Nicky1983“Weißt Du wirklich wer Du bist?”

Normal
0

21

false
false
false

DE
X-NONE
X-NONE

/* Style Definitions */
table.MsoNormalTable
{mso-style-name:”Normale Tabelle”;
mso-tstyle-rowband-size:0;
mso-tstyle-colband-size:0;
mso-style-noshow:yes;
mso-style-priority:99;
mso-style-parent:””;
mso-padding-alt:0cm 5.4pt 0cm 5.4pt;
mso-para-margin-top:0cm;
mso-para-margin-right:0cm;
mso-para-margin-bottom:10.0pt;
mso-para-margin-left:0cm;
line-height:115%;
mso-pagination:widow-orphan;
font-size:11.0pt;
font-family:”Calibri”,”sans-serif”;
mso-ascii-font-family:Calibri;
mso-ascii-theme-font:minor-latin;
mso-hansi-font-family:Calibri;
mso-hansi-theme-font:minor-latin;
mso-fareast-language:EN-US;}

„Weißt Du wirklich wer Du bist?“ – Eine Kurzgeschichte

 

Die Gegenwart

 

Jonathan schaute auf das Handy, welches auf seinem Designer-Couchtisch vor ihm lag. Ein älteres Modell, aber es schien ansonsten ganz gut in Schuss zu sein. Er hatte es eben beim Verlassen des „Datscha“, seiner Stamm-Diskothek, in der er mindestens einmal die Woche zu Gast war, gefunden. Er war gerne dort, da es eine Disko gehobener Preisklasse war und sich somit das „gemeine Fußvolk“ dort nicht blicken ließ. Hier schaute niemand aufs Geld, es ging schlicht und einfach darum einen netten Abend mit Freunden zu verbringen. Zugegeben, ob es wirklich Freunde waren, war mehr als fraglich. Aber er genoss die Zeit mit ihnen, weil sie einfach „gleich“ waren und er sich nicht verstellen musste. Im „Datscha“ war einfach jeder reich und so gab es untereinander keinen Neid. Zumindest nicht offensichtlich. Es war wieder mal eine tolle Nacht und er hatte ordentlich gefeiert und es sich gut gehen lassen, auch wenn er nicht allzu viel Alkohol zu sich genommen hatte. Er hasste es, so betrunken zu sein, dass man die Kontrolle verlor, so wie die anderen es manchmal taten. Er trank lieber etwas stilvoller, weniger, dafür den besten Gin, den das Haus zu bieten hatte. Und behielt dafür die Kontrolle.

 

Kurz nach dem Ausgang hatte er dann das Handy gefunden, direkt vor seinen Füßen. Es hätte jeder finden können. Aber er fand es. Und als er auf die Taste drückte erschien ein Foto von ihm selbst. Direkt auf dem Home-Bildschirm, noch bevor der PIN-Code abgefragt wurde. Gerade aufgenommen im Club, als er mit seiner Bekannten Donna sprach. Jonathan war mit seinen 24 Jahren gutaussehend, wie er fand. Kurze dunkle Haare und dunkelbrauen Augen. Er hasste Bärte und war deswegen immer vollständig rasiert. Sein Gesicht war leicht gebräunt, da er regelmäßig ins Sonnenstudio ging, aber nicht so sehr, dass es auffiel. Es ging mehr darum, eine leichte Blässe zu überdecken.

 

„Wieso finde ich ein Handy mit einem Bild von mir vor der Disko?“ fragte er sich selbst. Zugegeben, es war seltsam, aber im Prinzip hätte jeder der Gäste ein Foto von ihm machen und es auf dem Handy speichern können. Mehr als ein dummer Zufall musste es allerdings schon sein, dass ausgerechnet er das Handy fand. Wer hatte es wohl verloren? Und warum hatte dieser Unbekannt ausgerechnet ein Bild von ihm gemacht und auf den Start-Bildschirm gespeichert? Seine Gedanken wurden düster. „Was, wenn jemand damals…“. Er verwarf diesen Gedanken sofort wieder, da er nicht gerne daran erinnert wurde. „Was mache ich jetzt?“ überlegte er. Er drücke nochmal auf den Home-Button, um das Handy zu erkunden. Am unteren Rand stand „Entsperren“. Warum eigentlich nicht? Er drückte auf die Entsperr-Funktion und wurde aufgefordert, den PIN einzugeben. „So ein Mist!“ fluchte er. Zum einen kannte er logischerweise den PIN nicht und zum anderen deutete es darauf hin, dass dieses Handy von seinem Besitzer für den Zweck gekauft wurde, damit Jonathan es fand. “Wenn der Besitzer wollte, dass ich das Handy mit meinem eigenen Bild finde, wollte er vermutlich auch, dass ich es entsperren kann…“ schweiften seine Gedanken umher. „Wenn ich es mit drei Versuchen der PIN-Eingabe nicht schaffe, das Handy zu entsperren, muss ich es wohl zu Christian bringen.“ Christian war sein einziger langjähriger Freund aus der Schulzeit. Sie kannten sich quasi schon eine halbe Ewigkeit, waren einander verbunden und doch wahrten sie eine ihnen beiden angenehme Distanz. Wie praktisch, dass Christian sich mit Computern und Handys so gut auskannte! Er hatte eine Ausbildung zum Telekommunikationselektroniker absolviert und anschließend sein Studium als Ingenieur für Telekommunikation abgeschlossen. Da sollte doch so ein PIN keine Probleme machen, oder?

Aber Jonathan wollte sich zunächst auf die Eingabe des PINs konzentrieren. Deswegen tippte er zunächst die Zahlen „2408“ ein, da sein Geburtstag am 24. August war. „Falscher PIN. Noch 2 Versuche.“ war die Rückmeldung vom Handy.  Jonathan überlegte weiter. Wenn es nicht sein Geburtstag war, dann vielleicht ein Datum, das für ihn wichtig, das aber nicht jedem bekannt war, etwas persönliches. Er stockte. Plötzlich ging sein Atem schneller und er fing an zu schwitzen. „War es womöglich… das kann nicht sein! Keiner weiß davon!“ Seine Gedanken fuhren Achterbahn. „Wie konnte davon jemand erfahren haben? Es ist schlichtweg unmöglich!“ sagte er zu sich selbst. Ihm wurde etwas schwindelig, bei dem Gedanken daran, dass jemand hinter sein Geheimnis gekommen war. Mit zittrigen Fingern tippte er das Datum ein: 1-0-0-3. Der Todestag seines jüngeren Zwillingsbruders Samuel. Und wie von Zauberhand entsperrte sich das Handy.

 

Jonathan musste eine Weile mit dem entsperrten Handy dagesessen haben, denn als er das nächste Mal auf die Uhr schaute war knapp eine Stunde vergangen. Er holte sich einen Whisky Single Malt aus seiner Bar und trank ihn in einem Schluck aus. Er schenkte sich nach, stellte das Glas aber ohne zu trinken auf den Tisch. Er betrachtete den Bildschirm. Es gab lediglich die üblichen Funktionen, die bei einem Handy schon vorinstalliert waren. Keine zusätzlichen Apps. Er öffnete zuerst den Button „Fotos“. Er musste der Sache nun detailliert nachgehen und den Unbekannten finden, der möglicherweise  zu viel von seiner Vergangenheit wusste. Es waren lediglich 10 Fotos auf dem Gerät gespeichert, inklusive dem Foto von ihm, das heute im „Datscha“ aufgenommen wurde. Er öffnete das nächste Bild. Es war ein weiteres Foto von ihm. Dieses Mal zeigte es ihn bei seinem letzten Ausflug auf seiner kleinen Yacht, der „Amanda“. Das wiederum beunruhigte ihn nicht allzu sehr, da er das Foto selbst auf seinem Handy hatte und als Profilbild in die sozialen Medien gestellt hatte. Nach und nach schaute er sich die Bilder an. Es folgten 6 weitere, die er auf Facebook veröffentlicht hatte. „Damit jagst du mir keine Angst ein! Was hast du noch zu bieten?“ Er konnte sich ein kleines siegessicheres Lächeln nicht unterdrücken. Das Lächeln von seinem Gesicht verschwand schlagartig als er das neunte Bild öffnete. Es zeigte seinen Zwillingsbruder Samuel. Er war es, ohne Zweifel. Es wurde laut dem hinterlegten Datum im Handy kurz vor seinem Tod am 10. März letzten Jahres aufgenommen. Als er das zehnte und letzte Foto öffnete verlor er endgültig seine Gelassenheit. Er sah sich selbst, aber an einem Ort, an dem er nie gewesen war. Es zeigte einen für ihn völlig fremden Ort. Wer auch immer das war saß bei wunderschönem Sonnenschein unter einem Apfelbaum und lächelte in die Kamera und sah Jonathan zum Verwechseln ähnlich. Spiegelbild trug legere Klamotten, nichts teures, aber ordentlich. Im Hintergrund ein Teil eines Häuschen, in dessen Garten er sich befand. Gut bürgerlich. Kein Luxus, wie der, den Jonathan kannte und liebte. Er schaute auf das Aufnahmedatum des Bildes. 17. August, also nach Samuels Tod. Wenn er es nicht war und es Samuel nicht sein konnte, wer ist es dann? Er kniff die Augen zusammen und zoomte ein wenig in das Foto hinein. Die Übergänge waren fließend, es gab also keinen Hinweis auf eine Fotomontage. „Jemand will mir einen Streich spielen!“ sagte er in das leere Zimmer, so als ob der Besitzer des Handys ihn hören konnte. Jonathan durchsuchte den restlichen Inhalt des Handys, fand aber keine weiteren Daten. In den Kontakten war lediglich eine Nummer gespeichert. Der Name, der eingetragen war lautete „Dein Alptraum“. Jonathan fuhr sich mit der Hand durch die Haare, wie er es immer machte, wenn er nervös wurde. „Ich muss einen kühlen Kopf bewahren und dem anderen immer einen Schritt voraus sein.“ versuchte er sich selbst ein wenig zu beruhigen. Es gab jetzt keine Zweifel mehr daran, dass er das Handy mit den Bildern finden sollte. Oder zumindest bekommen sollte. Da sein Bild auf dem Startbildschirm zu sehen war, hätte jeder vermutet, dass das Handy ihm gehörte. Aber wer war der andere? Und was genau wollte er von ihm? Um das herauszufinden, gab es nur einen Weg. Er musste die gespeicherte Nummer, „seinen Alptraum“ anrufen. Er wählte die Nummer nicht sofort, da er sich noch ein paar Gedanken über den möglichen Verlauf des Gesprächs machen wollte. Er wollte einen Schritt voraus sein, damit er derjenige war, der das weitere Geschehen lenkte. Er hasste es, wenn andere sein Handeln zu steuern versuchten. „Ich werde ihm in jedem Fall fragen, wer er ist und was er von mir will, auch wenn ich eventuell keine Antwort darauf bekomme.“ Er wollte den „Alptraum“ mit Fragen löchern, um zu signalisieren, dass er derjenige war, der den Inhalt des Gesprächs bestimmte. Vielleicht forderte der andere Geld, da er herausgefunden hatte, was Jonathan getan hatte. Seine Gedanken schweiften kurz ab und er dachte über seinen Zwillingsbruder nach. Wie er ihn gefunden und gesehen hatte, dort auf der Straße mit dreckigen, zerrissenen Klamotten, zerzausten Haaren. Seine weniger Besitz in einer Plastiktüte gesammelt. Gerochen hatte man ihn schon von weitem, vermutlich hatte er seit Monaten nicht mehr geduscht oder sich gewaschen. Und nebendran die halb leere Wodkaflasche – oder die halb volle, je nachdem wie man es sah. Aber trotz allem erkannte er sein eigenes Spiegelbild sofort und ohne jeden Zweifel in ihm. Er war sein Zwillingsbruder Samuel.

Er unterbrach seine Gedanken um zurück zu dem bevorstehenden Telefonat zu kommen. „Also gut, Herr Alptraum! Hier kommt deiner, von dem du dich nie erholen wirst!“ ermutigte er sich selbst und wähle die hinterlegte Nummer. Es klingelte. Nach 4 Klingeltönen dachte Jonathan, dass womöglich keiner abheben würde. Es war mitten in der Nacht. Aber ein Alptraum kennt keinen Tag und keine Nacht. Nach dem fünften Klingeln wurde abgenommen. „Hallo?“ fragte Jonathan und versuchte dabei angriffslustig zu klingen. „Dein Alptraum beginnt heute Nacht um Punkt drei Uhr in der stillgelegten Unterführung am Rückert-Platz. Komm alleine.“ erklang es aus dem Handy. Der Klang der Stimme legte nahe, dass es sich um eine künstlich erzeugte Stimme aus dem Computer oder ähnlichem handelt. Direkt nach der Ansage wurde aufgelegt. Jonathan ärgerte sich darüber, dass er mit der anderen Seite kein Gespräch hatte führen können. Deswegen rief er gleich nochmal an. „Dir zeige ich, wer hier das sagen hat!“ flüsterte er. Aber nach dem fünften Klingeln hörte er nur dieselbe Ansage nochmal und es wurde wieder aufgelegt. „Wohl eine Nachricht in Endlos-Schleife“ sagte er. Es war sinnlos, noch einmal anzurufen. Er schaute auf die Uhr. Es war kurz vor zwei Uhr und er würde lediglich eine viertel Stunde bis zum Rückert-Platz benötigen. Er würde und er musste heute dort hin. Er konnte keine Person, die von seinem Bruder und dessen Tod wussten auf dieser Welt dulden. Das war klar. Und er dachte ein weiteres Mal über seine Kindheit und sein Leben nach, auf der Suche nach jemandem, den er übersehen hatte. Jemanden, der ihm jetzt womöglich gefährlich werden konnte.

 

Die Vergangenheit

Jonathan wuchs bei seinen Eltern auf und wurde  mit dem „goldenen Löffel im Mund“ geboren. Seine Eltern waren reich und so hatte er das Privileg in einer großen Stadtvilla mit allem Komfort groß zu werden. Das Haus war riesig und er hatte für sich gleich mehrere Zimmer, die er für unterschiedliche Interessen nutzen konnte. Ihm wurde jeder Wunsch sofort von den Augen abgelesen und so besaß er in jedem Alter das, was man sich eben so wünscht. Ferngesteuerte Autos, Flugzeuge, teure Fahrräder und so weiter. Jonathan hatte auch viele Freunde, wobei Freundschaften bei ihm nie von allzu langer Dauer waren, da er sich irgendwann mit ihnen langweilte. Meistens brach er den Kontakt ab oder reduzierte ihn. Rückblickend betrachtet wollten die meisten seiner Freunde wohl nur von seinem Reichtum profitieren und das viele, teure Spielzeug nutzen. Auf der Schule war er in einem privaten Internat, weswegen er auch nur in den Ferien zu Hause war. Im Internat selbst pflegte er mehr Bekanntschaften als Freundschaften, was ihm aber sogar recht war. So drang niemand zu tief in sein Privatleben ein.

 

Seine Eltern sah Jonathan als Kind und Jugendlicher nur sehr selten. Entweder war er im Internat oder falls er mal zuhause kümmerte sich eine Nanny um ihn. Es waren meistens verschiedene Nannys, die seine Eltern ihm zur Seite stellten. Da man sie nur für wenige Tage oder allenfalls Wochen brauchte, wurden sie nur für eine bestimmte Dauer engagiert. Ob er sich mit der Nanny verstand oder nicht war seinen Eltern scheißegal. Hauptsache das Kind war versorgt. Die Mitglieder der Familie trafen sich auch nicht zum gemeinsamen Essen oder zu anderen Aktivitäten, die man als Familie nun mal so machte. Für alles gab es Bedienstete im Haus. Es gab Küchenpersonal, die Essen zubereiteten und für ihn dann eben eine Nanny. Er sah seine Eltern so gut wie gar nicht und noch seltener sah er sie zusammen in einem Raum. Es schien so als ob seine Mutter uns sein Vater jeder für sich selbst ein Leben führten und das einzige, was sie noch verband war dieses Haus, in dem sie beide gerne wohnten. Immerhin, die Stadtvilla war groß genug für zwei Erwachsene und ein Kind ohne, dass sie sich allzu oft begegnen mussten. Einmal, als er als kleiner Junge sich von seiner Nanny davongeschlichen hatte und durchs Haus lief, sah er seine Mutter auf dem Sofa liegen. Neben ihr lagen drei leere Flaschen Wodka und die vierte musste ihr wohl aus der Hand gefallen sein. Sie trank des Öfteren und mit der Zeit sah man es ihr auch an. Fühlte sie sich so einsam, dass sie trank? Möglich wäre es, denn sein Vater war ständig nur unterwegs. „Geschäftlich“ wie er immer betonte, dabei hatte Jonathan nicht einmal mitbekommen, um was es bei diesen „Geschäften“ wirklich ging. Um des Geldes wegen hätte er jedenfalls nicht arbeiten müssen. „Oder gab es einen anderen Grund, warum seine Mutter versuchte, mit Unmengen von Alkohol die Welt um sie herum zu vergessen?“ So richtig hatte Jonathan seine Eltern nie verstanden, denn auch wenn er oft alleine war, genoss er es dennoch alle materiellen Dinge zu haben, die das Herz begehrte. Über die Vergangenheit, von ihrem Leben vor Jonathans Geburt haben seine Eltern sowieso nie gesprochen und Kontakt zu Verwandten hatte er auch nicht gehabt. „Die sind neidisch auf unser Geld!“ hatte sein Vater ihm eröffnet, als er als Kind tatsächlich einmal die Gelegenheit gehabt hatte, ihn darauf anzusprechen. „Du wirst dieses Geld eines Tages erben, deswegen halte dich dein Leben lang von falschen Freunden fern!“

 

Nach seinem Abitur im Internat hatte Jonathan einfach nur „reich“ sein wollen und hatte sich deshalb nicht um eine Ausbildung oder ein Studium gekümmert. Seiner Meinung nach brauchte er das auch nicht. Er hatte eine sehr gute Schulbildung genossen und war nicht dumm, aber er sah einfach keinen Sinn darin, Geld zu verdienen, wo er doch so viel zur Verfügung hatte. Wenn er sich zu einem späteren Zeitpunkt noch anders überlegte, könnte er ja immer noch ein Studium absolvieren. Und so lebte er ein paar Jahre in Saus und Braus und genoss sein Leben. Das tat er bis heute und war noch nicht fertig damit.

 

Ansonsten war in seinem jungen Leben nicht viel Aufregendes passiert. Bis zu dem Tag vor rund 2 Jahren als seine Mutter starb und sich sein Leben von einer Minute auf die andere für immer veränderte…

 

Jonathan sah seine Eltern nach wie vor sehr selten Er wohnte noch in der Stadtvilla, allerdings in einer abgetrennten Wohnung. Es war wohl einfach besser so, wenn jeder seinen eigenen Weg ging. Sicher, er hatte alles und war dennoch finanziell von seinen Eltern abhängig, da sie ihm weder vollen Einblick in das Familienerbe gewährten noch ihn ohne einen Grund Geld zur Verfügung stellten. Wenn er fragte, war es seinen Eltern egal gewesen für was er das Geld benötigte oder wie viel es war. Aber wie ein lästiger Bettler musste er immer wieder zu ihnen kriechen, wenn er Nachschub benötigte.

 

Sein Vater litt seit einigen Jahren schon an Demenz, die in den letzten Monaten in ihrer vollen Pracht zum Vorschein kam. In den Anfängen der Krankheit hatte Jonathan die Situation ausgenutzt und ihn mehrfach am Tag um Geld gebeten. Nicht, dass er es nicht sowieso bekommen hätte. Er hatte ein Stück weit Spaß daran, seinen Vater, der sich nie um ihn gekümmert hatte, auszunehmen. Im Grunde stand ihm das Geld ja sowieso zu. Eines Tages dann hatte er sich nicht mal mehr daran erinnert, dass Jonathan sein Sohn war. Sein Vater wurde Rund um die Uhr von Pflegepersonal betreut. Aber für sein Geld musste Jonathan weiterhin betteln, da erst nach dem Tod von seiner Mutter und seines Vaters eigeständig darüber verfügen konnte.

 

An den Todestag seiner Mutter erinnerte sich Jonathan noch genau. Sie war eines Tages einfach umgekippt. Seine Mutter war schwach und der Alkohol hatte seinen Beitrag dazu geleistet, sie dahinzuraffen. Sie konnte und wollte einfach nicht mehr. Als ihre Bediensteten sie fanden, hatten sie sie auf ihr Bett in ihrem Schlafzimmer gelegt, nachdem der gerufene Notarzt nur noch berichten konnte, dass es mir ihr zu Ende ging und dass er nichts mehr für sie tun konnte. Noch ging ihr Atem, unregelmäßig uns sehr flach. Aber irgendetwas schien sie noch in dieser Welt zu halten. „Mein Sohn“ keuchte sie einem ihrer Bediensteten zu und so wurde nach Jonathan geschickt. Als er ihr Schlafzimmer betrat bat er darum mit ihr alleine sein zu dürfen, woraufhin alle den Raum verließen. Ihre Augen waren zu aber ihr Brustkorb hob uns senkte sich leicht, das konnte man selbst unter der Decke erkennen. Jonathan dachte in diesem Augenblick darüber nach, was ihr wohl so schwer auf der Seele lastet, dass sie nie Freude am Leben gehabt hatte. Und wie sein Leben wohl verlaufen wäre, wenn er eine „richtige“ Mutter gehabt hätte. Eine die immer für ihn da gewesen war. „Sie ist für mich ja fast wie eine Fremde!“ dachte er. Und aus diesem Grund schämte er sich auch nicht allzu sehr dafür, dass er im Moment keine Traurigkeit empfand. Ein leises Röcheln seiner Mutter riss ihn aus seinen Gedanken. Er lief näher an das Bett und schaute ihr in die Augen. Sie waren leer. Die Seele seiner Mutter war schon vor langer Zeit gestorben. „Komm näher“ bat sie ihn im Flüsterton. Er gehorchte und setzte sich auf das Bett und neigte sein Gesicht ein wenig zu ihr. „Du… Du hast Geschwister. Suche hinter dem Familienbild“ hörte er sie leise sagen. Dann hauchte sie einen letzten Atemzug aus und starb. Die Welt um Jonathan schien sich endlos zu drehen. Geschwister? Ich? Wer? Das kann nicht sein! Er begriff sofort, dass ihm dadurch –  sollte die Behauptung sich als wahr herausstellen – ein beträchtlicher Teil des Erbes flöten ging. Ja, wenn es überhaupt noch dafür reichte, dass er seinen bisherigen Lebensstil weiterführen konnte. Ihm wurde schwindlig und schlecht. Er konnte doch nicht arbeiten gehen MÜSSEN, weil er das Geld brauchte. Seine Freunde würden ihn auslachen! Eine wahre Gelächter-Lawine würde über ihn hereinbrechen. Nein! Er musste auf jeden Fall verhindern, dass er zum Gespött der ganzen Welt wurde, weil er auf einmal nicht mehr reich war. Er besann sich und sagte sich, dass niemand außer er davon wusste. Gleich nachher würde er hinter dem Familienbild nachschauen. Es war das einzige, das je von ihnen als Familie gemacht wurde als er ungefähr drei Jahre alt war. Es hing übergroß im Wohnzimmer.

 

Nachdem er das Personal seiner Mutter nach Hause geschickt und dafür gesorgt hatte, dass sein Vater sich mit seinen Pflegern zurückgezogen hatte, ging er ins Wohnzimmer. Er hielt sich nicht damit auf es zu betrachten oder in Erinnerungen zu schwelgen. Er nahm es einfach von der Wand und stellte es auf den Boden. Auf den ersten Blick fiel ihm nichts auf. Er ging näher zur Wand und suchte nach einer Unebenheit oder ähnlichem, fand aber nichts. Dann wandte er sich dem Bild zu. Fast hätte er es übersehen, aber im unteren Teil des Rahmens gab es eine winzige Rille und in der Ecke, kaum sichtbar, steckte ein Stück Papier. Er zog vorsichtig daran und nach einer Weile hielt er ein Dokument in der Hand. Darauf stand knapp geschrieben: „Samuel, geboren am 24.08. um 14:12 Uhr zum „sozialen Experiment“ freigegeben. Offiziell gestorben am 24.08. um 14:21 Uhr. Gegenleistung 4 Millionen Deutsche Mark.“ Unterzeichnet war das Dokument von seinen Eltern und einer nicht lesbaren Unterschrift. Jonathan verstand nicht. Nur langsam konnte er seine Gedanken ordnen. Das war sein Geburtstag! War das mein Bruder? Damit habe ich nicht irgendwelche Geschwister, sondern einen Zwillingsbruder! Und er lebt! Höchstwahrscheinlich. Was war das für ein „soziales Experiment?“  Er wollte es gar nicht wissen, sonst wäre die Welt nicht mehr die, die er kannte. Aber das erklärte den Reichtum seiner Familie. „Meine Eltern haben meinen Zwillingsbruder verkauft!“ brach es aus ihm heraus. Auf einmal begriff er, warum seine Mutter sich nie an ihrem Leben und dem vielen Geld erfreuen konnte. Sie hatte ihr eigenes Kind verkauft! Und er verstand, warum es in seinem Leben weder Verwandte noch Freunde gab – sie alle hätten etwas mitbekommen können. Noch lange saß er auf der im Wohnzimmer mit dem Zettel in der Hand und grübelte. Sein Vater konnte er nicht mehr danach fragen. Und somit wusste von seinem Zwillingsbruder vermeintlich nur noch er selbst. Vielleicht würde dieser Samuel nachforschen und auf die Idee kommen, nach seiner Familie zu suchen. In dem Fall würde es zwei Kinder geben, die das Erbe aufteilen mussten. Das konnte Jonathan nicht zulassen! Er schmiedete einen teuflischen Plan. Er musste Samuel ausfindig machen und ihn beseitigen.

 

Die Nachforschungen zu seinem Zwillingsbruder Samuel hatten sich als leichter herausgestellt, als er ursprünglich gedacht hatte. Zwar existierten von ihm weder eine Geburtsurkunde noch sonst irgendwelche Unterlagen zu seiner Person, jedoch fand Jonathan nach intensiver Recherche im Internet einige Verschwörungstheorien zu den „sozialen Experimenten“. Laut den Verfassern dieser Artikel seien Anfang der 90er Jahre Neugeborene direkt nach der Geburt von ihren Eltern „abgekauft“ worden und in ein Internat gebracht worden. Dort hat man die Babys isoliert und über Jahre hinweg Experimente an ihnen durchgeführt. Welche genau wollte der Autor des Textes nicht nennen. Aber so gut wie alle von ihnen seien nach den Experimenten mit der „normalen“ Welt nicht mehr zurecht gekommen. Sie seien zu Obdachlosen auf der Straße geworden, die pausenlos betrunken oder zugedröhnt waren. Viele haben sich umgebracht. Es würde niemandem aufgefallen, wenn von ihnen einer fehlen würde, da sie auch niemand vermissen würde.

 

Im Darknet hatte er Kontakt zu einem der Internetseitenbetreiber und Verschwörungstheoretiker aufgenommen. Sein Freund Christian hatte ihn zur Nutzung des Darknets eingewiesen und so konnte er auf sicherem Weg und anonym recherchieren. Er gab sich als vermeintlicher Verwandter eines der damals verkauften Babys aus und in gewisser Weise war er das ja auch. Wenn auch sein Grund, seinen Zwillingsbruder zu finden ein anderer war, als die meisten hatten. Der Betreiber der Seite nennt sich „Truthy“, abgeleitet von dem englischen Wort für Wahrheit und tat kund, dass er auch von den „sozialen Experimenten“ betroffen sei, auch wenn er nicht konkretisierte in welcher Weise. Jonathan erkundigte sich unter seinem Decknamen „Richy“, abgeleitet vom englischen Wort für reich, wie man die damaligen Babys möglicherwiese aufspüren konnte. Seine Antwort war, dass diese sich meist in der Szene der Obdachlosen befanden. In der Regel noch in der Stadt, in welcher sie geboren worden sind, da es wohl zu einem Teil des Experiments gehört, dass die Familie, der man sie entrissen hatte, sich in der Nähe befand. Namen hätte man wohl auch selten geändert, da man es nicht für nötig hielt und so hören sie meistens noch auf denselben Namen, den man ihnen bei der Geburt gegeben hat. Und mit dieser Info müsse man sich sodann in der Szene einmal umhören. Für Jonathan war es sozusagen noch ein wenig leichter, da er vermutlich ungefähr beschreiben konnte, wie er aussah – nämlich ähnlich wie er, er war immerhin sein Zwillingsbruder.

 

Jonathan überlegte, ob er einen Detektiv die Drecksarbeit machen lassen sollte und seinen Bruder ausfinden machen sollte. Er hatte keine Lust, sich mit übel riechenden, bettelnden Obdachlosen zu unterhalten oder sich gar dort aufzuhalten, wo sie lagerten. Bei diesem Gedanken fuhr es ihm kalt den Rücken herunter. Aber er entschloss sich dennoch, selbst auf die Suche zu gehen, da er möglichst wenig Mitwisser haben wollte – oder Personen, die irgendeinen Verdacht schöpfen könnten. Jonathan zog sich seine ältesten und verwaschensten Klamotten und die abgetragendsten Schuhe an, die er finden konnte. Er parkte sein teures Auto einige Straßen weiter und lief zu Fuß zum Platz, an dem sich die Obdachlosen aufhielten. Auf keinen Fall wollte er in einer Horde Wilder als reicher Mann auffallen. Zur Sicherheit hatte er sich ein Pfefferspray in die Tasche und ein Butterfly-Messer in seinen Schuh gesteckt. Er druckte ein Foto von sich selbst aus, das lediglich sein Gesicht zeigte und hoffte, dass er irgendwelche Hinweise bekam, die ihn zu Samuel führten. Doch als er ein paar Minuten bei Dunkelheit durch die Straßen der Obdachlosen geschlendert war, sah er seinen Bruder auf einer Parkbank liegen, neben ihm eine Spritze und eine geöffnete, halb leere Flasche Fuselschnaps. Für einen kurzen Moment frage Jonathan sich, ob Samuel sich möglicherweise selbst beseitigt hatte. Es gab keinerlei Zweifel, dass es sich um seinen Zwillingsbruder handelte, denn bis auf die langen Haare, den Bart und die schmutzige Kleidung, sah er wie Jonathan aus. Da drehte sich Samuel im Schlaf auf die andere Seite und fiel von der Bank in den Dreck uns Jonathan wusste, dass er noch lebte.

 

Jonathan stand eine Weile da und betrachtete seinen Zwillingsbruder und für einen kurzen Augenblick wurde er emotional und dachte daran, wie es wohl gewesen wäre mit einem Bruder aufzuwachsen. Einen Verbündeten zu haben mit dem er über alles reden konnte. Und auch daran, wie das Leben als Familie mit seinen Eltern ausgesehen hätte. Wäre er ein anderer Mensch geworden? Hastig schob er die Gedanken beiseite. Es war nun einmal so wie es war und keiner konnte die Vergangenheit ändern. Und einen Bruder hatte er nun mal nie gehabt. Und er dachte an das viele Geld, dass seine Familie ohne den „Verkauf“ seines Bruders nie gehabt hätte und da fiel ihm wieder ein, warum er eigentlich hier war: er wollte sein Erbe sichern! Er ging zurück zu seinem Auto und fuhr zur nächsten Tankstelle. Dort kaufte eine Flasche Wodka – den guten, nicht den billigen Fusel – und fuhr zurück. Nachdem er geparkt hatte, öffnete er die Flasche, goss einen ordentlichen Schluck aus und füllte das Zyankali in die Flasche. Er ging zu seinem Bruder auf die Bank und rüttelte ihn wach, was nicht einfach war. Offensichtlich war er ziemlich stark betrunken. Als Samuel die Augen öffnete sah Jonathan nur eine große weite Leere in ihnen. „Hallo Bruder!“ sagte er wahrheitsgemäß „keine Panik, ich will dir nichts tun. Ich habe mit meinen Freunden ein wenig gefeiert und habe noch etwas Wodka übrig und dachte vielleicht, du willst den Rest haben?“ „Klar…“ lallte Samuel und trank ein paar Schlucke aus der Flasche. Eine Weile saßen sie schweigend da und starten sich an. Doch dann übermannte Samuel der Alkohol (oder war es das Gift?) wieder und er sank zurück auf den Boden und schlief wieder ein. „Mach’s gut, Bruder! Vielleicht im nächsten Leben.“ Flüsterte Jonathan, stand auf und ging nach Hause. Als er am nächsten Abend zur Parkbank ging, auf der Samuel gelegen hatte, war er nicht dort. Ein anderer Obdachloser hatte ihm gegen eine kleine „Spende“ bestätigt, dass es letzte Nacht genau hier „einen von ihnen erwischt“ hatte und dass der Leichnam in der Früh von einem Bestatter abgeholt worden war.

 

 

Die Zukunft

 

Es war halb drei und Jonathan machte sich auf den Weg zum vereinbarten Treffpunkt in der stillgelegten Unterführung am Rückert-Platz. Er hatte sich mit Pfefferspray, Butterfly-Messer und einem Wurfstern ausgestattet. Das Handy hatte er auch dabei. Kurz vor drei Uhr stand er vor dem Eingang der Unterführung. Da sie stillgelegt war, war es eine Sackgasse – es gab nur einen Weg hinein und nur einen Weg wieder heraus. Er fragte sich, ob der Fremde sich schon in der Unterführung aufhielt. Was, wenn es mehrere Personen waren, die ihm eine Falle stellten? Wer wollte ihn treffen und was wollte der ihm sagen? Jonathan versuchte, gelassen zu bleiben, aber sein Puls raste. Dass ihn womöglich jemand bei dem Mord an seinem Zwillingsbruder beobachtet haben könnte machte ihn außerordentlich wütend. Gleichzeitig würde er, da war er sich ganz sicher, sich den vermeintlichen Erpresser heute vom Hals schaffen. Die Sicherung seines Erbes hatte für ihn oberste Priorität. Punkt drei Uhr  lief er in die Unterführung. Es war dunkel und er brauchte eine Weile bis seine Augen sich daran gewöhnt hatten. Weiter hinten sah er ein schummriges Licht, sodass er seine Taschenlampe nicht benutzen musste. „Hallo?“ fragte er in die Dunkelheit und bekam keine Antwort. So selbstbewusst wie möglich machte er einen Schritt vor den anderen. „Zeig dich, du Feigling!“ rief er. Wieder keine Antwort. Unter seinen Schuhen war lediglich das Knirschen der Kieselsteine, die auf dem Boden lagen, zu hören. Als er das schummrige Licht erreicht hatte, sah er das Ende der Unterführung, abgesperrt mit einem Bauzaun. Er warf einen Blick durch den Zaun hindurch auf die andere Seite der Unterführung und in diesem Moment bemerkte er hinter sich eine Bewegung. Blitzschnell fuhr er herum und hatte das Butterfly-Messer gegriffen. Hinter dem schummrigen Licht sah Jonathan eine Gestalt stehen, konnte aber keine Details erkennen. Sein Unbekannter war ungefähr gleich groß wie er und trug einen Kapuzenpulli. „Was willst Du von mir?“ fragte Jonathan abfällig. Der Unbekannte trat langsam aber zielgerichtet einige Schritte näher an ihn heran. „Die Frage lautet eher: Was willst Du von mir?“ sagte der Unbekannte und trat in das schummrige Licht. Jonathan wurde bleich und ließ vor Schreck fast das Messer fallen, das er in der Hand hielt. Er hatte das Gefühl, dass die Erde unter ihm bebte. Ihm wurde schwindlig und er hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. „Wer…?“ stammelte er. Er schaute in das Gesicht des Unbekannten und sah – einmal mehr sich selbst. Es war sein Gesicht, seine Haare, seine Augen, sein Mund. Der Unbekannt sah ihm zum Verwechseln ähnlich. „Wer ich bin, willst du wissen?“ fragte sein Gegenüber „Ich bin dein Alptraum! ICH BIN DU!“ wurde Jonathan angeschrien. Jonathan wusste nicht, wie er mit dieser Information umgehen sollte. Eine gefühlte Ewigkeit standen sie da und schauten sich auf feindselige Weise an. Jonathan überlegte: „Ich weiß nicht, warum er aussieht wie ich, aber er behauptet ich zu sein. Und damit will er mein Erbe“. Ohne weiter zu überlegen schnellte Jonathan hervor und sprang dem Unbekannten an die Gurgel. Dieser wehrte ab und so fielen sie beide zu Boden. Dabei verlor Jonathan sein Messer, das in die Dunkelheit rutschte. Sie versuchten gegenseitig, den anderen auf den Boden zu drücken. Jonathan bekam einen harten Schlag in den Magen und war für einen kurzen Moment außer Gefecht. Sein Gegner nutzte dies aus um sein Messer zu ziehen, Jonathan auf den Rücken zu legen und ihm das Messer an die Kehle zu drücken. Für den Moment wehrlos lag Jonathan unter dem Unbekannten. „Ganz ruhig!“ mahnte dieser. „Wer zur Hölle bist Du?“ fragte Jonathan erneut. Sein Gegner konnte ein süffisantes Grinsen nicht verbergen. Offensichtlich hatte er sich schon auf diesen Augenblick gefreut. Triumphierend saß er auf Jonathan und eröffnete ihm „Ich bin dein Bruder!“ Kurz darauf krachte eine Faust in Jonathans Gesicht und er schmeckte Blut in seine Mund. Aber jetzt war es an Jonathan zu grinsen. „Mein Bruder ist tot!“ „Und Du hast ihn umgebracht, stimmt‘s? „ fragte der Unbekannte, aber es war eher eine rhetorische Frage, denn er kannte die Antwort bereits, weshalb Jonathan schwieg. Sein Gegner wurde wütend, da Jonathan den Mord nicht zugab und trat und schlug zum wiederholten Male auf ihn ein. „Gib‘s zu, du hast deinen Bruder umgebracht!“ „Na und, er war doch quasi schon tot!“ antwortete Jonathan. Der Unbekannte zog ihn an den Haaren auf die Beine und hielt ihm das Messer an die Kehle. „Und das gleiche werde ich jetzt mit dir machen, Bruder, denn mir steht das Erbe unserer Familie zu. Ich bin Du und Du bist ich. Wir sind Brüder. Kommst Du denn nicht selber drauf? Du hast Deinen Bruder umgebracht, aber ich bin Dein Bruder. Wir sind Drillinge! Unsere Eltern haben für den ganzen Reichtum zwei Kinder verkauft, damit sie einem Kind ein Leben in Reichtum bieten konnten. Sie haben Samuel und mich , den kleinen Paul, für soziale Experimente verkauft“ Jonathan musste über die Worte einige Zeit nachdenken. Sein Schädel pochte. So wäre wenigstens plausible erklärt, warum sein Gegenüber wie er und auch wie sein Bruder Samuel aussah. Sie sahen sich alle drei zum Verwechseln ähnlich. Jonathan begriff aber nur langsam das Gesagte. „Warum gab es dann nur für Samuel einen Zettel?“ „Wenn Du genauer hingeschaut hättest, hättest Du den zweiten Zettel im Rahmen bestimmt gefunden!“ Jonathan war erstaunt darüber, dass sein Gegenüber, sein Bruder, Paul, über die Zettel und das Versteck im Bilderrahmen Bescheid wusste. Paul packte ihn am Kragen und drückte ihn gegen die Wand. „Ich habe die Hebamme gefunden, die damals uns drei auf die Welt geholt hat. Sie hat zugegeben, dass sie – als sie unter strengster Geheimhaltung davon erfahren hatte, dass die Kinder Nummer zwei und drei für soziale Experimente verkauft werden sollen – den Drittgeborenen, der auch der kleinste und schwächste war gegen den Erstgeborenen ausgetauscht hat. Damit der Kleine auch eine Chance hat. Die Eltern durften nur den Erstgeborenen behalten. Sie hat Dich, du Schwächling, gegen mich ausgetauscht! Ich war der Erstgeborene und deshalb steht auch mir das Erbe der Familie zu! Ich bin hier, um es mir von dir zu holen!“ Jonathan dachte an das Erbe und an all die Privilegien. Wenn es wirklich stimmte, was Paul sagt, konnte nur einer von ihnen lebend hier raus gehen. Es konnte nur einen Erstgeborenen geben. Jonathan sammelte alle seine Kraft und trat Paul in die Kronjuwelen. Paul lies ein wenig von ihm ab und Jonathan wand sich aus dem festen Griff. Er schäumte vor Wut- –  auf seine Eltern, auf Paul und auf sich selbst, dass er sowas nicht hatte kommen sehen. Sein Erbe gehörte ihm! Blitzschnell fuhr er herum und stach warf den Stern seinem Bruder Paul direkt in die Stirn. Dieser öffnete weit die Augen und starrte ihn ungläubig an. Mit einer schnellen Bewegung hatte Jonathan sich Pauls Messer gegriffen. Er zögerte keine Sekunde und Schnitt seinem Bruder mit einem glatten Schnitt die Kehle durch. Das Blut spritze heraus und Paul röchelte ein letztes Mal, ehe er zu Boden ging und reglos liegen blieb. Jonathan dreht sich um und verließ die Unterführung. „Weißt du wirklich wer du bist?“ fragte er sich selbst und ging nach Hause. Er hatte etwas zu erledigen. Er musste auf dem schnellsten Wege die Hebamme finden, die die Kinder damals vertauscht hatte.

 

 

 

 

2 thoughts on ““Weißt Du wirklich wer Du bist?”

  1. Sehr gute Story :). Spannend geschrieben und ich hatte zum Schluss etwas Schwierigkeiten, dabeizubleiben, wer jetzt Paul und Jonathan ist. Denn eigentlich ist ja Jonathan tatsächlich Paul und Paul ist Jonathan 😁.
    Leider wurde nicht so viel über Pauls / (Jonathans) Leben erzählt, wie er es verbracht hat; aber das ist wohl eher Nebensache. Nun lebt Jonathan (alias Paul) weiter und rächt sich vermutlich noch an der Hebamme…
    Das einzige, was ich dir raten würde ist, die Zeichen oben zu löschen.

    Vielleicht magst du auch bei mir vorbei schauen? Ich habe zwei Stories: “verlorene Identität” und “Leos Geheimnis”.
    Freu mich immer über Feedback und natürlich über likes 😃

  2. Liebe Nicky! Ich mag Deine Geschichte. Sie ist gut erzählt und kommt ohne viel Schnickschnack aus. Mein Verbesserungsvorschlag wäre, ein paar Absätze einzubauen (das erhöht die Lesefähigkeit) und die Umgangssprache (“was man eben so braucht” , “wie man sich das eben so vorstellt”) herauszunehmen und tatsächlich auszuformulieren.

    Ansonsten wünsche ich Dir viel Glück fürs weitere Voting!
    Kollegiale Grüße! Kathrin aka Scripturine / https://wirschreibenzuhause.de/geschichten/die-nacht-in-der-das-fuerchten-wohnt

Schreibe einen Kommentar