Stephan DiederichsSchizophrenia – Am Ende verändert er auch dich!

Normal
0

21

false
false
false

DE
X-NONE
X-NONE

/* Style Definitions */
table.MsoNormalTable
{mso-style-name:”Normale Tabelle”;
mso-tstyle-rowband-size:0;
mso-tstyle-colband-size:0;
mso-style-noshow:yes;
mso-style-priority:99;
mso-style-parent:””;
mso-padding-alt:0cm 5.4pt 0cm 5.4pt;
mso-para-margin-top:0cm;
mso-para-margin-right:0cm;
mso-para-margin-bottom:10.0pt;
mso-para-margin-left:0cm;
line-height:115%;
mso-pagination:widow-orphan;
font-size:11.0pt;
font-family:”Calibri”,”sans-serif”;
mso-ascii-font-family:Calibri;
mso-ascii-theme-font:minor-latin;
mso-hansi-font-family:Calibri;
mso-hansi-theme-font:minor-latin;
mso-bidi-font-family:”Times New Roman”;
mso-bidi-theme-font:minor-bidi;
mso-fareast-language:EN-US;}

Sonntag, 30. November 1997, 18:23 Uhr

Start der neuen Versuchsreihe. Nachdem verschiedene Mittel bislang keine Wirkung erzielt und die schizophrenen wahnhaften Zustände bei Nummer fünf nicht verringert werden konnten, beginnen wir nun die Versuchsreihe mit einem neuen Wirkstoff.

Der Patient scheint prädestiniert an der Versuchsreihe teilzunehmen und befindet sich in einem guten körperlichen Zustand. Er ist der jüngste Patient mit sieben Jahren, dem wir den neuen Wirkstoff verabreichen. Zunächst beschränken wir uns auf eine Dosis von drei Milligramm, die wir Nummer fünf intravenös injizieren. Der Patient steht unter ständiger Beobachtung. Wir starten nun die Untersuchung.  

Gez.: Dr. Thomas Zigurski

 

Sonntag, 30. November 19:18 Uhr

Der erste Testtag verlief wenig erfolgreich. Die erhoffte Wirkung blieb aus. Der Patient hatte weiter Wahnvorstellungen und sprach mit Personen, die sich nicht im Untersuchungsraum aufhielten. Außerdem konnte keine gesteigerte Leistungsfähigkeit des Gehirns oder eine erhöhte Konzentration festgestellt werden. Nebenwirkungen waren nicht zu beobachten. Ein Schnelltest des Blutes ergab folgenden Befund: Das Medikament konnte schon nach wenigen Minuten nicht mehr im Blut nachgewiesen werden. Das spricht für eine schnelle Verstoffwechslung. Eine geringfügige Erhöhung der Dosis auf fünf Milligramm wird morgen Abend eingeleitet.

Gez.: Dr. Thomas Zigurski

 

 

Montag, 01. Dezember 1997, 19:18 Uhr

Die Erhöhung der Dosis zeigt erste Wirkungen. Nummer fünf hat verstärkte Muskelkontraktionen und eine gesteigerte Hirnaktivität. Auch die Nervenreize, die für die Wahnvorstellungen verantwortlich sind, konnten eingedämmt werden.

Die Wirkung lässt allerdings nach wenigen Minuten rapide nach. Weitere Tests folgen.   

Gez.: Dr. Thomas Zigurski

 

Dienstag, 02. Dezember 1997, 18:46 Uhr

Die Eiweißbrücke des Medikaments, die für den raschen Zusammenbruch der Wirkung verantwortlich war, konnte stabilisiert werden. Um die Wirkung zu verstärken, erhöhten wir die Dosis von fünf auf zehn Milligramm.    

Der Wirkstoff führte daraufhin zu einer starken Erregung der Nervenzellen. Dadurch war eine hohe Aktivität im gesamten Neocortex nachweisbar. Der Patient verfügte über eine hohe Leistungsfähigkeit bei der Bearbeitung an ihn gestellter Kognitionsaufgaben.

Es ist gelungen, die wahnhaften Episoden kurzzeitig zu unterbinden. Die Wirkung ließ allerdings erneut nach wenigen Minuten nach.   

Daraufhin kam es zu einer plötzlich auftretenden Panikattacke. Der Patient schlug um sich, verletzte einen Pfleger, zeigte diffuse Gedankensprünge und eine durch Wahn verzerrte Wahrnehmung. Nummer fünf konnte nur mit einem Sedativum ruhiggestellt werden. Weitere Untersuchungen und eine weitere Erhöhung der Dosis wird für den Folgetag angesetzt, um die Wirkung über einen längeren Zeitraum zu gewährleisten.

Gez.: Dr. Thomas Zigurski  

 

Donnerstag, 04. Dezember 1997, 17:54 Uhr

Am heutigen Tag haben wir die Dosis ein weiteres Mal, auf fünfzehn Milligramm, erhöht. Zunächst kam es – wie erhofft – zu einer gesteigerten Leistungsfähigkeit und vermindertem Wahnerleben. Der Patient zeigte eine gesteigerte Hirnaktivität und Konzentration. Außerdem zeigte er sich sehr leistungsstark in einigen neuropsychologischen Tests. Durch die weiterhin geringe Dosierung des Sedativums konnten weitere Nebenwirkungen (wie bspw. Bauchschmerzen und Diarrhoe) vermindert werden. Keine plötzlich auftretenden Panikattacken. Bislang der erfolgreichste Testlauf des Wirkstoffes!

Gez.: Dr. Thomas Zigurski

 

Donnerstag, 04. Dezember, 18:29 Uhr

Plötzlich auftretendes Herzrasen, einhergehend mit Atemnot. Blutdruck und Puls sinken gefährlich ab. Nummer fünf verlor das Bewusstsein. Hirnaktivität drastisch abgesunken, Sauerstoffgehalt im Blut kritisch gesunken. Der Patient kollabierte und wir drohten das Versuchsobjekt zu verlieren.

Sofortige Reanimierungsmaßnahmen eingeleitet. Temporäre Beatmung durch einen Beatmungsschlauch. Haben dem Patienten Adrenalin gespritzt. Nummer fünf wurde wiederbelebt. Patient steht ab morgen für weitere Tests zur Verfügung…

Gez.: Dr. Thomas Zigurski

 

 

Sonntag, 19. April 2020, 20:54 Uhr

Jemand schniefte. „Das ist so ergreifend.“ Diese kalte, schnarrende Stimme. Stammte sie von Louis, seinem Schwiegersohn? War das wieder einer seiner berüchtigten Scherze, die keiner – außer ihm selbst – witzig fand? Peter spürte langsam seine Arme wieder, die schwer an seinen Schultern zogen, als würden sie jeden Moment abreißen. Er öffnete schwerfällig und mit stolperndem Herzen seine Augen, die nichts weiter als zwei verklebte Murmeln in einem leeren, summenden Schädel waren. Er blickte hoch und sein Herz stolperte gleich dreimal schmerzhaft hintereinander. Es war doch kein böser Alptraum!

Er hing immer noch mit gefesselten Händen an diesem kalten Metalltisch. Panisch versuchte er sich zu befreien, rüttelte an den Fesseln und versuchte die Beine zu bewegen, doch er war so festgezurrt, dass nichts als ein Klirren ertönte.

„Ah, Peter. Ich dacht schon, du kommst gar nicht mehr zu dir.“ Diese kratzende, kühle Stimme stammte von dem Irren, wie er ihn nur noch nannte, seitdem er ihn und seine Familie in diesem feuchten, nach Abwasser stinkenden Keller festhielt. Er saß ihm gegenüber auf einem Stuhl, direkt vor seiner Enkeltochter, ruhig, als würde er ihr eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen. Das Lederbuch mit den Berichten über die Untersuchungen in der einen, das Handy mit den verstörenden Bildern und Videos in der anderen Hand.

Peter selbst hatte das Handy erst vor wenigen Stunden in seiner Garage gefunden. Ein Fund, der sein Leben für immer verändert hatte. Zunächst hielt er es für einen der berüchtigten Streiche seines Schwiegersohns. Erst die Bilder und Videos auf dem Handy zeigten ihm, dass das unmöglich ein Streich sein konnte. Das wäre selbst für Louis geschmackslos. Er war in der Garage, bastelte an seinem Wagen herum und wollte sich gerade etwas zu trinken eingießen, als er das Handy – das offensichtlich nicht seins war – auf dem Werkzeugtisch liegen sah.

Alles, an dass er sich danach erinnerte waren Erinnerungsfetzen. Und sie alle spielten in diesem grausigen Keller. Es war feucht, kalt und es legte sich immer ein eigenartiger Geschmack in Peters Mund, wann immer er einatmete.

Er musste hier raus, musste Hilfe holen, seine Familie retten; einfach irgendetwas tun. Aber er war so müde und so kraftlos; seine Glieder fühlten sich selbst so schwer an wie die Ketten, mit denen er an den Tisch gefesselt war. Peter atmete einmal tief ein und nahm dann seine verbliebene Kraft zusammen. „Hilfe! Hilfe! So helft uns doch!“

Der Irre war so schnell bei ihm, dass er ihm allein durch seine bloße Erscheinung beinahe die Luft abschnitt. Er legte Peter behutsam seine feuchte, klebrige Hand (er hoffte, dass es kein Blut oder ähnliches war) auf die Wange.

„Aber, aber. Shh, shh. Wer wird sich denn hier gleich verausgaben. Spar dir deine Kräfte. Du wirst sie noch brauchen“, hauchte der Irre und war Peter so nah, dass er selbst durch seine Maske seinen Colgateatem riechen konnte. Dieses stoppelige Gesicht, diese eingefallenen Augen, das fahle, blonde Haar: Dieser Mann hatte schon einiges in seinem Leben durchgemacht.  

Peters Brust verkrampfte sich nur noch mehr und sein panischer Blick raste an dem Irren vorbei, um nach einem Ausweg zu suchen. Doch weiter als bis zu den grausigen, schlaffen Körpern einer Familie auf der anderen Seite des Kellers kam er nicht. Seine Frau, seine Tochter, sein Schwiegersohn und seine süßen Enkelkinder; alle aufgereiht an ihren Metalltischen wie Rinderhälften in einem Schlachthaus. Peters Unterlippe begann zu beben und sein Herz schlug so heftig, dass sein Puls an mehreren Stellen zu pulsieren schien. Am schlimmsten in seiner Schläfe. Dieser drückende Schmerz, der sich die linke Seite hinab zog, als hätte er einen Schlaganfall erlitten.

„Oh, der Mann hat doch ein paar Gefühle“, sagte der Irre höhnisch, während er zu seinem Stuhl zurückging, ihn beiseite schob und einen kleinen metallischen Schrank aus der Dunkelheit hinter seinen Lieben hervorholte (Peter hoffte, sie seien nur bewusstlos). Glücklicherweise bemerkte der Irre nicht, wie sich ein paar Tränen auf Peters Wange stahlen.

„Wer bist du?“, fragte Peter. So dünn, fiepsig, monoton – diese Stimme, kam sie wirklich von ihm? Sie konnte doch nur von einem achtzigjährigen Greis kommen.

Der Irre lachte. Hoch und kalt – ein Gänsehautteppich legte sich über Peters gesamten Körper. So etwas hatte vorher noch bei keinem Menschen gespürt, so unsympathisch er ihm auch gewesen sein mag. „Erkennst du mich denn nicht? Auch nicht nach diesen, deinen Lederbucheinträgen, Peter? Oder sollte ich besser sagen, Dr. Zigurski? Clever von dir nach dem ganzen Scheiß eine andere Identität anzunehmen.“ Er nahm das Lederbuch in die Hand und warf es dann unachtsam auf den Metallschrank. Peters Augen weiteten sich, als hätte er sich zwei Streichhölzer zwischen die Augenlider gesteckt. Das konnte nicht sein! Sie alle wurden…

„Du dachtest, wir seien nach deinen kleinen ‚Experimenten‘(er setzte das Wort mit seinen Fingern in Anführungszeichen) getötet worden, was?“, sagte der Irre, als er Peters kreidebleiches, schweißfeuchtes Gesicht sah.

„Tja, bei den anderen war das auch der Fall, nachdem du sie mit einer Überdosis hast ‚einschlafen‘ (wieder die Handbewegung) lassen. Aber vielleicht war ich nach den ganzen Tests schon immun dagegen. Ich bin wieder aufgewacht und einer deiner kleinen Pfleger hat mir geholfen zu fliehen. Waren wohl doch nicht alles Freunde von dir und deinen ‚Experimenten‘.“ Er lachte kurz und freudlos auf und wieder sträubten sich alle Haare auf Peters Körper.

Sein Herz bebte jetzt, wollte sich anscheinend irgendwie den Weg ins Freie durch seinen Brustkorb erkämpfen. Sein Blick verschwamm und seine Hände in den Fesseln wurden schweißnass. Ich muss hier raus und dann ganz schnell Hilfe holen! Meine Familie…

Der Irre bekam von alledem nichts mit, stand über seinen kleinen Metallschrank gebeugt (Peter vermutete, dass es sich um ein kleines Medizinschränkchen handelte) und wühlte in den Schubladen nach Etwas, das Peter nicht sehen konnte. 

Wieder ein Schwall Tränen, die er nicht zurückhalten konnte. Er rüttelte an den Fesseln und wollte erneut um Hilfe rufen, doch mehr als ein klägliches Krächzen kam nicht zustande. Wie schwach er doch war! Konnte nicht mal seine Familie retten; und das obwohl er angenommen hatte, er hätte seine Vergangenheit gründlich aufgeräumt. Doch jetzt fühlte er sich, als würde sie wie ein gefräßiger Riesenhai vor ihm stehen und ihn und seine Familie mit einem Happs verschlingen.

Er weinte still und schmeckte das Salz auf seiner Zunge. Er hing dort ebenso leblos an seinen Tisch gekettet wie seine Familie. Nur mit dem Unterschied, dass er das ganze Grauen noch mitbekam.

Der Irre schien gefunden zu haben, wonach er suchte und hielt eine Spritze mit einer langen dünnen Nadel gegen das grelle Licht über seinem Tisch. Dann sah er wie Peter teilnahmslos zu seiner Tochter hinüberstarrte, die ihm genau gegenüber stand.

„Oh, keine Sorge. Ich habe sie nicht leiden lassen. Nicht so wie du uns hast leiden lassen, du Wichser! Nummer fünf, erinnerst du dich? Ach nee, du warst ja weggedöst, aber deine Enkeltochter könnte es dir jetzt alles erzählen, nach dieser langen ‚Gute-Nacht-Geschichte‘, die ich ihr vorgelesen habe.“ Wieder dieses kalte Lachen und er nahm das Lederbuch noch einmal in die Hand, während er Peter unablässig beobachtete.

„Du Schwein“, sagte Peter so schwach, obwohl es sich für ihn wie das Brüllen eines Löwen anfühlte.

Der Irre schien es überhört oder ignoriert zu haben. Er lehnte sich jetzt über seinen kleinen Medizinschrank und holte ein winziges Fläschen hervor, dessen Aufdruck Peter aus der Ferne nicht lesen konnte, das ihm aber allzu vertraut war.  

„Das Mittel kennst du ja, nicht, Peter?“ Er zog es mit der Spritze auf. Dann hielt er die Spritze mit der durchsichtigen Flüssigkeit gegen das grelle Licht und klopfte mit dem Zeigefinger gegen das Glas.

„Poryzithol! Dein Lieblingsmedikament. Was hattest du nicht damit alles vor? Wolltest uns ‚Irre‘, wie du uns ‚liebevoll‘ nanntest, von Schizophrenie oder einer multiplen Persönlichkeit ‚heilen‘.“

„Ich wollte euch wirklich helfen!“

Der Irre lachte höhnisch. „Ach Peter. Ich wusste gar nicht, dass du so einen Sinn für Humor hast.“

Er schaute Peter jetzt mit scharfen Augen an, der so emotionslos wie möglich zu wirken versuchte; was nicht so einfach war, wo sein Herz – vom Stress der letzten Stunden zerfressen – unregelmäßig in seiner Brust (oder in seinem Hals) raste und er die Atmung von Usain Bolt nach einem achthundert Meter Lauf imitierte.

„Nein, du wolltest berühmt werden, wolltest ein Mittel erstellen, mit dem du uns neu ‚bespielen‘ kannst, damit wir keinen Ärger mehr machen oder schlimmer noch, eine Gefahr für andere darstellen mit unserem ‚Wahn‘. Was glaubst du, woher die Stimmen kamen, mit denen ich mich immer unterhalten habe? Von meinen toten Eltern! Und sie waren nicht böse, ganz im Gegenteil. Aber das hat dich nicht interessiert. Für dich waren wir alle gleich, waren alle Irre, vor denen man andere schützen musste.“ Er wirbelte herum. Waren das Tränen in seinen Augen? Peter wusste es im Zwielicht nicht zu deuten. „Du hast nicht nur die Stimmen gelöscht, sondern auch die letzten Erinnerungen an meine Eltern. Mit dir sind sie ein zweites Mal für mich gestorben!“

Der Irre ging nun ein Stück auf Peter zu und da war sie hin: Das letzte bisschen seiner Fassung tröpfelte geradewegs in seine Unterhose.

„Und für die Tests hast du dich nicht mit Laborratten oder Mäusen zufrieden gegeben, nein. Der große Doktor Zigurski doch nicht!“ Nur noch fünf Schritte entfernt. Noch ein weiterer Tropfen.

Reiß dich zusammen! Die Blöße wollte er sich nun wirklich nicht geben.

„Du hast lieber an lebenden ‚Objekten‘ geforscht, besser gesagt an mir und meinen Brüdern aus dem Waisenhaus direkt gegenüber.“ Er deutete aus dem verdreckten kleinen Kellerfenster, als könnte man von hier aus das verlassene Waisenhaus sehen.

Vier Schritte.

„Und ich war dein ganz besonderer Liebling, nicht?“

Drei Schritte.

„Du hast mich so oft mit diesen und anderen Mitteln vollgepumpt und mich immer wieder über die ‚Schwelle‘ gebracht und mich dann wieder zurückgeholt.“

Zwei Schritte. Die Spritze ganz dicht an seine Brust gepresst. Peter schluckte und verlor einen weiteren Tropfen.

„Ich leide noch heute!“

Ein Schritt und er hob sein T-Shirt bis über die Brust. Peter verschlug es nun endgültig den Atem. Der Körper des Irren war vom Bauch bis über das Schlüsselbein wie in einem Gittermuster mit Narben und Brandmalen übersät.

„Na, gefällt es dir? Das ist dein Werk! Ich war nie mehr derselbe, nachdem ich dein kleines Versuchskaninchen war.“ Er war Peter jetzt so nahe, dass zwischen sie das berühmte Blatt Papier nicht mehr gepasst hätte. Er hielt die Spritze genau vor Peters Nase.

„Eine starke Überdosierung hiervon und dein Herz explodiert regelrecht, bevor du in einen tiefen, niemals endenden Schlaf verfällst. Aber das weißt du ja. Immerhin hast du damit meinen Bruder, Nummer sechs, umgebracht. So qualvoll. Ist an inneren Blutungen und multiplem Organversagen gestorben. Seine Schreie hallen noch heute durch meine Träume, wenn ich die Augen schließe.“ Er hauchte die letzten Worte in Peters Ohr und dieser spürte ein Kribbeln an einer Stelle, an der er eigentlich nichts spüren sollte.

Der Irre kicherte höhnisch und fasste Peter dann in seinen Schritt, sodass er heftig zusammenzuckte. „Ja, Schmerzen, Qualen, Schreie und Dominanz. Das ist dein Ding, oder? Die Flecken am Unterarm und Schlüsselbein deiner Frau lassen einiges vermuten…“

„Was willst du von mir?“ In einem kläglichen Versuch ihn zu beißen, beugte sich Peter nach vorne.

Der Irre lachte wieder nur auf und schlug Peter so heftig ins Gesicht, dass dessen Lippe und Wange gleichzeitig aufplatzten. „Eins muss man dir lassen, Peter. Kampflos gibst du bei dir selbst nicht auf. Wärst du mal bei deiner Familie so temperamentvoll gewesen, aber da hast du ja lieber gepennt.“

„Fahr zur Hölle“, spuckte Peter mit einem Schwall Blut aus.

„Gerne. Aber zuvor möchte ich, dass du so leidest wie ich jeden verfickten Tag leide, seitdem ich als Kind aus deinem Versuchslabor flüchten konnte. Ich war nie mehr derselbe, nachdem ich dein Versuchskaninchen war. Bis heute weiß ich nicht, wer oder was ich bin. Diese Stimmen haben mich zu etwas besonderem gemacht, waren meine letzte Verbindung zu meinen Eltern. Und du hast mir das alles genommen. Also warum nicht einfach den Spieß umdrehen?“

Er wollte die Nadel geradewegs in Peters Arm rammen, als…

„Halt! Stopp! Es tut mir leid! Bitte! Bitte! Hör auf!“ Er wimmerte, ihm war alles egal; seine Würde, sein Stolz – er wollte hier einfach nur noch lebend herauskommen. Jetzt floh ein ganzer Schwall auf einmal aus Peters Blase und fand Zuflucht in seiner Hose.

Der Irre lachte kurz, aber heftig auf, als er den sich langsam ausbreitenden Fleck bemerkte. Er kam ihm noch einmal sehr nahe.

„Ich will, dass du so leidest, wie ich gelitten habe, Doktor!“

Dann dieser stechende Schmerz in seinem linken Arm, der sich wie ein Kribbeln bis zu seiner Schulter zog wie bei einem Herzinfarkt. Er spürte wie das Mittel ganz langsam und kalt in seine Venen träufelte, wie kalter Sommerregen, der sich unter seiner Haut aufstaute. Peters Arm spannte sich so heftig an, dass er glaubte, seine Muskeln würden entzwei gerissen. Zunächst passierte gar nichts. Er atmete bloß schwer und hatte die Augen geschlossen. Er glaubte schon, er habe sich getäuscht und der Irre hatte gar nicht zugestochen, als…

Sein Herz machte einen schmerzhaften Sprung und er riss die Augen weit auf. Es pumpte, raste, fühlte sich an wie ein mit Luft zum Bersten gefüllter Luftballon kurz vor dem Platzen. Er bäumte sich auf, krachte schmerzhaft gegen das Metall, nur um dann gar keinen Schmerz mehr zu spüren.

Zuerst verkrampften die Muskeln in seinen Armen, dann zog sich dieses Kribbeln – als wären seine Arme eingeschlafen – wie ein Teppich von der Brust über den Bauch, bis in die Beine. Er hatte das Gefühl, dass sich ihm die Kehle zuschnürte. Seine Gedanken rasten, nur um dann vollständig zu verstummen.

Durch einen verschwommen, glitzernden Vorhang sah er, wie der Irre Nummer fünf triumphierend lachte und ihm zuwinkte. Er rang nach einem letzten, kläglichen Atemzug Leben. Ein letzter schmerzhafter Schlag seines Herzens. Dann begrüßte er die Dunkelheit, die sich von seinen Augenwinkeln ausbreitete wie ein zerfranstes Stück Papier. Schwärze.

One thought on “Schizophrenia – Am Ende verändert er auch dich!

  1. Hallo Stephan, ich habe an deiner Geschichte Halt gemacht, weil ich deinen Titel spannend fand. Der Einstieg hat mich auf jeden Fall schon mal nicht enttäuscht. Ich fand ihn anders und zugleich cool, da viel medizinisches Wissen drin steckt und es neugierig macht, wohin diese Versuche führen. Auch deine Art Dinge zu beschreiben ist sehr bildhaft und spannend. Toller Schreibstil. Liest sich sehr flüssig. Deine Dialoge haben mir auch gefallen. Wenn ich mir noch was wünschen dürfte, wäre es ein krasserer twist dahinter. Für mich war zu schnell klar in welche Richtung die Story führt. Aber dennoch spannend geschrieben 🙂 Ich drücke dir die Daumen mit dem E-book. Mein like hast du. Liebe Grüße Nadine (“das zweite Auge”)

Schreibe einen Kommentar