SchnoraldaTödliches Versprechen

Den letzten Tequila hätte sie stehen lassen sollen, denkt Kate als sie aus der Bar in die Nacht hinaus stolpert. Als sie endlich in einem Taxi sitzt, muss sie gegen ihre Übelkeit ankämpfen.

Kotzen Sie mir nicht ins Auto“, flucht der Fahrer genervt, „ich hasse Wochenenden – immer diese besoffenen Tussis, die kein Ende finden können.“ Kate ist nicht mehr im Stande zu reagieren und murmelt Tantra-artig vor sich hin:

Nicht einschlafen! Nicht kotzen! Gleich zu Hause! Du bist eine dumme Fotze! Nicht einschlafen! Nicht kotzen! Gleich zu Hause! Du bist eine dumme Fotze! Nicht einschlafen…“

Sie wacht mit einem Schädel auf, als sei ein Lastwagen gerade darüber gefahren. Kate hat keine Ahnung wie sie es diesmal wieder bis in ihr Bett geschafft hat. Sie hasst sich dafür erneut einen Abend damit vergeudet zu haben sich volllaufen zu lassen und sich von irgendwelchen Idioten anbaggern zu lassen. Ihr Leben war scheiße. Seit diesem verfickten Unfall war alles sinnlos und ätzend. Sie hatte keine Lust auf Familie, Freunde oder auf so etwas wie eine feste Beziehung, bäh, nein Danke! Sie feiert. Sie trinkt. Sie lässt sich Drinks ausgeben und dann und wann auch mal abschleppen, wenn sie betrunken genug ist und sie Bock drauf hat.

Gelegentlich jobbt Kate abends in einer Bar, aber nur wenn sie sich extrem langweilt und Johnny darum bettelt. Sie ist trotz ihrer regelmäßigen Eskapaden noch relativ gut in Schuss. Wenn sie will, kann sie die Super-Sexy-Blondine perfekt spielen. Das weiß auch Johnny sehr zu schätzen. Wenn er mal wieder kurz vor dem Bankrott steht, hilft Kate ihm dabei den Laden zu füllen – so wie gestern.

Zum Glück hatte sie damals eine fette Abfindung von der Army bekommen, so dass ihr Konto nach wie vor gut gefüllt ist und sie sich um Kohle keine Sorgen machen muss. „Irgendwann muss ich mein Leben wieder in den Griff kriegen, immer diese verfluchten Kopfschmerzen…“, seufzt Kate und nimmt einen tiefen Schluck von der schwarzen, heißen Plörre, die zwar schrecklich schmeckt, aber ihre müden Glieder weckt. Nach mehreren Aspirin und drei Tassen Kaffee schafft sie es unter die Dusche zu schlurfen.

Ein ungewohntes PING aus ihrer Tasche verwirrt sie. Das war nicht ihr Klingelton. Kate hält das Gerät in der Hand und starrt auf das Display. Das ist nicht ihr Smartphone. Das ist ein fremdes Gerät in IHRER Tasche und auf dem Display ist eine Frau mit IHREM Gesicht. Obwohl Kate ihre eigenen Augen, ihre Nase und ihre Gesichtsform sofort erkennt, ist diese Frau auf dem Bild ihr absolut fremd. Es ist ein Foto, das vor ungefähr zehn Jahren aufgenommen sein musste. Vor ihrem Unfall. Bevor sie jegliche Erinnerung verlor.

Zehn Jahre lang hat sie versucht sich damit abzufinden, dass ihre Erinnerungen an die Vergangenheit nie wiederkehren würde. Sie fing damals bei Null wieder an. Alles war ihr fremd gewesen. Sie hatte nicht mehr gewusst wie sie heißt, geschweige denn, wo sie wohnt oder wer sie war. Natürlich hatten ihre Mum und ihr Dad alles versucht, um ihrem Gedächtnis wieder auf die Sprünge zu helfen. Sie hatten sie überhäuft mit Fotoalben: Babyfotos, Fotos von ihr als Teenie mit grünen Haaren, Bilder von Familienfeiern und ihren angeblichen Freunden.

Auf dem letzten Bild, das sie ihr damals gezeigt hatten, war sie als junge Frau in einem Tarnanzug. Irgendwo am Ende der Welt. In einem fremden Dorf. Vor einer alten Hütte. Umringt von Kindern. Sie sei bei der Army gewesen. In Afghanistan. So hatte man ihr erzählt. Eines Tages sei sie bei einem Bombenanschlag so schwer verletzt worden, dass sie mehrere Wochen im Koma lag.

Als sich ihr Zustand stabilisierte, hatten ihre Eltern alle Hebel in Bewegung gesetzt, um sie nach Hause zu holen. Doch dieses Zuhause hatte Kate nicht mehr erkannt. Genauso wenig wie die Menschen, die Tag für Tag an ihrem Bett saßen und mit ihr redeten. Und diese Frau im Spiegel blieb ihr auch absolut fremd.

Es war ein mühsamer Kampf zurück ins Leben. Mittlerweile hatte sie sich einfach damit abgefunden, dass ihr Gedächtnis nicht mehr zurückkommen würde. Kate hatte vor zehn Jahren ein komplett neues Leben begonnen.

Die meisten Freunde hatten sich irgendwann von ihr abgewandt. Sie sei nicht mehr dieselbe wie früher – ach was?! Deshalb hatte sie sich relativ schnell auf neue unkomplizierte Bekanntschaften konzentriert, die ihr nicht vorwerfen konnten, wer sie ist oder besser gesagt, was aus ihr geworden ist. Die einzigen, die ihr aus ihrer Vergangenheit geblieben waren, waren ihre Eltern. Auch die Beiden waren ihr natürlich zunächst absolut fremd gewesen. Da sie sich aber anscheinend wirklich aufrichtig um sie sorgten und sich auch nicht abwimmeln ließen, hatte Kate beschlossen dieser netten Dame und dem alten Mann eine Chance zu geben und sie Mum und Dad zu nennen.

Wie um Himmels willen kam jetzt dieses Handy in ihre Tasche und wieso war da das alte Foto von ihr als Soldatin auf dem Display?

Sie wischt mit zittrigen Händen über ihr Gesicht und entdeckt dabei den kleinen Briefumschlag links oben in der Ecke. Sie kann das Handy ohne Weiteres entsperren. Es ist nicht einmal Passwort geschützt und hat auch kein Entsperrmuster oder Ähnliches. Vorsichtig öffnet sie die Nachricht und starrt auf das Bild und die Worte darunter. „Du hast mir alles genommen und mich in der Hölle zurückgelassen – und dieses verfluchte Land bezahlt dich Hure auch noch dafür! Ich werde für Gerechtigkeit sorgen und du wirst für deine Taten bluten, Bitch!“

Auf dem Bild liegen Männer, Frauen und Kinder mit starren Augen und Dreck verschmierten Gesichtern nebeneinander. Ihre leblosen Körper oder das was von ihren Körpern übrig ist, sind überhäuft mit ausgebluteten, schwarzen Löchern.

Kate schließt die Augen und spürt wie die Übelkeit in ihr hochsteigt. Sie schafft es gerade noch bis zur Kloschüssel. Sie kotzt. Sie würgt. Sie kotzt. Bis sie erschöpft auf dem kalten Badezimmerboden zusammenbricht. Ihr wird schwarz vor Augen. Kate hat keine Ahnung wie lange sie da lag. Langsam kommt sie zu sich. Sie spürt wie ihr ganzer Körper schmerzt.

Das muss sie sich eingebildet haben. Sie hatte eindeutig zu viel getrunken gestern. Irgendein verschmähter Liebhaber wollte ihren Kater ausnutzen und einen fiesen Streich mit ihr spielen, denkt sie sich. Kate richtet sich vorsichtig auf und tapst völlig entkräftet Schritt für Schritt zurück in die Küche. Sie setzt sich auf den Tisch und versucht krampfhaft einen einzigen klaren Gedanken in ihrem Kopf zu finden. Wer versuchte ihr hier Angst zu machen und was sollte dieses schreckliche Kriegsbild? Sie konnte sich an ihre Zeit als Soldatin nicht mehr erinnern. Derjenige, der ihr dieses Handy in die Tasche geschmuggelt hatte, musste jemand aus ihrer nicht vorhandenen Vergangenheit sein. Nein, das war nicht einfach nur irgendein enttäuschter, verschmähter Lover. Es gab jemanden, der sie abgrundtief hasste und scheinbar zu allem bereit war. Kate merkt wie sich ihr Magen bei diesem Gedanken wieder schmerzvoll zusammenzieht. Sie nimmt das fremde Smartphone entschlossen vom Tisch. Sie muss jetzt herausfinden, wem dieses Handy gehört und was das alles zu bedeuten hat. Kate durchsucht das fremde Handy nach Nummern, Apps, Hinweisen, Bildern und Kontaktdaten, aber es gibt nur dieses Foto und diese eine Nachricht von einer ihr unbekannten Nummer. Sie beschließt zu antworten:

Wer bist du? Und was willst du von mir?“

Keine Minute später – PING – „Ich bin derjenige, der dich heute Stück für Stück vernichten wird. Dein Feind.

Im selben Moment klingelt es an der Tür. Kate zuckt zusammen. Sie schleicht auf Zehenspitzen zu ihrer Wohnungstür. Schaut durch den Spion. Doch da ist niemand. Vorsichtig öffnet sie die Tür. Nur einen kleinen Spalt. Blinzelt nach draußen. Auf der Türschwelle liegt ein kleines Paket. Für Kate. Ohne Absender. Es muss jemand gerade eben hier abgelegt haben. Unsicher nimmt sie es hoch. Stellt es auf dem Küchentisch ab und fährt langsam mit einem scharfen Messer an dem Klebeband entlang. Mit zitternden Händen öffnet sie die Kiste.

Kate möchte laut schreien, aber es kommt nicht ein einziger kleiner Laut aus ihr heraus. Sie hat das Gefühl zu ersticken. Erst jetzt realisiert sie wie die Panik sie fest gefangen hält. Was geschieht hier? Wer hasst sie so sehr, dass er ihr so etwas Grausames antut? Tränenüberströmt streichelt sie das weiche Fell des leblosen Katzenkörpers. Merle! Es war eindeutig ihre geliebte Merle.

Kate spürt wie sich der Schmerz, die Hilflosigkeit und ihre Angst nach und nach in eine explodierende Wut umwandelt. Sie schnappt sich das fremde Handy und rennt los.

Mehrmals hatte sie versucht die unbekannte Nummer zu wählen – ohne Erfolg. Der Feind nahm nicht ab. Er reagierte auch nicht auf ihre zahlreichen Hassnachrichten, die sie ihm in den letzten Minuten geschickt hatte. Kate reißt die Tür auf. Stürmt in die Bar. An der Theke vorbei. Sie schreit: „Johnny, wo steckst du?“. Kate hört das Geklapper von Kisten und Flaschen aus dem Keller. Sie stürzt die Treppen hinunter. Bleibt atemlos vor ihm stehen. Erstaunt schaut Johnny sie an:

Kate?“. Sie hält ihm das Handy unter die Nase. „Irgendjemand hat mir gestern dieses Smartphone in die Tasche gesteckt. Hast du eine Ahnung, wer das war?“ Erst jetzt bemerkt Johnny wie aufgelöst Kate wirkt.

Kate, was ist denn los? Ich weiß nichts von diesem Handy. Warum sollte es dir irgendwer in die Tasche gesteckt haben?“, fragt Johnny sichtlich irritiert.

Ich muss es unbedingt wissen, Johnny. Bitte versuch dich zu erinnern, es ist wirklich wichtig“, bettelt Kate hysterisch.

Du weißt doch was hier gestern los war, ich weiß wirklich nichts. Komm, ich mache uns erst einmal einen Kaffee und dann erzählst du mir, was es mit diesem Handy auf sich hat, ok?“ Kate atmet schwer und versucht es erneut:

Johnny, bitte es ist wirklich wichtig. Bitte versuch dich zu erinnern. Ist dir gestern irgendwer aufgefallen oder kam dir irgendwie gefährlich vor? Der Typ, der mir dieses Handy in die Tasche gesteckt hat, muss jemand aus meiner Vergangenheit sein. Es muss jemand sein, der mich zutiefst hasst. Johnny, er hat meine Katze getötet und sie mir vor die Tür gelegt. Er hat geschrieben, dass er sich an mir rächen will und mich Stück für Stück vernichten wird. Bitte, du musst mir helfen. Ich muss wissen, wer das war“, schreit Kate verzweifelt und schluchzend zugleich. Johnny steht wie angewurzelt vor ihr und weiß nicht, wie er reagieren soll. Er will Kate beruhigen, doch er hat keine Ahnung wie. Es zerreißt ihn sie so zu sehen. Er liebt sie seit dem ersten Tag als sie in seine Bar hereinspaziert war, aber das würde er ihr natürlich niemals sagen. Er hätte bei ihr null Chancen. Da war er sich absolut sicher. Sie konnte jeden haben. Sie würde sich niemals mit so einem alten, armen Bar-Typen wie ihm abgeben. Er würde sie jetzt so gerne in den Arm nehmen und fest an sich drücken. Johnny hat Kate noch nie so gesehen. Mit dieser Kate, die hier gerade völlig aufgelöst vor ihm steht und schreit, ist er völlig überfordert. Er muss sich jetzt zwingen einen klaren Gedanken zu finden. Johnny will jetzt unbedingt das Richtige sagen, um ihr zu helfen.

Erde an Johnny! Hast du gehört, was ich dir sage?“, schreit Kate und reißt ihn damit aus seinen Gedanken und zurück in die Realität.

Ja ja, sorry! Mein Gott, Kate! Ich, ich habe wirklich keine Ahnung, es tut mir leid. Warst du schon bei der Polizei?“, stottert er, „Du musst das sofort melden. Die müssen dich beschützen. Los, wir rufen da jetzt sofort an!“ Johnny schnappt sich eine Kiste Wasser und eilt die Treppe hinauf. Kate ist gerade auf der ersten Stufe, als sie erst den Schuss und dann das PING hört:

und jetzt sind Mum und Dad dran.“

Kate rennt panisch los. Nimmt immer drei Stufen auf einmal. Bricht über Johnnys Körper zusammen. Er ist umgeben von einer dunkelroten Blutlache, die sich langsam über dem klebrigen Kneipenboden ausbreitet. Der Feind hatte ihm mitten ins Herz geschossen. Johnny hatte keine Chance gehabt. Er war sofort tot.

Warum? Warum? Was habe ich dir nur angetan? Ich kann mich doch an dich gar nicht mehr erinnern. Warum machst du das mit mir?“ Kate trommelt mit ihren Fäusten an die Wände. So lange und so fest bis ihre Knöchel blutig sind. Alles um sie herum dreht sich. Sie beugt sich erneut über Johnny. Umarmt ihn so fest sie kann. Er war ihr bester Freund. Vielleicht ihr einziger Freund. Warum er?

Plötzlich durchzuckt es ihren gesamten Körper. Als habe sie einen schweren Stromschlag bekommen. Die letzte Nachricht. Sie rennt panisch los. Er ist auf dem Weg zu ihren Eltern. Kate muss ihn aufhalten. Er darf sie nicht in die Finger bekommen. Immer wieder wählt sie die Nummer ihrer Eltern. Warum verdammt nochmal hebt denn niemand ab? Ist es schon zu spät? Hat er sie schon in seiner Gewalt?

Endlich erreicht sie das Haus. Die Tür ist offen. Er ist schon hier. Er war schneller als sie. Sie weiß es – noch bevor sie das Haus betritt.

Mum, Dad, wo seid ihr?“ ruft sie.

Kate hört leises Stöhnen. Ein Wimmern, das sie erschaudern lässt. Sie stürmt ins Wohnzimmer. Sieht ihre Eltern auf zwei Stühlen gefesselt und geknebelt. Ihre Mutter weint. Sie reißt ihre Augen unnatürlich weit auf als sie ihre Tochter entdeckt. Ihr Vater scheint bewusstlos zu sein. Sein Kopf liegt auf seiner Brust. Er hat eine blutende Wunde an seinem Kopf, aber er atmet noch.

Mit dem Rücken zu ihr sitzt er. Der Feind mit der Knarre in seiner Hand.

Hallo Kate, wir haben auf dich gewartet. Du sollst schließlich mit ansehen, wie ich deine Eltern töte. So wie ich damals.“

Kate ist starr vor Angst. Sie ist mittendrin in ihrem eigenen Horrorfilm. Sie will jetzt keinen Fehler machen. Sie darf ihn jetzt auf gar keinen Fall provozieren. Sie muss das Leben ihrer Eltern retten. Langsam geht sie auf ihn zu. Setzt sich im Schneidersitz vor ihn auf den Boden. Irgendetwas in ihrem Kopf hat gerade Klick gemacht. Sie hat sich in eine emotionslose Maschine verwandelt. Kate blendet alles aus. Ihre Eltern. Die Pistole. Die Gefahr. Den Tod. Sie sieht im tief in die Augen. Mit aller Gewalt versucht sie sich zu erinnern. ‘Fokussiere dich und konzentriere dich auf die Gesichter‘ hatte der Therapeut ihr immer wieder gesagt. Es hatte nie funktioniert. In ihrem Kopf war immer dieses tiefe schwarze Loch geblieben. Ihre Eltern waren gegen die Therapie. Sie meinten, dass bestimmte Erinnerungen zu schmerzhaft seien.

Kate fixiert ihren Feind jetzt fest und ruhig mit ihren Augen. Scannt jede Falte in seinem Gesicht. Diese großen schwarzen Augen.

Pedro“, flüstert sie leise.

Der Mann blickt ihr jetzt direkt in die Augen. Kate hat noch nie in ihrem Leben so viel Zorn und Hass in einem Menschen gesehen.

Pedro“, versucht sie ihn mit sanfter Stimme zu beruhigen. „Warum tust du das? Ich weiß nichts mehr von damals. Ich habe bei diesem Bombenanschlag mein Gedächtnis verloren. Ich kann mich an nichts mehr erinnern. Aber ich erkenne deine Augen. Erzähl es mir.“ Pedro funkelt sie böse an:

Du willst mir sagen, du kannst dich nicht daran erinnern, was du damals getan hast. Du hast das Bild gesehen. Das warst du. Du hast meine Familie kaltblütig erschossen. Einen nach dem anderen. Ohne zu zögern. Einfach so. Weil man es dir befohlen hatte. Du hast mich damals in einer Ecke gefunden und mich verschont. Mich hast du am Leben gelassen und mir gesagt, dass alles gut wird und dass du dich um mich kümmern wirst. Du hast gesagt, du nimmst mich mit.“ Der Feind richtet die Waffe auf Kate.

…und dann hast du mich doch in dieser Hölle zurückgelassen. Du hattest es versprochen und Versprechen muss man halten, Kate.“

Kate legt ihre Hände auf seine Knie und spürt sein Zittern. Sie hat Tränen in den Augen und zum allerersten Mal Bilder im Kopf.

Wochenlang habe ich nach dir gesucht, bis ich irgendwann herausgefunden habe, dass du schon längst wieder in Amerika bist. Du hast mich einfach im Stich gelassen“, fährt Pedro fort. Auch ihm laufen jetzt Tränen über die Wangen. Er fällt kraftlos in sich zusammenzufallen und lässt die Waffe auf seinen Schoß sinken.

Ich habe mir geschworen, dass ich dich eines Tages finden werde. Ich habe jahrelang Tag und Nacht geackert, um hierher zu kommen. Ich habe lange nach dir gesucht. Und was finde ich heraus? Die Army hat dir einen dicken fetten Scheck ausgestellt. Dafür, dass du meine Eltern und meine Geschwister getötet hast. Und du versäufst dieses Blutgeld, vögelst mit irgendwelchen Kerlen rum und lässt es dir gut gehen. Du bist die größte Bitch, die hier durch die Straßen läuft und genauso skrupellos wie damals. Du denkst nur an dich und alle anderen sind dir egal. Hast du wirklich gedacht, bei mir zieht dieses „Ich armes Mäuschen habe mein Gedächtnis verloren“- Nummer.“ Pedro erhebt sich. Seine Stimme klingt jetzt wieder fest und entschlossen. Er wischt sich die Tränen weg und hebt die Waffe.

Pedro, bitte“, fleht Kate ihn an, „Sie können nichts dafür. Bitte nicht. Lass sie gehen. Ich allein trage die Schuld dafür.“

So ist es. Du allein trägst die Schuld und heute ist der Tag, an dem du für all das büßen wirst.“ Dann drückt er ab. Einmal, zweimal – Mum, Dad – tot! Es geschieht so schnell, dass Kate erst reagieren kann, als es zu spät ist. Ihr Körper erstarrt. Sie fühlt nichts mehr. Als habe man gerade ihr eigenes Leben ausgelöscht. Sie kann nicht weinen. Kann nichts mehr sagen. Kann nicht mehr atmen. Alles läuft in Zeitlupe ab. Kate spürt Pedros Hass in ihrem Körper. Sie blickt auf ihre toten Eltern. Sie versteht ihn.

Sie erhebt sich langsam. Schaut Pedro tief in seine großen, schwarzen Augen. Nimmt ihm behutsam die Waffe aus den Händen. Geht zu ihren Eltern. Setzt sich vor sie.

Wenn ich diese Person bin, die du da gerade beschrieben hast, dann verstehe ich deinen Hass. Und ich werde weder mit den Bildern aus meiner Vergangenheit, noch mit den Bildern aus der Gegenwart leben können.“

Kate schiebt sich die Waffe in ihren Mund. Schließt die Augen. Pedro hört nur noch den Knall. Er lässt sein Handy in den nächsten Mülleimer fallen und schlendert mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht der Sonne entgegen.

 

4 thoughts on “Tödliches Versprechen

  1. Moin Moin,

    starke Storie. Vom Anfang bis zum Ende gut erzählt. Von knapp 180 Geschichten die ich jetzt gelesen habe, ist deine tatsächlich die erste, die das „ böse F Wort „ benutzt. ☺️

    Bei Kommentaren zu meiner Geschichte hat man mich darauf hingewiesen das ich auf Wortwiederholungen achten sollte…bei dir sind mir diese Wortwiederholungen auch aufgefallen, sie bremsen ein wenig den Lesefluss. Deine Kurzgeschichte wusste aber dennoch auf alle Fälle zu gefallen, danke das du sie mit uns geteilt hast.

    Mein Like lass ich dir gerne da und wünsche dir alles Gute für’s Voting.

    LG Frank aka leonjoestick ( Geschichte: Der Ponyjäger)

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