JenniferEngelbartRacheklang

Racheklang

1

Er zitterte, als er die schweren Schritte seines Vaters hörte. Nein, bitte nicht. Nicht schon wieder. Unter leisem Quietschen öffnete sich seine Zimmertür. Schnell zog er sich die Decke über den Kopf. Bitte sieh mich nicht! Sein Wunsch wurde nicht erhört. ,,Hallo mein Sohn. Rut’sch ma’ b’seite“ lallte sein Vater. Unter Widerwillen fügte er sich. Würde er sich weigern, würden ihn blaue Flecke erwarten. Die Hand seines Vaters strich ihm über den Kopf. Stocksteif verharrte er. Der Atem stank nach Alkohol und Zigaretten. Ihm war übel und er hätte brechen können, doch das würde seinen Vater nur wütend machen. Also riss er sich zusammen. Der schwere Körper des Erwachsenen drückte die Matratze ein, als er sich zu ihm legte. Das Bett war schmal, weshalb er sehr eng an ihm lag. ,,Na komm. Lass’ unsch kuscheln“ forderte der Mann ihn auf. Ein Arm zog den Jungen weiter an den Betrunkenen heran und er spürte, wie sich etwas hartes in seinen Rücken bohrte. Er drehte ihn zu sich um und öffnete den Reißverschluss seiner Hose.

,,Undd jetz’ sei ‘n braver Junge“

2

,,Hey! Pass doch auf, du Arschloch!“

Ein lautes Quietschen ließ Armin Fischer erschrocken zusammenfahren. Er saß am Küchentisch als er einen Blick aus dem Fenster warf. Sein Nachbar, Torsten Schell, saß mit zerschrammten Knie auf der Straße. Sofort eilte er nach draußen. ,,Ist alles in Ordnung? Was ist passiert?“ fragte er nach.

Torsten rappelte sich wieder auf und klopfte sich den Staub von der Hose.

,,Verdammte Axt! So ein bekloppter Idiot ist gerade wie bescheuert die Straße lang gerast. Ich sag dir, der ist keine 50 gefahren!“ Armin sah zu wie Torsten sein verletztes Knie begutachtete. ,,Der hat mich gesehen! Nur bremsen wollte der nicht. In was für einer Welt leben wir denn?!“ redete er sich weiter in Rage und sah Armin an.

Dieser zuckte lediglich mit den Achseln. Er kannte seinen Nachbarn gut genug um zu wissen, dass man ihn nicht noch bekräftigen sollte, da er sonst nie aufhören würde. ,,Pass bloß auf. Nicht, dass dieser Irre wieder kommt und dich noch umnietet. Du bist ja nur ein halbes Hemd“ Torsten lachte laut auf, als hätte er den Witz des Jahres gerissen. Armin nickte nur und sah zu wie der dickbäuchige Mann grummelnd in seinem Garten verschwand. Gerade als er sich ebenfalls wieder abwenden wollte, fiel sein Blick auf einen Gegenstand am Straßenrand. Bei genauerem Betrachten bemerkte er, dass es ein Handy war. Vielleicht hatte Torsten es verloren? Er hob es auf und musterte das Gerät. Es war ein altes Smartphone. Also nichts für Torsten. Dieser besaß immer das Neuste vom Neusten. Als er versuchte es zu entsperren, war er überrascht, dass es ohne Probleme funktionierte. Es war keine Sperre vorhanden. Doch dann realisierte er den Inhalt dessen, was er nun sah. Es war ein Photo- von ihm! Ohne groß darüber nachzudenken wischte er weiter und es tauchten mehr Bilder auf. Alle zeigten ihn in unterschiedlichen Situationen. Auf dem Weg zur Arbeit, beim Rasenmähen, als er seine Frau Laura küsste. Blankes Entsetzen durchfuhr ihn. Er hatte nie etwas bemerkt. Sofort hob er den Kopf und sah sich um, doch niemand beobachtete ihn. Kurz entschlossen steckte er das Handy ein und nahm es mit nach drinnen. ,,Was war denn los?“ fragte seine Frau ihn. Armin schüttelte den Kopf. ,,Es ist alles in Ordnung. Ein Autofahrer war etwas zu schnell und hat Torsten fast umgefahren“ Laura schlug sich die Hand vor den Mund. ,,Geht es ihm denn gut?“ Er nickte. ,,Ja, ein paar kleine Schrammen, aber er konnte meckernd davon ziehen“ Laura entspannte sich wieder und ihr schiefes, attraktives Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. ,,Wenn er meckern kann, ist ja alles paletti“ Sie trat an ihn heran und umarmte ihn. Armin nickte. Das stimmte. Sein Nachbar ließ nichts aus, worüber er sich aufregen konnte. Es war so gesehen sein Markenzeichen. Auch wenn er nicht immer ein angenehmer Gesprächspartner war, so war er immerhin ein guter Nachbar. Er half ihnen immer, wenn sie Unterstützung brauchten.

,,Ich muss jetzt leider los, aber wir sehen uns später. Denk dran. 15.00 Uhr bei Dr. Drewes“ erinnerte sie ihn mit Nachdruck. Laura war mit einer Freundin in der Stadt verabredet, um Babykleidung zu besorgen. Sie war im 9. Monat schwanger und wollte, dass er bei der letzten Vorsorgeuntersuchung dabei war. Eigentlich könnten sie sich diese so kurz vor der Geburt sparen, doch seine Frau wollte sicher gehen, dass das Kind richtig lag und alles in Ordnung war.

,,Ja, ich werde pünktlich sein“ versprach er. Zufrieden nickte sie und gab ihm einen Kuss. ,,Dann bis später“

3

Nachdem Laura gefahren war, setzte er sich in seinen Sessel und zog das Handy hervor. War es mit Absicht dort hingelegt worden? Hatte es jemand verloren? Und vor allem, was sollte das Ganze?! Ein ungutes Gefühl beschlich ihn. Er musste der Sache auf den Grund gehen. Also untersuchte er das Gerät genauer, als es plötzlich anfing zu piepsen. Eine Nachricht! Der Absender der SMS kam von einer unbekannten Nummer. Er öffnete sie.

– Es freut mich, dass du mein Geschenk in Empfang genommen hast. Ich hoffe du hast Spaß, J. Dein Spiel ist zu Ende. A. –

Seine Gedanken überschlugen sich. Es schnürte ihm die Kehle zu. Nein, das konnte nicht sein. A. Er wusste wer das war, doch das war einfach unmöglich. Mit einem Satz sprang er auf und rannte zum Fenster. Schaute sich suchend um. Nichts. Wer in Teufels Namen erlaubte sich seinen Spaß mit ihm?! Niemand dürfte darüber Bescheid wissen. Nein, niemand konnte es. Alle beteiligten Personen waren tot. Alle, bis auf ihn selbst.

Mit zitternden Händen tippte er eine Nachricht.

-Wer bist du?- Prompt kam die Antwort. –Das weißt du wohl am besten. Ich bin du!-

Armin starrte das Handy an. Nein! Er schüttelte den Kopf. Kalter Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. Er musste sich beruhigen. Da erlaubte sich jemand einen üblen Scherz. Er hatte doch aufgepasst und jegliche Spuren verwischt. Niemand sollte es jemals herausfinden. Er hatte jeden noch so kleinen Beweis vernichtet.

Als könnte der Verfasser der Nachrichten seine Gedanken lesen folgte die nächste. –Du glaubst mir nicht, oder?! Ich weiß alles. Und ich spüre deine Angst.- Armins Gedanken überschlugen sich. Hatte er etwas übersehen? War er nicht gründlich genug gewesen? Oder – hatte er tatsächlich überlebt? Nein. Er hatte es gesehen. Er hatte gesehen, wie er ihn umgebracht hatte. Das hätte er nicht überleben können. Unmöglich. Doch was war, wenn er es doch geschafft hätte?! Wenn er auf wundersame Weise überlebt hätte? Armin steckte das Handy weg und erhob sich. Er musste nach Hinweisen suchen. Prüfen, ob er etwas übersehen hatte.

4

Voller Angst sah er aus dem Fenster. Er beobachtete wie der bedrohliche Mann auf den Jungen zuschritt und ihn anschrie. Dann sah er, wie er ausholte und dem Jungen eine Ohrfeige gab. Er zuckte zusammen und Tränen stiegen ihm in die Augen. Die nächste Schelle folgte. Und die nächste. Und die nächste. Bei jedem Schlag konnte er den Jungen schreien hören. Und jedes mal zuckte er zusammen. Dann traf der Blick des Jungen den seinen und er erstarrte. Diese Augen, die nun verstanden, brannten sich in sein Gedächtnis. Der Ausdruck in ihnen wandelte sich in Hass und er starrte ihn die Ganze Zeit an. Plötzlich bewegte sich der Junge nicht mehr. Er wollte schreien, dem Mann sagen, er solle aufhören, doch die Angst lähmte ihn. Erst, als der Mann den Jungen zu seinem Wagen gebracht hatte, wandte er den Blick ab.

5

Der Vormittag war vorüber und er hatte nichts gefunden. Er hatte noch immer keine Ahnung wer hinter den Nachrichten stecken konnte, bis auf – seinen verstorbenen Bruder. Schnell schüttelte er den Gedanken wieder ab. Tote konnten nicht wieder auferstehen. Jedoch führten alle Hinweise zu ein und demselben Ergebnis. Und wenn er am Leben war, hatte er jeglichen Grund ihm das Leben schwer zu machen. Armin zog das Telefon hervor und musterte es. Hoffte auf einen weiteren Hinweis.

-Wieso machst du das? –Tippte er in das SMS Fenster. –Das weißt du genau-

Er biss sich auf die Lippe. –Ich werde mir nehmen, was meins ist –folgte eine weitere Antwort des Unbekannten. Dann summte das Handy erneut. Misstrauisch öffnete er das Bild. Es war eine weitere Aufnahme von ihm. Und zwar von diesem Augenblick! Hektisch wirbelte er herum und scannte seine Umgebung. ,,Wo bist du?“ murmelte er vor sich hin. Wieder das Summen. Wieder ein Bild. ,,Wo bist du? Zeig dich!“ Armin wurde immer lauter. Dann ein letztes Bild.

-Genieße deine letzten Stunden-

6

Mit 10 minütiger Verspätung parkte Armin den Wagen und war froh einigermaßen pünktlich zu sein. Nach dieser Nachricht hatte er alles abgesucht, doch nichts gefunden. Die andauernde Angst, dass ihn Jemand beobachtete, versetzte ihn in ständiger Anspannung. Schnellen Schrittes eilte er in die Praxis. Laura würde ihn sicher schon erwarten. Als er jedoch eintrat, konnte er sie nirgends sehen. Im Wartezimmer saßen lediglich zwei andere Frauen. Sie saß wohl schon im Untersuchungszimmer. Das gab Ärger. Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, wandte er sich an die Arzthelferin.

,,Entschuldigung?! Armin Fischer mein Name. Meine Frau Laura spricht sicher schon mit Dr. Drewes.“ erklärte er. Die Frau mittleren Alters musterte ihn und schüttelte den Kopf. ,,Wohl kaum. Sie ist nicht da“

,,Ich verstehe nicht ganz. Wir haben doch aber einen Termin?“ Die Arzthelferin sah nochmals in ihren Kalender. ,,Sie hatten einen Termin. Den hat Ihre Frau aber abgesagt“ bestätigte sie ihm. ,,Und wo ist sie dann?“ Die Frau sah ihn verständnislos an. ,,Das kann ich Ihnen auch nicht sagen. Würden Sie jetzt bitte die Praxis verlassen? Wir haben Patienten“ setzte sie etwas barsch hinterher. Armin sah hinter sich zwei weitere Frauen stehen und wich unwillkürlich einen Schritt beiseite. Die Arzthelferin schenkte ihm keinerlei Beachtung mehr und widmete sich ganz ihrer Aufgabe. Er verließ die Praxis und wählte Lauras Nummer, doch sofort schaltete sich die Mailbox ein. Verärgert zündete er sich eine Zigarette an und überlegte wo sie sein könnte. War ihr etwas dazwischen gekommen? Wieso hatte sie ihn dann nicht angerufen? War ihr etwas zugestoßen? Was war, wenn – Seine Gedanken wurden von einem Piepsen unterbrochen. Zunächst holte er sein Handy hervor, als er bemerkte, dass es das gefundene Smartphone war.

-Sie hat den Arzttermin verschoben und nimmt meine Hilfe in Anspruch –sprang ihm eine MMS entgegen. Im Bild saß seine Frau geknebelt auf dem Küchenstuhl, die Hände hinter ihrem Rücken gefesselt. Sie sah voller Verzweiflung in die Kamera.

Dann eine weitere Nachricht.

Rette sie, wenn du kannst!

7

Laura schrie. Verdammt, das Baby kam. Nein. Sie wollte nicht. Nicht bei IHM. ,,Du solltest dir lieber von mir helfen lassen. Schließlich ist es unser Kind, was du da bekommst“ sagte der Mann, der genau so aussah wie Armin. Nein. Nicht genau so. Er wirkte älter, verbraucht. Eine große Narbe zog sich von seinem linken Ohr, über den Hals, bis hin zum rechten Schlüsselbein. Seine fettigen Haare fielen ihm wirr ins Gesicht. ,,Finger weg! Fass mich nicht an“ schrie sie ihn hysterisch an. Der Mann zuckte mit den Achseln und sah auf sein Handy. ,,Wollen wir mal schauen wann dein ach so toller Mann, hier aufschlägt“ Ein diabolisches Grinsen schlich sich auf seine Lippen. Sie musste durchhalten. Ihre Gedanken rasten. Sie musste am Leben bleiben. Das Kind musste leben! Sie atmete schwer, als eine weitere Wehe sie überrollte.

8

Panisch sprang er ins Auto und drückte auf das Gaspedal. In weniger als 10 min. war er zuhause angekommen. Kaum das er stand, riss er die Tür auf und hechtete aus dem Wagen zur Haustür. Sie stand offen. ,,Laura? Laura?!“ Keine Antwort. Mit zitternden Knien betrat er das Haus. Es war verdächtig ruhig. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt und seine Sinne geschärft. Als er die Küche betrat, sah er weder seine Frau, noch eine andere Person. Stattdessen fand er eine riesige Blutlache vor dem Küchentresen. Übelkeit stieg in ihm hoch und er erbrach sich. Augenblicklich erinnerte er sich an etwas.

,,Was soll denn das?! Du bist ein Mann, wenn du nicht mal ein Schwein auseinander nehmen kannst, was soll denn dann einmal aus dir werden?! Sieh hin! Sieh, wie es ausblutet und gewöhne dich daran“ Die Stimme seines Vaters verblasste wieder und er rappelte sich auf. Blut war ihm schon immer zuwider gewesen. Doch dieses Mal ging es nicht um ihn. Laura war in Gefahr und er musste ihr helfen.

Er biss die Zähne aufeinander. Es gab nur einen Menschen der zu solch grausamen Methoden griff. Und das war sein Bruder. Sein aufkeimender Verdacht von heute morgen schien sich zu bestätigen. Er war zurück. Und er wollte Rache.

Mit flauem Magen zwang er sich den Raum zu durchsuchen. Es kostete ihn Kraft nicht jedes mal ohnmächtig zu werden, wenn sein Blick die Lache am Boden streifte. Dann bemerkte er einen Zettel innerhalb der Pfütze. Wie gelähmt starrte er auf das Stück Papier. Nein! Sein Verlangen einfach weg zu rennen wurde immer stärker, doch er zwang sich dazubleiben. Sicher fand er dort einen Hinweis auf Lauras Aufenthaltsort. Er musste sie lesen. Seine Atmung beschleunigte sich und ihm wurde schwindelig. Dennoch setzte er zitternd einen Fuß vor den anderen, bis er vor der Lache stand. Kurz wurde ihm schwarz vor Augen, doch dann bückte er sich ruckartig und zog den Zettel hervor. Blut tropfte nun von seinen Händen und er konnte nichts weiter tun, als sich erneut zu übergeben. Jedoch hatte er die Notiz! Mit einem triumphierenden Grinsen wischte er sich den Mund ab und las die Zeilen.

> Gut gemacht. Wenn du Laura retten willst, dann komm zurück zum Anfang <

Zurück zum Anfang. Plötzlich wusste er, wo sein Bruder auf ihn wartete.

9

Armin war froh, als er 20 Minuten später das Haus verließ. Er wollte nicht unvorbereitet los fahren. Er brauchte einen kühlen Kopf, und eine Waffe. Nie hätte er geglaubt, dass er sie mal brauchen würde. Doch die Schusswaffe seines Großvaters sollte sich nun als ziemlich nützlich erweisen.

Entschlossen setzte er sich in den Wagen und fuhr los. Zurück zum Anfang. Zu dem Ort, an dem alles begonnen hatte und alles enden wird. Seine Anspannung stieg mit jedem Kilometer, den er weiter in seine Heimatstadt fuhr.

Er parkte den Wagen in der Hofeinfahrt. Ein Schauer durchfuhr ihn und er bekam Schweißausbrüche. Alles in ihm bäumte sich auf, als er daran dachte, das Haus zu betreten. Doch seine Frau war hier. Er musste es tun. Tief ein- und ausatmend stieg er aus dem Auto und ging zum Beifahrersitz. Ohne zu zögern nahm er die Waffe aus dem Handschuhfach und steckte sie sich in den hinteren Hosenbund. Dann wappnete er sich und schritt schnellen Schrittes auf das Gebäude zu.

Langsam öffnete er die Tür. Natürlich war sie nicht verschlossen. Vorsichtig trat er ein. Es roch modrig und verfault. Das altbekannte Mobiliar stand noch auf seinem Platz, wies jedoch etliche Beschädigungen auf. Insekten hatten tiefe Löcher in die Möbel gefressen und ein früherer Wasserschaden hatte den Holzboden schimmeln lassen. Sein Blick fiel auf alte Konserven und einen vermoderten Schlafsack.

Hier schien tatsächlich jemand zu leben. Ein Schrei ließ ihn zusammenfahren. Laura! Seine vorherige Vorsicht über Bord werfend sprintete er los. Die Treppe nach oben. Dann nach links. Er stieß seine alte Zimmertür auf. ,,Laura!“ Seine Frau lag auf einer alten Matratze und schnappte nach Luft. Armin erstarrte. Mit ängstlichem Blick sah sie ihn an. ,,Er atmet nicht. Er atmet nicht!“ Ihre Stimme brach und sie fing an zu weinen. Armin kniete sich neben sie und nahm ihr mit zitternden Händen seinen Sohn ab. Laura entfuhr ein markerschütterndes Schluchzen, was ihm den Impuls zum Handeln gab. Das Kind reagierte nicht, als er es hoch hob. Verdammt was sollte er tun?! Er musste seinen Sohn retten. Also startete er mit der Wiederbelebung. ,,Atme!“ Drücken. Beatmen. Drücken. Beatmen. ,,Komm schon“ Drücken. Beatmen. Erleichtert sackte er in sich zusammen, als sein Sohn einen Schrei ausstieß und zu atmen begann. Das belebte auch Lauras Instinkt und sie nahm ihn in den Arm. Sie drückte ihn fest an sich und wiegte ihn.

,,Gut gemacht. Da gratuliere ich aber“ ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihm. Seine Frau wimmerte und versuchte weiter in die Ecke des Raumes zu kriechen. Sofort fuhr er herum. Seine Augen weiteten sich. Obwohl er geahnt hatte, wen er treffen würde, ließ ihn sein Anblick erstarren. ,,Armin“ flüsterte er.

,,Überrascht? Das war ich damals auch, Bruderherz“ verspottete er ihn. ,,Als du mich verraten und deinen Arsch gerettet hast. Und jetzt führst du mein Leben! Das ist meine Frau! Und mein Sohn! DU HÄTTEST TOT SEIN SOLLEN!“ schrie sein Bruder aus voller Kehle und schnellte plötzlich auf ihn zu. Der Schlag traf ihn ins Gesicht und er taumelte zurück. Er starrte ihn an. ,,Ich war ein Kind. Ich konnte doch nicht ahnen, dass es so endet.“ erwiderte er.

Die Augen seines Bruders glühten vor Wahnsinn. Wie ein wild gewordenes Tier, dass seine Beute fixierte.

,,Du hast mich ausgeliefert. Du hast mich für deine Tat büßen lassen, Jonas!“ Der jüngere Zwillingsbruder zuckte bei der Erwähnung seines wahren Namen zusammen.Tränen stiegen in ihm auf. ,,Nein…ich wollte nur….ich hatte Angst. Armin bitte. Es tut mir Leid“ ,,Halt deine Klappe! Ich hatte auch Angst! Aber ich war unschuldig!“ Jonas sah aus den Augenwinkeln etwas aufblitzen und realisierte erst zu spät was es war. Erst als sich die Klinge in seinen Bauch rammte, verstand er. Schmerzerfüllt schrie er auf und wich zurück. Armin machte einen Sprung auf ihn zu und holte aus. Mit einem Satz rollte sich Jonas zur Seite und rappelte sich sofort wieder auf die Beine. Er spürte, wie der Druck im Rücken nachließ. Die Waffe! Panisch suchte er den Raum ab. Gerade als er sie am Boden liegen sah, bemerkte er, dass auch sein Bruder sie entdeckt hatte. Nein. Jonas hechtete auf die Waffe zu, doch sein Bruder war schneller. ,,Eine Pistole?! Du wolltest also zu Ende bringen, was du begonnen hattest?! Du verdammter Pisser. Ich bringe dich um! Du bekommst, was du verdient hast“ Armin entsperrte die Waffe und Jonas sah voller Angst in dessen Lauf. ,,Bitte nicht.“ flüsterte er, wohl wissend, dass der Wahnsinn in seinem Bruder gewonnen hatte. Er kniff die Augen zusammen, als der Zeigefinger den Abzug drückte. Die Kugel flog mit enormer Geschwindigkeit direkt an seinem Kopf vorbei. Der Knall betäubte seine Ohren und er hatte Probleme das Gleichgewicht zu halten. Verwirrt sah er auf. Armin sackte in sich zusammen und fiel zu Boden. Die Schusswaffe entglitt seiner Hand und schlitterte in eine Ecke des Raumes. Sprachlos sah er seine Frau an. Sie stand hinter seinem Bruder mit einem Brett in der Hand. Sie keuchte und schnappte nach Luft. Kaum das ihre Blicke sich trafen, sackte sie zusammen.

10

Als sie aufwachte, brauchte sie einen Moment um ihre Gedanken zu sortieren. Sie hatte Kopfschmerzen und ihr tat alles weh. Dann schnellte sie auf. ,,Wo ist mein Sohn?!“ Ihr Mann sprang auf und hob beschwichtigend die Hände. ,,Bleib liegen. Es geht ihm gut. Er liegt auf der Kinderstation. Wir sind im Krankenhaus.“ erklärte er ihr. Laura lehnte sich wieder etwas zurück und musterte ihn. Er sah vollkommen fertig aus. Um Jahre gealtert. Ihr Blick glitt zu seiner Verletzung. Als er es bemerkte, verdeckte er ihre Sicht mit seiner Hand. ,,Halb so wild“ murmelte er. Sie lächelte mild. Es ging ihm gut. Und ihrem Sohn. Doch dann brachen alle Erinnerungen der Geschehnisse über ihr zusammen. Dieser Mann, der sich als Bruder ihres Mannes ausgab, schlimmer noch, sich als er betitelte.

,,Wo ist er?“ fragte sie vorsichtig. ,,Er wurde festgenommen und wird voraussichtlich eingesperrt werden“ Stille.

,,Du hast sicher Fragen“ stellte er fest. Sie nickte langsam. ,,Einige“ Er seufzte und wappnete sich vor dem was er erzählen würde müssen.

,,Wer war der Mann?“ fragte sie.

,,Das ist mein Bruder. Um genau zu sein, mein Zwillingsbruder“ Sie sah ihn lange an. ,,Und wieso hat er dich Jonas genannt?“ Vor dieser Frage hatte er am meisten Angst gehabt. ,,Weil ich Jonas bin“ Sie schwieg kurz, ehe sie den Kopf schüttelte. ,,Nein, du…heißt Armin“ erwiderte sie mit zittriger Stimme.

Er schüttelte den Kopf. ,,Das ist mein Bruder. Ich…habe seinen Namen angenommen“ Geschockt und vollkommen verwirrt starrte sie ihn an. ,,Was? Wieso?“ Jonas senkte den Blick. Er schaffte es nicht ihr in die Augen zu gucken. ,,Ich habe ihn ausgeliefert und mich als er ausgegeben“

Dann begann er zu erzählen. Wie er und sein Bruder von ihrem Vater missbraucht wurden. Wie sie misshandelt und zu grausamen Dingen gezwungen wurden. Und wie sein Vater sein Tagebuch entdeckte. Er hatte alles aufgeschrieben was ihm passiert war. Jedes noch so kleine Detail. Er hatte mit sonst niemandem reden können. Doch das hatte seine Vater wütend gemacht. Schließlich konnte der Junge ihn in Teufels Küche bringen, sollte das Buch in die falschen Hände geraten. Als er bemerkte, dass sein Tagebuch gefunden wurde, machte sich Panik in ihm breit. Er würde bestraft werden. Als sein Vater, wütend wie nie zuvor, nach ihm suchte, gab er sich als sein Bruder aus, um dem Ärger zu entfliehen. Jedoch eskalierte die Situation und Armin kassierte eine Tracht Prügel, wobei sein Vater so in Rage war, dass er nicht bemerkte, dass Armin sich nicht mehr rührte. Erst als die Wut langsam verebbte, ließ er von dem Jungen ab. Jonas hatte alles aus seinem Zimmerfenster beobachtet und erstarrte vor Angst. Sein Vater hatte geflucht und seinen Bruder in einen Sack gesteckt, ehe er mit dem Auto davon fuhr. Er hatte ihn nie wieder gesehen.

,,Ich weiß nicht, was mit ihm passiert ist, doch offensichtlich hat er überlebt“ katapultierte er sie beide wieder in die Gegenwart.

Als er geendet hatte, schwiegen sie eine ganze Zeit. Laura schluckte schwer. Ihr Mann hatte den Blick noch immer gesenkt und sie konnte spüren wie er litt. Sanft nahm sie seine Hand. ,,Du konntest nichts dafür“ hauchte sie. Tränen flossen über sein Gesicht. ,,Es ist nicht deine Schuld“ beharrte sie. ,,Ich hätte tot sein müssen. Ich hätte an seiner Stelle sein sollen“ Seine Stimme zitterte. ,,Du warst noch ein Kind“ Schluchzend sah er sie an. ,,Er auch“ Seine Verletzlichkeit machte sie sprachlos. Er wirkte augenblicklich nicht, wie der liebevolle Mann den sie geheiratet hatte, sondern eher wie der kleine Junge, der hilflos und stumm nach Rettung schrie.

,,Wir schaffen das gemeinsam, Ar-“ sie verstummte. Beschämt sah er weg. ,,Jonas.“ sagte sie bestimmt. Dann schenkte sie ihm ein aufmunterndes Lächeln.

Jonas sah seine Frau völlig ehrfürchtig an. Sie war so eine verdammt starke Frau. Er hatte sie nicht verdient. Er hatte das Leben nicht verdient. Doch ihre Worte ließen ihn aufhorchen. Sie sah ihn aufrichtig an. Blickte direkt in sein Innerstes. Sie verurteilte ihn nicht. Als sie seinen Namen aussprach, seinen wahren Namen, erschauderte er. Es klang so falsch. Er hatte sich sein Leben als Armin aufgebaut. Hatte sein wahres Ich verloren. Es war noch nicht vorbei. Ein langer Weg stand ihnen bevor.

,,Ich liebe dich“

Racheklang

von Jennifer Engelbart

4 thoughts on “Racheklang

  1. Moin Jennifer,

    danke das du deine Geschichte mit uns geteilt hast.

    Am Anfang war ich schon leicht angewidert, bzgl des Szenarios was du da beschreibst und wartete gespannt auf das was da kommen sollte.
    Leider konnte deine Geschichte dem Anfang nicht gerecht werden. Vielleicht habe ich auch zu viel erwartet, weil dein Anfang so krass ist. Meine Erwartungshaltung war schon recht hoch, was ja nicht negativ gemeint ist.

    Deine Geschichte hat so viel Potenzial. Schade. Ist das deine erste Geschichte? Ich möchte dir den Tip geben, alles aus diesem Wettbewerb mitzunehmen und daraus zu lernen. Lese, lese und lese wie es die anderen Autoren gemacht haben, denn nur so kann man besser werden. Genauso mache ich es auch…

    Für den Mut an diesem Wettbewerb teilgenommen zu haben und dafür das du deine Geschichte mit uns geteilt hast, lass ich dir gerne ein Like da und wünsche dir alles Gute für‘s Voting.

    LG Frank aka leonjoestick ( Geschichte: Der Ponyjäger)

  2. Hallo Frank,
    Ich danke dir für dein ausgiebiges Feedback. Das freut mich und nur so kann ich mich verbessern.

    Ja, das war meine erste Kurzgeschichte, die ich komplett geschrieben und eingereicht habe.
    Ich werde weiter an mir arbeiten. Derzeit läuft bei mir ein Projekt bei Facebook, wo ich immer ein wenig schreibe und meine Leser abstimmen können. Dann schreibe ich weiter. So bleibe ich im ständigen Lernprozess, während ich weiter lese und übe.

    Ich danke dir wirklich sehr und freue mich auf ggf nächste Projekte.

    LG Jenny

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