Wilma Torrano AsensioStille Wasser sind tief

Stille Wasser sind tief

Wilma Torrano Asensio, 13 Jahre

 

Es war der schrille Piepton meines Weckers, der mich aus dem Schlaf riss.

Ich schreckte hoch und schlug schlaftrunken auf ihn ein. Eine weitere Nacht war überstanden.

Stöhnend vergrub ich den Kopf im Kissen, stand aber dennoch wenige Minuten später auf und schlurfte zu meinem Kleiderschrank. Ich zog mich an und ging runter in die Küche. Meine Mutter war schon wach und deckte den Frühstückstisch, doch ich war spät dran. Ich murmelte also nur ein müdes „Guten Morgen“, nahm mir ein Toast und schmierte mir Marmelade drauf. Ich drückte Mama einen Kuss auf die Wange und rannte zur Haustür. „Tschüss Mama“, rief ich schnell und hörte nur noch dumpf wie sie antwortete. Ich griff nach meinem Ranzen und rannte zum Bus.

Er war noch da. Rasch stieg ich ein und ließ mich auf einen Platz fast ganz hinten fallen. Ich fing an, lustlos mein Toast zu essen. Der Bus machte eine Vollbremsung und als ob nicht schon genug passiert wäre, klatschte es mit der Marmeladenseite auf den Boden.

„Shit“, murmelte ich und beugte mich runter, um es aufzuheben. Doch als ich unter den Sitz griff, bekam ich nicht mein Toast zu fassen, sondern ein Handy. Ich zog es hervor und legte es neben mich. Ich streckte nochmal die Hand unter den Sitz und zog diesmal mein Toast hervor, warf es weg und widmete mich dann dem Handy.

Ich öffnete es. Es hatte keinen Code. „Dumm“, dachte ich nur, während ich überlegte, wie ich weiter vorgehen sollte.

Ich klickte auf „Fotos“ um zu gucken, ob Bilder von dem Besitzer darauf waren. Als ich durch die „Galerie“ scrollte, entdeckte ich ein Foto von einer Person, die mir schrecklich bekannt vorkam. Ich musste schlucken. Als ich schließlich ranzoomte, bestätigte sich mein Verdacht. Panik stieg in mir auf. Mein Brustkorb fühlte sich schrecklich eng an, selbst die Luft schien zu viel zu sein. Japsend und nach Atem ringend starrte ich auf das Handy.

Panisch löschte ich das Foto von dem fremden Telefon und stopfte es in meine Schultasche. Ich stürmte aus dem Bus und eilte zur Schule.

Der Schultag erwies sich als absolut grässlich. Ich bekam nicht mal ansatzweise mit, was meine Lehrer von sich gaben. Es war wie in einem von diesen langweiligen Filmen, in denen man sich immer wieder zwingen muss aufzupassen. Meine Gedanken waren nur bei diesem Bild. Als ich zu Hause ankam und mich in mein Zimmer verkroch, bekam ich eine Nachricht von einer anonymen Nummer:

Hallo Lily,

Handy entdeckt? Bild gesehen? Ja?

Gut.

Ich hab dich gesehen und fotografiert. Das weißt du jetzt.

Wäre wohl schöner gewesen, wenn es unentdeckt geblieben wäre…

Jetzt kannst du mir endlich geben, was du mir vorenthalten hast. Du weißt was. Dann wäre alles vorbei.

Wenn nicht dann geht es weiter oder wird schlimmer.

Also ich würde nicht lange überlegen.

Das Löschen hättest du dir übrigens sparen können.

Wieder stieg Panik in mir auf. Woher wusste der Handybesitzer, dass ich das Bild gelöscht hatte? Was hätte ich denn in der Situation, in der so viel Schlimmes passiert war, machen sollen?

1

 

Es klopfte an der Tür. Mein Herz fing zu rasen an. Wenn die Person, von der ich glaubte, dass sie die Nachricht geschrieben hat, jetzt auch noch hier war, würde ich mich auf der Stelle aus dem Fenster stürzen. Das Blut rauschte mir in den Ohren, als ich die Nachricht schloss.

Ich wich vor der Tür zurück und vergaß zu atmen. Ich stand jetzt dicht an die Wand gepresst. Es klopfte noch einmal. Ich wollte einfach nur raus oder in die Wand sinken, doch wer war ich schon. Superwoman sicher nicht.

Als es ein drittes Mal klopfte, wollte ich gerade zur Tür gehen und mich meiner Angst stellen, als eine genervte Stimme sagte:

„Mensch Lily, ich nehme dir bald die Schüssel zur Zimmertür weg! Mach jetzt die Tür auf, es gibt Essen.“

Total erleichtert erwiderte ich: „Mama ich bin siebzehn. Ich glaube, da nimmt man seiner Tochter nicht mehr die Schlüssel weg.“

„Dann erst recht“, konterte meine Mutter. „Jetzt komm essen.“, sagte sie.

„Erst wenn du mir versprichst, mir nicht die Schlüssel wegzunehmen.“, sagte ich trotzig um meine immer noch vorhandene Angst zu überspielen.

„Ich verspreche es“, sagte sie und ich konnte ihr Augenrollen in ihrer Stimme hören. „Gut“, erwiderte ich, öffnete die Tür und trat zu meiner Mutter auf den Wohnungsflur. Gemeinsam gingen wir runter um zu essen.

Beim Abendessen bekam ich genauso wenig mit wie in der Schule heute Morgen. Der Unterschied bestand nur darin, dass ich diesmal an die Mail denken musste. Sollte ich antworten?

Doch gerade als ich einen Entschluss fassen wollte, vibrierte mein Handy in meiner hinteren Hosentasche. Scheiße.

„Was hatten wir besprochen Lily?“, fragte meine Mutter streng.

„Kein Handy am Tisch“, sagte ich leise.

„Also?“, fragte sie.

„Gut“, sagte ich. Und dann zu Papa gewandt: „War lecker.“

„Ich habe das Essen gemacht“, sagte meine Mutter.

Ich ignorierte sie, stand auf und ging hoch in mein Zimmer. Dort angekommen ließ ich mich auf mein Bett sinken und öffnete die Nachricht. Sie war wieder anonym.

Hallo Lily,

Entschluss gefasst?

Ich weiß, dass du meinen Bruder auf dem Gewissen hast…

Bei den Worten spielte sich alles nochmal wie ein Film vor meinem inneren Auge ab.

Wie ich Luc meine Liebe gestand. Wie er mich abwies. Wie ich die Kontrolle verlor.Wie ich ihn schubste. Wie er stürzte. Wie er die Treppe runterfiel und dabei meinen Namen rief. Wie sein Genick brach. Wie es knackte. Wie seine Augen starr an die Decke gerichtet waren. Wie ich schrie und weglief.

Mir wurde speiübel. Ich hatte das nicht gewollt.Keiner hatte etwas gemerkt. Alle gingen von einem Unfall aus. Und ich lebte seither mit meiner Schuld.

Wieder vibrierte mein Handy.

Was für eine Überraschung, der Absender war wieder anonym. Ich wusste doch eh wer er war. Meine Hand zitterte, als ich die Nachricht las.

2

 

Du hast sie gelesen. Ich würde antworten oder weißt du etwa doch nicht was du mir geben musst?

Ich wusste es, schrieb aber dennoch:

Nein weiß ich nicht!?

Er antwortete direkt:

Nur das, was du meinem verräterischen Bruder auch geben wolltest.

Es war ja klar… Wie lange kannte ich ihn schon? So ziemlich genau zwölf Jahre.

Ich erinnere mich noch genau daran, wie er mir bereits im Kindergarten seine Liebe gestand. Immer wieder hatte er es versucht, doch ich hatte ihn immer wieder abgewiesen. Genau wie Luc mich. Ich beschloss, ihn zu ignorieren und schaltete mein Handy aus.

Es war die zweitschlimmste Nacht meines Lebens.

Am nächsten Tag schwänzte ich die Schule. Wenn ich hingegangen wäre, hätte ich nichts mitbekommen. Also war es egal.

Ich ging seit langem mal wieder auf den Friedhof und besuchte Lucs Grab.

Irgendetwas trieb mich dort hin. Als ich ankam wusste ich auch was. Es verband mich mit ihm. Anschließend ging ich zu dem kleinen See, der an den Friedhof grenzte und schaute hinab auf das Wasser.

Ich betrachtete mein Spiegelbild. Ich sah mich, wie ich immer aussah. Blond, klein und eigentlich ganz hübsch. Während ich mich betrachtete, sah ich, dass hinter mir Lucs Bruder Adrian stand und lachte. Ich ging in die Knie und drehte mich mit letzter Kraft um. Adrian war nirgends zu sehen. Doch an seiner Stelle lag dort mein Armband, das ich in der Nacht von Lucs Tod verloren hatte. Schnell nahm ich es. Ich schluchzte auf und rannte. Einfach weg.

Am nächsten Tag bekam ich eine weitere Nachricht:

War gut auf dem Friedhof?

Ich antwortete nicht.

Am Mittwoch ging ich wieder zur Schule, damit meine Eltern nicht kontaktiert wurden. Wiedermal hörte ich nicht zu. Als Emily, eine meiner Freundinnen, mir einen gefalteten Zettel gab, bemerkte ich es kaum. Ich schaute nur drauf, ohne zu lesen was dort geschrieben stand und lächelte ihr gezwungen zu. Sie lächelte zurück und mehr bekam ich nicht mit.

Zu Hause angekommen, faltete ich den Brief auseinander und las ihn diesmal wirklich:

Morgen gibt es eine Party. Beginn: 20 Uhr Findet statt bei Connor, kommst du auch? Natürlich kommst du, alle werden da sein!! 🙂

Mist, und ich hatte gelächelt, das war bei uns immer so etwas wie eine Zustimmung. Wäre ziemlich peinlich, jetzt abzusagen.

Also dann…

Auf der Party war es eigentlich wie auf all den anderen auch.

Alle feierten und tranken, doch ich nahm heute nichts.

Ich saß nur da und schaute zu. Immer mal wieder kamen Freunde und wollten mit mir reden, doch ich wimmelte sie ab. Sie gaben es schnell auf.

Ich nahm mein Handy aus der Tasche, als es vibrierte.

3

 

Ich blickte auf das Display und sah, dass ich wieder einmal eine Nachricht von ihm bekommen hatte. Ich las sie mir nicht durch. Plötzlich kam mir ein Gedanke. Wenn alle hier waren, dann war es Adrian auch. Verdammt.

Auf der Suche nach einer Toilette drängelte ich mich durch die tanzende Menge.

Ich fand sie und schlüpfte durch die Tür. Ich ging zum Spiegel um mich anzugucken, doch als ich aufblickte, sah ich nicht mein Spiegelbild, sondern einen roten Schriftzug:

Entschieden?

„Nein, ich würde mich niemals dazu entscheiden, seine Liebe zu erwidern.“, dachte ich schon fast wütend. „Schon gar nicht erzwungen!“. Ich war schneller wieder zu Hause und weg von der Party, als ich je gedacht hatte, laufen zu können.

Die nächste Woche war schrecklich. Immer mehr der Drohnachrichten kamen an und machten mich fertig. Ich versuchte sie zu ignorieren.

Ich aß nicht viel und war oft in meinem Zimmer. Ich duschte nicht. Ich schwänzte die Schule…inzwischen war es mir egal, ob die Lehrer meine Eltern kontaktierten. Ich glaube, meine Eltern dachten, dass ich depressiv sei. Naja, ich denke mal so ähnlich könnten es sich anfühlen.

Heute beschloss ich aber, endlich mal wieder zu duschen.

Ich kämmte meine fettigen Haare und stieg unter die heiße Dusche. Als ich fertig war, wickelte ich mich in ein großes Handtuch und ging wieder in mein Zimmer, wo ich mir dann die Haare föhnte.

Nachdem ich den Föhn ausgeschaltet hatte, horchte ich auf, denn draußen war ein klägliches Maunzen einer Katze zu hören. Ich eilte zum Fenster und sah mich um. Das war doch Cedric? Starb er da etwa vor meinen Augen?!!

„Nein!“, stieß ich hervor.

Ich zog mich schnell an und stürmte aus der Wohnung. Ich nahm meinen Kater sanft in die Arme, während das Leben aus seinem Körper wich. Neben Cedric und mir stand in die Erde geschrieben:

LG A.

Dieses Schwein.

Bevor meine Eltern von der Arbeit kamen, musste ich unseren Kater wegschaffen.

Also ging ich in den Wald in der Nähe unserer Wohnung und begrub ihn dort.

Rasch ging ich wieder nach Hause und duschte ein weiteres Mal, um mir den Dreck von den Armen zu waschen.

Anschließend legte ich mich zurück ins Bett und versuchte ein bisschen Schlaf zu bekommen. Es gelang mir nicht. Ich lag mit offenen Augen da und fing hemmungslos zu weinen an.

Es war stummes Tränenvergießen, dennoch brach alles in mir zusammen.

Die nächste Woche war anders. Ich versuchte mich wieder aufzurappeln und ging wieder zur Schule. Meinen Freunden erzählte ich, dass ich krank war. Ich konnte mich auch besser konzentrieren und hatte teilweise sogar Spaß am Lernen. Keine Ahnung, warum ich das konnte. Wahrscheinlich hatte ich nach Lucs Tod gelernt, Unangenehmes zu verdrängen.

Ich verabredete mich sogar mit meinen Freunden für das Freibad.

Wir hatten viel Spaß zusammen und lachten über alte Geschichten, die wir uns gegenseitig erzählten. Ich erinnerte mich an manches, was ich schon wieder vergessen hatte.

Am Ende waren wir noch Pizzaessen und danach ging ich nach Hause.

Dort angekommen fragte meine Mutter: „Hast du eigentlich mal wieder Cedric gesehen?“ „Nein, habe ich nicht. Vielleicht ist er weggelaufen?“, fragte ich um abzulenken.

„Ja vielleicht, ach Mensch, er war schon so lange ein Teil unserer Familie!“, antwortete meine Mutter und ich musste schlucken.

4

 

„Ja.“, sagte ich. „Ich habe ihn wirklich liebgehabt.“

„Haben wir alle, mein Schatz.“, sagte sie und nahm mich in die Arme.

Ich erwiderte ihre Umarmung und sagte danach: „Ich muss jetzt Hausaufgaben machen.“ „Ja, tu das.“, sagte Mama und gab mir einen Kuss auf den Scheitel.

Ich ging hoch in mein Zimmer und schloss die Tür.

Natürlich machte ich keine Hausaufgaben, denn eine neue Nachricht kam an:

Ich habe jetzt echt schon viele Sachen ausprobiert. Reicht nicht?

Okay…dann geht es weiter!

Und jetzt war meine Konzentration sowieso am Ende und meine kurz dagewesene gute Laune verschwunden.

Ich bekam allerdings lange keine weiteren Drohnachrichten. Was mich aber eher beunruhigte, da seine Taten jetzt vielleicht noch schlimmer würden.

Die weiteren Tage waren wie alle anderen, bis mich am Montag ein eingehender Anruf überraschte. Er war von Emily. Ich saß gerade auf dem Schulhof und wartete auf den Pausengong, als der Anruf mich erreichte.

Ich nahm ihn entgegen und fragte:

„Hallo?“

Emilys schwach röchelnde Stimme ließ mich erschaudern:

„Schultoilette erster Stock, bitte“

Am anderen Ende der Leitung hörte ich ein Poltern und dann nur noch rauschen.

Ich sprintete in den ersten Stock zur Schultoilette.

Zuerst sah ich nichts. Alles war so wie immer, ekelig stinkend und voll mit Pisse. Doch als ich runter auf den nassen Boden blickte, hatte ich ein Déjà-vu. Wieder starrten mich leblose Augen an. Wieder war der Leichnam merkwürdig verdreht und wieder war mir speiübel. „Nein!“, keuchte ich und mir stiegen Tränen in die Augen.

Ich kauerte mich neben sie und hob ihren Kopf leicht an, damit sie nicht weiter in der ekeligen Flüssigkeit liegen musste. Ich weinte.

Als mein Blick nicht mehr ganz so verschwommen war, untersuchte ich sie nach Hinweisen auf ihren Tod.

Auf einen Mord wies nichts hin. Ich war mir trotzdem sicher, dass es einer war.

Eine Sache entdeckte ich dennoch. Sie hatte einen klein gefalteten Zettel in der Hand. Ich zog ihn hervor, öffnete ihn und las ihn rasch durch.

Ich hoffe mal, das war genug. LG A

Das war so abartig, wie konnte er das tun? Und vor allem was sollte ich jetzt tun?

Sollte ich jetzt endlich die Polizei benachrichtigen und mich selbst auch anzeigen?

Aber dann würde ich ja ins Gefängnis kommen.

Ich blickte hinab auf Emilys reglosen Körper und zwang mich, nicht wieder zu heulen.

Trotz meiner Überlegungen siegte meine Angst und ich beschloss, Emilys Körper dort liegen zu lassen. Ich wollte damit nichts zu tun haben.

Den Zettel steckte ich in meine Hosentasche und rappelte mich hoch. „Es tut mir so leid.“, flüsterte ich und verließ die stinkende Toilette.

5

 

Eine Doppelstunde Mathe später, machte jemand den großen Fehler und ging auf das Klo, in dem Emily lag und fand sie.

Ein Lehrer wurde informiert, der daraufhin die Polizei rief.

Die komplette Schule wurde abgesperrt, die Schüler nach Hause geschickt und die Polizei untersuchte das gesamte Gelände.

Ich stand kurz vor einem Zusammenbruch. Zu Hause angekommen schrieb ich Adrian:

Habe eine Entscheidung getroffen.

Er antwortete eine halbe Stunde später.

Sehr gut, wurde auch Zeit.

Ich schrieb:

Treffen auf dem Dach der alten Reifenfabrik. Morgen 15 Uhr.

Er erwiderte:

Geht klar!

Daraufhin schrieb ich nichts.

Am nächsten Tag frühstückte ich lange mit meinen Eltern.

Ich duschte und zog mich an.

Meinen Eltern erzählte ich, dass ich mich mit einer Freundin traf.

Ich machte mich also auf den Weg zu Adrian.

Die unzähligen Treppenstufen erschienen mir endlos.

Oben angekommen öffnete ich die schwere Eisentür und trat ins Freie. Da stand er. Ich erschauderte und versuchte, mich zu beruhigen. Ich zählte bis dreißig und atmete dabei tief durch.

Er ging auf mich zu und schenkte mir ein Lächeln. Mir drehte sich der Magen um.

Auf dem Dach wechselten wir die ersten Worte seit langem.

Er fragte mich, wie es mir ginge und ich log.

Wir redeten lange, ohne dass ich wusste, was ich sagte.

Ich wollte es einfach hinter mich bringen, weil ich wusste das es ein schrecklicher Fehler sein würde.

Ich ging bis zur Kante des Gebäudes und er folgte mir.

„Ich bin froh, dass du dich jetzt endlich entschieden hast“, sagte er.

„Ich auch“, sagte ich wahrheitsgemäß.

Er kam noch näher.

Er machte Anstalten mich zu küssen. Ich wusste, dass ich es jetzt tun musste.

Ich wich seiner Hand aus und sagte: „Nein, dazu habe ich mich nicht entschieden.“

Ich packte ihn entschlossen am Nacken und riss seinen Kopf nach vorne.

Er verlor das Gleichgewicht, doch meine Hand gab ihm noch immer leichten Halt.

Nun war er knapp vor der Kante. Er blickte hoch in meine Augen und keuchte ein leises: „Nein.“

„Doch“, sagte ich. „Du bist mit Emily zu weit gegangen.“

Ich ließ seinen Nacken ruckartig los und drückte meine Hand nach unten über den Abgrund, sodass er stürzte. Er fiel. Noch bevor er aufprallte, wusste ich, dass er sterben würde.

Ich nahm zittrig mein Handy hervor und rief die Polizei…

Das laute Klopfen des Hammers riss mich aus meiner Erzählung.

Das allgemeine entrüstete Gemurmel wurde lauter als ich endete, bis eine laute Stimme verkündete:

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„Im Namen des Volkes verkünde ich folgendes Urteil: Die Angeklagte Lily Maecker ist schuldig des Mordes an Adrian Riedle, gemäß § 18.

Sie wird hiermit zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt.“

Mein Blick suchte den meiner Mutter, doch als sie ihn erwiderte sah ich nur ihre unendliche Traurigkeit.

Ich schluckte und spürte, dass mich zwei Arme packten und hochzogen.

Sie brachten mich aus dem Raum. Ich drehte mich um. Das Letzte was ich sah, war meine Mutter weinend in den Armen meines Vaters.

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8 thoughts on “Stille Wasser sind tief

  1. Hey Wilma,

    du hast hier wirklich eine super Geschichte gezaubert!
    Dass du erst 13 Jahre alt bist, hat mich keineswegs abgeschreckt. Es hat mich eher neugierig gemacht und feststellen lassen, dass du durchaus Potenzial hast.
    Du hast eine tolle Wortwahl, kannst somit gut erzählen und die einzelnen Szenarien sehr gut bildhaft darstellen.
    Zum Beispiel dieser Satz: “Es war stummes Tränenvergießen, dennoch brach alles in mir zusammen.” – ist sehr stark und ausdrucksvoll 👌
    Auch der Titel ist gut gewählt! Er lässt dem Leser eine leise Ahnung um was es in der Kurzgeschichte gehen könnte, aber auch nicht zu viel, sodass man es nicht mehr lesen möchte.

    Was ich mich gefragt habe ist, ob es von Lily wirklich nötig gewesen ist sich selbst zu stellen 🤔 – denn mit Adrian hat sie ja den letzten Zeugen ihrer damaligen Tat eliminiert. Dementsprechend kam ich zu dem Entschluss, dass sie es wahrscheinlich von der Psyche her nicht geschafft hätte, mit der Situation klar zu kommen. War das auch dein Gedanke?

    Alles in allem kann ich nur sagen, dass deine Geschichte echt klasse geworden ist und du unbedigt weiter schreiben solltest 😀

    Liebe Grüße und noch alles Gute für’s Voting – mein Like hat du 🍀😉
    Sarah

    https://wirschreibenzuhause.de/geschichten/unschuldskind

    1. Hey Sarah,
      Vielen Dank für Deine positive und konstruktive Kritik an meiner Geschichte.
      Darüber hab ich mich total gefreut. 😊

      Dass Lily sich am Ende gestellt hat, hätte ich tatsächlich noch etwas ausführen können. Aber Du hast natürlich recht: Sie hat das gemacht, weil sie mit der Schuld nicht hätte leben können.

      Ich hab mir auch deine Geschichte durchgelesen und finde sie sehr gut, von dir kann ich noch viel lernen.
      Meinen Like hast du ebenfalls. 😊

      Viele Grüße Wilma.

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