KassandraBeste Freundinnen

 

Nur noch wenige Meter, dann ist es soweit. Valerie atmet tief ein und aus. Ihre Knie zittern, ihr ist übel und das schwülwarme Wetter trägt auch nicht sonderlich zu ihrem Wohlbefinden bei. „Du schaffst das, jetzt bloß nicht umkippen“ redet sie sich immer wieder ein. Nur noch wenige Meter, dann steht sie vor dem Grab ihrer besten Freundin Becca. Becca, ihre beste Freundin, die nach den Ereignissen von vor fast genau zehn Jahren, wenn überhaupt, noch eine gute Bekannte war. Niemals hätte Valerie gedacht, dass ein so trauriger Anlass Grund für die Rückkehr in ihre einstige Heimat sein würde. Ihre Heimat, die sie nur wenige Tage nach ihrem achtzehnten Geburtstag schlagartig verlassen hatte. Nur wenige Meter dann.. „Entschuldigung, benötigen Sie ein Taschentuch?“ Sie zuckt zusammen, als die Frage der jungen blonden Frau direkt hinter ihr, sie aus ihren Gedanken reißt. Erst jetzt bemerkt Valerie die Tränen, die in Bächen ihre Wangen entlanglaufen. Sie presst ein verwaschenes Danke hervor und greift nach dem Taschentuch, welches die Frau ihr bereits entgegenstreckt, ohne diese weiter zu beachten. Lediglich der unangenehm süßliche Geruch eines billigen Damenparfüms, der Valeries Übelkeit noch weiter anschwellen lies, wollte einfach nicht mehr aus ihrer Nase verschwinden. Wieder atmete sie tief ein und aus und dann war es soweit..

 

Erleichterung flammte in ihr auf, als Valerie die Friedhofsmauern hinter sich lies und auf die Straße zusteuerte um sich ein Taxi in ihr Hotel zu bestellen. Sie ist gerade dabei eine Nachricht an ihren Freund zu tippen als sie plötzlich ein Piepsen in unmittelbarer Nähe hört, was den Eingang einer SMS andeutet. Komisch, ich hab doch gar keine SMS empfangen. Gerade als sie weiter schreiben möchte ertönt der Klingelton erneut und mit Erstaunen stellt Valerie fest dass es aus ihrer Tasche kommt. Verwirrt beginnt sie in dieser zu wühlen und tatsächlich findet sie ein Handy. Wie kommt das denn da rein? Im Gegensatz zu ihrem eigenen ist dieses deutlich älter und nicht mehr allzu gut in Schuss. Ohne groß darüber nachzudenken versucht sie es zu entsperren und tatsächlich verschwindet der Sperrbildschirm. Na da legt aber jemand großen Wert auf Sicherheit, denkt sich Valerie spöttisch. Ein seltsames Gefühl macht sich in ihr breit. Sollte sie das Teil nicht vielleicht lieber zur Polizei oder in ein Fundbüro bringen? Besser nicht, die halten mich doch für vollends bekloppt wenn ich erkläre wie ich das Handy „gefunden“ habe. Kurzerhand entschließt sie sich das Telefonbuch zu öffnen, vielleicht findet sich dort ein Kontakt den sie über den Fund des Handys informieren kann. Aber Fehlanzeige, die Kontaktliste ist komplett leer. Sie fühlt sich nicht gut dabei, dennoch beschließt Valerie die eingegangenen SMSn zu lesen um das blöde Ding hoffentlich schnell wieder seinen Eigentümer übergeben zu können. „Alle guten Dinge sind drei“ lautet der Text, den eine unbekannte Nummer gesendet hat. Die zweite Nachricht ist nur Werbung. Sehr aufschlussreich. Als von Grund aus neugierigem Menschen entschließt Valerie sich das Handy weiter zu durchforsten und öffnet die Galerie. Sie fühlt sich als würde die Zeit stehen bleiben, als sie das einzige Foto das sich dort befindet aufruft. Es zeigt drei junge Frauen die freudestrahlend in die Kamera lächeln. Zwei der davon werden wohl nie wieder so lächeln wie auf dem Foto. Die Dritte starrt gerade fassungslos in das Display eines fremden Handys.

     Mit ihrer zehn Jahre jüngeren Version hat Valerie nicht mehr viel gemeinsam. Die platinblond gefärbten Haare hat sie gegen ein natürliches hellbraun eingetauscht und auch von der Solariumbräune ist nichts mehr übrig. Auch charakterlich hatte sich einiges getan. Das unsichere Mädchen, das nach außen hin immer auf cool machte und verzweifelt um die Aufmerksamkeit ihrer besten Freundin Becca buhlte war zu einer starken, selbstbestimmten jungen Frau geworden, die sich von nichts und niemandem unterkriegen lies. Dachte sie zumindest, bis sie heute urplötzlich von ihrer Vergangenheit eingeholt wurde. Das Foto das sie gerade auf dem unbekannten Handy entdeckt hatte entstand nur wenige Stunden bevor der Abend ihres achtzehnten Geburtstags von vor knapp zehn Jahren einen unheilvollen Verlauf nehmen sollte. Ein Abend der werden sollte wie so viele andere, feiern mit der besten Freundin. Doch schon der Beginn war anders als gedacht. Valerie starrte noch immer auf das Bild. Wie schön Becca gewesen war. Ihre beste Freundin. Äußerlich bestach sie mit ihren tiefbraunen, fast schwarzen Augen, der makellosen Haut und den langen dunklen Haaren, innerlich mit einem riesigen Herzen und einem Humor, dem keiner Stand halten konnte. Hätte sie nur nicht Nathalie, die dritte auf dem Foto, in ihr Leben gelassen. Valerie konnte sie von Anfang an nicht ausstehen. Sie war eiskalt, wie der Blick aus ihren blauen Augen. Der Beweis, dass zu viel Selbstbewusstsein nicht unbedingt von Vorteil sein musste. Zugegeben, hin und wieder hatte Valerie sie für ihre Stärke und die Wirkung die sie auf andere hatte. Das Schlimmste aber war: Sie wollte sich zwischen Valerie und Becca drängen. Allein beim Gedanken an Nathalie spürte sie wieder diese unbändige Wut, die sie das letzte Mal gespürt hatte als Becca an besagtem Abend hingegen Valeries Erwartungen nicht allein, sondern mit Nathalie im Schlepptau anstolziert kam.             Jetzt bloß nicht durchdrehen war Valeries einziger Gedanke. Doch ihr Gedankengang wurde jäh unterbrochen, als das Handy erneut den Eingang einer SMS ankündigte. Valeries Herz blieb fast stehen, Schweiß rann ihr den Nacken runter. Sie war kurz davor in Panik zu verfallen. „Selber Ort, selbe Uhrzeit. xoxo.“ lautete die Nachricht. Keine Sekunde musste sie darüber nachdenken welcher Ort und welche Zeit gemeint waren. 18:30 Uhr, am See. Oder wie Becca in der Zeit vor Nathalie fast täglich geschrieben hatte: „Selber Ort, selbe Uhrzeit. xoxo.“.  Nirgends hatten sie so viel Zeit verbracht wie an dem kleinen See, etwas außerhalb der Stadt aber dennoch gut ohne Auto zu erreichen. Besonders am Abend hielten sich dort kaum Menschen auf. Quasi der perfekte Ort für Jugendliche. Und der Ort an dem das Foto entstanden war, welches Valerie erst vor wenigen Minuten auf dem seltsamen Handy gefunden hatte und das sie vermuten ließ, dass da jemand mehr wusste als ihr lieb war. Aber wer? Mittlerweile war ihr klar, dass der Fund des Handys mit samt seinen Inhalten kein Zufall gewesen sein konnte. Trotzdem schwirrten ihr alle möglichen Fragen im Kopf. Warum ausgerechnet jetzt und nicht schon viel früher? Was bezweckt derjenige damit? Soll ich nur eingeschüchtert werden oder schwebe ich ernsthaft in Gefahr? Und was meint die Person mit „Alle guten Dinge sind drei“? Nur eine Sache war sicher. Wollte Valerie Antworten musste sie zum Treffpunkt kommen.

 

Sie schaute auf ihr Handy. 18:04 Uhr. Noch einmal um die Kurve und dann waren sie schon an der Adresse die sie dem Taxifahrer genannt hatte. Valerie würde zu früh dort sein, aber das war egal. Sie brauchte die Zeit um sich mental auf das ihr Bevorstehende vorzubereiten. Vorsichtshalber hatte sie ihrem Freund eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen hatte, allerdings ohne zu sagen wieso genau sie den Ort, an den sie nie wieder zurückkehren wollte, nun doch aufsuchte.             „Das macht dann zwölf fufzich“ brummte der bärtige Taxifahrer. Schnell drückte Valerie ihm das Geld in die Hand und verließ hastig das Auto. Ein lauwarmer Windzug wirbelte ihre Haare auf. Die Luft roch als würde es bald anfangen zu regnen und auch der graue Himmel mit den dicken, dunklen Wolken sprach Bände. Mit hämmerndem Herz machte Valerie sich auf den Weg zum See, den man in der Ferne schon erahnen konnte. Nur zu gut konnte sie sich an das letzte Mal das sie diesen Weg gegangen war erinnern. Gemeinsam mit Becca und, zu ihrem Leidwesen, auch Nathalie. Eigentlich hatte Valerie keine Lust gehabt ausgerechnet ihren achtzehnten Geburtstag mit dieser Person zu verbringen aber Becca zu Liebe machte sie gute Miene zum bösen Spiel. Erstaunlicherweise war es weniger schlimm als gedacht. Sie tranken Wein, lachten viel und Valerie spielte kurz mit dem Gedanken sich vielleicht doch in Nathalie geirrt zu haben. Doch dann kam die Wendung.

Ihre Gefühle spielten verrückt. Die Angst vor dem was sie erwartete brachte Valerie schier zum Platzen. Gleichzeitig war da aber auch Neugier. Sie brauchte und wollte Antworten, einfach abhauen kam diesmal nicht in  Frage.                    Da stand sie nun. Weit und breit kein anderer Mensch zu sehen. Sie setzte sich auf eine in die Jahre gekommene Holzbank und schaute noch einmal auf ihr Handy. 18:24 Uhr. Noch sechs Minuten bis sie der Person gegenüber stand die es innerhalb weniger Stunden geschafft hat sie völlig aus der Bahn zu werfen. Was mache ich hier eigentlich? Ich muss völlig übergeschnappt sein. Was ändert es wenn ich Antworten kriege? Das macht Becca und Nathalie auch nicht mehr lebendig. Ihre Gedanken überschlugen sich und plötzlich viel es ihr wie Schuppen von den Augen. Oh mein Gott, wie konnte ich das nicht verstehen. Becca und Nathalie sind tot. Alle guten Dinge sind drei. Das Bild. Ich bin die Dritte. Ich muss weg hier, und zwar sofort. Doch noch ehe Valerie los rennen konnte traf sie ein Schlag auf den Kopf und sie ging bewusstlos zu Boden.

„Wach endlich auf Miststück!“ Valeries Kopf dröhnte und es gelang ihr nur schwer die Augen zu öffnen. Wo bin ich? Sie musste einige Male blinzeln. Was war mit ihr geschehen? Als die Umrisse des vor ihr liegenden Sees klarer wurden kam schlagartig auch die Erinnerung zurück. Becca und Nathalie. Alle guten Dinge sind drei. Der Schlag. Sie wurde panisch, versuchte aufzustehen, aber vergeblich. Je heftiger sie sich bewegte, desto mehr schnitt der Kabelbinder, mit dem sie an Händen und Füßen gefesselt war, in ihr Fleisch. Panisch sah sie sich nach der Person um die gerade gesprochen hatte. Sie selbst saß auf einer freien Fläche unweit vom Seeufer entfernt, konnte weit und breit aber niemanden ausmachen. Allerdings gab es auch mehr als genug Möglichkeiten sich zu verstecken. „Doof so hilflos zu sein was?“ fragte die ihr merkwürdig bekannt vorkommende Frauenstimme gehässig. „Wer sind Sie?“ krächzte Valerie. Die Frau lachte laut auf. „Ach komm schon Val, kannst du dich nicht mehr an deine gute, alte Freundin erinnern?“      Val? Keiner nannte sie mehr so. Nur Becca und Nathalie hatten sie so genannt und die waren beide tot. Woher weiß diese Frau von dem Spitznamen? „Was wollen Sie von mir?“                   „An welchem Zeitpunkt sind wir denn wieder beim Sie angekommen? Als du auf mich losgegangen bist wie eine Furie weil du es nicht ertragen konntest dass Becca neben dir noch mich hatte? Oder etwa als du sie überredet hast mich liegen zu lassen wie ein wertloses Stück Scheiße, nur um deinen Arsch zu retten? Nachdem DU mich fast umgebracht hast?“                          Im Sekundentakt rasten die Bilder durch Valeries Kopf. Sie fühlte sich wie in die Vergangenheit zurückgesetzt, als würde sie noch einmal den Abend ihres achtzehnten Geburtstags erleben. Möglicherweise hatte es am Alkohol gelegen, denn sie wusste nicht mehr genau weswegen, aber es war zum Streit zwischen ihr und Nathalie gekommen. Einem wirklich schlimmen Streit. Sie schrien, es flogen wilde Beleidigungen. Becca versuchte zu schlichten, vergebens. Valeries Wut war in Worten nicht zu beschreiben gewesen. Ihr rationales Denken hatte in dem Moment ausgesetzt, als der glatte, kühle Hals einer Weinflasche in ihren Händen lag.                          „Woher wissen Sie das? Sie sind nicht Nathalie, Nathalie ist tot. Ich habe es selbst gesehen! Wer zum Teufel sind Sie?“ Valeries Stimme überschlug sich fast vor Angst und Panik. Ein starker Windstoß ließ sie frösteln. Und da war er wieder. Dieser Geruch. Unangenehm süß, so süß als könne er ihre Nasenlöcher verkleben. Der Duft eines billigen Damenparfüms. Hatte Sie den heute nicht schon mal gerochen? Sie konnte die Frau zwar noch immer konnte nicht sehen aber trotzdem war sie sich sicher. „Sie sind die Frau von der Beerdigung, hab ich recht? Sie haben mir ein Taschentuch angeboten. Und dabei das Handy in meine Tasche gesteckt.“                          „Schlaue Val. Hatte mich schon gewundert dass dus nicht gemerkt hast, scheinst ja ganz schön durch den Wind gewesen zu sein, was? War aber auch traurig die Beerdigung von Becca. Hätte sie nur eine gute Freundin gehabt die letzten Jahre. Hatte eigentlich vermutet dass du sie mit eurem Geheimnis an dich fesselst, warst du doch fast schon süchtig nach ihr. Aber für Valerie gibt’s halt scheinbar nur eine Person die interessant ist und zwar sie selbst.“                                   “Das ist nicht wahr!“ Bei den letzten Worten der ihr unbekannten Frau wurde der Kloß in Valeries Hals größer. Plötzlich fühlte sie sich wieder wie der Teenager von damals. Sie spürte die Tränen aufsteigen. „Die letzten Jahre waren hart, ich hatte selbst genug mit mir zu kämpfen. Ich musste weg. Ich konnte nicht hier bleiben, das hätte mich zerstört. Hätte ich gewusst wie schlecht es Becca wirklich geht.. ich wäre immer für sie da gewesen.. ich war immer für sie da und..“   “Halt’s Maul!! Völlig gleichgültig war sie dir! Und das obwohl du allein schuld an dem ganzen warst! Du allein bist schuld an zwei zerstörten Leben!“  Schmerzlich musste Valerie sich eingestehen dass die Frau recht hatte. Sie hatte sehr wohl gemerkt wie sich Beccas Zustand veränderte. Wie die Schuld sie zerfraß. Mehrmals hatte Becca darum gebeten endlich jemandem die Wahrheit über den Abend zu erzählen. Jedes Mal hatte Valerie sie davon abgehalten. Ihr Suizid zeigte mehr als deutlich dass sie dieser Last nicht mehr hatte standhalten können. Die Frau brauchte einen Moment um sich wieder zu fangen. Valerie nutzte den Moment.                            „Sagen Sie mir doch einfach was sie von mir wollen?“, flehte sie regelrecht.                                           „Rache, Val. Das will ich.“                                    Valerie verstand die Welt nicht mehr. „Aber wieso? Was haben Sie denn mit der ganzen Sache von damals zu tun?“               „Scheinbar bist du ja wirklich zu blöd es zu verstehen. Hast du dich denn nie gefragt weshalb keine Leiche gefunden wurde?“ Valerie hatte keine Chance darüber nachzudenken. Im Augenwinkel nahm sie wahr, wie jemand aus dem Schatten eines großen Baumes getreten kam und langsam in Bewegung setzte. Genau in ihre Richtung. Sie presste ihre Augen zusammen. Auch wenn sie mittlerweile ahnen konnte sehr wer ihr gerade die Hölle auf Erden bereitete, so groß war auch die Angst vor dem was sie sehen sollte.                                             „Augen auf Val!“ befahl ihr die Frau, deren Stimme nun deutlich lauter war, was nur bedeuten konnte, dass nur wenige Meter die beiden trennten. Valerie hatte die Hoffnung mit dem Aufschlagen der Augen aus dem Alptraum aufzuwachen in dem sie sich gerade befand. Dieser jedoch bekam lediglich eine Gestalt. Und zwar in Form von zwei eisblauen Augen, die Valerie mit derselben Kälte anstarrten wie sie es vor fast zehn Jahren schon einmal getan hatten.

„Nathalie? Nein, das kann nicht sein. Du bist tot! Wie kann das sein? Nein das ist alles nur Einbildung!“. Die Worte schossen nur so aus Valeries Mund. Damals vor zehn Jahren an dem Abend hatte sie Nathalie in ihrer blanken Wut eine Weinflasche auf dem Kopf zerschlagen. Nur kurz hatte sie noch aufgeschrien bevor sie zu Boden ging und unglücklich auf einen Stein aufgeschlagen war. Sie lag da. Tot. Valerie selbst hatte noch den Puls gefühlt. Da war keiner mehr gewesen. Gemeinsam mit Becca, die völlig unter Schock stand und offensichtlich nicht begriff was sie tat, drapierte sie den leblosen Körper so dass er möglichst lange unentdeckt bleiben würde. Dann hauten sie ab und sollten nie wieder etwas von Nathalie hören. Bis heute.     In ihrem Kopf stellte Valerie die wildesten Theorien auf die das, was gerade geschah erklärten. Aber keine schien nur ansatzweise plausibel. Vor ihr stand ganz eindeutig Nathalie.„Unfassbar was? Auferstanden von den Toten.“ Nathalies lachen hallte in Valeries Ohren. „Aber genug gescherzt, das ist hier ja schließlich kein Kasperltheater. Ich erkläre dir was wirklich passiert ist.“ Nathalie räusperte sich und schritt im Kreis um die am Boden kauernde Valerie herum. „Also pass auf“, sprach sie weiter, “wie du ja sicherlich noch genaustens weißt gab es da diesen Streit zwischen uns. Wir haben uns angeschrien und letztendlich hast du mich mit einer Weinflasche attackiert. Was danach geschah war mir zuerst nicht klar, aber auch das konnte ich mir irgendwann erschließen. Die Welt um mich herum wurde ganz plötzlich schwarz und so war es auch als ich aufwachte. Ich dachte erst ich bin tot, aber bemerkte dann den unfassbaren Kopfschmerz. Wie genau ich es geschafft habe weiß nicht mehr genau, aber irgendwie ist es mir gelungen mich bis zur Straße zu schleppen wo mich dann ein Autofahrer aufgegabelt und ins Krankenhaus gebracht hat. Gerade noch rechtzeitig, denn dann viel ich ins Koma, aus dem ich erst Wochen später erwachte. Im Krankenhaus wurde mir, wie ich später erfuhr, ein Schädelbasisbruch diagnostiziert, den ich nur mit viel Glück überlebt hatte. Aber das Schlimmste kam erst noch. Das, mit dem ich bis heute immer wieder zu kämpfen habe. Mit der Verletzung und dem Koma einher ging eine Amnesie. Ich konnte mich zu dem Zeitpunkt an nichts mehr erinnern. Nicht mal mehr an meinen Namen oder meine Eltern, die wie ich schmerzlich erfahren musste, seit Jahren tot waren. Alles, was mich geprägt hatte, gute und schlechte Erinnerungen, alles war wie ausradiert. Wie durch ein Wunder funktionierte mein Handy, das ich bei mir getragen hatte noch, das, wie der Zufall es wollte, heute in deiner Tasche gelandet ist.“ Nathalie zwinkerte Valerie zu. „Hab vorher natürlich alle Inhalte gelöscht, sonst hättest du am Ende noch zu schnell rausgekriegt wer dahinter steckt, und es sollte ja spannend bleiben. Naja auf jeden Fall hab ich neben etlichen Therapien die ich hatte, musste ich ja quasi alles neu erlenen, fast täglich heimlich die Bilder und Nachrichten darauf studiert, um irgendwie an meine verloren gegangenen Erinnerungen zu kommen. Es dauerte zwar Jahre, aber es klappte. Mit viel harter Arbeit habe ich mir zumindest den Teil meiner Erinnerung zurück geholt wegen dem wir uns heute hier befinden. Irgendwie spürte ich von Anfang an das mir Unrecht getan wurde. Und je deutlicher die Erinnerungen an den Abend von damals wurden desto mehr wusste ich was ich wollte. Rache an der Person, die mich fast umgebracht hatte und so dafür gesorgt hatte, dass ich mein Leben praktisch von null beginnen. Den Ärzten spielte ich weiterhin die Ahnungslose vor, während ich an meinem Plan tüftelte. Hab überall nach Informationen über dich gesucht, aber das war gar nicht so leicht. Wirkte fast als hättest du nie existiert. Becca zu kontaktieren war keine Option, ich wollte sie da raushalten. Mein Ziel warst einzig und allein du. Es kam mir wie ein Zeichen vor, als ich vor wenigen Wochen dann ihre Todesanzeige sah. Fand ich zwar traurig, im Gegensatz zu dir war sie ein guter Mensch, hätte mir wahrscheinlich sogar geholfen wenn du nicht gewesen wärst, wobei es dann wahrscheinlich gar nicht erst so weit gekommen wäre. Aber ihr Tod spielte mir perfekt in die Karten. Ich wusste dass dies quasi meine einzige Chance ist, dich zu finden, ich wusste das der Moment gekommen war auf den ich so lange gewartet hatte. Und siehe da, alles hat einwandfrei geklappt. Sogar erkannt hab ich dich trotz deiner Typveränderung sofort.“                                   Valerie wollte nicht glauben was sie da gerade gehört hatte. Das alles klang viel zu absurd. Viel zu unglaublich waren die ganzen Zufälle die dazu geführt hatten dass Nathalie, die Person für deren angeblichen Tod sie sich Jahre lang Vorwürfe gemacht hatte, so plötzlich vor ihr stand. Ein Mensch, der viele Jahre gefangen war in seinem eigenen Körper. Und Schuld daran war Valerie. Sie hatte ein Monster geschaffen und sollte dafür jetzt die Konsequenzen tragen.                            „Hats dir die Sprache verschlagen Val? Gut so, dann können wirs ja jetzt zu Ende bringen.“ Augenblicklich wurde Valerie aus ihrer Schockstarre gerissen. „Zu Ende bringen? Nein, bitte Nathalie, es tut mir leid! Ich tu alles was du willst, aber bitte tu mir nichts an!“ Tränen der Angst überkamen Valerie, aber ihr Gegenüber blieb kalt. „Du hattest deine Chance. Damals. Hättest du den Mumm besessen einen Arzt zu rufen, hättest dir deine Fehler eingestanden und wärst nicht so feige gewesen, müsste ich nicht tun was ich gleich tun werde.“        Mit diesen Worten kam Nathalie auf sie zu. Sie durchtrennte die Fesseln und riss Valerie auf die Beine, die wie gelähmt war und es nicht schaffte sich zu wehren. Ihre Angst stieg ins unermessliche, sie konnte sich nicht daran erinnern jemals so empfunden zu haben. Trotzdem war ihr klar, dass sie etwas tun musste. Verzweifelt schaute sie sich nach einem Fluchtweg, einer Waffe, oder irgendetwas um, das ihr jetzt noch helfen könnte. Und tatsächlich. In nicht allzu weiter Ferne nahm Valerie einen Lichtkegel wahr. Ein Funken Hoffnung keimte in ihr auf, sie wollte um Hilfe schreien. Doch in dem Moment sah sie in Nathalies Hand etwas aufblitzen. Valerie spürte noch den Windhauch der Weinflasche, die nun unerschütterlich auf ihren Kopf zu raste. Dann traf sie der Schlag und Schmerzen durchzogen augenblicklich ihren Kopf. Sie strauchelte, verlor das Gleichgewicht. Die wenigen Sekunden zwischen Fall und Aufprall fühlten sich wie eine Ewigkeit an. Das letzte was sie spürte waren dicke Regentropfen die ihr ins Gesicht klatschten und dann war alles um sie herum dunkel.

 

Leere. Nichts als markerschütternde Leere war da in ihrem Kopf als Valerie aufwachte. Vorsichtig schlug sie die Augen auf. Helles, gleißendes Licht, was ihre Augen zum Tränen brachte, kam ihr entgegen. Wo bin ich? Bin ich tot und ist das der Himmel? Sie öffnete den Mund zu einem Schrei aber schaffte es nicht Wörter, geschweige denn Sätze zu bilden. Neben ihr piepste es. Vorsichtig drehte Valerie den Kopf zur Seite. Dort stand ein Monitor, der seltsame Linien und Zahlen anzeigte. Was war das? Als sie an sich herunter schaute vielen ihr Unmengen an Schläuchen und Kabeln auf die aus ihrem Körper kamen. Was ist das alles? Wie bin ich hierhergekommen und weshalb? Der Piepston wurde schneller und brachte ihren Kopf fast zum Explodieren. Sie musste die Augen wieder schließen. Da hörte sie eine Türe aufgehen. Schritte kamen auf sie zu doch sie brachte es nicht fertig die Augen wieder aufzuschlagen. „Schön, du bist wieder wach!“, sagte eine freundliche Stimme die ihr unheimlich bekannt vor kam. Aber woher? Und da war noch etwas. Es fühlte sich an als würden ihre Schleimhäute verätzen, als der unangenehm süßliche Duft eines billigen Damenparfüms ihr in die Nase kroch.

 

4 thoughts on “Beste Freundinnen

  1. Hallo liebe Kassandra,

    die Geschichte hat mir gut gefallen und war angenehm zu lesen.
    Es haben sich ein paar Kommafehler eingeschlichen und die Gespräche hätten noch etwas mehr Spannung und Pepp vertragen (was mir um ehrlich zu sein auch nicht leicht fällt).
    Der offene Schluss ist klasse und ich hätte gerne erfahren, was wohl als nächstes passiert wäre! 😀

    Alles Liebe
    Pauline

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