andreas-speerWie ein Ei dem anderen

Wie ein Ei dem anderen

 

 

Er hat es gewusst. Zumindest geahnt, dass der Tag kommen musste. Dieses ‚Problem‘ trug er schon so lange mit sich rum, es war ihm nur zu klar, dass es irgendwann eskalieren musste. Und doch starrte Erik entgeistert und ungläubig auf das Display des Mobiltelefons in seiner Hand. Er musste sich nicht nur hinsetzen, sondern auch noch am Küchentisch festhalten um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Er schaute sich unwillkürlich um nach allen Seiten, ob ihn jemand beobachtet. Auch wenn es keinen Grund gab zu glauben, dass er nicht allein war, jedenfalls in dieser Sekunde fühlte er sich förmlich von tausend Augen beobachtet….

Es war schon fast zur Gewohnheit geworden, dass morgens so Einiges in der Wohnung anders war als am Abend vorher hinterlassen. Manchmal hatte das was Bizarres, wenn die Kaffeemaschine auf einmal im Bad stand oder die Zahnbürste sich im Kühlschrank wiederfand. Aber konnte halt auch gefährlich sein, wenn der Elektroherd eingeschaltet war, oder das Fenster offen war, und sich Gegenstände unten im Garten wiederfanden. Dazu kamen seine extremen Stimmungsschwankungen, gegen die er sich kaum wehren konnte. Er hatte deswegen schon Therapien versucht und wieder abgebrochen. Seine Nachbarn mieden ihn mittlerweile, und seine langjährige Freundin hatte ihn letztlich darum auch erst kürzlich verlassen, sie hielt es einfach nicht länger aus…

Diesmal schien es anders. Eigentlich hatte der Tag gut begonnen. Erik hatte das Gefühl, sehr ruhig geschlafen zu haben, etwas brummte ihm der Schädel wie nach etwas zu viel Alkohol. War wie immer ja eigentlich nur ein Glas Wein. Aber egal, war auszuhalten. Immerhin: es gab scheinbar kein Anzeichen dafür, dass er wieder einen ungewollten nächtlichen Streifzug hinter sich und vielerlei Chaos hinterlassen hatte, außer dem schon üblichen, an das er sich fast schon gewöhnt hatte. Sein Leben war ungeordnet, und so sah es entsprechend auch in der Wohnung aus. Trotzdem schien alles an seinem Platz, ‚geordnetes‘ Chaos eben. Er war eigentlich positiv gestimmt. Hatte sich für heute gerade vorgenommen, seinen Therapeuten anzurufen. Diesmal wollte Erik wirklich durchhalten. Er wollte sich ja ändern, sich endlich seinen Ängsten und seiner Vergangenheit stellen. Und es dann Marie stolz verkünden, und fragen, ob sie es nicht doch nochmal mit ihm versuchen wollte. ‚Wenn du dir endlich helfen lassen willst, kannst du dich ja melden‘. Mit diesen Worten verließ sie ihn Tür-knallenderweise, also mehr entnervt als verheißungsvoll. Aber wer weiß?…

 

Doch dann war heute Morgen im Briefkasten dieses HANDY, von dem Erik dachte, dass jemand das wohl versehentlich bei ihm dort reingeworfen hatte. Ein Smartphone, aber ein eher einfaches Modell ohne viel edles Drumherum. Trotzdem musste sich der Besitzer doch sicher ärgern, dass er es verloren hatte. Deswegen versuchte er irgendwelche Hinweise zu finden, und zu seinem Erstaunen war das Handy gar nicht gesperrt mit einem Code etwa, sondern sofort sprang ihm das Foto entgegen, das ihn sogleich erschaudern ließ: etwas unscharf und auch arg dunkel war eine Person zu erkennen, ein Mann, der kniete über einer weiteren Person, einer Frau. Was aber trotz der miesen Bildqualität gut zu erkennen war: dieser Mann hatte ein Messer in der Hand UND dieser Mann war ER!!

 

Erik rieb sich hinter dem Ohr, einer seiner ‚Ticks‘, die er sich sogar trotz Corona Krise im vergangenen Jahr, wo es geboten war, doch die Finger nicht ständig im Gesicht zu haben, nicht abgewöhnen konnte. Sein Therapeut führte das ja genauso wie sein exzessives Schlafwandeln auf ein traumatisches Ereignis in der Kindheit zurück, auch wenn der Psychiater das nicht wirklich ergründen konnte im Detail, ganz so weit hatte Erik ihn nicht in seine Seele tauchen lassen, sondern die Therapie einfach abgebrochen. Aber er wusste natürlich genau die Ursache für seine unaufhörliche Unruhe, die unkontrollierten Wutausbrüche, seine nächtlichen Ausflüge, was ihn über die Jahre fast zum Wahnsinn trieb…

 

Die Frau auf dem Bild konnte er nicht erkennen, war teilweise verdeckt, grad auch das Gesicht. Aber der Mann, kein Zweifel, musste ER sein. Erik erkannte seinen Pyjama, den er ja immer trug. Er besaß das durch seine grell-bunte Musterung ziemlich auffällige Modell gleich mehrfach, war damals als Sonderposten sehr preisgünstig. Manche nennen das geizig, er nannte das ganz einfach praktisch: so wusste er, passt und ist bequem. Und man sparte das ständige ‚In-die Klamottenläden-Gehen‘. Auch seine Kleidung, die er jetzt grad trug, schwarze Jeans und hellblaues Hemd…die Meisten kannten ihn nicht anders. Er hatte die ‚Sparsamkeit‘ vom Vater geerbt. Vaters Immobilienfirma ging es gut. Er hätte sich auch ein Haus leisten können, blieb aber in der günstigen Altbauwohnung, und Erik war nach dem Tod des Vaters einfach dort wohnen geblieben….

Er betrachtete das Bild auf dem Handy weiter. Allerdings immer wieder mit einem verängstigten Blick aus dem Fenster, ob ihn jemand wohl beobachtet…Die Umgebung, also das Zimmer, in dem er über der Frau kniete, war eher schwierig auszumachen, es konnte hier in der Wohnung nicht aufgenommen sein, aber wo bloß??…Es war, als sollte das Foto nur ihn selbst erkennbar machen und das Messer natürlich. Aber was hatte er getan und wann und wo? War die Frau bei guter Gesundheit oder war es vielleicht im Gegenteil eher tödlich ausgegangen? Wer hatte das Foto gemacht? Wer hat das Handy in den Briefkasten geworfen? Will ihn jemand erpressen damit? …

Er untersuchte das Handy. Es waren keinerlei Hinweise auf den Besitzer zu finden. Keine Einträge, keine Kontaktadressen gespeichert, keine weiteren Bilder. Sah überhaupt völlig neu und unbenutzt aus. So, als wäre das Handy nur für den einen Zweck gekauft worden, ihn auf frischer Tat zu fotografieren und ihn jetzt damit zu konfrontieren und zu erpressen. Ihm wurde plötzlich heiß und kalt, und er rieb sich schon wieder am Ohr vor Nervosität…denn da war ein Geräusch an der Wohnungstür….

 

„Erik?“…Die Frauenstimme, die während des Klingelns und Klopfens an der Tür seinen Namen rief, erkannte er natürlich sofort. Marie hatte einen unverkennbaren Singsang in der Stimme. „Erik?“ Er wollte grad zur Tür, ihr aufmachen, da hörte er zusätzlich noch eine Männerstimme und hielt erst mal inne. Da hörte er, wie ein Schlüssel ins Schloss ging, und zuckte unwillkürlich zusammen. Ihm fiel ein, dass er in letzter Zeit gewohnheitsmäßig immer die Wohnungstür mehrfach von innen verschloss, selbst nach dem kurzen Gang zum Briefkasten. Er versteckte sich schnell im Schlafzimmer, als er hörte, dass die Wohnungstür von außen geöffnet wurde.

„Erik ist nicht hier“ sagte Marie beim Hereingehen zu dem Mann, der nur vor sich hin grummelte. „Wo kann er hin sein?“ fragte der unbekannte Mann. „Du hast gesagt, er verlässt um diese Zeit nie das Haus.“ Die Stimme des Mannes kam ihm merkwürdig vertraut vor. „Erik ist überhaupt selten raus. Schon damals nicht mal mehr in die Firma. Er hat sich förmlich verkrochen hier in der Wohnung“, entgegnete Marie und sah sich um. Die Wohnung versank förmlich im Chaos. Man konnte unschwer erkennen, dass hier jemand sein Leben offenbar nicht im Griff hatte. „Erik ist verrückt, ein Psychopath. Schau dich doch nur hier um“, resümierte sie. „Kein Zweifel“ brummte der Mann, „aber das macht die Sache ja nur leichter“. Marie nickte nur mit versteinerter Miene. „Es war deine Idee“, sagte er, „und wenn es schiefläuft, muss ich meinen Kopf dafür hinhalten“. „Aber du hattest allen Grund“, fuhr sie ihm ins Wort, „du hast es nicht mehr ertragen, und ich auch nicht mehr. Wenn alles vorbei ist, möchte ich ein neues Leben anfangen. Er hat uns beiden das Leben zur Hölle gemacht, vergiss das nicht!“ „Ja“, sagte er bestätigend. „Das Zusammenleben mit einem ‚Psycho‘, wie konntest du das nur so lange aushalten??“ Sein Tonfall klang fast schmerzerfüllt. „Ich habe immer gehofft, dass es mal besser würde“, ihre sonst eher hoch singende Stimme rauschte kaskadenartig abwärts in den tenoralen Bereich, „aber nachdem er die letzte Therapie hingeschmissen hatte, war der Ofen endgültig aus bei mir.“ „Und dann bist du AUSGERECHNET bei mir gelandet“, lachte er etwas hohl.

Dieses Lachen! Erik erbleichte, als ihm auf einmal einfiel, woher er die Stimme des Mannes kannte. Eine Stimme aus der Vergangenheit, die ihn mit vehementer Wucht jetzt einholte.

Er öffnete die Tür des Schlafzimmers, und als er im Türrahmen stand, erschraken die beiden im Wohnzimmer fast zu Tode. Und auch Erik selber war dem Nervenzusammenbruch nahe, als er vor ihnen stand. Sie schrie in Panik nur: „Erik!“ Und das Bild war gespenstisch, das sich ihr bot, als sie die beiden Männer hin- und her betrachtete. Beide exakt gleich gekleidet, sogar die Frisuren gleich, wie ein Ei dem anderen. Obwohl Marie ja darauf eingestellt war, und, dadurch, dass sie Eriks immergleiches Outfit ja nun kannte, die Ähnlichkeit der Beiden ja bewusst ‚arrangiert‘ hatte, fiel ihr vor Verblüffung der Kinnladen herunter.

Tom hauchte nur ganz heiser zu Erik herüber: „Mutter ist tot!“…

 

„Mutter ist tot.“ Erik wiederholte Toms Worte in exakt demselben Tonfall, dass es für Marie fast wie ein Echo klang. „Mutter ist tot“, sagte Erik noch einmal. Nicht, dass ihm das viel ausgemacht hätte. Er hasste seine Mutter schon als Kind, deswegen wollte er damals bei Vater bleiben. Und er hatte sie ja über 30 Jahre nicht gesehen. Und seinen Zwillingsbruder auch nicht. Aber die Wucht dieses Satzes ‚Mutter ist tot‘ zusammen mit dem Anblick seines Bruders nach all den Jahren zog ihm fast den Boden unter den Füßen weg. Erik war ja eh ein psychisches Wrack, und die Situation in diesem Moment ließ ALLES auf einmal wieder hochkommen. Seine Schuldgefühle waren schlagartig extrem wieder da, wie eine Wunde, die mit brachialer Gewalt wieder aufgerissen wurde.

„Wie ist Mutter gestorben?“ rang er um Worte. Tom zog fast genüsslich aus einer Plastiktüte ein riesiges Küchenmesser. „DU hast Mutter umgebracht!!“ Tom triumphierte regelrecht bei diesen Worten. Erik verlor jetzt völlig die Kontrolle über sein Gleichgewicht und kippte auf den Boden wie eine Mensch-ärgere-dich-nicht-Figur, die der Gegner genüsslich beim Rausschmiss vom Spielfeld katapultierte…

Es war das Handyfoto, das ihm sofort wieder einfiel. Das Küchenmesser, das er sofort wiedererkannte. Wie er über der Frau kniete kurz vor oder nach der Tat. Es war für ihn Bestätigung, dass Tom die Wahrheit sprach. Er lag auf dem Boden und konnte nach dieser Gewissheit keinen klaren Gedanken mehr fassen und lag da wie gelähmt. Erst als er Maries Stimme wieder hörte, die in ihrem typisch singenden Ton gespielt tröstend sagte: „Aber sie hat es ja nicht besser verdient“, kam er nach gefühlt ewig langer Zeit wieder zu sich. Tom und Marie hatten ihn inzwischen auf einen Sessel gehievt. „Aber wie, aber wo, aber wann…?? Ich kann das alles nicht glauben“ stammelte Erik und schüttelte immer wieder den Kopf. „Und das Foto??? Wer hat das Foto gemacht???“ Als ganz lange keine Antwort kam, wandte er seinen Blick zu Tom und fragte eher belanglos daher: „Was ist mit DIR? Wie ist es dir ergangen in all den Jahren?“ Tom sah erstaunt auf: „Da fragst du noch??“ Man hörte in seinen Worten viel Verbitterung. „Mutter war zeitlebens ein Monster. Du hast das früher erkannt als ich und hast mich ins Verderben laufen lassen.“ „Wir waren Kinder damals“, versuchte Erik sich zu verteidigen. Tom mit Wut in der Stimme: „Ich habe das als ‚Spiel‘ gesehen, so wie wir das so oft gemacht hatten.“ „Ja“, pflichtete Erik bei, „wir haben uns schon als Kinder so dermaßen ähnlichgesehen, dass nie jemand gemerkt hatte, wenn ich mal du war, und du ich warst.“  Toms Stimme wurde immer zorniger. „Wir hatten auch diesmal ausgemacht, dass wir nur kurz die Rollen tauschen. Du bei Vater, und ich bei Mutter. Du hast mir so viel versprochen dafür. Auch dass wir uns gegenseitig nicht im Stich lassen.“ „Wie sollte ich denn wissen…?“ fing Erik an, doch Tom ließ ihn nicht ausreden: „…, dass unsere beiden Eltern absolutes gegenseitiges Besuchsverbot vereinbart hatten? Vater wusste schon, warum…Und du wusstest es auch, da bin ich sicher! Und Vaters Firma hast du auch geerbt. Und ich soll zufrieden sein mit dem gesetzlichen Pflichtteil?? Du hast ausgesorgt, und Mutter hat mich tyrannisiert bis zuletzt. Du hast mir alles genommen, sogar meinen Namen, meine ganze Identität hast du mir genommen. ICH bin eigentlich als Erik geboren. Aber das ist jetzt auch egal…“ Toms Verbitterung und Vorwürfe trafen Erik wie eine Maschinengewehr-Salve. „Ich habe das ja nicht gewollt“, jammerte er. „Hat Mutter eigentlich nie unseren ‚Tausch‘ bemerkt?“ „Nein, sie war viel zu sehr damit beschäftigt, ihre Umwelt zu drangsalieren. Vor allem mich. Angefangen mit Prügelstrafen, Essens-Entzug und tagelangem Wegsperren.“ „Vater hat auch nicht gemerkt, dass ich nicht ICH war, sondern DU. Nur die Firma war ihm wichtig, Gewinnmaximierung, ja, ich war ihm ganz egal. Als er dann krank wurde, war er zu geizig, sich behandeln zu lassen. Und die Beerdigung durfte dann nur anonym sein, das hatte er so verfügt.“ Erik senkte den Kopf.

„Das spielt jetzt alles keine Rolle mehr.“ Toms Worte klangen wie ein Urteilsspruch. „Das Handy? …IHR wart das, oder?“ fragte Erik. Marie nickte nur. „Ich war am Ende“ sagte Tom, „ich war zuletzt auf Tablettenentzug, wollte mich mehrfach selber umbringen. Marie hat mir da rausgeholfen.“ „Hab ihm gesagt: ‚Mach kaputt, was dich kaputt macht‘.“ pflichtete Marie ihm bei.

„Aber wie…wie konnte ich Mutter nur umbringen?? Ich weiß ja nicht mal, wo sie zuletzt gewohnt hat. Wie bin ich da hingekommen?“ Erik sah erst Tom an, dann Marie. „Wir haben dich hingefahren letzte Nacht“, lachte Tom. „Marie hat sich gestern heimlich hierher in die Wohnung geschlichen. Schlüssel hat sie ja noch immer. Sie hat dir ein Schlafmittel in deine Weinflasche getan.“ „Auf zwei Dinge kann man sich bei ja bei dir dann doch verlassen.“ warf Marie ein und verdrehte dabei die Augen. „Auf deinen Tiefschlaf auch jeden Mittag, und auf dein Glas Wein am Abend.“ „Und ein paar Stunden später haben wir dich ‚abgeholt‘ und zu Mutters Wohnung gefahren“, erklärte Tom weiter. „Und die Nachbarn?“ wollte Erik wissen. „Denen bist du schon lange egal. Die wundern sich längst nicht mehr über merkwürdige Geräusche, die aus deiner Wohnung kommen.“ säuselte Marie. „Eure Mutter haben wir ebenfalls betäubt.“ Maries Stimme klang diesmal total kalt. „Wir mussten dann nur abwarten, bis du deinen üblichen nächtlichen Streifzug angetreten hattest.“ „Und dir ein Messer in die Hand drücken.“ ergänzte Tom mit einem Lachen. „Und dann? …Dann habe ich einfach so…einfach so zugestochen?“ Erik war verzweifelt über seine eigene kriminelle Energie. „Naja…“ sinnierte Marie, „wir mussten schon ein wenig nachhelfen…“ „Was meinst du mit ‚Nachhelfen‘?“ Erik war jetzt klar, woher der Brummschädel von heute Morgen kam, und so langsam machte er sich einen Reim auf alles. „Ja, du warst so benommen von dem Betäubungsmittel, dass Tom deine Hand geführt hat“, erklärte Marie. „Das war mir ein Vergnügen“, rief Tom sehr glaubhaft. „Dass Tom ‚mitgeholfen‘ hat, ist auf dem Foto natürlich nicht zu sehen“, sagte Marie. „Warum überhaupt diese Sache mit dem Handy und dem Foto?“ wollte Erik wissen. „Maries Idee. Ihr eigener Sinn für Humor“, lachte Tom wieder. „Sie wollte sich auf die Art ‚bedanken‘ bei dir für die ‚schönen Jahre‘ mit einem Psychopaten und Verrückten.“ „Außerdem brauchen wir ja eventuell ein Beweisfoto für die Polizei“, stellte Marie noch klar. „Die wird sowieso bald hier sein.“ grinste Tom. „Ja vermutlich“, sang Marie, „sie werden nach unserem anonymen Anruf die Leiche wohl schon entdeckt haben.“ „Du wirst auf ewig weggesperrt, und ich erbe Vaters Vermögen.“ Toms Gelächter hatte etwas entsetzlich Diabolisches. Erik wurde langsam etwas klarer und richtete sich vom Sessel auf. „Aber der Mörder auf dem Foto, das könntest genauso gut DU sein“ schrie er Tom an. „Und wie wollt ihr der Polizei erklären, wer das Foto gemacht hat??“ Marie und Tom schauten wie Schüler, die grad vom Lehrer beim gegenseitigen Abschreiben ertappt wurden. „Na und, wen interessiert das noch?“, sagte Tom, und sein gehässiges Lächeln machte Erik nun richtig Angst. „Wo ist übrigens das Handy??“ Tom sah sich um. Auch Marie ging im Wohnzimmer auf und ab. „Ja, wo ist das Handy?“ Erik überlegte kurz und dachte: ‚Muss noch auf dem Küchentisch liegen.‘ Er sah Tom aus den Augenwinkeln mit dem großen Küchenmesser auf ihn zu kommen, während er in die Küche stürzte um das Handy an sich zu nehmen. „Gib das Handy“, brüllte Tom. Marie war völlig überrascht von dem plötzlichen Gerangel der zwei total gleich aussehenden Brüder. Unendliche Minuten, in denen die beiden mit- oder besser gegeneinander kämpften. Wie zwei gleiche magnetische Pole, die ja nur sich gegenseitig abstoßen konnten. Ein irreales Bild, so als ob ein Mann mit sich selber kämpfen würde. Laute Schreie, dann ein plötzliches Aufstöhnen, auf einmal Stille, und dann sank einer von beiden leblos zu Boden und das Blut strömte aus dem Hals des niedergestreckten Körpers über den Küchenboden…

 

Marie kreischte hysterisch. „Tom, du hast ihn in Notwehr getötet. Du wolltest nur das Handy. Er hat dich angegriffen. Das war Notwehr!“ Er ließ wortlos das Messer fallen, hob das bei der Rangelei arg in Mitleidenschaft geratene Handy auf und legte es zurück auf den Küchentisch. Dann setzte er sich auf einen Stuhl und starrte ins Leere. „Es war Notwehr…glaub mir, es war Notwehr“, stammelte Marie immer wieder…

„Polizei! Aufmachen! Polizei!“ Offenbar hatte die Polizei tatsächlich den anonymen Anruf ernstgenommen, oder ein besorgter Nachbar hatte den Notruf gewählt wegen des unüberhörbaren Lärms. Marie öffnete wortlos die Wohnungstür und gleich vier Beamte stürmten mit gezogenen Waffen die Wohnung. Einer der Beamten ging auf Marie zu und versuchte sie zu beruhigen. „Er hat seinen Bruder aus Notwehr getötet.“ Marie redete wie benommen, immer noch unter Schock. „Setzen Sie sich erstmal hin“. Mit diesen Worten nahm der Beamte Marie mit ins Wohnzimmer. „Sie müssen mir in Ruhe erklären, was hier passiert ist…“

 

 

Er hatte immer noch kein Wort gesagt, auch während die Sanitäter seine leichten Schnittwunden, die er sich bei dem Kampf zugezogen hatte, behandelten. Er war außerdem mit Medikamenten ruhiggestellt worden, stand ja offensichtlich noch unter Schock, Marie war wieder etwas klarer. Denn als die Gelegenheit war, und die Beamten und die Sanitäter etwas Abstand genommen hatten, flüstere Marie ihm zu: „Tom, du kannst nichts dafür. Es war Notwehr. Ich habe dem Beamten erzählt, du wärest Erik. Und dein Zwillingsbruder Tom hat im Wahn eure gehasste Mutter ermordet, und als er dich ebenfalls mit dem Messer bedroht hat, hast du ihn in Notwehr ohne Absicht getötet. DU bist jetzt ERIK, verstanden, du bist nicht mehr Tom, du bist Erik!“ Tom nickte nur. Sie flüsterte noch leiser: „Das Handy habe ich schnell verschwinden lassen, damit die Polizei nicht dumme Fragen stellt, wie das Foto zustande gekommen ist.“…

Als Marie sich einem Sanitäter zuwandte, kam Tom ein leises Grinsen: ‚Jetzt nennt sie mich endlich und ohne es wirklich zu wissen, mal bei meinem RICHTIGEN Namen…‘ Dabei musste er sich aus lauter Nervosität schon wieder mal am Ohr reiben. ‚Oh, schnell abgewöhnen, bevor sie Verdacht schöpft‘, ermahnte er sich selber. ‚Und morgen – ganz bestimmt morgen rufe ich den Therapeuten an‘…

 

 

Andreas Speer

 

 

 

  

2 thoughts on “Wie ein Ei dem anderen

  1. Hallo Andreas,

    deine Geschichte hat uns gut gefallen. Vor allem der Twist am Ende war eine gute Idee.

    Ein paar kleine Anmerkungen noch: Du benutzt ziemlich oft das Wort “grad”, das klingt eher umgangssprachlich. Zudem würde ich vielleicht etwas weniger “…” benutzen. Das ist teilweise auch zwischen Sätzen. Und vielleicht anstelle von “???” oder “??” eher “?” nutzen.

    Ansonsten aber gute Geschichte.

    Vielleicht hast du ja Lust, dir auch mal unsere Geschichte anzusehen. https://wirschreibenzuhause.de/geschichten/exit
    Wir würden uns sehr über dein Feedback freuen.

    Liebe Grüße

    JoLo

    1. Hallo JoLo,

      vielen Dank für eure konstruktiven Hinweise und Kritikpunkte 🙂 Hab noch nie vorher eine Geschichte geschrieben, bin da halt totaler Anfänger….
      Freue mich wirklich sehr, dass ihr sie gelesen habt und sie euch ganz gut gefällt. Dankeschön! 🙂

      Werde sicher auch eure Geschichte lesen, bin gespannt!

      Liebe Grüße,
      Andreas

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