kawonIm Käfig

>> An einer im Wasser treibenden Leiche entstehen postmortale Verletzungen. Aufgrund der Bauchlage und der Wasserbewegungen führt dies zu Abschürfungen am Kopf, Handrücken und an den Knien. Vereinzelt kann es vorkommen, dass der Schädel dermaßen abgeschliffen und das Hirn herausgespült wird. <<
Die Webseite eines bekannten deutschen Kriminalbiologen faszinierte Peter derartig, sodass er deren Inhalt auswendig kannte. Zu jeder Gelegenheit stotterte er die gelesenen Zeilen, in seinen eigenen Worten, vor sich hin, um die Informationen immer und immer wieder in Erinnerung zu rufen. Wie ein trockener Schwamm sog er die Texte auf und behielt sie auf Anhieb in seinem Kopf.
Ein schriller kurzer Ton holte ihn zurück in sein kleines Vorstadthäuschen. Dennoch viel zu groß für ihn allein. Doch damals war es genau perfekt, für ihn und seine kleine Familie.
Er hatte während seines gedanklichen Ausfluges in die Leere des weitläufigen Gartens gestarrt, der mittlerweile zu einem Urwald herangewachsen war. Seitdem Clara und die Kinder weg waren, hatte er ihn nicht mehr betreten.
Peter trat beiseite. Er zog den Vorhang, der mittlerweile durch den Konsum seiner ständig qualmenden Zigaretten gelblich verfärbt war, vor und schritt zurück in die Küche. Die Dielen knarrten. Doch das taten sie schon, als er damals eingezogen war. In der Küche stapelten sich die mit alten Essensresten verkrusteten Teller und Töpfe, wie ein unachtsam gebauter Jengaturm. Der Ton gab an, dass sein Handy fertig geladen war, mit dem er sogar auf der Toilette, die von ihm so begehrenswerten rechtsmedizinischen Berichte lesen konnte. Seitdem er aufgehört hatte zu schreiben, war dies eine seiner wenigen täglichen Beschäftigungen.
Abrupt zog er am Kabel seines Ladegeräts, das sichtlich anhand dieser immer wieder falschen Handhabung in Mitleidenschaft gezogen war. Generell ging Peter mit seinem gesamten Hab und Gut eher schlecht als recht um. Doch das war ihm in seinem derzeitigen Zustand ziemlich egal. Mit dem Blick auf das zerfetzte Kabel griff er nach seinem Mobiltelefon und bemerkte rasch, dass da irgendetwas nicht stimmte. Es war nicht so, wie jedes Mal. Etwas war anders.
>>Das ist verfickt noch mal nicht mein Telefon. << flüsterte er. Hastig blickte er in alle Richtungen. Nach einer kurzen Starre stürmte er durch das Erdgeschoss. Der Tunnelblick hinderte ihn daran das Haus nach etwas abzusuchen, wovon er gar nicht wusste was es sein sollte. Den Aufstieg in den ersten Stock wagte er trotz des Adrenalinschubes dennoch nicht. Die letzten Monate verbrachte er entweder in der Küche oder in seinem Arbeitszimmer. Die übrigen Zimmer oben, hatte er schon lange nicht mehr gesehen.
Nachdem Peter ein wenig zur Ruhe gekommen war und seine Atmung sich wieder normalisiert hatte, prüfte er jeden Raum einzeln ab. Sowieso hätten die knarrenden Dielen doch verraten, dass sich jemand im Haus herumgeschlichen hätte.
War er mit seinen Gedanken soweit abgedriftet, dass er die Welt um sich nicht mehr wahrnehmen konnte? Peter versuchte sich selbst zu beruhigen. Er redete sich selbst gut zu, dass hier niemand in seinem Haus gewesen war. Nicht mehr.

Er holte tief Luft. Sein gesamter Körper wurde mit voller Gewalt unter Wasser gedrückt. Mit all seiner Kraft versuchte er an die Wasseroberfläche zu gelangen. Erfolglos. Bernd war stärker. Viel stärker. Er packte ihn mit einer Hand am Hinterkopf, mit der anderen im Lendenbereich und drückte ihn immer weiter in die Tiefe des Seeufers. Trotz seiner starken Arm- und Beinbewegungen schaffte er es nicht die Kontrolle zu übernehmen.

Nichts. Er fand nichts. Kein einziges Anzeichen, dass jemand durch die kühlen Räume geschlichen war. Keine Fußabdrücke im Eingangsbereich, gezeichnet von dem Kies, den man überschreiten müsste, um an die Haustür zu gelangen. Keine offenstehenden Türen, keine verrückten Gegenstände und kein Geruch nach jemand Fremdes. Der Fremdgeruch war es auch, der Clara damals verriet, dass sie die Nacht nicht bei ihrer besten Freundin verbracht hatte. Düfte, Gerüche, ein gewisses Bukett. Peter war demgegenüber schon immer empfindlich gewesen. Stets hatte er darüber gesprochen, dass er wie Jean-Baptiste Grenouille wäre. Nur Peter hätte ihm einiges voraus. Die Selbstbeherrschung.
Die Seiten seines liebsten Romans, das Parfum, lagen nun genau so wie er, zerstreut am Boden seines Eigenheims. Es war ein guter Ort zum Nachdenken. Des Öfteren hatte er schon hier gelegen, gesessen, gekauert. Hatte Nachgedacht, Musik gehört, gelesen, geschlafen. Das Parkett in der Küche war irgendwie ein idealer Ort für ihn und seine Gedanken. Ein Rückzugsort. Sein Refugium.
Er starrte auf den dunklen Bildschirm des Smartphones. Es war viel kleiner als das Eigene. Im Gegensatz zu seinem war der Bildschirm noch ganz, der Rahmen unversehen und die Schutzhülle schien so, als wäre sie gerade aus der Verpackung geschlüpft und am Telefon angebracht worden.
Er drückte mit seinem Daumen auf den einzigen Knopf am rechten Rahmen. Die Vorschau einer Kurznachricht präsentierte sich in gewohnter Form. Darüber die Information, dass ebenfalls eine MMS eingegangen war. In Zeiten von Instant-Messaging-Diensten war das eher ungewöhnlich. Doch darüber machte sich Peter weniger Gedanken, als über die Nachricht die er zum Teil lesen konnte. „An einer im Wasser treibenden Leiche ent…“.  Im selben Moment spürte er ein sanftes Vibrieren in seinen Händen. Eine weitere Nachricht war eingegangen.

Wer ertrinkt, der erstickt. Er konnte nicht mehr atmen. Der Kampf sich gegen Bernds gesamte Kraft zu wehr zu setzen erschöpfte ihn binnen Augenblicken. Er hörte auf mit den Beinen zu treten und mit den Armen, um sich zu schlagen. Ein Reflex brachte ihn dazu nach Luft zu schnappen. Doch anstatt Sauerstoff strömte Wasser in seine Lungen.

Eine weitere Nachricht, deren Vorschau nicht angezeigt werden konnte. Irgendwie wollte er den Inhalt der zweiten Nachricht gar nicht wissen. Aber eine gewisse Neugier hatte sie dennoch in ihm geweckt. Ein Kollos aus Fragezeichen baute sich in seinem Kopf auf. Warum hielt er dieses Telefon in der Hand? Warum war es plötzlich in seiner Küche aufgetaucht? Wer hatte es platziert? Warum stand gerade diese Nachricht auf dem Display? Was steht in der zweiten Nachricht? Eine Mischung aus Neugier und Furcht braute sich zusammen. Ihm war klar, dass er da in etwas hineingeraten war, wovor er sich nicht zurückziehen konnte. Er konnte es nicht ignorieren, wie er es bei allen Angelegenheiten tat. Er konnte sich nicht verstecken und er konnte es schon gar nicht vor sich hinschieben. Jemand war in seinem Haus gewesen. Jemand hatte die schützenden Mauern um ihn zerstört. Jemand würde ihm wieder etwas Böses antun wollen.

Peter strich mit seinem rechten Daumen über den bereits aktivierten Hintergrund des Telefons. Noch immer lag er am Teppich seines Küchenbodens. Der schon lange nicht mehr in dem Muster erstrahlte, dass ihn noch vor Jahren zierte. Jetzt war er mit Flecken versehen, die Peter nicht sonderlich störten. Es schien so als würde er durch das ganze Chaos hindurchsehen oder es einfach gekonnt ignorieren.
Mit der Bewegung am Display entstand jedoch das nächste Problem. „PIN eingeben“
Der kurzanhaltende Ärger über diese Hürde war jedoch schnell verflogen, intuitiv tippte er die Zahlenreiche „250785“ ein und war nicht einmal überrascht darüber, den PIN auf anhieb geknackt zu haben. Vielmehr überkam ihn nun eine Welle der Nervosität. Irgendwie wäre es ihm recht gewesen, mit diesen Zahlencode nicht weiter zu kommen. Es hätte ihn bewahrt vor dem was da kommen würde. Er hätte dann vielleicht doch einen Rückzieher machen können. Doch so einfach hätte man es ihm nicht gemacht.
„An einer im Wasser treibenden Leiche entstehen postmortale Verletzungen“. Der Inhalt der ersten Nachricht. Als er sich den Textauszug am Sperrbildschirm angesehen hatte, wusste er, dass genau dieser Satz in der Mitteilung stehen würde. Jener Satz denn er vor nicht einmal einer halben Stunde vor sich hingemurmelt hatte.
Eine Fingerbewegung und er war an der aktuellsten Nachricht angelangt. „Ich höre dich, ich höre alles was du sagst. Verfickt noch mal sagt man nicht, hat dir das deine Mutter nicht beigebracht?“

Die Chance nicht an Folgeschäden zu erkranken ist bei kälteren Wassertemperaturen höher.  Der Bedarf an Sauerstoff im Gehirn sinkt mit jedem Grad weniger, um sechs Prozent. Bernd lies nicht locker. Immer noch packte er ihn mit festem Griff im Genick. Auch wenn er sich nicht mehr dagegen werte, Bernd wollte sicher gehen, dass er auch wirklich tot war.

Plötzlich verspürte er einen dumpfen Schmerz im linken Bein, gefolgt von einem unangenehmen Kribbeln, dass mit tausenden Nadelstichen gleichzusetzen war. Peter streckte sein Bein aus. Er kannte den Schmerz. Er war ein alltäglicher Begleiter. Eine Durchblutungsstörung, die Folge einer Unterkühlung war, lies sein Bein bei Fehlhaltungen stets ertauben.
Das Öffnen der Mediendatei stand ihm noch bevor. Doch er konnte schon erahnen, was er zu sehen bekommen würde. Peter tippte auf das Briefsymbol in der Statusleiste und das Bild erschien. Zwei Jungs, der eine den Arm um den anderen gelegt. Grinsend strahlten sie der Kamera entgegen. Im Hintergrund ein weitläufiger See, zu hälfte umrandet von einer Gebirgskette. Die Berge und genau jener See den Peter aus Kindheitstagen kannte. Der eine Junge war er, der andere sein Bruder Bernd.
Die Vergangenheit hatte ihn nun eingeholt. Er hatte ernsthaft daran geglaubt zur Ruhe gekommen zu sein. Alles hinter sich gelassen zu haben. Endlich ein Leben zu führen. Nicht gerade ein Leben, das er sich erwünscht hätte, aber ein Leben ohne Gewissensbisse, Gedanken, die ihn quälten und furchtbaren Bildern im Kopf. All dies hatte er überwunden. Er dachte wirklich, es wäre vorbei. Doch er hatte ihn wiedergefunden und Peter wusste, er hatte noch nicht genug.

„Peter, du bekommst jetzt eine Familie“, sagte sie und nahm ihn in den Arm. Ihre blonden Locken kitzelten an seiner Wange. Er genoss jedes Mal diesen Augenblick, in dem sie ihn ganz fest an sich drückte. Seitdem er denken konnte war er schon in diesem Heim. Wuchs mit anderen Kindern auf, teilte mit ihnen ein Zimmer, die Spielsachen und die Zuneigung der Betreuer. Nur die Zeit, in der sie auf Erfüllung warteten, musste jedes Kind selbst ertragen. Man sagt zwar geteiltes Leid, wäre halbes Leid. Doch einen seelischen Schmerz kann man nicht teilen.

Clara hatte immer gesagt, er solle sich einen Therapeuten suchen. Er würde ihm helfen. Durch ihn würde er herausfinden, was ihn belastet. Woher die Gedanken kamen und was er tun kann, dass ihm endlich wieder gut gehen würde. Doch Clara hatte keine Ahnung. Peter sträubte sich dagegen in Therapie zu gehen. Er verkümmerte immer mehr und irgendwann wollte sich Clara diesen Rückschritt nicht mehr länger ansehen. Also ging sie zu einem anderen und hörte auf ihn zu lieben.
Unerwartet hörte er plötzlich das Aktivieren des Wasserboilers, welcher exakt unter ihm im Keller platziert war. Er hörte wie das Wasser in den Rohren, an ihm vorbei nach oben in den ersten Stock gepumpt wurde und er hörte das Wasser, dass aus der Brause direkt in die Badewanne floss. Hätte er das obere Stockwerk doch prüfen sollen? Hätte er seine Furcht vor dem Aufstieg überwinden sollen? Was hätte es gebracht? Dass er früher als später das vorfindet, was ohnehin auf ihn warten würde?
Peter richtete sich auf. Sein Bein war immer noch taub und das Aufraffen erschien ihm nun schwerer als gedacht. Mit den immer noch anhaltenden Schmerzen schleppte er sich zur Treppe, die nach oben führte. Dort stapelten sich auf den Stufen Bücher, die er lesen wollte, gelesen hat, oder der örtlichen Bücherei spenden wollte. Dort stapelten sich sogar Bücher, die er selbst geschrieben hatte. Bereits signiert und bereit verschenkt zu werden. Eigentlich hätte niemand nach oben gelangen können, denn die Türme aus geschriebenen Worten bildeten eine Grenze, die man nicht überschreiten hätte können. Doch alles war möglich, so wie das Telefon, dass ihm nicht gehörte.
Unachtsam warf er die Bücher auf einen Haufen zusammen und grub sich durch einen schmalen Pfad nach oben. Ein bekannter Duft biss ihm in der Nase. Ein Duft der Erinnerungen in ihm hervorrief.
Auch die Treppen knarrten beim Betreten in demselben Ton, wie die Dielen es taten. Ein Ton die Peters Kinder Sonntag morgens immer wieder auffliegen ließ, indem sie versuchten sich so leise wie möglich vor dem Fernseher, oder raus in den Garten zu schleichen. Clara und Peter hatten sie immer gehört, während sie den frühen Sonntagmorgen Arm in Arm im Bett verbrachten. Jedes Mal grinsten ihnen die Kinder siegreich entgegen, wenn sie eine Stunde später nach unten kamen, um den Tag bei einem gemeinsamen Frühstück zu starten.

Der Moment trat ein, in dem die Muskeln unkontrolliert zu zucken begannen. Eine Reaktion des Körpers auf das zurückgehen der Sauerstoffkonzentration im Gehirn. Ein Zeichen für seinen Peiniger, dass es noch nicht vorbei war und er sich noch bemühen musste, den Körper weiterhin unter Wasser zu drücken. Ein Zeichen, dass er selbst nicht mehr wahrnahm, denn in diesem Moment war er schon bewusstlos.

Über ein Jahr lang war er nicht hier oben gewesen. Über ein Jahr lang musste das kleine Waschbecken in der Gästetoilette ausreichen, um sich waschen zu können. Oder zumindest, um den gröbsten Dreck mit einem Waschlappen vom Körper zu wischen. Er blickte in den Ganzkörperspiegel, der gegenüber des Treppenaufgangs angebracht war und konnte zum ersten Mal seit langem feststellen, dass er sich selbst verwahrlosen hatte lassen. Sein Blick trat auf einen schmächtigen Mann mit langen Haaren und ungepflegtem Bart. Das karierte Frotteehemd hang auf seinem Leib, wie ein riesiges Leintuch über einem Kind, dass sich als Geist verkleidet.
Er wandte den Blick von sich selbst ab. Im Moment wollte er die Erkenntnis nicht realisieren, dass er sein Leben schleifen gelassen hatte. Denn gerade jetzt hatte er etwas anderes wahrzunehmen, nämlich, dass er sich nicht allein in diesem Haus befinden würde.
Zu Peters Rechten befand sich die Tür zum einzigen Badezimmer des Hauses. Ganz klar konnte er hören, wie der Strahl aus der Brause auf eine Wasseroberfläche trat. Er vermutete, dass sich die Wanne inzwischen schon gefüllt hatte. Mit seiner Linken Hand umfasste er die Klinke und drückte sie nach unten. Ein kalter Schauer, ausgehend von seinen Fingerspitzen, zog sich wie eine Hülle um seinen ganzen Körper und plötzlich frierte er für einen einzigen Wimpernschlag am ganzen Körper. Seinen emporschnellenden Puls, konnte er an seiner Halsschlagader spüren und nach der Kälte baute sich eine enorme Hitze in ihm auf. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn, wo sich dahinter gerade Bilder abspielten, von denen er sich erhoffte, sie im nächsten Augenblick nicht erleben zu müssen.
Langsam und ganz sachte drückte er die Tür nach innen auf. Die Badewanne befand sich dahinter, also konnte er bei betreten des Raumes nicht sofort erkennen, was ihn dort erwarten würde. So langsam wie er die Tür geöffnet hatte, betrat er das Bad und drehte sich um 90 Grad nach links.

Er hatte nun eine Familie und er hatte nun einen Bruder. Weitläufige Wälder, durch die er laufen konnte und einen See in der Nähe, bei dem er jede freie Minute verbrachte. Er fühlte sich geborgen, er war endlich glücklich. Er durfte erfahren was Glück bedeutet.

Er bekam schwer Luft. Es war so als hätte jemand die Hände um seinen Hals gelegt, um ihm am Atmen zu hindern. Ein weiteres Problem mit dem er zu Leben hatten. In Ausnahmesituationen schien es so als müsste er ersticken. Ein Trauma, dass er nicht verarbeitet hatte. Für einen Moment schloss er die Augen und konzentrierte sich ganz allein auf seinen rasenden Herzschlag. Peter versuchte ihn wieder zu normalisieren. Er hatte gelernt, sich selbst in solchen Situationen so schnell wie möglich zu retten, um wieder in den Standard zurückzufinden.
Er öffnete wieder seine Augen und trat zur Badewanne vor, die bereits zur Hälfte befüllt war. In der Wanne schwamm mit dem Gesicht nach unten eine Puppe. Bevor er sich ihr nährte, drehte er den Wasserhahn ab und setzte sich auf den Wannenrand. Erst danach griff er nach dem nackten Plastikleib, hob ihn aus dem Wasser und drehte ihn um. Der Schreck kam erst einen Moment lang später. Über dem Kopf der Puppe war ein Portraitbild eines Jungen geklebt. Die Tinte war bereits leicht zerflossen, dennoch konnte man erkennen, wer darauf abgebildet war. Es war das Gesicht von Patrick. Peters Sohn. Er drückte die Puppe fest an sich, rutschte von der Badewannenkante auf den kühlen Fliesenboden und begann zu weinen.

„Was ist mit ihm passiert?“ Florentin blieb stehen und deutete mit einem leichten Nicken auf einem schmächtigen Mann im Rollstuhl. Eine Träne tanzte sich an seiner Wange herab, bis sie sich von seinem Kinn in den Selbstmord stürzte. Er trat heute seinen ersten Dienst in der Nervenheilanstalt an. Zuvor hatte er in einer anderen Klinik gearbeitet, bis er hierher versetzt wurde. Schwester Eva war gerade dabei ihm die Station zu zeigen und dem Arzt die Patienten vorzustellen.
>> Das hier ist Bernd Fiedler. Er litt, oder leidet immer noch unter starken Depressionen. Mit neun Jahren hat er seinen Stiefbruder beim Spielen im See ertränkt. Seitdem hatte er damit zu kämpfen und entwickelte eine Persönlichkeitsstörung. Er gab oft vor Peter zu sein und führte quasi sein Leben fort. Vor über einem Jahr, betrog ihn seine Frau. Das bemerkte er als sie einen männlichen Duft nach sich zog, nachdem sie von einem angeblichen Abend mit einer Freundin nach Hause kam. Bei einem morgendlichen Streit am nächsten Tag, drückte er ihren Kopf in der Wanne unter Wasser, während sie ein Bad nahm. Danach wählte er selbst den nassen Tod im Biotop seines Gartens. Sein kleiner Sohn Patrick fand ihn, mehr oder weniger, noch rechtzeitig. Seitdem spricht Bernd kein Wort und starrt nur in die Leere. Es scheint so, als hätte er sich selbst in seinen Körper und seinem Kopf eingesperrt, um zu büßen <<
Florentin nickte, drehte sich wieder um und widmete sich einer anderen Patientin. Ein feiner Hauch erreichte Bernds Nase, der ihn wie ein Blitzschlag traf. Er roch wie Clara an dem einen Morgen, als sie als Ehebrecherin nach Hause zurückkehrte. Nun war Bernd eines klar, er musste aus seinem Haus ausbrechen, um sich endgültig rächen zu könne.

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