Franziska KargerSeelenfrieden

Seelenfrieden

 

Sie wird bereuen was sie getan hat.

Wochenlang hatte er die perfekte Rache zurechtgelegt, in dieser kleinen, miefenden, dunklen Zelle und jetzt ist es endlich soweit.

Er bemerkt wie seine Hände anfangen zu zittern, anscheinend ist er doch aufgeregter als erwartet. Aber das machte ihm nichts, das Adrenalin wird ihm helfen seine Pläne auch wirklich umzusetzen.

 

Typisch Montag, war ja klar dass das Wetter ausgerechnet heute wieder so eisig ist, gerade heute wo mein Auto in der Werkstatt steht, denke ich auf dem Weg zur Arbeit. Während der kalte Wind mein Gesicht rot werden lässt, ziehe ich meine Mütze noch ein Stückchen tiefer, um zumindest etwas Schutz vor der Kälte zu haben. 

Zum Glück ist der Weg zur Arbeit nicht weit, auch wenn es wirklich alles andere als schön ist, bei dem Wetter allein im Dunkeln durch den Park zu fahren. Ich sollte das trotzdem häufiger machen, besser für die Umwelt und meine Gesundheit wäre es auf jeden Fall.

Entschlossen stelle ich mein rotes, abgenutztes Fahrrad an die Wand der Jugendhilfe und nehme mir noch mal fest vor, den Plan auch umzusetzen.

Die Tür ist noch abgeschlossen, ich bin mal wieder die erste. Das ist mir aber recht, so habe ich noch genügend Zeit, alle Termine für den Tag durchzugehen.

Als ich dann am Schreibtisch sitze fällt mir auf, dass ich noch gar nicht die Post reingeholt habe. Ich stehe gleich wieder auf, nicht dass ich mir einen Plan zurechtlege und dann doch irgendein wichtiger Brief alles wieder durcheinanderbringt. Es wäre nicht das erste Mal, dass mir so etwas passiert.

Die Kälte bringt mich dazu, meine Strickjacke fester um mich zu wickeln. Ich beeile mich den Briefkasten aufzuschließen, um schnell wieder in das warme Gebäude zurückzukehren. Mit einem Ruck geht die Klappe des Kastens auf und etwas schwarzes fällt mir in die Hand.

Ich zucke kurz zusammen, vor Schreck. Das hatte ich nicht erwartet, normalerweise bekommen wir doch immer nur Briefe zugeschickt.

Als ich runter schaue, sehe ich ein kleines schwarzes Handy. Es ist keins von den normalen Smartphones, sondern eins mit Tasten, wie es kaum noch einer benutzt.

Wie zum Teufel ist ein Handy in unserem Briefkasten gelandet? Hat einer meiner Kollegen sein Handy verloren und ein ehrlicher Finder wollte es zurückbringen? Aber das macht doch gar keinen Sinn. Woher sollte er wissen wem es gehört und dass derjenige hier arbeitet?

Ich schaue noch einmal verwirrt in den Briefkasten, um sicher zu sein, dass sich nicht noch etwas anderes darin befindet.

Aber er ist komplett leer.

Ich schalte das Handy ein, ohne viel darüber nachzudenken und tatsächlich es geht an, auch ohne Pin.

Die Person auf dem Hintergrundbild kommt mir seltsam bekannt vor. Es dauert ein paar Sekunden bis ich begreife, dass ich es bin, die den Hintergrund ziert.

Das bin eindeutig ich, auch wenn es nur ein kleiner Bildschirm ist und ich zweimal hinschauen muss. Ich merke wie meine Hände schwitzig werden und bin mir sicher, dass mich jemand beobachtet.  

Es ist ein Foto aus dem letzten Sommerurlaub in Schweden, der erste Urlaub nach der Geburt der beiden Mädchen. Seit die Kinder da sind läuft alles anders.

Letztes Jahr haben wir uns dann dazu entschieden, dass es trotzdem an der Zeit ist wieder Urlaub zu machen, jetzt wo die Mädchen doch schon so groß sind.

Das ist eins der Fotos die Markus von mir gemacht hat, auf unserm Ausflug nach Stockholm. Wie kann es auf diesem fremden Handy sein? Hat er die Fotos doch online gestellt? Ich merke wie Wut in mir aufsteigt, er soll doch keine Fotos von mir oder den Kindern hochladen. Schnell weicht die Wut aber der Angst, wer das Handy hier abgelegt hat und was derjenige damit bezwecken möchte.   

Das Handy gibt einen piependen Ton von sich, eine Nachricht erscheint blinkend auf dem Bildschirm. Vor Schreck lasse ich das Handy auf den Boden fallen und gehe einige Schritte zurück.

 

Stundenlang musste er bei dem Wetter hinter dem kleinen Busch ausharren, aber dieses Mal hatte es geklappt.

Er kann beobachten wie sie als erste das Gebäude betritt. Sein Körper fängt an zu zittern, wird sie auch wirklich den Briefkasten leeren? Sonst wäre sein ganzer schöner Plan hin.

Doch plötzlich öffnet sich die grüne Tür der Jungendhilfe und sie kommt raus.

Er kann sein Glück kaum fassen. Jetzt muss er nur noch geduldig den richtigen Moment abwarten, bis er die Nachricht abschicken kann.

Dann wird er ja sehen ob ihr nicht doch alles wieder einfällt.

Noch ein paar Sekunden und die Nachricht kann endlich abschickt werden. Jetzt bloß nicht ungeduldig werden und mit einem unachtsamen Moment alles zunichte machen.

 

„Du wirst dich an mich erinnern dieser Satz verfolgte mich den ganzen restlichen Tag. Egal wie sehr ich versuchte ihn zu vergessen, es gelang mir nicht.

Auch jetzt, wo ich vor unserem Haus stehe, habe ich nichts anderes mehr im Kopf als die Nachricht und das Foto. Spätestens jetzt muss ich mich aber zusammenreißen, Peter und die Kinder dürfen auf keinen Fall merken, dass etwas nicht stimmt. 

Das Handy liegt in meiner Handtasche. Eigentlich wollte ich es so schnell wie möglich loswerden, wusste aber nicht was ich damit machen soll. Einfach irgendwo liegen lassen oder wegschmeißen ist ja keine Option. Die Gefahr, dass jemand hinter mein Geheimnis kommt, ist einfach zu groß.

Niemand darf jemals davon erfahren, seit Jahren geht alles gut, das darf jetzt nicht einfach so enden.

Was wäre mit den Kindern, wer sollte sich um sie kümmern?  

 

„Hallo Schatz, wie war dein Tag? Du siehst aus als würde dich etwas bedrücken?“ fragt Markus, als ich in die Küche komme. Warum muss er sich ausgerechnet jetzt für mich interessieren, sonst ist es ihm doch auch egal wie es mir geht.

„Auf der Arbeit heute war es mal wieder sehr anstrengend. Einer der Jugendlichen, den ich betreue, ist wieder rückfällig geworden. Er sieht es immer noch nicht ein, dass er ein Problem hat. Eine Therapie wäre wirklich sinnvoll für ihn. Ich habe fast den halben Tag versucht ihn zu überzeugen, leider ohne Erfolg.“ erzähle ich, um von meinem wahren Problem abzulenken.

„Ich kann mir gar nicht vorstellen wie schlimm das sein muss, jungen Menschen dabei zuzusehen, wie sie ihr Leben zerstören und sich auch noch die schlimmen Schicksale dahinter Tag täglich anzuhören. Ich habe wirklich Respekt davor was du auf der Arbeit leistest.“ sagt Markus zu mir, mit seinem liebevollen weichen Blick.

Das sind die Momente, in denen ich mich wieder daran erinnere, warum ich ihn geheiratet habe.

„Du weißt doch, dass sie sonst niemanden haben, der ihnen hilft. Jemand muss sich ja um sie kümmern.“ beende ich das Gespräch.   

Ich gebe ihm einen Kuss und sage, dass ich so erschöpft bin, dass ich dringend schlafen gehen sollte.

 

Heute Morgen bin ich wieder sehr früh aufgestanden, dieses Mal aber um weiter Fragen von Markus aus dem Weg zu gehen.

Ich sitze im Büro, das Handy liegt vor mir und ich starre es an. Was mache ich jetzt damit und wie soll ich jetzt weiter machen? Auf keinen Fall darf ich das Ganze einfach ignorieren. Ich muss um jeden Preis herausfinden wem es gehört, bevor es zu spät ist. Abermals schaue ich ins Handy, um sicherzugehen, dass ich nicht doch einen Hinweis übersehen habe. Aber außer dem Foto und der Nachricht ist es leer.

Das Telefon klingelt und reißt mich aus meinen Gedanken.

„Hallo, spreche ich mit Mareike Müller?“ klingt es aus dem Telefonhörer.

„Ja das bin ich, wer ist denn dran?“

„Hier ist Torsten Schmidt vom Polizeikommissariat 15 Hamburg Mitte. Ich habe hier einen jungen Mann namens Pascal sitzen, der sagt, dass sie seine Sozialarbeiterin sind. Er hat natürlich seinen Ausweis verloren und rückt nicht mit seinem Nachnamen raus.“ sagt der Mann am anderen Ende der Leitung und man merkt ihm an, wie genervt er ist.   

Ich verdrehe resigniert die Augen, lasse mir aber nichts anmerken als ich antworte „Das stimmt, ich betreue Pascal schon seit einiger Zeit. Was hat er denn gemacht?“

„Er ist von einer Streife dabei erwischt worden, wie er mit Drogen gedealt hat und wir haben mehrere Tüten mit Cannabis und Ecstasy in seinem Rucksack gefunden.“ erzählt mir der Polizist, dieses Mal aber in einem routinierten Ton.

„Okay, ich mache mich gleich auf dem Weg. Danke für den Anruf.“ 

 

„Was hast du dir dabei gedacht? Du wolltest doch von den Drogen wegkommen und heute erwischt man dich sogar beim Dealen.“ ich schaue den Jungen vorwurfsvoll an, bekomme aber erst mal keine Antwort. „Du kannst froh sein, dass ich dich mitnehmen durfte und du nicht auf der Wache bleiben musst.“

Er schaut ausdruckslos auf dem Boden und reagiert nicht.

Wir fahren mit meinem Dienstwagen in die Notunterkunft, in der ich ihn untergebracht habe, ohne noch ein weiters Wort zu wechseln.

„Wir reden morgen noch einmal darüber, wie es jetzt weiter gehen kann und was die nächsten Schritte sind, damit du nicht im Gefängnis landest.“ sage ich zum Abschied zu ihm, kurz bevor er die Tür der Unterkunft öffnet.

Erst reagiert er nicht, wie ich es erwartet habe. Doch dann dreht er sich plötzlich nochmal um und sagt mit unerwartet bestimmter Stimme „Vielleicht sollten sie erstmal dafür sorgen, dass ihr Leben nicht den Bach runter geht. Ich weiß genau, was auf der Straße über sie erzählt wird.“

Er lässt mich völlig fassungslos zurück.

 

„Heute wird sie für ihre Tat bezahlen, jetzt ist es an der Zeit meinen Freund zu rechen. Ich werde nicht zulassen das er einfach so vergessen wird.“

Er wartet im Park und es kann nicht mehr lange dauern bis sie vorbeifährt. Dass er ihr Auto manipuliert hat war ein spontaner Einfall. So hat er es noch einfacher.

Aber auch eine Stunde später ist nichts von ihr zu sehen. Er läuft im Schatten der Büsche ungeduldig hin und her.          

Plötzlich hört er ein Knacken hinter sich, erschrocken dreht er sich um, aber es ist nichts zu sehen.

„Das wird bestimmt nur ein Tier gewesen sein. Ich muss jetzt unbedingt konzentriert bleiben, auf keinen Fall darf ich den richtigen Moment verpassen, um sie zu überwältigen.“ waren seine Gedanken, bevor der Schlag seinen Hinterkopf mit voller Wucht traf. Er konnte noch ihre blonden Haare sehen als sie sich über ihn beugte, kurz bevor er das Bewusstsein verlor.

 

Was habe ich nur getan, es ist falsch was hier passiert ist. Wie konnte ich ihn nur töten? Niemals hätte ich von mir gedacht, dass ich fähig bin jemanden einfach so zu ermorden, einfach einen Menschen erschlagen.

Fassungslos schaue ich auf den toten Körper, der vor mir liegt. Die Blutlache, die sich unter seinem Kopf gebildet hat, wird von Sekunde zu Sekunde größer. Auch wenn ich wegschauen möchte, kann ich meinen Blick nicht abwenden. 

Mein ganzes Leben habe ich immer nur Gutes getan, meine ganze Energie dafür verbraucht anderen zu helfen. Andererseits sollte ich mich fragen, ob es wirklich falsch ist, was ich hier getan habe. Hätte ich ihn nicht umgebracht, könnte ich den anderen Drogenabhängigen nicht mehr helfen und sie müssten für immer leiden.

Meine Kollegen sind ja alle nicht zu gebrauchen, verstecken sich hinter ihrer Doppelmoral und schauen auch den hoffnungslosen Fällen einfach nur beim Leiden zu.

Sie sind zu feige sie zu erlösen, alle diese verloren Seelen würden niemals ihren Frieden finden.     

 

Es ist Samstag, wir sitzen alle gemütlich zusammen beim Frühstück. Markus hat heute die Brötchen geholt und den Tisch gedeckt. Die Mädchen und mich hat er ausschlafen lassen. Wir essen genüsslich unsere Brötchen und Markus liest die Zeitung.

Als ich die Überschrift der ersten Seite sehe fängt mein Herz an zu rasen.

„Toter Mann im Stadtpark gefunden“

Markus sitzt mit der Zeitung zum Glück so dicht vor mir, dass ich den Artikel unauffällig lesen kann.

„Gestern Nacht ist eine männliche Leiche im Stadtpark von einer Joggerin gefunden worden. Laut ersten polizeilichen Ermittlungen handelt es sich wahrscheinlich um ein Gewaltverbrechen. Der Getötete ist polizeilich bekannt. Er wurde erst letzte Woche aus dem Gefängnis entlassen, nachdem er acht Jahre wegen Totschlags an einem Freund eingesessen hatte.“

Wird er einen Zusammenhang erkennen und mich verdächtigen, wenn er den Artikel liest? Panisch schaue ich ihn an, als er anfängt auf der Seite zu lesen. Aber es ist keine Regung in seinem Gesicht zu sehen und sagen tut er auch nichts.

Für ihn ist es wahrscheinlich einfach nur ein Artikel von vielen. Wie sollte er auch etwas ahnen? Ich darf wirklich nicht mehr so paranoid sein, es wird Zeit wieder zur Normalität zurückzukehren.

Als ich die Spritze aufziehe, höre ich wie Pascal leise ein bitte nicht wimmert. Um ihn zu beruhigen streiche ich sanft über seinen Kopf.

„Es ist besser so, glaube mir gleich geht es dir besser und du musst nie wieder leiden. Halte noch kurz durch, ich verspreche dir, dass es nicht weh tun wird.“ flüstere ich in sein Ohr, bevor ich die Nadel ansetze und das Heroin in seinen Arm spritze.

Ich bleibe noch bei ihm, bis er aufhört zu atmen. Wie er da so liegt, mit verzehrtem Gesicht und Schaum vor dem Mund, sieht wirklich erbärmlich aus. Ich wünschte, dass sein Tot würdevoller abgelaufen wäre, aber das geht ja leider nicht. Er hat für sich diesen Weg gewählt und das muss ich so akzeptieren.

Ich wische meine Fingerabdrücke von der Spritze und lege sie in seine Hand, auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass die Polizei wirklich Nachforschungen anstellt.

Als ich gehe schaue ich noch ein letztes Mal zu ihm zurück, mit dem Wissen, dass er seinen Frieden gefunden hat.   

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