Ingwa KnolleStilles (L)Beben

Es war der 28. Mai in irgendeinem Leben, in irgendeiner Stadt, in irgendeiner Straße, in irgendeinem beliebigen Haus einer völlig unspektakulären Familie. Und doch passierte etwas, was es Wert war, ein ganzes Leben zu überdenken.

 

 

 

Annemarie war eben fertig mit der Frühstücksroutine und ging wie jeden Mittwoch, an dem sie nicht Frühschicht hatte, ihren gewohnten Arbeiten im Haushalt nach. Nachdem sie alles erledigt hatte was die Küche betraf, ging sie eine Etage höher, in ihrem kleinen Einfamilien-Reihenhaus.

 

In der ersten Etage lagen die Kinderzimmer. Zwei an der Zahl, eines für ihren Sohn und eines für ihre Tochter. Das eine hübsch im Jungens Stil, schön clean mit Hochbett und Schreitisch, darauf ein Monitor und Tower unter dem Tisch. Die Wände mit Postern von seinen Idolen, oder aber an der anderen Wand, mit Autos verziert. Die übliche Unordnung pflasterte das Zimmer. Bei „Schöner Wohnen“ hätten sie damit keinen Preis gewonnen.

 

Das andere Zimmer zeigte völlig normales Teenagermädchen Chaos, Haufenweise Klamotten auf dem Bett, dem Schreibtisch und dem Boden, garniert mit Schminkzeug und allem was so eine 17-jährige für unersetzlich hält.

 

Annemarie sammelte Wäsche ein, die für ihr Befinden zur Schmutzwäsche gehörte und dabei, ja genau dabei passierte es: Das Handy ihrer Tochter fiel aus dem Berg.

 

Naja, mag so manch einer denken, jaja da fällt ein Handy aus dem Wäscheberg.

 

Wer jedoch schon jemals mit einem Jugendlichen zu tun hatte, der weiß ganz genau, au – da stimmt was nicht. Das Handy eines Teenagers zwischen weiterführender Schule und der bevorstehenden Hochzeit ist so etwas wie das Zweite Ich des Kindes. Es verbringt mehr Zeit mit dem Menschen, dem es gehört als die eigene Unterwäsche, diese wird nämlich (hoffentlich) regelmäßig gewechselt. Das Handy erfährt alles von dem Menschen, dem es gehört. Alles? Ja, alles. Man könnte meinen es ist nur irgendein kleines tragbares Telefon, aber hmmmm nein, so ist es einfach nicht. Sollten Teenager die Frage: „Wem vertraust du wirklich?“ ehrlich beantworten, so wäre die Antwort: „Meinem Smartphone“. Und genau aus diesem Grund war die Situation in der Annemarie sich gerade befand so unecht.

 

Sie hielt also diesen Schatz in der Hand und tat genau das was Eltern gerne tun, aber tunlichst vermeiden sollten. Sie schaltete das Gerät an. Für einen kurzen Moment zögerte sie, doch dann war klar, sie würde versuchen den Pin einzugeben und sie würde ein wenig in dem Gerät stöbern. Zu groß war ihre Neugierde was da so in dem Smartphone ihrer Tochter zu finden war.

 

Annemarie setzte sich auf das Bett ihrer Tochter, schob noch ein paar Kissen, Shirts und, oh ein Schuh, beiseite und fing an wichtige Daten in die Pinabfrage zu tippen. Bereits der zweite Code war richtig, eigentlich auch klar, dass es der Geburtstag ihrer Tochter sein musste.

 

Brav öffnete das Mobilgerät seine Geheimnisse.

 

Ursprünglich hatte sie vorgehabt die WhatsApp Nachrichten zu durchstöbern, aber oben links befand sich ein Ordner mit dem Namen „Bildersammlung“ und dieser Ordner schien direkt darauf zu warten angewählt zu werden. Annemarie konnte gar nicht anders als diesen zu öffnen.

 

Man erwartet als Mutter vieles was sich in so einem Ordner befinden kann, einerseits erwartet man Bilder von wilden Orgien, betrunkenen Kerlen, Bilder von irgendwelchen Freunden auf Sauf-Partys, halt alles was man nicht wissen will und sich trotzdem antut. Wie ein Unfall, an dem man nur vorbeifahren will und trotzdem hin gafft.

 

Was man sich wünschen würde zu sehen, das wäre also hübsche Schminkfotos, meinetwegen auch ein Seeufer mit niedlichen Küken, ein schickes Bild mit der Freundin, auch ein netter Junge wäre angenehm … ja alles was man sich als Mutter so erhofft.

 

Was man aber keinesfalls erwarten würde sind Bilder von sich selbst.

 

Doch genau davon waren bestimmt 20-25 Bilder auf dem Gerät gespeichert. Es gab einen Unterteilten Bereich in der Foto App der nannte sich schlicht: Mama. Annemarie hatte das Icon angetippt und schaute wie ein hypnotisiertes Kaninchen fassungslos auf die Bilder. Hübsch aufgereiht, immer drei neben einander sah sie Bilder von sich.

 

Annemarie beim Kochen in der Küche, beim Staubsaugen im Wohnzimmer, bei der Gartenarbeit, beim Badezimmer putzen … lauter völlig belanglose Tätigkeiten. Immer ähnliche Kleidung, immer ähnlich pastellfarbene Pullover und Shirts, immer etwas farblos gekleidet, aber ordentlich. Immer etwas unfrisiert und immer derselbe Gesichtsausdruck.

 

Etwas störte sie an dem Ausdruck, abgesehen davon wie sehr sie es hasste fotografiert zu werden.

 

Annemarie scrollte weiter und überlegte von wann genau diese Bilder waren. In der zweiten Reihe musste es Weihnachten gewesen sein. Ja, daran konnte sie sich erinnern. So viel Mühe hatte es gemacht die ganze Menüfolge zu planen und das Haus zu dekorieren und zu putzen. So verflucht viel Arbeit war es gewesen alles perfekt zu timen und wen hatte es gekümmert, dass sie so ganz nebenbei noch einen Vollzeitjob im Blumenladen hatte? Wen? Na, raten Sie mal: Genau!! Keinen hatte es gekümmert. Niemanden, nicht die Kinder, nicht den Mann und schon gar nicht die Verwandtschaft, die wie eine wilde Horde eingefallen waren. Heuschreckenplage nennt man sowas. Sie kommen, sie fressen, sie gehen. Natürlich nicht ohne ständig zu nörgeln: „Das ist aber viel, das ist aber süß, das ist aber fett, das hätte aber nicht so lange im Ofen gebraucht, das war aber letztes Jahr besser.“ Und zu krönenden Schluss: „Du sollst dir aber doch nicht so viel Arbeit machen.“

 

Man bekommt dann sein Geschenk, vorzugsweise zwei Badtücher, zwei Spannbettlaken oder aber sowas praktischen wie einen Fünfer Pack Geschirrtücher, gepaart mit klugen Ratschlägen, wie zum Beispiel: Nächstes Mal musst du aber die Fenster putzen, dann kommt die Gartendekoration die wir dir letztes Jahr geschenkt haben viel besser raus.

 

Wenn die wüssten, dass der blöde Weihnachtsmann keineswegs im Begriff war an dem Seil zum Kamin zu klettern, sondern eher hilflos am Strick an der Wand baumelte. Damit es nicht so auffiel, hatte sie ihm einen Nagel durch die Beine geschlagen. Jetzt hing er immer hübsch mit dem Gesicht zur Wand, am Strick an der Wand.

 

Das nächste Bild, wann genau war das. Annemarie überlegte. Ah genau, das war der Geburtstag ihres Mannes. Sie waren Essen gewesen, wieder die komplette Verwandtschaft im Schlepptau. Die Schwiegermutter hatte wieder gemault und war nicht zufrieden gewesen. Diesmal hatte Annemarie die falsche Gaststätte ausgesucht. Zu teuer, zu edel, zu weit draußen, auch noch am See, da windet es ja immer. Nicht zu vergessen, die Bügelfalte, die man angeblich am Hemdärmel sehen konnte. War klar, hätte Annemarie denn nur das Ärmelbügelbrett benutzt, dann wäre sowas peinliches nicht passiert. Jetzt musste die ganze Familie wohl oder übel damit leben das Annemaries Mann eine Bügelfalte auf dem Geburtstagsfoto hatte. Am Ellbogen, nein wie ärgerlich.

 

 

 

Annemarie saß auf dem Bett und hätte zu jedem Bild eine Geschichte erzählen können und sie stellte bei jedem einzelnen Bild fest das dieser verbissene, ernste Gesichtsausdruck immer gleich aussah. Auf keinem einzigen Bild lächelte sie oder sah fröhlich aus. Es war immer ein zugekniffener Mund und müde Augen, die in die Ferne sahen. Um sie herum sah man lauter aufgesetzte fröhliche Gesichter.

 

 

 

Unten hörte man eine Türe ins Schloss fallen. Mit einem Ruck war Annemarie wieder zurück in der Realität. Sie hörte wie jemand in Rekordzeit die Treppe heraufrannte und da war es eigentlich auch schon zu spät. Sie fühlte sich ertappt als ihre Tochter starr vor Schreck und etwas außer Atem vor ihr zum Stehen kam. Wortlos stand die Mutter auf, drückte der Tochter das Gerät in die Hand und ließ das Kind allein in der Mitte seines Zimmers stehen.

 

Wie ein Roboter funktionierte Annemarie den Rest des Tages weiter. Sie ging, nachdem das Essen vorbereitet, der Boden gewischt und die Wäsche gewaschen und fein säuberlich aufgehangen war, zu ihrem Job in der Gärtnerei, wo sie als Floristin die schönsten Sträuße band. Wie immer freundlich, aufgeräumt und zuvorkommend. „Darf ein wenig Schleierkraut zu der Rose? In Cellophan oder Papier einwickeln? Wir bevorzugen Papier, der Umwelt zuliebe 😊. Die 15 Rosen für die Gattin in weiß oder lieber in Rot? – Ah, die sind für ihre Mutter, entschuldigen sie.“

 

Wenn man genau hinsah konnte man merken das sie nicht zu einhundert Prozent bei der Sache war, in Gedanken befand sich Annemarie noch immer bei den Bildern auf dem Handy der Tochter. Und sie konnte so wunderbar gelogen freundlich sein, wie man es als Dienstleister nun Mal im Laufe der Jahre lernt. „Gerne doch- das Leck mich! des Einzelhandles.“

 

 

 

Annemaries Gedanken wären an diesem Tag ein gefundenes Fressen für sämtliche Autoren von Beziehung- und oder Eheratgebern gewesen. Sie stellte nach dem Betrachten der Fotos einfach alles in Frage. Hatte sie doch jahrelang nach einem guten Ernährer und Vater künftiger Kinder gesucht. Viele waren in Frage gekommen, fast könnte man sagen, sie hatte so lange gewählt bis halt der heutige Familientyrann übergeblieben war. Erfolgreich, gutverdienend, selbstbewusst, fett geworden, mit sich selbst zufrieden. Der ganze Stolz seiner Mutter halt, mit einem Wort – ein Vollidiot.

 

 

 

Als sie an diesem Abend nach Hause kam spürte sie fast wie ihre Tochter auf eine Aussprache lauerte. Doch Annemarie war gut im Ertragen, sie konnte problemlos alles Mögliche aushalten. Im Ignorieren von Schwierigkeiten, oder Unausgesprochenem war sie Meisterhaft gut. Mit dem gut einstudierten lächeln richtete sie 4 Teller an, verteilte einen leckeren Sommersalat, mit essbaren Blüten, in Glasschälchen und verteilte Saft in Gläser. Alles ganz so wie man es in Frauenzeitschriften immer als Menüvorschlag sieht und bei sich denkt, „Du lieber Gott, haben die denn wirklich kein Leben neben dem Haushalt?“.

 

Pünktlich auf die Minute trat Rigobert ins Esszimmer und somit war das Thema der freundlich distanzierten Abendplauderei auch schon festgelegt: Die erfolgreich abgeschlossenen Geschäfte des Herrn und Meisters. Um dem ganzen auch einen Hauch Familie zu geben war auch Thema wie erfolgreich der Sohn im Leistungskurs Physik war und was die Tochter so als Freiwilliges soziales Jahr anstrebte. Macht sich immer gut im Lebenslauf.

 

Annemarie wusste genau, der Moment, in dem die Tochter sie ansprechen würde, war gekommen als sie gemeinsam den Tisch abräumten. Sie beschloss jedoch weiterhin zu testen ob man übergehen konnte was sie im Handy der Tochter gesehen hatte.

 

Beim Spülmaschine einräumen kam es dann soweit.

 

Mama? Hast du in meinem Handy geschnüffelt?

 

Schnüffeln klingt nicht gut, frag lieber nach stöbern oder anschauen.

 

Du hast in meinem Handy geschnüffelt, Mama. Was soll das? Das ist meine Privatsphäre, in der du nichts zu suchen hast.

 

Annemarie atmete tief ein.

 

Ist es dann meine Privatsphäre, wenn du einfach Bilder von mir machst? Wenn du so anfängst, neige ich dazu vom Recht am eigenen Bild anzufangen, Claudette.

 

Ich habe die Bilder als Erinnerung gemacht, Mama. Damit ich mir an jedem Tag meines Lebens vor Augen halten kann, wie ich niemals enden möchte. So wie du. In einem Leben, welches aussieht wie eine Fassade, hinter der sich ein Serienkiller problemlos verstecken könnte. Aber hier würden selbst einem Psychopathen und Serienkiller die Ideen für abstruse Mordgedanken ausgehen. So beschissen und kalt ist es hier.

 

 

 

 

 

Okay, das Regiemännchen in Annemaries Kopf, welches sonst nie den Dienst versagte und sie immer dahin lenkte, wo es perfekt wirkte, schrie verzweifelt „Cut, Cuuuuuut!! Das geht in die falsche Richtung, das wollen wir nicht hören oder sehen!“

 

 

 

Doch dieses Mal schien die Tochter mit ziemlicher Heftigkeit an der hübschen Maske der Mutter zu ziehen. Annemarie spürte förmlich wie der Blutdruck stieg und sie dabei war die Fassung zu verlieren. Doch noch rang sie mit sich.

 

Claudette? rief sie ihrer Tochter hinterher. Ich habe dein Bett frisch bezogen und dein Zimmer gelüftet, vergiss nicht das Fenster zuzumachen, sonst zieht es heute Nacht so.

 

 

 

Es mag sein, dass hin und wieder eine Türe nicht an der Klinke zugezogen wurde, in diesem Haus. Aber heute fiel die Türe derart heftig zu, sodass selbst Rigobert kurz über den Rand seiner Financial Times schielte. Man möge den Herren nicht stören bei seiner Lektüre, dachte Annemarie bei sich.

 

Sie war froh, diesen Konflikt gut gelöst zu haben und freute sich ein wenig über ihre klaren Worte und dass sie ihrer Tochter einmal mehr zeigen konnte wie man auf Wortgefechte zu reagieren hatte. Würde ihre Tochter beherzigen was ihre Mutter ihr zeigte, so könnte sie es weit bringen in diesem Leben. Schließlich ertrug sie schon seit Jahren den kompletten Familienclan und sowas war ja auch nicht immer einfach.

 

Am nächsten Morgen war alles wie immer. In irgendeiner Stadt, in irgendeiner Straße, in irgendeinem beliebigen Haus stand Annemarie morgens in der Küche und hatte den Streit mit der Tochter nicht vergessen. Es ging ihr noch durch den Kopf was die Tochter gesagt hatte, doch es war mehr nur noch ein dumpfes Gefühl. Vermutlich hatte das Kind schon in manchem Recht gehabt mit ihren Behauptungen. Das spannendste Leben führten sie nun nicht wirklich. Nur war es nicht so einfach dieses Leben zu ändern. Unweigerlich würde eine Veränderung auch Unannehmlichkeiten mit sich bringen und das war halt nun mal so gar nicht Annemaries Ding. Sie konnte die Familie um sich herum nicht leiden und sie mochte auch die angeheiratete Seite nicht sonderlich, aber sie musste nie sparen. Geldprobleme waren ihr fremd und sie hatte mehrfach bei Bekannten aus Rigobert seinem Tennisclub mitangesehen, wie nach einer Trennung die Frauen als Verliererinnen ausgingen. Daher ertrug Annemarie auch die versehentlichen Affären von Rigobert, was sollte er auch tun, wenn die Sekretärinnen und Praktikantinnen ihm den Hof machten, um einen Schritt nach oben auf der Karriereleiter zu kommen. Das war doch nicht seine Schuld. Auch die Anzeige wegen sexueller Belästigung, welche natürlich frei erfunden war, konnte doch nicht seine Schuld sein. Er hatte nahezu keine Bedürfnisse in diese Richtung, schon seit Jahren nicht mehr. Sie als seine Ehefrau würde sowas doch wissen. Also bitte!

 

Oder stimmte am Ende doch etwas mit ihrem Leben nicht? Hatte die Tochter mit ihren Aussagen vielleicht doch den Nagel auf den Kopf getroffen? War der Vollidiot mit dem Annemarie das Leben verbrachte vielleicht doch mehr Egoist als sie es sich eingestehen wollte? Liebe war es jedenfalls nicht was sie zusammenhielt. Mehr so eine praktische Zweckgemeinschaft zum Wohle des Bildes in der Nachbarschaft. Er führte ein angenehmes Leben, war Teil der Gesellschaft und ein gern gesehenes Mitglied in diversen Vereinen, gerne auch im Vorstand von Diesen.

 

Sie hatte einmal gehört, als Frauen aus der Nachbarschaft ihn als „schmierigen Lappen“ betitelt hatten. Dies hatte an ihrem Wertesystem genagt. Sie hatte dann Spätabends beim Spazierengehen ein wenig Unkrautvernichter in den Garten der Nachbarin gestreut, dann war deren Kirschlorbeerhecken eingegangen. Nun ja, passiert halt mal. Als die Nachbarin sie gefragt hatte, ob sie ihr einen Tipp geben könnte, hatte sie nur milde gelächelt und geantwortet wie schade es sei, wenn so eine teure Pflanze falsch gepflegt würde und dass man da wirklich leider gar nichts machen könne.

 

Diesen kleinen Triumph hatte sie einfach gebraucht.

 

 

 

Als Annemarie am Abend nach Hause kam, stellte sie überrascht fest, dass Claudette einen Kuchen gebacken hatte und auch dies fasste sie als einen weiteren kleinen Sieg auf. Offensichtlich hatte das Kind ein schlechtes Gewissen. Selbst die Küche hatte die Tochter ordentlich und sauber aufgeräumt. Das war so ein schönes Gefühl. Alles richtig gemacht. Wenn die Kinder nicht nachtragend sind, dann ist alles bestens.

 

Jetzt fehlten nur noch ein bisschen Ehrgeiz und das Kind konnte seinen Weg gehen, erfolgreich und bekannt werden. So wie man es sich wünscht.

 

Nach dem vorbereiteten Essen, welches die Familie ganz wie gewohnt mit ein wenig Smalltalk genoss, wurde der Tisch abgeräumt und die Tochter stellte jedem einen Teller mit einem Stückchen frischen Kirschkuchen vor die Nase.

 

Besser konnte es doch eigentlich gar nicht laufen. Annemaries Herz schwoll vor Stolz an. Doch alles perfekt in ihrem Leben.

 

Jeder lobte den Kuchen und erwähnte wie frisch, fruchtig und süß er doch schmeckte und was für eine großartige Bäckerin Claudette doch war. Diese nahm all das Lob stumm lächelnd zur Kenntnis und man hätte es für einen Moment seltsam finden können, denn um ihren Mundwinkel zuckte es manchmal, wenn man denn genau hingesehen hätte.

 

Es hatte aber keiner hingesehen.

 

Es muss kurz nach Mitternacht gewesen sein, als Annemarie ihre Augen aufschlug, weil sie schreckliche Magenkrämpfe hatte. Sie schwitze und ihr war schwindlig. Mehrmals überlegte sie aufzustehen und zur Toilette zu gehen, aber sie hatte das Gefühl umfallen zu müssen, wenn sie sich bewegen würde. Da erst bemerkte sie eine Gestalt neben ihrem Bett.

 

Claudette? Was machst du hier? Fragte sie noch, als sie merkte, dass sie ihre Hände und Füße nicht bewegen konnte. Vermutlich lag dies an den Seilen, mit denen diese zusammengebunden waren.

 

Ihre Tochter beugte sich über sie und senkte ihren Kopf direkt über das Gesicht der Mutter:

 

Du hast mir nicht zugehört gestern. Dein perfektes Leben, deine ganze perfekte Fassade, dein komplettes verlogenes Dasein. DU widerst mich an. War der Kuchen lecker? Ja? Ich hatte ihn mit Tollkirschen verfeinert. Aber Mama, das reicht mir nicht.

 

Du hast mir doch gezeigt wie man Probleme am Besten ignoriert. Ich bin nicht so fürs Ignorieren. Ich bin fürs Lösen.“

 

Das letzte was Annemarie in ihrem Leben spürte war das Messer, welches ihre Kehle Durchschnitt.

 

 

 

Einige Tage später konnte man in der Zeitung die Überschrift lesen:

 

Familienmassaker in Kleinstadt.

 

Tochter löscht komplette Familie aus, keiner konnte es ahnen.

 

 

 

 

 

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