I
Jeder hat eine Seite an sich, die er vor der ganzen Welt versteckt hält.
Ein dunkles Geheimnis, das irgendwann im Laufe unseres Lebens in uns aufkeimt, wie ein Büschel Unkraut sich auch aus der trockensten Erde erheben kann und von unserem Inneren genährt und gestärkt wird. Von unseren Gedanken und Gefühlen.
Doch am besten wächst und gedeiht es durch unsere Taten und die ein oder andere vergossene Träne. Seien es unsere eigenen oder die von jemand anderem. Je salziger desto besser.
Manche dieser dunklen Geheimnisse beginnen später, wenn sie groß genug dafür sind und ausreichend lange reifen konnten, dass sie sich auch auf ihren Wirt auswirken. Diese Auswirkungen können die unterschiedlichsten Arten annehmen. Den einen erfüllen sie mit Selbstbewusstsein, lassen ihn unbesiegbar fühlen, aufmerksamer machen oder lassen ihn sogar in einer weit besseren Position stehen.
Für andere ist es die reinste Hölle. Ein Ballast, den sie mit sich durchs Leben tragen und der schwer auf ihrem Rücken liegt. Der sie ängstlich macht und sie dazu veranlasst sich in sich selbst zurück zu ziehen.
Doch es gibt auch Fälle, in denen die Strahlen und die innere Dunkelheit sich nicht einig werden, wer die Oberhand erhalten soll. Träger solcher Geheimnisse sind sehr schwer zu erkennen, denn sie lassen sich nichts anmerken. Sie schweben auf keinem Hoch dahin, lassen sich aber auch nicht durch kein kleines Tief – das jeder in seinem Leben einmal erleben wird, egal wie stark der Mensch zu sein scheint – aus ihrer Bahn werfen.
Sie leben einfach vor sich hin. Zusammen mit ihrem Geheimnis.
Ich selbst zählte mich zu der letzten der genannten Gruppen.
Das mag zwar vielleicht eine komplette Fehleinschätzung meinerseits gewesen sein, doch es fühlte sich zumindest schon immer so an. Ich hatte alles unter Kontrolle. Ich stand über meinem Geheimnis und hielt es tief in mir vor der ganzen Außenwelt verschlossen.
Doch seit kurzem war alles anders.
Ohne richtigen Job, wobei das Ansichtssache ist, was als richtiger Job durchgeht und was nicht, konnte ich mich ganz meinem richtigen Tagesablauf widmen. Dem Ablauf, der mir mehr Geld zum Leben einspielte, als die mickrigen knapp über 400 Euro um die sich die Bundesrepublik Österreich erleichtern ließ.
Als ich an diesem Morgen, noch bevor die Sonne aufging, meinen Wohnblock des Karl-Maisel-Hofs in Simmering verließ, führte mich mein Weg wie jedes Mal erst zwischen den Häusern hindurch und dann in den kleinen Park, der zwischen einer türkisen Lagerhalle und einer alten Postfiliale eingepfercht lag. Sehr viele Leute verirrten sich nicht freiwillig hier her und die, die den Weg fanden, hatten andere Gründe, ausgerechnet in diesen Park zu kommen, als einen schönen Sommerabend unter klarem Sternenhimmel zu verbringen. Sie kamen wegen anderen Gründen um sich die Abende angenehmer zu machen.
Wenn man hinter die, auf genau einen Meter Höhe getrimmten Buchshecken schaute, fand man mehr als genug Hinweise darauf, ob ihre Gesuche erfolgreich waren. Neben den üblichen Zigarettenkippen und kleinen Kaugummi Papierchen ließen sich auch mehr als genug Medikamenten Blister, Spritzen und kleine leere Tütchen finden. Hin und wieder auch mal ein Kondom.
Doch ich war nicht wegen diesem Müll hier. Ich hielt Ausschau nach anderen Überbleibseln, die sich für meine Zwecke zu Geld machen ließen. Man musste nur schneller als die Stadtreinigung sein und wissen wo man suchen sollte.
Und diesmal schien es ein mehr als glücklicher Morgen für mich zu werden. Erst sah es nicht danach aus, doch dann wurde ich unter einer der kleinen Bänke fündig.
Die ersten Sonnenstrahlen des Tages schimmerten mir von einer glatten Oberfläche entgegen und ich wusste, was das bedeutete. Checkpot.
Ich hob das Smartphone auf und drehte es in Hand hin und her. Es schien nicht beschädigt zu sein. Der Bildschirm hatte weder Sprünge noch Kratzer und die Rückseite war durch eine Silikonhülle geschützt, von der mir eine mit Herzen eingerahmte Zeichnung eines Corgi entgegen lächelte.
Ich erwiderte das Lächeln und ließ das Smartphone in meine Jackentasche gleiten. Mein nächstes “Gehalt” schien gesichert.
Als ich nach einem kleinen Frühstück, an der einzigen Bude, die sich hier zu halten schien, wieder in meine Wohnung im vierten Stock zurückgekehrt war, ließ ich mich mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung auf mein kleines Sofa fallen. Das Smartphone lag vor mir auf dem kleinen Tisch und ich war einfach nur froh, wieder einen Fang gemacht zu haben. Der letzte war schon wieder viel zu lange her und das verbleibende Geld war gerade wieder dabei auszugehen.
Ich hob das Smartphone hoch und wog es in der Hand. Ich besaß ein ähnliches Modell und mein Finger wanderte fast schon automatisch auf den kleinen Knopf auf der Seite, mit dem sich das Gerät starten ließ. Ich drückte darauf und ein Sperrbildschirm erschien. Das Bild zeigte mir irgendeine Berglandschaft und es sah nicht so aus, als hätte die Besitzerin, ich ging einfach mal dank der Hülle davon aus, es selbst geschossen.
Am unteren Bildschirmrand forderte ein Balken mich auf ihn zur Seite zu schieben. Ich folgte seiner Anweisung und schon war ich drin.
Ein kleines Lachen entkam mir. So viel Glück musste man erst einmal haben. Ein ganzes Handy und dann nicht einmal mit irgendeiner billigen Sicherheitsvorkehrung vor fremden Zugriffen geschützt.
So ging es mir bisher nur bei einem anderen Smartphone davor und ich hatte locker schon zwei Dutzend fremder Geräte in der Hand. Leider war auch auf dem Hauptbildschirm nur eines der generischen Hintergrundbilder zu erkennen.
“Dann wollen wir doch einmal sehen wem dieses kleine Teil denn gehört.”, murmelte ich und lehnte mich nach vorne.
Die brauchbarsten Informationen über eine Person konnte man in den Einstellungen herausfinden. Fast in jedem Gerät war mindestens ein Account hinterlegt, um die Funktionen des Gerätes vollkommen ausschöpfen zu können. Diese E-Mail Adresse konnte man für andere Accounts, wie Social-Media verwenden und schon hatte man genügend Druckmaterial in der Hand um einen ordentlichen Batzen Geld zu erpressen.
Ich tippte mich durch die Menüreiter, konnte jedoch keinen Eintrag dazu finden.
Verdammt. Wahrscheinlich gehörte dieses Teil irgendeiner alten Schachtel, deren Kinder ihr so ein Handy aufgeschwatzt hatten, damit sie immer erreichbar war. Falls sie sich doch einmal Sorgen um ihre Erzeuger machen sollten.
Was soll’s, dachte ich mir. Es war immer noch mehr als möglich, die Person, die eigentlich vorm Display sitzen sollte zu identifizieren und vielleicht war es ja auch gar nicht so schlecht, dass man es mit einer älteren Person zu tun hatte. Die waren nämlich um einiges gutgläubiger und da war meistens auch ein gutes Stückchen mehr zu holen. Mit anderen Worten, da saß das Ersparte ein wenig lockerer.
Ich schloss die Einstellungen und nahm mir die nächstbeste Möglichkeit vor. Den Messenger der installiert war. In dem Fall war es der gängigste und das grüne Symbol von WhatsApp strahlte mir vom Hauptbildschirm entgegen. Ich tippte darauf und erwartete, dass sich mir alle Geheimnisse eröffneten.
Doch falsch gedacht. Ich wurde von einem Einstiegsbildschirm begrüßt, der nun vorhatte, mich durch das Einrichten des Messengers zu führen. Ich schloss die App wieder und ließ die Hände sinken.
Wer bitteschön nutzte heutzutage ein Smartphone ohne die mittlerweile in der Gesellschaft angekommene Hauptfunktion zu verwenden? Das konnte doch nicht sein. Entweder die Person, die einmal dieses Gerät besessen hatte, hatte andere Vorstellungen davon, wie man so ein Teil handhaben muss und telefonierte wirklich nur damit.
Oder aber es war noch so neu, dass diese Person noch nicht einmal zum Einrichten gekommen war.
Eine letzte Chance fiel mir noch ein, wie ich an die Person kommen konnte, nachdem sich auch der Anrufverlauf als komplett leer erwiesen hatte.
Jeder machte Bilder und sei es nur ein Bild von irgendeinem Hundsviech oder einer Blume im eigenen Garten. Aber das waren Anhaltspunkte, um über Google Maps oder eine direkte Suche nach den Bildern Aufschluss über die Person oder den Wohnort zu bekommen.
Ich wischte den Bildschirm einmal nach links und tippte auf die Galerie. Sie öffnete sich und ich wählte den Kamera Unterordner aus. Immerhin zeigte es mir schon an, dass sich fünf Bilder darin befinden mussten.
Sollte es doch ein jüngerer Besitzer gewesen sein, so bestand immer noch die Möglichkeit anzügliche Bilder oder gar Nacktfotos zu finden. Und die waren echt einiges wert.
Ich wählte, jedoch ohne große Hoffnung, das erste der kleinen Vorschaubilder aus und ließ es sich zu voller Größe entfalten, wobei keines nach dem Erhofften aussah.
Und das war der Moment, in dem meine Verteidigung zu bröckeln begann, die ich um mein Geheimnis gebaut hatte.
Mit dem ersten Bild, war ich mir noch nicht sicher, ob es wirklich das war, was ich dachte. Doch als ich mit pochendem Herz auf das nächste Bild wischte, wurde es klar. Auf dem Bild war ich selbst zu sehen. Ich verließ gerade die Haustüre meines Blocks, meine Schirmmütze tief ins Gesicht gezogen und den Kragen aufgestellt. Dieses Bild wurde vor nicht einmal einer Woche geschossen, es gab in den letzten Wochen, nämlich nur einen Tag, bei dem es nötig gewesen war, meinen Kragen aufzustellen. Der Herbst hatte sich schon einmal mit eiskalten Winden angekündigt.
Was zur Hölle hatten diese Bilder auf dem Smartphone zu suchen. Und warum war nichts Anderes darauf zu finden außer ihnen.
Ich atmete einmal tief ein und blies die Luft wieder geräuschvoll durch meine Nase nach draußen.
Bevor ich auch noch einen Blick auf die anderen Bilder warf, blätterte ich noch einmal auf das erste Bild zurück.
Jetzt da ich davon ausgehen konnte, dass es wirklich ich war, der dort auf dem Bild in der Dunkelheit einer kleinen Gasse herum schlich, ergab es auch Sinn. Dieses Foto war gute 3 Tage älter, als das zweite und ich brauchte gar nicht erst in das Bild hineinzoomen um zu erkennen, was ich in der Hand hielt. Das war die Billatüte, in der ich meinen letzten hart verdienten Lohn bekommen hatte.
Ich merkte, wie sich meine Atmung beschleunigte. Wenn diese Person mich hierbei gesehen hatte, dann wusste sie vermutlich auch, was für ein Spiel ich hier spielte. Konnte es sein, dass es sich hier um mein letztes, oder eines der früheren Opfer von mir, die mich aufgespürt hatten und somit meine Vergangenheit mit mir aufholen ließen?
Als ich zu den nächsten Bildern zurück wischte, hinterließ mein Finger eine leichte Schweißspur, die in den Farben des Regenbogens auf dem Display schimmerte.
Auf dem dritten Bild sah man mein Gesicht im Großformat. Da ich dort nicht meine Schirmmütze trug, fielen mir meine für einen Mann schon fast zu lang geraten rabenschwarzen Haare ins kantige Gesicht.
Heute war Samstag, was bedeutete, dass diese Bild am Mittwoch von mir aufgenommen worden war. Auf dem Foto war ich gerade dabei mir ein Stückchen Currywurst in den Mund zu schieben. Und die gab es bei mir traditionell immer Mittwoch Abends an dem Wagen, bei dem ich mir auch häufiger etwas zum Frühstücken besorgte, wenn mir danach war.
Die Person musste mir bis dorthin gefolgt sein oder dort gewartet haben. Aufgrund der Nähe und dem Winkel in dem sie mich abgelichtet hatte, musste sie am nächsten Stehtisch gestanden haben.
Ich versuchte mir ins Gedächtnis zu rufen, ob und wer außer mir noch dort war, doch ich stieß auf eine Wand. Ich konnte nicht einmal mehr sagen, welcher der beiden Verkäufer an dem Tag dort war.
Ich schob auch dieses Bild nach links aus dem Display und warf einen Blick auf Foto Nummer vier.
Wie zu erwarten wieder ich. Nur schien es diesmal ein älteres Bild zu sein. Meine Haare waren um einiges kürzer und ich konnte es nicht einordnen, was dieses Foto zwischen den anderen zu suchen hatte.
Ohne weitere Zeit darauf zu verschwenden, wischte ich zum letzten Bild. Mein Mund wurde trocken. Dieses Bild war aktueller. Mir selber fast schon zu aktuell.
Es war erst in der Früh aufgenommen worden und zeigte mich auf dem Weg in Richtung des kleinen Parks. Wenn auch bei diesem Foto wieder kein Zoom verwendet worden war, hatte sie sich nur wenige Meter hinter mir befunden, denn meine Rückansicht nahm fast die gesamte Höhe ein. Während ich durch die Heckenreihen geschlendert war, musste die Person das Smartphone unter der Bank platziert haben. Sie hatte gewollt, dass ich es finde. Und sie schien gewusst zu haben, was ich damit vorhatte.
Doch wozu das Ganze. Es schien keinerlei Forderung dabei zu sein. Wollte mich hier nur jemand einschüchtern. Oder mir vorhalten wie es meinen Opfern ging?
Mein nächster wirklich klarer Gedanke war hingegen, dass ich das Teil so schnell es ging wieder loswerden müsste. Und verkaufen kam damit auf keinen Fall in Frage. Dann hätte die Person erst recht etwas, das sie mir anhängen könnte. Ich stand auf und schleuderte das Teil in eine Ecke des Sofas.
Bevor ich etwas überstürzte, musste ich mir erst einmal einen Plan zurechtlegen. Welche Möglichkeiten hatte ich den? Sollte ich es eventuell zum Fundbüro bringen, wie es von einem anständigen Bürger erwartet wurde?
Sicher nicht. Wenn die das Gerät anschalteten und das würden sie sicher tun, denn vielleicht ließe sich ja so der Besitzer ermitteln, dann würden sie auch unweigerlich auf keine Daten und nur die Bilder von mir stoßen.
Doch ich hatte immer noch die Chance die Fotos zuvor von dem Gerät zu entfernen. Und dann? Dann sah es wieder so aus als wäre es komplett neu und ich würde nicht nur ein wenig so aussehen als hätte ich etwas zu verbergen.
Also viel das schon einmal raus.
Und wenn ich das Gerät wieder irgendwo anders aussetzen würde? Würde es dann wieder den Weg zu mir finden? Sicherlich. Auf die ein oder andere Variante. Entweder die Person folgte mir, sah das ich es entsorgte und würde es mir wieder bringen, oder sie ließ das GPS Signal für sich arbeiten.
Fast hätte ich mir die Hand an den Kopf geschlagen. Scheiße. Das GPS Signal.
Ich stürzte mich fast schon durch das Wohnzimmer in Richtung Sofa. Dass musste ich noch kontrollieren. Vielleicht hatte ich der Person damit schon den letzten Rest geliefert den sie brauchte.
Ich schloss das Smartphone in meine Hand und wollte gerade wieder den Bildschirm aktivieren, als ich es beinahe wieder fallen ließ.
Richard Wagner’s Walkürenritt schalte mir entgegen und das Gerät vibrierte in meiner zitternden Hand.
Ein Anruf.
Mit dem immer noch vor sich hin schallenden Smartphone in der Hand huschte ich in Richtung Küche. Ich brauchte etwas zu schreiben, bevor ich ran ging. Und das ich da ran ging war ich mir mehr als sicher.
Ich kramte in meiner Utensilien Schublade herum und hätte mir fast mit der Schere in die Hand geschnitten, als ich einen Kugelschreiber zu fassen bekam. Ich zog mir die Zeitung auf dem Tisch näher her. Ich stellte auf Lautsprecher und nahm das Gespräch an.
“Ich hoffe sie hatten einen angenehmen Spaziergang und das Frühstück hat geschmeckt.”
Am anderen Ende war eine Frau. Ich hatte die Möglichkeit durch die Hülle des Smartphones abgewogen, aber trotzdem war ich ein klein wenig überrascht. Ich wollte es auf die einfache Tour versuchen.
“Wer ist denn da, wenn ich erst einmal fragen darf?” sagte ich und legte dann, einem Geistesblitz folgend, gleich noch nach. ”Ist dies ihr Handy? Ich habe es heute Morgen gefunden.”
“Natürlich haben sie es heute Morgen gefunden.” Die Dame machte eine Pause. “Immerhin wollte ich ja, dass sie es finden.”
Ich räusperte mich.
“Und was genau wollen sie damit von mir bezwecken?”
“Ich bitte sie, Herr Strasser. Sie haben doch schon sicher eine Idee, was ich von jemandem wie ihnen wollen könnte.”
Ich hatte mich beinahe an meinem eigenen Speichel verschluckt und musste ein paar Huster unterdrücken, bevor ich antworten konnte. Woher sie meinen Namen hatte wusste ich nicht, doch wenn sie mir schon länger auf der Schliche war, dann konnte es von überall her sein.
“Ich weiß nicht was Sie meinen.” presste ich hervor.
“Oh doch, das wissen Sie. Stellen sie sich doch nicht dümmer an, als sie sind.” gab sie scharf zurück.
“Reden Sie doch einfach noch einmal Klartext mit mir.” Mir reichte es mit dem verstellen.
“Weshalb sonst hätten Sie mich extra anrufen sollen, wenn es ihnen nur darum geht ob ich schon irgendetwas herausgefunden habe. Und wie bitte schön? Soll ich es schmecken.”
“Nun regen Sie sich doch nicht gleich auf. Ich wollte nur freundlich nachfragen ob Sie meine Nachricht erhalten haben.”
“Pah! Von wegen freundlich nachfragen. Sie ..”
“Halten Sie mal einen Moment den Mund.”
Ich schwieg.
“Sie wollten ihre Anweisung, oder Forderung, nennen Sie es wie Sie wollen. Ich möchte etwas von Ihnen, was ihnen ja schon klar war. Aber was, müssen sie selber herausfinden. Und das, sollte für jemanden wie Sie sicher nicht allzu schwer sein.”
“Und was ist .. DAS?”
“Finden sie es heraus.”
Sie legte auf und ließ mich mit der vom Display abgekritzelten Nummer und einem unguten Gefühl zurück.
Die im Gerät hinterlegte SIM-Karte und Nummer würde mir wenig nutzen. Ich war mir sicher, dass ich davon ausgehen konnte, dass es sich um eine frisch gekaufte handeln musst und der Anbieter, der dahinter stand, war sicher alles andere als scharf darauf, mir irgendwelche Daten auszugeben.
Alles was ich hatte, war die Telefonnummer von der aus die Dame mich erreicht hatte. Wenn sie es schlau angestellt hatte, nutzte sie sicher die gleiche Methode wie ich und ich meine sie schien mich ja nur gerade so abzukupfern. Doch das war etwas, dass ich nachkontrollieren konnte.
Mein Plan war nun, eine Stunde zu warten und dann dieselbe Nummer zurückzurufen. Sollte sie nicht rangehen, so war es mehr als wahrscheinlich, dass sie mich von einer der wenigen verbleibenden Telefonzellen aus angerufen hatte.
Als ich die Nummer in das Smartphone getippt und auf “Anrufen” getippt hatte, wartete ich. Es klingelte einmal, zweimal, dreimal. Ich wollte gerade wieder auflegen, als abgehoben wurde.
“Haben sie es herausgefunden?” Sie klang verärgert, aber auch interessiert.
“Nein, aber ich …”
“Dann viel Erfolg.” Sie hatte aufgelegt und es piepte wieder in meinem Ohr.
Das bedeutete also, dass sie das Gegenstück bei sich haben musste. Und das könnte mein Glück sein.
Hatte sie die Nummer des Smartphones eingespeichert, so konnte sie darauf reagieren, wenn ich es war, der sie anrief. Doch wie sah es aus, sollte sie jemand anderes anrufen?
Ich nahm mir vor eine Runde spazieren zu gehen und unterwegs die Nummer noch einmal von einer Telefonzelle zu versuchen. Und vielleicht konnte ich jemanden ausmachen, der mir folgte.
Ich schloss die Tür meiner Lieblings Telefonzelle hinter mir. Das war eine der einzigen, die ich noch als wirkliche Zelle und nicht mehr nur als herumstehende Säule gefunden hatte. Ich selber war ja nicht so begeistert davon, wenn mir jeder, der des Weges kam bei meinen Geschäftsgesprächen lauschen konnte. Ich selber hatte auf dem Weg hierher niemand verdächtigen beobachten können.
Nachdem ich zwei Euromünzen in den Schlitz geworfen hatte, nahm ich die Ecke der Zeitung mit der Nummer darauf aus meiner Tasche und tippte sie ein.
Diesmal dauerte es nicht so lange bis abgehoben wurde.
“ Meininger Consultant.” flötete es mir entgegen. “ Was kann ich für sie tun?”
Das war sie. Ich erkannte es an der Stimme, auch wenn diese nun höher zu sein schien. Ich wartete. Vielleicht wollte sie mir ja gleich noch ihren Namen nennen und mir somit einiges an Arbeit ersparen. Doch leider schien sie gemerkt zu haben was abging.
Ich hörte noch ein ”Verdammt.”, dann war die Verbindung unterbrochen.
Damit konnte ich arbeiten.
Wieder in meiner Wohnung, schnallte ich mich vor den Rechner und öffnete meinen Browser. Meininger Consultant ergab in Wien genau einen Treffer.
Es schien sich um eine kleine Steuerberatung in Alsergrund zu handeln. Ich rief die Website auf und war begeistert.
Sie hatten die kompletten Mitarbeiter abgebildetet. Jeweils mit Namen, Berufsbezeichnung und einer E-Mail, die sich neben einem professionellen Foto eines jeden einzelnen gliederten.
Insgesamt schien es vier Frauen zu geben, die dort arbeiteten. Zwei von ihnen fielen schon einmal raus. Eine Sekretärin, die aussah, als sei sie gerade erst von der Schule gekommen und eine der führenden Beraterin, die eigentlich schon in Rente zu sein schien.
Ich warf eine Googlesuche nach den beiden verbleibenden an.
Von einer Frau Meixen fand ich einiges. Facebook Account voller Partybilder und sogar ein Twitter Konto, auf dem sie ihre Politischen Meinungen zum Besten gab. Wie man so bei einer seriösen Kanzlei landen konnte war mir ein Rätsel.
Zur Frau Angerer fand man nichts.
Diese Spur schien auch die falsche zu sein. Doch mir blieb noch die Stimme, die ich nun in nicht verstellt von ihr gehört hatte.
Ich schrieb beiden eine E-Mail, mit einer Bitte um Rückruf und gab meinen Festnetzanschluss an. Wenn sich beide meldeten, hatte ich sie und sollte sich nur eine von beiden melden und ich erkannte, dass es eine andere Stimme war, dann hatte sich die Sache auch erledigt.
Ich drückte auf “Senden” und bekam von der Adresse der Frau Meixen sofort eine Antwort zurück. Sie sei gerade im Urlaub und ich solle mich doch bitte an die Frau Angerer wenden. Allerdings stand in der Antwort auch noch drin, dass Frau Angerer diesen Namen anscheinend erst seit kurzem trug, da noch ein anderer Name in Klammern angegeben war. Sie hatte einmal Zelenka geheißen.
Der Name sagte mir etwas. Mit jemandem der so geheißen hatte, hatte ich schon einmal etwas zu tun gehabt. Ich warf noch einmal schnell eine Suche an. Und fand was ich meinte.
Meine Vergangenheit hatte mich eingeholt.
II
Es war fünf Jahre her, zu einer Zeit, als ich noch einem gängigen Beruf, als Support-Mitarbeiter eines IT-Dienstleisters, nachgegangen war.
Damals war mir die Ehre zugelost worden, als einer von 600 Geschworenen vor Gericht zu urteilen.
Eine der Verhandlungen, der ich beiwohnte war die des schwer erziehbaren und schon vorbestraften Marco Zelenka. Der damals 22-jährige sollte seiner Berufsschullehrerin aufgelauert haben. Er verschaffte sich Zugang zu ihrer Wohnung, wo er sich angeblich an ihr vergangen haben sollte, bevor er sie betäubt und in der Badewanne ertränkte.
Marco selbst hatte behauptete schon länger ein Verhältnis mit der Lehrkraft Frau Maiß zu führen, dass sie aber geheim gehalten hatten. Zum einen, weil Frau Mais immer noch mit ihrem Ehepartner verheiratet war. Auch wenn es dort schon mehr als nur kriselte. Und zum anderen auch deswegen, weil es als Lehrkraft nie gut kam, wenn man etwas mit scheinen Schutzbefohlenen anfing. Marco selbst beschuldigte ihren Ehepartner, dass er ihm das Alles anhängen wollte.
Doch die Beweise standen alle gegen Marco.
Niemand konnte das Verhältnis zwischen ihnen bestätigen. Sein Alibi war mehr als löchrig und die Person, die es hervorbrachte saß in diesem Moment schon wegen einer Drogensache im Knast.
Herr Maiß hatte hingegen ein wasserdichtes Alibi, das von Aussagen mehrerer Personen getragen wurde.
Doch am aller Ausschlaggebendsten waren die handfesten Spuren. Haare und Hautpartikel, sowie Fingerabdrücke waren in der Wohnung gefunden worden. Bei der Obduktion der Leiche hatte man Gewebe von Marco unter ihren Fingernägeln und Spuren einer möglichen Vergewaltigung, sowie Sperma gefunden. Als man Marco am Morgen nach der Tat festgenommen hatte, wies sein Rücken Kratzspuren auf.
Trotzdem viel unsere Entscheidung nur sehr knapp für schuldig aus. Über eineinhalb Stunden saßen wir zu acht beisammen und beratschlagten uns. Das Ergebnis dessen waren drei Stimmen für unschuldig und fünf Stimmen für schuldig. Darunter auch meine.
Die Verkündigung unseres Urteils durch die Richterin war einer der schlimmsten Momente meines Lebens gewesen.
Zu sehen wie Marco erst drohte die Fassung zu verlieren und dann einfach nur noch in sich zusammenfiel. Dank seiner Vorstrafen belief es sich auf Lebenslänglich.
Marco saß davon nur dreieinhalb Jahre, ehe er seiner Strafe selber ein Ende setzte und sich mit einem Stückchen Holz die Schlagader am Hals aufriss. Niemand konnte sich erklären woher er das Stückchen Holz hatte und das Wachpersonal schien nichts mitbekommen zu haben.
Doch das allerschlimmste war erst das, was danach noch alles kam.
Ein Journalist, dessen Arbeit darin bestand, die Unschuld von Personen ans Licht zu bringen, hatte zwei Wochen später ein paar Bilder aufgetrieben und den dazugehörigen Zeugen.
Die Bilder zeigten Frau Maiß und Marco am Rand einer Großaufnahme eines Parks, wie sie auf einer Bank saßen und sich einen Eisbecher teilten. Auf einem weiteren Bild sah man sie Hand in Hand den Park verlassen.
Der Fall wurde daraufhin erneut aufgerollt und nach fast zwei Monaten ohne Ergebnisse brach eine der Alibistützen von Herrn Maiß zusammen. Das Alibi war von ihm erkauft worden.
Herr Maiß gestand letztendlich die Tat. Er hatte das zwischen Marco und seiner Frau herausgefunden und war aus Eifersucht über sie hergefallen. Dass alles gegen Marco zeigte war ihm nur Recht gekommen. Frau Maiß hatte zudem fast das ganze Vermögen der beiden mit in die Ehe gebracht und bei einer Scheidung sicher wieder alles mitgenommen.
Auch er wanderte für den Rest seines Lebens in den Bau.
Ich vermute den anderen Geschworenen war es danach ähnlich gegangen wie mir, sollten sie überhaupt davon erfahren haben. Eine Stimme weniger für seine Schuld hätte Marco das Leben gerettet. Und das hätte meine Stimme sein können. Oder eine der anderen.
Und man machte sich dann schon Gedanken und auch Vorwürfe in wie Fern man selber schuld an Marco’s Tod trug.
Ich hatte für mich mit der Sache Frieden geschlossen, indem ich mir nichts vormachen wollte. Wir hatten alle zusammen nach unserem besten Wissen und Gewissen gehandelt und es lag nicht an uns, dass ein Unschuldiger ins Gefängnis gewandert war. Viel eher war es die Schuld derer, die den Fall nicht richtig aufgeklärt hatten.
Nun hatte ich zumindest schon einmal die Verbindung von der Dame zu mir selbst. Und auch das vierte Bild ergab nun Sinn. Ich war dort zu sehen, wie ich das Gericht verlassen hatte. Doch was genau wollte sie mir damit sagen? Wollte sie Geld, oder mich nur auf das Schicksal ihres Sohnes hinweisen? Mir noch einmal alles in Erinnerung rufen und mein Leben dadurch zur Hölle zu machen?
Da war sie bei mir aber an der falschen Adresse.
Ich wechselte in ein neues Explorer Fenster und beförderte eine Kopie des Verhandlungsprotokolls zu Tage. Eigentlich sollte sich dieses Dokument gar nicht in meinem Besitz befinden, aber ich dachte es könnte sich ja eventuell noch als nützlich erweisen. So wie jetzt.
Hier waren neben meinem eigenen Namen auch noch die der anderen Geschworenen aufgeführt. Ich selber hatte mir, nachdem ich die Datei wieder ausgegraben hatte, eine kleine Notiz dazu gemacht, in der ich für mich vermerkt hatte, wer wie abgestimmt hatte.
Ich musste herausfinden, ob ich der einzige war, der eine Nachricht von Frau Zelenka erhalten hatte.
So richtig Lust darauf hatte ich nicht aber es musste sein.
Mit den Namen machte ich mir eine kleine Liste, suchte zu jedem der Namen eine Telefonnummer, oder wenn nicht aufzufinden eine E-Mail Adresse.
Nun kam der schwerste Teil.
Mein erster Anruf dauerte länger als erwartet. Die Dame am anderen Ende hatte noch gar nichts von Marco’s Schicksal mitbekommen und hielt mir daraufhin einen Vortrag, dass sie es doch damals schon gesagt hatte, dass er unschuldig sei. Auf die Frage ob, seine Mutter Kontakt zu ihr aufgenommen hatte, verneinte sie.
Anruf Nummer zwei war weniger erfolgreich und brachte noch schlechtere Aussichten mit sich. Die Frau, die hier am anderen Ende abhob, teilte mir mit, dass ihr Mann, den ich verlangte, seit zwei Wochen tot war. Ich sprach ihr mein Beileid aus und erkundigte mich woran er gestorben war.
Selbstmord.
Bei der dritten Nummer konnte ich niemanden erreichen und ich schrieb eine Mail mit einer Bitte um Rückruf.
Telefonat Nummer vier wurde wieder entgegengenommen. Ein Mann erklärte mir, dass die Frau, die ich sprechen wollte vor einer Woche vor einen Zug gesprungen war. Wieder sprach ich mein Beileid aus und beendete das Gespräch.
Die drei auf meiner Liste verbliebenen Personen wollte ich erst einmal nicht kontaktieren. Ich saß auf meinem Stuhl und dachte nach. Die beiden Selbstmorde mit nur einer Woche dazwischen und dem Hintergrund, dass Marco’s Mutter an mich herangetreten war, waren sicher keine reinen Zufälle.
Ich nahm das Smartphone in die Hand, entsperrte es und wählte die Nummer von der aus Frau Zelenka mich erreicht hatte. Es wurde sofort abgenommen.
“Ja?”
Mehr kam nicht.
“Frau Zelenka?” fragte ich.
“Was wollen Sie?”, kam gleich eine Gegenfrage,”Haben sie etwas herausgefunden?”
“Das mit ihrem Sohn tut mir leid.”, kam ich gleich zur Sache, “Aber ich verstehe nicht ganz in wie fern das Ganze nun mit mir zu tun hat und was Sie genau von mir wollen.”
“Dann haben sie doch schon das Wichtigste herausgefunden. Sie und die anderen waren schuld am Tod meines armen Jungen. Sie haben ihn dazu getrieben, was er sich dann angetan hat.” Ihre Stimme steigerte sich und sie schien den Tränen immer näher zu kommen.
“Das kann ich vollkommen verstehen.”
“Sie können gar nichts. Sehen sie sich doch einmal an. Sie sind nur noch schlimmer geworden. Hat es ihnen so viel Spaß gemacht meinen Sohn zu quälen, dass Sie nun überhaupt nicht mehr die Finger davon lassen können, anderen Leuten das Leben zur Hölle zu machen.”
“Das mache ich doch nur, um über die Runden zu kommen. Und einige von ihnen scheinen ja, es unbedingt herausfordern zu müssen.”, versuchte ich mich zu verteidigen.
“Reden Sie doch keinen Scheiß. Sie hätten sich einfach wieder eine anständige Arbeit suchen können, als man Sie rausgeschmissen hat. Aber stattdessen liegen Sie uns allen auf der Tasche.” Sie atmete durch.
“Erfüllen Sie Ihren Teil und alle sind glücklich.”
“Und was ist mein Teil?”
Sie ließ sich Zeit zu antworten.
“Sie müssen Wiedergutmachung leisten.”, was eher wie ein Befehl klang.
“So wie die anderen Geschworenen es auch schon leisten mussten?”
“Woher… ?” Sie stockte und suchte nach den richtigen Wörtern. Ich schien also mehr herausgefunden zu haben, als sie sich gewünscht hatte. Fühlte sich gut an, zumindest wieder ein wenig die Zügel in der Hand zu halten, auch wenn es mir um die Leid tat, die es vor mir getroffen hatte.
“ Egal. Ja, genau das möchte ich auch von ihnen. Sie haben mir ja sogar schon gleich ein Druckmittel an die Hand gegeben. Für die anderen musste ich erst immer etwas vorbereiten, dass ich ihnen anhängen konnte, um sie unter Druck zu setzen bis sie platzten.”
Sie redete sich weiter in Rage und schrie nun fast schon.
“ Wenn Sie versuchen dem auszukommen, wird es ihnen genauso gehen wie meinem Sohn. Ich habe jetzt schon etwas gegen sie in der Hand, aber das kann ich noch viel schlimmer machen. Glauben sie mir das. Und dann, spätestens dann wären Sie froh gewesen, wenn sie ihr Soll erfüllt hätten.”
“ Und was genau sollte ich mir da vorstellen?”
“ Bringen Sie sich einfach um!” kreischte Sie.
Dann war die Leitung tot.
III
In der darauffolgenden Nacht hatte ich alles andere als gut geschlafen. Und in den Augenblicken, in denen meine Augen zugefallen war, fühlte es sich so an, als wäre ich im Nichts. Ich hing in traumloser Dunkelheit.
Aufgrund dessen kämpfte ich mich am nächsten Tag erst kurz vor Mittag aus dem Haus. Doch ganz so weit kam ich gar nicht.
Noch bevor ich die Haustüre aufgezogen hatte, sah ich durch das Glas schon die roten Schmierer, die sich wie verwischte Handabdrücke über das Glas zogen. Als ich genauer hinsah, stellte es sich als genau das heraus. Ich hoffte einfach nur, dass es kein Blut war.
Diese Woche stand ich auf dem gemeinschaftlichen Putzplan und ich schleppte mich wieder die Treppe nach oben zu meiner Wohnung, um einen Lappen und einen Eimer warmes Wasser zu holen.
Als ich auf dem letzten Treppenabsatz angekommen war, bemerkte ich, dass solche Schmierereien auch meine Wohnungstüre zierten. Nun war mir klar, von wem dieses Kunstwerk kommen musste.
Ich entfernte alles so gut es ging, ehe mir noch jemand Fragen dazu stellen konnte was passiert war. Doch für den Fall der Fälle legte ich mir schon einmal passende Antworten im Kopf bereit.
Inwiefern mich Frau Zelenka damit unter Druck setzen wollte, war mir zwar klar, doch es ergab im Zusammenhang mit dem was sie von mir wusste. Wie sollte jemand durch Blutschmierer dazu kommen, meine Stalkingaktivitäten zu entdecken?
Anschließend hatte ich nicht mehr wirklich Lust vor die Türe zu treten und pflanzte mich vor meinen Rechner. Sie wusste meine Adresse, doch ich ihre nicht und das war eine Sache, die ich aus Gründen der Fairness nun aus der Welt schaffen musste.
Dies war durchaus einfacher als ich erwartet hatte, denn Frau Hannelore Zelenka ergab in Wien und Umgebung nur einen einzigen Treffer im Online-Telefonbuch. Laut Google Maps handelte sich es bei ihr auch um einen Wohnblock. Es könnte sein, dass sie dann in einer ähnlichen finanziellen Lage war, wie ich.
Und das Beste was einem dann passieren Konnte, war eine Ladung neuer Möbel. Zum Glück kannte ich dieses kleine Möbelhaus am Rande Wiens, dass Möbel, die vorrätig waren, noch am selben Tag lieferte. Und das auch an Wochenenden und noch dazu auf Rechnung. Ohne Anzahlungen oder sonstiges.
Ich schickte die Bestellung ab und lehnte mich zufrieden zurück. Nun war ich auch wieder in der geistigen Ausgeglichenheit, das Haus zu verlassen. Immerhin brauchte ich einen neuen Fall, um wieder Geld in meine Kasse zu spülen.
Am Abend spielte ich noch mit dem Gedanken sie anzurufen und sie zu fragen, wie sie ihre neue Einrichtung fand, doch sie würde eh schon wissen, wer ihr das vermacht hatte, weshalb ich es bleiben ließ.
In dieser Nacht schlief ich um einiges besser.
Am nächsten Morgen verschwendete ich erst gar keinen Gedanken an die Ereignisse der letzten Tage. Ich wollte einfach wieder Normalität haben.
Doch das änderte sich, als ich auf dem Weg zu meiner Runde an den Briefkästen vorbei kam. Aus meinem Briefschlitz lugte eine Ecke eines großen, braunen Kuverts hervor. Ich zog es daran heraus, da ich nicht noch einmal nach oben, bis in den vierten Stock zu meiner Wohnung steigen wollte, nur um den Schlüssel zu holen.
Ich drehte es in meinen Händen hin und her, konnte aber keinen Absender, noch eine andere Beschriftung erkennen. Aber ich hatte schon eine Vermutung von wem es kam.
Ich setzte mich auf die kleine Treppe, die vor der Haustüre auf den Weg hinunter führte und begann es langsam zu öffnen. Hier war fast schon der perfekte Ort dafür. Ich brauchte niemanden, der mir dabei zusah, wie ich es auf machte, doch ich wollte es auch nicht ganz alleine in meiner Wohnung tun. Als die verklebte Lasche drohte einzureißen, folgte ich einem Trick, den ich einmal in einem Film gesehen hatte und hauchte auf den Klebestreifen. Ich wollte nicht, dass man sofort sehen konnte, dass ich es geöffnet hatte, sollte ich mich anders entscheiden. Tatsächlich funktionierte es wie gezeigt und ich kam an den Inhalt.
Doch den ließ ich sofort wieder im Kuvert verschwinden, als ich gesehen hatte um was es sich handelte. Alleine der Besitz dieser Bilder war schon strafbar. Ich hatte nur das erste gesehen, aber das Kuvert enthielt einen ganzen Stapel, von dem ich ausging, dass alle Kinder in diesen doch sehr expliziten Posen zeigten. Bei Kinderpornografie war auch bei mir eine Grenze erreicht.
Ich verschloss es wieder, froh darüber, dass ich den Trick mit dem Anhauchen verwendet hatte und schob ihn in den Briefkasten der Wohnung unterm Dach. Seit ein paar Monaten wohnte dort schon keiner mehr und es schien sich auch niemand wirklich um einen Nachfolger zu bemühen. Dieser Briefkasten ließ sich durch einen gezielten Schlag aufs Schloss aufbrechen, falls ich später noch etwas gegen Frau Zelenka in der Hand haben wollte.
Diese Frau gehörte definitiv nicht in eine Consulting Agentur, sondern weggesperrt. Und ich hatte die Möglichkeit ihr den Weg in so eine Richtung zu ebnen, weshalb ich nun doch wieder in meine Wohnung zurückkehrte.
Man musste andere von ihrem Zustand in Kenntnis setzen und ich hatte den perfekten Plan dafür.
Ich schnappte mir die Reste der Zeitung und begann Wörter und Buchstaben auszuschneiden, ehe ich sie zu zwei Briefen zusammensetzte. Einer davon war als Drohung von ihr gegen ihren Mann gedacht und den anderen würde sie der Polizei als Ankündigung der Tat vorbeibringen.
Nachdem sie in kleinen Kuverts verschwunden waren, versah ich sie noch mit Hannelores Adresse und machte mich auf den Weg, um sie auszutragen. Und danach war warten angesagt.
Kurz nach dem Mittagessen schallte wieder der Ritt der Walküren durch meine Wohnung und als ich das Smartphone ergriff, dachte ich schon, dass Frau Zelenka mich anrief, doch eine andere Nummer strahlte mir vom Display entgegen.
Ich nahm trotzdem ab.
“Hallo?” fragte ich.
“Sie sind also dieses Arschloch.” Eine raue Männerstimme schrie mir fast schon ins Ohr.
“Entschuldigung?”
“Wollen Sie uns provozieren, oder uns noch mehr daran erinnern, was unserem Sohn angetan wurde? Da haben Sie sich aber die Falschen ausgesucht.”
Es schien der Ex von Hannelore zu sein.
“Ihre kleinen Briefchen können Sie sich dorthin stecken, wo die Sonne nie hin scheint.”, fuhr die Stimme fort.
“Okay. Und was genau wollen sie jetzt?”
“Lassen sie uns in Ruhe oder wir nehmen ihre Drohung selbst in die Hand und lassen es wie einen Unfall aussehen. Und das wird nicht gerade angenehm für Sie werden.” Die Stimme am anderen Ende lacht. “Und das ist das Einzige, das ich ihnen versprechen kann.”
Dann hatte er auch schon aufgelegt, ohne mich noch einmal zu Wort kommen zu lassen.
Ich konnte nicht sagen, inwieweit der Mann, Herr Angerer, wie ich annahm, in der Sache verwickelt war, oder was seine ehemalige Gemahlin ihm an Stories aufgetischt hatte. Doch das musste sehr schnell enden.
Und ich sah nur noch einen sinnvollen Ausweg aus der Sache.
Ich betrat das Polizeirevier um kurz nach vier Uhr nachmittags.
Als ich dem Beamten hinter der kleinen Glasscheibe mein Anliegen geäußert hatte, verwies er mich auf einen der Wartestühle, die am Flur standen. Dort durfte ich fast eine halbe Stunde warten, ehe mich ein anderer Beamter abholte und zu einem Raum weiter hinten im Revier führte.
In dem Raum wartete schon eine Beamtin auf uns. Sie saß auf einem der Stühle, die sich um einen kleinen runden Tisch gruppierten. Bis auf eine Yuccapalme in der einen Ecke und einem kleinen Kleiderständer direkt neben der Türe war der Raum gar nicht eingerichtet und die gräulichen Tapeten, die die Wände schmückten ließen ihn einfach nur trist und trostlos erscheinen.
Der Beamte, der mich hergebracht hatte bedeutete mir, mich zu setzten, danach ließ er sich neben seiner Kollegin nieder.
“Mein Name ist Schulz und das ist Frau Walters.”, stellte er sie vor und sie nickte, bevor sie das Wort übernahm.
“Wir bräuchten noch ihren Personalausweis, damit wir das abgleichen und protokollieren können.”
Ich reichte ihn ihr und sie notierte sich einen Teil der darauf angegebenen Daten, ehe ich ihn wieder zurückbekam.
“Dann erzählen sie uns mal, was sie hierher gebracht hat und worum es geht. Aber fassen sie sich wenn möglich kurz.” sagte Herr Schulz mit einem Blick auf seine Armbanduhr.
Ich warf auch einen Blick auf meine, bevor ich zu erzählen begann. Es war 16:39 Uhr.
Den Großteil meiner Erzählungen nahm die Erpressung durch Frau Zelenka ein, aber auch, was ihr Motiv dahinter sein könnte. Ich erwähnte die beiden Verstorbenen und wie sie etwas damit zu tun haben könnte, doch die Polizisten schienen sich nicht wirklich sehr dafür zu interessieren.
Es klopfte an der Tür, als ich gerade mit dem Teil anfangen wollte, der Auslöser des ganzen gewesen sein musste.
Der Beamte vom Empfang trat ein und klatschte Herrn Schulz und seiner Kollegin einen Zettel vor die Nase.
“Wenn ihr hier fertig seid, könnt ihr euch gleich das hier vornehmen.”
Die beiden Polizisten sahen ihrem Kollegen nur nach, der sich sofort umgedreht hatte und die Tür schon wieder hinter sich zuwarf.
“Wo waren wir stehengeblieben?”, fragte Frau Walters, während sie den Zettel nahm, einen kurzen Blick darauf warf und ihn dann zu Herrn Schulz weiter schob.
Gerade, als der danach greifen wollte, riss es sie und sie zog ihn wieder zu sich heran.
Wir sahen sie verblüfft an, als sie ihn noch mal inspizierte, ehe sie den Blick auf mich richtete.
“Ich denke es ist am besten, sie beginnen noch einmal ganz von vorne.
Und diesmal so ausführlich wie möglich.”
Ich hatte ein ungutes Gefühl, was diesen Zettel anging, doch ich begann noch einmal und erzählte alles, so gut ich mich noch daran erinnerte. Ich teilte ihnen auch mit, was mit Marco passiert war und wie ich dort mit drinen hing. Ich erzählte von den beiden Toten, die ich mit Frau Zelenka in Verbindung brachte und von meinen Briefen, dem Kuvert im Briefkasten und meiner Möbelaktion. Schweren Herzens biss ich in den sauren Apfel und berichtete auch von meinem Nebenverdienst und was ich im Zuge dessen alles angestellt hatte.
Die beiden Beamten beobachteten mich aufmerksam und ließen das Gespräch aufzeichnen, das hatten sie mir zumindest noch mitgeteilt.
Als ich meine Schilderungen beendet hatte, herrschte eine Zeit lang nur Schweigen im Raum.
Frau Walters ergriff als erstes das Wort.
“Ich denke, dass sollte uns fürs Erste genügen.”
Herr Schulz tippte auf den Zettel, der immer noch vor ihm auf dem Tisch lag.
“Das hier wäre unser nächster Arbeitsauftrag gewesen, doch der hat sich schon erledigt.”
Warum erzählt er mir das, dachte ich während er eine Pause machte.
“Hier drauf steht ihr Name und ihre Adresse, sowie eine relativ genaue Personenbeschreibung.”
Ich spürte, mein Gesicht heiß werden.
“Ein Mann hatte uns informiert, dass sie bei ihm waren und an der Haustüre seine Frau attackiert haben sollen. Sie befindet sich wegen ihren Verletzungen in ärztlicher Behandlung.”
Ohh Gott, was hatten sie angestellt. Ich begann unruhig mit meinem Fuß zu wippen.
“Doch eine Sache hat uns stutzig gemacht. Die Uhrzeit des Überfalls, die der Mann angegeben hatte, war 16:42 Uhr. Um diese Zeit saßen wir schon seit über zehn Minuten hier zusammen.”
“Bitte was?”, entfuhr es mir. Zu mehr war ich nicht im Stande.
“Das wäre dann vermutlich der am einfachsten für sie zu belegenden Beweise gegen Frau Zelenka. Sie war es, die sie angeblich verletzt haben.” bestätigte Frau Walters. “Wir müssen das Ganze zwar noch bearbeiten, doch zumindest diese Angelegenheit sieht gut für sie aus.”
Die beiden Beamten standen fast gleichzeitig auf.
“In den anderen Angelegenheiten wird allerdings noch einiges auf uns zu kommen.
Und damit meinen wir vor allem auf sie.”