Dana SmithTriple Phone

Amely saß an ihrem Schreibtisch und starrte auf den Bildschirm des Laptops, während sie sich mit dem Ende eines Bleistifts über die Kopfhaut kratzte. Ein Blick auf das verschmierte Stiftende verriet ihr, dass die Haut an der Stelle nicht mehr blutete, sondern bereits eiterte. Verdammte Neurodermitis! Sie litt seit ihrer Kindheit an dieser Krankheit, aber seit der Geschichte mit Ben und Lina war es katastrophal geworden. Sie kratzte und kratzte. Dieses verteufelte Jucken hörte nicht auf. Selbst wenn die Stellen wund wurden, quälten sie Amely weiter.

Sie wischte den Stift an ihrer Jogginghose ab und betrachtete das seit Stunden gleiche Bild auf ihrem Monitor. Die Kamera war auf eine schnöde weiße Zimmerdecke gerichtet und in der rechten oberen Bildecke sah Amely den Teil eines Kronleuchters aus Hirschgeweihen. Die Geweihe waren ineinander verdreht und mit elektrischen Kerzen besetzt. Sie hatte nie verstanden, was ihre ehemals beste Freundin an diesem scheußlichen Ding fand. Sie konnte gar nicht zählen wie oft sie auf Linas Sofa gesessen und den Lüster voller Abscheu betrachtet hatte. Für dieses Monstrum hatten mindestens drei Tiere sterben müssen! »Lass mich!«, sagte Lina immer. »Der ist von meinem Opa und ich halte ihn in Ehren.« Amely schüttelte sich. Jetzt konnte sich Ben mit dem Teil herumärgern. Sie würde keinen Fuß mehr in diese Wohnung setzten. Seitdem sie Lina mit Ben im Bett erwischt hatte, herrschte Funkstille zwischen ihnen.

Ihre beste Freundin und der Mann, den sie heiraten wollte. Ein Bildertsunami donnerte durch ihre Gedanken und ertränkte den letzten positiven Funken einer Erinnerung. Ben hatte auf dem Bett gesessen, Lina auf ihm drauf. Eine Zeit lang hatte Amely ihnen fassungslos zugesehen. Keiner der beiden bemerkte sie. Dann sagte Ben etwas, das sich unauslöschlich in ihren Verstand brannte. Er umarmte Lina, legte seinen Kopf an ihre Brust und flüsterte mit geschlossenen Lidern: »Bitte verlass mich nie wieder, Baby. Versprichst du mir das? Ich liebe dich mehr als mein Leben.« Dann hatte er die Augen aufgeschlagen, Amely erblickt und gerufen: »Ach du scheiße! Wie kommt die denn hier rein?«

Amely kratzte weiter unaufhörlich mit den Fingernägeln auf ihrem Kopf herum und fühlte, dass der Schorf in ihren Haaren klebte. Sie hatte damals die Wohnung sturzartig verlassen und in dem ganzen Trubel vermisste bis heute keiner den noch immer in ihrem Besitz befindlichen Wohnungsschlüssel.

Ihre Fingerspitzen wurden klebrig. Die Erinnerung gruben all die verschütteten Gefühle wieder aus und Amely packte die nackte Wut. Der Stift bohrte sich in die Kopfhaut und ihre Finger verkrampften sich unter der Anspannung so stark, dass der Bleistift in zwei Teile brach. Sie betrachtete die Bruchstücke in ihrer Hand. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Das war die Versinnbildlichung für das, was sie mit der Beziehung der beiden anstellen würde. Dann bewegte sich das Bild auf ihrem Monitor.

 

Ben drehte den Kopf und sah auf die schlafende Lina. Ihr Brustkorb hob und senkte sich in ruhigem Rhythmus. Gerne würde er jetzt an ihr herumfummeln, doch er musste erst mal schiffen und was trinken. Der gestrige Alkohol hatte einen toten Hamster in seinem Mund hinterlassen. Mit einem leisen Seufzer stand er auf. Es wäre ratsam gewesen, weniger Gin zu trinken, doch nachdem sich Lina so daneben benommen hatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zu besaufen. Sie hatte hemmungslos mit dem Kellner geflirtet. An ihrem Jahrestag! Als sie im Restaurant ankamen, bemerkte Ben sofort, dass sie dem Typen schöne Augen machte. Er war sich sicher, dass sich die beiden schon länger kannten. Doch Lina stritt alles ab. Er würde Gespenster sehen hatte sie ihm vorgeworfen.

Ben drückte die Klospülung, ging in die Küche und schenkte sich ein Glas Cola ein. Gespenster! Dass ich nicht lache, dachte er. Wenn sie es einfach zugeben würde, hätte er kein Problem damit, aber immer diese Lügen! Er schlurfte ins Wohnzimmer, bückte sich um sein Glas auf den Tisch zu stellen, und knallte mit voller Wucht gegen den Leuchter.

»Du verficktes Scheißteil!«, fluchte er und schlug gegen eines der Geweihe. Die Wut kroch in ihm hoch. Er sollte es von der Decke reißen und aus dem Fenster werfen! Scheiß was auf ihren Opa! Diese Lampe war grottenhässlich und dazu noch saugefährlich! Er ließ sich auf die Couch sinken.

Während er sich die Stirn rieb, fiel sein Blick auf das Smartphone. Lina hatte ihr Handy liegen lassen. Er griff danach und der Bildschirm leuchtete auf. Keine Sperre an vertrauenswürdigen Standorten, ein Hoch auf Linas Faulheit. Vom Startbildschirm grinste ihn diese dämliche Katze an. Was fanden die Weiber bloß an einer fetten Katze mit Stummelbeinchen?

Er stöberte ein wenig in ihren Social-Media-Accounts und klickte sich anschließend durch die Fotogalerie als ihn eine Aufnahme wie ein Faustschlag traf. Er starrte auf das Display und Übelkeit rauschte wie ein Hochgeschwindigkeitszug durch seine Gedärme. Das Bild zeigte Lina, wie sie einen Mann umarmte. Ben zog das Foto größer, konnte aber nicht erkennen, wer der Kerl war. Er wischte zum nächsten Bild. Wieder Lina und der Typ, ein weiteres auf dem sie ihm auf die Stirn küsste und abschließend eine Nahaufnahme von beiden. Andi? Sein bester Kumpel? Ben lief es heiß und kalt den Rücken runter. Das war Andi! Auf dem letzten Bild konnte man ihn eindeutig erkennen. Lina hatte ein Verhältnis mit seinem besten Freund. Die Aufnahmen sprachen eine klare Sprache und ließen für Ben keinen Zweifel zu. Diese Schlampe! Wie konnte sie ihn nur so hinterhältig betrügen! Ben schlug mit der Faust in das Sofakissen. Er hätte es wissen müssen, denn sie war in den letzten Wochen ständig später von der Arbeit gekommen. »Sorry Schatz, Überstunden!«, war ihre beschissene Ausrede gewesen und er war so dumm und hatte ihr geglaubt.

»Aaaaah, Ben!«, zischte er, »wie konntest du nur so dämlich sein!« Er schlug sich immer wieder mit der Faust vor die Stirn. »Denk nach, du Idiot! Seit wann läuft das?« Er steckte den Daumen in den Mund und biss zu. Schmerz schoss durch seine Hand, das half ihm klarer zu denken. Seit wann betrogen die beiden ihn schon? Denk nach, Ben! Denk nach! Er stand auf und lief im Wohnzimmer auf und ab, da blieb sein Blick an dem Bilderrahmen mit den Eintrittskarten hängen. Von jedem Konzert, auf das er gegangen war, hatte er die Karte aufgehoben und eingerahmt.

Andi und er wollten vor einigen Monaten auf ein Rockkonzert. Aber sein Kumpel hatte kurzfristig abgesagt, weil seine Mutter ins Krankenhaus musste. Ben wunderte sich noch heute darüber, denn Andi gab einen Dreck auf sie.

Zu diesem Zeitpunkt mussten die beiden schon ein Verhältnis gehabt haben. Er war sich in der Nacht nach dem Konzert sicher gewesen, dass sein Bett nach einem fremden Mann roch. Lina zeigte ihm damals einen Vogel und meinte, er habe nicht mehr alle Latten am Zaun. Er hatte auf die frischen Spermaflecken im Bett gedeutet und sie hatte kackfrech behauptet, die seien von ihm und schon einige Tage alt.

Wieder kochten Wut und Zorn in ihm hoch, zusammen mit einem weiteren Gefühl, dass er nicht deuten konnte. Die Demütigung setzte sich auf seine Brust und nahm ihm die Luft zum Atmen. Warum tat sie ihm das an? Er aktivierte das Display des Smartphones erneut und starrte auf die Bilder. Sein Daumen wischte von links nach rechts und zurück, vorwärts und rückwärts immer wieder dieselben Aufnahmen. Wie in einer Bildertrommel verschwammen sie vor Bens Augen zu einem Film.

Abrupt hielt er inne und wechselte auf den Startbildschirm. Das Grinsen der Katze schien höhnischer geworden zu sein. Er kickte auf das grüne Icon mit dem weißen Hörer und eine Liste der Chats öffnete sich. Ben registrierte sofort, dass unter den Namen der Gesprächspartner keine Nachrichten zu sehen waren, außer bei einem – Andis. Er öffnete diesen und sah nur einen Satz, der an Lina geschickt worden war: Schlaf gut, I miss you. Gesendet um 1:32 Uhr – heute Nacht.

Ein roter Filter schob sich vor Bens Blick und der Herzschlag füllte seinen Kopf aus. Er glaubte, sein Schädel würde jeden Augenblick zerspringen. Wie konnte er nur so dumm sein? Alles hatte es für Lina getan. Er hatte sie heiraten wollen! Wollte sie auf Händen tragen und sie hinterging ihn schamlos, schrieb Nachrichten mit seinem besten Freund, während er nebenan schlief!

Er sprang auf und rannte ins Schlafzimmer. Die Tür flog auf und knallte donnernd gegen die Kommode. »Lina, du mieses Stück! Wach auf!«, brüllte er.

Lina fuhr hoch und starrte ihn mit großen Augen an. »Was ist los? Brennt es? Ist was passiert?« Sie sah sich irritiert im Raum um.

Ben hechtete durch das Zimmer, er war mit einem Satz bei seiner Freundin. Er packte ihre Schultern und schüttete sie. »Du mieses Stück, wie konntest du mir das antun? Mit meinem besten Kumpel!«

»Lass mich los, verdammt! Du tust mir weh!« Lina versuchte vergebens, sich aus dem Griff ihres Freundes zu lösen. Seine Hände glichen Schraubzwingen. »Aua! Ben, du tust mir wirklich weh!«

Er tat ihr weh? Sie war doch diejenige, die auf ihm herumtrampelte und sein Herz in tausend Stücke riss! Am liebsten hätte er ihr gezeigt, was wirkliche Schmerzen waren und wieder jenes Gefühl, das er nicht deuten konnte. In diesem Moment verabscheute er sie nur noch. Seine bedingungslosen Liebe war abgrundtiefem Hass gewichen. Ben ließ sie los und versetzte ihr einen derart harten Schubs, dass Lina nach hinten schnellte und mit dem Kopf an das Bettende knallte.

Wie ein Stehaufmännchen schoss sie wieder in die Höhe. »Hey! Sag mal, spinnst du jetzt komplett? Ich hab dir gestern schon gesagt, dass ich nicht mit dem Kellner geflirtet habe. Er übrigens auch nicht mit mir. Ich weiß nicht, was du da gesehen haben willst. Deine Eifersucht ist echt krankhaft!« Sie rieb sich den Hinterkopf, schlug die Bettdecke zur Seite und schwang die Beine aus dem Bett.

Er hielt sie wieder am Arm fest. »Du bleibst hier, bist du mir das hier erklärt hast.« Ben hatte das Handy aus der Tasche seiner Jogginghose geholt und öffnete den Messenger. Er hielt ihr das Telefon so dicht vor die Nase, dass sie sich nach hinten lehnen musste, um etwas zu erkennen.

Lina riss ihm das Smartphone aus der Hand. »Du Vogel! So kann ich gar nichts sehen.« Sie sah achselzuckend auf das Display und gab ihm das Gerät zurück. »Was soll mir das jetzt sagen?«

Ben unterdrückte den Impuls, ihr eine Ohrfeige zu verpassen. »Hör auf mich zu verarschen! Das hat dir Andi geschrieben. Wie lange fickst du ihn schon?«

»Alter, bist du jetzt total bescheuert?« Linas Stimme war mit einem Mal erstaunlich gefasst. »Du hast ja nicht mehr alle Tassen im Schrank!« Sie sah ihm direkt in die Augen.

In Ben blitzte ein Funken Verunsicherung auf. »Lina«, er versuchte, seine Stimme unter Kontrolle zu halten, »bitte sag mir einfach die Wahrheit. Es ist nicht schlimm. Hauptsache du lügst mich nicht wieder an.« Er holte tief Luft. »Seit wann hast du ein Verhältnis mit Andi?«

»Du bist krank. Ich hab kein Verhältnis! Mit niemandem.« Sie tippte sich an die Stirn.

Diese Geste ließ ihn innerlich wie ein Vulkan explodieren. Heiße Wut und kochender Zorn ergossen sich in jeden Teil seines Körpers. Es brauchte nicht mehr viel und er würde ihr eine verpassen. »Ich bin krank?« Er packte sie an den Schultern und schüttelte sie. »Ich bin krank?«, jetzt brüllte er.

Lina trat nach ihm und erwischte ihn mit voller Wucht am Oberschenkel. Ben griff reflexartig an die getroffenen Stelle. Sie sprang aus dem Bett und war schon fast an der Schlafzimmertür, als er mit nur einem Sprung in greifbare Nähe kam und sie an den Haaren packte. Lina schrie auf und kippte nach hinten. »Du bleibst hier, du verdammte Schlampe!«

»Lass mich!«, kreischte sie. »Du machst mir Angst!«

»Du wirst dir das jetzt ansehen und mir erklären, was ich falsch gemacht habe.« Er zog sie an den Haaren aufs Bett zurück und griff nach dem Smartphone.

Lina fixierte ihn mit tränenerfüllten Augen. »Du bist verrückt«, flüsterte sie, sank auf die Matratze und starrte auf das Display, welches Ben ihr entgegenhielt.

»Was siehst du da?«, wollte er wissen.

Zwischen ihren Augenbrauen bildeten sich tiefe Falten, während sie auf das Bild starrte. »Hast du mich bespitzelt?«

»Das ist nicht die Antwort auf meine Frage! Was siehst du da?«, zischte Ben.

»Was soll ich schon sehen? Das sind Andi und ich.«

»Ach! Also doch!«

»Was, also doch?«, jetzt war es Lina, die brüllte.

»Du bescheißt mich!«

Sie riss ihm das Handy aus der Hand und hielt es in seine Richtung. »Was bitteschön ist denn dort zu sehen? Ich umarme deinen Kumpel. Und? Was ist schlimm daran? Wie kommst du darauf, dass ich ein Verhältnis mit ihm habe und wann, verdammt, hast du dieses Bild gemacht?«

»Das, meine Liebe, das solltest du mir beantworten. Es ist schließlich auf deinem Handy, genau wie seine Nachricht. Den restlichen Chatverlauf hast du ja aus guten Gründen gelöscht.«

»Mein Handy?« Sie betrachtete das Smartphone und öffnete mehrere Apps. Tatsächlich gab es einen Social-Media-Profil mit einem Bild von ihr und auch ein Adressbuch mit einigen ihrer Kontakte. Allerdings war die Kontaktliste unvollständig und die Profilbilder stimmten nicht mit ihren aktuellen überein. Das Handy selber sah aus wie ihres und sogar der kleine Diamant, welcher die Kopfhörerbuchse vor Staub schützte, und der Swarovski Teddy, der an der Hülle aus rosafarbenem Metall baumelte, sahen aus wie ihrer. Was sollte es für einen Sinn haben, dass sie Aufnahmen, die aus großer Entfernung gemacht worden waren, auf ihrem Telefon hatte? Wenn sie Fotos machte, dann Selfies. Was zur Hölle war in ihren Freund gefahren? Warum spionierte er ihr nach, machte Fotos und platzierte sie auf ihrem Handy?

Seine Eifersucht war pathologisch und sie war nicht zum ersten Mal an dem Punkt, an dem sie entschied, dass eine Trennung das Beste wäre. Doch aus den verschiedensten Gründen hatte sie in letzter Konsequenz nie die Reißleine gezogen. Ihr hätte von Anfang an klar sein müssen, dass die Beziehung zum Scheitern verurteilt war, denn schon mit Amely hatte er sich laufend gestritten, weil er hinter jeder Geste eine Flirterei oder ein Verhältnis vermutet hatte. Es war Ironie des Schicksals, dass Ben am Ende derjenige war, der fremdging – mit ihr. Ben war ein Traummann, ihr Traummann, wären da nicht seine ewigen Zweifel an ihrer Treue.

Diese Aktion ging eindeutig zu weit. Sie hatte keine Ahnung, woher er dieses Handy hatte und wo die Bilder und der angebliche Chat herkamen und im Grunde war es ihr egal. Noch nie war er so brutal mit ihr umgegangen und Lina war sich bewusst, dass dies das Ende ihrer Beziehung war. Sie musste hier weg. »Das ist nicht mein Handy. Und weißt du was, Ben? Ich werde jetzt meine Sachen packen und hier verschwinden. Was hältst du denn davon, wenn du zu Amely zurückgehst? Die ist ja offensichtlich blendend mit deinen Eskapaden zurechtgekommen.«

Ben sah zu, wie sie aufstand. Das Smartphone rutschte von der Bettdecke und knallte auf den Fußboden. Lina kramte ein paar frische Socken und Unterwäsche aus der Kommode und in seinem Kopf hallte nur ein Satz: »Ich werde hier verschwinden.« Sie wollte ihn verlassen! Seine Gefühle glichen einer Rafting-Tour, mit dem kleinen Unterschied, dass sie keinen Fun brachten. Wut und Hass tanzten Ringelreihen mit Trauer und Verzweiflung. Ihm wurde übel. »Lina, du darfst nicht gehen«, flüsterte er.

»Das hättest du dir früher überlegen sollen. Der Zug ist abgefahren. Was du dort auf den Bildern siehst, war ein Treffen mit Andi, um eine Überraschungsfeier zu deinem Geburtstag zu organisieren.« Sie drehte sich zu ihm um und sah ihn an. Ihr Gesicht glich einer reglosen und gefühlskalten Maske. »Und du machst ein Verhältnis davon und zerrst mich brutal durch die Wohnung! Ich will nie mehr etwas mit dir zu tun haben.« Dann drehte sie sich um, um ins Badezimmer zu gehen.

In Bens Magen explodierte die Wut. Mit einer Schnelligkeit, die er sich selber niemals zugetraut hätte, sprang er vom Bett, durchquerte den Raum, bekam den eisernen Kerzenständer zu fassen und schlug zu. Augenblicklich wurde ihm bewusst, was das unbestimmte Gefühl von vorhin zu bedeuten hatte. Es war Mordlust.

Lina fiel der Länge nach hin und knallte mit dem Kopf an die Türzarge. Ben erschaudert. Er wusste im selben Moment, dass ihn das Geräusch, das Linas Genick verursachte, ein Leben lang verfolgen würde. Er starrte auf seine Freundin, die regungslos vor ihm lag.

»Nein«, flüsterte er. Die Wut war wie weggewischt. »Nein.« Langsam ging er zu ihr und sank auf die Knie. Er griff nach ihrer Schulter und drehte sie vorsichtig zu sich. Ihre Arme hingen schlaff an ihrem Körper und ihr Kopf klappe unnatürlich weit zur Seite. Er setzt sich eben sie und legte behutsam ihr Haupt in seinen Schoß. Er strich ihr die braunen Haare aus dem Gesicht und streichelte ihre Stirn. »Lina, wach wieder auf. Das wollte ich nicht.« Eine Träne lief über seine Wange. »Lina bitte, ich liebe dich doch.« Er schaukelte vor und zurück und wog seine tote Freundin wie ein schlafendes Kind hin und her. Tränen flossen über sein Gesicht und langsam begriff Ben, was er getan hatte.

 

Irgendwann, es war schon später Nachmittag, setzte sein Verstand wieder ein. Ben spürte die Beine nicht mehr. Das lange Sitzen auf dem harten Boden hatte fast die gesamte Blutzirkulation zum Erliegen gebracht. Er schob die Leiche vom Schoß und knetete seine Gliedmaßen. Was sollte er jetzt tun? »Oh Gott, hilf mir«, flüsterte er. Doch er wusste, dass Gott ihm hier nicht helfen konnte. Die Scheiße musste er alleine regeln.

Er stand langsam auf, taumelte ins Wohnzimmer, um die Wolldecke zu holen und sie im Flur auszubreiten. Sein Blick blieb an seinen roten Händen hängen. Das Blut musste von dem Schlag kommen. Er hatte nicht bemerkt, dass er sie so heftig getroffen hatte. Ben eilte ins Bad und schrubbte sich so lange die Hände mit der Nagelbürste, bis nichts mehr zu sehen war. Die Haut an seinen Fingern war heiß und spröde vom Malträtieren.

Zurück im Schlafzimmer zog er Lina in den Flur und wickelte sie, so gut es ging, in die Wolldecke ein. Er holte zusätzlich zwei Bettlaken aus dem Schlafzimmerschrank und eine Rolle Panzerband aus dem Keller. Eine Stunde später lag die Leiche eingewickelt und transportbereit vor ihm. Aber wo sollte er sie hinbringen? Er musste sie vergraben, so viel stand fest. Ben nahm sein Smartphone vom Nachttisch und setzte sich aus Bett. Als er auf Google Maps einen geeigneten Ort auserkoren hatte, holte er die Reisetasche aus der Kommode. Er würde allen erzählen, dass Lina nach einem Streit abgehauen war.

Er riss Klamotten aus dem Schrank und stopfte sie in die Tasche. Was würde sie mitnehmen? Ihr Handy! Er hob es vom Boden auf und warf es in die Tasche. Ihre Anti-Baby-Pille! Ben umrundete das Bett und zog die Schublade von Linas Nachttisch auf, um die Pillen herauszuholen. Er hielt inne. Das Gefühl, das ihn durchfuhr, machte jede Bewegung, jeden klaren Gedanken unmöglich. Alle Haare stellten sich auf und seine Haut fühlte sich an, als hätte ihn jemand an eine Batterie angeschlossen. Der kalte Schweiß brach ihm aus. Ben wurde schwindelig. Blitze durchzuckten sein Blickfeld. Langsam setzte er sich auf das Bett und starrte in die Schublade. Er hob die Hand und für einen Moment war er sich sicher, dass seine Muskeln den Dienst versagen würden, doch dann fasste er wie ferngesteuert in das Schubfach. Seine Finger legten sich um das kalte Metall und griffen zu. Er holte Linas Smartphone aus dem Nachtschrank.

»What the fuck?« Mit zitternden Knien stand Ben auf, angelte nach der Tasche und zog sie zum Bett. Das zweite Telefon lag oben auf Linas Klamotten und starrte ihn wie ein riesiges schwarzes Auge an. Der Blick aus der Hölle. Er sah auf das identisch aussehende Handy in seiner Hand und schaltete es ein. Es entsperrte sich sofort und Lina strahlte ihn an. Auf dem Startbildschirm prangte ein Bild von ihm und seiner Freundin. Sie lächelten beide und drückten ihre Wangen aneinander. Das Foto war gestern aufgenommen worden, bevor sie sich auf den Weg in das Restaurant gemacht hatten. »Was für eine Scheiße ist das hier?« Ben verstand nichts mehr. Sein Blick fiel auf seine tote Freundin und Panik überfiel ihn ein weiteres Mal. Er warf das zweite Handy ebenfalls in die Reisetasche. Er hatte keine Zeit, sich mit diesen beschissenen Telefonen zu beschäftigen, er musste jetzt erst mal die Leiche loswerden.

 

Acht Stunden später kam Ben wieder nach Hause. Die Sonne ging bereits auf und hatte er das Gefühl, der Tod sei ihm näher als das Leben. Seine Arme brannten wie Feuer und seine Lendenwirbel schmerzten, als würde jemand mit einer Nadel darin herumbohren. Ben schloss die Tür und lehnte sich gegen die Wand. Er hätte im Stehen einschlafen können. Was für eine Scheiße! Eine Stunde hatte er suchen müssen, um einen geeigneten Ablageplatz für Lina zu finden. Dann grub er gut fünf Stunden ohne Pause das beschissene Loch und brauchte fast eine weitere Stunde, um es wieder zu schließen. Abschließend musste er den Boden so herrichten, dass, sollte sich jemand zufällig in diesen abgelegenen Teil des Waldes verirren, die Stelle nicht sofort erkennbar war. Er hatte sogar sein Handy zu Hause gelassen, denn schließlich sah man in den Krimiserien immer, dass die Bullen über die Funkzellen nachvollziehen konnten, wo jemand gewesen war.

Ben schlug sich die Hände vors Gesicht und rutschte mit dem Rücken an der Wand Richtung Boden. Was hab ich bloß getan? Er hatte seine Freundin erschlagen! Lina, die zukünftige Mutter seiner Kinder. Er pochte mit dem Hinterkopf gegen die Wand. Was hätte anderes tun sollen? Er musste die Leiche verschwinden lassen. Er hätte wohl kaum zur Polizei gehen können.

Urplötzlich wurde wieder die Stimme in seinem Kopf laut. Sie hat es verdient! Genau genommen war sie selber schuld. Hätte sie nicht ständig mit anderen geflirtet, dann wäre er nicht wütend geworden. Dazu kam das Verhältnis mit Andi. Überraschungsfeier, dass er nicht lachte.

Zu gerne hätte er sich die Bilder noch einmal angesehen, aber die Handys waren schon entsorgt. Er hatte sie mit dem Spaten zerlegt und die Einzelteile während der Fahrt Stück für Stück aus dem Fenster geworfen. Die SIM-Karten lagen zu diesem Zeitpunkt bereits unbrauchbar in der Mikrowelle. Sicher war sicher.

»Sie hat es verdient!«, sagte er entschlossen und stand auf um sich etwas zu Trinken zu holen. Ben ging mit einem Glas Cola ins Wohnzimmer und ließ sich langsam auf der Couch nieder. Er bezweifelte, dass sein Lendenwirbel jemals wieder schmerzfrei sein würde, und massierte sich den Rückenmuskel, da blieb sein Blick an einem Gegenstand kleben.

Ben rutschte das Glas aus der Hand und die Limo spritzte ihm an die Beine, als es auf dem Teppich aufschlug. Etwas drückte ihm die Kehle zu und im selben Moment legte sich ein Betonklotz auf seine Brust. Hektisch atmete er ein und aus, um die Lunge mit dem geforderten Sauerstoff zu versorgen, doch egal wie schnell er die Luft einsaugte, es reichte nicht aus. Ihm brach der Schweiß aus. Am ganzen Körper öffneten sich die Poren und es traten gefühlt Liter aus. Unter seinen Achseln bildeten sich innerhalb von Minuten nasse Flecken, das T-Shirt klebte an Bens Rücken. Er wollte aufspringen, aber die Beine reagierte nicht. Er hätte genauso gut versuchen können, mittels Gedankenkraft das Glas vom Boden aufzuheben. Sein Körper verharrte starr in einer Position und bewegte sich keinen Millimeter. Ben starrte auf den Tisch und war sich sicher, dass sich sein Verstand in diesem Augenblick verabschiedete. Ihm wurde übel.

Er sammelte die gesamte Konzentration und hob den Arm. Seine Hand zitterte wie die eines Parkinson-Patienten. In Zeitlupe erhob er sich, um sich über den Tisch zu beugen. Er schlotterte am ganzen Körper und hatte Schwierigkeiten das Ding auf dem Wohnzimmertisch zu greifen. Als er es endlich in der Hand hatte und sich sicher war, es nicht fallen zu lassen, ließ er sich nach hinten gleiten und landete wie ein nasser Sack in den Polstern. Er starrte auf den Swarovski Teddy, der zwischen seinen Fingern baumelte und strich mit dem Daumen über das rosafarbene Smartphone. Verfluchte Scheiße! Er war sich hundertprozentig sicher, dass er beide Handys zerstört hatte!

Er drückte den Einschaltknopf und wieder grinste ihn die Katze an. Auf dem Startbildschirm prangte das Icon des Messengers und die kleine Ziffer schien in anzugrinsen. Eine neue Nachricht. Langsam tippte Ben auf das Symbol. Ihm wurde schwarz vor Augen. Es gab nur einen einzigen Chat. Er schaffte es nicht, ihn zu öffnen. Minutenlang starrte er auf den Namen des Chatpartners. Ben.

Sein Zeigefinger tippte mechanisch auf das Display und das neue Fenster öffnete sich.

Lina: Du Vollidiot! Was hast du getan? Du hast mich ermordet!

Ben: Du bist selber schuld du blöde Kuh! Warum hast du mich beschissen!

Lina: Dafür wirst du in der Hölle schmoren! Schau in die Galerie!!!!

Ben: ?

Was für eins Scheiße war das hier? Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und öffnete die Galerie. Sie enthielt zehn Fotos und alle zeigten Ben, der seine tote Freundin wie Müll im Wald verscharrte.

 

Amely sah gebannt auf ihren Bildschirm. Es sah aus, als starre Ben sie an, aber er stierte lediglich auf eines der zehn Bilder. Er war bleich und Schweißperlen rannen über sein Gesicht. Sie lehnte sich in ihren Stuhl zurück, lächelte und stellte befriedigt fest, dass das erste Mal seit Monaten das Jucken aufgehört hatte.

7 thoughts on “Triple Phone

    1. Vielen lieben Dank für dein Feedback. Ich freue mich, dass dir meine Geschichte gefallen hat. Wenn du mir am Anfang der Geschichte ein Herz dagelassen hast, dann bin ich einer Veröffentlichung wieder einen Schritt näher. Danke von Herzen.

  1. Liebe Dana,
    wow, was für eine Geschichte! Sie hat mir ausgesprochen gut gefallen – spannend von der ersten bis zur letzten Zeile! Der Plot ist großartig. Du hast deiner Amely einen unglaublich raffinierten und letztendlich auch erfolgreichen Plan geschrieben. Deine Geschichte hat mich sehr gefesselt. Ich bin von dem Spannungsaufbau und dem eskalierenden Ende begeistert. Deshalb bekommst du natürlich auch sehr gern mein Like. 🙂
    Liebe Grüße
    Angela
    PS: Falls du magst, …, meine Geschichte heißt “Stunde der Vergeltung” 🙂
    https://wirschreibenzuhause.de/geschichten/stunde-der-vergeltung

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