen Pointen dazu. Jetzt nicht!

Er stieg damals in die Firma als Juniorchef ein. Engagiert, motiviert, mit einem Selbstvertrauen wie zehn Löwen. Ja, es ist natürlich einfacher, wenn die Firma schon seit Jahrzenten im Familienbesitz ist. Mit seinem jugendlichen Esprit brach er gewohnte Strukturen auf und konnte auch altgediente Mitarbeiter zu neuem Leben erwecken, wenn auch nicht alle.

Und dann, es war ein Dienstagabend, wir saßen beim Abendessen und alles war wie immer. Stand er auf, machte die für ihn typische Schulterbewegung, wenn etwas kam was ihm „unangenehm“ war. Ich kannte das von Situationen wo die Autowerkstatt mitteilte, dass es noch zwei Stunden länger dauern würde bis er das Auto abholen kann. Er im Restaurant etwas bestellen wollte und es war aus. Solche Sachen halt.

Und mit genau diesem Gesichtsausdruck, diesem Modus – das passt mir nicht – sagte er zu mir: Kannst du dir bitte in den nächsten zwei Wochen eine eigene Wohnung suchen. Ich helfe dir selbstverständlich bei der Suche, bei der Übersiedlung sowieso. Also, er meinte seine Angestellten. So viel Chef muss sein. Er war immer ein Mann der Tat, eine Eigenschaft die mir grundsätzlich gefiel, auch für mich.

Es war keine Diskussionsgrundlage, keine Möglichkeit über etwas reden zu wollen das ich übersehen hatte, oder was auch immer. Es war eine Entscheidung, seine Entscheidung.

Ich kann mich heute nicht mehr erinnern, was ich tat, was ich dachte, wie ich die Nacht mit ihm in einem Bett und auch die nächsten überlebte?

Jetzt, heute mit ganz viel zeitlichem Abstand war es mir klar – das war exakt der Moment wo es passiert ist – Herz zu, Seele zu, Selbstliebe abgeschafft.

Perfekt funktionierend, wie ich es schon als Kleinkind schaffte – und das verlernt man nicht – offensichtlich, fand ich recht rasch eine akzeptable Wohnung. Der Umzug ging mit den Helferleins leicht von der Hand. Ich hatte die vorgegebene Zeitspanne unterschritten, saß in meiner eingerichteten Wohnung und drückte die Taste „Funktionieren Dauerbetrieb“.

Für alle, die jetzt auf eine sensationelle, herzzerreißende, völlig unerwartete Erklärung für diese plötzliche Trennung warten – ich muss euch enttäuschen. Genauso wie ich damals zutiefst enttäuscht war. Ende der Täuschung von der Idee, dass er ganz ein besonderer Mensch ist, sein Leben, sein Verhalten nichts mit dem zu tun hatte, was Normalos so machen. Also die normalen Männer mit ihren Lügen, ihren Sauffabenden mit Freunden, ihren Puffbesuchen, ihren Affären und was da halt so Alles abläuft. Nicht dass ich ihn verherrlicht hätte, auf ein Podest gestellt – das nicht – aber er war einfach in allem extrem. Ich war extrem. Das war für mich mein Lebenselixier – Extremität – kein Normalmodus. Und es ist bis heute so geblieben – nur dass mein Leben jetzt extrem schlecht lief.

Des Rätsels Lösung – bitte wirf das Buch jetzt nicht zum Fenster raus – so ist es einfach das Leben,… ich kann nichts dafür, und wahrscheinlich kann nicht mal er was dafür… Gespeicherte Muster sind tief vergraben, sich derer gänzlich zu entledigen, kann das irgendwie möglich sein?

Er hatte sich in seine kleine Sekretärin verliebt, also besser gesagt – sie in ihn. Heute würde man sagen „Headoffice-Managerin“ aber das ist viel weniger geschmeidig als Sekretärin, total unromantisch. Klarerweise hatte er als Juniorchef mit den vorhandenen Sekretärinnen nicht das Auslangen gefunden und sich eine eigene gecastet. Nein, sie war keine Schönheit, sie war nicht faszinierend – sie war einfach durchschnittlich. So normal, dass ich sie nicht mal wirklich sah, wenn ich ihn in der Firma besuchte. Ich meine das nicht überheblich, sie war einfach unsichtbar. Aber das älteste Klischee der Menschheit, Sekretärin krallt sich den Chef und wird auch Chefin und somit sichtbar. Ja es war schon immer so, sie wussten viel, sie hörten viel, sie besorgten Geschenke, sie kannten seine Launen, sie waren immer da – sie kannten ihn besser als so manche Ehefrau zu Hause. Sie vergötterte ihn bis 17 Uhr oder auch länger und ging dann still und leise in ihre graue, kleine Plattenbauwohnung nach Hause. Wo ihr kleiner grauer Lebensgefährte schon auf sie wartete, weil er freiberuflich tätig war, also sehr frei und sie die Hauptverdienerin mit ihrem Superjob. In ihrer Vorstellung sah sie uns auf unserer Riesenterrasse sitzen mit lieben Freunden und Magnumchampagnerflaschen, Catering vom Haubenrestaurant. Und genau so war es, sie hatte es ja selbst bestellt.

Und sie waren in der Hierarchie unterlegen. Macht ist ein Instinkt. Es ist keine strategisch geplante Vorgehensweise, es ist eine Tatsache, ein natürlicher Ablauf. Wie Essen – Scheissen, es erfolgt automatisch.

Ja und auch er, dem ich so viel Normalität niemals zugetraut hätte, in keinem Lebensbereich hat sich hinreißen lassen… sie ist danach nicht in „unsere Wohnung“ eingezogen, sie hat nicht mal mehr lange in der Firma gearbeitet. Ein ebenfalls vielfach kopiertes Schicksal, dass sich wiederholt wie Tag und Nacht. Diese Szene war abgedreht, sie war im Kasten und erledigt. Schaffen tun es nur die, die reaktionsschnell dem Chef ein Kind anhängen. Das erhöht die Chancen der Lebensversicherung auf ein Vielfaches. Entweder als Ehefrau, die das gleiche Schicksal erleiden wie viele andere Ehefrauen – die Spirale dreht sich ja weiter. Mit jeder neuen Sekretärin… Oder als heimliche Geliebte mit Kind neben der vorhandenen Ehefrau, das sichert zumindest das finanzielle Leben einigermaßen ab.

Einige Wochen später läutete es um vier Uhr in der Früh an meiner Wohnungstür, da stand ER wie wenn NICHTS gewesen wäre. Selbstverständlich, keine Frage ob mir das Recht wäre, ob ich allein wäre – so wie er einfach war. Entschlossen, entschieden – ein Mann der wusste was er wollte.

Ja, und wir hatten Sex. Das Szenario wiederholte sich noch einige Male. Auch hier kann ich nicht mehr sagen, was dachte ich mir damals, was ging in mir vor. Höchstwahrscheinlich war ich damals schon „tod“ und eben in einem Funktionsmodus. Und wahrscheinlich regierte auch bei mir sowas wie Instinkt. Er ist zu mir zurückgekommen, ich war die Siegerin. Das Gefühl dazu stellte sich aber nie ein, Siegerinnen sehen anders aus. Nach einigen Wochen machte es in mir „klick“, ich war eine Luxusnutte, stets verfügbar, willig, geil und das Ganze unbezahlt. Ob das Thema von einem Neubeginn aufkam kann ich auch nicht mehr sagen, möglicherweise wollte er, dass ich darum „bettle“, das tat ich nicht – das weiß ich noch. Vielleicht war er auch enttäuscht, von was auch immer. Als es wieder zur nächtlichen Stunde läutete sagte ich: Ich bin nicht allein, obwohl ich mehr als allein war. Das war es dann.

Das Leben geht weiter, klar – das tut es ja selbst heute noch – unwahrscheinlicher Weise. Ein Mann trat in mein Leben, also er war schon vorher da – nur da hatte ich ihn total übersehen. Er erreichte meine Seelenebene, die ich vorher nicht kannte und rettete mich. Das tat er für viele Jahre, bis zu seinem Tod. Er hat es dann nicht mehr gepackt, also das Leben als Ganzes. Und das war auch dann mein endgültiger Tod mit dem ich jeden Tag lebe, vorher war nur Koma.

Man weiß ja vieles im Nachhinein und kann es trotzdem nicht ändern. Und eigentlich weiß man es schon lange vorher, das mit dem Ändern wollen ist aber gleich.

Ich sah ihn, den Juniorchef der gleichermaßen wie ich älter wurde ab und an irgendwo zufällig. Emotionslos, freundlich, höflich – irgendwann, es ist noch nicht so lange her – sagte er: Blöd, hab grad seit ein paar Wochen eine neue Freundin mit Kindern, obwohl Kinder sind nicht so mein Ding wie du weißt, … Schade, wenn ich gewusst hätte, dass wir uns treffen? Soll mich das glücklich machen oder was soll ich mir denken? Wiedermal Pech gehabt, falscher Zeitpunkt, zu wenig Engagement dass er mich wieder nimmt, weil es eh keine Bessere gibt? Oder er keine Bessere findet? Es hat mich nicht wirklich berührt, er war weg wie er gekommen war. Ich glaube noch immer, dass wir sehr kompatibel waren in dem riesigen Menschenmeer. Aber, ja auch er hatte sicher heftige Fehler aus der Kindheit, wie jeder Mensch. Unsere waren möglicherweise ähnlicher Natur und das muss man dann auch mal durchhalten, ja aushalten wenn man sie gespiegelt bekommt.

Ja und jetzt versuche ich wieder meine eigenen Muster zu zerstückeln, nachdem sich an seinem Sekretärinnen-Muster nach zwanzig Jahren offensichtlich nichts geändert hatte, musste ich zugeben bei mir war es nicht viel anders. Sonst hätte mich dieses Szenario nie so bewegen können, es war vielleicht mein wichtigster Schritt in die richtige Richtung.

Und jetzt die Paillettenkugel, ich kannte ihn gut – immer noch. Sein Gesichtsausdruck war ein Schauspielgesicht, es war nicht seine innere Mitte. Ich wusste das nur zu gut, ich verließ das Haus nur mit Schauspielgesicht.

Ich bin altmodisch, also was Social Media betrifft, wenn ich jemanden kenne und mag rede ich mit ihm. Wenn mir jemand unsympathisch ist, kenne ich ihn nicht, weil unnötig. Jedenfalls bin ich für die face to face Kommunikation. Ich verbringe nicht Stunden damit anderen Leuten im worldwideweb nachzuwassern. In diesem Fall allerdings tat ich mir schwer mit dem persönlichen Gespräch. Facebook öffnete sich wie eine Lotusblume in der Sonne. Sie, die Paillettenkugel hatte vor einem halben Jahr in seiner Firma als Sekretärin zu arbeiten begonnen,… schön. Und jetzt war sie glücklich und schwanger noch dazu. Ich kenn mich nicht so aus mit Schwangerschaften, die Kugel schaute nach mehr aus, also mehr Monate meine ich. Auf jeder, dieser zahlreichen Fotos trug sie die Kugel wie eine Trophäe zur Schau, allerdings ohne Pailletten. Ihr Gesichtsausdruck sagte – ich hab es geschafft, egal was kommt. Dieser Balg wird mich durch mein restliches Leben füttern, Gefühle außen vor. Sein Ausdruck – Stolz, Macht, Verantwortung und ich möchte gerne davonlaufen, ganz weit weg. Wieder eine Sekretärin verloren,… es wiederholt sich Alles im Leben. Immer und immer wieder.

Irgendwie verstehe ich ihn, weil ich bin ähnlich gestrickt. Ich kann mich nahezu hineinfühlen, da bin ich wesentlich besser als bei eigenen Gefühlen. Nur mal jetzt total theoretisch, ich weiß es würde immer noch passen von unserer Grundessenz. Wir haben beide unsere Kindheitstrauma nicht erledigt. Es sind zwanzig Jahre unseres Lebens vergangen, die nicht spurlos an uns vorübergegangen sind und sehr wahrscheinlich nicht ähnlicher Natur waren. Und wenn er mir gegenübersteht fühlt es sich nicht an wie zwanzig Jahre, es ist wie gestern. Vielleicht war er genau der Mensch, den das Universum für mich als zweite Hälfte vorgesehen hat. Passend, weil wir es schaffen hätten können gemeinsam Eins zu werden, also Ganz. Das geht sicher niemals ohne Stolpersteine, es sind Prüfungen wie es so dramatisch heißt. Wir haben die beide nicht geschafft, jeder für sich nicht. Er tat mir fast leid, sein Stolperstein war noch immer der Gleiche wie vor zwanzig Jahren, das muss selbst ihn nachdenklich machen. Nur mit dem Baby im Schlepptau konnte er sich nicht mehr ganz so höflich aus dem Staub machen, wie er es offensichtlich schon jahrelang praktiziert hatte.

Oder wann auch immer… es hallte durch meinen Kopf wie durch eine leere Kirche. Ich hatte mich für zu wenig für diesen Supermann gehalten, dabei war er in Wirklichkeit das totale Gegenteil.

Ich wollte immer das Gesamtpacket – Liebe und Leben. Es ging sich nur zweimal aus, es geht um das Umfeld dazu – die Wohnung, das Wochenendhaus… ja aber ist es nicht bei den meisten Menschen so? Weil nur die pure Liebe zu „wenig“ ist, sie vergeht, wird schwächer. Das Haus steht dann noch immer.

Innere Reinigung. Es war definitiv wieder einmal – klingt schon fast wie ein Märchen, es war einmal… – der Zeitpunkt gekommen, den ich als richtig befand. Für eine innere Reinigung. Ich meine vor allem die mentale Ebene, aber da erledigt sich die körperliche ja oft gleich mit.

Ich sitze hier im schönen Burgenland, an einem Ort wo nichts ist, also gar nichts. Sozusagen ideal für einen einen Meditations-Retreat. Es war die Nebensaison der Nebensaison, also dementsprechend günstig. Und deswegen war ich hier. Die Kombination von es kostet wenig und bekommen tut man eh nix für sein Geld, weil die Woche war definiert von Enthaltsamkeit auf allen Ebenen, hat mich überzeugt. Ja klar, in Thailand mit Strand, Sonnenschein und Palmen hätte das einen besseren Background abgegeben als diese Einöde. Aber es hätte das 10-fache gekostet, für das, dass ich dort auch nichts bekomme. Es ging ja einzig und allein darum meine Gedanken zu erkennen, benennen und sodann loszulassen. Ganz wichtig – mit dem Gefühl dazu. Nicht das ich das nicht tagtäglich zu Hause versuchte, aber so komprimiert in der Einöde klappte es vielleicht doch besser. Es geht ja um totale Ruhe im Innen und Außen, Kommunikationslosigkeit auf allen Ebenen. Keine Ablenkung, kein Alkohol, Zigaretten, Drogen, Sex – also kein Genuss selbstredend.

Der bereits leicht vergilbte Tagesablauf, der in meiner Kammer liegt verursacht mir eine erste Panikattacke. Beim Betreten der Räumlichkeit hatte ich mich noch mit einigen tiefen Atemzügen wieder gefangen. Ein Bett, ein kleiner Tisch, ein Wasserkocher, ein Kleiderständer und eine zusammengerollte Yogamatte.  Ich reiste am Abend an, in der Dämmerung konnte ich es so genau nicht erkennen. Von der Zimmerdecke baumelte eine sehr arme Lampe, als ich das Licht aufdrehen wollte blieb es dunkel. In gewohnter Art startete ich zur Rezeption, wie man das halt in jedem Hotel macht. Der Holzverschlag, wo ich vorhin noch eingecheckt hatte war geschlossen. Wir sind ab 6.00 Uhr wieder für dich da, Namaste. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Es war gerade mal 21.03 Uhr?

Mein heimlich mitgebrachtes Buch, konnte ich also vergessen, eine Taschenlampe hatte ich nicht im Gepäck. Da kam ich auch schon meinem ersten Gedanken auf die Spur – meine Omi sagte immer, zum Lesen braucht man ein ordentliches Licht, sonst ruiniert man sich die Augen.

Es war noch dunkel, als es ganz zart an der Tür klopfte. Ich war scheinbar eingenickt, nachdem ich absolut nicht wusste, welchen meiner Gedanken ich folgen sollte. „Sie kommen wegen der kaputten Lampe“ sagte ich. Sie, antwortete nicht. Mit gefalteten Händen vor der Brust flüsterte sie leise – Morgenmeditation – und ging weiter. Ich zog den weißen Leinensack über, das stand schon im Prospekt: Sie brauchen nur ein weißes, bequemes Schlafgewand aus Baumwolle oder Leinen. Die täglichen Meditationskleider werden zur Verfügung gestellt.

Da sah ich erst den Time-Table – 5.00 Uhr Meditation – 7.00 Uhr Frühstück – 8.00 Uhr Meditation – 11.00 Uhr Mittagessen – 12.00 Uhr Meditation – 14.00 Uhr Gespräch, Dauer 10 Minuten – Meditation – 21.00 Nachtruhe.

Ich wollte eigentlich gleich wieder abreisen, ja gut hatte ich halt drei Stunden unnötige Autofahrt mit dem entsprechenden Benzinverbrauch vergeudet, aber dann war ich auch gleich wieder zu Hause und konnte mir einen guten Kaffee, ein Croissant  und ein Glaserl Prosecco gönnen. Gut, die Greta wird ein bissl Schnackerl haben wegen dem unnötigen CO2-Ausstoß, aber sie sieht mich nicht, weil die Hohe See ist weit weg vom Burgenland.

Was habe ich in meinem Leben nicht schon sinnlos Geld ausgegeben. Die zwanzigste Jean, nur weil die Waschung etwas anders war und die Perle beim Reisverschluss nicht zu vergessen. Niemand hat das gesehen und beim ersten Waschgang hat sich die Perle in die ewigen Jagdgründe verabschiedet. Die zigste Anti-Falten Creme, oder noch besser gegen Altersflecken um ein richtiges Vermögen. Ja die Beispiele wären endlos, wie sinnlos.

Mit dem Einpacken war das auch kein Problem, das musste mir nicht leidtun. Im Unterschied zu sonst, wo ich schweißgebadet stundenlang und völlig genervt durch meine Garderobe hechle, weil ich mich einfach nicht entscheiden kann… Das wäre eine echte Behandlungschallenge für jede Psychotherapie. Das hatte ich schon immer mit dem Kofferpacken. Und keine Idee wo das herkam? Vielleicht war ich in meinem vorigen Leben eine Wandersfrau oder so was ähnliches und konnte nur genau das mitnehmen, was ich in meinem Rucksack selbst schleppen konnte. Jetzt tat ich es für ein Italienwochenende nicht unter sechs Bikinis mit dazu passenden Badeschlapfen, vom Rest gar nicht zu reden. Dazu kamen dann noch die Einkäufe. Die Einkaufsstraße in Jesolo ist zehn Kilometer lang, da kommt schon was zusammen, wenn man pflichtbewusst wie ich bin kein Geschäft auslässt. Bei meiner Freundin verhielt es sich ähnlich, also fuhren wir immer im Blindflug nach Hause, das Auto vollgestopft bis zur Decke.

Aber wie gesagt, hier und heute hatte ich nur einen Miniatur-Trollykoffer. Ein weißer Jogginganzug zum Schlafen und Ruhen, dicke Socken, Schlapfen. Das war in einer Minute wieder eingepackt, problemlos. Da war es eher das Problem einen weißen Jogger zu bekommen in dem ich nicht wie eine Tonne aussah. Ich finde bei der Farbe weiss muss man automatisch zu einer Nummer größer  greifen, damit es noch irgendwie unter lässig durchgeht. Wenn sich die weiße Hose an meinen fetten Po schmiegt, na gute Nacht. Wobei jetzt in Kenntnis der Situation hätte ich jeden anderen Jogger auch mitnehmen können, hier in der Kammer bin ich eh nur allein.

Auf der Rückseite des Timetables fand ich noch eine Notiz: Solltest du den Retreat vorzeitig abbrechen geht das zu deinen Lasten und wird deinem Karmakonto negativ zugeschrieben.

Wahnsinn, das ist ja wie eine Sekte, die lassen dich auch nicht mehr weg. Und wenn, dann nur mit einer gefährlichen Drohung.

Also das wollte ich mir jetzt noch anschauen. Ich glaubte eine Gruppe zu finden und fand einzelne Menschen, die so taten als sahen sie sich nicht. Unsichtbare oder vielleicht schon Lichtmenschen? Sieben Frauen und zwei Männer, also Waschlappen. Es mag ja sein, dass die näher an ihrer Mitte sind als ich, aber Zufriedenheit schaut anders aus. Die gemeinsame Meditation bestand darin, dass jeder dort saß und nichts tat. Die hatten alle den perfekten Yogasitz drauf, mir tat schon nach fünf Minuten der Rücken weh. Beim anschließenden Frühstück hatte jeder einen eigenen Tisch und löffelte das suppenartige Gebräu. Mir war schlecht. Zurück zur Meditation, das Mittagessen verlief wie das Frühstück. Ich wartete sehnsüchtig auf mein 14.00 Uhr Gespräch. Dort wollte ich jetzt mal klaren Tisch machen, was mir Alles nicht passt. Ich musste halt schnell sprechen, weil 10 Minuten sind nicht wirklich lange, aber das ist mein kleinstes Problem.

Die Sprechstunde, also Sprechminute fand in einem Tempelchen statt, es war eigentlich ein Holzplumpsklo und war am Ende des Grundstückes zu finden. Entschlossen riss ich die Türe auf … geschlossen. Die Uhrzeit konnte ich ja nicht checken ohne Handy, aber ich war mit Sicherheit pünktlich. Dann las ich das Schild – Heute ist Jahrestag der Geburt des Buddha – Tag der vollkommenen Stille.

Das schlug dem Fass den Boden aus. Ich stapfte wieder zurück zur Rezeption. Dort prangte die gleiche Info auf dem Holzfenster. In Notfällen hinterlasse deine Zimmernummer. Das tat ich. Einen weiteren Meditationsversuch ließ ich aus. Brav saßen sie alle auf der Wiese und schauten aus wie tot.

Zurück in meiner Kammer versuchte ich die Zeit noch „irgendwie sinnvoll“ zu nützen. Von wegen innere Widerstände loslassen – ich bin ein einziger Widerstand. Warum hab ich mir das angetan? Über das konnte ich jetzt nachdenken, statt Probleme der Volksschulzeit hervorzuholen.

Ich kann es nicht festmachen wann das begonnen hat, das jedes Problem, jeder Blick, jedes Essen, jeder Zustand – ja einfach Alles – zelebriert wurde? Ich habe irgendwann früher kein Tagebuch geschrieben, keine Lebenshilfebücher gelesen, keine Glaubenssätze analysiert. Meditiert habe ich auch nicht, dass war dem Buddha vorbehalten. Ich hatte keine Mantras und mühte mich auch nicht damit ab das Gesetzt der Anziehung von irgendetwas zu überzeugen.

Ich lebte einfach. …..

Ich habe mich nicht gegen eine Sache entschieden, ich habe mich für mich entschieden und das scheinbar instinktiv.

Ich habe, um ein banales Beispiel zu geben nicht vier Stunden das Internet nach der besten Cellulitecreme durchforstet. Wenn mein Instinkt sagte, ich kaufe jetzt die XY-Creme habe ich das getan. Wissend, dass keine Creme Cellulite wegmachen kann. Aber mit einem guten Gefühl habe ich sie geschmiert und auch eine Verbesserung bemerkt. HEUTE – werden Testberichte, Inhaltsstoffe, Vergleichsprodukte bis zum Abwinken gecheckt. Es bleibt trotzdem eine Unsicherheit, das absolut richtige zu tun. Naturprodukt versus Chemie, das böse Mikroplastik, die ökologische Verpackung, ja und dann noch der Preis. Und dann noch das schlechte Gewissen, seine wertvolle Zeit mit der Suche vertan zu haben und trotzdem nicht sicher zu wissen ob man sich für A oder B entscheiden soll. Die ganz Fleißigen drucken sich die Informationen noch aus und heften sie in Ordner ab, die sie nie wieder im Leben anschauen werden.

Wenn eine Freundin zu spät gekommen ist, oder irgendwas gesagt hat, was mir nicht gefiel habe ich ihr das einfach gesagt. Fertig war die Geschichte. Heutzutage wird analysiert, warum sie zu spät kommt – ist es respektlos mir gegenüber, spiegelt sie mich wieder, weil ich respektlos bin?  Oder hat sie ein schlechtes Zeitmanagement, will sie mich vielleicht gar nicht treffen und das ist der Ausdruck dafür?

Ich habe auch keine Essenstagebücher geführt und sie nach Nährstoffen katalogisiert. Mein Handy hat mich nicht darin erinnern müssen, dass ich Wasser trinke, es gab nämlich noch keine Handys.

Das ist doch eigentlich Wahnsinn. Wir machen uns nonstop selbst fertig. Es ist nur wie es für mich ausschaut sehr schwer von diesem „Zug“ wieder abzuspringen. Es ist so eine fließende Geschichte. Den Anfang finde ich nicht mehr und das Ende kann ich auch noch nicht festmachen. Das ist möglicherweise die einzige, aber sehr wichtige Erkenntnis dieses Kurzaufenthaltes. Ich bin am richtigen Weg, das spüre ich.

Ja, apropos Weg, ich mache mich jetzt auf den Heimweg. Mein Retreat ist hiermit beendet. Und ich werde ganz viele Bonuspunkte auf mein Karmakonto bekommen, da bin ich sicher. Ich schicke Buddha ein dickes Bussi, in aller Stille. Namaste!

Schamanismus. Dieser Theaterabend kann mich in meiner Selbstfindung jedenfalls weiter bringen, als viele „Versuche“ davor.

Letztes Jahr startete ich, man versucht ja doch jeden Jahresbeginn zu einem besonderen werden zu lassen, mit Hooponopono.

Das Wort  klingt schon mal lustig, easy und nicht nach „Arbeit“. Dazu kam noch, in dem Fitnesscenter wo ich Yoga mache gibt es einen Yogi und eine Yogini die ich wirklich bewunderte. Sie halten beide nicht eine Yogastunde ab, sie leben es. Also die ganze Philosophie dahinter und sie schauen vor allem auch so aus. Das ist nicht bei allen so. Einmal krachte ich zeitmäßig in eine andere Yogastunde. Die Yogini, die keine war – sondern eine hässlicher, verhärmter, unfreundlicher Trampel mit einer nicht mal guten Figur. Also diese fleischgewordene Negativität bekrittelte schon mal mit scharfem, strafenden Blick, dass meine Sportschuhe beim Reinkommen ein Geräusch machten. Es war natürlich klar, dass wir in diesem Leben, in keinem Leben davor und mit Sicherheit in keinem Leben danach Freundinnen sein würden. Ich nahm es mit einem tiefen innerlichen Lächeln als „Prüfung“ an und wollte jetzt ganz einfach meine Yogastunde konsumieren. Selbsterfüllende Prophezeiung, es funktioniert so einfach, wenn es funktioniert. SO ein Yoga hatte ich noch nicht erlebt. Sie beschränkte sich auf sechs Ashtangayoga-Positionen, die sie ständig wiederholte. Kein Mensch, jedenfalls ich nicht, kann fünf Minuten – im herabschauenden Hund oder in der Brettposition – verharren. Und während sonst auch immer die Aussage jeder Yogastunde war – jeder macht so gut er kann, und wenn er nicht mehr kann oder will begibt er sich in seine eigene Entspannungsposition – kam diese schwarze Hexe im Körper einer Oberlehrerin des Mittelalters zu mir. Mit einem Blick der töten hätte können sagte sie – Brett. Ich erhob mich von meinem eigenen Shavasana – die Todeshaltung und quietschte mich mit meinem Schuhen frühzeitig aus dem Raum.

Also jedenfalls meine Lieblings-Yogini sagte Hopen – also nicht Hoffen, glaub ich jedenfalls – sondern die Kurzform für das tägliche Hooponopono ist ganz easy in den Alltag zu integrieren. Ein Vergebungsritual für alle Lebensbereiche, dass dein „hidden self“, also Alles was dich halt so hindert, dass es dir supergut geht, auflöst. Der kurze Weg zur Vollkommenheit. Es kommt aus Hawaii, da sieht man vor dem geistigen Auge nur glückliche, schöne Frauen tanzen, mit Blumengirlanden und einem ewigen Lächeln. Gut, ich war schon mal in Hawaii und da war es eigentlich wie in Amerika. War wahrscheinlich die falsche Insel, ich wollte mich damals auch noch nicht wiederfinden. Ich wollte schlicht Urlaub machen.

Du setzt dich hin, legst die Hände auf dein Herz und atmest. Passt! Du denkst an die Sache XY, konzentrierst dich, fühlst dich hinein.  Dann sagst du: Es tut mir leid. Bitte verzeih mir. Danke. Ich liebe Dich. Fertig.

Vielleicht stand mir persönlich im Weg, dass ich nicht davon ausgehe das irgendetwas in meinem Leben leicht gehen kann. Also es änderte sich nichts. Möglicherweise war ich auch nicht präzise genug.

Ja, und natürlich wie bei allen Methoden auf Gottes Erdboden war es auch hier so, dass man es täglich, auch mehrmals praktizieren sollte. Visualisieren war auch angebracht. For example – du bist ein Glas mit dreckigem Wasser, tröpfchenweise kommt jeden Tag sauberes Wasser dazu (siehe Methode oben, oder auch jede Andere) irgendwann wird das dreckige Wasser dem vielen sauberen weichen. Der springende Punkt dabei, es dürfte dann aktuell kein dreckiges Wasser nachkommen. Da es aber mindestens in meinem Leben keinen Tag gibt, wo mir etwas nicht passt, nicht eine Kränkung wiederfährt oder so eine Yogastunde mit einer schwarzen Hexe – kommt jeden Tag mehr dreckiges Wasser nach als die saubere Variante…

Damals hatte ich auch noch das vage Bedürfnis nach einem Mann, also einer Beziehung. Einer der mich schätzte und dem auch ich mit Respekt begegnen konnte. Einer, der bei der Frage – ob er mit mir beim Ikea eine Matratze abholen konnte – nicht im Stechschritt die Flucht ergriff. Einer, der nicht nach einem Sexmarathon meinerseits sagte – du ich muss morgen früh raus, ein Termin – und aufsprang wie von der Tarantel gestochen.

Das Thema habe ich total abgelegt, ich habe mit mir genug zu tun.

Ich vertraute mein Versagen meiner Yogini an. Sie war ja sowas von positiv. Also nicht aufgesetzt. Sie war schön, richtig perfekt. Der Körper – schlank geformt, trotzdem mit Busen, ebenmäßig, eine Haut wie Samt, volle weiche Lippen und das alles in Echt. Lange, dichte, glänzende Haare. Sie kannte Begriffe wie  Spliss, Cellulitecreme, Wimpernverlängerung + Co wahrscheinlich gar nicht.

Aber dem nicht genug, sie hatte eine Ausstrahlung von totaler Vollkommenheit, Weichheit, Weiblichkeit, Glücklichkeit. Dass sie beweglich war wie ein Gummiringerl versteht sich. Dazu war sie aber noch total weltlich – als Modell tätig – geschminkt war sie der Vollhammer. Keine äußere Schönheit ohne innerer Zufriedenheit, war sie in der spirituellen Szene sehr aktiv. Das entnahm ich ihrer homepage. Es war an der Kippe zu einer anderen Welt, aber ich mochte sie.

Und sie war lösungsorientiert.

Die Lösung hatte einen Namen: Kambodetox.

Sie erzählte uns allen davon, ganz nebenbei, ganz selbstverständlich, ganz weltlich eben. Das ist ein schamanisches Heilritual. Eine energetische Reinigung, ein allgemeines Stärkungsmittel das den ganzen angesammelten Dreck im Körper entfernt. Ein Energieaustausch – gut gegen böse. Dauer zwei Stunden. Kosten: unter 100,- Euro stand auf dem Zettelchen. Es waren noch viele schwere Krankheiten aufgezählt, bis zu Krebs. Aber, Alles ist eben Alles, egal welche Bezeichnung es hatte.

Ja bitte, auf was hatte ich denn gewartet??? Wer zahlt schafft an. Jahrzehntelang hatte ich da herumgewurschtelt mit Seminaren, Büchern, Therapeuten und Allem was Gott sonst noch so verboten hatte. Hatte Notizbücher vollgeschrieben mit Weisheiten, Mantras, Vorsätzen, Vergebungen – alles für den Gully.

Danke liebes Universum, dass du mir diese Yogini geschickt hast. Kein Wunder dass sie so war wie sie war mit DEM im Schminkköfferl.

Ich meldete mich sofort an, besser hatte ich mein nicht vorhandenes Geld sicher noch nie investiert. Füße hochlegen und fließen lassen. Aufstehen und ein neuer Mensch sein. Wie sie.

Ich gebe niemanden die Schuld, außer mir natürlich. Ich habe noch nie in meinem Leben eine Gebrauchsanweisung, einen Beipackzettel von einem Medikament – also solche Sachen gelesen. Das bin wirklich ich, da suche ich keinen Schuldigen, keine Ursache. So ist es. Sollte es gar nicht funktionieren dann ruf ich eine Monk-Freundin an und bitte sie die Anweisungen zu lesen und mir dann im Telegrammstil mitzuteilen. So ist es und so sei es!

Da stand so eine kleine Anmerkung – nehmen sie ein leichtes, fleischloses Abendessen zu sich. Keinen Alkohol, keine Zigaretten oder andere Drogen. Schlafen sie ausreichend. Kein Kaffee.

Ganz ehrlich, ich dachte nicht eine einzige Millisekunde darüber nach. Es wäre mehr als lächerlich gewesen den Abend davor anders zu gestalten, als meine letzten zwanzig Jahre. Was hätte das bringen sollen. Ein Baby, dass in die Donau spukt hätte mehr verändert.

Und wenn das Kambo all diese Dreckmassen wegräumt, dann wird es auf das eine Steak mit einer Flasche Rotwein, die vierzig Zigaretten und den zwei Kaffee`s in der Früh auch nicht mehr ankommen, oder?

Ich war pünktlich um 11.00 Uhr dort. Diese Schamanen hatten Stil. Sie schauten aus wie Indianer, ein bissl wie Fasching. Meine Yogini saß mittendrin und hatte einen Blumenkranz am Kopf. Wie meistens war sie bauchfrei angezogen. Ich zog meine Yogginghose nach oben über die Speckfalte, im Yogasitz macht die sich so richtig breit. Aber bauchfrei war ich nicht mal in meiner frühesten Jugend angezogen. So schön war er nie, der Bauch. Bis jetzt. Weil, wenn ich hier rausgehe ist Alles anders.

Es waren acht Menschen dort inklusive mir. Mein wertfreier Eindruck – Vollveganer – oder gibt es da noch eine Steigerung? Weiblein und Männlein, sehr naturbelassen und in Jutte und Biobaumwolle gehüllt. Der Dresscode hieß – bequeme Kleidung, aber da gibt es auch Auslegungsmöglichkeiten. Meine Yogini wirkte da wie ein Supermodel bei der Fashionweek. Aber wie sonst auch immer war sie der strahlende Stern, voll integriert mit diesem Fashionelend rundherum. Mein Jogger war von Gucci. Ja klar vom Flohmarkt, 12,- Euro nach harter Verhandlung, aber das stand ja nicht oben.

Das Interieur, ich würde sagen spartanischer Stil. Acht Bodenkissen und eine vertaubte Zimmerpalme. Die Raumreinigung stand hier offenbar nicht so im Vordergrund. Hier ging es um innere Reinigung. Hinter jedem Teilnehmer stand ein Plastikkübel.

Es gab eine kurze Einführung in spanischer Sprache, und dass diese Reinigungsrituale sonst nur direkt im Amazonasgebiet stattfinden, eine Woche für 2.500,- Euro. Ich hörte der Übersetzung nicht so ganz aufmerksam zu. Ich konzentrierte mich schon auf mich. Jeder bekam eine vierseitiges Infoblatt, dass er unterschreiben musste. Wie bei einer Operation. Ohne Lesebrille, wie soll das gehen? Es las auch sonst niemand. Der Indianer sammelte alle Zettel wieder ein und startete bei dem Herren zu seiner Rechten.

Am Oberarm wurden Streifen in die Haut geritzt und über diese nunmehr „offenen Wunden“ das Froschgift eingebracht. Dazu gab es noch ein Stamperl zum Trinken.

Ich bin sehr offen für Neues, aber das schaute nicht sehr gut aus. Das Blut tropfte auf den Polster. Wieviel Blut hatte der Polster schon intus? Hygiene war bei dieser Zeremonie offensichtlich ein Fremdwort. Während ich noch mit weit geöffnetem Mund dachte, da werden Narben bleiben, kotzte die Nummer eins bereits in den Kübel. Mein Mund ging wieder zu und der Schamane zum nächsten Kandidaten. Mit dem gleichen Messer begann er wieder Striche in den Arm zu ritzen. Ich wusste nicht, sollte ich atmen, schreien, weglaufen. Mein verzweifelter Blick suchte meine Yogini. Sie lächelte, wie sie immer lächelte und sagte mit ihrer beruhigenden Stimme: Das Gift desinfiziert automatisch Alles, vertraue. Die Reinigung erfolgt über alle Körperöffnungen des Menschen. Du wirst dich fühlen, wie du dich noch nie gefühlt hast. Namaste. Dann fiel sie in der Sekunde wieder in ihre tiefe Medidation zurück.

Ja ist mir schon klar, alles was wir in unserem Körper reinstopfen, kommt auch wieder raus. Fünf Öffnungen an der Zahl, die Ohren mitgerechnet.

Der Indianer war mit den Utensilien bei mir angelangt und mein Bauchgefühl sagte, nein es schrie – GEH. Aber eine amazonische Weisheit dürfte sein – was liegt das pickt – packte er meinen Arm ganz fest. Er begann zu ritzen, es tat höllisch weh. Ich zuckte weg, er bedachte mich mit einem strafenden Blick. Beim nächsten Strich versuchte ich mich loszureißen, er rutschte mit dem Messer ab und zischte jetzt aggressiv irgendetwas auf Spanisch. Ein zweiter Indianer kam ihm zu Hilfe. Beim vierten Schnitt kam ein Schwall aus meinem Mund und ergoss sich über ihn.

Ich drehte mich wie automatisiert zu meinem Kübel, ein Schmerz durchbohrte meinen Körper, ich knallte längs auf den Boden. Hinten ging es auch los. Einfach so. Meine Organe lösten sich auf, ein höllisch brennender, krampfartiger Zustand. Unkontrollierbar.

Der Indianer ging in aller Ruhe zum nächsten Kandidaten, meine Yogini saß unverändert lächelnd in der Mitte des Raumes – das war das letzte Bild in meinem Kopf. Dann wurde ich ohnmächtig.

Ich versuchte meine Augen zu öffnen, aber sie waren so schwer. Ich schaffte es nicht. Irgendetwas begann zu piepen, da war jedenfalls ein Geräusch. Viel später, oder vielleicht auch nur nach einer Minute nahm ich Stimmen wahr. „Es schaut so aus, als ob sie es geschafft hat“.

Ich lag auf der Intensivstation, Schläuche überall. Hatte ich einen Unfall? Was war hier los? Ich war schon drei Wochen hier. Sie hatten nicht mehr geglaubt, dass ich wach werde. Meine Monk-Freundin hat aber darauf bestanden es vier Wochen zu versuchen. Sie kannte mich, dass ich ein harter Knochen bin. Die Ärzte hätten mich schon nach zwei Wochen abgedreht. Mein Hals, Magen, Darm war total verätzt, wie wenn ich Salzsäure getrunken hätte.

Was haben sie getrunken, sagte der herbeigeholte Chefarzt. Seine ganze Sippschaft stand aufmerksam hinter ihm. Was sollte ich sagen, ich hab´s mal mit schamanischem Froschgift probiert Herr Doktor…

Ausweichend stammelte ich ganz leise, reden war noch nicht so gut für mich – wie bin ich hier her gekommen? Eine sehr hübsche, junge Frau hatte mich auf der Straße liegend in einer Hausecke gefunden und sofort die Rettung verständigt. Geistesgegenwärtig, ihr habe ich zu verdanken, dass ich noch lebe. Meine Lebensretterin war so bescheiden, sie wollte keinen Namen hinterlassen. Wenn ich überlebe wäre das Dank genug für sie und sie würde das spüren. Ich spürte einen ganz kleinen Anflug von Energie in meinen Körperzellen, die ich nur mit Mordenergie bezeichnen kann. Ich wollte jetzt nicht mehr weitersprechen, schon gar nicht denken. Ich ließ meine Augen wieder zufallen und die Ärztetruppe zog ab.

Nach weiteren zwei Wochen konnte ich das Spital verlassen. Mein Speiseplan für die nächsten drei Monate – Flüssignahrung und Breikost. Strengstens verboten Alkohol, Cola, Zigaretten, jedes feste Essen – das würden meine Schleimhäute nicht aushalten.

In den Entlassungspapieren stand: Verätzungen infolge einer unbekannten, hochgiftigen Flüssigkeit …

und

aufgrund einer retrograden Amnesie der Patientin kann der Unfallhergang nicht dokumentiert werden

Ich googelte sofort. Die Informationen waren elendslang.

… grundsätzlich wird von einer generell „richtigen“ Lebensweise mit veganer Ernährung (Reis, Reissuppe, Tofu, Gemüse) ausgegangen, die mindestens fünf Tage vor der Reinigung noch intensiviert, also verknappt werden sollte um seine Engagement zu bestärken das danach erhalten werden sollte. Generell verpönte Lebensmittel, die jemand der sich auf diese spirituelle Stufe begibt nicht in seinem Leben hat, wird jedenfalls darauf hingewiesen innerhalb der fünf Tage vorher keinesfalls, auch nur einmalig zu konsumieren: Alkohol, Kakao, Schokolade, Koffein, Fleisch, Fisch, Öle, Limonaden, Energydrinks, Gewürze, Milchprodukte, Käse, Konserven, Zucker, Proteinpulver,..

Weitere Einschränkungen: Duschbäder, Cremen, Parfüm, keine Medien, keine Werbung, keine Gespräche, kein Sex…

Es wird davon ausgegangen, dass nur verantwortungsvolle Menschen an diesem Event teilnehmen sollen. Bei Gesundheitsproblemen (Herz, Bluthochdruck, Diabetiker, psychische Krankheiten, Bronchitis usw.) die Verwendung von Medikamenten (im speziellen Antidepressiva, Kokain, usw.) gelten als Ausschließungsgrund. Generell sollten alle Medikamente zwei Monate davor abgesetzt werden, da sonst die Reinigung erschwert oder gar nicht stattfinden kann, besprechen sie das mit ihrem Arzt.

 Mit deiner Unterschrift bestätigst du, dass alle genannten Maßnahmen erfüllt sind und du dich in einem körperlichen und geistigen Zustand befindest… bei eigenem Risiko können wir keine Haftung für „Unfälle“ übernehmen. … können wir für etwaige Folgen – schwere psychische, körperliche und energetische Schäden nicht haftbar gemacht werden.

Hätte ich das vorher gelesen, das einzige das ich mit gutem Gewissen hätte unterschreiben können – ich habe keinen Sex. Der Rest ist mein tägliches Leben und zwar seit Jahrzehnten am Stück.

Da konnte ich ja froh sein, dass ich mir die Originalvariante direkt im Amazonasgebiet nicht geleistet hatte. Bei genauem Durchlesen fiel mir auf, da steht die Kosten inkludieren nur einen One-way Flug. Ja wahrscheinlich bleiben viele, die ja schon vorher kurz vor der Erleuchtung standen, hypergesund gelebt haben und das nur mehr als I-Tüpfchen machen dann gleich sicherheitshalber bei den Schamanen. Der Rest, ja es ist sicher nicht einfach eine Leiche im Amazonas zu finden, wahrscheinlich würde sie auch keiner suchen.

Ich, mit meiner Lebensweise war jedenfalls der totale Antimensch für diese Art von Reinigung. Wenigstens hatte ich es überlebt. Auch das ist ja schon ein Sieg. Und wenn auch mein Körper einen heftigen Schaden erlitten hat, meine Seele war noch immer gleich voll mit allen Altlasten. Und wieder musste sie es schaffen dieses neue Erlebnis hineinzustopfen.

Wie das passiert ist, was ich genommen hatte – ich konnte mich einfach nicht erinnern… aber das  ist doch nicht verwunderlich nach drei Wochen Koma, mit einer retrograden Amnesie oder?  

Meine Suche nach – Amnesie – war wie, ja Heimkommen oder das Stammbuch aus der Volksschulzeit durchblättern. Ich fand mich, also meine psychischen Erscheinungen total wieder. Und jetzt hatte ich es auch noch schriftlich, von einem richtigen Arzt.

Und plötzlich ist dein Leben weg… oder Teile davon, banal gesagt Gedächtnisverlust.

Es gibt verschiedene Formen der Amnesie – anterograde, retrograde, transiente globale, globale, kongrade und psychogene. Oft sind es auch Mischformen.

Die transiente globale Amnesie kennen wir alle, das ist der Vollrausch, Erinnerungen von bis zu acht Stunden sind weg. Mit wem habe ich gesprochen, oder noch schlimmer…. Wie bin ich nach Hause gekommen, wer hat mich ausgezogen. Und die Königsklasse – wer hat mich abgeschminkt? Auch danach ist es für Stunden nicht möglich Informationen abzuspeichern. Der Tag danach. Das kennen wird doch alle. Es stirbt eine nicht unerhebliche Zahl an Gehirnzellen ab, die sich nicht mehr erneuern können. Das betrifft leider nicht die alten Emotionen, die bleiben da.

Die Psychogene Amnesie, auch bezeichnet als Margarete-schafft-es-nicht-Syndrom. Hier werden traumatische Situationen, Erlebnisse, Erinnerungen, extreme seelische Belastungen total verdrängt.

Die Menschen wissen irgendwann nicht mehr wer sie sind und landen irgendwo, also die Stufe hatte ich noch nicht erreicht – da ging noch mehr.

Es ist eine Flucht in das Vergessen, weil es nicht mehr auszuhalten ist – ja passt. Praktiziere ich täglich.

Es entsteht aus stressbedingten körperlichen und psychischen Bedingungen, das Gehirn schaltet auf OFF, bevor es platzt. Die Gefühllosigkeit rettet den Körper, ermöglicht ihm ein Überleben. Man könnte sagen – ein normales Leben. Oft kann auch Neues nicht mehr gespeichert werden. Wegen Überfüllung geschlossen!

Es soll auch Menschen geben die simulieren um ETWAS zu vertuschen.

Es handelt sich um eine Störung zum Abrufen von Erinnerungen. Besonders betroffen ist die Verarbeitung von Gefühlen. Na sag ich ja immer, um das geht es.

Für alle Amnestiker lässt sich sagen, dass sie eine negativ besetzte Kindheit durchleben mussten und diese Veränderung der Biochemie im Gehirn ihr Überleben ermöglichte. Diese kindliche Entwicklung manifestiert sich bis ins Erwachsenenalter. Diese „Wunde“ heilt nie. Bei jeder „Stressreaktion“ wird automatisch an dieses Muster angedockt.

Als medizinische Auslöser gelten Gehirnverletzungen, Schlaganfall, Vergiftungen, langjährige Einnahme von Psychopharmaka und Alkoholmissbrauch, sowie traumatische Erlebnisse. Na da bin ich ja voll dabei – ein Mischtyp sozusagen.

Ein wesentliches Merkmal ist, dass Betroffene sich keine Sorge um ihren Zustand machen, dem eher mit Gleichgültigkeit begegnen. Gekennzeichnet durch eine gleichmäßige depressive Stimmung ohne Höhen und Tiefen.

Es sind Teile des Gehirns geschädigt, die ein Abrufen von Erinnerungen unmöglich machen, bestenfalls werden sie wie ein Ping-Pong Ball hin- und her geschleudert, besonders Emotionen. Dieser Zustand zeigt sich auch im Nervensystem. Gekennzeichnet durch eine große innere Stressempfindlichkeit.

Mit dieser latenten Blockade leben viele Menschen Jahrzehnte, es ist ihr Normalzustand. Je nach Lebensweg, Persönlichkeit und Erlebten kann ein scheinbar harmloses Alltagsereignis zum totalen Ausbruch führen – keine Erinnerungen.

Du bist einfach nur da. Du fühlst nichts. War ich schon in diesem Stadium?

Die Behandlungsmöglichkeiten sind nicht berauschend – Symptombehandlung der Begleiterscheinungen und die etablierte Empfehlung für Alles was nicht passt – Entspannungs- und Atemübungen, moderate Bewegung, Musik und natürlich die gesunde Ernährung. Wie wenn ein Apfel mein Leben ändern könnte.

 Zusammenfassend lässt sich sagen, ich bin eine lebende Daueramnesie. Die kurze retrograde Amnesie hat mir ermöglicht das Froschgift zu verschweigen. Und jetzt mache ich wieder dort nahtlos weiter, wo ich aufgehört habe – Alkohol, Psychopharmaka, Gefühle verdrängen.

Eine einzige Sache von „viel früher“ war mir ins Gedächtnis gekommen. Mein telefonischer Bombenanschlag auf der Uni. Ich bin ganz gut durch meine Studienzeit gekommen, da kann ich mich nicht beschweren. Ich habe das Notwendigste was sein musste unauffällig erledigt. Das was mich wirklich interessiert hat mit dementsprechenden Interesse. Speziell aber Geschichte ist nicht so mein Ding, warum muss ich heute wissen, was vor hundert Jahren passiert ist. Klar, man könnte davon etwas lernen, etwas mitnehmen für Heute. Nur ich lerne nicht mal von meinen eigenen Fehlern und die sind oft nur eine Woche alt. Jedenfalls war wieder eine große Pflichtprüfung angesetzt, nicht nur dass man sich Wochen vorher auf die Anmeldeliste schreiben mußte um einen Platz zu bekommen und zwar um 7 Uhr morgens!!!! Die Prüfung fand im Audimax statt und in bewährter Form hatte ich mir mein Schummelheft mühsam zusammengeschrieben. Dieses klebte ich dann auf meine Oberschenkel. Einer der seltenen Gelegenheiten meinen weiten, langen, urhässlichen Rock anzuziehen. Quasi meine Prüfungsuniform, also für schriftliche Prüfungen. Damals gab es den Ausdruck me-too noch gar nicht, man war ja schon auf der guten Seite wenn man ein Wochenendseminar ohne Beischlaf überstanden hat. Aber da natürlich mehrere Professoren anwesend waren, oder auch Extra-Aufpasser traute sich hier kein Professor mir während der Prüfung unter den Rock zu schauen oder gar mehr. Die Methode hat sich wirklich bewährt, all die Jahre lang. Heute kann ich es ja veröffentlichen. Am Vorabend kam meine Freundin spontan bei mir zu Besuch. Ihr Freund hatte sie wieder mal abrupt verlassen, also immer ein anderer. Aber das Schema war immer gleich. Sie war in totaler Schockstarre, auch das war immer gleich. Und deswegen wusste ich auch was zu tun war. Zwei Flaschen Rotwein und eine Flasche Wodka, und nach zwei Tagen war sie wieder salonfähig. Also männerfähig. Sie war eine gute Seele und der vollen Überzeugung, dass immer nur die Männer schuld waren. Sobald ihr ein Mann die Karotte vor die Nase hielt und die „schönsten Augen“ der ganzen Welt bewunderte, schmolz sie dahin und das ganze Spiel ging von vorne los. Ihre Oberweite war in DD-Dimension, nicht jedermanns Sache. Aber wenn, dann richtig. Aber Männer langweilen sich ja manchmal schnell, und dann war der Atombusen auch irgendwann fad, wenn da nicht mehr kam. Offensichtlich kam von ihr nicht viel. Sie sah ihre Oberweite als vollen Einsatz und das musste genügen. Wenn die Männer dann nur mehr auf einen Absacker, besser gesagt auf einen Stich zu ihr kamen, vorzugsweise so um vier Uhr in der Früh und um fünf Uhr bereits wieder die Türe von außen zumachten dann begann die neue Liebe häppchenweise zu zerbröckeln. Zehnmal sagte sie – so geht das nicht – zehnmal machte sie allerdings mit. Teilweise mit Lockenwicklern am Kopf, fettigen Overnightmasken im Gesicht, gut den Männern wars egal – in der Nacht sind alle Katzen schwarz. In ihrem Vorzimmer hatte sie eine Tafel hängen, vormals gedacht für Einkaufslisten oder sinnige Sprüche. Jetzt zweckentfremdet für die Stricherlliste der Liebe. Bei zehn Strichen war Schluss, da war sie beinhart, das war dann keine Liebe mehr.

Ja, und wie sie da bei mir auf der Couch saß, sagte ich ihr: Marina – ohne dass du dich änderst, wird sich nie etwas ändern. Kling ja sehr weise und wurde doch nie von mir selbst erprobt. Aber in der Theorie bin ich super. Marina konterte zaghaft, sie hätte eh immer schon gesagt, so geht das nicht. Nur Sex, das ist keine Liebe. Was sollte sie noch ändern? Ja nach diesen drastischen Maßnahmen ihrerseits fiel mir jetzt auch nicht gleich eine Lösung ein.

Ich machte mich mal daran, den überfüllten Aschenbecher zu leeren. Mein Schild im Vorzimmer lächelte mir zu: „Ich schmeiss Alles hin und wird Prinzessin“!

Das erschien mir ganz passend, für die Tafel und noch mehr für Marina. Weitgefehlt, es war ihr zu banal. Na ja, wenn eine Frau mit einer so großen Intelligenz gesegnet ist, dann…

Ich kippte den ersten Wodka hinunter und schlug vor, dass wir jetzt nach hochintelligenten Zitaten suchen werden und dann ist der Abend beendet. Immerhin hatte ich morgen eine schwere Prüfung vor mir und nur ein Schelm denkt, dass man sich beim Schummeln nicht konzentrieren muss.

Es gewann eine Zitatensammlung  von Kurt Tucholsky, der hatte schon 1935 den Freitod gewählt, da gab man seinen Aussagen gleich noch mehr Gewicht als einem Lebenden.

+ Der Vorteil der Klugheit besteht darin, dass man sich dumm stellen kann. Das Gegenteil ist schon schwieriger

+ Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut

 

+ Erst habe ich gemerkt, wie das Leben ist. Und dann habe ich verstanden, warum es so ist, und dann habe ich begriffen, warum es nicht anders sein kann. Und doch möchte ich, dass es anders wird.

 

+ Erfahrung heißt gar nichts. Man kann seine Sache auch 35 Jahre schlecht machen.

+ Dumme und Gescheite unterscheiden sich dadurch, dass der Dumme immer dieselben Fehler macht und der Gescheite immer neue.

 

Neuen Mutes verließ Marina nun endlich meine Wohnung, die Zettel fest in der Hand. Ich hatte gleich ein Taxi angerufen, damit sie nicht auf die Idee kam ihren Aufenthalt noch unnötig  zu verlängern. Und jetzt aber, sofort ins Heidibetti. Es war bereits 4.00 Uhr morgens. Das waren jetzt noch genau vier Stunden Schlafenszeit, nicht wirklich viel für eine strebsame Studentin.

8.00 Licht an, Kaffee, Dusche, Kaffee + Energiedrink. Und jetzt noch schnell die Prüfungstracht anziehen und die Schummler fixieren. Das Gaffaband war schon hergerichtet. Nebenbei hatte es beim Abziehen einen besseren Enthaarungseffekt als jede Waxingmethode. Da waren die Zettel mit den Zitaten von gestern, also heute… Panikattacke, Schweißausbruch – wo sind meine Schummler? Ich kam zu dem Schluss, Martina musste sie irrtümlich mitgenommen haben. Telefon sofort, wenn ich es nicht pünktlich bis 9.30 Uhr schaffe waren die Türen zu. Und zwar für ein ganzes Jahr. Sie hob nicht ab, bitttttttttttttte. Leise stimme – was ist? Ich überhektisch, du musst sofort meine Schummler zur Uni bringen – Jetzt! Sie gelangweilt – welche Schummler? Ah, die Scheisszettel. Die, hatte sie nach einer weiteren Flasche Rotwein beim Heimkommen beschlossen sofort zu verbrennen… und deswegen sitzt sie jetzt im Rettungsauto. Weil sie sich dabei die Haare versenkt hat und das Gesicht gleich dazu.

 

Ja bitte, was hätte ich den tun sollen? Ich ging zur nächsten Telefonzelle, ja die gab es damals noch. Vis a vis von der Uni, ich wollte ja gesehen werden und dort sein, wie alle anderen Studenten auch. Ich rief an und sagte: Im Haus ist eine Bombe. Es war 9.10 Uhr. Wie durch Geisterhand wurde fast zeitgleich die Ringstrasse gesperrt, die Autofahrer hupten wie verrückt. Die Polizisten liefen hektisch herum. Aus dem Gebäude strömten die Massen, also überschaubare Massen. Aufgrund der Uhrzeit waren ja nur Streber und Prüflinge vor Ort. Ich mittendrinn, wie jeder andere auch. Kurz darauf stürmten bereits Polizisten mit Hunden in die Uni. Ich muss sagen, ich war wirklich überrascht, wie schnell dieses System funktionierte in echt. Gut, es würde auch ein schönes Sümmchen kosten, aber müssen wir nicht alle Opfer bringen??

 

Handyortung, Fingerabdrücke – an so einem öffentlichen Ort mit so vielen Menschen – totale Fehlanzeige. Ich hatte mir meinen Tagesablauf auch anders vorgestellt, aber wie heißt es doch immer – situationselastisch – hatte ich das Bedürfnis mir ein Buch zu gönnen. Der erste Schmöcker der mir in die Hände fiel, Vergebung heilt – Vergebung befreit, von Colin C. Tipping. Ich hatte keine Ahnung wer der Typ war, aber es konnte kein Zufall sein, oder?

 

 

Der Klappentext war überzeugend. In allen Weltreligionen und spirituellen Lehren ist Vergebung ein zentrales Anliegen. Fast alle Menschen spüren instinktiv, dass Ärger, Wut oder Groll eine große Belastung für sie selbst sind. Colin Tipping hat bei seiner Arbeit mit Krebskranken bemerkt, dass alte Verletzungen, die unvergeben waren, massive Auswirkungen hatten – ja vielleicht sogar den Krebs ausgelöst hatten. Auf der Suche nach einer Möglichkeit, Vergebung schnell und effektiv zu ermöglichen, entwickelte er seine “Radikale Vergebung” – einen radikalen (grundlegend anderen) Ansatz, die Ereignisse in unserem Leben zu betrachten. Um diese veränderte Sichtweise unseres Lebens zu ermöglichen, hat Colin Tipping eine einfache und sehr wirksame Methode entwickelt. In wenigen, klaren Schritten kann jeder diesen Prozess durchlaufen.

 

Gut, den restlichen Tag verbrachte ich mit dem Vergebungsritual. Dann fuhr ich nach Hause duschen, den Tag abwaschen. Schnappte mir ein „normales Outfit“ und fuhr zu Marina. Ihr musste ich jetzt auch noch nach der Tipping-Methode vergeben, damit ich mich wohlfühlen durfte. Sie war in der Zwischenzeit auch noch beim Friseur gewesen, der Kurzhaarschnitt war gar nicht schlecht. Mir schwante allerdings Böses, weil ihr Atombusen kam jetzt noch mehr zur Geltung. Die kinnumspielenden Haarsträhnen zeigten wie zwei Pfeile auf das Ziel. Da würde auch das riesige Pflaster im Gesicht keinen Abbruch tun.

Beim ersten Schluck Rotwein wurde mir leicht übel. Auf der Toilette war natürlich keine Klopapierrolle, die Halterung war schon kaputt seit ich denken kann. Und keiner ihrer zahlreichen Männer, die sicher auch diesen Ort benutzten, hatte es jemals der Mühe wertgefunden diesen einen kleinen Schrauben in die Wand zu drehen. Ich meine, man braucht dafür wahrlich keine Ausbildung als Meisterhandwerker. Ich drehte mich zum Spülkasten um, griff nach der Rolle und sah hinter der Klomuschel meine Schummelzettel…

Marinaaaaaaaaaaaaaaaaaa, was ist das? Ah, da ist er ja, na sowas. Der muss mir vor lauter Schwäche aus der Hand gefallen sein, deshalb habe ich dann direkt meine Haare angezündet. Da bin ich aber froh, dann ist ja Alles in Ordnung waren ihre letzten Worte. Beim Rausgehen schrieb ich auf ihre Tafel – ich bin ein Arschloch.

Die Prüfung wurde 14 Tage später „wiederholt“, ich schnitt mit einem durchschnittlich gutem Dreier ab, und vergab mir wiedermal.

Sexausflug. Wieder einmal keimte die Idee in mir auf, es sind alle Frauen Prostituierte irgendwie. Manchen verkaufen sich billig, andere sehr teuer. Ich hatte nichts mehr zu verlieren, also als Frau mit meiner Weiblichkeit, die war eh schon total ruiniert. Ich hatte permanent zu wenig Geld, endlose Schulden. Ich hatte sowieso keinen Sex – mit wem auch und warum – soll ich einen Fremden zu mir ins Bett lassen mit unberechenbarem Ausgang. Diese Geschichten hatte ich schon lange durch,….

Wo bekommt man heute einen potenten Sexpartner her, also finanziell potent meine ich. Keine Peanuts, keine Almosen. Ich bin keine Zwanzig mehr – das stimmt. Aber ich hatte eine mumifizierte, alterslose  Schönheit konserviert und ich konnte zuhören und dazwischen auch Weisheiten in dem Raum werfen. In der Nacht sind alle Katzen schwarz, die Männer haben ja auch Sehschwächen neben vielen anderen Schwächen. Ja, und beiße niemals die Hand, die dich füttert. Die Welt will belogen werden, Männer sowieso – alte Männer im speziellen.

Ich fand in meinem verhassten WWW eine alte Bekannte, die schon damals in der Schweiz „gearbeitet“ hat. Sie wollte immer wieder, dass ich sie einmal besuche und wir lustige Abende verbringen, im totalen Luxus versteht sich. Alles ok, jeder muss wissen was er tut. Meines war es nicht, ich wollte auch nicht als Zauberlehrling von ihr mit 10% von der Gage abgespeist werden. Und noch danke sagen müssen. Weibliche Zuhälter sind glaub ich noch schlimmer als ihre männlichen Kollegen. Da kommt noch der weibliche Neid dazu. Jedenfalls, sie war noch immer alive. Das Foto, ja das hatte möglicherweise schon einige Jahre am Buckel. Ich schrieb: Wäre total nett, wenn wir uns wiedersehen würden! Nicht spektakulär aber eindeutig. Antwort, ja aber gerne. Würde mich total freuen dich zu einer kleinen Party am Bodensee einzuladen. Passt? Bevor ich noch antworten konnte, ich bin da nicht so used to do – ging es schon weiter. Hast du noch die gleiche Telefonnummer? Ja, ich bin in vielen Sachen sehr beständig, auch da. Binnen Minuten kam ein elektronisches Flugticket. Man könnte fast sagen, sie hat auf „Frischfleisch“ gewartet, wie der Hund auf einen Knochen. Diese unnötigen Floskeln – wie geht es dir, was machst du so, wie ist es dir ergangen – ließ sie weg. Eigentlich eh unnötig. Auch mir war es egal, wie es ihr ging. Einen Tag vor dem Abflug kam noch eine Mitteilung, brauchst nichts mitnehmen, wird Alles erledigt. Am Flughafen erwartete mich ein Schild mit meinem Namen, dahinter ein Mann. Also eigentlich ein Roboter oder wie heißt es jetzt Avatar. Sein Auftrag lautete mich zu einem Einkaufstripp in die City zu bringen. Er überreichte mir eine Kreditkarte. Unlimited. Mehr sagte er nicht, hatte man ihm den Strom abgedreht?

Man muss das Leben nehmen wie es kommt, und es könnte schlimmer kommen. Ich war noch nie unlimited mit  einer Kreditkarte einkaufen, höchstwahrscheinlich wird es mir auch kein zweites Mal passieren. Ich stieg aus der Limousine, alle Luxusmarken waren hier kompremiert – ich mitten drinnen. Ich war ja gut im Shoppen, ich kannte meine Größe, also mein Augenmaß. Das lästige Probieren konnte ich auslassen. Ich schaffte es in knapp zwei Stunden die Menge eines Schrankkoffers anzuhäufen. Wie durch Geisterhand wurde Alles wortlos, selbstverständlich zur Limousine befördert. Das musste an der Kreditkarte liegen. Die hatte auch keinen Code ab 25,- Euro, lächerlich auch nur daran zu denken. Ich hatte noch keinen Einkauf unter 1000,- Euro getätigt. Nachdem ich alle relevanten Geschäfte durchhatte, teilweise auch etwas enttäuscht, weil die Modelle aus der Vogue Werbung, die ich wollte teilweise gar nicht vorrätig waren. Und die Warteliste war nichts für mich, gewartet hatte ich genug. Ohne zu wissen auf was.

Jedenfalls vermittelt ich dem Chauffeur nonverbal, dass meine Shoppingmission beendet war. Lautlos glitt das Auto durch die Straßen. Auch in der City waren verhältnismäßig wenige Menschen. Vielleicht war das unnobel? Ich hatte ja noch immer mein eigenes Outfit an und auch meine geliebte Zara-Tasche. Sie war sowas von praktisch, mehrere Seitenfächer, übersichtlich, aber doch nicht zu groß und schön war sie auch, fand ich jedenfalls. Pia hatte sogar eine Nachricht gesendet, genieß es – wir sehen uns später, was für ein menschlicher Zug von ihr. Ich glaubte mich dunkel zu erinnern, dass ihr Name eigentlich Gertrude war, aber egal. Deswegen war ich ja nicht da. Das war kein Spaziergang, das war ein Auftrag. Der war 4000,- Euro wert und unter uns Schwestern gesagt tippe ich drauf, dass Pia oder wie immer nochmal so viel für ihre Vermittlung bekam. No risk, no fun.

Es wurde immer mehr Landschaft und immer größer Häuser. Also Anwesen mit parkartigem Umfeld. Nach rund einer Stunde waren wir in St.Gallen angekommen. Das nenn ich Villen mit Ausblick. Das riesige Tor öffnete sich wie von Geisterhand, die Auffahrt war gefühlte fünf Kilometer weit. Ein livrierter Diener wies mir wortlos den Weg zu meinem Zimmer im oberen Stock. Es war ein Riesenkasten mit Türen ohne Ende, mit Sicherheit werde ich hier niemals wieder den Ausgang finden. Planlos setzte ich mich auf das Kingsizebett. Ich wusste ja nicht, sollte es gleich losgehen oder was stand auf dem Plan. Ich rief Pia an, sie war ja immerhin die Checkerin. Also mit Sicherheit war ich noch nie in meinem Leben so planlos, arglos, sorglos irgendwo hingefahren, nicht mal zu Pfingsten nach Jesolo und das kannte ich wie meine Westentasche. Sie hob nicht ab, also wenn ich kurz nachdenken würde – das was da gerade abläuft muss man sich auch mal trauen. Keiner wusste wo ich war, was ich hier vorhatte schon gar nicht. Mir könnte hier „Alles“ passieren, ja Alles was man sich nicht mal vorstellen kann und will. Gerade als mir natürlich in vollkommener Stille meine Shoppingfrüchte gebracht wurden, kam eine SMS von Pia.

Relax und warte auf Anweisungen.

Kurz, bündig, myhstisch. In meiner Bauchgegend machte sich ein gewisses Unbehagen breit. Ich saß hier in einem Luxusgefängnis fest und das planmäßig bis morgen mittags. Ich wäre jetzt so gerne zu Hause, in meiner sicheren Wohnung – da hatte ich das Kommando. Die 4000,- Euro ändern mein Leben auch nicht, aber angenehm wären sie doch.

Jetzt wäre ich hier einmal mitten im totalen Luxus, den ich mir vorher in meinem Leben und mit großer Sicherheit auch danach niemals würde leisten können und wusste nicht was ich tun sollte? Der Ausblick traumhaft ja klar, aber da waren keine Menschen. Eine Stimmung wie nach einem Atombombenangriff. Ich dumme Tussi. So fühlt sich sicher keine Nobelhure, sollte es ein nächstes Mal geben mache ich die Domina-Masche, die schaffen wenigstens an was zu tun ist. Das liegt mir glaub ich wesentlich besser. Als blöd „auf Anweisungen“ zu warten.

Unsicher durchstreifte ich die Nebenräume. Ein Whirlpool – das war die Lösung, von warmen Wasser umgeben zu sein war immer gut. Es erinnert an die embryonale Phase warm – geschützt – in Sicherheit. Ich stellte auf Dauerbetrieb.

Ja natürlich, ich war keine Zwanzig mehr, und wenn bei der Vorsorgeuntersuchung die Ergebnisse altersgemäß sind, so ist das keineswegs erfreulich. Weil in der natürlichen, menschlichen Entwicklung kommt danach das Sterben – also altersgemäß. Aber auch ohne ärztlichen Befund weiß man immer mehr, dass man nahezu unsichtbar wird für die Männerwelt. Irgendwann in einem Club, einer Party merkt man – ich bin nicht mehr das Super-Partygirl mit dem alle Männer flirten wollen, wo die Drinks spendiert werden. Auf der Tanzfläche sieht mich nur meine Freundin mit der ich tanze. Sollte sich aus Höflichkeit einer der Männer erbarmen mit dir zu plaudern, dann nur um die Zeit zu überbrücken, den Raum abzuscannen wo das nächste junge Opfer frei ist. Mit Glück verabschieden sie sich dann kurz, mit Pech verschwinden sie einfach mitten im Wort. Und besser wird es nicht mehr werden, selbst die ganz alten Daderer sind da nicht anders. Die Midlifkrise wird dann zur Endlifekrise und die endet bekanntlich mit dem Tod.

Steckt man in einer Krise, gibt es kein zurück. Nur ein hindurch…

Über Lautsprecher sagte eine Stimme – sie werden in 30 Minuten im Salon erwartet!

Na super, das war ja nicht unbedingt die Megavorlaufzeit. Rein in die Spitzenunterwäsche, Straps, meine neuen Louboutins durften gleich aus der Schachtel. Nach Adam Riese werde ich sie eh kein zweites Mal tragen, ich konnte mit den hohen Hacken einfach nicht gehen. Ich wählte ein rotes Strechkleid, da erspart man sich die Peinlichkeiten mit Reißverschlussproblemen. Leichtes Make up, Haare locker hochgesteckt. Ich finde es total peinlich mit verschmierten Make up und verknoteten Haaren nach wilden Sex neben einen Mann zu liegen. Ich bin ein Profi, das erspare ich mir heute.

Ich öffnete zaghaft meine Zimmertüre, wie sollte ich jetzt den Salon finden? Just in diesem Moment erstrahlten  im Hochflorteppich kleine Lichter als Wegweiser. Im Salon war es stockfinster und soweit ich das mit meiner Nachtblindheit erkennen konnte, stand in dem riesigen Raum nur eine Art Sofa.

Ich weiß nicht wie ich das jetzt erklären soll, so etwas hatte ich noch nie gesehen. Ein zweiseitiges Samtsofa mit einer sehr hohen Lehne. In der Mitte der Lehne war ein Loch. In allen Filmen und auch im richtigen Leben setzte sich die Frau lasziv mit übereinandergeschlagenen Beinen auf ein Bett und dann merkt man eh sehr schnell wie er es jetzt gerne möchte. Wie eine Volksschülerin am ersten Schultag stand ich da mit meinem neuen Chaneltascherl und hatte keine Ahnung was ich jetzt tun sollte. Was sollte ich jetzt sagen, wie wollen sie ihn jetzt reinstecken mein Herr? Eine Sexparty auf hohem Niveau, gut für das Geld konnte er es sich aussuchen.

Da durchbrach eine sonore, leise männliche Stimme wie aus dem Off diese unerträgliche Stille.

„Setzen sie sich bitte nieder und strecken sie die Beine durch die Öffnung.“

Oh Gott, ein Perverser, ein Verrückter – klar wie konnte ich so deppert sein, keiner zahlt 4000,- Euro für einen Fick mit einem alternden Weib, dass er nicht mal kennt,…

Total angespannt setzte ich mich und tat wie geheißen. Zwei Hände tappten meine Beine ab, zogen mir die Schuhe aus, ich wartete darauf, dass er sich bis zu meinem Schritt hocharbeiten würde.

Er begann meine Zähen zu lutschen,… ein Fußfetischist. Gab es in der ganzen Gegend keine anderen Zehen? Der Rest der Frau war doch dann völlig egal, es musste ja besonders prickelnd sein mich einfliegen zu lassen. Ich entspannte mich etwas. Das kannte ich von meiner Studienzeit, wo ich mich mit diversen anständigen Jobs über Wasser gehalten habe. Unter anderem einen Fußfetischisten, 20 Minuten für 400,- Schilling waren das damals, die Mörderkohle für mich. Das nennt man Inflation, jetzt waren es 4000,- Euro. Gerade als mir einfiel, dass der Lutscher von damals mich immer gebeten hat mich an diesem Tag nicht zu duschen und bereits getragene Strümpfe anzuziehen,… begann die Stimme wieder zu sprechen.

„Bitte gehen sie nebenan, dort finden sie alles was sie brauchen.“

Ich brauchte gar nichts, ja außer meinen Verstand – den hatte ich offensichtlich irgendwo abgegeben. Aber ich war hier gefangen, diskutieren mit Sicherheit nicht angebracht.

Auf Blütenpapier geschrieben stand: Lassen sie die Strümpfe an, ziehen sie die bereitgestellten Gummistiefel an (Chanel schwarz mit weißem Logo) und nehmen sie so in der Sauna Platz.

Es gab mal einen Tatort, da wurde eine Frau in der Sauna eingesperrt. Die Tür ging von innen nicht mehr auf, ja und das war es dann.

Denken war jetzt definitiv nicht die Lösung, ich setzte mich so wie ich war in die Sauna. Ließ allerdings die Türe einen Spalt offen. Die Sauna schaltete sich ab, das war mein Zeichen rauszukommen. Man könnte fast sagen, ich bin jetzt mit dem Hausbrauch schon auf Du und Du. Zu Frisur und Make up  möchte ich nichts sagen, aber da es keine Sau interessiert wie mein hübsches Kopferl aussah,…

Ich machte mich mit meinem Chaneltascherl am Arm auf den  Rückweg zum Salon. Eines der wenigen Erziehungsmaßnahmen meiner Mutter die ich inhaliert habe. Niemals die Handtasche herumstehen lassen, da können sie dir Drogen hineinschmuggeln. Und außerdem ein anständiges Mädchen hat immer ein Taschentuch, einen Lippenstift, Schlüssel und einen Ausweis bei sich. Punkt. Das konnte ich einfach nicht ablegen, die Handtasche auch nicht.

Ich ließ meine Gummistiefelbeine durch die Öffnung gleiten und betete darum, dass meine Füße jetzt genug stinken um den Herrn zu befriedigen. Seine Atmung war jetzt schon wesentlich erregter als zuvor, er begann mir ganz langsam einen Stiefel auszuziehen. Plötzlich wurde diese gespenstische Stille von einem kurzen Geräusch unterbrochen. Ich konnte es nicht zuordnen. Dann kam nichts mehr.

Mit einem verschmitzten Lächeln auf meinen Lippen dachte ich, wie einfach es doch sein kann. Kein wilder Sex, keine Verrenkungen, kein künstliches Gestöhne. Kein blödes – nimm ihn nochmal in den Mund damit er besser steht. Gäbe es hier eine Beleuchtung hätte ich ein gutes Buch dabei lesen können. Was ist jetzt, … er tut gar nichts mehr. Ich spüre keine Hände, keinen Mund, kein Hecheln?

War es angebracht zu sagen, hallo was ist mit ihnen? Ich bewegte vorsichtig meine Füße, verlängerte meine Beine, da war nichts, kein Widerstand, also demnach kein Mann. War es das jetzt schon? Es war nicht mal eine Minute, er hatte mir  ja nicht mal die Gummistiefel ausgezogen. Ok, ich zähle jetzt bis hundert und dann frag ich mal. Sechzig,… ist alles in Ordnung bei ihnen? Keine Antwort. Hallo? Nichts.

Wie ein kleines Kind beim Versteckerlspiel lugte ich vorsichtig links an der Lehne vorbei. Wenn ich dich nicht sehe, siehst du mich auch nicht. Diese Finsternis, ich konnte nichts erkennen. Ich stand auf, stolperte über meine steif gewordenen Beine, dann über andere Beine. Erschrocken rappelte ich mich hoch und fühlte etwas Feuchtes an meiner rechten Hand. Zittrig fingerte ich meinen Schlüsselanhänger mit der kleinen Taschenlampe heraus. Es war Blut und der Mann schaute ziemlich tot aus.

Ich musste hier weg und zwar in der Sekunde. Das war ärger als in jedem Horrorfilm. Ich schaffte es eine der Glastüren zu öffnen, sprang vom Balkon ins finstere Nichts. Ich rannte einfach drauf los, ohne zu wissen wohin. Ein endloser Park, ich stolperte. Meine Tasche fiel zu Boden. Instinktiv stopfte ich alles wieder hinein, rannte weiter. Irgendwann landete ich bei der Festungsmauer und da war ein kleines Gittertor. Ich rüttelte wie verrückt, voller Panik und mit letzter Kraft. Innerlich schrie ich hysterisch – warum kannst du nicht in deinen kleinen Leben bleiben du Trampel. Was erwartest du dir – ein Wunder, das dir jemand was schenkt, dass es dir gut geht, dass dich jemand auf Händen trägt? Dass sich dein Leben ändert? Ich brach weinend zusammen, klammerte mich an den Gitterstäben fest. Ich hätte jetzt gerne meine besten Freundinnen angerufen, ihnen gesagt dass ich sie sehr lieb habe, und ….

Die Gitterstäbe öffneten sich elektronisch und leise wie Alles hier, ein  Auto blieb stehen. Auch ohne Lichtzeichen war mir klar hier einzusteigen war jetzt meine nächste Aufgabe. Wortlos wurde ich zu einem kleinen Privatflugzeug gebracht.

Drei Stunden später lag ich mit vier Schlaftabletten intus zu Hause in meinem Bett. Ein endloser Albtraum.

Schweißgebadet wachte ich wie fast jeden Morgen auf. Einzelne Fetzen meiner Träume waren gerade noch in meiner Erinnerung, aber dann auch meistens weg. Heute war es eine Japanerin mit einem grünen Hosenanzug, die in einer Bankfiliale auf dem Tisch stand und sagte: Alle Anwesenden bekommen heute 20% Zinsen für ihre Einzahlungen. Alle Anwesenden jubelten. Ich hatte keinen einzigen Euro…

Gewohnheitsmäßig schleppte ich mich zur Kaffeemaschine. Ich suchte mein Handy, um nach der Uhrzeit zu schauen. In „normalen“ Nächten legte ich mein Handy zum Bett zwecks Wecker, den hörte ich zwar eh nicht, wusste dann aber wenigstens dass es schon mittags war, wenn ich aufwachte. In schlechteren Nächten blieb das Handy in meiner Tasche. Die Chaneltasche bewegte sich leicht, ich hatte überhaupt keine Chaneltasche. Ich ging direkt unter die Dusche. Aus der Tasche krabbelte etwas. Gut ich hatte noch nie vier Tabletten auf einmal genommen, schlaffördernde Psychopharmaka. Mein Handy zeigte mir, dass es 14.00 Uhr war und der Akku fast leer. Ganz langsam bewegte sich aus der Tasche eine Schildkröte heraus, fuhr ihr kleines Kopferl aus dem Panzer und lächelte mich an, oder so was ähnliches. Am Panzer stand – ich bin Esmeralda und liebe Ruccola.

Ich machte mir noch einen Kaffee, nahm einen Tequila dazu und wählte die letzte Nummer meines Handys, gespeichert unter Pia. Kein Anschluss unter dieser Nummer, wenden sie sich an den Betreiber.

Das neue Kapitel meines Lebens. Am kommenden Tag, also the day after – Egon und dem Finger – etwas verkatert, aber das war ja für mich nicht so abwegig ging ich zu meinem Auto, um zu meiner Yogastunde zu fahren.  Ich ging extra um die Hausecke um zu Schauen, ja es müßten ja Blutspuren oder irgendetwas sichtbares zu sehen sein. Da war absolut nichts, ein Tag wie jeder andere auch. Bei der Yogastunde war ich sowas von in innerer Balance, sogar die Yogini lobte mich. Namaste.

Es war ein guter Tag, wie von Geisterhand fühlte ich mich erleichtert. Ich drang sogar ein bissl zu mir durch, ich spürte keine Schuld wie sonst. Ich neige dazu mir für Alles und Jenes die Schuld zu geben, nie jemand anderen, das nicht. Als ich wieder nach Hause kam, war noch immer Alles unverändert, also normal. Ich kochte mir einen Brokkoliauflauf und er schmeckte mir sogar.

Ich war/bin so schön, gescheit, noch immer „jung“. Ich überlebte seit Jahren alleine mit ganz wenig Geld, das sich rechnerisch niemals ausgehen kann. Mein Körper war am Ende, ich sowieso – aber es gab kurze Momente, wo ich mich spürte, ich hatte Freundinnen fürs Happy Live, ja und ich lebe noch. Ich habe mich Zeit meines Lebens immer unter meinem Wert verkauft, dass habe ich natürlich viel später erkannt und es kling vielleicht arrogant, eingebildete alternde Gurke… aber das ist der Kardinalfehler den wir alle machen, wenn es uns gut geht, einfach so. Und wenn sich der Lebensbackground von eigenen idealen Vorstellungen entfernt dann sowieso. Dann stecken wir in der Opferfalle fest. Bombenfest.

Mein zweiter Name ist – ABGELEHNT – was immer ich jemals in meinem Leben an Hilfen beantragt habe, Tonnen von Unterlagen beigebracht habe. Am Ende kam immer ein Bescheid, da prange in Großbuchstaben ABGELEHNT. Diesen Stempel war bei mir eingebrannt.

Im neuen Frauenmagazin drehte sich der erste Artikel um unsere Fernsehstars, die nächste Preisverleihung und die demensprechenden Roben. Von welchen Designern und so wichtige Dinge.

Ich dachte ja immer, dass österreichische Fernsehstars unterbezahlt sind. Diese Raunzerei, wenn sie gerade keinen Film drehen, die volle Überlebenskrise, die Steuer, die Krankenkasse… die Dachgeschoßwohnung, das Sommerhaus am See, die Yacht,… Also in Deutschland kriegen sie mehr, in Amerika viel mehr. Aber jetzt habe ich gelesen für einen Tatort gibt es mindestens 70.000 Euro, es können aber auch 300.000 Euro sein, pro Folge versteht sich. Das geht, oder? Die meisten Menschen verdienen nicht mal 70.000 Euro im ganzen Jahr!

Nach meinem gesunden Abendessen holte ich meine besten Freundinnen zum Tisch – Rotwein und Zigaretten. Ein Buch, dass ich so vor zwei Jahren gelesen hatte und sogar behalten, fiel mir ein. Das lag daran, dass ich fast durchgehend innerlich entschieden nicken musste. Ich holte es aus meinem Überlebenskastel. Die Quintessenz des Buches für mich: Wir haben diese innere Realität aufgebaut, weil wir verloren waren, nichts anderes hatten. Auf Basis dieser leben und handeln wir insgesamt, oder in Teilbereichen. Das Ergebnis wird sich immer wieder wiederholen – Ablehnung. Für einen echten Spurwechsel gibt es keinen Mittelweg. Wir müssen die innere Realität gänzlich auflösen und Kontakt zu unserem echten Wesenskern finden, den wir gar nicht kennen. Es muss eine definitive Entscheidung geben – so will ich nicht mehr weitermachen, ich selbst bin die Ursache für meine „Probleme“ und gleichzeitig der einzig mögliche Schlüssel zu einer Änderung. Die Auflösung kann nur erfolgen im ehrlichen Dialog mit meiner inneren Realität, meinem Schmerz, meinen Gefühlen. Dem Verzicht auf Wiedergutmachung und totaler Vergebung. Das ist die große Hürde für mich, wie sollte ich zu all meinen verdrängten Emotionen durchdringen, es war eine riesengroßer Saufhaufen. Stetig aufgebaut über Jahrzehnte. Gleichzeitig war mir auch total bewusst, und das nicht erst seit diesem Buch – anders funktioniert es nicht. Und hier wird es ganz deutlich formuliert – Schwarz oder Weiß – Hellgrau ist nicht. Diese gespeicherten Bewusstseinszustände tiefster Ohnmacht aufzulösen kann nur funktionieren indem wir sie nochmals erleben. Schon bei der Vorstellung ist meine Reaktion schützend die Hände vor mein Gesicht zu halten und mein Herz bewusst ganz fest zuzumachen. Das ist für mich der große Unterschied zu vielen anderen Büchern mit der Aussage – „legen sie auf die unerwünschte Sache die erwünschte drauf“, „stellen sie sich vor sie wären einen anderen Lebensweg gegangen“,“ lassen sie alles was sie nicht mehr brauchen innerlich abfließen und ersetzen sie es mit goldener Farbe“ – es negiert die Wahrheit. Aber es war und ist die Wahrheit. Ohne dass wir dieses Gefühl der Aussichtslosigkeit, des persönlichen Unterganges, dieser tiefen Leere spüren kommen wir nicht heran. Es ist wie sterben. Es ist wie einen Mord begehen. Die Sicherheit, dass da kein Mucks mehr kommt – bis es  totenstill ist. Es geht darum JEDEN Schmerz realistisch und so konkret wie möglich zu benennen um mit ihm in Dialog zu treten. Ja, und da war mir auch klar, dass geht sich für mich in diesem Leben nicht mehr aus. So sehr ich dem Buch auch zustimmte. Weil, tust du das nicht, keine Sorge, sucht sich der Schmerz, also alle Schmerze auch immer wieder selbst einen Weg. Er erscheint im Alltag, in unterschiedliche Situationen immer wieder – das „alte“ Spiegelprinzip. Ich fühlte mich oft genug wie in einem Spiegelkabinett, ohne Ausgang versteht sich.

Ganz ehrlich, für mich käme nur ein kaltblütiger Massenmord in Frage oder eine Bombe. 

Und dann nicht vergessen – Vergebung – also all den Anderen und vor allem mir, dass nennt man dann Freiheit.

Und sollte DAS ALLES nicht klappen, wollen wir das kompensieren – wir wollen ja weiter „überleben“. Aus dieser unerfüllten Sehn-Sucht entsteht Sucht. Alkohol- Drogen- Kauf- Esoterik- Sport- Internetsuch, ganz egal.

Nachdem ich neuerlich den Inhalt vollinhaltlich bejahen konnte, was mir leider nicht wirklich etwas nützte, lehnte ich mich genüsslich zurück und suchte innerlich nach einem Erfolg, wenn auch nur ein kleiner. Und ja, die Sache mit dem Finger hatte ich doch ziemlich bravorös gelöst. Ohne viel Aufhebens, ohne Panikattacke, ohne großes Nachdenken – Warum, wieso, weshalb? Und überhaupt.

Ich hatte nicht in meinen dunklen Geheimnissen gekramt, ganz ehrlich sie waren auch so was von verschüttete, da kam ja ständig was dazu in meinem Seelenmistkübel, die letzten zehn Jahre sind da noch ziemlich aktiv vertreten, aber der Rest tümpelt irgendwo in der Tiefe herum. Der Freud hätte seine Freude mit mir gehabt.

Das Läuten des Handys riss mich aus meinen Erfolgsgedanken. Ich schaute auf mein Handy, aber es blieb finster, ja auch der Klingelton war ein anderer – Spiel mir das Lied vom Tod? Ich hatte „Atemlos von der Helene“ bei mir durfte sie weitersingen.

Verwirrung, meine mühsam erarbeiteten Erfolgsgedanken in der Sekunde pfutsch, stattdessen war eine Panikattacke im Anrollen, ja eigentlich war sie schon da. Wie auf Schienen ging ich zum Fenster, in der Regenrinne blinkte es wie verrückt… Mit Leiter, Taschenlampe und Golfschläger ausgestattet angelte ich das Corpus Delikti zwischen dem alten Laub hervor.

Lieber Gott bitte mach, dass mich niemand beobachtet. Amen.

Jetzt musste aber schnellstens eine Flasche Rotwein her, sonst geht gar nichts mehr. Ich kenn mich mit Handy´s so gut aus wie mit der Reparatur eines Flugzeuges, aber einfach Wischen war ja selbst für mich kein Problem. Wenn es einen Sperrcode hat, was mach ich dann? Ich kann ja kaum in einen Handyshop gehen und um Hilfe bitten. Es war codelos. Planlos wischte ich herum, was wollte ich eigentlich? Natürlich wissen, wer der Inhaber des Fingers war, die Sprachmittlungen waren allesamt in einer mir nicht bekannten Sprache, die whats app sowieso.

Meine Finger zitterten dermaßen, dass andauernd neue Seiten aufgingen, ich muss mich jetzt zusammenreißen, sonst rufe ich noch irrtümlich jemanden an und dann können sie mich orten. Scheiße, orten können sie es sowieso, weil es ja die ganze Zeit da war. Was mach ich jetzt nur?

In die Toilette werfen, das verstopft möglicherweise die Rohre, zertrümmern oder ins Wasser werfen – dann hätte es sein Leben genau bei mir ausgehaucht?

Ich zog mich an und ging damit zum Park, dort nächtigten immer einige Obdachlose. Getarnt mit alten Zeitungen starte ich vorher lautstark zum Papiercontainer, dass sie mich alle bemerken, weil dort habe ich ja dann das Handy gefunden. Sie schauten natürlich alle nicht sehr erfreut, als sie mich erkannten lächelten sie aber doch. Was für ein überraschender Besuch um die Zeit, sagte mein Liebling. Er bot mir gleich einen Schluck aus seiner Doppelliterflasche an, ich verneinte dankend. Ich dachte er wäre überglücklich über so ein Handy, aber – du sollst dich nicht täuschen – beäugte er es geradezu kritisch. Funktioniert es überhaupt, hat es einen Sperrcode? Na wie soll ich das wissen, ich hab es doch gerade gefunden antwortete ich leicht beleidigt. Setz dich, schau ma mal. Er wischte professionell, wie wenn er nie was anderes getan hätte, nahm einen sehr großen Schluck von seinem Doppler… und fragte warum sind da so viele Fotos von dir drauf? Automatisiert griff ich zur Flasche, im letzten Augenblick ließ ich es doch bleiben. Ich hatte meine Lesebrille zufälligerweise nicht in den nächtlichen Park mitgenommen und konnte überhaupt nichts erkennen.

Was hatte ich nur schon wieder getan, jetzt hatte ich auch noch einen Mitwisser, also eigentlich vier. Das glaubte mir kein Hund, dass ich mitten in der Nacht zufällig ein Handy finde und dann genau auf diesem Handy Fotos von mir drauf sind. Wortlos nahm ich Jacky das Handy wieder weg und murmelte – ich bring es dir morgen wieder. Hej, hej – des is ober net laiwand…

Undankbare Fratzen.

Es gab einen eigenen Fotoordner nur über mich – Name 139962. Da waren Fotos von mir, ja wie soll ich sagen – die sollten nie geschehen sein – und mit offenem Mund starrend, da war sicher nie jemand in der Nähe, schon gar kein Fotograf. Aber andererseits, beim Ibiza-Gate war auch niemand dabei und doch gab es Bildmaterial ohne Ende. Das Handy war eine Fundgrube der furchtbarsten Erlebnisse in vielen Jahren meines beschissenen Lebens. Ich war sicher kein Engel in diesem Leben, aber so schlimm war es auch wieder nicht.

Immer wieder blätterte ich hin und her, versuchte irgendein Muster zu erkennen, eine logische Abfolge – sowas wie einen roten Faden. Ich fand keinen. Das allererste Foto war das Begräbnis von Hans-Peter, ich mit grimmigen Gesicht beim Sarg stehend.

Gut es war keine Glanzleistung damals und menschlich auch nicht unbedingt 1A. Damals, also es ist ja an die dreißig Jahre her entwickelte ich mit einer Freundin effiziente Strategien zu einem wirklich reichen Mann zu kommen.

Eine davon, und es gibt noch heute nahezu täglich Zeitzeuginnen in den Magazinen, dass das funktionieren konnte, war sich die Liste der reichsten Österreicher zu Gemüte zu führen. Sie meinte damals, wir steigen bei der Nummer fünfzig ein – das reicht. Sie hat es auch durchgezogen und ist bei einem Möbelhersteller gelandet oder besser gesagt gestrandet. Er war asexuell, herrschsüchtig und noch dazu eifersüchtig. Mit einem minutiösen Vertrag war ihre Beziehung bis ins kleinste Detail geregelt. Nur die Highlights angesprochen: Sie musste weiter ganz normal ihrem Job nachgehen, es sollte ja niemand glauben, dass sie wegen dem Geld bei ihm war. Danach allerdings musste sie sofort nach Hause kommen, Freundinnen treffen oder vielleicht gar einen anderen Mann – niet. Häuslichen Sex gab es natürlich auch keinen, dafür als Entschädigung 30.000,- Schilling pro Monat. Auf wienerisch gesagt ein Nasenrammel. Hans-Peter segnete relativ jung das Zeitliche, manchmal gibt es sowas wie Gerechtigkeit. Diese Freundin sah ich danach nie wieder.

Also so ein Nicht-Leben peilte ich sicher nicht an, eine andere Freundin überzeugte mich dann kurzzeitig von der Variante die Totesanzeigen zu durchforsten. Also nur die, wo die Frau gestorben war und das Internet bei der Namenseingabe ein Millionenvermögen hergab. Auch nicht das Gelbe vom Ei, aber mindestens waren die durch ihren Schmerz besser zu handeln und dankbarer.

Und damals hatte ich sowas wie einen Zufallstreffer, das erste Begräbnis wo ich mich hineinschmuggelte als frühere Bekannte einer Freundin der Verstorbenen… Franz war nahezu in der Sekunde von mir fasziniert. Noch in der Kirche sagte er zu mir, sie hat Gott geschickt. Wie gesagt, es war mein erstes Mal und auch meine Motivation war nicht riesig groß. Träumte ich doch nach wie vor von einem tollen Mann und ganz viel Liebe, einfach so. Ich blickte damals verlegen zu Boden, was anderes ist mir echt nicht eingefallen, bis Franz vervollständigte – sie sind meiner Frau wie aus dem Gesicht geschnitten… Hatte ich doch auch schlampig recherchiert, wer erwartet sich schon, dass es beim ersten Begräbnis wirklich klappt, ich sicher nicht. Beim anschließenden Leichenschmaus, also eigentlich war es ein Heringschmaus, das Lieblingsessen der Verblichenen – zog ich mit meiner Dezentheit alle Blicke auf mich. Realistisch betrachtet fühlte ich mich sowas von unwohl. Outfittechnisch war ich natürlich erste Sahne, da musste man investieren wenn man was erreichen wollte. Ein schlichtes, schwarzes Etuikleid aus feinster Seide mit einem kleinen cremfärbigen Farbtupfer, mittelhohe Pumps und ganz wichtig einen Hut mit Schleier. Die restlichen Gäste, obwohl ja mindestens anzunehmender Weise teilweise begütert waren einfach schwarz angezogen. Das hasste ich schon immer, bei einem Begräbnis einfach irgendeinen schwarzen Fetzen anzuziehen und zu glauben das reicht.

Als ich mich nach einem Getränk dezent, wie mein ganzer Auftritt von Franz verabschiedete zog er mich zur Seite und bat mich innständig um ein Wiedersehen. Diese Ähnlichkeit, das konnte ja kein Zufall sein. Ich bin nicht gewohnt, dass bei mir im Leben irgendetwas einfach funktioniert, sich einfach gut entwickelt. Möglicherweise lag es auch daran, dass ich ohne Absicht und ohne große Erwartung zu meiner Begräbnispremiere ging.

Um es kurz zu machen, wir hatten ein angenehmes gemeinsames Jahr. Er schleppte mich zu all seinen Gesellschaften mit. Die Männer waren von mir begeistert, die Frauen weniger. Aber ich konnte meine Position festigen, auch deswegen weil er mich umgarnte und ich die Zurückhaltende spielte. Also ich spielte nicht mal, ich war sehr froh darüber. Nach so zwei Monaten bekam er einen Anfall von sexueller Manneskraft, aber kurz vor dem Finale Grande übermannte ihn dann sein schlechtes Gewissen, wegen Trauerjahr und so. Ich gab mich bedeckt, als Frau nicht wahrgenommen, was wiederum meinen Kreditkartenrahmen wesentlich erhöhte. Mehr Kohle für keinen Sex.

Ja und dann, es war bei einer Gartenparty brach er zusammen, Lungeninfarkt – tot. Es tat mir wirklich leid, er war ein angenehmer Mensch, sowas würde mir kein zweites Mal passieren. Und dann dachte ich, wie lange ich wohl  mit der Kreditkarte von einem Toten noch shoppen kann?

Ich hatte die Möglichkeit in seinem Testament bedacht zu sein keine Sekunde in Erwägung gezogen.  Unsere Beziehungen war ein Geben und Nehmen und jetzt konnte er weder das Eine noch das Andere mehr tun. Umso überraschter war ich, als mich der Notar zur Testamentseröffnung bat. Dort sah ich auch zum ersten Mal seinen jüngeren Bruder. Franz hatte nicht viel von ihm gesprochen, lediglich ein gemeinsames Kinderfoto am Kamin hat ihm die Antwort entlockt – er lebt in Übersee und ist kein Guter. Sie hatten seit ewig keinen Kontakt und das ist auch gut so meinte Franz damals abschließend. Aber gut er war sein einzig lebender Verwandter und jetzt klarerweise angereist.

Der Notar begann mit seiner Verkündung: Sein gesamtes Vermögen, die Villa in Hietzing, das Haus in Mallorca bekommt – mir war es unangenehm da zu sein, warum musste ich mir das anhören – ICH!!!!!

Mike, also der verlorene Bruder sprang auf, stürzte sich auf mich. In einer Mischung aus Spanisch/Englisch schimpfend würgte er mich, warf mich vom Sessel und stürmte aus dem Büro. Was dann kam war nicht lustig, er ordnete eine Obduktion an, bei der zwar nichts festgestellt werden konnte, aber es gibt ja auch Gifte die sich nicht mehr eindeutig nachweisen lassen. Mike klagte mich als Giftmörderin an. Bei dieser letzten Party waren hunderte Gäste,… alle hätten können… aber was hätten sie für ein Motiv gehabt…

Ich wurde im Zweifel freigesprochen und in der Zwischenzeit tauchte wie ein Wunder ein neueres Testament auf, wo ein Tierheim im Südamerika mit dem gesamten Vermögen bedacht war…

Mike hatte es sich gerichtet, und ich musste noch froh sein nicht für fünfundzwanzig Jahre im Gefängnis zu landen. Ich hatte Franz nicht vergiftet und ich wusste auch nichts von dem Testament. Aber die Wahrheit hat viele Gesichter.

Aber alle Fotos hatten so einen Hintergrund von – ich habe etwas getan, was ich nicht tun sollte.

Ich bin keineswegs kriminell, ich habe einfach viel Pech gehabt. Eine lebenslange Pechsträhne. Aber mit Sicherheit war ich niemals so interessant für die Menschheit, dass irgendjemand das fototechnisch festhält, dachte ich mindestens bis jetzt.

Und der Handybesitzer war ja mit Sicherheit nur ein Unterläufer, der Checker würde niemals mitten in der Nacht im achten Stock am Dach stehen.

Ich konnte es nicht ändern, genau so wie ich alle anderen Zustände meines Lebens nicht in der Lage war zu ändern. Ich konnte wie immer nur warten und hoffen auf – ein Wunder, ein besseres Leben. Oder vielleicht auch einfach nur zu überleben.

Ich zog mich an, ging zum Donaukanal und warf das Handy in die Fluten und der Begriff des „Loslassens“ wurde in diesem Moment richtig plastisch.

 

Die graue Eminenz des Lebens. Den heutigen Tag verbrachte ich nur zu Hause. Morgens dachte ich noch ich gehe zuerst in Yoga und dann…Hausarbeit, Wäsche, Bügeln. Ersatzprogramm – kurze Meditation, also eine Gehmeditation, das funktioniert bei mir besser als still zu sitzen. Es war ein langweiliger Tag, klar. Aber ich finde, man kriegt dann schon einiges weiter. Ok, abgesehen von dem vierzig Minuten Telefonat mit meiner Freundin, der Zara sechzig Minuten Bestellung – aber mein Blazer fiel immer aus dem Warenkorb. Offensichtlich wollte eine andere ihn zur gleichen Zeit bestellen. Da musste ich klarerweise Durchhaltevermögen zeigen. Um dass sich der Aufwand lohnt habe ich gleich noch zwei Kleider und schnuckelige Stiefletten mitbestellt, cool gell! Gut, dann kam noch ein Angebot von ASOS – bis zu 70% reduziert, auf gekennzeichnete Teile, nur heute bis 24.00 Uhr. Du wirst verstehen, das musste ich nützen – volle Ersparnis. Gut es war nicht ganz so leicht „in den ausgewählten Teilen“ meine Teile zu finden. Ich wollte ja kein Geld hinauswerfen für nicht-reduzierte Teile.

Nach diesem intensiven Hausarbeitstag hatte ich jetzt aber eine Belohnung verdient. Also jetzt noch kochen, das war ja wirklich zu viel verlangt. Sollte ich mich jetzt noch mit Kichererbsen und Co abquälen?  Ich nahm meinen neuen Micky Mouse Sweater und fühlte mich echt gut. Ich hatte bereits telefonisch ein Wiener Schnitzel mit Pommes und Gurkensalat bestellt. Das Cola war da gratis dabei. Was für ein Abendmahl. Fleisch und Kohlenhydrate taten mir gut, ich brauchte Kraft.

Die Abholung verbinde ich jetzt noch mit einem kleinen Spaziergang um den Häuserblock. Eigentlich ein perfekter Tag – viel erledigt und kein Geld ausgegeben. Ok, die Onlinebestellungen waren ja noch nicht da. Vielleicht gingen sie ja den Weg Alles Irdischen – nämlich Retour.

Und jetzt dann vor die Kiste knallen, einen Serienmarathon reinziehen. Dann ab ins Betti. Und morgen konnte ich dann wieder Gas geben. Morgen war Donnerstag und ein neuer Club wurde eröffnet. It´s my pleasure! It´s my life – auf der Showbühne der absoluten Mittelschicht.

Irgendetwas verwirrte mich als ich auf die Straße trat. Hatte ich die Wohnungsschlüssel vergessen? Nein die waren in der Hosentasche. Sollte ich jetzt rechts oder links gehen? Dort wo ich mein Auto geparkt hatte stand jetzt ein Sattelschlepper… Das Halteverbot!!!! Nach fünfundzwanzig Minuten Parkplatzsuche dachte ich, dass das ein guter Grund war morgen, also heute früher aufzustehen. Das wollte ich schaffen, das konnte ich schaffen. Yoga am morgen vertreibt Kummer und Sorgen.

Ich hatte es total vergessen, wahrscheinlich noch in der gleichen Sekunde. Nicht mal einen kleinen Gedanken daran verschwendet. Im Verdrängen war ich ja unschlagbare Weltmeisterin.

Es passierte nicht zum ersten Mal, dass ich mein Auto nicht gleich fand. In meinem Grätzel war ein Parkplatz wie ein Lotto-Sechser. Oft marschierte ich entschlossen in die Richtung wo ich vor zwei Tagen geparkt habe. Jedes Mal das Gleiche, Adrenalinstoß. Verzweiflung. Sie hatten meine Auto gestohlen, mein liebes, kleines altes Auto. Nach der zweiten Runde in alle Richtungen, schweißgebadet, mit meinen Nerven am Ende fand ich es dann immer. Und wenn ich dann in mich ging, ja dann erinnerte ich mich auch wieder. Einmal fuhr ich dann mit dem Bus zur Yogastunde, also eigentlich direkt in die Sauna. Weil, die war ja nach der Suche schon vorbei. Dort dachte ich die ganze Zeit darüber nach, wie ich ohne Geld zu einem neuen Auto kommen könnte.  Als ich nach Hause kam, stand es genau vor der Türe. Da hatte ich nicht geschaut, das passiert so selten, dass es gar nicht in meine Wahrnehmung gekommen ist.

Ich stand noch immer wie versteinert   da und starrte den Sattelschlepper an. Wegen diesem Arsch war mein Auto jetzt abgeschleppt. 400,- Euro plus Taxi für die Abholung, na geh…. Warum? Ein paar tiefe Atemzüge. Vielleicht irrte ich mich ja wiedermal. Es könnte ja auch vorgestern gewesen sein und mein Auto parkte, ja halt woanders. Mein Handy piepste. Essensbestellung ist fertig.

Aus dem Sattelschlepper rollte total lautlos eine schwarze Strechlimousine. Die fuhren sonst nur auf der Ringstrasse oder in Filmen…  Ich war fast ein bisschen erleichtert, bei mir in der Gegend wurden oft Filmszenen gedreht.  Und die waren dann so fair, wenn denen ein Auto im Weg standen, dann stellten sie es einfach kostenlos um. Dann ging man in das Lokal wo die Crew versorgt wurde, mit Glück konnte man sich auch am Buffet bedienen und sie sagten mir dann wo mein Auto stand.

Ich wollte erleichtert die Straßenseite wechseln um jetzt endlich mein Abendessen abzuholen,  da  öffnete sich die Türe der Strechlimo. Ich vernahm ein – „bitte steigen sie ein“. Radarblick rundum, mich konnte man ja nicht meinen, ich spiele da nicht mit. Mit etwas verschärfterer Stimmlage wiederholte sich die Aufforderung und ich stieg ein.

Es wurde mir ein Glas Champagner gereicht, es gab keine Fragen, keine Erklärungen.

Ein sehr gutaussehender, graumellierter, altersloser, exotischer Edeltyp von Mann saß neben mir. Sein Blick war – er schaut mich an, aber er schaut durch mich durch. Ich bin Durch-schaut, Nomen est Omen.

Ohne Einleitung sagte er – wir wissen Alles von ihnen. Ich hatte keinerlei Zweifel. Er untermalte das mit einigen „Highlights“ meines bisherigen Lebens. Das Finale war natürlich der Höhepunkt dieser unwirklichen Szene. Der Fingertyp und die Schweiz wurden natürlich auch erwähnt, sogar den Bombenanschlag auf die Uni hatten sie im Repertoire. Und dass in so kurzer Zeit, zwei Morde…

Ich und Mörderin? Der eine ist mitten in der Nacht vom Dach gefallen, habe ich ihn etwa eingeladen? Der andere war schon tot. Beide kannte ich nicht mal, warum hätte ich sie ermorden sollen? Das wollte ich sagen, aber wenn der Richter das Urteil verkündet ist es auch sinnlos noch irgendetwas zur Verteidigung vorzubringen.

Auf dem Bildschirm setzte sich wie von Geisterhand ein Bild zusammen, ganz kurz gab es einige kleine Lücken. Die wurden sofort rechnerisch aufgefüllt. Das Bild zeigte eine große Kugel. Das ist mein Leben – das bin ich. 

Die Ergebnisse haben uns gezeigt, dass sie zu 98,9 Prozent ideal geeignet sind. Die fehlenden 1,1 % wurden nach einer Wahrscheinlichkeitsrechnung ergänzt. Sie sind unsere Frau.

Dürfte ich wissen was hier abläuft, ein aufwendiger Scherz eines vergrämten Exlovers, versteckte Kamera… Stopp – sagte der Graue, sie wollten ein neues Leben. Jetzt kriegen sie ein neues Leben. Und es beginnt morgen Freitag. Äh, Moment…

Sie werden um 10.00 Uhr von einem weißen Mercedes abgeholt.

Die Vorstellung Alles von mir zurückzulassen – also einfach Alles – keine einzige Jean, kein Foto, kein Buch, keine Blume, kein Ring, keinen meiner Engel,… war mir unvorstellbar. Ich konnte das nicht mal ansatzweise denken.

Ich hatte schon mein ganzes Leben eine Mega-Phobie bei jeder Urlaubsreise. Was sollte ich einpacken. Idealerweise hätte ich meine ganze Garderobe an den jeweiligen Ort gebeamt, das Badezimmer natürlich auch. Das hatte sicher mit Loslassen zu tun, das konnte ich ja auch nicht. Was ich gut konnte, immer noch etwas dazu zu kaufen. Mit meinem Erlebten war es genauso. Bei den Fetzten wusste ich zwar in dieser Fülle gar nicht mehr was ich Alles habe, weggeben konnte ich es aber auch nicht. Jetzt kannst du dir vorstellen wie es in meinem Unterbewusstsein ausschaut. Pummvoll – dass die Tür nicht mehr zugeht. Und dort wie da kommt jeden Tag Neues dazu. Unglaublich, aber wahr. Ich bin keineswegs entscheidungsschwach, meine Entscheidung war Alles zu behalten. Basta. Damit musste ich leben.

Jetzt war es fast leicht, es stellte sich keine Frage mehr. Es gab nur eine Antwort, also Entscheidung und die musste ich mir nicht mal selbst überlegen. Alles zurücklassen, wie wenn es mich nie gegeben hätte. Ausgelöscht. Ein lebender Cold Case, aber das war ich ja schon viele Jahre.

Die Sache am Bodensee war kein Traum, es war auch kein Schicksal – es hat jemand genau so gewollt. Alles was dort passiert ist. Ich wurde als Werkzeug für „ihre Sache“ missbraucht. Aber was sollte ich tun, zu Gericht gehen, Anzeige erstatten? Absolut lächerlich, selbst bei Gericht – und Gericht bedeutet sowieso nicht Gerechtigkeit – gibt es den Ausdruck „schicksalshaft“. An Mangel an Beweisen oder es gibt Beweise, die es gar nicht gibt. 

Ohne Gefühle ist kein gutes Leben und schon gar keine Selbstliebe möglich.

Ohne jedes Gefühl ist ganz Großes möglich, dass man mit Gefühl nie schaffen könnte.  

Was macht man, also ich die „kleine“ vom Leben gestrauchelte Margarete am Vorabend zur Hölle. Oder vielleicht war es auch das Paradies. Vielleicht war es genau das Leben dass ich nie hatte, nie haben konnte? Vielleicht war es meine Lebensberufung eine Nobel-Mörderin, eine Auftragskillerin zu sein? Die beste auf der ganzen Welt möglicherweise.

Ich blätterte meine Visualisierungsmappe durch, das hatte ich schon sehr lange nicht mehr gemacht. Da waren Fotos drinnen, also mein Gesicht eingeklebt auf eine ausgeschnittene Figur von einem Supermodel, die Haarpracht gleich dazu. Ich mit einem super aussehenden Mann, allerdings ohne Kopf – das durfte man nicht vorwegnehmen. Und luxuriöse Wohnungen, toll eingerichtet mit riesigen Dachterrassen. Stadtoasen, gestaltete Rooftop´s, eingerichtet wie ein Wohnsalon und hunderten Pflanzen.

Das Leben, das ich nie gelebt habe, die Wohnung aus der Zeitung, aber nur gemietet – das find ich befreiender als es zu besitzen. Im besten Restaurant irgendwo auf der Welt anrufen und sofort den besten Tisch bekommen.

Auch das ist eine Form von Lebensglück.

Das Leben ganz neu anfangen, ich war Hure, Designerin, Managerin – alles im absoluten Mittelfeld. Das war mein eigentliches Problem. Ich wollte an die Spitze und stand mir immer selbst im Weg. Immer bewegte ich mich auf dieser beschissenen Mittelspur. Manchmal noch mit Umwegen oder besser gesagt auf Abwegen.

Hatte Beziehungen mit Männern, die gleich kaputt waren wie ich, das genauso gut coverten. Brauchte die maximale Aufmerksamkeit um mich gut zu fühlen. Vielleicht war ich im letzten Leben ein Vampir? Wollte als ganz besondere Frau behandelt werden.

Und wie hat es geendet? Hier alleine,…………. Ich war und bin abhängig von Liebe, Aufmerksamkeit, Erfolg und war nicht mal im Stande mich selbst zu lieben. Ich konnte mich nur ertragen.

Ich war immer mehr gegen mich, als für mich – ich hatte mich schon lange nicht mehr im Griff gehabt. Weder bei Tag und schon gar nicht bei Nacht.

Schlaf war das keiner in den ich irgendwann in dieser Nacht versinke, eher eine dunkelschwarze Wolke aus schlechter Energie. Keine Ruhe, keine Erholung. Nur ein realer Albtraum. Also eine Nacht wie jede andere auch, am nächsten Tag zu schwach um mich den Fremdsteuerungen zu entziehen.

Eine Tatsache, die sich wie ein roter Faden seit vielen Jahren durch mein Leben schlengelte. Ich sage die Wahrheit und gleichzeitig lüge ich mich an.

Gegen den Strom schwimmen war meine Devise, also ganz früher. Die Idee ist geblieben, die Kraft gegangen.

Ich stieg in den weißen Mercedes, ich hatte einen weißen Hosenanzug an. Meine geliebte Zara-Tasche war dabei, Perlenohrringe, mein Cartierring und viele große Fragezeichen.

Ich war und wollte eine gute Margarete sein, was ich jetzt sein soll? Keine Ahnung. Aber ich werde mein Bestes geben.

One thought on “Nebenjob Auftragskillerin

  1. Moin Moin,

    hmmmmm, wie sag ich es am besten? Also, ich mag deine Art zu schreiben, wie du mit Witz und Charme mit deinem Leser interagierst gefällt mir ausgesprochen gut.

    So was hier:

    In eben dieser Sekunde betrat ich als Oscargekrönte Schauspielerin des Lebens wieder einmal die Bühne. Der Situation angepasst leider eine Kleinkunstbühne, die Hauptrolle war mir aber in jedem Fall sicher.

    …hat mich schmunzeln lassen. Deine Art zu schreiben ist klasse. Einmal in deiner Geschichte drinnen, möchte man unbedingt wissen wie es weitergeht. Und nun kommt das was mich am meisten stört. Deine Geschichte fühlt sich an als würde sie kein Ende nehmen und ist für diesen Wettbewerb einfach nicht das richtige. Ich habe mich bemüht sie bis zum Ende zu lesen, aber für eine Geschichte so viel Zeit zu investieren , wie ich für 3 andere bräuchte, finde ich einfach unfair den anderen Teilnehmern gegenüber. Deswegen habe ich bei der Hälfte abgebrochen mit dem intensiven lesen und nur noch überflogen.
    Schade, denn deine Art zu schreiben hat mich wirklich begeistert.
    Mein Like lass ich dir trotzdem da, denn das was ich gelesen habe, war einfach super!

    LG Frank aka leonjoestick ( Geschichte: Der Ponyjäger)

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