Franziska R.WIEDERSEHEN

 

Dein Körper ist einfach perfekt. Er ist makellos. Dein Haar fällt dir im Schlaf leicht ins Gesicht. Eines Tages werden wir zusammen sein und jeden Tag gemeinsam einschlafen können. Du hast jemanden verdient der zu allem bereit ist. Wir gehören einfach zusammen. Ich kann es kaum erwarten Nora.

 

Ich kann es gar nicht fassen was ich gerade im Fernseher gesehen habe. Vor lauter Schock bringe ich kein Wort raus. Kein Lachen und kein Jubelschrei. Die schlanke Moderatorin mit der übergroßen Nase ließt erneut die gezogenen Lottozahlen vor: 7, 19, 23, 27 und 31. Ungläubig sehe ich auf meinen Lotterieschein. Plötzlich ertönt wie aus dem Nichts ein lautes Schrillen. Kurze Töne im regelmäßigen Rhythmus. Ich schlage die Augen auf und merke, dass alles leider nur ein Traum war. Zu schön um wahr zu sein. Ich strecke mich und drehe mich auf die Seite, um den Wecker zum Schweigen zu bringen. 05:00 Uhr. Ich rappel mich auf und mach mich auf den Weg ins Badezimmer, um mich fertig zu machen. In der Küche steht noch das ganze schmutzige Geschirr von gestern. Wie jeden Sonntagabend waren meine Eltern zum Abendessen bei mir. Ich bin zwar schon Ende 20, doch ich freue mich jedes Mal auf´s neue, Zeit mit meinen Eltern zu verbringen. Außer meinen Eltern habe ich niemanden. Es ist bereits kurz vor halb 6. Ich trinke noch schnell eine Tasse Kaffee und mache mich auf in den Weg zur Arbeit. Einen Vorteil hat es auf jeden Fall so früh arbeiten zu müssen: Auf den Straßen ist nichts los. Keine älteren Leute die mich mit ihrem alten Opel dazu zwingen, mich an die Geschwindigkeitsbegrenzung zu halten. Und auch weit und breit kein LKW in Sicht, dem ich hinterher gurken muss.

Pünktlich zum Schichtbeginn bin ich auf Station. Noch ist alles ruhig und friedlich. Noch klingelt kein einziger Patient, weil er etwas belangloses braucht. Manchmal frage ich mich, wie es wäre, wenn ich einen anderen Beruf erlernt hätte und statt im Krankenhaus in einem Büro eines Architekten sitzen würde. Meine Kollegin Sarah holt mich aus meinen Gedanken. „Guten Morgen Nora! Scheinst so, als wäre der Abend mit deinen Eltern wieder einmal etwas länger geworden.“ Sie hat immer ein Lächeln auf den Lippen und dafür bewundere ich sie sehr. „Sehe ich so schlimm aus? Aber du hast recht, ich glaube sie sind erst um kurz vor 1 Uhr nach Hause gegangen.“ Meine Eltern wohnen nicht weit weg von mir, nur wenige Straßen weiter. Viele sind froh, sich von seinen Eltern los reißen zu können. Ich dagegen freue mich sehr, dass wir so ein inniges Verhältnis haben.

 

Nach einer anstrengenden Schicht mache ich mich müde auf den Heimweg. Im Radio läuft gerade Katy Perry. Ach wie ich sie liebe. Ihre Art, ihre Texte, ihre Musik.Jetzt ist schon mehr los auf den Straßen und ein dunkelblauer Audi fährt dicht hinter mir. Mein Bauch meldet sich. Ich nehme spontan die nächste Ausfahrt, um mir in der Stadt noch etwas zum Essen zu holen. Heute muss wohl mein Glückstag sein, ich erwische den allerletzten Parkplatz. Zufrieden hole ich mir ein Parkticket. Kurz überlege ich ob ich ein Lottoschein ausfüllen soll. Vielleicht hatte des Traum eine Bedeutung? Kopfschüttelnd verwerfe ich den Gedanken und mache mich auf den Weg in die Innenstadt.

Vollgepackt mit Essen komme ich wieder am Wagen an. Beim Einsteigen bemerke ich, dass ein kleiner, abgerissener Zettel unter meinem Scheibenwischer klemmt. Ich steige noch mal aus und nehme ihn in die Hand. Darauf steht nur eine Handynummer, sonst nichts. Ohne ein Wort dazu. Kurz bekomme ich eine Gänsehaut und sehe mich um. Weit und breit ist aber keiner zu sehen. Ich mache mir keine weiteren Gedanken, packe den Zettel ein und fahre gemütlich – und etwas angespannt – nach Hause.

Ich esse genüsslich meinen frisch gekauften Burger, setze mich danach zur Entspannung auf die Couch und schalte den Fernseher ein. Auf jeden Sender kommt nur Werbung. So ein Mist! Meine Gedanken kreisen immer wieder um den Zettel. Die Nummer darauf kommt mir überhaupt nicht bekannt vor. Soll ich die Nummer mal anrufen? Oder es lieber sein lassen? Gepackt von der Neugierde tippe ich die Nummer ein und wähle. Zu meinen Bedauern geht keiner dran und die Mailboxansage wird nur von einer automatischen Roboterstimme aufgesagt.

 

Ich tippe deinen vollen Namen in Googel ein. Nora Winter. Leider kommen nur Ergebnisse, mit denen ich nichts anfangen kann. Also probiere ich es mit Nora Winter Facebook. Ha! Ich habe dich. Das Glück steht auf meiner Seite. Dein Profil ist nicht auf privat eingestellt. Siehst du das Nora? Es kann sehr gefährlich sein, sein Privates mit der Öffentlichkeit zu teilen. Immerhin könnten auch perverse oder verrückte unterwegs sein und auf dein Profil stoßen. Aber du hast Glück. Ich bin nicht verrückt und schon gar nicht pervers! Ich scrolle durch deine Galerie. Wow, du hast echt eine menge Fotos drin und die meisten davon mit deinen Eltern. Wie niedlich! Ihr seht wirklich glücklich aus. Sie sind bestimmt mächtig stolz, dass ihre Tochter Krankenschwester ist. Du arbeitest im Universitätsklinikum in München. Nicht schlecht! Und was lese ich da? Beziehungsstatus: Single. Na das wird immer besser! Weißt du Nora, mit so vielen ungeschützten Daten können böse Menschen viel anstellen. Ist dir das überhaupt bewusst? Natürlich habe ich nichts böses im Schilde. Ganz im Gegenteil. Ich möchte dich nur wiedersehen.

Deine Kollegin Sarah klingt wirklich nett. Sie hat eine ganz angenehme Stimme. Viel angenehmer als die kratzige und rauchige Stimme der Frau, die bei der Information im Krankenhaus arbeitet. Mürrisch hat sie mich mit deiner Station verbunden. „Station 2, Schwester Sarah. Hallo?“. Welch zarte Stimme! Da unser Kennenlernen für dich eine angenehme Überraschung werden soll, habe ich mich als eine Bekanntschaft von dir ausgegeben. Ich habe Sarah gefragt, wann du das nächste Mal arbeiten musst. Sie meinte, dass du kommendes Wochenende frei hast und am Montag von 6 Uhr bis kurz nach 14 Uhr arbeitest. Ich bedanke mich herzlichst bei deiner Kollegin und lege auf. Die nächsten Tage werden sehr anstrengend. Denn es ist noch so einiges zu erledigen! Strahlend gehe ich zum einkaufen und besorge mir noch nützliche Sachen, die ich für den Trip nach München mitnehmen werde. Google Maps zeigt knapp über fünf Stunden Autofahrt ein. Aber du bist es mir wert! Ich habe mir überlegt, mich bereits am Sonntag auf dem Weg zu machen. Sonntag ist meistens weniger auf den Straßen los. Samstag Nachmittag packe ich meine Sachen in mein Auto und mache mich Sonntagvormittag mit meinen Audi von Köln aus Richtung München. Nach einer langen Autofahrt bin ich endlich angekommen. Ich habe im Voraus bereits ein Hotelzimmer gebucht. Glücklicherweise gab es ein schickes Hotel in der Nähe des Krankenhauses. Zufrieden über meine eigene bisherige Leistung gehe ich ins Bett. Ich schlafe schnell ein. In meinem Traum tauchst du auf. Viel schöner als auf den Bildern in Facebook und du bist überglücklich mich zu sehen. Nichts kann uns trennen, Nora. Bald schon werden wir uns endlich wiedersehen.

Um Punkt 9 Uhr klingelt der Wecker und ich stehe energiegeladen auf. Ich frühstücke ausgiebig im Frühstücksraum und mache mich danach auf dem Weg in die Stadt. Auf den Weg zu dir. Im Krankenhaus angekommen muss ich erst einmal Innehalten. Laute Geräusche und viele Gerüche umgeben mich. Die meisten Gerüche sind lästig. Je näher ich deiner Station komme, desto intensiver wird der Geruch nach Urin und anderen Sekreten. Hier arbeitest du also. Die Stunden vergehen wie im Flug. Zwischendrin gehe ich hin und wieder in die Cafeteria und warte geduldig, bis deine Schicht zu Ende geht. Ich folge dir unauffällig, denn ich möchte dich überraschen. Ich möchte dir keine Angst einjagen, ich möchte dich nur wiedersehen Nora. Also folge ich dir in die Stadt. Leider hast du den letzten Parkplatz erwischt. Ich stelle mein Auto kurz ins Halteverbot, um dir eine kleine Nachricht zu hinterlassen. Ich schreibe meine Nummer drauf. Du sollst mich anrufen, denn ich möchte dich wiedersehen, Nora. Noch am selben Tag hat mein Handy geklingelt. Du hast angerufen!

 

 

Die nächsten Tage vergehen schnell und unspektakulär. Ich schaue auf meinen Dienstplan der in der Küche hängt. Ich freue mich. Ich habe morgen frei! Im Radio kommen gerade die Nachrichten. Nach den Verkehrsmeldungen wird das Wetter der kommenden Tage angekündigt. Es werden bis zu 27 Grad und strahlender Sonnenschein erwartet. Perfekt! Nach der Arbeit werde ich heute noch in die Stadt fahren und mir einen neuen Bikini kaufen. Ich muss einfach das schöne Wetter genießen. Und wo geht das besser als auf der eigenen Terrasse? Die Stadt ist überfüllt mit Menschen die sich, wie ich, für den Sommer noch ausrüsten wollen. Ich liebe einfach den Sommer. Kurze Kleider, Sonnenbrillen und Eis! Nachdem ich einen neuen Bikini gefunden habe (blau mit weißer Spitze) fahre ich nach Hause und mache es mir auf der Terrasse gemütlich.

 

Ach Nora, ich freue mich sehr das du heute frei hast. Das hast du dir verdient! Mit jedem Tag der vergeht, kommen wir uns näher. In der Innenstadt Münchens ist einiges los und ich muss aufpassen, dich nicht aus den Augen zu verlieren. Du hast wirklich einen guten Modegeschmack! Ich hoffe wir können schon bald mal zusammen shoppen gehen. Dann kann ich dir jeden Wunsch erfüllen und dir alles kaufen was du möchtest. Du und ich und die unzähligen Geschäfte. Doch zuvor müssen wir uns wiedersehen und dazu habe ich mir was tolles überlegt! Du erhältst heute ein Geschenk von mir und ich hoffe du freust dich darauf! Ja, ich hoffe es wirklich!

 

 

Ich bin kurz auf der Liege eingenickt und werde vom Türklingeln aus dem Schlaf gerissen. Ich schaue auf die Uhr. Schon fast 19 Uhr. Komisch. Ich erwarte eigentlich niemanden. Durch den Türspion ist niemand zu sehen. Ich öffne die schwere Haustür und niemand ist da. Es liegt nur ein brauner DIN A4 großer Umschlag auf dem Boden. Ich nehme ihn mit ins Haus und öffne ihn neugierig. Ein in Watte gepacktes Handy. Irgendwie seltsam. Erst der Zettel mit der Nummer und dann das. Beim begutachten geht der Bildschirm an und ich sehe den Startbildschirm. Es ließ sich ohne PIN oder etwas ähnlichem entsperren. Ich spiele ein wenig herum und versuche herauszufinden, wem das Gerät gehört. Doch es gibt nichts zu finden. Weder Apps, noch Kontakte oder sonst irgendetwas. Außer Bilder. Viele Bilder. Bilder von mir.

 

 

Ich hoffe die Überraschung hat dir gefallen, Nora. Ich habe jedoch das Gefühl, dass du meine Geste nicht wertschätzt. Du hast sie dir nicht mal genau angesehen. Dabei hab ich mir für dich so viel Mühe gegeben! Aber keine Angst, es bleibt nicht die letzte. Die nächste wird dich sehr freuen. Ich bringe dir etwas zurück, was du schon lange vermisst. Weißt du Nora, ich mach gerne Überraschungen und Geschenke. Und wenn wir bald zusammen sind kannst du dir alles wünschen was du willst. Ich möchte, dass du glücklich bist, mit mir. Bald werden wir uns sehen und du würdest dir wünschen wir hätten schon früher zueinander gefunden.

 

 

Die Fotos wollen nicht mehr aus meinem Kopf verschwinden. Die Bilder zeigen mich in der Stadt, auf dem Weg ins Krankenhaus und sogar als ich zuhause im Bikini auf der Terrasse lag. Gleich nachdem ich mir die Bilder durchgesehen habe, bin ich auf die Terrasse gerannt, um nach dem perversen Spinner zu suchen. Leider vergebens. Ich zücke mein Handy und rufe meine Eltern an. „Hallo Mama? Ich bin´s. Darf ich zu euch kommen und heute bei euch schlafen? Es ist was sehr merkwürdiges passiert. Ich will deswegen heute nicht alleine sein. Ich erzähle euch alles, wenn ich gleich da bin.“ Selbstverständlich ist es für meine Eltern kein Problem, dass ich bei ihnen übernachten werde. Ich stopfe in meine Reisetasche die wichtigsten Utensilien und mach mich mit dem Auto auf den Weg zu meinen Eltern. Draußen ist es schon stockdunkel und die Straßen sind leer. Kurze Zeit später bin ich bei meinen Eltern angekommen, welche mich schon mit einer langen Umarmung empfangen. Meine Mama löst sich als erste. „Komm Spätzchen, ich mach dir einen Tee und dann erzählst du uns alles in Ruhe. In Ordnung?“ Mein Vater begleitet sie in die Küche. „Möchtest du eine Kleinigkeit essen? Es wäre noch Pizza übrig.“ Versorgt mit herrlich duftenden Apfeltee und einen großen Stück Pizza sitze ich mit meinen Eltern auf der Couch. Beide reagieren sehr geschockt, nachdem ich ihnen die Bilder gezeigt habe. Mein Vater brachte kein Wort heraus. Mama hingegen sprudelte voller Fragen. „Wer hat des gemacht, Spätzchen? Kannst du dir irgendjemanden vorstellen? Das muss so schrecklich für dich sein! Hast du sonst noch irgendwelche Hinweise?“ Leider kann ich keine der Fragen beantworten. Ich bekomme noch eine lange Gruppenumarmung, aus der ich mich als erste löse. „Nochmal danke, dass ich bei euch bleiben kann. Es tat gut mit euch darüber geredet zu haben. Ich geh jetzt rauf in mein Zimmer, ich muss morgen früh zur Arbeit und ich bin hundemüde. Gute Nacht!“ Ich lag noch sehr lange einfach nur im Bett. Ich wälzte mich von einer Seite zur anderen, ohne Erfolg. Nach langer Zeit bin ich in einen unruhigen Schlaf gefallen.

 

Das laute regelmäßige Piepen meines Weckers holt mich aus meiner Traumwelt zurück in die Realität. Es ist wirklich lange her, dass ich so schlecht geschlafen habe. Ein Albtraum folgte den nächsten und alle drehten sich um das Handy mit den Fotos. Auf dem Weg ins Krankenhaus kann ich mich endlich etwas entspannen und schiebe die lästigen Gedanken zur Seite. Meinen Kollegen werde ich nichts erzählen. Ich möchte sie nicht unnötig belasten mit etwas, das sich wahrscheinlich letztendlich als blöder Streich herausstellen wird. Die Schicht war sehr angenehm und verging glücklicherweise schnell. Nach der Übergabe kommt mir meine Lieblingskollegin Sarah mit einem riesigen Blumenstrauß entgegen, welchen sie mir mit einem breiten Grinsen übergibt. „Der wurde gerade an der Information für dich abgegeben. Wer ist der glückliche? Oh, schon so spät! Erzähl mir morgen davon. Ich muss jetzt leider schnell los. Ich hab´ noch einen wichtigen Termin. Man sieht sich!“ Zurück im Auto sehe ich mir die Blumen genauer an. Sie duften wirklich himmlisch! Im Strauß steckt eine Karte. Der Text darauf bereitet mir eine Gänsehaut und ein sehr ungutes Gefühl.

 

Hallo Nora! Ich hoffe doch sehr, dass dir die Blumen gefallen. Mein erstes Geschenk hat dich wohl nicht so begeistert. Ich möchte es hiermit wieder gut machen. Vor deiner Haustür wartet noch etwas auf dich und ich hoffe du wirst dich freuen.

 

Bis bald. H

 

H? Wer soll das sein? Woher kennt er meinen Namen und meine Adresse? Warum ich? Was will er von mir? Gedanken über Gedanken kreisen mir durch den Kopf. Von Angst gepackt fahre ich nach Hause. Tatsächlich. Vor der Tür liegt wieder ein unbeschrifteter Umschlag. Ich nehme ihn mit rein, lege ihn auf den Küchentisch und starre ihn an. Ich bin mir erst nicht sicher was ich machen soll. Ich entschließe mich ihn zu öffnen. Der Inhalt: Ein Slip. Ganz eindeutig meiner. Ich habe nämlich die Angewohnheit den Zettel hinten zu kürzen und auf das übrige Stück ein „N“ zu schreiben. Ich bin perplex vor Angst und mache mich sofort auf den Weg zu meinen Eltern.

 

 

Weißt du Nora, langsam weiß ich nicht mehr weiter. Ich mach dir so schöne Geschenke und was machst du? Fährst immer gleich zu deinen Eltern. Wie alt bist du eigentlich? 12? Ich hätte mit einer anderen Reaktion gerechnet. Naja wahrscheinlich hast du dich so sehr über deinen zurückgekehrten Slip gefreut, dass du es ihnen sofort erzählen musst. Eins möchte ich jedoch klarstellen: Wenn ich bei dir bin, werde ich deine Nummer 1 sein. Dafür werde ich sorgen.

 

 

Schon langsam weiß ich nicht mehr was ich machen soll. Ich habe wirklich Angst. Die ganzen Bilder auf dem Handy kann man ja als blöden Streich begründen. Aber das? Mein Slip? Das geht wirklich zu weit! Meine Eltern haben mir angeboten mit mir noch heute zur Polizei zu fahren. Ich habe lange darüber nachgedacht und mich dazu entschieden, ihr Angebot anzunehmen. Zuvor muss ich nur noch kurz nach Hause fahren und mich umziehen. Zuhause angekommen traue ich mich erst nicht aus dem Wagen zu steigen. Angst überkommt mich. Anders als erwartet liegt jedoch diesmal kein Umschlag vor der Haustüre. Auf dem Weg ins Schlafzimmer bleibe ich kurz vor dem Spiegel im Flur stehen. Ich sehe wirklich schrecklich aus. Als hätte ich zwei Wochen lang nicht mehr geschlafen. Ich öffne die Tür zum Schlafzimmer und bleibe mit angehaltenem Atem stehen. Irgendetwas stimmt nicht, das spüre ich. Nach kurzem Suchen fällt mein Blick auf mein Kissen. Dort liegt etwas das sicher nicht von mir ist. Vorsichtig gehe ich drauf zu und nehme das kleine Spielzeug in die Hand. Die Spieluhr mit den verschiedenen Tiermotiven kommt mir bekannt vor.

 

 

Dein Haus ist wirklich schön. Wie sehr freue ich mich auf den Tag, an dem es unser Haus sein wird. Unser Eigenheim. Der Garten mit der kleinen, aber gemütlichen Terrasse ist gepflegt. Ach Nora, was sehe ich denn da? Wieso machst du deine Terrassentür nicht richtig zu? Das ist wirklich gefährlich. Für so eine wunderschöne junge Frau wie dich! Durch die Tür durch stehe ich mitten im Wohnzimmer. Du hast nicht nur guten Geschmack was deine Kleidung betrifft, Nora. Jedes Möbelstück passt perfekt in die Wohnung. Es ist wirklich alles abgestimmt. Kurzerhand finde ich dein Schlafzimmer. Als würde ich bereits hier wohnen! Auch hier ist alles ordentlich und schön eingerichtet. Sogar die Kleidung in deinen Schrank ist nach Farben sortiert! Weißt du Nora, du übertriffst dich wieder mal selbst. Aus meiner Hosentasche hole ich die Spieluhr und lege sie auf dein Kissen. Damals war es der erste Gegenstand den du angefasst hast. Deine Augen haben geleuchtet. Du hast mich gefragt woher ich es habe. Kurzum habe ich dir von meiner Mutter erzählt. Sie ist verstorben als ich gerade einmal 2 Jahre alt war. Jeden Abend kam sie zu mir ans Bett und hat mir die Spieluhr angemacht. Als sie starb habe ich beschlossen sie meinem ersten Kind zu schenken.

Wir hatten einen wirklich wunderschönen Abend. Mit dir in meinen Armen bin ich eingeschlafen. Als ich am Morgen darauf vom Brötchen holen wieder zurück kam warst du fort. Du hattest mir nicht einmal ein Zettel hinterlassen. Alle deine Sachen waren weg. Nur eines nicht. Dein Höschen. Welches ich dir wenige Stunden zuvor von dir gezerrt habe. Lange hat es nach dir geduftet.

 

Mir ist kotzübel. Tränen fließen ungehindert meinen Wangen hinunter. Ich setze mich auf den Boden und fange an zu weinen. Lange habe ich versucht den Abend zu vergessen.

Ich war vergangenes Jahr zusammen mit Freunden und meinem Freund in Köln, um dort ausgelassen ein schönes Wochenende zu verbringen. Der erste Tag war so, wie wir uns ihn vorgestellt haben. Wir erkundeten die Stadt, gingen am Abend lecker Essen und danach noch in eine gemütliche Bar. Am Samstag besuchten wir am späten Abend die gleiche Bar vom Vortag. Meine Freundinnen und ich gingen nur mal kurz an die frische Luft und unterhielten uns dort ein wenig. Als ein kalter Wind aufzog gingen wir zurück und ich konnte meinen Augen nicht trauen. Mein Freund hing an irgendeiner anderen und beide knutschten wild herum. Nach einer dramatischen Abfuhr machten sich meine Mädels mit mir auf den Weg in das nächstgelegene Lokal. Dort bin ich ihm begegnet.

 

 

Als du an jenem Abend in die Bar gekommen bist, bist du mir sofort ins Auge gestochen. Deine langen braunen Haare, deine tiefen blauen Augen. Du warst perfekt. Ich konnte nicht anders. Ich musste dich ansprechen. Als ich auf dich zu ging, bemerkte ich, dass etwas mit dir nicht stimmte. Deine Wimperntusche war verschmiert und dein Lächeln war nicht echt. Nach kurzem Smalltalk hast du mir von deinem Freund, dem Arsch, erzählt. Du hast dich mir anvertraut. Du hast dir die Seele aus dem Leib geredet. Das hattest du nötig. Während du alles erzählt hast, schossen mir Gedanken durch den Kopf. Was wirst du wohl für ein Höschen tragen? Wird der BH dazu passen? Was werde ich später noch mit dir anstellen? Wir verbrachten noch einen schönen Abend miteinander. Wir haben uns wirklich von Anfang an gut verstanden, als würden wir füreinander bestimmt sein. Als hätte das Schicksal das Mädel zu deinem Freund gebracht. Als du gehen wolltest habe ich dir angeboten noch mit zu mir zu kommen. Kurz hast du überlegt. Als Antwort hast du meine Hand genommen. Deine kleine zarte Hand schmiegte sich perfekt in meine.

In der Wohnung angekommen bot ich dir einen Cocktail an. Eine Spezialmischung nur für dich. Deine Blicke sprachen eine klare Sprache. Du wolltest mich. Ich wollte dich. Ich konnte nicht widerstehen. Die Stimmung zwischen uns war einfach perfekt. Im Schlafzimmer angekommen bin ich nur noch kurz ins Bad verschwunden. Als ich wieder kam warst du bereits eingeschlafen. Beim Anblick deines vollkommenen Körpers wurde es mir ganz heiß, mein Herz schlug schneller. Ich musste dich berühren, Nora. Ich konnte nicht anders. Ich legte mich zu dir, ganz nah und streichelte über deinen Körper. Du schliefst tief und fast, dein Atem ging gleichmäßig. Sanft zog ich dir deine Hose aus. Deinen halbnackten Körper zu sehen ließ meinen Atem schneller werden. Sogar im Schlaf machtest du mich verrückt Nora. Nachdem ich intensiv in dir gekommen bin, fiel ich in einen angenehmen Schlaf. Ich hoffte von dir zu träumen. Von uns.

 

 

Am nächsten Morgen bin ich aufgewacht. Fast nackt. Das einzige was ich noch anhatte war mein T-shirt. Ich wusste nicht wo ich war oder wo meine Freunde waren. Zudem hatte ich höllische Kopfschmerzen und mich überkam starker Schwindel. Als ich versuchte mich an die letzte Nacht zu erinnern war alles schwarz. Ich wusste nur noch, dass ich mit einem wildfremden mit nach Hause gegangen bin und er mir noch einen Drink gemixt hat. Als mir klar wurde, was er mir angetan haben musste, packte ich schnell meine Sachen und rannte panisch auf die Straße. Glücklicherweise hatte mein Handy noch Akku und ich konnte meine Freundinnen erreichen. Als wir uns am Café um die Ecke trafen erzählte ich ihnen nichts von der ganzen Sache. Ich ließ sie im Glauben, ich hätte mir ein Hotelzimmer genommen. Ich wollte nie wieder darüber reden und mich nie wieder daran erinnern. Doch ich sollte schon bald wieder daran erinnert werden. Es vergingen fünf Wochen und ich hatte Frühdienst im Krankenhaus. Alles schien wie immer. Kurz vor der Übergabe an den Spätdienst bekam ich heftige Krämpfe im Unterleib. Es tropfte etwas Blut auf den Boden im Stationszimmer und eine Kollegin holte schnell den diensthabenden Arzt. Nach verschiedenen Untersuchungen bekam ich die schockierende Nachricht: Ich war schwanger, ich verlor das Baby.

 

 

Das kann doch nicht wahr sein. Das ist sicherlich alles nur ein mieser Traum, oder? Was will er von mir? Hat er mir nicht schon genug angetan? Fragen über Fragen schossen mir durch den Kopf. Meine Gedanken wurden durch ein klingeln an der Tür unterbrochen. Ich gehe nach unten, greife nach dem Türgriff und öffne ahnungslos die Haustür. Sein Lächeln und seine Art mich anzusehen lassen mich verstummen. Ihn zu sehen bringt mir sämtliche verdrängten Erinnerungen wieder. Wie benebelt trete ich ein paar Schritte zurück. Er kommt rein und schließt hinter sich die Tür. Er durchbricht die Stille. „Hallo Nora! Ich bin´s Hannes. Erinnerst du dich an mich?“ Ich höre, wie ein Krächzen aus meinen Mund kommt. „Was willst du hier? Was willst du von mir? Woher zum Teufel weißt du überhaupt wo ich wohne?“ „Dich im Internet zu finden war nicht wirklich schwer, verstehst du? Und du erinnerst dich sicher noch an den Zettel mit der Handynummer? Im Internet gibt es wirklich jede mögliche Plattform, sogar um ein Handy mittels Nummer zu orten.“ Es ergibt alles einen Sinn. Alles fügt sich zusammen. „Aber wozu der ganze Aufwand?“ „Ich konnte dich einfach nicht vergessen, Nora. Wie ein kleiner Virus hast du dich in meinem Kopf festgesetzt. Bist du nicht froh mich wiederzusehen?“ Langsam gehe ich Richtung Küche. Ich brauche etwas greifbares, um mich im Notfall wehren zu können. „Raus! Verschwinde, oder ich rufe die Polizei!“ „Nora bitte, was ist nur los mit dir? Behandelt man etwa so einen Gast? Jemanden, der für dich eine lange Reise auf sich genommen hat, um dich wiederzusehen? Wir können jetzt zusammen sein, nur wir beide!“ Meine Hand sucht blind nach einen waffentauglichen Gegenstand. Ich habe ein Messer gefunden, hoffe ich zumindest. „Komme mir kein Schritt näher! Meine Eltern werden jeden Augenblick kommen, um mich abzuholen. Sie werden schnell stutzig und verunsichert, wenn ich ihnen nicht aufmache.“ „Um deine Eltern brauchst du dir keine Gedanken zu machen, Nora. Sie wären nur zwischen uns gestanden und hätten nie unsere Beziehung akzeptiert. Das einzige was du brauchst bin ich.“ Erst jetzt fällt mir auf, dass seine Arme teils blutverschmiert sind. Tränen schießen mir in die Augen.

Hinter meinen Rücken umfasse ich noch fester den Gegenstand in meiner Hand. Bitte Gott, lass es ein Messer sein. Ich flehe dich an! „Du bist ein Monster! Wir werden niemals zusammen sein! Hörst du? Nie!“ Hannes kommt näher auf mich zu. „Aber wir gehören zusammen, Nora. Du und ich! Ich weiß das du etwas für mich empfindest. Ich spüre es!“ Schweißperlen treten auf meine Stirn, mein Atem geht flach und schnell, mein Herz pocht. Als er noch einen Schritt auf mich zu geht schließe ich meine Augen, ziehe meine Hand mit den Gegenstand hinter meinen Rücken hervor. Tatsächlich ein Messer! Ohne darüber nachzudenken richte ich es auf ihn und verletze ihm am rechten Unterbauch. Schmerzgeplagt geht er einen Schritt zurück, um sich am Esstisch festzuhalten. Ich sehe es als meine Chance und renne – ohne ich umzudrehen – in Richtung Haustür. Etwas Erleichterung macht sich in mir breit, als ich den Türknauf schon fast berühren konnte. Kurz vor dem Ziel reißt mich Hannes zurück und wirft mich auf den Boden. Am Boden liegend sehe ich eine große Scherbe einer zerbrochenen Vase. Noch ehe ich sie zu fassen kriege spüre ich einen starken dumpfen Schlag am Hinterkopf. Mein Blick ist verschwommen und ein stechender Schmerz überkommt mich. Leise und weit weg höre ich Hannes nur noch sagen: „Du solltest mir gehören Nora. Nur mir.“

 

 

Blut. Überall ist Blut. Ein kleiner Teil ist von mir, doch das meiste ist deines. Ich lege mich neben dich. Deine Augen sind starr und leer. Deine Haare fallen dir leicht ins Gesicht. Ich konnte es kaum erwarten dich wiederzusehen. Doch jetzt liegst du hier. Dein Körper ist immer noch perfekt. Deine Haut jedoch ist fahl. Du bist tot, Nora.

 

 

 

 

9 thoughts on “WIEDERSEHEN

  1. Weiß gar nicht was ich schreiben soll…bin irgendwie platt! Am Anfang wirkte deine Geschichte auf mich, einschläfernd, fast langweilig. Aber umso mehr ich las, hatte ich das Gefühl das es so gewollt sein muss. Das es die Geschichte ist die von der „ Lethargie „ lebt. Krass!

    LG Frank aka leonjoestick ( Der Ponyjäger)

  2. Hey liebe Kollegin!

    Der Opa im Opel, damit hattest Du mich! Vielleicht verstehen solche Anspielungen nur Menschen, die mit anderen Menschen arbeiten – Sanis, Pfleger etc. – insbesondere die Momente, in denen man anfängt Rentner aka Kunden nicht immer zu mögen, aber egal…

    Mir hat Deine Geschichte gut gefallen. Ich persönlich hätte die beiden Protagonisten nicht direkt parallel erzählen lassen, sondern erst später mit “H” angefangen, aber der Plot ist gut und die Geschichte nimmt mit der Zeit Fahrt auf.

    War (glaube ich) auch die erste Geschichte einer Krankenschwester hier…

    LG C.
    .
    .
    :o)
    .
    Chris aus der Notaufnahme
    Meine Geschichte: Identität-6

    1. Hallo Franziska

      Deine Geschichte hat mich gefesselt.
      Mir sehr gut gefallen.

      Ich fand die zwei Ich-Perspektiven spannend.
      Auf diese Weise war man immer ganz nah dran an den Protagonisten.
      Konnte in ihre Seele sehen.
      Ihre Gedanken lesen.

      Du hast die Parameter gut umgesetzt.
      Die Handlung war spannend und durchdacht.

      Man merkt und spürt deutlich, wie viel dir die Geschichte bedeutet.

      Ich würde dir raten, deine Geschichten in Zukunft immer noch einmal gegenlesen zu lassen. Es haben sich da und dort ein paar Rechtschreibfehler und Zeichensetzungsfehler eingeschlichen, was aber total normal ist.
      Ein Fremdleser würde sie direkt sehen und beseitigen.

      Fazit:
      Schöne, harte, intensiv geschriebene Geschichte. Ich habe mich gut unterhalten gefühlt.

      Ach ja.
      Und das Ende war natürlich diabolisch.

      Schreib weiter und weiter.
      Und du wirst von Tag zu Tag noch besser.
      Diese Story war schon einmal krass.
      Kompliment.

      Ganz liebe Grüße., Swen Artmann (Artsneurosia)
      Vielleicht hast du ja Lust und Zeit, meine Geschichte auch zu lesen.
      Fände ich super.
      Vor allem über einen Kommentar würde ich mich sehr freuen.
      Meine Geschichte heißt:

      “Die silberne Katze”

      Vielen Dank für deine spannende Geschichte.

  3. Liebe Franziska,
    wie schon einer meiner Vorgänger geschrieben hat, war ich am Anfang noch nicht so überzeugt, ob mir die Geschichte gefallen würde. Ich bin froh, dass ich trotzdem weiter gelesen habe, denn deine Geschichte hat es ja am Ende ganz schön in sich. Die Wendung, als du von “der Nacht” erzählt hast und dann auch noch das brutale Ende waren ganz nach meinem Geschmack (okay, das klingt etwas seltsam, aber du weißt, was ich meine :))
    Außerdem mochte ich den Perspektivwechsel und dass eine Situation aus beiden Sichten der Protagonisten erzählt wurde. Die ganze Geschichte hat mich irgendwie an die Serie “YOU” auf Netflix erinnert, falls dir das etwas sagt.
    Nur eines hat mich etwas stutzig werden lassen: am Anfang schreibst du, dass Nora niemanden außer ihre Eltern hat, später schreibst du aber von ihren Freunden, mit denen sie in Köln war. Was ist aus den Freunden geworden?
    Wenn du willst, kannst du auch gerne mal bei mir vorbei schauen,
    liebe Grüße, Annika (Null Negativ)

  4. Liebe Franziska, Deinen Plot und auch die parallele Erzählweise finde ich gut – würde sie aber noch deutlicher machen. Dass es zwei sind, erschließt sich dem Leser nämlich erst so nach und nach. Dann mache ich mir (wie Annika) auch Sorgen um die Freunde und habe mich gefragt, wieso die Eltern nicht ein einziges Mal zu ihr nach Hause gekommen sind bzw. wieso man sich umziehen muss, um Anzeige zu erstatten? Aber sonst hat mir Deine Geschichte gefallen. Beherzige noch Swens Tipp mit dem Gegenleser – wegen der Flüchtigkeitsfehler. Du weißt schon: “Satzzeichen können Leben retten: Wir grillen jetzt Mama!” 😉

    Liebe und kollegiale Grüße!
    Kathrin aka scripturine / Die Nacht, in der das Fürchten wohnt

  5. Liebe Franziska,

    ganz ehrlich? Zu Beginn dachte ich nicht, dass sich die Geschichte noch so toll entwickeln und so spannend wird. Das hat mir gefallen. Auch die Perspektivwechsel waren interessant.

    Ein paar kleine Hinweise möchte ich dir dennoch geben, die mir während des Lesens aufgefallen sind: Es haben sich ein paar Schreibfehler eingeschlichen und gelegentlich hast du die Zeiten (Gegenwart/Vergangenheit) gemischt.
    Und bei Hannes waren es ja eher Einblicke in seine Gedanken, als eine Erzählperspektive. Manchmal fragte ich mich da schon “denkt man das so?”. Das war aber nur bei ein paar wenigen Sätzen der Fall.

    So, aber alles in allem finde ich, du hast das toll umgesetzt und eine spannende Geschichte geschrieben. Ich wünsche dir weiterhin viel Spaß beim Schreiben!

    LG Yvonne / voll.kreativ (Der goldene Pokal)

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