ThaschmannStick

Stick

Nick saß im Büro seines Hauses vor dem Laptop. Sein edler Schreibtisch stand vor dem riesigen Fenster, geschmackvolle und sündhaft teure Aktenschränke aus echtem, alten Holz standen an verschiedenen Stellen des großzügigen Raumes und einige sicher teure, aber nicht unbedingt geschmackvolle Bilder zierten die Wände. Dazwischen hingen immer wieder in Gold gerahmte Zertifikate und Urkunden: „Bester Versicherungsmakler Deutschlands 2018“ „Deutschlands erfolgreichstes Versicherungsmaklerbüro 2019“ „Auszeichnung für herausragende Kundenorientierung“ stand auf diesen. Daneben fanden sich gerahmte Fotos, die Nick mit einigen seiner Kunden zeigten, teilweise signiert von diesen – Größen aus Sport, Politik und Wirtschaft.

Nicks Blick schweifte durch das riesige Fenster über die Zufahrt zu seinem Haus und den gepflegten Vorgarten. Auf dem aufwendig gepflasterten Platz vor dem Haus stand sein Wagen, ein Nobel-SUV, wie ihn der Mann von Welt heute brauchte und daneben das alte, restaurierte Käfer-Cabrio von Johanna, seiner Freundin, die er eigentlich nur kurz Hanna nannte. Hanna diskutierte gerade sehr energisch mit dem Gärtner. Nick vermutete, dass es wohl wieder um den richtigen und korrekten Zuschnitt der Hecke gehen könnte, die das Grundstück blickdicht zur Straße abgrenzte. Nur wenige Meter entfernt saß Ben, die deutsche Dogge, wie in Stein gehauen auf dem Rasen und beobachtete Hanna und den Gärtner aufmerksam. Die Ordnung im Vorgarten stand ganz im Gegensatz zum Chaos auf Nicks Schreitisch. Neben dem Laptop lagen ungeordnet Papiere, USB-Sticks, ein Stapel Zeitungen und seine goldene Armbanduhr, die er als Dank von diesem blasierten Edeljuwelier bekommen hatte, als er diesem bei der Abwicklung seines Einbruchschadens „schnell und unbürokratisch half“, erinnerte sich Nick. Peanuts im Vergleich zu dem, was die Versicherung ausgespuckt hatte, ergänzte er seine Gedanken. Er blickte nach links auf eines der Bilder. „Wie hieß dieser Maler noch gleich?“, murmelte er in sich hinein. „Hast Du zur Belohnung für die großzügige Hilfe beim Brand des Hauses von diesem Finanzmanager bekommen“, meldete sich eine Stimme in seinem Kopf. Seine linke Hand griff nach einem Glas auf dem Schreibtisch und mit der Rechten griff er nach einer Flasche Edelcognac – auch so ein Geschenk, das er für seine Dienste von einem Kunden bekommen hatte, sogar eine ganze Kiste davon. Er füllte das Glas fast bis zum Rand und stürzte sich den Inhalt achtlos, ohne zu schmecken, in den Hals.

Der Klingelton seines Handys, das Intro von ZZ-Tops „Sharp dressed man“, riss ihn aus seinen Gedanken. Friedrich von Grothen stand auf dem Display. Mit der Linken griff er nach dem vibrierenden Smartphone, während seine Rechte das Glas wieder füllte. Er räusperte sich: „Hallo Friedrich, wie geht es dir?“ meldete er sich übertrieben und gespielt liebenswürdig, denn er ahnte schon den Grund von Friedrichs Anruf. „Hallo Nick, mein Bester“, säuselte Friedrich zurück, und fragte: „Wie geht es meiner geliebten Schwester?“ Nick wusste ganz genau, dass Friedrich sich nicht im Geringsten für das Befinden seiner Schwester interessierte und von geschwisterlicher Liebe zwischen den beiden keine Rede sein konnte. Daher hielt er sich etwas zurück, als er antwortete: „Ist im Vorgarten und streitet sich mit dem Gärtner. Sie ist eben sehr anspruchsvoll und überaus genau“, „Sehr diplomatisch formuliert. Die Wahrheit ist doch: Meine Schwester ist nie zufrieden!“ stichelte Friedrich zurück.

„Was ist mit meinem Versicherungsfall?“ fuhr er barsch fort. „Den Stick mit den Textdateien und zwei drei Bildern habe ich Dir gestern Abend noch in einem Umschlag in den Briefkasten geworfen. Welchen Wunsch muss ich Dir für eine schnelle und reibungslose Erledigung erfüllen?“ ergänzte Friedrich leicht ungehalten „Ich werde mich gleich darum kümmern“, gab Nick leicht genervt zurück und fuhr fort:„Da wäre tatsächlich eine Sache. Das ist das letzte Mal.“ Stille! Endlich hatte Nick den Mut gefunden. Mit einem Klick und ohne weiteren Gruß endete das Gespräch. Nick trank das Glas wieder in einem Zug aus und machte sich über den Flur und die Treppe hinunter auf den Weg zur Eingangstüre des Hauses. Der Briefkasten war neben der wuchtigen, weißen Eingangstüre in der Wand eingelassen und konnte nur von innen geöffnet werden. Nick öffnete die mit einem Schloss versehene, innere Klappe und griff tastend, wie immer, in den Briefkasten, bis er einen Umschlag zu fassen bekam, ordentlich beschriftet mit „Friedrich von Grothen“. Aus Gewohnheit, um nicht vielleicht einen Brief zu übersehen, fuhr er mit der Hand nochmals durch den Innenraum. Zu seinem Erstaunen fand er noch einen zweiten Gegenstand, ein loser, unbeschrifteter USB-Stick, wie er beim Herausnehmen feststellte. Seltsam, dachte Nick, hatte Friedrich nicht von nur einem Stick gesprochen und warum war dieser hier nicht im Umschlag? Dabei drehte er den Umschlag einige Male hin und her, konnte aber keine Beschädigung am fest verschlossenen Briefumschlag feststellen.

Den Umschlag in der einen und den Stick in der anderen Hand machte er sich wieder auf den Weg zurück ins Büro und legte beides auf seinen Schreibtisch. Der Laptop fuhr hoch und Nick nestelte den unbeschrifteten USB-Stick in den Slot. Auf dem Bildschirm erschien allerdings nicht der Name vom Stick, sondern schlicht ein NO NAME, dann die Liste der Dateien. Nick stutzte. Ungewöhnlich viele Bilddateien, waren es doch sonst nie mehr als zwei bis drei. Sollte das vielleicht ein privater Stick von Friederich sein, der versehentlich mit in den Briefkasten gepurzelt war? Genussvoll füllte sich Nick das Glas erneut, klickte das erste Bild an und wartete mit einer hoffnungsvollen Schadenfreude darauf, dass der Ladebalken auf hundert Prozent hoch lief und er ein paar möglichst private Dinge von Friedrich zu sehen bekäme.

Irritiert zog er die Augenbrauen zusammen, als er das erste Foto sah: Auch wenn das Bild wie ein hastig geschossener Schnappschuss nicht ganz scharf war, erkannte er sofort sein Gesicht Auf dem Foto kratzte er sich gerade am Kopf und an seinem Handgelenk war überaus deutlich seine goldene Uhr zu erkennen. Auf dem nächsten Foto war er wieder deutlich zu erkennen, nämlich dabei, wie er auf dem Parkplatz eines Lebensmittelgeschäftes unzweifelhaft das Bild von dem Maler, dessen Namen er sich nicht merken konnte, in den Kofferraum seines Autos legte. Das dritte Foto, offensichtlich durch eine Hecke geschossen, zeigt ihn auf der Terrasse seines Hauses am Tisch. Auf dem Tisch zwei Kartons mit dem Logo einer edlen Cognacmarke … und er hielt eine dieser Flaschen wie eine Trophäe in die Höhe. Nick hielt inne und eine merkwürdige Unruhe beschlich ihn. Beim Sichten der Bilder brandete ein Gefühl von Angst und eine Art von Scham in Wellen durch seinen Körper. Unwillkürlich musste er sich räuspern, was er immer tat, wenn der Stresspegel in ihm anstieg. Nick glaubte zu spüren, wie sich ein trockener Belag auf seiner Zunge bildete, als er die nächsten Dateien öffnete. Auf seinem Bildschirm wurden ein eingescannter Zeitungsartikel mit der großen Überschrift: „Tödlicher Unfall auf der A8“ und dann ein weiterer Ausschnitt, „3 Tote bei Gasexplosion auf Luxusyacht“ als Aufmacher, sichtbar. Es war nicht Panik, die seinen Körper kurz zucken ließ, sondern die untrügliche, dumpfe Vorahnung, dass er in Schwierigkeiten war – in großen Schwierigkeiten.

Als er die letzten Bilddateien öffnete, musste er kurz wie vor Schmerz seine Augen schließen. Es war eine Todesanzeige: Wir trauern um unseren Firmengründer …. Er schloss seine Augen erneut kurz, als könnte er damit die Bilder, die er sah, wieder in den Stick zurückschieben. Obwohl die Todesanzeige durch das Scannen verpixelt war, erkannte er das freundlich lächelnde Gesicht des Verstorbenen auf dem Bild in der Mitte der Todesanzeige sofort. Das letzte Foto zeigte Nick inmitten der Trauergesellschaft auf einem Friedhof. Eine Schärpe mit dem Namen des Verstorbenen schien wie eine Flagge von einem großen, auf einem Gestell aufgerichteten Kranz im Wind zu wehen. Aus Nicks Räuspern wurde ein Würgen, denn ihm war gerade schlagartig klar geworden, dass er sich vor diesen Schwierigkeiten nicht mehr verstecken oder vor ihnen davon laufen konnte.

Fast zu spät nahm er das Klappern von Hannas Schuhen auf dem Parkettboden im Flur wahr, als sie auch schon in der Tür zu seinem Büro stand, die Dogge direkt hinter sich. Er hatte gerade noch Zeit, auf die Internetseite eines Wirtschaftsmagazins zu wechseln. „Hallo Schatz“, begann sie mit leicht genervten Unterton. Nick ertappte sich, dass er sie immer noch mit der gleichen Leidenschaft betrachtete, wie am dem Tag, an dem er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Auch heute war sie elegant gekleidet, perfekt frisiert und wie immer sichtbar, aber nie übertrieben geschminkt. Was konnte eine so tolle Frau nur an einem Typen, wie ihm finden? „Wieder ein neuer Fall?“ setzte Sie erneut an. „Du wirst doch sicher dafür sorgen, dass der Kunde dankbar ist, oder? Wir sollten unbedingt den Vorgarten neu gestalten lassen.“ Nicks Gedanken kreisten wieder um die Bilder, die Zeitungsartikel und die Todesanzeige vom Stick. Konnte es sein, dass Hanna noch einen Blick auf den Bildschirm werfen konnte und dort etwas erkannt hatte?

Nick bemühte sich ruhig, klar und liebenswert zu sprechen. Er lächelte Hanna an. „Natürlich, mein Engel“ Nick hatte sich fast wieder unter Kontrolle, aber seine Augen irrten noch hilflos zwischen ihr, den Bildern, den Urkunden und den Fotos an der Wand hin und her. „Ich werde noch eine Runde durch den Wald laufen, damit ich diesem unfähigen Aushilfsgärtner nicht die Haare ausreiße.“ „Natürlich, mein Engel. Nimm den Hund mit. Ben ist gut abgerichtet. Ich würde mich sicherer fühlen, wenn ich weiß, dass er auf dich aufpasst. Er kann ohnehin etwas Auslauf gebrauchen“, erklärte Nick fast flehentlich. Nick stand auf und küsste Hanna zärtlich auf die Stirn. Dann klopfte er Ben aufmunternd in die Seite. Als ob der Hund verstanden hätte, begann er unruhig hin und her zu trippeln und mit seinem Schwanz zu wedeln. „Gute Idee, Schatz“, lächelte Hanna zurück, die plötzlich wieder in besserer Stimmung zu sein schien.

Erst als Nick Hanna, den Hund an einem Gurt um ihre schlanke Hüfte angeleint, aus dem Vorgarten traben sah, wagte er sich wieder an den Laptop. Nach einem kräftigen Schluck aus seinem Glas öffnete er mit leicht zitternden Händen erneut die Bilddateien – eine nach der Anderen. Gedanken jagten durch seinen Kopf, als er sich die Bilder wieder und wieder einzeln ansah.

Waren die Bilder eine Drohung oder eine Warnung, fragte er sich. Wer würde ihm drohen und warum? Nick versuchte seine Gedanken zu sortieren. Drohung? Vielleicht von Friedrich, Hannas Bruder, war sein Gedanke. „Unmöglich! Dafür habe ich zuviel gegen ihn in der Hand,“ verwarf er den Gedanken wieder. Warnung? Möglich, dass ein Kollege oder eine Kollegin aus der Branche über einen seiner Fälle gestolpert war. Vielleicht hatte mir diese Strauber, den Stick zugespielt?

Artemis Strauber betrieb ebenfalls ein Büro als Versicherungsmaklerin. Hin und wieder gab er ihr einen Auftrag ab, wenn er genug zu tun hatte. Der Datenaustausch erfolgte meistens per USB-Stick, weil er dies für sicherer hielt, als Kundendaten per E-mail zu verschicken. Sie war eine Art Jugendliebe von Nick – noch aus seinen Lehrjahren in einem großen Versicherungsbüro. Er hatte sich ein paar Male mit ihr getroffen, geflirtet, irgendwann aber Hanna getroffen. Auf der Beerdigung von Hannas Vater, Günther von Grothen, hatte er Hanna zum ersten Mal gesehen und sich sofort in sie verliebt. Artemis hatte nie einen Hehl aus ihrer Meinung über Hanna und Hannas Familie gemacht. Adelige, die schon vor und während des Krieges auf der Sonnenseite des Lebens standen. Günther von Grothen hatte dann in den siebziger und achtziger Jahren, mit nicht immer legalen Mitteln, ein gut laufendes Unternehmen aufgebaut, Nein, kein Unternehmen, ein Imperium! Er, Nick, hatte sich dann irgendwann für Hanna entschieden. Gewiss, er und Hanna waren nicht verheiratet, aber für ihn war Hanna sein großes Glück. Er, Nick, hatte dafür Artemis zurückgewiesen. In Nicks Kopf hämmerte die Frage, ob Artemis etwas von seiner Art der Kundenorientierung wissen könnte.

Neue Gedanken durchzuckten ihn: Habe ich vielleicht von einem Kunden zu viel Dankbarkeit für meine Hilfe gefordert? Wenn ja, von wem? Was weiß dieser Kunde von meinen anderen Kunden? Die Akten! Obwohl sich Nick dazu zwang, klar und rational zu denken, stolperte er fast auf dem Weg zu seinem Aktenschrank, verkleidet mit edlem, altem, schwerem Holz. Hinter den hölzernen Verkleidungen an der Front befanden sich Auszüge aus Metall, die, bis auf eines, mit Nummern und Schlössern versehen waren. An diesem Einen, waren Stellräder für eine Zahlenkombination angebracht. Hastig gab Nick die Zahlenkombination ein und nahm aus dem Fach ein Bund mit nummerierten Schlüsseln.

Er öffnete umständlich das erste Schloss, zog den Auszug heraus und packte die erste Akte, die darin lag. Langsam blätterte er durch die Seiten, die in blass blauem Karton eingeschlagen waren. Als letztes Teil fand sich in jeder Akte eine Klarsichthülle mit einem USB-Stick, maschinell beschriftet mit dem Nachnamen des Kunden. Der blasierte Juwelier, erinnerte er sich. Damals war er noch ein kleiner Angestellter in dem großen Versicherungsbüro und sein Chef trug eine goldene Uhr, die er so sehr bewunderte. Damals hatte er sich vorgenommen, irgendwann auch eine solche Uhr zu besitzen. Dann war der Juwelier gekommen und schloss eine ungewöhnlich hohe Versicherung gegen Einbruch und Diebstahl für seinen Laden ab. Nicks erster echter, echter, großer Auftrag! Die Frage vom Juwelier, ob es nach Abschluss eine Sperrzeit für Schadensregulierungen geben würde, konterte er schon richtig professionell mit der Aussage: „Wenn etwas sein sollte, melden sie sich bei mir. Ich regele das dann schon für sie.“ Drei Wochen später war dann etwas. Bei der Durchsicht der Liste von entwendeten Gegenständen und deren Werte, Schmuck – Uhren – teure Füllfederhalter, hatte der Juwelier ihm vertraulich zugezwinkert und unauffällig auf seine goldene Uhr am Handgelenk gedeutet. Den Scheck der Versicherung hatte Nick persönlich beim Juwelier vorbeigebracht und als er dessen Haus verließ war die goldene Uhr an seinem Handgelenk. Mit welchen Worten hatte der Juwelier sich noch von ihm verabschiedet? „Wenn sie einmal Probleme haben sollten, rufen sie mich an. Ich kenne Problemlöser für fast jede Art von Problemen.“ Wieder füllte Nick das Glas. Auch eine Art Problemlöser, dachte er bei sich.

Nick nahm sich eine Akte nach der anderen vor. Da war der Immobilienmakler. Dessen
Autounfall in Italien, obwohl er für seine Ehefrau geschäftlich in Hamburg war, hatte er diskret und elegant als Diebstahl mit Totalschaden des Fahrzeugs darstellen können. Dabei war ein Problemlöser vom Juwelier überaus hilfreich. Als Dank vermittelte der Makler ihm dieses Grundstück zum Vorzugspreis. Er blätterte durch die Akte des Bauunternehmers, der sein Haus, ebenfalls zum Vorzugspreis, gebaut hatte. Dem hatte Nick bei einem Unfall auf einer anderen Baustelle geholfen. Da hatte sich ein Arbeiter beim Sturz von einem Gerüst schwer verletzt. Natürlich hatte der Bauunternehmer nicht alle Sicherheitsvorschriften eingehalten, natürlich war der Bauunternehmer gegen solche Unfälle versichert und natürlich waren nachher mehrere Arbeiter verletzt worden, die entschädigt werden mussten – der Verdienstausfall für den Stillstand der Baustelle kam natürlich auch noch dazu. Immer mehr Akten stapelte Nick auf dem Schreibtisch. Der Finanzmakler: Brandschaden; der Autohändler: Sturmschaden; der Gärtner: Zwei abgeschnittene Finger, die nach Gliedertaxe aus der eigentlich zu hohen Unfallversicherung reguliert wurden …..

„Ich habe immer versucht, Menschen zu helfen,“ machte Nick sich in seinen Gedanken Mut. „Für die Versicherungen sind die Schäden nur Zahlen in einer Statistik, nach der Prämien berechnet werden“, dachte er weiter. „Durch mich hat kein Mensch Schaden erlitten, ich habe niemanden verletzt, verstümmelt oder uns Leben gebracht,“ beruhigte er sich weiter und machte sein Glas wieder voll. Spätestens nachdem sich der Gärtner selbst zwei Finger einer Hand abgeschnitten hatte, wollte er mit seiner Art der Kundenorientierung aufhören. Zu plastisch hatte Nick noch das Bild der blutigen Fingerstümpfe vor seinem geistigen Auge. Er sah aus dem riesigen Fenster und als der Gärtner ihn sah, winkte der ihm mit seiner rechten Hand zu, an der Mittel- und Ringfinger fehlten.

Hanna hatte als Tochter einer begüterten Familiendynastie Ansprüche und irgendwann hätte sie als Miterbin neben ihrem Bruder ihr Recht auf einen Anteil des Familienvermögens geltend machen können. Es war zu Nicks Lebensinhalt geworden, den Ansprüchen der Frau, die er liebte gerecht zu werden und ihrer Familie, vor allem Friedrich, zu zeigen, dass er aus eigener Kraft mithalten konnte. Hatte er es nicht wirklich weit gebracht und Grund, Stolz auf sich zu sein? Aber Hannas Ansprüche stiegen, und seine eigenen, das musste Nick sich eingestehen, auch.

Nick prostet dem Gärtner mit seinem Glas zu, der nach seiner am Boden liegenden Mineralwasserflasche griff, sie ihm zum Prost entgegenstreckte und ein paar große Schlucke trank. Anschließend lehnte der Gärtner die Flasche gegen einen kleinen Baum und begann mit einem Spaten in kräftigen Bewegungen das Blumenbeet umzugraben. Vom Fenster aus konnte Nick dessen Bewegungen von der Seite sehen, als der Gärtner abrupt innehielt. Es schien als wollte er sich kurz auf dem Spaten abstützen um auszuruhen, aber dann rutschte er langsam am Spaten entlang zu Boden auf die Knie. In einer unkontrollierten Bewegung drehte der Gärtner sich mit schmerzverzerrtem Gesicht zu Nick, den Mund weit zu einem stummen Schrei geöffnet. Schließlich sank der Körper des Gärtners ganz langsam und sachte auf den grünen Rasen vor dem Blumenbeet und blieb regungslos liegen. Nick hastete durch die Tür seines Büros in den Flur und wollte die Treppe hinunter rennen, aber der Cognac zeigte bereits Wirkung. Für Nick dauerte es eine gefühlte Ewigkeit, bis er stolpernd den Gärtner erreichte, sich neben ihn kniete und versuchte irgendein Lebenszeichen von ihm zu finden.

Wie betäubt griff Nick nach seinem Handy und wählte den Notruf. „Notfall in meinem
Garten“, stammelte er und gab seine Adresse durch. Es dauerte nur wenige Minuten, bis ein Krankenwagen mit Blaulicht die Auffahrt zum Haus hochfuhr, aus dem ein Notarzt sprang und zu Nick und dem Gärtner auf dem Rasen eilte. Grob schubste der Notarzt Nick zur Seite und ein Sanitäter kam hinzu. Beide versuchten offensichtlich mit allen Mitteln, den Gärtner wieder ins Leben zurück zu holen. Nach einigen Minuten gaben die beiden ihre Bemühungen auf. Der Notarzt sah zu Nick herüber, schüttelte merkwürdig langsam den Kopf und senkte für einen Moment den Blick zu Boden. Inzwischen war auch ein Polizeiwagen mit Blaulicht die Zufahrt hochgefahren und die Polizisten sahen sich im Vorgarten um. In all dem Durcheinander sah Nick plötzlich Ben, die Dogge, hinkend und blutend durch das Flatterband auf sich zukommen – ohne Hanna! In seinem Kopf begann sich alles zu drehen. Noch bevor Nick seinen Hund im Empfang nehmen konnte, stand ein Polizist vor ihm, der prüfend die Luft durch die Nase einatmete. „Haben sie Alkohol getrunken?“ fragte der Polizist höflich aber nicht ohne Schärfe in seinem Ton.

„Der Hund ….“, murmelte Nick und zeigt mit seiner Hand auf Ben, der sich nur einen Meter entfernt auf den Boden gelegt hatte und die beiden hechelnd beobachtete. Der Polizist bemerkte sofort das Blut auf Bens Fell und fragte: „Was ist mit dem Hund“? „Meine Lebensgefährtin, Johanna von Grothen, wollte eine Runde durch den Wald laufen und hat unseren Hund, Ben. Jetzt ist der Hund alleine zurückgekommen. Das ist noch nie geschehen, denn Ben läuft immer an der Leine.“ „Sie wird sicher bald hier sein. Inzwischen müssen wir uns um einige Formalitäten zu ihrem Gärtner kümmern“, meinte der Polizist. Langsam leerte sich der Vorgarten. Der Krankenwagen und die Polizeiwagen fuhren, bis auf einen, davon. Der Polizist kam wieder zu Nick, der sich neben Ben gehockt hatte und ihn vorsichtig untersuchte. „Ist ihre Frau inzwischen aufgetaucht“, fragte er. „Nein“, antwortete Nick besorgt. „und Ben scheint einige schwerere Verletzungen zu haben. Da muss etwas passiert sein.“

Der Polizist betrachtete Ben, griff zu seinem Funkgerät, trat einen Schritt zurück und drehte sich zur Seite. „Hallo Zentrale, ich benötige hier noch mal Unterstützung. Eine Frau wird vermisst und ihr Riesenköter ist blutverschmiert zum Haus zurückgekehrt. Es handelt sich bei der vermissten Person um Hanna von Grothen … Ja, die Hanna von Grothen! Ich werde den Lebengefährten der Dame hier vor Ort befragen. Wahrscheinlich nichts Ernstes, aber schicken Sie mir inzwischen jemanden, der sich traut, ein paar Proben aus dem Fell von dem Köter zu nehmen – und einen Tierarzt für alle Fälle.“ Damit wendete sich der Polizist wieder Nick zu. „Können wir uns kurz irgendwohin zurückziehen?“ fragte er sachlich. „Ich benötige ein paar Angaben von ihnen, zu dem was hier im Garten passiert ist, aber vor allem natürlich zum … “, er stockte leicht, als würde er nach den richtigen Worten suchen, „ …. zur Abwesenheit ihrer Lebensgefährtin.“

Nick bat den Polizisten, ihm ins Haus zu folgen und führte ihn, ohne darüber nachzudenken, in sein Arbeitszimmer. Aufmerksam blickte sich der Beamte im Raum um, sah den offenen Aktenschrank, den Schreibtisch mit den Akten, den Laptop, auf dessen Bildschirm sich inzwischen der automatische Bildschirmschoner aktiviert hatte und die Cognacflasche samt dem leeren Glas. „Sieht aus, als waren sie heute schon sehr beschäftigt,“ begann der Polizist. Erst jetzt realisierte Nick, dass sie in seinem Arbeitszimmer waren und zwang sich zur Ruhe. Betont unauffällig ging er zum Schreibtisch, klappte den Laptop nur zu und stapelte die Akten übereinander.

„Etwas zu trinken?“ fragte Nick in der Hoffnung, von seiner aufkommenden Panik abzulenken und deutete mit der Hand auf die Cognacflasche. Wahrscheinlich kann dieser Polizist sehen, wie ich schwitze und hören, wie mein Herz rast, mutmaßte er in sich hinein. „Nicht im Dienst“, unterbrach der Polizist die Gedanken von Nick und machte eine ablehnende Handbewegung. „…. aber sie können sich gerne einen Drink nehmen, wenn es ihnen hilft. Also, erzählen sie mal, was hier heute passiert ist.“, Während der Polizist sprach, ging er langsam zu dem großen Fenster, blickte hinaus, und nahm dann auf einem Stuhl an einem kleinen Besprechungstisch Platz. „Sie haben nicht zufällig einen Block und einen Stift hier, damit ich mir ein paar Notizen machen kann?“ fragte der Beamte ein wenig verlegen. Erstaunt kramte Nick die gewünschten Sachen aus einem Rollcontainer unter dem Schreibtisch. Dabei konnte er sehen, wie im Vorgarten immer mehr Polizeiwagen und Polizisten eintrafen, vermutlich auch ein Tierarzt. Nick füllte sich das Glas und setzte sich zum Polizisten an den Tisch. Anfänglich leicht stockend, dann aber sicherer werdend, erklärte er, dass er alte Akten durchgearbeitet, dabei zwischendurch den Disput von Hanna mit dem Gärtner und dessen Arbeit beobachtet, Hanna sich zu einem Lauf durch den Wald verabschiedet hätte und schließlich beobachten konnte, wie der Gärtner zusammenbrach. Den Anruf von Friedrich und die Fotos auf dem Stick, der immer noch wie eine Drohung seitlich im Laptop steckte, erwähnte er natürlich nicht.

Ein zweiter Polizist klopfte höflich an die offen stehende Tür zum Büro und ging ohne zu warten auf den anderen Polizisten zu, beugte sich zu ihm und erklärte diesem leise etwas. Nick konnte die Worte nicht verstehen, sah aber, wie der andere Polizist hin und wieder nickte und sich ein paar Notizen machte. Dann verabschiedete sich der zweite Polizist mit einem leichten Kopfnicken und eilte wieder aus dem Büro. Nick fühlte, wie er kaum noch Luft bekam.

„Also“, setzte der Polizist an. „nach derzeitigem Stand hat ihr Gärtner einen Herzinfarkt erlitten. Leider kam der Notarzt zu spät. Der Arme ist anscheinend noch hier auf ihrem Rasen verstorben. Genaueres können wir aber wohl erst morgen nach einer eingehenden Untersu-chung sagen. Haben sie eine Personalakte von ihrem Gärtner, die sie mir mitgeben können? Die Untersuchung vom Amtstierarzt bei ihrem Hund hat aktuell keine bedrohlichen Verletzungen ergeben. Das Tier hat allerdings eine große Riss-, Schnitt oder Platzwunde an der Schulter, die stark blutet und versorgt werden muss. Daher hat der Arzt ein Beruhigungsmittel verabreicht und den Hund mitgenommen. Übrigens hat der Tierarzt notiert: Außergewöhnlich gut erzogener Hund! Außerdem müssen wir feststellen, ob das Blut auf dem Fell vom Hund selbst stammt oder ob es sich um fremdes Blut handelt. Bis zur Klärung bleibt Ben – so war doch der Name vom Hund, oder? – in Gewahrsam beim Amtstierarzt. Sie können ihn aber sicher morgen besuchen gehen.“

Wortlos stand Nick auf und fischte aus einem Aktenschrank ohne Schlösser, seine Unterlagen über den Gärtner, die er dem Polizisten reichte. Mit fast versagender Stimme fragte Nick den Polizisten: „Was ist mit Hanna? Wollen sie nicht nach ihr suchen?“ „So wie ich das im Moment sehe,“ erklärte der Polizist ruhig und sachlich, „ist ihre Freundin im Wald laufen. Irgendwie scheint sich Ben losgerissen zu haben, hat vielleicht ein Kaninchen oder ein Reh gesehen, was seinen Jagdtrieb geweckt hat, und ist dem Vieh hinterher. Kann sein, dass er sich dabei am Geäst, möglicher Weise auch an einem Stacheldrahtzaun, verletzt hat. Gut möglich, dass ihre Lebensgefährtin noch im oder am Wald herumläuft, um den Köter – verzeihen sie, den Hund – zu suchen. Ihre Lebensgefährtin wird sicher bald hier sein. Falls nicht, können sie morgen zu mir aufs Revier kommen und wir erstellen eine Vermisstenanzeige.“ „Hören sie“, röchelte Nick, dem die Bilder vom Stick nicht aus dem Kopf gehen wollten, „der Amtstierarzt hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Ben ein außergewöhnlich gut erzogener Hund ist. Er würde nie hinter einem Kaninchen oder einem Reh herjagen. Hanna hatte seine Leine um die Hüfte gebunden! Wie soll er sich denn davon losgerissen haben? Ben ist dafür ausgebildet, Menschen zu beschützen. Er würde nie von Hannas Seite weichen!“ wurde Nicks Stimme lauter. „Sie müssen Hanna suchen!“ „Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass selbst bei einem perfekt erzogenen und ausgebildeten Hund der Instinkt eines Wolfes immer noch vorhanden ist. Sie sollten sich also nicht so viele Sorgen um ihre Freundin machen. Die sucht den Hund“, versuchte der Polizist Nick zu beruhigen. Die deutlich sichtbare Unruhe bei Nick, die steigende Lautstärke und Eindringlichkeit bei Nicks Worten konnte der Beamte allerdings jetzt nicht mehr übersehen. „Haben sie einen konkreten Grund für ihre Sorge um ihre Freundin?“ wollte der Polizist nun doch etwas genauer wissen. „Hatten sie und oder ihre Freundin Streit mit irgendjemanden?“ bohrte er weiter. „Nein, nein“, ruderte Nick zurück. „Es ist nur ….“ stammelte Nick weiter, bevor ihn der Polizist unterbrach: „Wenn sie so in Sorge sind, rufen sie doch einfach bei Freunden oder Familie an, wo ihre Freundin sein könnte. Ansonsten empfehle ich zu warten und nicht mehr zu viel von dem Cognac zu trinken. Wie gesagt: Ist sie morgen früh noch immer nicht da, melden sie sich bei mir. Für heute bin ich hier fertig. Auf Wiederse-hen.“ Damit stand der Polizist auf und verließ das Büro. Durch das Fenster konnte Nick sehen, wie der Polizist in den letzten Polizeiwagen stieg und weg fuhr. Nick stand ratlos in seinem Büro – alleine. Es dauerte eine ganze Weile, bis er wieder einen klaren Gedanken fassen konnte.

Obwohl draußen ein Regenschauer aufgezogen war, entschloss sich Nick, sich selbst auf die Suche nach Hanna zu machen. Er zog eine Jacke über und stapfte in den Regen. Nach einer Weile, es war schon fast dunkel, kehrte er durchnässt zum Haus zurück. In der Auffahrt konnte er ein fremdes Auto stehen sehen. Ein Mann stieg aus, als er näher kam, und Nick erkannte den Polizisten. „Bitte entschuldigen sie“, begann der. „Können wir kurz hinein gehen? Sie haben doch Zeit, oder?“ „Natürlich“, bat Nick den Polizisten ins Haus, wo beide Männer triefend vom Regen im Flur stehen blieben. „Ich habe ein wenig nachgeforscht“, begann der Polizist. „Ihr Gärtner war wohl ein echter Pechvogel, hat vor einiger Zeit zwei Finger bei einem Arbeitsunfall verloren. Zum Glück hatte er vorher bei ihnen eine Unfall-versicherung abgeschlossen. Die hat, soweit ich ermitteln konnte, eine ziemlich hohe Summe als Entschädigung gezahlt – für mich außerordentlich hoch, für einen Gärtner. Wissen sie, was er mit dem Geld gemacht hat?“ „Nein, warum sollte ich?“ antwortete Nick kurz. Der Beamte musterte Nick sehr eindringlich, als er erläuterte: „Nun, er hat das Geld wohl seiner Tochter gegeben.“ „Ich wusste nicht, dass er verheiratet war und eine Tochter hatte“, bedauerte Nick. „Er war nie verheiratet“, ergänzte der Polizist. „Die Tochter hat daher den Nachnamen der Mutter behalten: Strauber. Ich glaube, sie kennen die Dame, denn sie betreibt ebenfalls ein Büro als Versicherungsmaklerin, welches sie mit dem Geld von ihrem Vater aufgebaut hat, Artemis Strauber“. Nick hatte das Gefühl, jemand hätte ihm in die Magengrube geschlagen und rang nach Luft. „Dann werde ich mal zu Frau Artemis Strauber fahren, und ihr die traurige Nachricht vom Tod ihres Vater überbringen“, verabschiedet sich der Beamte. „Ach so: Der Tierarzt hat die Wunde bei ihrem Hund nähen müssen.
Er sagt, dass es dem Tier ansonsten gut gehen würde. Kommen sie doch bitte morgen zu mir aufs Revier. Paßt zehn Uhr?“ „Denke schon“, flüsterte Nick fast und brachte den Polizisten zur Tür. Alles drehte sich in Nicks Kopf. Mühsam schleppte er sich ins Wohnzimmer und ließ sich auf die Couch fallen. Dann wurde es schwarz um ihn.

Als Nick wieder zu sich kam, war es immer noch Nacht und er musste feststellen, dass er immer noch durchnässt war. Kleine Pfützen auf dem polierten Parkettboden zeigten seinen Weg zur Couch. Ein bohrender Kopfschmerz ließ Tränen in seine Augen schießen. Mühsam rappelte er sich auf, zog seine nasse Kleidung aus und ging duschen. Bevor er ins Schlafzimmer ging nahm er in der Küche noch eine Flasche Mineralwasser aus dem Kühlschrank, die er fast in einem Zug leerte. Auf dem Weg von der Küche ins Schlafzimmer bemerkte Nick, dass in seinem Büro noch Licht brannte. Also ging er langsam barfuss über den langen Korridor zum Büro und wunderte sich über die kleinen Wasserpfützen auf dem Holzboden. Während er ging grübelte er darüber nach, warum er sich nicht erinnern konnte, nach der Verabschiedung des Polizisten hier lang gegangen zu sein. Im Büro angekommen traute er seinen Augen nicht. An seinem Schreibtisch vor seinem Laptop, der immer noch zugeklappt war, saß Friedrich von Grothen! Seine nasse Jacke hing über dem Bürostuhl. Fast alle Akten waren aufgeschlagen und lagen auf dem gesamten Schreibtisch verteilt, die Schubkästen vom Rollcontainer standen genauso offen, wie die Türen des Aktenschrankes.

Rötliches Wasser tropfte von Friedrichs Kleidung. Durch die Ärmel des feuchten Hemdes zeichneten sich an beiden Arme die Konturen von provisorischen Verbänden ab. Blut sickerte in dünnen, roten Fäden durch diese Verbände und die Hemdsärmel auf den Boden und auch an einem Hosenbein zeichnete sich ein großer, dunkelroter Fleck ab. Friedrich hatte sich an der Cognacflasche bedient, die immer noch auf dem Schreibtisch stand. Nick konnte ein heiseres Räuspern nicht unterdrücken, worauf sich Friedrich im Bürostuhl sitzend umdrehte. Einen Augenblick starrten die Männer sich an.

„Was machst du hier und wie zum Teufel bist du hier hinein gekommen? Was ist mit Hanna?“ keuchte Nick und ballte die Fäuste zusammen. „Hanna? Wieso? Ist die nicht zu Hause?“ fragte Friedrich nach. „Nein“, presste Nick heraus. „Hanna ist laufen gegangen und als sie weg war ist hier in meinem Garten mein Gärtner tot zusammengebrochen: Kranken-wagen, jede Menge Polizei und dann taucht Ben blutverschmiert und hinkend hier auf. Jetzt sitzt du hier! Glaubst du, dass ich blind bin und nicht sehen kann, dass du an Armen und zumindest einem Bein verletzt bist?“ „Ganz ruhig, es ist nicht so, wie es für dich aussehen mag“ beschwichtigte Friedrich ihn. „Ich muss dir ja nicht erklären, dass Hanna und ich nicht das beste Verhältnis haben, seit ihr klar war, dass ich nach dem Tod von Vater die Firma übernehmen würde und sie ja dann auch übernommen habe. Daher war ich ziemlich überrascht, als Hanna mich vor ein paar Tagen anrief und um ein Gespräch bat – nur wir zwei – auf „neutralem“ Boden. Also haben wir uns zum Laufen durch den Wald verabredet“, Friedrich stockte und lächelte plötzlich ein wenig. „Wir sind früher oft zusammen Laufen gegangen“, erinnerte er sich. Sein Gesicht wurde wieder ernst. „Also, heute war der Tag “, erzählte Friedrich weiter. „Hanna kam mit eurem Ben angetrabt und wir sind ein Stück gelaufen. An dem kleinen See im Wald haben wir dann Pause gemacht und Hanna hat mir Vorhaltungen gemacht, ich wäre Schuld am Tod von Vater, sie hätte ebenfalls ein Anrecht auf die Führung der Firma …. Ich nehme an, dass sie Geld wollte. Jedenfalls, wir gerieten in Streit und ich hab sie wohl irgendwie gestoßen, worauf dein Köter direkt die Nackenhaare aufgestellt und zu knurren angefangen hat. Mann, das Vieh kann echt eindrucksvoll sein! Sie hat ihren Wachhund dann auch direkt von sich losgebunden, die Leine in der Hand gehalten und mir gedroht, dieses Monster auf mich zu hetzen, wenn ich sie noch einmal anfasse.“ „Was ist mit Hanna?“ unterbrach Nick ihn drohend. „Wir haben inzwischen genug Geld und brauchen daher dein Geld nicht mehr. Ich frage dich zum letzten Mal: Was ist mit Hanna?“

„Langsam Nick, bitte“, stoppte Friedrich den aufkommenden Wutausbruch von Nick. „Irgendwie hat Hanna, dann wohl das Gleichgewicht verloren und ist die kleine Böschung zum See hinunter gepurzelt. Ich schwöre, dass ich sie höchstens ganz leicht berührt habe! Dann ist auch schon deine Bestie auf mich losgegangen.“ Friedrich zog langsam ein Hosenbein hoch und während Nick auf den durchgebluteten, provisorischen Verband blickte, konnte er sich ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen. „Ich bin also auf den Rücken gefallen“, führte Friedrich weiter aus, „und habe einen großen Ast zu fassen bekommen, der neben mir auf dem Boden lag und damit auf deinen durchgedrehten Köter wie wild eingeprügelt. Dabei hat er wieder und wieder in meine Arme gebissen. Ich kann von Glück reden, dass er mich nicht an der Kehle zu packen bekommen hat!“ Zum Beweis steckte er Nick beide Arme entgegen bei denen das Blut inzwischen deutlich auf dem Ärmeln zu sehen war. „Dann hörte ich einen Pfiff und dein Ben blieb knurrend wie angewurzelt stehen. Als ich mich dann wieder aufgerappelt hatte konnte ich Hanna sehen. Sie lag auf die Ellenbogen gestützt an der Böschung, eines ihrer Beine war merkwürdig abgewinkelt und sie blutete am Kopf. Sie schrie etwas von: Sie wolle nicht, dass sich der Hund an meinem Blut vergiften würde, dass sich mich anders fertig machen würden, sie hätte Beweise. Dann habe ich ihren Schlüsselbund auf dem Boden liegen gesehen und aufgehoben. Als sie das sah, hat sie nur „Lauf“ gesagt, und dein so treuer Wachhund ist losgelaufen.“ Friedrich musste ein paar Mal tief Luft holen. „H a n n a i s t a b e r n i c h t h i e r “! brüllte Nick ihn an, „und ich war sie schon suchen, bis zum See. Da war niemand! Und was gibt dir das Recht, in mein Haus einzubrechen?“

„Ich bin nicht in dein Haus eingebrochen, denn ich hatte einen Schlüssel“, gab Friedrich spitzfindig zurück. „Bleib jetzt bitte sachlich. Was kann Hanna gegen mich in der Hand haben?“ Dabei deutete er vielsagend auf die Akten auf dem Schreibtisch. „Kann sie etwas von dem Autounfall wissen, bei dem Vaters Chauffeur uns Leben kam, Vater selbst aber überlebte? Du weißt schon, der Unfall, der dank deiner Problemlöser auf die Werkstatt wegen eines Wartungsfehlers bei der Inspektion des Wagens „zurückgeführt“ werden konnte.“ Friedrichs Stimme wirkte jetzt angespannt und konzentriert. Die Bilder vom Stick blitzten in Nicks Kopf auf. „Hast du irgendwelche Unterlagen, Akten über die Gasexplosion auf Vaters Luxusyacht in deinen Archiven, bei dem der Alte endlich seinen Platz für mich geräumt hat?“ bohrte Friedrich weiter. „Nein, nichts“, erwiderte Nick energisch und sein Blick fiel auf den Laptop, der halb unter Akten begraben immer noch geschlossen auf dem Schreibtisch lag. „Bist du sicher?“ fragte Friedrich. „Ich bin hierher gekommen, um dich genau danach zu fragen. Als ich kein Licht im Haus sah, wollte ich selbst sehen, ob ich hier etwas finden kann, was mich belastet. Hab mir gedacht, dass ihr entweder wegen Hanna im Krankenhaus oder wegen dem Mistvieh beim Tierarzt seid. Nick, mach dir folgendes klar: Wenn Hanna etwas gegen mich in der Hand hat, bist du auch dran!“ Mit diesen Worten stand Friedrich auf, zog die nasse Jacke über und fischte Hannas Schlüsselbund aus einer Seitentasche. Er warf den Schlüsselbund Nick zu und humpelte dann an ihm vorbei. Als Friedrich neben Nick stand sah er ihn scharf an. „Merk dir das“, zischte Friedrich. „Wenn ich falle, fällst du auch!“ Dann hörte Nick, wie Friedrich die Treppe hinunter ging und die Eingangstür ins Schloss fiel. In einer Mischung aus Wut und Verzweiflung fegte Nick mit einem Arme über den Schreibtisch und warf damit einen Teil der Akten zu Boden. Die Cognacflasche kippte um und rollte vom Schreibtisch. Mit einem scharfen Klirren zerplatzte die Flasche auf dem Boden in tausend Splitter.

Am nächsten Morgen fuhr Nick wie verabredet um zehn Uhr zur Polizeiwache. Vorher hatte er gefrühstückt, Kaffee und keinen Cognac getrunken, und einen Anzug mit Hemd und Krawatte angezogen. Trotzdem konnte er dieses untrügliche Gefühl, dass er einer Katastrophe entgegen fuhr, nicht loswerden. Auf dem Parkplatz der Polizeiwache herrschte reger Betrieb. Polizeiwagen kamen und fuhren, Polizisten stiegen in Mannschaftswagen ein und auch einige Hundeführer mit ihren Polizeihunden waren zu sehen. Der Polizist wartete schon im Eingangsbereich auf ihn. „Schön, dass sie da sind“, begrüßte er Nick. „Folgen sie mir bitte in mein Büro.“ Das Büro war nüchtern und schmucklos, abgesehen von ein paar Urkunden an der Wand. „Gut“, begann der Polizist ohne Umschweife. „Wie sie sehen, herrscht bei uns gerade reges Treiben. Wir haben bereits heute früh am morgen eine Suchaktion nach ihrer Freundin begonnen. Grund: In der Nacht haben wir die Blutspuren an ihrem Hund untersucht. Ein Teil des Blutes stammt von dem Tier selbst, aber ein anderer Teil nicht. Der ist eindeutig von einem Menschen. Von wem wissen wir allerdings noch nicht. Sie haben da nicht vielleicht eine Vermutung?“ Dabei musterte der Polizist Nick wieder mit diesem eindringlichen Blick wie beim Gespräch am letzten Abend. „Bevor sie ihren Gärtner eingestellt haben, hat dieser für die Familie von Grothen, ich meine damit den verstorbenen Senior, Günther von Grothen, gearbeitet?“ befragte der Polizist Nick. „Das ist korrekt“, antwortet Nick steif. „Sie sollten diese Angaben auch in meinen Personalunterlagen vom Gärtner finden, die ich ihnen gegeben habe.“ „Wenn ich das richtig einordne, haben sie ihn nach dem Arbeitsunfall, bei dem er zwei Finger verloren hat eingestellt“, sinnierte der Polizist scharfsinnig und schob direkt grob die Frage hinterher: „Warum?“ Nick zögerte einen Augenblick bevor er erklärte: „Er tat mir Leid. Nach dem Unfall war Günther von Grothen wohl der Meinung, dass er mit einem solchen Handicap nicht mehr viel als Gärtner taugen würde.“ Der Beamte sah Nick durchdringend an. „Sie sagten, dass Ihr Gärtner an einer Flasche Mineralwasser trank, bevor er zusammenbrach. Brachte er das Mineralwasser selbst mit, oder durfte er sich bei ihnen bedienen?“ Ohne zu zögern antwortete Nick: „Er brachte sein Essen und seine Getränke immer selbst mit. Warum?“ „Nun“, erklärte der Polizist. „Bei der Obduktion ihres Gärtners wurden Spuren eines Präparates gefunden, welches zum Muskelaufbau bei Hunden – in der Regel bei großen Hunden – verwendet wird. Dieses Präparat kann man in jeder gut sortierten Tierfutterabteilung eines entsprechenden Geschäftes kaufen. In ausreichender Dosierung führt es beim Menschen zu Herzversagen.“ Nick musste sich heftig räuspern und die Krawatte lockern.

Es klopfte an der Tür und der Polizist, den Nick schon am Vortag kurz kennen gelernt hatte kam zügig in Büro, nickte Nick kurz zu und legte dann eine Akte vor dem anderen Beamten auf den Schreibtisch. Der klappte die Akte auf, in der neben ein paar beschriebenen Seiten auch Fotos, wie Nick erkennen konnte, lagen. Die beiden unterhielten sich kurz und so leise, dass Nick sie nicht verstehen konnte. Zwischendurch sahen sie mit ernster Miene zu Nick herüber. Nick verspürte den unbedingten Wunsch, seine Krawatte zu lockern. Der zweite Polizist verließ das Büro wieder und als sich ihre Blicke begegneten, sah Nick etwas in seinen Augen, was ihm Angst machte. Mit ungewöhnlich behutsamer Stimme fragt „sein“ Polizist: „Können sie mir sagen, welche Kleidung Johanna von Grothen trug, als sie sich von Ihnen gestern zum Laufen verabschiedete?“ Während Nick das Aussehen von Hanna gestern beim Verlassen des Grundstücks unbeholfen beschrieb, betrachtete der Polizist immer wieder die Fotos. Dann herrschte für einen endlos langen Moment Ruhe. Sehr behutsam begann der Polizist: „Unsere Suchmannschaften haben eben im Wald …“ er machte eine kurze Pause, „ … die Leiche einer Frau gefunden …..“ Wieder hielt der Polizeibeamte inne, und Nick schloss langsam seine Augen. „…. ihrer Beschreibung nach muss ich davon ausgehen, dass es sich um Johanna von Grothen handelt!“ Die Stille war jetzt fast unerträglich und Nick hörte sich selbst um Luft ringen. „Nach dem ersten Bericht hier, wurde der leblose Körper etwa fünfhundert Meter vom See entfernt, allerdings nicht in Richtung ihres Hauses, sondern in entgegen gesetzter Richtung gefunden“, fuhr er langsam und sanft fort. „ Laut den ersten Untersuchungen vor Ort wies der Körper Schürf- und Platzwunden wie nach einem Sturz auf. Todesursache war aber nach ersten Erkenntnissen wahrscheinlich eine Kopfverletzung. Vielleicht möchten sie eine Aussage machen? Denken sie bitte dabei daran, dass sie sich nicht selbst belasten müssen. Natürlich dürfen sie vorher gerne einen Anwalt konsultieren. Ich überlasse ihnen gerne mein Büro für ein paar Minuten. Falls sie mein Telefon benutzen möchten, wählen sie bitte zuerst eine Nu ……“ Nick hörte die letzten Worte des Polizisten nicht mehr wirklich. Es war ihm, als wäre sein Kopf unter Wasser und versuchte, die Stimmen von außerhalb des Wassers zu verstehen.

In einer Art Automatismus wählte Nick auf seinem Handy die Nummer seines Anwaltes. In kurzen, abgehackten Sätzen, erklärte Nick, was passiert war und was er davon verstand oder besser: Zuordnen konnte. Er erwähnte den unbeschrifteten Stick mit den Fotos und ebenfalls den nächtlichen Besuch von Friedrich sowie den Inhalt ihres Gespräches. Der Anwalt versprach, sich sofort auf den Weg zu machen und schärfte Nick ein, sich nicht mehr zu äußern. Als der Polizist wieder in das Büro kam, saß Nick auf dem Stuhl, den Kopf weinend in seine Hände vergraben. Schweigend verbrachten die Männer die Zeit, bis es an der Tür klopfte und der zweite Polizist Nicks Anwalt hinein führte.

Der Anwalt ergriff sofort die Initiative, reichte dem Polizisten kurz und förmlich die Hand, bevor er Nick aufmunternd zunickte. „Was wird meinem Mandanten vorgeworfen?“ fragte der Anwalt knapp und sachlich. „Gestern erlag der Gärtner ihres Mandanten auf dem Grundstück ihres Mandanten einem akuten Herzversagen, vermutlich hervorgerufen durch ein Präparat, welches zum Muskelaufbau bei Hunden verwendet wird“, erwiderte der Beamte ebenso knapp. „Während der polizeilichen Sicherung des Unfallortes und der sofort eingeleiteten notärztlichen Maßnahmen kam der Hund, eine Dogge, ihres Mandanten auf das Grundstück ihres Mandanten zurück. Das Tier war verletzt und wies deutliche Blutspuren im Fell auf. Nach einer ersten Untersuchung stammt das Blut teils vom Hund selbst und ist zum anderen Teil eindeutig von einem Menschen. Weitere Untersuchungen stehen noch aus“, zählte der Polizist kühl auf und betonte das Worte Mandant jedes Mal besonders. „Noch während die eben von mir genannten Maßnahmen liefen, gab ihr Mandant mir gegenüber an, dass seine Lebensgefährtin in Begleitung des Hundes im Wald laufen wäre und er zeigte sich bereits zu diesem Zeitpunkt sehr besorgt über deren Verbleib. Heute Morgen haben dann Suchmannschaften der Polizei im Wald die Leiche einer Frau gefunden, auf der die von ihrem Mandanten abgegebene Beschreibung seiner Lebensgefährtin zutrifft. Hier steht die Identifizierung durch ihren Mandanten noch aus. Wir haben daher berechtigten Grund zur Annahme, dass ihr Mandant sowohl mit dem Tod des Gärtners als auch mit der gefundenen, weiblichen Leiche in Verbindung zu bringen ist. Ein amtlicher Durchsuchungsbefehl für das Anwesen ihres Mandanten ist beantragt und sollte in Kürze vorliegen“, schloss der Polizist seine Aufzählung der Fakten. „Ich bitte sie“, setzte der Anwalt ein. „Sie haben eine Menge Vermutungen, aber keinerlei konkrete Hinweise auf ein, wie auch immer geartetes, schuldhaftes Verhalten meines Mandanten.“ und lächelte siegessicher „Wir werden sehen, was die Durchsuchung des Anwesens ihres Mandanten erbringt“, lächelte der Polizist frostig zurück. „Darf ich mich kurz mit meinem Mandanten alleine besprechen?“ fragte der Anwalt etwas zurückhaltender.

Einige Minuten später bat der Anwalt den Polizisten wieder ins Büro. „Mein Mandant möchte eine Aussage machen“, leitete er ein und erteilte Nick mit einem Handzeichen das Wort. Nick räusperte sich und schilderte die Begegnung mit Friedrich in der letzten Nacht. Nachdem er geendet hatte griff der Polizist zu seinem Telefon auf dem Schreibtisch. „Bitte zwei Streifenwagen umgehend zur von Grothen Villa. Bringen sie bitte Friedrich von Grothen hier her. Zwei weitere Streifenwagen sowie ein Team der Spurensicherung und ein Transporter zum eventuellen Abtransport von Beweismittel kommen mit mir“, wies er an. Als der Beamte aufstand und am Anwalt vorbei ging, drückte er diesen ein Schreiben mit den Worten vor die Brust. „Nur der Form halber: Der Durchsuchungsbeschluss!“ Der Polizist öffnete Tür seines Büros und wies mit einer ausladenden Geste seines Armes hinaus. „Nach ihnen bitte, meine Herren!“

Die Kolonne der Polizeifahrzeuge rollte die Einfahrt zu Nicks Haus hoch, gefolgt vom zivilen Auto seines Anwalts. Ein Teil der Polizisten verteilte sich auf dem Grundstück, der Rest folgte Nick ins Haus. Der Polizist teilte die Polizisten in Gruppen ein, die damit begannen, das Haus systematisch zu durchsuchen. Eine kleine Gruppe behielt er bei sich und wendete sich zu Nick. „Ich glaube wir sollten erst einmal ihr Arbeitszimmer in Augenschein nehmen.“ Nick musste unkontrolliert zucken und sich räuspern. Also führte er sie die Treppe hinauf. Das Zimmer war so, wie Nick es in der Nacht bei nach Friedrichs Besuch zurückgelassen hatte. Auf dem Boden lagen neben einigen Akten die Glasscherben der zerbrochenen Cognacflasche. Rund um den Bürostuhl waren deutlich Wasser- und Blutflecken zu erkennen. Zwischen den auf dem Tisch verbliebenen Akten lag der Laptop bei dem der Stick wie ein Messer immer noch in der Seite steckte. „Holen sie die Spurensicherung“, ordnete der Polizist an. Männer in Polizeiuniformen und andere mit Kitteln betraten den Raum, stellten an verschiedenen Stellen Fähnchen mit Nummern auf und machten Fotos. Nick hatte sich mit seinem Anwalt an den Tisch gesetzt und beobachtete das Treiben mit fassungslosem Gesichtsausdruck. Selbst sein Anwalt schwieg. Auf Anweisung musste Nick den Aktenschrank komplett öffnen und auch die noch im Schrank befindlichen Akten wurden sichergestellt. Als der Laptop eingepackt wurde, erklärte der Polizist knapp: „Das Gerät wird ebenfalls sicher gestellt. Es wird sicher etwas dauern, bis wir das gesamte Material und die Dateien auf dem Laptop gesichtet haben. Bis zur Auswertung der Spuren sind sie vorläufig festgenommen! Sie haben jetzt die Gelegenheit, in Begleitung eines Beamten Wäsche, Hygieneartikel und falls nötig, Medikamente, die sie benötigen, einzupacken.“ Dabei blickte er kurz zum Anwalt, der nur kurz nickte. Als sie das Haus verließen, um zum Polizeiwagen zu gehen, kam ein Beamter der Spurensicherung auf sie zu und hielt eine durchsichtigen Plastikbeutel hoch. „Medikamente und Pflegemittel für einen Hund“, erklärte er. „Haben wir im Gartenhaus neben Hundefutter und anderem Zubehör für einen Hund gefunden.“ Der Polizist nickt nur.

Den Rest des Tages und die folgende Nacht verbrachte Nick in Untersuchungshaft. Seine Zelle war kahl und kalt. Sogar der Toiletten- und Waschbereich wurde durch eine Kamera überwacht und es gab keinen Vorhang, um selbst diesen intimen Bereich vor den Blicken durch die Kamera zu schützen. Am Morgen öffnete sich die Zellentür und ein Polizist erklärte ihm, dass man ihn nun zur Identifizierung einer Leiche bringen würde. Wenig später betrat Nick einen kühlen, steril gefliesten Raum, in dem der ihm schon bekannte Polizist auf ihn wartete. „Bitte, kommen sie“, begrüßte er Nick. Sie traten neben einen Tisch aus Edelstahl und der Polizist zog eine Art Decke von einem Körper. Nick schloss seine Augen und drehte den Kopf zur Seite. „Ist das ihre Lebensgefährtin Johanna von Grothen?“ fragte der Polizist leise. Nick drehte den Kopf wieder zurück und stammelte: „Nein, das ist nicht Hanna.“ Er musste eine Pause machen bevor er ergänzte: „Das ist Atemis Strauber in ähnlichen Sachen, die Hanna getragen hat!“ Nick konnte hören, wie der Polizist pfeifend Luft holte, und musste sich übergeben. Der Polizeibeamte reichte Nick ein paar Tücher und schlug dann vor: „Wir sollten in mein Büro gehen. Da gibt es sicher ein paar Dinge, die sie mir erklären können.“

Im Büro des Polizisten lagen etliche Aktenmappen, Schriftstücke und Fotos auf dem Schreib- tisch. „Soweit ich das aus ihren eigenen Akten bereits sehen kann, sind sich also nichts anderes, als ein mieser Versicherungsbetrüger“, eröffnete er das Gespräch. „Vielleicht sollte ich besser sagen: Sie helfen ihren Kunden eine Versicherung zu betrügen.“ Er unterbrach sich selbst kurz. „Verzeihen sie, ich vergaß: Sie müssen natürlich ohne ihren Anwalt nichts sagen“, ergänzte er. „Möchte sie telefonieren, oder helfen sie mir auch so?“ Nick nickte vorsichtig. „Gut“, meinte der Polizist. „Versicherungsbetrug, vor allem in erheblichem Umfang, ist ganz bestimmt kein Kavaliersdelikt. Mord oder Beihilfe zu einem Mord ist da schon eine ganz andere Nummer. Für mich ergeben sich nun einige Fragen, vor allem: Was ergibt der Vergleich der Spuren, vor allem der Blutspuren aus ihrem Haus, mit den Spuren von Fundort der Leiche Im Wald? Wo ist ihre Lebensgefährtin?“ „Ich weiß es nicht“, stöhnte Nick. „Ja, ich habe Fälle von Kunden im Sinne der Kunden bearbeitet und meinen Ermessensspielraum dabei teilweise ausgenutzt, aber ich habe niemanden getötet!“ „Bitte“, unterbrach ihn der Polizist. „Sie sollte mich nicht für dumm halten. Aus ihren eigenen Aufzeichnungen in ihren eigenen Akten kann ich sehr wohl rekonstruieren, in wie weit sie ihren „Ermessensspiel-raum“ ausgeschöpft haben. Das zu beurteilen ist aber nicht meine Aufgabe. Meiner Meinung nach bewegen sie sich im Moment im Bereich des Versicherungsbetruges, im günstigsten Fall Beihilfe zum Versicherungsbetrug. Da werden sicher Schadenersatzforderungen auf sie zukommen und ein Strafverfahren mit Bußgeld und einer geringen Haftstrafe – noch!“

Ein weiterer Polizist betrat nach kurzem Anklopfen das Büro und legte wieder eine Akten-mappe mit Schriftstücken und Fotos auf den Schreibtisch und sprach kurz leise mit dem Anderen. Dieser studierte sofort die Berichte und blies dabei die Backen auf. „Schicken sie sofort zwei Wagen zur von Grothen Villa und bringen sie mir Friedrich von Grothen“, ordnete er scharf an. Dann blickte er zu Nick herüber. „Wir haben gestern von Friedrich von Grothen bei seiner Befragung hier unter anderem seine Fingerabdrücke und eine Blutprobe von ihm entnommen, reine Routine. Er hat bestätigt, dass er mit ihrer Lebensgefährtin im Wald laufen war und es einen Streit gab – mehr nicht. Nach einer ersten Analyse sind die Blutspuren aus ihrem Büro identisch mit Blutspuren, die im Wald am Boden, an der Kleidung von, wie wir jetzt ja wissen – Artemis Strauber – und am Fell ihres Hundes zu finden waren. Es handelt sich dabei mit großer Wahrscheinlichkeit um das Blut von Friedrich von Grothen. Daneben haben wir auf einem Ast ebenfalls Blutspuren und die Fingerabdrücke von Friedrich von Grothen feststellen können – allerdings auch andere Blutspuren, die derzeit noch untersucht werden.“ Der Polizist machte eine Pause und kaute leicht auf seiner Unterlippe. „Damit sieht es so aus, als hätten sie tatsächlich nichts mit dem Tode von Artemis Strauber zu tun. Das erklärt allerdings noch nicht, warum wir Spuren ihrer Hundemedizin im Körper ihres Gärtners gefunden haben, der daran ganz offensichtlich verstorben ist,“ ließ der Polizist Nick an seinen Gedanken teilhaben. „Außerdem wissen wir auch noch nicht, wo Johanna von Grothen steckt. Nehmen wir einmal an, ich glaube ihrer Beschreibung des Gespräches mit Friedrich von Grothen in der Nacht, dann war ihre Freundin verletzt, vermutlich ein Bein gebrochen und unter Anderem eine Kopfverletzung. Vielleicht hat sie jemand im Wald am See gefunden und in ein Krankenhaus gebracht.“ Der Polizist nahm den Hörer seines Telefons auf dem Schreib-tisch ab und forderte einen anderen Polizisten dazu auf, ihm alle Einlieferungen von Unfällen in die Krankenhäuser der Gegend während der letzten zwei Tage und Nächte zu besorgen. Es dauerte nicht lange, bis ein fremder Polizist das Büro betrat und nur einen Zettel über den Schreibtisch reicht. „Bingo!“ entfuhr es dem anderen Polizisten. „Ich glaube, wir haben ihre Freundin in einem Krankenhaus gefunden. Da es mir nach derzeitigem Stand nicht erforderlich scheint, sie hier weiter festzuhalten, können sie ihre Sachen packen und mich zum Krankenhaus begleiten. Ihren Ausweis behalte ich allerdings und sie dürfen ihren Wohnort nicht verlassen. Habe ich mich da klar ausgedrückt?“ Nick stimmte mit einem Kopfnicken zu.

Als die beiden Männer das Krankenhaus betraten, wartete bereits ein Arzt auf sie. Er erklärte kurz, dass eine weibliche Person mit gebrochenem Bein, verschiedenen Verletzungen, unter Anderem eine Kopfverletzung, vorletzte Nacht von einer unbekannten, männlichen Person in die Notaufnahme des Krankenhauses gebracht worden wäre. Die männliche Person wäre sofort wieder verschwunden, ohne dass man deren Personalien hätte feststellen können. Infolge der Kopfverletzung würde die eingelieferte Frau an einer partiellen Amnesie, also teilweisen Gedächtnisverlust, leiden. Obwohl die Männer zügig über die Korridore gingen, schien es Nick, als würden sie sich in Zeitlupe bewegten.

Sie betraten das Krankenzimmer. Trotz eines dicken Verbandes um den Kopf und verschiedenen Verletzungen am Kopf erkannte Nick Hanna sofort und stürzte schluchzend an ihr Krankenbett. Hanna blickte ihn aus leeren Augen an, während Nick ihre Hand nahm und diese zärtlich streichelte. Leise erklärte der Arzt, dass weder abschätzbar wäre, wie lange die Amnesie anhalten würde, noch ob sie überhaupt weichen würde, denn die Patientin könne sich nicht einmal an ihre Namen erinnern. Nach seinen Untersuchungen hätte Hanna ein schweres Schädel-Hirntrauma erlitten. „Ich muss zurück aufs Revier, um Friedrich von Grothen zu befragen“, entschuldigte sich der Polizist ebenfalls leise und legte Nick tröstend die Hand auf die Schulter. „Falls aus medizinischer Sicht nichts dagegen spricht, können sie gerne noch hier bleiben. Haben sie genug Geld für ein Taxi nach Hause dabei?“ „Ja“, hauchte Nick. „Danke.“ Der Polizist verabschiedete sich mit den Worten: „Ich melde mich bei ihnen, sobald sich etwas Neues ergibt, spätestens morgen früh.“

Am nächsten Morgen klingelte es bei Nick an der Haustür, vor der der Polizist stand. „Darf ich hinein kommen“, fragt er. „Natürlich“, antwortete Nick. Der Polizist sah, dass Nick damit begonnen hatte, sein Haus nach der Durchsuchung wieder aufzuräumen. Nick bat den Polizisten ins Wohnzimmer, der sich auf einer Couch niederließ und ein Notizbuch zückte. Er erklärte Nick, dass Friedrich in Gegenwart seines Anwaltes erklärte habe, Hanna beim Streit im Wald geschlagen und verletzt am See zurückgelassen habe. Alleine dies, so führte er in seinem Amtsdeutsch weiter aus, würde zumindest den Tatbestand einer gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit unterlassener Hilfeleistung erfüllen. Aus diesem Grund wäre Friedrich vorläufig festgenommen und der Vorgang an die Staatsanwaltschaft weiter geleitet worden. Nicks eigene Akten sowie der Laptop und der an diesem befindliche USB-Stick mit Fotos, die noch nicht zugeordnet werden könnten, würden ebenfalls als Beweismittel überstellt. „Damit ist aber noch zu klären, wie und warum ihr Gärtner starb und wie und warum Artemis Strauber starb“, formulierte der Polizist seine Gedanken. „Sie werden sich allerdings in jedem Fall wegen Versicherungsbetrug und Beihilfe zum Versicherungsbetrug verantworten müssen. Außerdem werden wir die verfügbaren Unterlagen zu einem Autounfall auf der A8 und einer Gasexplosion auf einer Yacht, bei der Günther von Grothen uns Leben kam, sehr genau prüfen. Abhängig vom Ausgang dieser Untersuchungen ist es durchaus möglich, dass man ihnen auch noch Beihilfe zur Verschleierung einer Straftat vorwerfen wird. Das entscheidet aber der Staatsanwalt.“ Nick musste sich räuspern. „Ach so“, fügte der Polizist noch an. „Wir gehen davon aus, dass die Staatsanwaltschaft die sterblichen Überreste vom Artemis Stauber zur Beerdigung frei gibt, sobald alle Untersuchungen abgeschlossen sind. Da sonst augenscheinlich keine weiteren Verwandten vorhanden sind, haben wir die Mutter ausfindig gemacht, und sie über alle wichtigen Dinge informiert.“

Die Beerdigung von Artemis Strauber fand an einem verregneten Tag statt. Den Termin hatte Nick von „seinem“ Polizisten erfahren. Zuerst war Nick sich nicht sicher gewesen, ob er zur Beerdigung gehen sollte, aber eine undefinierbare, innere Stimme sagte ihm, dass er dort hin gehen sollte. Es war nur eine sehr kleine Trauergemeinschaft versammelt: Der Polizist, eine ältere Frau sowie drei Angestellte aus dem Versicherungsbüro von Artemis, die Nick vom Sehen her kannte. Nick hatte sich etwas abseits gestellt. Nach der Trauerzeremonie verlief sich die Gesellschaft schnell und die ältere Frau kam auf ihn zu und lächelte ihn an. „Sie sind Nick“, sprach sie ihn an. „Wahrscheinlich erinnern sie sich nicht an mich, denn wir haben uns ein oder zwei Male gesehen, als sie zusammen mit Artemis die Lehre gemacht haben. Ich bin die Mutter von Artemis. Kommen sie, begleiten sie mich ein Stück.“ Nick war etwas überrascht, denn eigentlich hätte er eine Mutter in tiefer Trauer um ihre verstorbene Tochter erwartet, aber die Mutter von Artemis wirkte fast heiter.

„Haben sie schon gehört, dass Friedrich von Grothen wegen versuchten Totschlags an ihrer Freundin sowie wegen Mord an seinem Vater und an meiner Tochter angeklagt wird?“ fragt sie sehr ruhig. „Die Staatsanwaltschaft scheint wohl einige Fotos auf einem Datenträger und einige sehr aufschlussreiche Informationen in ihren Akten gefunden zu haben, die als Grund für die Erhebung einer Anklage reichen“, fuhr sie fort. „Neben ihren kleineren Betrügereien werden sie sich da auch wohl wegen Mittäterschaft verantworten müssen. Wenn sie Glück haben, kommen sie mit fünf Jahren Haft davon“, lächelte sie ihn an. Verständnislos blickte Nick die Frau an. „Warum erzählen sie mir das?“ wollte er wissen. „Auch ich habe für die Familie von Grothen gearbeitet, als Hauswirtschafterin “, erklärte die Mutter von Artemis. „Irgendwann war ich die Geliebte von Günther, Günther von Grothen. Er war charmant, wohlhabend – und mir gegenüber sehr großzügig“, führte sie weiter aus. „Auch wenn er mich nie hätte heiraten können, hatte er mir ein sorgenfreies Leben versprochen.“ Ihr Gesichts-ausdruck verhärtete sich. „ Aber auch ihr Gärtner hatte ein Auge auf mich geworfen und irgendwann nahm er sich mit Gewalt das, was ich ihm nicht freiwillig geben wollte. Ich wurde schwanger mit einem Kind, welches ich nie haben wollte.“ Nick musste sich räuspern. „Als Günther von der Schwangerschaft erfuhr, hat er mich fallen lassen, wie eine heiße Kartoffel und mich entlassen. Mit einem Kind am Hals, welches meine Zukunft zerstörte hatte und dessen leiblicher Vater über Jahre die Verantwortung hierfür von sich gewiesen hatte, musste ich mich durchschlagen. Als Artemis dich kennen gelernt hatte, hatte ich gehofft, endlich wieder frei sein zu können. Wieder zerstörte die Familie von Grothen meine Lebensplanung, dieses Mal in Person von Johanna von Grothen, die du meiner Tochter vorgezogen hast.“ Nick blickte immer wieder ungläubig zu dieser Frau hinüber, die ihn inzwischen wieder freundlich anlächelte. „ Also habe ich Euch alle beobachtet und meine Rache geplant, wieder und wieder. Wie viele Pläne habe ich entwickelt und wieder verworfen? Ich habe in dem Tierfachgeschäft die Regale aufgefüllt, wo du alles für deinen Hund gekauft hast und gesehen, was du gekauft hast. Ich habe Zeitungen im Bezirk deines Hauses ausgetragen und morgens in deinen Briefkasten geworfen, als ihr noch geschlafen habt.

Damit konnte ich sehen, was hinter deiner Hecke passiert.“ Nick blieb abrupt stehen und hielt sie am Arm fest. Mit einer energischen Bewegung riss sie sich los. „Wusstest du, dass Artemis ein Verhältnis ausgerechnet mit Friedrich von Grothen hatte?“ lachte sie bitter. „Als ob sich ein unseeliger Kreis schließen würde: Ich liebte den Vater und dann beginnt meine Tochter eine Liebschaft mit dem Sohn. Welche bittere Enttäuschung, welche Schmach für mich!“ Nick konnte nicht glauben, was er hörte. „Natürlich habe ich der Polizei einen versteckten Hinweis zukommen lassen, ähnlich wie die Hinweise auf dem Stick, den ich DIR in den Briefkasten geworfen habe“, plauderte die Frau weiter. „Dein Polizist ist clever und hat sicher schon seine Nachforschungen angestellt. Die Staatanwaltschaft wird in den Unterlagen von Artemis einige sehr interessante Aufzeichnungen über die „Geschäftsbeziehung“ zwi- schen Artemis und Friedrich gefunden haben – ja, sie hat genauso für ihn getrickst und betrogen, wie du – und auf eine Erpressung von Artemis gegen diesen Friedrich schließen. Geschickt von mir, nicht wahr?“ Dabei blickte sie Nick triumphierend an. „Ich habe das Zeug, was du deinem Hund gegeben hast, ins Mineralwasser von deinem Gärtner gemischt. Durch die Hecke habe ich beobachtet, wie dein Gärtner zusammensackte. Rache kann so schön sein“, strahlte sie Nick an. „Ich verstehe nicht“, stotterte Nick. „Die Fotos und Zeitungsausschnitte auf dem Stick …“ „Armer, dummer Nick“, unterbrach sie ihn. „Er – dein Gärtner – hat sie gesammelt. Er wollte euch damit erpressen, um seine Schuld an seiner Tochter zu begleichen, sein schlechtes Gewissen ihr gegenüber zu besänftigen, ohne sich wieder ein paar Finger abschneiden zu müssen.“

„Aber Hanna?“ stammelte Nick. „Sie war mein Werkzeug, so, wie du auch“, erklärte die Mutter von Artemis geduldig. „Ein Handy zu orten und abzuhören ist heute kein großes technisches Problem, wenn man die richtigen „Helfer“ kennt. Als ich so erfuhr, dass deine Hanna sich mit Friedrich zum Laufen und einer Aussprache treffen wollte, wusste ich, dass meine Zeit gekommen war. Eigentlich hatte ich einen ganz anderen Plan und wollte nicht, dass deine Hanna körperlich zu Schaden kommt. Sie sollte nur sehen, wie ich ihre Familie zerstöre. Friedrich von Grothen hat mir aber bei seiner Schwester dann ein wenig mehr Arbeit gemacht, als geplant war“, kichert sie. „Natürlich hatte ich einen, wie nennst du das: Problemlöser? beauftragt, sich im Wald zu verstecken. Er hat auch wirklich nur einen Schlag mit dem Ast, den Friedrich zur Abwehr von deinem Hund gebraucht hat, auf den Kopf von Johanna benötigt, bis sie bewusstlos war. Bitte entschuldige, aber das war leider notwendig, da ich mir keine Zeugen leisten kann.“ Nick musste sich schütteln und merkte, wie ihm kalt wurde. Die Frau sah ihn hart an: „Sollte Johanna ihre Erinnerung an die Ereignisse im Wald je wieder finden, werde ich dieses Problem auf meine Art zu lösen wissen“, drohte sie unverhohlen. „Ach so“, ergänzte sie eher beiläufig. „Artemis in den Wald an den See zu locken war mit einer fingierten SMS-Nachricht kein Problem, denn hier traf sie sich heimlich mit Friedrich von Grothen. Sie muss sofort losgelaufen sein, als sie die von mir geschriebene SMS erhalten hat. Den Rest hat dann mein Problemlöser erledigt.“

Übertrieben freundschaftlich klopfe sie Nick auf die Schulter. „Kopf hoch“, sagte sie ironisch. „Du bist und bleibst ein Trottel und Verlierer, egal, welche Attribute des Erfolges du dir auch anheftest. Wahrscheinlich wirst du bis zum Ende deines Lebens brauchen, um den wirtschaftlichen Schaden, den du mit deinen Betrügereien angerichtet hast zu bezahlen und es ist gut möglich, dass du auch eine Haftstrafe abbrummen musst. Du bist fertig und wirst alles verlieren, was du hast. Friedrich von Grothen wird wegen Mordes an Artemis, Motiv: Erpressung von Artemis, sowie Mordversuch an seiner Schwester, deiner Hanna, und zumindest der Mittäterschaft am Mord seines eigenen Vaters für lange Zeit hinter Gittern verschwinden. Damit habe ich die Familie von Grothen praktisch ausgelöscht und endlich auch meine Rache an dieser Familie. Durch den Tod meiner Tochter, einem Kind, welches ich nie wollte und welches dann auch noch durch die Liebschaft mit eben diesem Spross der Familie von Grothen die maximal mögliche Schande über mich gebracht hat, bin ich endlich wieder frei. Ich gewinne nach langer Zeit gegen euch alle, auch wenn es lange gedauert hat. Rache kann so schön sein! Danke, dass du mich begleitet hast.“ Mit diesen Worten zwinkerte sie Nick zu, drehte sich um und ging davon, während Nick alleine im Regen zurückblieb.

One thought on “Stick

  1. Was für dramatische Familienverwicklungen .. da braucht man schon einen Cognac😀 Mir gefällt Deine Sprache und die Ortsbeschreibung, das hat irgendwie britisches Flair. Ein like von mir.

    Wenn Du magst, lies gern auch meine Geschichte, Feedback freut mich…
    “Die Andere” von lotte.quint
    LG

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