Merle Philine MöllerDas Gesicht der Rache

Was ist, wenn dich auf einen Schlag deine Vergangenheit einholt? Ein altes Leben, welches du versucht hast zu vergessen.

„Weißt du noch? Damals?“ Eine Männerstimme erfüllte innerhalb einer Sekunde ihren Kopf. Den gesamten Raum. Im Halbschlaf war sie offensichtlich einfach an das Handy gegangen, welches auf ihrem Nachttisch geklingelt hatte. Mit einem Schlag war sie hellwach. Wie konnte ihr Handy auf dem Nachttisch klingeln, wenn es doch eigentlich wie jede Nacht in der Küche im Untergeschoss am Kabel hing und lud? Sie hatte sich bereits vor Jahren angewöhnt es nicht am Bett liegen zu haben, wenn sie schlief. Diese Erkenntnis ließ sie hochfahren und ließ Sarahs Gesicht so weiß werden, wie die Wand, vor der sie nun senkrecht im Bett saß und dieses Handy anstarrte, als wäre es eine giftige Spinne. Unschlüssig, was nun zu tun war.
„Wer ist da?“ Ihre Stimme klang seltsam gefestigt.
„Vor zehn Jahren?“ Der Fremde am anderen Ende der Leitung ignorierte ihre Frage gekonnt.
„Hören Sie, ich weiß weder wer sie sind, noch was sie von mir wollen. Lassen Sie mich in Ruhe.“
„Denk nach, verdammt.“ Er legte auf.
Ein lautes Scheppern ließ sie erschaudern und ehe sie sich versah, zerbrach neben ihr die Scheibe der Balkontür. Sarah konnte gerade noch aufspringen, ehe sie von einem Stein am Kopf erwischt worden wäre.
Vor sich sah Sarah, wie sich der Schatten, den sie für das dunkle Abbild der Eiche vor ihrem Balkon gehalten hatte, in einen Mann verwandelte. Je mehr er ins Licht rückte, desto stärker wurde ihr Herzschlag.
„Ey, bist du Sarah?“ Hörte sie den Mann, den sie nun beinahe perfekt sehen konnte in ihrem Kopf sagen. Sie sah ihn heute nicht zum ersten Mal, genauso wenig wie das verdammte Handy. Erneut spielte sich die denkwürdige Szene von heute Morgen in ihrem Kopf ab, denn dieser Tag begann überhaupt nicht wie jeder andere. Vorhin hatte ihr ein Obdachloser ein Handy in die Hand gedrückt. Ein Smartphone, welches dunkelblau und metallisch glänzend exakt dem ihren glich. Sie war auf dem Weg zu einem Meeting mit ihrem Chef gewesen, der sie im Laufe des Gespräches auf ihr Fehlverhalten aufmerksam machen und sie anschließend in die Buchhaltung versetzen würde, als sie auf einmal dieses fremde Ding in ihren Händen hielt. „Haste gestern verloren.“ Hatte der Obdachlose, der trotz der dreckigen und zerschlissenen Kleidung ein unheimlich gut gepflegtes Gesicht hatte, ihr noch zugerufen und war dann verschwunden. Beim Blick auf das Handy musste sie feststellen, dass es bereits entsperrt war, doch damit nicht genug. Sie bekam Fotos geschickt. Nachrichten. Auch ihr Chef wollte sie aufgrund eines solchen Bildes sprechen, auf dem Sarah erschrocken in ihr eigenes Gesicht blicken musste. Sie, auf einer Party. Beim Drogenkonsum.
-Was du getan hast, wurde nicht vergessen. Niemals. Zu keiner Zeit.-
Panisch drückte sie auch diese Nachricht mindestens so schnell wieder weg, wie sie erschien, beinahe so, als könnte Sarah damit den Empfang der Nachricht ungeschehen machen. Sarah, von Übelkeit und Hilflosigkeit geplagt, entschloss sich kurzerhand das Handy im Mülleimer am Straßenrand zu entsorgen. Das Gefühl beobachtet zu werden, fraß sich in ihr Bewusstsein und die innere Unruhe war den Tag über nicht gewichen.
Zu guter Letzt hatte man ihr nun noch das eigene Handy geklaut und sie somit aller Nummern beraubt, von denen sie keine einzige auswendig konnte. Sie konnte niemanden anrufen.
Ein weiteres Scheppern holte sie aus ihrer kurzen Abwesenheit zurück. Als würde sie aus einer Hypnose erwachen, weiteten sich ihre Augen und ihr Herzschlag wurde mit jeder Sekunde schneller. Wieder hatte Sarah das Gefühl sich übergeben zu müssen, ein Gefühl des Schwindels. Auf dem Boden lagen inzwischen mehrere Steine, darunter ein großer Ziegelstein. Sie musste schlucken.
„FINALE“ stand da in Großbuchstaben mit schwarzer Farbe.
Noch ehe sich Sarah überlegen konnte was nun zu tun war, begann der Mann auf dem Balkon sich in Bewegung zu setzen. Mit langsamen Schritten kam er näher, Sarah stand einfach da, vollkommen bewegungsunfähig. Er hatte ein leichtes Spiel ihr näher zu kommen und als er in den Lichtkegel des schwachen Scheins trat, der aus dem Untergeschoss nach oben drang, stockte Sarah der Atem. Sie kannte diesen Mann. Er trug schwarze Klamotten, von oben bis unten. Eine schwarze Jeans, ein schwarzes Hemd und eine schwarze Jacke aus Kunstleder. Doch es waren nicht seine Klamotten oder gar seine Statur.
„Hast du mich vermisst?“ Es war das Gesicht. Die Stimme. Vor ihr stand der Mann, der sich noch vor ein paar Stunden als obdachlos ausgegeben hatte. Der Mann, der ihr durch sein gepflegtes Gesicht im Gedächtnis geblieben war. Seine Stimme klang weniger zerbrechlich, dennoch gab es keinen Zweifel. Und nun stand er auf ihrem Balkon. An der Schwelle. Kurz davor ihr Haus zu betreten. Trotz all der Fügungen, war dies nicht der Mann, der sie mit Anrufen und Nachrichten quälte. Plötzlich schnellte der Fremde auf sie zu und versuchte ihren Kopf zu packen. Dank ihrer guten Reflexe drehte Sarah so schnell sie konnte den Kopf zur Seite und versuchte den Ziegelstein als Waffe einzusetzen. Dieser jedoch war um einiges schwerer als erwartet und so schlug ihr der Fremde den Stein schneller aus der Hand als sie gucken konnte. Sie versuchte irgendetwas zu fassen zu bekommen, was ihr einen Vorsprung verschaffen könnte, um ins Untergeschoss zu gelangen, zur Haustür. Handy nicht vergessen! Sie musste nach unten gelangen, dort würde sie die Nummer der Polizei wählen, während sie die Tür öffnete und um ihr Leben rannte. Der Fremde war schneller. Er packte Sarah an den Haaren und versuchte sie zu Boden zu zerren, doch die hielt stand. Wild geworden begann sie zu schreien und so sehr es auch schmerzte, sie konnte nicht zulassen, dass er sie einfach so zu Boden drückte. Sie trat mehrfach nach hinten und erwischte endlich sein Schienbein. Er stöhnte kurz auf, lockerte seinen Griff in ihren Haaren und das war ihre Chance. Der Mann bemerkte nur den Bruchteil einer Sekunde später war er getan hatte. Er hatte zugelassen, dass sie fliehen konnte. Ehe sich Sarah versah, war der Fremde neben ihr auf der Treppe. Er hatte sie schneller eingeholt, als sie das gehofft hatte. Sie wurde schneller, doch er war schlauer. Er nutze ihren Schwung aus, stellte ihr sein Bein in den Weg und sah zu, wie sie die restlichen Stufen hinunterfiel. Sarah hatte so eine Wucht durch ihren Fall, dass sie noch einen Meter weiterflog und schließlich gegen den massiven Esstisch prallte, der sie stoppte, ihr gleichzeitig aber auch den Atem raubte. Der Aufprall war hart und traf sie im Rücken. Sarah versuchte aufzustehen, doch da war der Fremde schon wieder neben ihr. Sie dachte an Jason aus Freitag der 13. oder an Freddy Krüger den Albtraum der Elm Street, erbarmungslose Killer, die ihren Opfern immer überlegen waren. Er packte sie fest am Handgelenk und zerrte sie auf die Knie. Sie rang nach Luft, doch bevor sie endlich wieder richtig atmen konnte schoss das Knie des Fremden vor und raubte ihr erneut die Fähigkeit zu atmen, indem er ihr das Knie mit voller Gewalt in die Magengrube rammte. Sie begann zu japsen und der Fremde ließ sie fallen. Wie lange Sarah so da gelegen hatte vermochte sie nicht einzuschätzen, doch es fühlte sich mit Sicherheit wesentlich länger an, als es tatsächlich der Fall war. In aller Ruhe stand er Fremde über ihr, schaute zu ihr hinunter und musste fast lächeln, als sie versuchte ihn mit einem schwachen Tritt zu Fall zu bringen. In unzähligen Filmen hatte sie gesehen, wie die Opfer um ihr Überleben kämpften, unermüdlich bis zum Sieg. Nun, sie musste feststellen, dass sich die Wahrheit doch von der Fiktion unterschied. Sie konnte nicht mehr. Alles schmerzte vom Sturz und dem Tritt. Ihre Kraft neigte sich dem Ende zu, was vielleicht auch ihrer schwachen Kondition zu verdanken war und obwohl sie einen starken Überlebenswillen hatte, schaffte sie es doch nicht ihre Kräfte zu vereinen um zum letzten Schlag auszuholen.
Der Fremde über ihr lächelte wieder und zog etwas aus seiner Jackentasche. Ein Foto. Natürlich. Ein großes Haus, das in ihr die Magenkrämpfe nur noch verstärkte. Sie wusste nun, wer hinter all dem steckte. Wer diese Stimme am Telefon war. Während sie das Bild betrachtete, hatte sie nicht bemerkt, wie der Fremde noch etwas aus seiner Tasche zog. Ein kleines Fläschchen. Eine Spritze.
„Um der guten alten Zeiten Willen.“ Sagte er und schon steckt die spitze Nadel in Sarahs Arm. Alte Zeiten. Sie verlor das Bewusstsein. Unheimlich, wie ihr von Sekunde zu Sekunde alles egaler wurde. Sie konnte nichts mehr tun.

Ein Knall holte sie zurück in die Realität. Sie öffnete die Augen, alles tat ihr weh und noch konnte sie nicht scharf sehen, was hier geschah. Wo war sie? Ein zweiter Schlag brachte ihre Wange zum Glühen. Benommen wollte sie sich die Wange halten, doch etwas hinderte sie daran. Sie konnte ihre Arme nicht bewegen. Genauer genommen konnte sie sich gar nicht bewegen. In diesem Augenblick der Erkenntnis kehrte sie vollends aus der Ohnmacht zurück.
„Hast du mich vermisst?“ sagte eine Männerstimme und dieses Mal war es tatsächlich die Stimme, die sie immer und immer wieder angerufen hatte. „Erinnerst du dich an mich?“ Wieder öffnete sie die Augen und musste feststellen, dass sich ihr Gegenüber noch immer nicht zu erkennen gab. Vor ihr stand ein Mann, der eine schwarze Maske trug, die lediglich seine Augen zeigte.
„Louis.“ Das war keine Frage. Eher die ernüchternde Erkenntnis.
„Ah, geht doch. Hat ein bisschen gedauert, Darling.“ Darling. Echt jetzt?
„Warum bin ich hier?“
„Hm okay. Also doch noch nicht wieder ganz im Bilde?“ Mehr als ein Kopfschütteln brachte sie nicht zustande. Louis. Damals war er mit ihrer besten Freundin zusammen. Er war eines dieser Gesichter auf all den Fotos, die er ihr hatte zukommen lassen. Die Bilder dokumentierten nichts weiter als den Zerfall der früheren Clique. In manchen Freundeskreisen gibt es eine Person, die irgendwann an die falschen Leute gerät und abdriftet. In ihrem Fall war es die gesamte Clique. Irgendwann brachte einer die Drogen ins Spiel und sie zerstörten einfach alles.
„Sarah.“ Er sagte ihren Namen beinahe liebevoll. „Es war gar nicht so leicht dich zu finden.“
„Ich wollte von vorne anfangen.“
„Hm ja, weißt du, man kann sein Leben nicht in alt und neu einteilen. Es ist ein Leben und das gehört zu dir. Das bist du. Du konntest das doch nicht einfach vergessen?“ Als Sarah sich in diesem Raum umsah, in dem sie gefesselt an einen Stuhl saß, gezwungen sich mit Louis zu unterhalten, der einst zu ihren besten Freunden gezählt hatte.
„Heute vor zehn Jahren ist etwas passiert, Sarah. Etwas, das mich seitdem keine Nacht mehr losgelassen hat. Zehn verdammte Jahre habe ich auf diesen Moment gewartet.“ Der Raum sah kahl aus, dennoch erkannte Sarah ihn tatsächlich sofort wieder. Die Küchenzeile, die ihr auch von den kürzlich erhaltenen Fotos bekannt vorkam. Die dunkle Marmorplatte, die hellen Küchenfliesen und die mit dunklem Holz verkleideten Schränke. Die Tapete war hier und da ein wenig abgewetzt. Das Haus schien derzeit nicht bewohnt zu sein. Sarahs Blick fiel auf einen leeren Messerblock, indem lediglich noch ein einziges Messer steckte. Sie musste schlucken und Louis begann zu lachen.
Mit einem Mal fand sich Sarah als unbeteiligte Zuschauerin wieder. Um sie herum tobte die Party des Jahres. Das Abitur jährte sich zum fünften Mal und sie und ihre Freunde, sowie ein paar Bekannte hatten sich vorgenommen diesen Tag jedes Jahr wieder zu feiern wie früher. Es waren mindestens dreißig Leute anwesend und irgendjemand der vermutlich zu viel getrunken hatte, skippte einen Song nach dem anderen ohne auch nur einen einzigen zu ende laufen zu lassen. Die Leute schienen sich nicht daran zu stören, sie tanzten eben irgendwie.
Da war auch Mira, ihre beste Freundin. Wie es aussah war sie gerade dabei eine dünne Line von Louis Handy zu ziehen. Er saß neben ihr, streichelte ihr Knie und dennoch sah er nicht besonders glücklich aus. Immer wieder sah er zu Sarah hinüber, die sich in einer anderen Ecke angeregt mit einem ehemaligen Schulkameraden unterhielt. Sie sah sich selber eine Weile beim Reden zu, als sie sich schließlich entschuldigte, an sich selber vorbei schlich und sich in der anderen Ecke der Küche schließlich einen Schuss setzte. Fachmännisch. Dann schien alles ganz schnell zu gehen.
Ein Riss. Wieder ein Schlag, der sie hart auf der Wange traf.
„Hey, was ist? Keine Lust mehr? Du bist mir schuldig, dir das hier anzuhören. Mich anzusehen.“ Louis schien ungeduldig zu werden. Langsam zog er sich nun die Maske vom Kopf und was darunter zum Vorschein kam, erschrak Sarah zutiefst. Louis sah nicht mehr aus wie der Louis, dem sie gerade beim Feiern zugesehen hatte. Er blickte verletzt drein und mit einem Mal wusste sie, warum sie so lange gebraucht hatte auf ihn zu kommen. Sarah dachte, sie hatte ihn damals im Wahn ermordet. Die Bilder waren wieder da. Vor ihren Augen spielte sich die Szene ab, in der sie sich aus Louis Perspektive sah, der sie anflehte doch bitte aufzuhören. Sie hatte ihn mit einer ungeheuren Kraft zu Boden geworfen, kniete über ihm und Griff in einer blinden Wut das nächstbeste Messer, aus dem Block, der noch heute in dieser Küche stand. Wobei er heute wohl eher zu Louis Racheszenerie gehörte. Sie schnappte sich das Messer und stach wie von Sinnen immer und immer wieder auf ihn ein. Er verstummte und der Bildschirm, den er ihr gerade vor das Gesicht gehalten hatte wurde schwarz. Sie erkannte die Stelle, die er ihr als Screenshot geschickt hatte. Er hatte sie nebenbei gefilmt. Während sie dabei war sein Leben zu beenden. So kaltblütig.
„Erinnerst du dich jetzt?“
„Ja.“ Hauchte sie und schloss die Augen. Wieder ein Schlag.
„Sieh hin verdammt. Siehst du was du mit mir gemacht hast?“
„Warum habe ich das getan?“
„Oh Sarah, wirklich? Alles vergessen? Der Grund war denkbar simpel.“ Er wartete kurz, musterte sie von oben bis unten und fuhr fort. „Ich habe dich geliebt, verdammt nochmal. An dem Abend gestand ich dir meine Liebe und musste danach um mein Leben kämpfen. Du hast mich fast soweit gehabt. Ein Stich mehr und ich wäre heute nicht mehr da. Du bist einfach abgehauen.“
„Ich dachte ich hätte dich getötet.“ Ihr fehlten die Worte. Die Stimme.
„Mira rief den Krankenwagen und die Polizei und rannte dir dann hinterher. Sie wusste wo sie dich zu suchen hatte. So entstand das Foto im Wald. Du warst wohl vollkommen orientierungslos.“ Er lachte bitter auf. „Wie dem auch sei. Ich kam im Krankenhaus an und musste sofort notoperiert werden. Ich hätte es sonst nicht geschafft. Die Ärzte konnten mein Leben retten, jedoch nicht mein Gesicht. Nicht meinen ruhigen Schlaf.“ Er machte eine Pause, sah sie an.
„Warum jetzt?“
„Naja, ich dachte zehn Jahre sind ein guter Zeitpunkt. Eine Art Jubiläum quasi.“
„Wer war der Mann, der bei mir war?“
„Oh. Das ist lediglich ein sehr guter Freund von mir. Dir wird nicht mehr passieren, als mir damals. Ich werde dich nicht aus Rache töten oder so, wobei du das sicher verdient hättest. Du hast mir mein Leben geraubt. Auch ich musste von vorne anfangen, Sarah. Doch im Gegensatz zu dir schließe ich meine eigene Vergangenheit nicht aus. Wie auch bei meinem Anblick. Hat dein Chef mit dir geredet?“ Sie nickte, woraufhin er grinsen musste. Es sah gequält aus.
„Warum ein Handy?“
„Wie denn sonst? Heutzutage hängen doch immer alle nur vor ihrem Handy. Ein Bekannter von mir konnte dein Handy knacken und kopieren. Hast du dich mal gefragt, wie du es immer entsperren konntest?“ Sie gab keine Antwort, wartete nur ab. „Richtig. Gut geraten, per Fingerabdruck. Auf einem Glas von der Party war dein Fingerabdruck perfekt abgebildet. Das war pures Glück denke ich.“ Draußen war ein Lichtstrahl zu sehen und Louis bemerkte Sarahs hoffnungsvollen Blick.
„Hier kommt niemand. Das Haus steht seit Jahren leer. Wir sind ganz unter uns, Darling.“ Darling. So hatte er sie früher immer aus Spaß genannt. „Ich habe also das Handy präpariert und ich gebe zu, das hat so einiges an Nerven und Geduld gekostet. Ich gab es meinem Freund, der es dir netterweise auf dem Weg zur Arbeit aushändigte. Naja, wie dem auch sei. Niemand ist nach den Drogen so aggressiv geworden wie du.“ Alles war wieder da. Die ganze Sache mit ihrem Freundeskreis. Die Party. Die Stiche. Nach diesem Abend hatte sie ihr damaliges Handy vernichtet und war umgezogen. Sie hatte eine Menge Geld gespart und sich schließlich das kleine Häuschen gekauft, in dem sie sich vom ersten Tag an immer sehr wohlgefühlt hatte. Es hat viele Jahre gedauert, ehe ihr ihr Kopf den Gefallen tat, das Geschehene doch endlich zu vergessen. Niemals hatte sie je ein Wort darüber verloren und sich selber sehr erfolgreich eingeredet, dass das nie passiert war. Sie war sogar so weit gegangen sich einzureden nie einen Louis, eine Mira oder all die anderen gekannt zu haben. Ihr altes Ich und alles was damit verbunden war existierte nicht mehr. Nicht für sie. Sehr wohl aber für ihn.
„Was passiert jetzt?“
„Sehr gut, Sarah. Du willst endlich zur Sache kommen. Ich werde dich wie gesagt gleich wieder laufen lassen. Nicht jedoch ohne dir dein hübsches Gesicht so zu zerkratzen, dass du so ansehnlich bist wie ich. Das ist meine Rache, Darling. Wie du mir so ich dir, aber ich werde so gnädig sein dir die Narben auf meinem Körper zu ersparen.“ Er zog sein Shirt leicht hoch und wieder musste Sarah schwer schlucken. Was habe ich nur getan. Sein Körper sah stellenweise nicht besser aus, als sein Gesicht. Tiefe Furchen durchzogen die Haut. Rote Krusten und Verfärbungen zogen ihre Spuren. Seine Augen waren dunkel unterlaufen, sein Haaransatz schien ein wenig nach hinten gerückt zu sein.
Auf einmal hatte er dieses riesige Messer in der Hand. Sie schüttelte den Kopf. Wollte sich wegdrehen und die Panik stieg mit einer ungeheuren Macht empor, die sich bis eben irgendwo in ihrem Körper versteckt hielt. Das Herzrasen verstärkte sich um ein Vielfaches. Es klopfte und klopfte, so als würde es versuchen um Hilfe zu schreien. Sarah wurde schwindelig, doch ihr Körper tat ihr nicht den Gefallen einfach wieder ohnmächtig zu werden. Stellte sie es sich doch in dieser Situation leichter vor einfach nicht mitzubekommen, was ihr bevorstand. Dennoch zerrte sie an ihren Fesseln, warf sich hin und her und versuchte sie zu lösen. Nichts passierte, außer dass ihr auf einmal jemand den Kopf festhielt. Kalte Hände kamen von hinten und fixierten ihren Kopf in einer Position, dass Louis, der weiterhin vor ihr stand, in aller Ruhe ihr Gesicht bearbeiten konnte.
Sarah hatte keine Zeit sich mit der anderen Person zu beschäftigen, die wohl schon die ganze Zeit genau hinter ihr gestanden haben musste. Sie wollte schreien, doch ihre Stimme versagte auf ganzer Linie. Der Schmerz, der sie durchfuhr trieb ihr die Tränen in die Augen. Louis machte sich mit einem teuflischen Blick an ihrem Gesicht zu schaffen. Sehr kontrolliert, im Gegensatz zu ihr damals. Ohne diese verdammten Drogen, hätte sie das niemals getan. Das war nicht sie gewesen. Sie wollte so gerne um Hilfe rufen, Louis anflehen sie frei zu lassen. Ihr Gesicht brannte entsetzlich. Das warme Blut rann ihr nur so die Wangen hinab, lief ihr ins linke Auge und verdeckte die Sicht auf ihre Umgebung. Sie sah nichts mehr. Aus dem roten Schimmer wurden schwarze schlieren. Immer wieder verstärkte sich der Griff der kalten Hände.
Dann war es vorbei. Sie öffnete die Augen und konnte seltsam klar sehen. Vor ihr stand Louis mit einem zufriedenen Lächeln auf dem Gesicht und einem Spiegel in der Hand. Er hatte Gnade walten lassen. Die Schmerzen waren weitaus schlimmer als ihr Anblick. Sie akzeptierte die Wunden, das war sie ihm schuldig.
„So Darling. Ich danke dir. Wir werden uns nie wieder begegnen. Mach es gut und bleib clean.“ Sarah wollte etwas erwidern, doch sie konnte nicht sprechen.
Da war sie. Es war nur ein flüchtiger Blick.
„Tut mir leid, Sarah.“ Mira verschwand so schnell aus Sarahs Blickfeld, wie sie erschienen war. Mira. Ihre ehemals beste Freundin. Ihre Freundin, der sie niemals etwas zuleide getan hatte.

Sarah war alleine. Alleine mit den Erinnerungen, die weitaus schmerzhafter waren, als die offenen Wunden in ihrem Gesicht. Alleine mit sich selbst und ihren Taten. In diesem Haus existierte nur die alte Sarah. Eine Sarah, die sie nie wieder ausschließen könnte. Eine Sarah, der sie nun jeden Tag aufs Neue ins Gesicht blicken würde. Benommen schwankte ihr Kopf von der einen Seite zur anderen. Da war Blaulicht. Sie spürte wie sie befreit und auf eine Liege verfrachtet wurde. Türen schlossen sich.  

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