JetRinkSchüsse im Dunkeln

Nachts. Irgendwo im Ruhrgebiet. Robert E. Tarne bemerke, dass sie ihm folgten. Es gelang ihm nicht sie abzuschütteln. Sie klebten wie Kaugummi an seinen Fersen. Sein langer Mantel mit dem Fischgrätmuster flatterte wie Batman´s Umhang hinter ihm her. In der Dunkelheit hastete Tarne voran. Er hatte längst die Orientierung verloren. Einen Moment verharren, lauschen. Was war das für ein Klacken? War das nur einer, oder waren das mehrere? Hatten sie ihn verloren? Zum Glück kannten sie sein Gesicht nicht.

Warum nur konnte er als Detektiv nicht auch einmal, nur einmal, einen einfachen Fall übernehmen? Warum musste es immer ans Äußerste gehen? Diesmal hatte es doch so seriös geklungen. Ein Oberregierungsrat als Auftraggeber. Er sah genauso aus, wie Tarne sich einen Oberregierungsrat vorstellte. Er sei auf einer Konferenz gewesen und habe auf seinem Frühstückstisch ein weißes iPhone gefunden. Er habe es ja abgeben wollen. Da es aber nicht gesperrt war, habe er – rein aus Neugier – einmal nachschauen wollen. Er sei dann völlig entsetzt gewesen, da er auf diesem Handy Fotos von sich gefunden hätte. Er habe sich das überhaupt nicht erklären können, wie Fremde an seine Bilder gekommen seien. Auch noch in kompromittierenden Posen. Nervös, getrieben hatte er auf Tarne gewirkt. Seine Blicke waren hektisch hin und her gewandert.

„Sie wissen ja…“, hatte er gesagt, „…wie das in der Politik auf dieser Eben so ist.“ Dann sei der Besitzer des Handys, an seinen Tisch gekommen und habe sein Telefon zurück haben wollen. Da sei ihm einiges klar geworden. Der Name dieses Mannes sei Niklas Winton. Er habe sich sofort an den erinnert, weil er in seiner Position als Oberregierungsrat ein größeres Projekt dieses Herren verhindert habe. Das hätte Winton an den Rand des Ruins gebracht. Er, Winton habe ihm gesagt, müsse heute noch mit den Folgen klar kommen.

„Bitte helfen Sie mir. Diese Fotos … das sind sehr sensible Aufnahmen. Jetzt erpresst er mich damit. Die dürfen auf keinen Fall an die Öffentlichkeit gelangen. Sonst bin ich erledigt. Meine Karriere ist beendet. Er will, dass ich sein nächstes Unternehmen fördere. Dazu habe ich gar nicht die Möglichkeit. Winton hat gedroht mich sonst zu vernichten. Aus purer Rache.“

Tarne solle das Handy zurückholen.

Es war eine wilde Geschichte. Der Oberregierungsrat hatte noch etwas gesagt von heikle Angelegenheit und strengster Verschwiegenheit. Tarne sei ihm sehr empfohlen worden, er sei ein Detektiv, dem man vertrauen könne, der sehr geradlinig sein Ziel verfolgen würde. Er hätte auch gehört, dass Tarne wenn es notwendig sei, für den Auftraggeber Dinge regele, die der Polizei nicht erlaubt seinen. Natürlich nur, wenn es der Gerechtigkeit diene.

„Sie erwarten also“, hatte Tarne gefragt, “dass ich das Handy stehle?“

„Es sind ja meine Bilder darauf. Das Recht an meinen Bildern. Ich gebe ja zu, dass die Angelegenheit heikel ist.“

„Sind Sie sicher, dass alle Bilder auf dem Handy sind? Keine Sicherheitskopien an anderen Orten existieren?“

„Nein. Das hat Niklas Winton mir versichert.“

„Sie glauben ihm?“

„Bei diesen Bildern? Ja doch.“

Tarne fand die ganze Geschichte so wirr, dass er aus reiner Neugierde zugesagt hatte. Trotz eines reichlich unguten Gefühls. Er musste dem Herrn Oberregierungsrat versprechen, dass er nur das Handy holen würde und sich nicht die Bilder ansehen solle. Weil dem Herren das sonst peinlich wäre. Nun gut.

Er hatte Erkundigungen über Niklas Winton eingeholt, ihn überwacht und einen geeigneten Moment abgewartet, als er die Möglichkeit hatte, über die Terrasse in das Haus einzudringen. Tarne durchsuchte die Jacke des Besitzers, die über einem Stuhl hing, fand das weiße iPhone und nahm es an sich. Das musste es sein. Mehrere Personen hatten sich im Nebenraum aufgehalten. Tarne hörte Gemurmel und klapperndes Besteck. Ein kribbeliger Moment. Bis dahin war alles gut gegangen. Dann erklang ein Niesen und kurz darauf war ein Mann in das Zimmer gekommen. Vielleicht wollte er ein Taschentuch holen. Derjenige sah Tarne gerade noch von hinten, als er mit seiner Beute durch die Terrassentür hinausschlich. Das war der Beginn des heutigen Ärgers. Er hatte sie noch rufen hören.

„Das muss dieser Tarne sein.“

„Dann war die Warnung richtig.“

Woher kannten sie seinen Namen? Er musste verraten worden sein. Eine andere Erklärung gab es nicht. Aber er war so schnell aus dem Haus, also wussten sie nicht wie er aussah. Wer war noch informiert, dass er hier war. Spielte sein Auftraggeber ein falsches Spiel? Hatte er es ihnen gesteckt? Aber warum?

Tapsende Schritte, huschende Schatten. Tarne stoppte, an eine Hauswand gedrückt, wartete reglos, horchte und kontrollierte seinen Atem bis er wieder gleichmäßiger, ruhiger war. Der Nebel, der zusätzlich über den Straßen hing, ließ alles unwirklich erscheinen. So ein Theater. Alles wegen eines simplen Handys? Was war an diesen Fotos so brisant? Geräusche drangen gedämpft an sein Ohr. Sein Blut kreiste so schnell, dass er die feuchte Kälte kaum spürte. Waren sie noch hinter ihm? Hatten sie seine Spur verloren? Hatte er Glück? Nein, da hörte er sie wieder. Dieses vorsichtige aber stetige Tapsen, langsame schwere Schritte. Jemand mit viel Gewicht, so hörte es sich an. Kam näher. Das Geräusch war weg. Derjenige hatte auch angehalten. Plötzlich hallte ein Plopp durch die Nacht und neben Tarne platzten Beton und Gesteinssplitter aus der Hauswand.

Tarne duckte sich hinter einen Baum. Wieder: Plopp und plopp. Fetzen der Rinde spritzen. Einschüsse um ihn herum. Aus zwei Richtungen. Es waren mehrere. Dass sie soweit gehen würden, damit hatte er nicht gerechnet. Die hatten es auf sein Leben abgesehen? Wegen ein paar Bildern? Verdammt! Er musste weiter, weg hier. Je länger er an einem Platz blieb, um so eher konnte sie ihn umzingeln.

Bodenplatte für Platte vorsichtig voranschreiten, keine Geräusche erzeugen. Sobald er wieder lief wurde er hörbar, dann begann auch das Trappeln hinter ihm wieder. Sie hatten ihn nicht verloren. Waren noch in der Nähe. Sie warteten auf seinen nächsten Schritt, seinen nächsten Fehler. Er musste ihnen entkommen.

Was war, wenn sie ihn erwischten? Reichte es ihnen, wenn sie das iPhone mit den Bilder zurück bekamen oder würden sie ihn umlegen?

Was war das? Sie kamen wieder näher. Links sah er einen Schatten auf gleicher Höhe. Wenn sie ihn in die Zange nahmen, vor ihm und hinter ihm, dann hatte er keine Chance mehr. Wenn er sich einfach umdrehte, und ihnen entgegen ging? Würden sie sich täuschen lassen? War es einen Versuch wert? Wenn er nur einen Moment Zeit hätte, einen Augenblick Ruhe, dann könnte er sich das Handy näher ansehen. Jetzt wollte er doch wissen,was auf den Fotos zu sehen war. Was war an denen so wichtig, dass sie dafür ein Menschen auslöschen würden?

In dem Moment entdeckte er Lichtschein voraus. Was mochte das sein? Um diese Zeit? Helligkeit konnte bedeuten, dass sich dort jemand aufhielt. Unter Menschen sein bedeutete Sicherheit. Je mehr desto besser. Wenn er in eine Gruppe eintauchen konnte, wurde er für die Verfolger unsichtbar. Sie konnten nicht alle umlegen. Das konnte Hilfe bedeuten, seine Rettung. Vor Tarne tauchte die Leuchtreklame einer Kneipe auf. Bürgerstübchen entzifferte er über dem erleuchteten Eingang. Eine Kneipe, die um diese Zeit noch geöffnet hatte. Das war es. Ein Hoffnungsschimmer. Dort waren andere Menschen. Er konnte sich unter sie mischen. Er wäre nicht mehr als Ziel für seine Verfolger auszumachen. Tarne zog die Türe auf. Er schlüpfte hinein und sein Hetzen endete abrupt. Hier herrschte eine kaum zu überbietende alkoholtriefende Langsamkeit. Dafür war es erheblich lauter. Die rasante Hektik seiner Flucht durch die vom Nebel gedämpften, gefährlich leisen Geräusche draußen erstarrte hier drin zu einer Unbeweglichkeit, untermalt von lautem Getöse, der stark angetrunkenen Stammgäste. Der Geruch abgestandenen Bieres und die Ausdünstungen der Menschen, die sich schon seit Stunden hier aufhielten, schlug ihm entgegen. Er hängte seinen Mantel an einen Garderobenhaken. Wir haften nicht für Ihre Garderobe, stand auf einem grauen Schild. Was einem alles auffiel, selbst in so einer Situation. Wie jetzt weiter? Zwei Möglichkeiten, entweder sie hatten es mitbekommen, dass er hier hinein geschlüpft war oder nicht. Zumindest kamen sie nicht sofort in die Kneipe. Auf jeden Fall wurden die Karten jetzt neu gemischt. Hier konnten sie ihn nicht einfach abknallen. Das würde zu viel Staub aufwirbeln. Hier waren andere Menschen. Zeugen. Unbeweglichkeit könnte gerade dann eine Tarnung sein, wenn der Verfolger erwartete, dass man sich bewegt, wegläuft.

Sechs Männer unterschiedlichen Alters drängten sich um eine Frau an der Theke, von ihr konnte Tarne nur eine blonde Mähne erkennen und ihr schrilles hohes Organ, das von einem Kichern zum nächsten stolperte. Mit etwas Abstand links daneben unterhielten sich zwei weitere Männer an der Theke. Einer davon saß, der andere stand und unterstrich mit großen Gesten seine Argumente. Mehrere Barhocker standen unbesetzt herum.

Die männlichen Gäste sprühten vor Idee und Witz, überboten sich gegenseitig in Lautstärke um die einzige Frau in der Kneipe zu beeindrucken. In der Hoffnung sie abschleppen zu können. Einer, den Tarne sofort als Alphatier ausmachte, sah mit seinem Bart ein wenig wie Schimanski aus. Alle seine Bemerkungen waren von einer Arroganz gekennzeichnet, die schon an Unverschämtheit grenzte. Er nutzte jede Gelegenheit, um die anderen mit abfälligen Bemerkungen auszustechen. Tarne bekam mit, wie er im Flüsterton vor einem Nachbarn prahlte, ohne dass es die Blondine hören konnte. „So wahr ich Udo heiße, wat soll´n wir wetten, dat ich sie heute noch flach lege?“

Tarne wischte sich den Schweiß von der Stirn und gesellte sich unter die Gruppe.

Aus der Küchentür hinter dem Wirt erschien eine weitere junge Frau. Tarne vermutete, die Kellnerin oder eine Küchenhilfe. Sie mischte sich in die Gesellschaft um die Blondine vor der Theke ein. Beugte sich vor und stütze sich auf dem Tresen ab. Tarne sah auch warum. Dabei zeichneten sich nämlich deutlich und in freier Bewegung zwei große Rundungen unter einem grauen Sweatshirt ab. Sie schien es darauf abzulegen, das Schlachtfeld nicht der einzigen Frau vor der Theke zu überlassen.

Tarne stieß Udo, den Wortführer, in die Seite, der sich ungehalten umdrehte, deutete mit einem Kopfnicken auf das Mädchen hinter der Theke. „Heißes Geschoss, was?“

Udo warf einen kurzen Blick zu ihr.

„Kann´se wohl sagen. Die hat´n paar Möpse, sach´ ich dir. Genau richtig für´n Tittenfick. Aber da komm´se nich`ran. Die is´ auf Wille scharf, der sitzt links neben Beate.“

Tarne hatte es geschafft. Er war hier eingetaucht. War einer unter vielen. Versteckt. So war es im Ruhrgebiet. Hier blieb keiner in einer Kneipe lange allein.

Udo schien glücklich zu sein, ein weiteres Opfer für seine Sprüche gefunden zu haben und fuhr mit der Darstellung seiner geplanten Heldentaten fort.

„Weiß´te, Die Tanja, dat is´die neben Benno, dat is´ wirklich dat geilste Stück Fleisch dat rumläuft. Die knall ich als nächste. Die schluckt auch, dat kann´se mir glauben. Oda wat.“

Tarne brummte zur Anerkennung, dachte aber, was für ein fieser Maulheld und bestellte sich bei Benno, dem Wirt, ein Bier.

Suchten sie ihn draußen weiter? Besprachen sie vor der Türe erst ihr weiteres Vorgehen? Stimmten sich auf die neue Situation ab, bevor sie herein kamen?

Für Tarne war es eine kleine Pause. Bis die Jäger ihn wieder ausmachen würden. Tarne gab sich den Anschein, als wenn er in aller Ruhe sein Getränk konsumierte. Auf diese Art würden sie ihn nicht sofort erkennen, wenn sie doch herein kommen sollten. Was war zu tun? Sich verkleiden ? Mantel oder Jacke wechseln? Eine Kappe, einen Hut an der Garderobe klauen? Ein Königreich für eine Idee. Irgendeinen Trick anwenden. Manchmal war es einfacher als man dachte.

Jetzt gab es wieder zwei Möglichkeiten. Wenn sie herein kamen, übersahen sie ihn vielleicht oder sie entdeckten ihn und mischten ihn auf. Er war sich sicher, dass sie ihn nicht so gut gesehen hatten, dass sie ihn hätten erkennen können. Sie waren nur seinem Schatten gefolgt. Eine laufende Gestalt in der Nacht.

Die Tür wurde aufgestoßen. Es waren drei. Tarne vermutete, dass zusätzlich einer vor der Tür als Rückendeckung postiert war. Sie stürmten herein, als wenn ihnen der Laden gehören würde. Stoppten dann und verschafften sich einen Überblick. Kantige Schädel, unrasiert, gewaltbereite Schläger, kaum zu unterscheiden. Zwei postierten sich direkt rechts und links neben der Tür. Sie waren in lange schwarze Mäntel gekleidet, einer aus Stoff und einer aus Leder mit Pelzkragen. Der Dritte trug einen modischen ebenfalls schwarzen Kurzmantel. Er stürmte vor und trat einen Stuhl zur Seite, der daraufhin umstürzte. Sein Mantel klaffte kurz auseinander. Tarne erhaschte einen Blick auf die Waffe darunter. Hoffentlich wurde diese Kneipe nicht zu einer Falle statt zur erhofften Rettung. Er musste sich schnell etwas einfallen lassen.

Tarne war der erste, der das erstaunte Schweigen der Gruppe in der Kneipe unterbrach. Er wollte sich integriert zeigen, dazu gehörig, nicht als wenn er vor wenigen Minuten herein gekommen sei.

„Noch eins, Benno.“ Dabei imitierte Tarne ein Lallen.

Tarne sah, wie sein Nachbar Udo ein weißes iPhone, dasselbe Modell wie das geklaute, aus der Tasche zog und eine Nachricht eintippte. In dem Moment kam ihm die zündende Idee. Das war es. Sie kannten seinen Namen aber sie wussten nicht, wie er aussah. Er musste eine falsch Fährte legen.

„He“, er stieß Udo in die Seite, der daraufhin sein Smartphone wieder einsteckte und sich Tarne wieder zuwandte.

„Wat is?“

„Ich müsste dringend zum Klo.“

„Dahinten Mann.“

„Ich weiß, aber ich habe ein Problem.“

„Hä? Wat denn? “

„Ich erwarte einen dringenden Anruf.“

„Ja und? Wat hab´ ich damit zu tun?“

Tarne trat von einem Bein auf das andere.

„Es ist wirklich wichtig. Kannst du das Gespräch nicht für mich annehmen? Ich bin auch sofort wieder da. Nur für den Fall der Fälle.“

„Warum sollte ich das tun? Oda wat?“

„Ach komm. Sei ein Kumpel. Stell dich nicht so an, ich gebe dir auch ´n Zwanni.“

Udo war anzusehen, dass er glaubte einen Bekloppten vor sich zu haben, den er gut über´s Ohr hauen konnte.

„Fuffzich.“ Udo zögerte. „Wat is, wenn du zurück bist und der Anruf war noch nich`? Oda wat?“

„Dann habe ich halt Pech gehabt. Kannst ihn trotzdem behalten.“

Udo hielt Tarne die Hand entgegen.

„Okay“, sagte Tarne, „achte drauf, Tarne, Anruf für Tarne“, steckte ihm den Schein zu und stolperte Richtung Herrentoilette.

„Ja ja“, mit einem kaum unterdrückten gehässigem Grinsen steckte Udo seinen Gewinn ein.

Tarne lehnte die Toilettentüre nur an, beobachtete die Situation im Schankraum und zog sein Handy aus der Tasche.

Der mit dem kurzen Mantel war der Wortführer.

„He Leute, wir suchen jemanden.“

„Haha, wir auch“, sagte irgendein Witzbold der Anwesenden und löste damit einen Lachflash bei den anderen aus. Besoffene fühlten sich in der Gruppe stark.

„Ist hier kürzlich jemand reingekommen?“

„Klar doch, wir alle.“ Erneute Lachkaskade.

„He, was soll das…“ Aber alles Weitere ging in Lachen und Gebrabbel unter.

Tarne untersuchte eine Toilettenbox und begutachtete den Riegel, der sie verschließen solle. Das würde nicht lange halten, wenn sie hier herein kamen. Er drückte auf dem Handy herum. Wie hieß dieses Loch gleich? Bürgerstübchen. Genau. Was für ein Name. Da, das war die Rufnummer. Tarne klickte sie an. Die Verbindung baute sich auf.

„Hallo, dort Bürgerstübchen?“

„Ja, haben sie doch gewählt.“ Der Wirt schien auch ein Witzbold zu sein.“Wat woll´n se? “

Tarne schirmte seinen Mund und das Handy mit der Hand ab und flüsterte.

„Bei Ihnen hält sich ein Herr Tarne auf. Bitte holen sie ihn an den Apparat. Ich habe eine dringende Nachricht für ihn.“

„Sprechen sie lauter. Ich verstehe sie schlecht.“

„Können sie bitte Herrn Tarne ausrufen, der steht bei ihnen vor der Theke.“

Tarne trat wieder an die Tür, schob sie ein wenig auf und sah durch die Ritze, wie sich einer der Typen dem WC näherte.

Dann hörte er den Wirt rufen.

„Heißt hier jemand Tarne? Ist ein Herr Tarne hier?“

„Ja, ich“, erfüllte Udo seinen Auftrag und verdiente sich die fünfzig Euro.

Der Typ, der auf die Toilette zugegangen war, wendete sich um und verschwand aus Tarnes Blickwinkel.

Tarne hörte Geräusche einer Rangelei. Schieben, Schreien, Schimpfen, klatschende Töne drangen zu ihm herein.

Tarne verließ vorsichtig die Toilette und sah, wie die ganze Bagage sich durch den Ausgang drängte. Er hinterher. Tippte dem letzten auf die Schulter.

„Was´n los, Mann?“

„Da kamen einfach so´n paar Typen rein und …“

Draußen sah Tarne selbst, wie seine Häscher den armen Kerl zehn Meter weiter geschleift hatten. Gerade schlug ihm einer eine rein. Udo, der Angeber fiel zu Boden, wimmerte und hielt sich die Arme vor den Kopf.

„Was wollt ihr? Was hab ich Euch getan?“

„Raus mit dem Handy, los …“

„Aber ich …“

Er kam nicht dazu noch irgendetwas zu sagen. Ein weiterer Fausthieb traf sein Gesicht.

Tarne hörte einen der Schläger rufen.

„Hast du es?“

Ein andere trat noch einmal den am Boden liegenden.

„Ja.“

„Das ist die Hauptsache. Dann lass uns verduften.“

Die Typen entfernten sich mit dem iPhone des Mannes, den sie für Tarne hielten. Ohne sich zu überzeugen, ob sie das richtige Smartphone erbeutet hatten, verschwanden sie in der Dunkelheit. Sie würden nicht die erwarteten Fotos auf dem fremden iPhone finden. Tarne wusste immer noch nicht, was an diesen Bilder so wertvoll und gefährlich war.

Udo auf dem Boden stöhnte und jammerte.

„Die haben mir mein Handy geklaut. Was wollen die damit?“

Je weiter sich die Typen entfernten, um so mehr bekam Udo seine Arroganz zurück. Der Geschlagene, den sie irrtümlich für Tarne gehalten hatten, schrie und motze hinter den Typen her, stieß Flüche aus, die er nicht hätte einhalten können, wenn sie zurückkommen würden und rappelte sich langsam wieder auf. Sonnte sich in der Aufmerksamkeit, die ihm durch den Zwischenfall zuteil wurde.

Den Schlägertrupp interessierte das nicht weiter. Sie glaubten das zu haben, was sie wollten.

Wenig später hörte die Gruppe der Kneipenbesucher, die sich dem mittlerweile am Boden Knieenden, mit Tarne zusammen genähert hatte, das Klappen von Autotüren, das Starten eines Fahrzeugs das sich schnell entfernte.

Tarne beobachtete weiter, ob es jetzt ruhig blieb, fing gleichzeitig an, an dem gestohlenen Handy zu hantieren. Jetzt wollte er doch wissen, was es da zu sehen gab. Tatsächlich, keine Sicherung, der Bilderordner. Dann stockte ihm der Atem. Das durfte doch nicht wahr sein. Er war ja einiges gewöhnt, aber bei dem Anblick musste er mit aller Kraft dagegen ankämpfen, um sich nicht zu übergeben. Was mussten das für Menschen sein, die zu so etwas im Stande waren. Hier ging es nicht um Abrechnungsbetrug eines Außendienstmitarbeiters, Diebstahl, Einbruch oder simple Gewalt. Die Personen die er gesehen hatte waren in weit Schlimmeres verwickelt. Aber das war jetzt vorbei. Diese Kinder würden in Zukunft geschützt werden. Die Übelkeit verging und jetzt kam die Wut. Dieser Oberregierungsrat, das war das Letzte. Und die anderen Figuren, die er noch in dem Bildordner entdeckt hatte, waren auch nicht unbekannt. Man sah ihr Konterfei häufig in den Medien. Diese Saubermänner. Denen sollte das Handwerk gelegt werden. Die Personen, die er erkannt hatte, waren mächtig. Nur wenn er Beweise vorlegen konnte, würde man glauben, dass diese Menschen in so schmutzige Angelegenheiten verwickelt waren.

Er hatte zu viel gesehen. Sie würden ihn jagen, bis sie ihn und die Bilder hatte. Solche Leute kannten keine Skrupel. Nur wenn er sich nicht absicherte konnte er überleben. Er hängte die Bilder an eine Mail, die an die Staatsanwaltschaft, einige Medienadressen und gleichzeitig an weitere wichtige Stellen ging. Auch sein Freund Hauptkommissar Harald Hesse war unter CC eingetragen. Seinem Auftraggeber, fühlte er sich in diesem Fall nicht mehr verpflichtet. Vermutlich hatte der Herr Oberregierungsrat sich zwischenzeitlich mit seinen sauberen Kumpanen geeinigt und denen sein Eingreifen avisiert. Dem schickte er nur eine kurze Notiz: Alles OK!

Damit waren einige mächtige Männer so kompromittiert, dass sie ihren Ämtern enthoben werden würden. Als er sicher war, dass die Mail rausgegangen war, ging er wieder in den Schankraum, ergriff seinen Mantel und entfernte sich ohne weiter beachtet zu werden in die kalte regnerische Dunkelheit. Er schlug seinen Kragen hoch, um die nasse Kälte zu vertreiben. Udos Gejammere verhallte in der Nacht. Der Hauch eines schlechten Gewissens überkam Tarne. Aber genau genommen hatte es bei Udo doch irgendwie auch den Richtigen getroffen.

Bei er Schweinerei, die er durch Zufall aufgedeckt hatte, fiel das nicht ins Gewicht. Wie hatte er nur auf diesen Menschen hereinfallen können. Wie konnte er sich nur so in einer Person irren. Was für eine schmierige Identität steckte hinter der seriösen Fassade. Vielleicht hätte er doch auf sein Bauchgefühl hören sollen. Morgen würde es einigen Wirbel geben. Hoffentlich! Tarne nahm an, dass dann andere fliehen, sich versteckten, wenn sie noch dazu kamen.

One thought on “Schüsse im Dunkeln

  1. Hey, Deine Geschichte hat mir Mal wieder richtig gut gefallen. Sie war echt erfrischend durch den Detektiv, der nicht selbst das Handy gefunden hat, das ist kreativ und war Mal was anderes. Dein Schreibstil hat mir sehr gut gefallen. Spannend, aber auch mit ein bisschen Witz geschrieben. Sehr unterhaltsam von vorne bis hinten. Danke dafür und ein ♥️ hast Du Dir auch verdient!

    Vielleicht magst Du ja auch meine Geschichte “Stumme Wunden” lesen, das würde mich sehr freuen. 🌻🖤

    Liebe Grüße, Sarah! 👋🌻 (Instagram: liondoll)

    Link zu meiner Geschichte: https://wirschreibenzuhause.de/geschichten/stumme-wunden?fbclid=IwAR1jjPqPu0JDYk0CBrpqjJYN78PYopCEU1VGdqzCvgp7O4jnGKQSFdS6m6w

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