Frederic KnollSpäte Rache

Zum wiederholten Mal warf Katrin einen Blick in ihre Handtasche.

„Ist alles in Ordnung, Schatz?“, fragte Frank Palles seine Frau.

„Ja, ich suche nur mein… ach Mist! Ich habe das Handy im Zimmer vergessen“, antwortete sie. „Ich hole es. Bin gleich wieder da.“ „Ich warte in der Lobby“, sagte Frank und reichte ihr die Schlüsselkarte zu ihrem Hotelzimmer.

Achtzehn Sekunden später trat er aus dem Fahrstuhl im Erdgeschoss und ging in die Lobby. Hunderte Hotels dieser Kette sahen so aus, in ganz Europa. Die Lobby offengehalten, rechts neben dem Fahrstuhl eine Lounge mit braunen Ledersesseln, direkt neben der Hotelbar.

Frank Palles ging zur großen Fensterfront, die links vom Fahrstuhl und neben dem Hoteleingang lag. Von dort hatte er einen perfekten Blick auf die Alster, die sich jenseits der Straße vor dem Hotel erstreckte. Durch den leichten Wind und den strahlenden Sonnenschein, flimmerte das Wasser wie viele kleine Diamanten.

Augenblicke später hörte er den Fahrstuhl. Seine Frau kam ihm entgegen, das Handy in der Hand.

„Habe ich dir heute eigentlich schon gesagt, wie schön du bist und wie sehr ich dich liebe?“, sagte er. Nie zuvor hatte er sich zu einer Frau so hingezogen gefühlt, wie bei ihr. Anfangs hatte ihm der Altersunterschied von knapp zehn Jahren ein paar Bedenken bereitet. Aber nach ihrer Heirat war das vorbei. Wenn man sich liebt, spielt das Alter keine Rolle.

Katrin schaute ihn an. „Für Komplimente ist es nie zu spät.“ Sie lächelte und küsste ihn. „Ich muss mich beeilen, sonst komme ich zu spät.“

Frank nickte und folgte seiner Frau zur Rezeption. Ein junger Hotelangestellter sah von seinem Computer auf.

„Guten Morgen. Wie kann ich Ihnen helfen?“ Die Uniform des Mannes war makellos, auf seinem Namensschild stand der Name „Ralf Böhm“.

„Hi. Ich bräuchte bitte ein Taxi“, sagte Katrin.

„Einen Augenblick.“ Der Angestellte begann zu tippen. Nach wenigen Sekunden sah er auf. „Ihr Taxi ist in drei Minuten hier.“

„Danke.“ Katrin hakte sich bei ihrem Mann unter.

„Und was mache ich in der Zeit, in der du dich mit deiner besten Freundin zum Wellness triffst?“, fragte Frank.

„Schau dir doch ein wenig die Stadt an und such uns ein romantisches Restaurant für heute Abend aus.“

„Wenn ich Ihnen ein Tipp geben dürfte“, hob der Mann hinter dem Tresen an. „Nutzen sie doch das schöne Wetter und spazieren sie durch die Innenstadt. Das Rathaus und der Rathausmarkt sind immer einen Besuch wert. Man kann die Sonne genießen und im Café Paris gibt es ausgezeichneten Kaffee.“

„Das hört sich doch gut an“, sagte Frank, als das Taxi vor dem Hotel hielt.

„Hab einen schönen Tag, ich melde mich von unterwegs.“ Sie gab ihrem Mann einen Kuss und stieg ins Taxi.

 ***

Eine knappe Stunde später saß Frank auf den Stufen des Hamburger Rathauses, ein Eis in der Hand. Erdbeere und Vanille, eine unschlagbare Kombination. Neben ihm hatte eine Person mit schwarzer Jacke platzgenommen, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen.

Als Franks Blick wenig später nach rechts fiel, war die Kapuzenjacke verschwunden. Aber sie hatte ihr Handy auf der Steintreppe liegengelassen. Er sah sich um. In der Sonne flanierten mehrere Menschen über den Rathausplatz – eine unübersichtliche Menge ohne Gesichter. Die Kapuzenjacke war nicht darunter. Frank betrachtete das Handy. Es war ein Smartphone älteren Models. Er nahm es an sich und drückte den Homebutton. Das Display leuchtete auf. Sofort hatte er Zugriff auf die Oberfläche, ohne einen Pin oder ein Muster eingeben zu müssen.

Vielleicht war der Name des Besitzers irgendwo in den Einstellungen gespeichert? Die Suche blieb erfolglos. Frank durchstöberte das Adressbuch, aber er fand weder eingetragene Personen noch Nummern. Seltsam. Er suchte weiter. Auch die Inbox mit den Mitteilungen war leer. Das Handy schien blitzblank. Es sei denn … Franks Finger rutschen zum Fotoalbum.

Zwei Fotos waren dort gespeichert. Das Erste zeigte ein weißes Auto bei Nacht, die Fahrertür geöffnet und am Straßenrand stehend. Mehr war darauf nicht zu erkennen. Das Auto kam ihm bekannt vor, wusste aber nicht woher.

Das zweite Foto schockierte ihn, denn er kannte es. Es zeigte Frank mit seinem besten Freund und Kollegen Bastian.

Franks Hand zitterte. Wie kam dieses Bild hierher? Auf ein fremdes Handy? Was ging hier vor?

Plötzlich vibrierte das Smartphone. Eine Nachricht, unbekannte Nummer.

Es waren zwei Fotos. Frank schluckte. Das erste Foto zeigte ihn, auf der Treppe des Rathauses sitzend, mit dem Handy in der Hand. Ein zweites Foto zeigte auch ihn, diesmal von der anderen Seite.

Frank sah in die Richtung und versuchte, jemanden zu erkennen, der ihn fotografiert haben könnte. Erneut vibrierte das Handy, mit einem kurzen Video als Nachricht. Es zeigte ihn dieses Mal von weiter oben, wie er sich hektisch umschaute.

Frank riss den Kopf nach oben mit dem Blick zum Rathaus. Er sprang auf. Bewegte sich hin und her, in der Hoffnung, die Person zu finden, die ihn beobachtet. Aber er konnte niemanden entdecken.

„Was geht hier vor?“, entfuhr es ihm. Seine Worte waren so laut, dass ihn ein paar Passanten schräg von der Seite musterten. Außer Atem sah er sich um, bis das Handy wieder brummte.

Erneut ein Foto. Dieses Mal mit einer angehängten Nachricht. „Hallo Frank! Ich weiß, was du getan hast – Mörder!“ Seine Hände wurden kalt, sein Herz raste wie bei einem Marathon. Er besah sich das Foto.

Es zeigte seine Frau. Katrin. Sie saß gefesselt und geknebelt auf einem Stuhl. Ihr Blick war panisch, voller Angst.

Neue Nachricht: „Komm zum Hotel, wenn dir das Leben deiner Frau lieb ist! Keine Polizei! Ich habe dich im Blick!

Frank stand regungslos da. Eine Träne lief ihm die Wange hinunter. Wie konnte das sein? Wo kamen die Fotos her? Es gab keine Erklärung. Hatte er doch damals genau darauf geachtet, alles was ihn belastet aus dem Weg zu räumen. Frank überlegte, was er tun sollte. Er musste seine Frau schützen … und sich selbst.

Er lief los, streifte wie ferngesteuert durch die Straßen und fand sich schnell an der Alster wieder. Aber er nahm seine Umgebung nicht wahr. Seine Gedanken kreisten um die alten Fotos.

Konnte Basti dahinterstecken? Nein, der saß mindesten noch fünf Jahre ein. Frank hatte das alles damals sehr geschickt eingefädelt. Oder war es möglich, dass sein ehemals bester Kumpel früher aus der Haft entlassen worden war?
Frank beschleunigte seine Schritte. Wenige Minuten später stand er vor dem Hotel. Er sah sich um. Alles wirkte normal, nichts Auffälliges zu entdecken. Er warf einen Blick in die parkenden Autos, um zu sehen, ob dort ein bekanntes Gesicht auf ihn wartet. Fehlanzeige.

Das fremde Smartphone vibrierte erneut. Frank schrak zusammen. „Geh zur Rezeption. Da erfährst du, wo du erwartet wirst. Aber lass dir nichts anmerken. Mörder!“, lautete die neue Nachricht.

Frank betrat das Hotel und ging zur Rezeption.

„Entschuldigen Sie. Palles mein Name, ich bin Hotelgast“, sagte er und versuchte seine Nervosität zu unterdrücken.

„Ich erinnere mich“, sagte der junge Angestellte hinter dem Tresen. „Haben Sie einen schönen Vormittag in Hamburg gehabt?“

„Mehr als ich wollte“, sagte Frank mit Blick auf das fremde Handy. „Mir wurde gesagt, dass ich erwartet werde.“

„Einen Moment, bitte.“ Emsiges Tippen auf einem Display. „Das ist richtig. Zimmer 602, in der 6. Etage, auf der rechten Seite“, sagte der junge Mann und reichte ihm eine Schlüsselkarte. Frank nahm sie entgegen und ging zu den Fahrstühlen.

 ***

Als der Gast im Aufzug verschwunden war, griff der Rezeptionist den Telefonhörer und wählte die 6-0-2.

„Hallo? Ja. Er ist auf dem Weg“, sagte er knapp. Dann legte er auf, nahm seine schwarze Kapuzenjacke vom Stuhl und ging ins Büro.

 ***

Franks Beine zitterten. Sein Herz raste und sein Magen zog sich zusammen. Übelkeit überkam ihn. Mit zitternder Hand steckte er die Zimmerkarte ins Türschloss. Ohne zu wissen, was ihn erwartete, öffnete er die Tür und trat ein.

Das Zimmer war abgedunkelt, die Vorhänge vor den Fenstern zugezogen. Eine kleine Lampe auf dem Schreibtisch brannte. Daneben der Stuhl, auf dem seine Frau saß. Geknebelt, mit den Händen auf den Rücken, an die Rückenlehne gefesselt. Ihr Make-up war durch Tränen und schweiß verlaufen. Auf ihrer Stirn ein leuchtender roter Punkt.

„Katrin!“, entfuhr es Frank. Er wollte bereits zu ihr stürzen, als er das Stativ mit dem auf ihn gerichteten Camcorder sah. Beinahe hätte er es umgerissen. Seine Frau wimmerte unter Tränen, was ihn erstarren ließ.

„Lassen Sie meine Frau gehen! Sie hat damit nichts zu tun!“, rief er in den Raum hinein und sah sich um. Er verfolgte den roten Laserstrahl, der aus dem Lüftungsgitter über der Zimmertür kam.

Halt die Fresse, du Mörder!“, sagte eine verzerrte, Computer ähnliche Stimme.

„Was wollen Sie von mir?“, fragte Frank.

Meine Rache! Ich will, dass du blutest und leidest, kaputt gehst, wegen dem, was du damals getan hast“, sagte die Stimme. „Ich will, dass du zugibst, dass du schuld an dem Autounfall warst! Erzählst, wieso du noch auf freien Fuß bist! Die Kamera ist mit dem Internet verbunden. Wenn du eine falsche Bewegung machst, hat deine Frau ein Loch im Kopf. Hast du mich verstanden, Mörder?“

Frank blickte seine Frau an. Ihre geröteten Augen flehten ihn an, ihr zu helfen. Ihre Haare waren nass geschwitzt und klebten an der Stirn. Die hellblaue Bluse, war am Dekolleté aufgerissen. Er teilte ihre Angst, die so sinnlos war, nur weil er einen schrecklichen, einen grausamen Fleck in seiner Vergangenheit hatte. Katrin würde nie wieder in seinen Armen liegen, wenn er nicht gestand, er würde nie wieder ihre Lippen auf seinen spüren. War es das wert? War es das je? Alles wäre umsonst gewesen. Alles aus.
Dann sah er zur Kamera und nickte langsam.

„Okay“, begann er. „Ich war Schuld an dem Autounfall. Und ich habe es meinen Arbeitskollegen in die Schuhe geschoben.“

Erzähle die ganze Geschichte, Mörder!“, forderte die Stimme.

Frank hob die Hände.

„Es war vor zehn Jahren. Eine Nacht im November. Mein Kollege Bastian und ich waren auf dem Weg zurück von einer Firmenfeier. Basti hatte zu viel getrunken und auch irgendwelches Zeug eingeworfen. Jedenfalls war er nicht mehr imstande das Auto zu fahren. Darum setzte ich mich ans Steuer seines Wagens. Auch ich hatte viel getrunken, fühlte mich aber noch fit.“ Franks Stimme wurde mit jedem Wort heiserer. Katrin starrte ihn mit geröteten Augen an.

 „Nach einer halben Stunde muss ich am Steuer eingenickte sein … Sekundenschlaf … erst der Aufprall hat mich geweckt. Ich ging in die Eisen und saß dann einige Minuten starr im Auto. Erst dann bin ich ausgestiegen. Ich sah sofort einen Mann und ein Kind auf der Straße liegen. Beide leblos.“

Frank atmete schwer, wischte sich mit den Händen über das Gesicht, ehe er weitersprach.

„Ich realisierte, was passiert war und sah, wie in ein paar Häusern die Lichter angingen. Ich stieg schnell wieder in den Wagen und raste davon. Ich nahm Bastians Handy vom Beifahrersitz und rief einen Krankenwagen zur Unfallstelle …“ Frank stutzte. Das unbekannte Smartphone … jetzt erkannte er es. Es war Bastians.

„Bastian? Steckst du hinter dem ganzen?“

Halts Maul und rede weiter!“ Frank nickte.

„Ich überlegte, was ich tun sollte. Ich wollte meinen Job nicht verlieren. Da ich gehört hatte, dass man lieber Bastian die Beförderungen zur Abteilungsleitung geben wollte statt mir, beschloss ich, ihm den Unfall zuzuschieben. Ich parkte den Wagen auf einen Parkplatz und setzte Bastian auf den Fahrersitz und legte mich auf die Rückbank.“

Franks Puls raste. Katrins Augen waren weit aufgerissen. Frank wusste, dass es für sie sicher ein Schock war, das alles zu hören.

„Am nächsten Morgen wachten wir auf dem Parkplatz im Auto auf. Bastian konnte sich an nichts mehr erinnern. Noch am selben Tag wurde er dann wegen Fahrerflucht mit Todesfolge festgenommen. Es gab Zeugen, die sich das Kennzeichen gemerkt hatten. Zudem machte ich absichtlich eine Falschaussage, die Bastian schwer belastete. Er landete im Knast, während ich die Beförderung bekam.“ Ein Moment verstrich. Franks Magen zog sich zusammen. „ Und jetzt lassen Sie meine Frau gehen. Bitte!“

Kurze Zeit herrschte Schweigen. Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis sich die Stimme wieder meldete.

Das reicht nicht! Ich lasse deine Frau gehen, wenn du die drei Dokumente unterschreibst, die auf dem Tisch liegen.

„Was für Dokumente?“ Ein Zittern überkam Frank.

Seite A bevollmächtigt die Bank, dein gesamtes Vermögen auf ein eingetragenes Konto zu überweisen und es erlaubt einem Notar, dein Haus an eine Person meiner Wahl zu überschreiben.“ Die Stimme machte eine Pause. „Mit Dokument B beglaubigst du dein Geständnis und gibst damit zu, dass du der eigentliche Schuldige des Unfalls bist.“

Frank blickte auf die drei Seiten, die nebeneinander auf dem Tisch lagen.

Dokument C ist deine sofortige Kündigung mit einer Kurzfassung deines Geständnisses und der Bitte, auf Grund der Geschehnisse auf eine mögliche Abfindung zu verzichten“, erklärte die Computerstimme.

„Das … das kann ich nicht machen! Das würde mich komplett ruinieren … mein Leben zerstören!“

Ich weiß“, sagte die körperlose Stimme. „Du hast zehn Sekunden, um deine Unterschrift auf die Dokumente zu setzen, oder ich erschieße deine Frau!“ Während die Stimme anfing zu zählen, sah Frank seine Frau an. Ihr Blick brach ihm das Herz. Als die Hälfte der Zeit verstrichen war, ergriff Frank den Stift.

„Ich unterschreibe.“

Die Stimme verstummte. Hastig unterschrieb Frank die erste Seite, danach die Zweite. Sein Blick fiel auf den Radiowecker unter der Lampe. Er zeigte mit rotleuchtenden Ziffern 16:10 an. Als Frank sich dem dritten Dokument widmen wollte, stutzte er. Etwas stimmte nicht.

 Frank nahm Bastians Handy und öffnete die Nachricht mit dem Foto seiner Frau. Das gleiche Zimmer. Mit zwei Fingern vergrößerte er das Foto, bis er den Radiowecker im Blick hatte. Dieser zeigte 10:02 an. Er warf einen Blick auf seine Armband Uhr, welche ebenfalls zehn nach vier anzeigte. Die Uhrzeit stimmte.

„Das kann nicht sein! Die Zeit auf dem Foto passt nicht! Um die Zeit waren wir …“

„… waren wir was?“, fragte eine Frauenstimme. Frank ließ das Handy fallen und verstummte, als er sah, wie seine Frau Katrin sich den Knebel abnahm.

„Ärgerlich, dass ich den Radiowecker vergessen habe“, sagte sie.

Frank starrte sie mit offenem Mund an. „Wie? Aber die Stimme? Der Entführer?“, stammelte er.

Katrin nahm die drei Dokumente an sich.

„Schade, dass du die dritte Seite nicht unterschrieben hast. Aber die ist unwichtig. Den Job verlierst du auch so.“

„Ich verstehe nicht! Wieso hast du das gemacht?“ Franks Blick verschwamm. Der Raum begann sich zu drehen.

„Dann bin ich jetzt wohl dran mit erzählen. Ich bin die Schwester deines ehemaligen Kollegen Bastian. Du hast mir alles, was mir wichtig war im Leben genommen. Meine Familie bestand, nach dem frühen Tod unserer Eltern, nur aus meinem Bruder, der sich aus Schuldgefühlen vor seinem Haftantritt das Leben nahm.“

Frank sank auf die Knie. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. „Bastian ist tot? Das wusste ich nicht!“

„Es hat dich damals ja auch nicht interessiert, dass du sein Leben ruinierst. Du hast somit sozusagen nicht nur den Mann mit dem Kind auf dem Gewissen, sondern auch noch meinen Bruder.“

„Ich wusste nicht mal, dass er eine Schwester hatte“, flüsterte Frank kraftlos. Katrin nahm den Laptop, der mit der Kamera verbunden war und tippte etwas auf der Tastatur.

„Nach Bastians Tod wurde mir sein Abschiedsbrief überreicht. Ich habe ihn nicht geöffnet. Erst vor drei Monaten, als ich die Kiste mit den Erinnerungen an meinen Bruder wiederfand und durchsah. Ich fand es an der Zeit ihn zu lesen. In dem Brief stand, dass er sich im Nachhinein an einiges erinnern konnte, zum Beispiel, dass du ihn auf die Rückbank verfrachtet hattest. Er schrieb auch, wie du ihn mit deiner Aussage vor Gericht belastet hast. Bastian beteuerte mir seine Unschuld. Er war sich sicher, dass du in der Nacht gefahren bist. Mein Bruder erklärte, dass er zu Unrecht verurteilt wurde und er damit nicht leben kann. Weshalb er sich dann vor Haftantritt erhängte.“

„Heißt das, es war alles von dir geplant? Von Anfang an? Unser Kennenlernen … die Heirat?“ Franks Mund war staubtrocken.

„Dass wir uns kennenlernten, war ein Zufall und geheiratet habe ich dich damals tatsächlich aus Liebe. Zumindest für fünf Jahre, bis ich die Kiste durchschaute. Zu der Zeit warst du auf Geschäftsreise. Denn von da an empfand ich nur noch Hass und Abscheu für dich.“ Katrin klappte den Laptop zu.

„Bastian war ein ehrlicher Mensch und hat immer an mich geglaubt. Also glaube ich auch an ihn. Ich nahm mir vor, mich an dir zu rächen. Dafür, dass du mir alles genommen hast, was ich liebte und mir wichtig war. Ich entschloss mich, solange zu warten, bis dein großes Firmenprojekt abgeschlossen war. So entwickelte ich den Plan mit der Reise in eine andere Stadt und dem angeblichen Treffen meiner Freundin. Mir kam die Idee mit dem Handy und der Geisel. Ich gab dem Hotelangestellten tausend Euro dafür, dass er das Handy bei dir platziert und mich informiert, wenn du im Hotel bist.“

Franks Kopf fing an zu schmerzen. Er hatte das Gefühl, seine Schuldgefühle und die Gedanken drückten seinen Kopf zusammen. Er atmete tief ein und aus.

„Aber die Computerstimme?“

„Eine Aufzeichnung, die mit einem Stimmenverzerrer bearbeitet wurde. Nach fünf Ehejahren konnte ich mir ungefähr vorstellen, was du sagen und erzählen würdest. Und mit einer kleinen Fernbedienung hinter meinem Rücken konnte ich die Aufnahmen abspielen oder pausieren.“ Katrin lächelte.

„Und die Fotos von mir vor dem Rathaus?“, stammelte Frank und kniff die Augen zusammen. Seine Kopfschmerzen wurden stärker. Schweißperlen liefen in seinem Gesicht hinunter.

„Da ich in Wirklichkeit nicht mit meiner Freundin verabredet war, stieg ich an der nächsten Straße aus dem Taxi und bin dir heimlich gefolgt. Als ich sah, dass du das Handy entdeckt hattest, machte ich die Fotos mit einem Wegwerfhandy. Sie sollten dir ein wenig Angst machen. Hat ja auch funktioniert. Der Rezeptionist hatte recht. Der Rathausmarkt ist wirklich schön.“

„Dann war die Waffe in der Lüftung nicht echt?“

„Oh doch! Ein sehr gefährlicher Laserpointer.“ Sie lachte abermals.

„Aber was hättest du getan, wenn ich mich geweigert … wenn ich nicht unterschrieben hätte?“, fragte Frank bebend.

Mit einem Mal befand sich eine Schusswaffe in ihrer Hand.

„Dann hätte ich die hier benutzen müssen. Gab es ganz einfach und günstig im Internet.“

Mühsam stemmte sich Frank auf die Beine. „Was hast du jetzt vor? Mich umbringen?“, fragte er und seine Stimme wurde vor Verzweiflung laut.

Katrin beachtete ihn nicht. In aller Ruhe baute sie das Notebook und die Kamera ab und verstaute alles in einer Tasche.

„Dein Videogeständnis ist per Mail an die Staatsanwaltschaft übermittelt worden und ich habe den Hotelangestellten gebeten, eine Stunde nach dem du bei ihm warst, die Polizei zu verständigen. Sie werden gleich da sein“, antwortete Katrin und warf sich die Tasche über die Schulter.

„Das kannst du nicht machen!“, wimmerte Frank.

„Doch. Du hast mein Leben ruiniert, jetzt ist deines dran, mein Schatz.“

Polizeisirenen kamen näher. Katrin Palles griff nach dem Stativ und öffnete die Zimmertür. „Das ich die Scheidung will, muss ich nicht extra erwähnen, oder?“ Sie trat auf den Flur hinaus, hin zum Fahrstuhl, aus dem ihr drei Polizeibeamte entgegenkamen. Auf ihrem Weg zur Gerechtigkeit.

 ENDE

7 thoughts on “Späte Rache

  1. Hey Frederic,
    jetzt hab ich auch mal deine Geschichte gelesen. Gefällt mir echt gut! Nicht nur, weil eine Prota genauso heißt wie ich 😀
    Ich drück dir die Daumen, dass du es ins E-Book schaffst, du und die Geschichte hätten es verdient.
    Alles Liebe,
    Katrin

  2. Hi^^,
    ich finde es spannend geschrieben. Den Plottwist finde ich an sich toll, aber ich hätte es besser gefunden, wenn du die Zeit zu Anfang der KG erwähnt hattest. Ich hätte einen größeren Aha-Effekt gehabt. Nur wenige hätten das auch erkannt – solche Kleinigkeiten wie die Uhrzeit merken sich nicht viele Leute, würde ich jetzt einfach Mal behaupten.
    Und selbst wenn – an dem Punkt ist man als Leser stolz, selbst drauf gekommen zu sein und genießt die Geschichte anders^^.
    Viele Grüße,
    Desiree

  3. Moin Frederic,

    Frank, Hamburg…. na die Geschichte muß ich doch zwangsläufig liken!

    Aber selbst wenn sie in Berlin spielt und dein Prota Klaus heißt, es bleibt ne geile Geschichte!

    Genau die richtige Länge für eine Kurzgeschichte! Dein Plot hat alles was eine gute Geschichte haben sollte.
    Dein Schreibstil ist sehr kurzweilig und du schaffst es schnell deinen Leser in die Storie abzuholen. Deine Dialoge wirken sehr authentisch und deine Charaktere sind gut skizziert. Hat mir gut gefallen!

    Ich habe sogar Parallelen zu meiner Storie entdecken können. 😉

    Mein Like lass ich dir gerne da und wünsche dir alles Gute für’s Voting.

    LG Frank aka leonjoestick ( Geschichte: Der Ponyjäger)

Schreibe einen Kommentar