Paula711Vendetta

Es war ein kühler und regnerischer Morgen im Oktober, als Fynn Powell wie gewohnt energielos aus seinem viel zu großem Bett stieg, um erst mal eine Tasse Kaffee aufzusetzen. Verschlafen rieb er sich über seine hellen, eisblauen Augen. Heute war wie jeder andere Tag ein Tag in seinem Büro. Er arbeitete in einem Konzern, der seinen Sitz nicht weit von seiner Mietwohnung hatte. Das war eigentlich auch der einzige Grund wieso er diesen Job vor knapp einem Jahr angenommen hatte. Doch nun war er glücklich über diese Entscheidung, da er dort Freunde, und sogar seine feste Freundin gefunden hatte. Während der Kaffee vor sich hin kochte, beschloss Fynn, einen kurzen Abstecher ins kleine Badezimmer zu machen um sich seine Haare zu stylen. Er blickte in den Spiegel, und vor ihm stand ein junger, ende zwanzig Jähriger Mann, mit zerzausten braunen Haaren, die oben leicht gelockt waren. Ziemlich auffällig war eine lange Narbe, die sein linkes Auge zierte. Schnell schnappte er sich seine Dose mit Gel, und fuhr sich einige Male mit der Hand durch die Haare. Er war kein großer Freund von styling, weshalb er sich nur mit halber Aufmerksamkeit darauf konzentrierte. Die andere widmete er ganz, seiner im Hintergrund laufenden Musik. Er ging zurück in die Küche um schnell die Tasse zu leeren, denn ein blick auf die Uhr verriet ihm, das er bereits spät dran war. Er nahm einen Anzug und eine schwarze Krawatte aus seinem Kleiderschrank und zog sich schnell um, damit er auf keinen Fall wieder zu spät kam. Mit schnellen Schritten verließ er die Wohnung und begab sich auf den achtminütigen Weg zu seinem Büro. Dort angekommen bog er zwei mal links ab und gelang schließlich in die Abteilung für Webdesign: seinen Arbeitsplatz. Gerade noch pünktlich ließ er sich auf den Stuhl vor seinem Computerbildschirm fallen und stellte seine Aktentasche neben sich ab. Bis zur Mittagspause arbeitete er weiter an seinem Auftrag. Das war der entspannte Teil des Tages, denn ab Mittag hatte er außergewöhnlich viele Termine, außerhalb seines Schreibtisches.

Also packte er seine Sachen zurück in die Tasche, fuhr seinen Computer herunter und ging in die Cafeteria um sich ein Sandwich zu kaufen.

Zufällig traf er einen Freund, wechselte ein paar kurze Worte mit ihm, und verabschiedete sich schnell, da er sonst zu spät zu seinem Meeting kam. Zeitmanagement war eben nicht ganz seins. Im Meeting setzten er und seine Kollegen sich mit einem Kunden zusammen und besprachen Einzelheiten über das Design und Logo seiner Webseite, die sie gestalten sollten. Eigentlich betraf Fynn das Gespräch weniger, da er zum jetzigen Zeitpunkt noch einen anderen Kunden hatte, doch er ließ sich seine Langeweile nicht anmerken. Es folgen noch zwei andere Besprechungen, beide mit verschiedenen Kunden, die für Fynns folgende Arbeitswochen weitaus wichtiger waren, als die mit Kunde Nr.1 . Als schlussendlich die letzte Besprechung vorüber war, begab er sich nochmals kurz zu seinem Schreibtisch, um einige Unterlagen für einen Kollegen zu holen.

Er öffnete erst die oberste Schublade. Dort waren einige Unterlagen von einem beendeten Projekt drinnen, welche er eigentlich mal entsorgen sollte. In der zweiten Schublade befanden sich auch schon die gesuchten Blätter. Doch es befand sich noch ein anderer Gegenstand auf diesen. Es war ein Smartphone. Es war schwarz, hatte keine Hülle und auch sonst nichts besonderes. Es sah gebraucht aus, da sowohl auf dem Bildschirm, als auch auf der Rückseite des Handys einige Kratzer zu sehen waren. Fynns Handy war es nicht, da er dieses in seiner Hosentasche hatte, und er kannte auch niemanden der eines mit solch einer unbekannten Marke besaß. Also beschloss er, am nächsten Tag die anderen Mitarbeiter danach zu fragen, vielleicht war es ja einfach in die falsche Schublade des falschen Schreibtisches gelangt. Er entnahm die Papiere, die er eigentlich gesucht hatte, und schloss die Schublade, ohne dem Handy mehr Beachtung zu schenken. Er ging schnellen Schrittes zu dem Schreibtisch vom Empfänger, legte die Unterlagen darauf ab, und verließ das Büro, da es mittlerweile schon dunkel war.

Unten vor dem Eingang wartete Vicktoria, seine Freundin, auf ihn. Mit einem Lächeln auf den Lippen lief sie auf ihn zu, und Fynn schloss sie liebevoll in seine Arme. Er drückte ihr einen sanften Kuss auf die Stirn.

Ich dachte du hättest mich vergessen.“, sagte sie grinsend, woran Fynn merkte, das es nicht ernst gemeint war. „Ich doch nicht.“, erwiderte er lachend, nahm ihre Hand und verschränkte seine Finger mit ihren. Gemeinsam gingen sie die Straße runter, auf eine billig aussehende, aber dennoch leckere Pizzeria zu. Sie setzten sich an einen der freien Tische und bestellten mehr oder weniger sofort ihre Pizzen, da sie hier oft genug essen waren und wussten was es gab. „Und, wie war dein Tag? Irgendwas besonders auf der Arbeit passiert?“, fragte Vicky mit ihrem typischen Vicky lächeln, für Fynn eines der schönsten Dinge die er je gesehen hatte. Er schüttelte den Kopf: „Nein, wie kommst du drauf?“. Ihr lächeln verblasste leicht, doch ihre gute Laune blieb dennoch da, was man dem Ton in ihrer Stimme entnehmen konnte. „Nur so, du warst ein bisschen komisch grad. Aber egal!“. „Ach so“, erwiderte Fynn. „Und wie war dein Tag so?“, fragte er. Bevor die beiden ihr Gespräch weiterführen konnten, kam eine Kellnerin und brachte das Essen. Fynn aß gierig, da er bis auf dem Sandwich heute noch keine richtige Mahlzeit zu sich genommen hatte. Nach dem Essen verließen Vicky und Fynn das Restaurant und gingen noch ein Stückchen zusammen die Straße runter, bis Vicky abbiegen musste. Sie verabschiedeten sich mit einem kurzen, aber dennoch gefühlvollen Kuss, und gingen in unterschiedliche Richtungen nach Hause. Dort angekommen ließ Fynn sich auf seine Couch fallen und beschloss, noch ein wenig fern zu sehen. Doch seine Konzentration lag weniger bei dem Fernseher. Das Handy spukte immer noch in seinen Gedanken herum. Wieso sollte es jemand in seine Schublade legen? Egal ob absichtlich oder unabsichtlich. Er hatte ein Einzelbüro, weshalb selten jemand anders drinnen war. Mit diesen Gedanken schlossen sich seine Augen langsam, und er schlief noch mit laufendem Fernseher auf dem Sofa ein. Doch auch seine Träume bezogen sich auf Handys. Nicht unbedingt auf jenes, welches er gefunden hatte, sondern allgemein auf Handys aller Art.

Diese Gedanken ließen ihn nicht los, bis er am nächsten Morgen wieder im Büro vor seinem Schreibtisch stand. Ungewöhnlicherweise lag das Handy nicht mehr in jener Schublade. Nein, es lag direkt auf dem Schreibtisch, ohne dass er es überhaupt angefasst hatte. Er nahm es in die Hand und wollte gerade zu seinen Kollegen im gegenüberliegenden Großraumbüro gehen, als es eine Nachricht empfing. Erst schenkte er ihr keine Beachtung, da es privat sein könnte, doch etwas in ihm wurde neugierig, und er beschloss nun doch einen genaueren Blick auf die Nachricht zu werfen. „Damon Taylor“. Schlagartig wurde er blass. Seine Hände begannen nervös zu schwitzen, sodass er aufpassen musste das ihm das Handy nicht entglitt. Schnell trat er den Rückzug an und ging zurück in sein Büro, nur um die Tür zu schließen und das Handy auf seinen Schreibtisch zu werfen. Gleichzeitig überkamen ihn ein Schwall von bösen Erinnerungen an seine Vergangenheit.

Vor seinem inneren Auge sah er sich selber als achzehnjährigen Abiturienten. In der Hand hielt er sein Abi Zeugnis. Immer und immer wieder las er die Worte: „Damon Taylor, nicht bestanden“. Dabei hatte er doch schon genau gewusst was er mal beruflich machen wollte. Dafür war allerdings das Abitur erforderlich. Damals hatte er nächtelang in seinem Zimmer gesessen und versucht den Lernstoff zu wiederholen, doch im Endeffekt konnte er seine Note eh nicht mehr ändern. In einer dieser Nächte stieß er auf einen Link, der ihn zu einer professionell aussehenden Seite führte. Schwammig stand dort geschrieben, dass sie für jedes Problem eine Lösung hatten. Dies hatte Damon damals als Chance gesehen, was allerdings ein großer Fehler war. Er geriet an eine Gang, Vendetta, die ihm zwar sein Zeugnis fälschten, sodass es ziemlich echt aussah, jedoch musste er als Gegenleistung etwas für sie erledigen, da er zu diesem Zeitpunkt kein Geld hatte. Und so nahmen die Dinge ihren lauf. Je mehr Damon erledigte, desto mehr Lohn bekam er. Das Zeugnis wurde schnell vergessen, und er dachte nur noch an das Geld. Er wurde zwar nur für kleine Drogendeals eingesetzt, doch Geld bekam er trotzdem genug, um sich schon bald eine eigene Wohnung leisten zu können. Er geriet immer tiefer in die Gruppe hinein, bis es zu dem Punkt kam, an dem er nicht mehr aufhören konnte. Zwar hatte er nie Drogen konsumiert, jedoch war es trotzdem eine Sucht für ihn. Eines Tages fiel ihm seine Unpünktlichkeit zum Verhängnis. Durch diese lief er direkt in die Arme der Polizei, und so flog der gesamte, ihm bekannte Teil Vendettas auf. Er selbst beichtete der Polizei fast alles, ließ jedoch den Fakt weg, das er ein fester Teil der Gruppe war. Er stellte sich selbst als Opfer dar, sagte, er wurde zu seinen Taten gezwungen. Ob die Polizei ihm glaubte wusste er bis heute nicht, jedenfalls hatten sie keine Beweise. Zwar bekam er eine mildere Strafe als die anderen, aber dennoch musste er für ein Jahr in Untersuchungshaft. Da die Polizei nicht wusste, ob die gesamte Gang gefasst wurde, trat für Damon danach das Zeugenschutzgesetz in kraft: Er bekam einen neuen Wohnort, neuen Namen, neuen Job. Alles in einem, eine neue Identität. Fynn Powell.

Soweit er wusste, war niemand von seinen jetzigen Bekannten in seine Vergangenheit eingeweiht. Wer also konnte ihm eine solche Nachricht schreiben? Spätestens jetzt stand fest, dass er das Handy auf jeden Fall behalten würde, zu groß war das Risiko das jemand über ihn Bescheid wusste. Mit zittrigen Fingern tastete er nach dem Handy, um zu versuchen es zu entsperren. Der Versuch war erfolgreich, da anscheinend kein Sicherheitscode eingerichtet war. Es öffnete sich automatisch die Fotogalerie und Fynn blickte unfreiwillig auf ein Foto von sich selbst. Es zeigte ihn mit einer Frau, die er nur allzu gut kannte. Ihr Name war Venus, die Anführerin besagter Gruppe. Sie hatte karamellblonde, schulterlange, glatte Haare, strahlend grüne Augen und war zu dem Zeitpunkt ungefähr 20 Jahre alt. Mit den vielen Sommersprossen sah sie ziemlich süß aus. Jedoch kein Vergleich zu Vicky. Diese hatte lange, fast schwarze Locken, braun gebrannte Haut und dunkle Augen. Außerdem war sie viel kleiner. Eigentlich hatten die beiden Frauen nichts gemeinsam, bis auf eine kleine Sache. Beide waren mal beziehungsweise Vicky war immer noch mit Fynn zusammen. Ja, Fynn, oder damals Damon, hielt tatsächlich die Hand von Venus. Er merkte, dass er sich seit dieses Foto entstanden ist kaum verändert hatte. Die Harre und Augen waren gleich, nur der Dreitagebart war neu. Aber zu Fynns entsetzen war dies nicht das einzige Foto. Auf dem zweiten war er alleine zusehen. Er hatte sein gefälschtes Abitur Zeugnis in der Hand und schien sich sehr darüber zu freuen. Das dritte und letzte Foto zeigte ihn mit drei anderen Dealern. Er erinnerte sich nur noch an einen Namen. Chase, der junge Mann rechts von ihm, hatte blonde Haare und eine perfekt aussehende Frisur, wie Fynn sich eingestehen musste. Er war der Grund für seine Narbe am Auge. Die beiden hatten sich nie gut verstanden, vermutlich weil Chase eifersüchtig auf das war, was er selbst nie hatte. Die Beziehung zwischen Damon und Venus.

Die anderen beiden waren Fynn bekannt, aber er hatte nur eine schwammige Erinnerung an die beiden. Einer hatte rötliche Harre und anscheinend sehr viele Sommersprossen. Auf dem Foto wirkte er jünger als Damon damals, vielleicht nur aufgrund der Zahnspange. Der letzte von den dreien hatte, genau wie Chase, blonde Haare, die auf dem Foto fast weiß wirkten. Das könnte allerdings auch daran liegen, dass der Lichtschein einer Taschenlampe direkt auf dessen Kopf zeigte. Er grinste, ebenso wie der andere Unbekannte, während Chase, Damon nur feindselig anstarrte. Dieser schaute dagegen nur ein wenig apathisch auf den Boden. Wieso, konnte man nicht auf dem Foto sehen, jedoch war Fynn sich sicher dass dort etwas liegen musste.

Als es an der Tür klopfte schaltete Fynn das Handy schnell aus, nur um es kurz kurz darauf in die Schublade zu tun, in welcher er es ursprünglich gefunden hatte. Er setzte sich auf seinen Drehstuhl und räusperte sich einmal. „Herein“, sagte er, doch es klang mehr nach einer unsicheren Frage. Allgemein war seine Stimme ziemlich zittrig, was allerdings zu erwarten war. Jemand wusste von seinem Geheimnis, und das war immer seine größte Angst gewesen. Jemand hatte Beweise, die ihn vermutlich ins Gefängnis bringen würden. Doch während er drüber nachdachte, kam sein Chef durch die große undurchsichtige Glastür herein. „Der Kunde erwartet das fertige Endprodukt schon übermorgen anstatt nächste Woche, ich hoffe sie haben es größtenteils fertig, sonst erwarten sie einige stressige Überstunden, tut mir leid.“, sagt er, als wäre es ein unwichtiger Nebensatz. Das hatte ihm gerade noch gefehlt, neben dem privaten Stress nun auch noch beruflicher. Er zögerte einige Sekunden bis er antwortete. „Geht schon, brauche nur noch heute.“, log er schließlich. Wieso er log fragte er sich selbst.

Er versuchte krampfhaft ohne an das Handy zu denken weiterzuarbeiten, was ihm nicht gut gelang. Einerseits plagte ihn die Frage wer das Handy deponiert hatte und andererseits, falls es jemand aus der Gang war, wie diese Person in sein Büro gelangt war.

Am Ende des Tages musste er feststellen, dass er kaum etwas geschafft hatte. Also blieb ihm nur übrig, morgen alles zu machen. Er packte seine Tasche und zögerte kurz als er die Schublade mit dem Handy öffnen wollte. Er konnte es auf keinen Fall hier im Büro lassen, zu groß war die Gefahr, dass es jemand finden könnte. Also gab er sich einen Ruck, öffnete die Schublade, schnappte sich das Handy und vergrub es so tief wie möglich in seiner Aktentasche.

Als er aus der Tür trat und die frische Abendluft roch ging es ihm gleich ein wenig besser. Dieses Gefühl wurde verstärkt, als er Vicky auf einer Bank hocken saß, vermutlich wartete sie auf ihn, wie gestern und nach jedem anderen Arbeitstag auch. Sie gingen ihren altbekannten Weg die Straße herunter und unterhielten sich über ihre Arbeitstage. Natürlich fiel Vicky sofort auf dass etwas nicht stimmte, und erkundigte sich, kurz bevor sie sich verabschiedeten. Selbstverständlich war etwas los, doch Fynn überlegte kurz. Genug Vertrauen hatte er, also entschloss er sich, sie einzuweihen. „Ja…. Also nein, nichts ist gut… Können wir zu mir? Ich… möchte hier nicht drüber reden.“, sagte er stotternd und unsicher. Dieser Ton entging Vicky nicht. Sie verstand erstaunlich schnell, und nickte erst nur. „Okay…“, sagte sie nach einigen Sekunden der Stille. Also gingen beide, anders als am vorherigen Abend, weiter geradeaus zu Fynns Wohnung.

Dort angekommen ließ sich erst Fynn, gefolgt von Vicky, auf dem Sofa nieder. Zu erst sagte niemand etwas, bis Vicky die Stille schließlich durchbrach. „Was wolltest du mir erzählen?“, fragte sie einfühlsam. Jedoch wartete Fynn noch einige weitere Sekunden um einerseits abzuwägen was er ihr erzählen wollte, andererseits um zu überlegen wie.

Ich hab heute früh zufälligerweise ein Handy gefunden. Darauf sind Dokumente über meine Vergangenheit. Du weißt ich rede selten darüber, wer ich früher war, aber ich kann sagen, dass ich nicht der gleiche war wie der, der jetzt vor dir sitzt. Ich war in einige illegale Geschäfte verwickelt, aber das tut jetzt nichts zur Sache. Jedenfalls sind Fotos auf dem Handy. Fotos von mir. Fotos von meinem früheren ich. Ich wusste nicht mal das diese Fotos existieren, und doch sind sie auf diesem Handy.“, erzählte er. Nicht mehr aber auch nicht weniger. Daraufhin trat wieder Stille ein. Keine peinliche Stille, nein, eher im Gegenteil. Es war eine nachdenkliche Stille.

Wo hast du es gefunden?“, fragte sie mit einer Mischung aus Interesse und Mitleid.

Stille. „Auf meinem Schreibtisch im Büro“, antwortete er monoton. Daraufhin lächelte sie ihn ermutigend an, was ihm erstaunlicherweise viel Kraft gab. „Weiß noch jemand anderes von deiner Vergangenheit?“, fragte sie wieder. „Nein, das ist das erste mal das ich es erzähle.“, sagte er darauf zuversichtlicher. „Also hast du keine Idee wer es sein könnte?“, fragte sie weiter. „Nein. Keiner weiß davon bis auf dir. Keiner von meinen direkten Arbeitskollegen weiß davon oder verhält sich anders als sonst. Selbst mein Chef weiß nichts von meiner früheren Identität.“, antwortete er sofort.

Ach so… Das erklärt auch wieso du gestern Abend so komisch warst, oder?“, fragte sie dann.

Ja, auch wenn ich es mir da noch nicht angeschaut hatte. Ich hatte ein komisches Gefühl bei der Sache, welches anscheinend berechtigt war.“.

Weitere Minuten verstrichen und sie kamen ein wenig vom Thema ab. Es war nicht vergessen, aber für den Moment zur Seite geschoben. Als es spät wurde verabschiedeten sich beide voneinander. Fynn bot an, sie nach Hause zu fahren, doch sie lehnte dankend ab.

Er legte sich mit gespaltenen Gedanken ins Bett. Einerseits war er froh, es nach all den Jahren erzählt zu haben, andererseits war er unsicher, ob es die richtige Entscheidung war.

Vor seinem inneren Auge ließ er den Tag wieder und wieder abspielen, denn er fand einfach noch keine Ruhe. Dabei traten einige Fragen auf, die er sich ursprünglich gar nicht gestellt hatte. Beispielsweise wie das Handy aus der Schublade auf den Tisch gekommen ist, wie sie ihn gefunden haben, wieso diese Nachricht mit seinem alten Namen genau im richtigen Zeitpunkt gekommen war und, ob er Vicky überhaupt erzählt hatte, das er das Handy schon am Vortag gefunden hatte. Eigentlich dachte er nicht, doch es konnte durchaus sein, dass er es einfach vergessen hatte, denn woher sollte sie es sonst wissen?

Schlussendlich fiel er doch in den Schlaf, wenn auch in einen sehr unruhigen, geplagt von Träumen rundum seine Vergangenheit und Vicky.

Am Morgen wurde Fynn ohne das schrille klingeln des Weckers wach. Eigentlich wollte er heute gar nicht aufstehen, geschweige denn vor die Tür gehen. Doch er wusste, wenn er sich jetzt abschottete, würde er sich in Zukunft nur noch unsicherer fühlen. Außerdem wartete ein Haufen von Arbeit auf ihn im Büro.

Er raffte sich auf, putzte seine Zähne, trank eine Tasse Tee und zog sich schnell ein graues, ausgewaschenes T-Shirt an. Die Jogginghose von der Nacht ließ er gleich an. Er schnappte sich im vorbeigehen seine Aktentasche und schwang sich ins Auto. Fahren war eindeutig sicherer als zu laufen. Keine fünf Minuten später erreichte er den Parkplatz hinter dem Bürogebäude und fuhr zu den reservierten Mitarbeiterparkplätzen.

Auf dem Weg ins Gebäude kassierte er einige Blicke. Von amüsiert bis verwundert war alles dabei. Aber gerechtfertigt war jeder von ihnen. In dem Konzern war es üblich, Anzug zu tragen. Man sah nur selten Menschen herumlaufen, die keinen trugen. Wenn dann waren es Kunden, die noch nie vorher hier gewesen waren.

Und normalerweise war Fynn sehr gewissenhaft, hielt sich an diese Kleiderordnung und hatte auch genug Anzüge zur Verfügung, jedoch hatte er heute einfach keine Motivation.

Die acht Stunden die er vor seinem Computer verbrachte waren nicht so produktiv wie er es sich vorgestellt hatte. Einen Termin der ihn eigentlich nichts anging ließ er ausfallen, zu einem weiteren ging er zwar, aber verließ nicht viel schlauer den Konferenzsaal.

Vielleicht lag das daran, dass er nicht bei der Sache war, vielleicht aber auch daran, dass nichts wichtiges besprochen wurde.

Wieder in seinem Büro angekommen versuchte er seine Gedanken erneut zu ordnen. Dabei war seine Hautfrage, wer als Täter infrage kam.

Niemand von seinen Bekannten hatte ihn je nach seiner Vergangenheit gefragt, und wenn doch, reagierten diese verständnisvoll darauf, dass er vom Thema ablenkte. Einige aus Vendetta mussten zwar wieder auf freiem Fuß sein, jedoch war die Wahrscheinlichkeit sehr gering dass sie ihn aufspüren konnten.

Und was wenn doch? Was ist, wenn all diese Fotos und Beweise an die Polizei gelangten?

Was würde dann aus ihm werden?

Mit diesen Fragen im Kopf saß er für die restlichen zwei Stunden an seinem Schreibtisch. Zwar hatte er das Projekt beenden können, jedoch bei weitem nicht so, wie es Fynn von sich selbst erwartete. Am Ende des Tages speicherte er die Dateien und schickte sie nach einer Aufforderung seines Chefs erst an diesen, dann an den Kunden ab. Er packte die restlichen analogen Dokumente in seine Tasche und wollte gerade sein Büro verlassen, als er sich entschloss, doch noch einen Blick in die Schublade zu werfen.

Sie sah nicht anders aus als alle anderen seiner Schubladen. Enthalten waren einige Papiere, die nicht mehr benötigt wurden. Kurzerhand nahm er diese und legte sie behutsam in den Papierkorb in der Ecke des Büros.

Außerdem befanden sich einige Tesafilmrollen, ein Tacker und Kugelschreiber in dieser Schublade. Genau dort wo jetzt der Locher lag, lag vorgestern das Handy.

Fynn verbrachte einige Minuten damit, die und die anderen beiden Schubladen nach einem Hinweis auf die Antwort seiner Fragen zu durchsuchen.

Doch wie schon erwartet fand er nichts ungewöhnliches.

Also verließ er den Raum und schloss, anders als sonst, die Tür doppelt ab. Es war wenig los in der Eingangshalle, da es schließlich Freitagabend war und normalerweise alle ein wenig früher Feierabend machten.

Er trat aus der Tür und schaute sich draußen um, da er, wie jeden Abend, mit Vicky hier verabredet war. Doch komischerweise konnte er sie nirgendwo sehen.

Auf seine Anrufe, die er einige Minuten später tätigte, antwortete sie nicht, und die Nachrichten kamen zwar bei ihr an, wurden aber nicht gelesen.

Als Fynn sich schließlich am Empfangstresen erkundigte, erfuhr er, dass Vicky das Gebäude schon vor einer halben Stunde verlassen hatte.

Langsam begann er sich ernsthafte Sorgen um seine Freundin zu machen. Hinterher war ihr etwas passiert.

Was er jedoch nicht wusste war, dass sie geplant früher gegangen war. Sie hatte lediglich vergessen ihm Bescheid zu sagen.

Vor dem Gebäude wartete ein schwarzer Van auf Vicky. Doch anstatt erstaunt zu sein öffnete sie die Autotür zur Rückbank und setzte sich in das Auto, welches kurz darauf losfuhr.

Erst herrschte einige einige Minuten stille. „Hast du es erledigt?“, frage schließlich der Beifahrer. Obwohl er offensichtlich versuchte stark zu klingen, hörte man einen Nervösen Unterton heraus.

Ja, vorgestern schon.“, antwortete Vicky darauf eintönig.

Der Van steuerte geradewegs auf das Haus zu, in welchem Vicky ihre Wohnung angemietet hatte. Alle drei stiegen aus und der Fahrer schloss die Haustür auf, doch anstatt in Vickys Wohnung zu gehen ,öffnete er die Tür der Wohnung unter ihrer. Doch Vicky schien nicht überrascht, sondern nickte nur leicht, als sie aufgefordert wurde nach den beiden einzutreten. Sie setzte sich auf einen Stuhl, die beiden Männer gegenüber von ihr.

Der größere hatte blonde Haare, welche ziemlich aufwendig nach hinten gegelt waren. Seine Augen leuchteten in einer schönen Mischung aus grün und blau.

Durch sein weißes T-Shirt, welches eigentlich viel zu kalt für das schäbige Oktoberwetter war, sah man seine Muskeln ziemlich gut durch.

Der andere hatte ebenfalls blonde Haare, wenn auch viel hellere.

Seine Augen waren bläulich und allgemein hatten beide Männer viele Ähnlichkeiten miteinander. Beispielweise die markanten Wangenknochen oder die große Nase, woran man erkannte, dass es sich um Geschwister handeln musste.

Hat er mit dir darüber gesprochen?“, fragte der kleinere von beiden, Chase.

Ja, aber er hat nur das Nötigste erzählt. Keine Details über seine Vergangenheit. Er meinte, niemand weiß davon bis auf mir jetzt.“, entgegnete Vicky ein wenig gezwungen.

Verdächtigt er jemanden?“

Nicht das ich wüsste, nein“

Gut, wie machen wir weiter, Negan?“, fragte der kleinere seinen Bruder.

Wir werden sehen. Erstmal belassen wir es dabei. Früher oder später bringen wir ihn dazu von sich aus zur Polizei zu gehen.“, antwortete er ein wenig gelangweilt.

Sonst noch etwas merkwürdiges passiert?“, fragte er Vicky, welche nur die Kopf schüttelte. Chase stand auf um sie zur Tür zu begleiten. Mehr als glücklich folgte Vicky ihm, nur um schnell in ihre eigene Wohnung zu verschwinden.

Sie ließ sich ziemlich geschafft auf ihr Sofa fallen. Die ganze Handy Sache nahm sie ganz schön mit. Als sie ein Blick auf ihr Handy warf bekam sie ein noch schlechteres Gewissen. Sie hatte 4 verpasste Anrufe in Abwesenheit. Alle von Fynn. Mehrere Nachrichten verrieten ihr, dass er sich ernsthafte Sorgen gemacht hat. Scheiße, wieso war sie auch so dumm gewesen und hatte ihm nicht Bescheid gesagt. Sie entschuldigte sich mit einer Whatsapp und legte ihr Handy auf den Tisch vor ihr.

Überzeugt war sie nicht, ob das was sie hier tat wirklich das Richtige war.

Einerseits wollte sie ihn nicht mehr anlügen, aber andererseits würde sie sich selbst damit in noch viel größere Schwierigkeiten bringen.

Das brummen ihres Telefons rüttelte sie aus ihren Gedanken. Eine neue Nachricht von Fynn. Inständig hoffte sie, er wäre nicht so sauer, während sie die Nachricht öffnete:

Schön dass es dir

gut geht. Sollen wir uns

morgen treffen? Konnten

heute gar nicht reden :(“

zugestellt um 20:27Uhr

Ein lächeln bildete sich auf Vickys Lippen. Er war ihr nicht böse. Schnell sendete sie ihre Antwort.

Klar, ich komme um

zwei Uhr vorbei, okay?“

gelesen um 20:31 Uhr

Er antwortete schnell mit einem „okay, bis dann!“, was Vickys Laune noch mehr hob. Sie liebte ihn wirklich, doch wollte sie das Risiko eingehen und ihn morgen einweihen? Sie wollte keine Geheimnisse vor ihm haben, gerade da er ihr gestern alles so offen erzählt hatte.

Dennoch war sie sehr unsicher, da alles auffliegen würde, und er sie sehr wahrscheinlich verlassen würde.

Dieser Gedanke zerriss sie förmlich von innen. Obwohl die beiden noch nicht allzu lange zusammen waren konnte sie sich ein Leben ohne ihn kaum vorstellen, auch wenn schon allein dieser Gedanke ein Verstoß gegen die Regeln war.

Sie würde einfach die Situation morgen abwarten. Wenn er sie drauf ansprechen würde, würde sie ihm die Wahrheit sagen, wenn nicht, dann würde sie einfach schweigen. Vielleicht war das ja die beste Lösung.

Sie versuchte sich den Rest des Abends zu entspannen was ihr nicht gelang da ihre Gedanken weiter bei ihrem Fynn lagen. Oder doch bei Damon? Wie sollte sie ihm das ganze erzählen? Für sie gehörten Fynn und Vicky zusammen, auch wenn es nicht geplant war, hatte sie sich in ihn verliebt.

Die einzige Sache die sie nicht hätte tun sollen.

Doch was ihre Gedanken nicht in Ruhe ließ war, ob auch Damon und Vicky zusammen gehörten. Wenn sie ihn einweihte würde er sauer sein. Würde ihre ganze Beziehung dann zu Grunde gehen?

Sie versuchte zu schlafen, auch wenn dies nicht wirklich funktionierte. Sie blieb unfreiwilligerweise wach liegen, bis es vier Uhr morgens war. Schließlich schlief sie doch ein, aber nur damit sie um halb sieben von ihrem unausgeschalteten Wecker geweckt werden konnte. Verschlafen und sauer auf sich selber schaltete sie ihn aus.

Heute würde kein guter Tag werden, dass wusste sie.

War es also schlau es ihm heute zu sagen? Aber wenn nicht heute, wann dann?

Sie versuchte wieder einzuschlafen um wenigstens noch ein bisschen Ruhe zu bekommen. Zu ihrer Verwunderung schaffte sie es sogar. Kurze Zeit später wurde sie durch das Geräusch ihres Handys wach. Eine weitere Nachricht von Fynn. Er fragte, ob sie schon zum Mittagessen kommen wollte.

Sie hatte noch nichts geplant und sagte ihm also zu. Vicky schaute auf ihre Uhr. 10:36 Uhr. Sie hatte also noch etwas mehr als eine Stunde.

Sie machte sich fertig um zu ihm zu laufen. Auf dem Weg versuchte sie sich schon mal die Worte zurechtzulegen. Nach, für sie, viel zu kurzer Zeit, kam sie an seiner Wohnung an und klingelte nach einem kurzen Zögern. Fynn öffnete sofort die Wohnungstüre als ob er die ganze Zeit auf sie gewartet hätte. Schnell schloss er sie in seine Arme. Sie begann zu lächeln, ein echtes Lächeln. Sie schaute zu ihm auf, gab ihm einen Kuss, und auch er lächelte sie jetzt an. Beide setzten sich auf das Sofa und es trat kurz Stille ein. Fynn unterbrach diese, indem er fragte wo sie gestern hingegangen war und warum sie ihm nicht Bescheid gesagt hatte. Es trat wieder stille ein. Nach ein paar Sekunden fing sie an zu sprechen: „In den letzten Tagen war ich nicht ganz ehrlich zu dir. Okay, eigentlich war ich nie wirklich ehrlich. Und es tut mir leid. Ich liebe dich wirklich, und das ist der Grund wieso ich dir das erzählen möchte. Damon… ich habe das Handy dort platziert. Vendetta will Rache.“, sprach sie. Zum Ende hin wurde ihre Stimme zittrig und heiser, bis sie schließlich ganz versagte. Ein räuspern half, damit sie sich ein wenig mehr erklären konnte bevor er ausrastete: „Ich wollte bei der Sache nicht mitmachen, ich wurde reingezogen. Ich erzähle dir das, weil ich dich Liebe und keine Geheimnisse vor dir haben möchte. Es tut mir unfassbar leid ich…“, weiter kam sie nicht, da erstens ihre Stimme wieder versagte, und sie zweitens von Fynn unterbrochen wurde. Allerdings nicht durch Worte. Ein leises schluchzen erklang im Raum. Tatsächlich weinte er ein wenig. Vicky wollte so gerne zu ihm gehen, ihn umarmen, trösten und ihm gut zureden. Doch als sie aufstand und zu ihm ging, wich er ein Stück zurück. Mit erstickter Stimme brachte er ein „Bitte geh“, hervor. Vicky nickte nur leicht, und obwohl sie es kaum übers Herz bringen konnte ihn alleine zu lassen, tat sie dies.

Fynn konnte nicht glauben, dass seine Freundin, oder konnte er sie überhaupt noch so nennen, ihn so verraten hatte. Waren sie noch zusammen, oder hatte einer von ihnen gerade Schluss gemacht?

Nachdem er sich etwas beruhigt hatte, fiel er übermüdet in sein Bett, doch schlaf fand er lange keinen. Er zweifelte sich selber an. Wieso war er so leichtsinnig gewesen, so blind vor Liebe. Und wieso hatte sie ihm das erzählt? Wollte sie ihn nochmals verunsichern? Als ob die Aktion mit dem Handy nicht genug war. Und überhaupt, woher wusste sie das ganze? Seinen Namen, die Sachen über Vendetta, allgemein alles? Arbeitete sie mit ihnen zusammen?

Andererseits konnte er erkennen, dass sie es ernst meinte. Außer das war auch ein Trick ihrerseits. Aber sie hatte sich entschuldigt, sie hatte ihm gesagt sie würde ihn Lieben. Vielleicht war das tatsächlich der Grund für ihre plötzliche Offenheit.

Vielleicht sollte er ihr wirklich noch eine Chance geben. Vielleicht war sie wirklich ehrlich. Vielleicht konnte sie ihm als einzige Person aus der Sache heraushelfen.

Am nächsten Morgen beschloss Fynn also, nochmals zu ihr zu gehen um ihr eine weitere Chance zu geben. Wenn auch eventuell nur eine Chance, sich zu erklären. Weiteres würde er vor Ort entscheiden. Also zog er sich an. Schick ist zwar etwas anderes, aber er versuchte sich nicht anmerken zu lassen, das er kaum geschlafen hatte. Er trug sein bestes Parfüm auf, gab sich ein wenig mehr Mühe mit seinem Haaren, stutzte sogar seinen Bart ein wenig.

Eine Stunde später schwang er sich auf sein Fahrrad und fuhr gemächlich los.

Während der kurzen Fahrt dachte er nochmals darüber nach, was er sagen wollte, obwohl er sich schon die Worte am Abend vorher zurechtgelegt hatte.

Als er vor der Tür stand, zweifelte er dennoch, ob es eine gute Entscheidung war, ihr eine weitere Chance zu geben. Sie hatte ihn enttäuscht, wie noch nie jemand zuvor. Bis auf er selbst vielleicht. Aber er fasste sich ein Herz, und klingelte. Sicher war er nicht, wie er reagieren würde. Aber er ließ es, mehr oder weniger gelassen, auf sich zukommen.

Der Türsummer erklang und er trat ins Treppenhaus ein. Fast wäre er mit einem jungen Mann in seinem Alter zusammengestoßen. Er hatte blonde Haare und kam ihm ziemlich bekannt vor, aber er achtete nicht weiter auf ihn. Das einzige was ihn im Moment interessierte war Vicky. Doch diese schien weniger erfreut, ihn zu sehen.

Was willst du hier?“, fragte sie ein wenig genervt, aber wenn Fynn sich nicht täuschte, konnte er erkennen, dass sie ein bisschen froh darüber war.

Ich wollte mich dafür entschuldigen, dich weggeschickt zu haben. Ich hab darüber nach gedacht und ich liebe dich wirklich, auch wenn wir erst für so kurze Zeit daten. Und ich denke, dass du mir helfen kannst. Ich weiß, dass ich früher scheiße gebaut habe, ich mag mein Leben jetzt. Fynn ist ehrlich, hat ein stabiles Leben und eine super tolle Freundin. Damon dagegen hatte ein scheiß Leben, welches er nicht einmal wirklich leben wollte. Er existierte nur, da er Süchtig nach Geld war. Damals dachte ich, dass ich das richtige machen würde, aber heute weiß ich, dass mein Leben damals falsch war. Ich weiß nun das ich ein besseres Leben habe und es auch verdienen. Ich habe so tolle Leute hier kennengelernt und ich möchte das alles nicht wieder verlieren. Möchte nicht ins Gefängnis gehen. Ich möchte dich nicht verlieren. Gestern Abend habe ich mich einfach nur verraten gefühlt, obwohl ich nicht verstehen kann, warum du das getan hast, finde ich es stark von dir, dass du mir das alles anvertraut hast. Ich hab mit meinem alten Leben abgeschlossen und bin nicht mehr diese Person, die ich früher war.“, erklärte er ihr, während er noch im Türrahmen stand. Doch das schien keinen von beiden zu interessieren, denn kaum als er seinen Monolog beendet hatte, waren beide schon wieder in einem innigen Kuss verschlungen.

Eine Stunde später saßen sie gemeinsam auf dem Sofa in Vickys Wohnung. Sie hatten die Streitigkeiten untereinander fast vollständig geklärt, auch wenn Fynn an manchen stellen gerne aufgestanden wäre, um so schnell wie er gekommen war wieder zu gehen. Doch beide rissen sich zusammen, und hörten einander zu.

Es kam heraus, dass Vicky von Anfang an ein Mitglied Vendettas war. Zwar nicht freiwillig, aber da ihre Cousins, Chase und Negan, Teil der Gruppe waren, wurde sie mit hineingezogen. Sie gehörte zu einer der wenigen Personen, die nie geschnappt wurden. Gemeinsam mit einigen anderen Mitgliedern musste sie fliehen, und kam tatsächlich rein zufällig in die Kleinstadt, in welcher sich beide befanden. Als Chase zuerst frei kam, nahm er wieder Kontakt zu Vicky auf, was ihn ebenfalls in besagte Kleinstadt führte. Dort hatte er Fynn erkannt, aber da die beiden früher in der Gruppe miteinander interagiert hatten, musste er sich bedeckt halten. Von Anfang an stand für Chase jedoch fest, dass er sich an ihm rächen wollen würde, einerseits für sich selbst, andererseits für Venus. Damit er endlich gut genug für sie war. Als schließlich auch Negan zu ihnen zurück stoß, schickten die beiden Vicky los, um sein Vertrauen zu gewinnen.

Erst war diese einverstanden, da sie ihn nicht wirklich kannte, doch kurz nachdem sie ihn kennenlernte, bereute sie ihre Entscheidung. Über die Zeit, hatte sie sich wirklich in ihn verliebt.

Und Vicky wollte ihm helfen. Egal welchen Preis sie dafür Zahlen müsste, sie wollte ehrlich mit ihm sein, und ihn auf keinen Fall wieder belügen.

Und Fynn glaubte ihr. Er nahm ihre Hilfe an, und vertraute ihr.

Aber was willst du tun? Einfach aussteigen?“, fragte Fynn nachdem sie ihm alles erzählt hatte. „Nein, das wäre dumm, weil wir dann beide ganz schön tief in der Scheiße stecken würden. Ich hatte da eher an etwas anderes gedacht…“, sagte sie mit ihrem typischen Vicky grinsen, welches Fynns Herz wieder und wieder zum schmelzen brachte.

Sie erklärte ihm ihre Idee, mehrmals sogar, da er es beim ersten Mal noch nicht verstand.

Doch als er dies dann tat, bemerkte er erst, wie schlau und gut durchdacht dieser Plan war.

Allerdings brauchte er Vorbereitungszeit. Viel sogar. Sie tüftelten fast die ganzen nächsten Wochen an dem Plan, bis er nahezu perfekt war. Eigentlich konnte kaum etwas schief laufen, dachten sie zumindest.

Es war Dienstagabend, der 09.11 und um Punkt 22:30 Uhr ging ein Anruf in einer Notrufzentrale ein. Morgen, Mittwoch, sollte ein großer Drogenhandel stattfinden, hörte James Brown eine verzerrte Stimme durch den Hörer sagen. Diese Nachricht leitete er sofort an die örtliche Polizeidienststelle weiter, da dies nun mal sein Job war.

Die Einsatzgruppe bestand aus drei Zivilwägen, die alle auf dem Weg zur alten, leerstehenden Fabrikhalle waren, in welcher der Deal laut des anonymen Anrufers stattfinden sollte.

Vor Ort angekommen, stiegen einige der Polizisten aus dem grauen Mercedes aus, und betraten die Halle. Wenn Alan Brandt nicht gewusst hätte, dass sie hier auf einem Einsatz waren, hätte er glatt geglaubt, dass es sich bei seinen Kollegen tatsächlich um Junkies handelte.

Erst war in der Halle niemand zu sehen. Hatte der Anrufer sich nun doch einen Scherz erlaubt? Doch genau als Alan sich dies fragte, erschienen ein halbes Dutzend Männer und Frauen aus dem Schatten der beschädigten Maschinen, sodass man sie zwar sehen konnte, jedoch keine Chance hatte die Gesichter zu identifizieren. Sie trugen fast alle dunkle Klamotten, jedoch könnte das auch nur aufgrund des Schattens so wirken.

Einer der sechs Personen trat einen weiteren Schritt vor, sodass man seine hellen blonden Haare erkennen konnte. „Habt ihr das Geld?“, fragte er in einer tiefen und eintönigen Stimmlage. Also hatte der Anrufer doch nicht gelogen.

Einer Alans Kollegen, Paul, trat ebenfalls vor: „Ja, was ist mit euch?“, fragte er daraufhin. Eins musste er zugeben, er hatte wirkliches schauspielerisches Talent.

Der Anführer der Dealer nickte darauf nur und gab einer Frau ein Handzeichen. Daraufhin zog diese sich wieder zurück, nur um einige Sekunden später mit mehreren Päckchen in den Händen wiederzukommen. Sie gab es an ihren Anführer weiter, der es wiederum Paul in die Hand drückte.

Und nun das Geld!“, forderte der Blonde ihn auf. Bis jetzt lief alles nach Plan, und der Polizist griff in seine Innentasche der viel zu großen Jacke. Allerdings natürlich nicht um Geld herauszuholen. Mit einer schnellen Bewegung zog er einen schwarzen X-26-TASER, der einer Pistole ziemlich nahe kam, aus seiner Jackentasche. Wie schon erwartet zückten ihre Gegner daraufhin ebenfalls Waffen. Sie wollten anfangen auf sie einzureden, jedoch war Paul schneller. „Lassen sie die Waffen fallen, das Gebäude ist umstellt, ihr habt keine Chance mehr.“, sagte er mit einer festen Stimme. Daraufhin zogen nun auch die letzten beiden Dealer ihre Pistolen, und der Anführer machte sich offensichtlich schussbereit. „Lüge, ihr würdet die Bullen nicht rufen, dann seid ihr genauso dran wie wir!“, sagte er aggressiv und viel lauter als vorher.

Anscheinend war er naiver als er aussah, und verstand immer noch nicht das er es hier direkt mit der Polizei zu tun hatte. Das gleiche schien Alans Kollege zu denken, denn er zog seine Dienstmarke, ebenfalls aus der Jackentasche, heraus.

Einem leichten klicken zufolge erkannte Alan, das die Dealer tatsächlich bereit waren zu schießen, da einige die Waffen entsicherten. Um schlimmeres zu vermeiden, drückte Paul den Abzug seines Tasers. Tatsächlich traf er den blonden Dealer, welcher sogleich mit einem Schmerzensschrei auf den Boden ging. Natürlich wurde er nicht tödlich verletzt, ihm wurde lediglich eine Menge Strom durch den Körper gepumpt.

Die anderen waren dadurch sichtlich eingeschüchtert und ließen ihre Waffen langsam sinken. Bereitwillig ließen sie sich zu den Polizeiwägen führen, wehrten sich nicht sonderlich gegen die Handschellen und stiegen ein.

Das verfrachten von dem getroffenen Blonden war allerdings etwas schwieriger. Erst weigerte er sich überhaupt aufzustehen, was jedoch eher auf die Schmerzen zurückzuführen war.

Alan und eine Kollegin erklärten sich dazu bereit, ihn zu stützen, und so verfrachteten sie ihn zu guter Letzt auch in eines ihrer Autos.

Drei Tage später befand Alan sich mit besagter Kollegin in einem Verhörsaal, gegenüber von ihnen saß der Anführer der gesamten Gruppe von Dealern: Chase Clancy, soviel wussten sie zumindest. Sie fragten ihn einige typische Fragen, die man in einem solchen Verhör fragte:

War dies der erste Deal? – Nein

Welche Art von Kunden haben sie? – Unterschiedlich, überwiegend zwischen 18 und 25 Jährige.

Konsumieren sie selbst? – Manchmal, eigentlich nicht.

Woher haben sie die Drogen? – Schwarzmarkt, aber selbst gespiced.

Haben sie noch andere Mitglieder?

Bei dieser Frage wurde Chase stutzig. Auf keinen Fall wollte er seine anderen Kollegen verraten, geschweige denn seine Cousine, die mehr oder weniger Teil der Gruppe war, aber er hatte eine Idee. Jetzt hatte er die Möglichkeit, sich doch noch an Fynn zu rächen. Also nickte er. „Ja. Ein Typ. Fynn Powell. Er hat geholfen. Er ist unser Anführer, der nie mit zu den Deals kommt. In dem Wagen vor der Fabrikhalle müssten Fotos von ihm sein.“, antwortete er nach einer kurzen Pause.

Alan warf seiner Kollegin einen kurzen Blick zu, welche daraufhin aufstand, um dies wahrscheinlich zu überprüfen. Die Beweismaterialien waren gesichert im Büro der Polizisten, doch genau hatten sie sich noch nicht mit ihnen beschäftigt.

Während Chase und Alan auf ihre Rückkehr warteten war es unangenehm still.

Selbst durch das geschlossene Fenster hörte man den Wind rauschen, was Alan darauf schließen ließ, dass wohl ein Sturm aufkommen würde.

Nichtmal zwei Minuten später kam die Kollegin wieder. „Nein, alle möglichen Drogen, aber keine Bilder.“, sagte sie stumpf, und warf Chase einen forschenden Blick zu. Verdammt, vermutlich hatte Vicky die Fotos vernichtet. Womöglich steckte sie tatsächlich hinter dem Hinterhalt der Polizei. Er hatte es gewusst. Vicky war niemals geeignet gewesen für diese Aufgabe. „Verdammt, Vicky“, sprach er leise, allerdings nicht leise genug, was er daraus schloss, das Alan diesen Namen sofort notierte.

Vicky?“, hackte er sogleich nach. Eigentlich würde er seine kleine Cousine nie verraten, doch gerade jetzt, im unpassendsten Moment, ging die Wut mit ihm durch. Und so erzählte er der Polizei von Vicky. Dass sie ihm und seinem Bruder bei den Deals geholfen hatte stimmte zwar nicht direkt, aber sie steckte mit ihnen unter einer Decke, da hatte Chase nicht gelogen.

Unterdessen war Vicky nichtsahnend bei sich zu Hause und packte ihre Sachen. Fynn war schon ein paar Minuten zu spät zu ihrer Verabredung, doch das war nicht schlimm, da ihr Koffer noch nicht annähernd fertig gepackt war. Ein paar Minuten später klingelte es schließlich an der Tür. „Hast du die Flugtickets?“, fragte Vicky, nachdem sie Fynn im Treppenhaus stehen sah. Dieser nickte nur, und kam mit schnellen Schritten in die Wohnung. Hinter sich zog er einen schwarzen Koffer mit in diesee.

Bist du fertig mit packen? Der Flug geht schon in weniger als zwei Stunden.“, sagte er hektisch. „Ich weiß, aber warte.“, sagte sie, kurz nachdem ihr Handy einen Ton gemacht hatte. Schnell öffnete sie die neue E-Mail, und überflog sie eilig.

Scheiße“, sagte sie ernst. „Unser Flug fliegt nicht. Er wird aufgrund von einer internationalen Sturmwarnung um genau eine Woche verschoben.“, ergänzte sie noch.

Aber…. Was sollen wir tun?“, fragte Fynn daraufhin unruhig, doch sie versuchte ihn zu beruhigen. „Keine Sorge, die Fotos von dir habe ich verbrannt, sie werden dir nichts anhängen können. Und mich als ihre Cousine würden sie nicht verraten.“, sagte sie mit einem zuversichtlichem Lächeln, was seine Aufgabe ihn zu beruhigen erfüllte. Er nickte: „Okay, hast ja recht.“. Gerade als sich beide hinsetzen wollten, klingelte es erneut an der Tür, und Vicky stand auf, um zu öffnen. Fynn ließ sich auf das Sofa fallen, und versuchte zu hören, wer an der Tür stand. Doch das einzige was er hörte, waren folgende Worte:

Vicky Clancy? Sie sind verhaftet!“

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