AnnemarieZtTraumfänger

Prolog

Hattest du schon mal einen Traum der so schrecklich war, dass du dich vor dir selbst erschreckt hast? Ich rede nicht von einem etwas ungezogenen Sex Traum. Du kannst meinetwegen schweißgebadet wach werden, in der Hoffnung, dass dein Partner nichts gemerkt hat, aber trotzdem wissend, dass du genau an diesen Traum denken wirst, wenn das nächste Mal deine Hände unter der Dusche nach unten gleiten.

Ich meine auch nicht diese kleinen Rachefantasien, die wir doch alle schon hatten. Immer war es der große Bruder der bevorzugt wurde, also ist es nur natürlich, dass die eine oder andere Möglichkeit zur Widergutmachung nachts durch deine Synapsen zuckt, mehr oder weniger qualvoll für dein Hassobjekt.

Ich rede da von einem Teil der tief in dir liegt, verborgen und unkontrollierbar, aber auch mindestens genauso verlockend. So ist es schließlich unvermeidlich, dass dieser Teil manchmal ans Licht kommt. Nein, nicht ans Licht, er kommt ans dunkel. In dem unerbittlichsten Teil der Nacht überkommt es dich. Meistens ist alles genauso wie immer und doch wird dir dann offenbart was in dir ist. Vergessen kannst du es nicht. Damit zu leben scheint auch unmöglich. Also muss eine Entscheidung getroffen werden. Du fragt dich welche das ist?

Falls ja, tut es mir leid.

Du bist verloren.

Wer fragen muss, ist an sich selbst gescheitert. Das ist mir zum Glück nicht passiert.

Kapitel 1 Leugnen

Ich öffnete meine Augen. Ich lag schon seit Stunden wach, regte mich aber nicht. Mein Wecker zeigte gerade 05.39 Uhr an. Noch 21 Minuten und Stefan würde von dem schrillen Gepiepe geweckt werden, sich umdrehen und mir verschlafen einen wunderschönen Guten Morgen wünschen. Er würde aufstehen und im Gehen seine Boxershorts abstreifen, um verführerisch schmunzelnd über die Schulter zu blicken. Eine fast unwiderstehliche Einladung das Gespräch, welches ich seit Wochen vor mir herschiebe, noch weiter heraus zu zögern.

Aber nicht heute. Wenn er wieder kommt, werde ich unsere Beziehung beenden. Es werden Tränen fließen, unfaire Sachen werden gebrüllt, nur um sich wieder zu entschuldigen und das unangenehme Lass uns Freunde bleiben, weil du mir als Mensch wichtig bist Gespräch zu führen und pünktlich um halb neun kann ich endlich zur Arbeit verschwinden. Das gibt ihm genug Zeit das meiste seiner Sachen aus meiner Wohnung zu schaffen. Das war es dann. Acht Jahre Beziehung beendet und wenn es nach mir geht, lieber schnell vergessen als mit einem langen Nachspiel.

Versteht mich bitte nicht falsch, Stefan ist toll. Mit breiten Schultern und einer Größe von 1,97 cm war er schlichtweg das was sich jede Frau wünscht. Mit dem drei Tage Bart, eine perfekte Ich bin gerade erst aufgestanden Frisur, die tatsächlich anderthalb Stunden im Bad braucht, und tiefblauen Augen dauert es nicht lange ihm zu verfallen. Dazu ist er gebildet und verdient als Ingenieur auch nicht schlecht. Allem voran ist er ein sehr aufmerksamer Freund. Er verkörperte für mich ein Schokoladen Lieferservice, wenn mal wieder Unterleibskrämpfe anstanden. Genauso wusste er fast instinktiv wenn ich ihn einfach brauchte, seien es Blümchensex und tiefe Blicke oder eher eine Hand, die in meinen Haare zieht, während er es mir hart besorgt.

„Gibt es einen anderen?“

Ich schluckte und musste mir Mühe geben die ganze Situation nicht eskalieren zu lassen. „Das fragst gerade du mich?“ Ein gekünzeltes Auflachen konnte ich mir nicht verkneifen. Dass er mit dieser Geschichte kommt, habe ich nun wirklich nicht erwartet.

„Das ist Jahre her. Und es ist nichts passiert! Das kann nicht allen Ernstes noch heute deine Ausrede sein.“ Er blickte so ernst, dass ich wirklich fast auflachen musste. Hätte ich einen Penny für jedes Mal bekommen, wenn ich diesen Satz gehört habe.

„Ich rede mich aus gar nichts heraus. Deine kleine Schlampe von Arbeitskollegin hat mich dazu gebracht, genau die Art von Freundin zu sein, die ich nie sein wollte! Es hat mich nicht mal mehr interessiert ob etwas passiert ist oder nicht. Ich wollte dich nicht mehr, weil ich um uns gekämpft habe, sondern einfach nur, damit sie dich nicht kriegt. Ich … “.  Verdammt, jetzt ist es also soweit. Dann wohl keine Freundschaft, sondern eine Schlammschlacht.

„Und trotzdem hast du es noch zwei Jahre mit mir ausgehalten. Wie großzügig.“ Stefans Tonfall triefte vor Ironie. Er wandte sich ab, nahm seine Jacke und verließ die Wohnung. Seine Schlüssel ließ er liegen, aber das Knallen der Tür ließ er sich natürlich nicht nehmen.

Ich ließ mein Kopf kurz in meine Hände sinken, konnte mir aber keine lange Pause erlauben. Die Arbeit wartet. Es war zwar nicht so gelaufen wie ich es gerne gehabt hätte, aber immerhin ist das Schlimmste vorbei. Wobei ich zugeben muss, dass der Gedanke, dass er jetzt wahrscheinlich zu Anabelle lief um sich auszuweinen, mir einen tiefen Stich versetzte.

Anabelle war ein wahrgewordener Sukkubus. Eine Arbeitskollegin aus Stefans Nebenjob während des Studiums. Das Problem war nicht mal das sie eine typische schlampenhafte Attitüde an den Tag legt. Nein, sie war einfach unglaublich süß, clever und  humorvoll. Dabei legte sie aber eine gewisse Naivität an den Tag, die man doch nur lieb haben konnte. Also ging es sehr schnell von Arbeitskollegin, zu regelmäßigen Schreiben, bis hin zu den wöchentlichen Trinkabenden mit der ganzen Truppe von der Arbeit. Ich war nicht von Grund auf eifersüchtig. Es ging mir aber um die Kleinigkeiten in seinem Verhalten ihr gegenüber, sie wurde jedes Mal von ihm nach Hause gebracht, das Lächeln wenn er ihre Nachrichten liest und die stundenlangen Telefonate über Themen, die mich beim besten Willen nicht interessierten.

Stefan hat irgendwann angefangen ihren Namen im Schlaf zu murmeln. Nicht auf besonders intime Art, aber sie hat es in seine Träume geschafft. Also habe ich mich hinreißen lassen … überprüfte sie in den Sozialen Medien, drängte mich auf, bei den abendlichen Trinken mitzukommen, bis ich schließlich anfing Stefans Handy zu kontrollieren. Er wusste davon natürlich nichts, ich wartete bis er duschen war, er schon fest schlief oder ich kurz ein Rezept nachschauen wollte und mein Handy an der Steckdose hing. Ich hasste mich selbst dafür, aber ihn noch ein bisschen mehr, weil er einfach nicht verstehen wollte, wie es sich anfühlt durch ein kleines Püppchen ersetzt zu werden.

Ganz plötzlich distanzierten die Beiden sich auch wieder, ohne Vorwarnung. Als ob es nicht schon dramatisch genug gewesen wäre, klingelte kurz danach die Polizei bei uns. Anabelle war verschwunden. Durch ihre Handydaten war klar, dass Stefan ein enger Freund war und wurde dementsprechend verhört. Es gab keinen Hinweis auf ein Gewaltverbrechen. Nur irgendein Mädchen, welches alleine nach den Sternen greifen wollte. Stefan ließ sich nicht anmerken, ob er etwas wusste, oder ob es ihm etwas ausmachen würde. Naiver weise dachte ich, wir hätten dieses leidige Thema damit abgeschlossen. Wie ich heute wieder gemerkt habe, spukt sie nicht nur noch immer in meinem Kopf rum.

Irgendwie ertrug ich meinen Arbeitstag, während ich mich immer wieder zu übertrieben detailreichen Vorstellungen von Stefan und Anabelle hinreißen ließ. Inzwischen hat er bestimmt wieder den Kontakt zu ihr gesucht und sie lässt sich nur zu gerne in seine Arme sinken, wenn sie bemerkt hat, dass ihr großartiger Abschied sinnlos war.

Dankbar über einen ruhigen Tag im Büro ging ich zwei Stunden eher. Ich stieg in die immer gleiche Bahn, lief dieselben Straßen entlang und kam letztendlich an meinem Wohnhaus an.

„Ach da sind Sie ja. Ich habe ja gehört was heute Morgen…“. Meine Nachbarin stand vor mir und versuchte mit einer peinlichen Pause klar zu machen, dass alle über meinen neuen Beziehungsstatus Bescheid wussten. „Aber was solls, richtig? Jedenfalls ist da dieses Paket für Sie gekommen.“ Frau Arrens verschwand kurz in ihrer Wohnung und brachte mir das Paket.

„Ach wie lieb von Ihnen. Tut mir leid, dass alle Pakete immer bei Ihnen landen. Meine Arbeitszeiten…“

„Das ist doch kein Problem, meine Liebe.“ fiel sie mir ins Wort. „Ich würde mich freuen in Zukunft mal mehr für Sie zu tun. Wissen Sie, meine Nichte ist auch seit kurzem wieder alleine und … “.

„Das klingt ganz toll“, war ich es dieses Mal die sie abwürgte. „Aber ich muss jetzt wirklich rein. Meine Mutter erwartet meinen Anruf. Hat mich gefr …“.

Oh lieber Gott, bitte nicht, schoss es mir durch den Kopf. Ich hielt den Karton endlich so, dass ich die Aufschrift Mobilteile.de lesen konnte.

Die Sextoys die Stefan und ich bestellt hatten. Auf der Website konnte man Aufschriften auswählen, um genau solche Situationen zu umgehen. Es gab Lieferschwierigkeiten, so dass es sich ein paar Wochen hinzog und ich es komplett vergessen hatte. Blieb nur zu hoffen, dass Frau Arrens Nichte nicht über solche Dinge mit ihrer Tante spricht.

Ich nickte der alten Dame nochmal zu, um endlich in meine Wohnung zu verschwinden zu können. Ich zog Jacke und Schuhe aus, legte sie halbherzig in eine Ecke im Flur und öffnete die erste von vielen Flaschen Bier an diesem Abend.

„Na dann wollen wir mal.“ versuchte ich mich selbst zu motivieren den Karton zu öffnen. Ich entfernte das Klebeband und konnte mir ein verschmitztes Grinsen nicht verkneifen. Schließlich waren auch durchaus ein paar Sachen nur für mich dabei. Mit einer schlanken Figur von 1,70 cm, blonden Locken und großen braunen Reh Augen gab es bei reinen Mädelsabenden immer einige Avancen. Daher war Stefan immer umso bemühter mich, nennen wir es mal auszulasten. Wir brauchten die Bestellung nicht, weil es im Bett nicht mehr lief. Ich wollte einfach mehr als das Übliche, das Normale.

 „Was zum…“

Statt einer bunten Mischung kleiner Pakete, war der Karton mit Luftpolstern ausgefüllt. Verschwommen konnte ich etwas auf dem Boden erkennen. Ich wühlte mich durch und hielt einen kleinen rechteckigen Gegenstand in der Hand. Ein Handy. Unverpackt. Ohne mein zu Tun schaltete es sich an und spulte durch die üblichen Bildschirmanzeigen der Marke und Software. Dann schwarz … bis ein roter Schriftzug erschien

MISS ME?

Ich hatte ja erwartet, dass unser Streit noch nicht zu Ende war. Aber an Versöhnung zu denken, hatte ich ihm nicht zugetraut. Ich fühlte mich heute wieder mehr zu ihm hingezogen, als na ja, in den letzten zwei Jahren. Muss man also erst Schluss machen, um Aufmerksamkeit zu bekommen?

Das Zitat stammt aus einem meiner Lieblingsbüchern und Serie: Sherlock Holmes. Ich habe ewig versucht ihm die Liebesgeschichte zwischen Holmes und Moriarty zu erklären, aber ihm fehlte der Sinn für rhetorische Spitzen und die Freunde an geistigen Rivalitäten. Natürlich war es ein netter Versuch, aber leider auch nicht mehr als ein halbherzig recherchiertes Geschenk. Dazu ein wirklich seltsamer Weg das Ganze zu überbringen. 

Ich beachtete das Handy nicht weiter, widmete mich meinem Bier und machte mich nach einem kräftigen Schluck auf in Richtung Dusche. Auf dem Weg ins Bad bedauerte ich, dass es nicht die Lieferung war die ich anfänglich erwartet hatte.

Sobald das warme Wasser an meinem Körper herabgleitet, fühle ich mich gleich ein wenig besser. Ich hatte gute Gründe mit Stefan Schluss zu machen. Ich bin jetzt 26 und es gab immer noch unerledigte Dinge die dringend meiner Aufmerksamkeit bedurften. Stefan wäre da nur im Weg. Ich duschte lange und heiß. Dampfschwaden begleiteten mich auf meinem Weg zurück in die Kälte meiner Wohnung.

Aus dem Augenwinkel erkannte ich das Blinken des Handys. Eine Nachricht, eine MMS um genauer zu sein. Ich öffnete, zugegebenermaßen mit einer gewissen Neugier, die Nachricht. Das Handy fiel aus meiner Hand, aber zum Glück nur auf den Tisch. Das war nicht möglich. Das konnte einfach nicht sein.

Auf dem Foto war ich mit meiner besten Freundin. Vivien und ich waren da gerade mal 6 Jahre und spielten auf einem Feld, unter unserem Lieblingsbaum. Ein Ort vieler Traumhochzeiten und Zuhause vieler erdachter Familien. Nach diesem Tag auf dem Foto aber nur noch ein kahler Baum und verbrannte Erde.

 

Kapitel 2 Zorn

Ich öffnete meine Augen. Ich versuchte mich wach zu blinzeln. Es war immer wieder verwirrend mit Mama einzukaufen. Eingelullt von der Autofahrt und von dem angenehmen Geplapper, Gepiepe und Brummen im Laden schlief ich spätestens in der bequemen Schale auf dem Einkaufswagen ein. Auf der Rückfahrt im Auto wach zu werden war seltsam. Ich war doch gerade noch ganz woanders. Aber Mama ist da, sie war immer da.

„Mama?“

„Ahhh, du bist wieder wach. Du hast deine Tante Kirsten verschlafen. Sie hat mir aber eine Kleinigkeit für dich mitgegeben.“

„Wann sind wir zuhause?“

„Kannst es wohl gar nicht abwarten zu sehen was es ist? Es dauert noch ein paar Minuten, Schatz.“

Ich blickte nach draußen. Die Süßigkeit interessierte mich nicht wirklich. Tante Kirsten war immer so … gesund. Ich wollte nach draußen. Vivien mal wieder beweisen, wer die Schnellere war.

„Darf ich gleich mit Vivien spielen?“

„Ach Schatz, wir haben da doch drüber geredet. Vivien ist nicht da. Sie wird auch nicht so schnell wieder kommen. Ich weiß es ist schwierig zu verstehen.“

„Ich will aber mit Vivien spielen! Sie würde doch nicht so einfach weg gehen.“

Mama antwortete nicht. Ich wusste, dass sie nicht die Wahrheit sagte. Kurz bevor ich einschlief hörte ich die Stimme von Viviens Mama. Sie hat schrecklich geweint. Aber meine Mama weint auch manchmal. Erwachsene sind so oft traurig. 

Jetzt war es endlich so weit. Auf der Straße zum Einkaufen und zurück fuhren wir an unserem Lieblingsbaum vorbei. Ein einziger Baum, nicht mal besonders groß, aber nur dieser eine Baum auf einer riesigen Wiese. Später einmal würden wir hier wohnen. Vivien und ich. Nur das seit kurzer Zeit gar keine Wiese mehr da war. Die Erde war aufgewühlt. Menschen hatten mit rotem Flatterband einzelne Vierecke abgesteckt und liefen einfach so auf unsere Wiese herum, als würde sie ihnen gehören. Erwachsene taten immer so, als würde alles ihnen gehören. Wenn Vivien das sehen würde, wäre sie unheimlich böse. Das war sie oft.

 

Kapitel 3 Verhandeln

Ich öffnete die Augen. Pulsierende Schmerzen rasten durch meine Schläfen. Nicht nur die unbestimmte Menge an Bier und Wein die ich in mich hineingekippt hatte, auch die verkrampfte Nacht sitzend am Küchentisch war wohl ausschlaggebend. Langsam kam die Erinnerung wieder. Das Paket konnte nicht von Stefan sein. Es kam geradewegs aus meiner Vergangenheit, oder eher meiner persönlichen Hölle. Die Menschen die dieses Bild jemals gesehen haben, konnte ich an einer Hand abzählen. Diejenigen die in der Lage wären es mir zukommen zu lassen, quasi gleich null. Ich hatte gestern schweigend da gesessen und grübelnd ein mögliches Szenario gesucht, welches mich nicht unmittelbar dazu zu zwingen das Weite zu suchen.

Auf einmal kam ich mir kindisch vor. Es gibt doch nichts Erwachseneres als ein ordentlicher Kater, richtig? Also sollte ich jetzt auch erwachsen genug sein und den Kopf nicht in den Sand zu stecken. Es war ein Handy, mit einem Zitat und ein Foto, Ende! Ich ging diese Gedanken unter der Dusche immer wieder durch, wie ein Mantra, eine Schild gegen das was auf mich zukam.

Meinem Bauchgefühl zum Trotz fuhr ich zur Arbeit. Ablenkung ist die beste Medizin.

„Schätzchen, wie kannst du nur! Trennst dich von Mr. Superman und sagst kein Wort. Oh Gott, was ist mir dir passiert? Hast dir bestimmt die ganze Nacht die Augen ausgeheult. Das kriegen wir aber wieder hin! Mädelsabend, per Rezept verordnet.“ Nicki redete noch weiter auf mich ein, aber ich gab mir Mühe nicht zu reagieren. Das letzte was ich jetzt gebrauchen konnte war, dass mein selbsternannter schwuler bester Freund in meinen Angelegenheit mitmischt.

„Guten Morgen. Nein, ich habe nicht geweint, sondern getrunken. Ich habe Schluss gemacht und kein Interesse das momentan durchzukauen.“

Er sah mich an, als hätte ich ihn gerade geohrfeigt. Sofort bereute ich meine unterkühlte Reaktion. „Nicki es tut mir leid. Wir haben noch nicht alles klären können. Seine Sachen sind noch da, ich erreiche ihn momentan nicht und ja, ich habe das Bedürfnis eine Nacht zu heulen.“ Das schien ihn zu beschwichtigen.

„Schon klar, Süße. Du brauchst gerade noch deinen Bitch-Mode. Du weißt ja wo du mich findest, wenn es Zeit für Die Braut des Prinzen und Sekt wird. Au Revoir.“ Und schon war er verschwunden. Was ziemlich ironisch war, da er als Empfangsdame eigentlich genau da bleiben sollte, am Empfang. Nicki, eigentlich Niklas, deckte zwar einige Quoten ab, sonst erfüllt er aber gar keine Anforderungen. 

Mir fiel meine Lüge erst im Fahrstuhl auf. Es ist ja nicht so, dass ich Stefan nicht erreiche, ich habe es nicht versucht. Also holte ich mein Handy raus und suchte seinen Kontakt. Noch bevor ich ihn anrief änderte ich seinen Namen. Das Schatz war Vergangenheit. Ich wählte, lauschte dem Piepen. Nichts. Jetzt war es wenigstens die Wahrheit, ich erreichte ihn nicht.

Die nächsten Tage vergingen in diesem Trott. Ich machte mir Sorgen um Stefan, um das Foto und den Weltfrieden. Ich nahm mir fest vor am Wochenende ein paar Dinge für mich zu regeln. Gleich am Samstagmorgen fing ich an Stefans Sachen zusammenzupacken. Schön, dass er sich eine Auszeit nimmt. Ich würde gerne mein Leben in den Griff kriegen. Ich war gerade dabei mich gedanklich richtig in Rage zu bringen, als es klingelte.

Bitte nicht Frau Arrens. Oder ihre Nichte. Gott behüte, dass es beide waren. Ich öffnete und hätte nicht weniger überrascht sein können. Vor meiner Tür standen zwei uniformierte Polizisten. Mein Schock wurde etwas von ihrem Aussehen gedämpft. Die beiden hätten genauso gut als Dick und Doof durchgehen können.

„Dürfen wir vielleicht eintreten? Wir müssen ihnen ein paar Fragen stellen.“

„Worum geht es denn?“

„Es wäre uns wirklich lieber, dass in Ruhe zu erklären.“ Ich schluckte. In solchen Situationen habe ich das Gefühl zu verlernen, wie das Mensch-Sein funktioniert. Lächeln, Atmen und Bewegen überforderte mich völlig.

„Natürlich. Kein Problem. Entschuldigen Sie, ich bin nur ziemlich überrascht.“

„Das verstehen wir doch. Setzen Sie sich. Wollen Sie ein Wasser?“

„Nein, danke.“ Ich war sowieso schon gereizt und ein älterer, sehr stämmiger Polizist fängt an, mich in meiner Wohnung zu bevormunden. Besser konnte diese Woche ja gar nicht werden.

„Es geht um Ihren Exfreund. Stefan Lorenz. Er ist nach Ihrer Trennung bei seinen Eltern untergekommen. Dort ist er aber seit drei Tagen nicht mehr aufgetaucht. Wissen Sie etwas über seinen Aufenthaltsort?“

Ich starrte die beiden nur an. Dick sah mir tief in die Augen, während Doof sich auffällig unauffällig in meiner Wohnung umsah.

„Seit wir Schluss gemacht haben nicht. Ich habe versucht ihn zu erreichen, aber er ging nicht ran und hat auch nie zurückgerufen.“

„Wieso wollten Sie denn mit ihm reden? Eine Versöhnung?“ Sein Tonfall verriet schon, dass er auf etwas Bestimmtes hinauswollte. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, dass seine Mutter mir die Schuld gibt. Ich hätte ihren kleinen Jungen wieder in meinen Fängen und ihn gezwungen, sich nicht bei seinen Eltern zu melden.

„Ich wollte ihn bitten, seine Sache abzuholen. Und versuchen, vielleicht nochmal in Ruhe mit ihm zu reden. Sie wissen ja wie das ist, wenn man sich streitet und einer davonläuft.“ Ich blickte ihn aus großen Augen an. Warum sollte ich trotzig sein, wenn er mir in der Beschützerrolle viel mehr bringt.

„Natürlich. Das verstehe ich. Nur ist es leider so, dass er sich mit einer alten Freundin verabredet hat. Nach diesem Abend ist er verschwunden. Sein Handy wurde auf einem Landweg gefunden. An der alten Mühle, sie müssten den Ort kennen, sie kommen doch aus demselben Dorf.“

Ich erstarrte. Natürlich kannte ich den Ort. Es war der Weg zu unserem Feld. Zu unserem Baum.

„Jaa, ich – ich weiß, wo das ist. Was wollte er denn da draußen? Ich meine, ich könnte mir vorstellen, dass es sich bei der Freundin um Anabelle handelt.“

„Anabelle Dietrichs? Wieso ausgerechnet sie?“

Tränen stiegen mir in die Augen. Das war zu viel. Das Handy. Das Handy auf meinem Tisch. Stefans Handy.

„Sie war einer der Gründe für unsere Trennung.“

„Ich verstehe.“ Die Wendung des Gesprächs war ihm sichtlich unangenehm. Doof kam wieder und nickte. Was hatte er auch erwartet zu finden? „Falls Ihnen noch etwas einfällt, oder sie etwas von Herrn Lorenz hören, melden Sie sich bitte umgehend.“

„Natürlich“, sagte ich schon leicht schluchzend.

Dick drehte sich nochmal in der Tür um „Machen Sie sich nicht zu viele Sorgen. Wir finden ihn. Bestimmt nur eine eskalierte Partynacht.“

Ich lächelte schwach. „Danke. Ich hoffe ich konnte Ihnen helfen.“

Damit gingen die beiden auch endlich. Ich schloss die Tür und sank von innen dagegen. Was nun? Ist sie wieder da? Aber es kann nicht sein. Das geht einfach nicht.

 

Kapitel 4 Depression

Ich öffnete meine Augen und versuchte meine Atmung langsam wieder zu kontrollieren. Ich konnte es mir nicht leisten jetzt nichts zu tun. Jede Minute zählt. Wobei ich das dumpfe Gefühl nicht los wurde, dass es längst zu spät war. Je weniger Bescheid wussten, desto weniger konnten Fragen stellen. Ich telefonierte mit der Arbeit, um meine Überstunden abzubauen, mit meinen engsten Freunden, ich bräuchte eine Auszeit. Nur ins Auto setzen und weg.

Ein- und ausatmen, zu überstürzt ist gerade verdächtig. Ich brauchte jemanden der mir den Rücken frei hält, falls man mich sucht. Jemand der sich nicht einschüchtern lässt und … die Antwort war doch so naheliegend.

Ich verließ meine Wohnung und klingelte bei Frau Arrens. Ich würde ein bisschen vorheulen wie schlecht es mir ging und sie würde alle Leute von meiner Wohnung fernhalten, die mir zu nahe kommen wollten.

Ich verließ meine Wohnung und klingelte. Die alte Dame öffnete und erstrahlte sofort als sie mich sah.

„Perfekter Zeitpunkt. Ich habe gerade über Sie gesprochen.“

„Frau Arrens, ich habe da eine dringende Bitte. Hätten Sie vielleicht einen Augenblick?“

„Aber natürlich, meine Liebe. Kommen Sie rein, Sie werden überrascht sein. Sehen Sie nur.“ Ich betrat die kleine Küche und an ihrem Tisch saß ein hochgewachsener Mann mit kurzgeschorenen Haaren, breiten Schultern und selbst im Sitzen konnte man die durchtrainierte Statur erkennen. „Sehen Sie nur, wer heute nochmal da war, der Mann mit dem netten Geschenk für Sie.“

In dem Augenblick drehte er sich um. Ich konnte meinen Augen nicht trauen. Selbst wenn ich vollkommen überreagierte, wegen dem was die letzten Tage so passiert war, Bennis Anwesenheit bestätigte, dass es mehr als ernst war.

„Benni, was … “

Er lächelte, dieses Lächeln in das ich mich schon in der frühsten Kindheit so unsterblich verliebt hatte. „Überrascht?“

Seine Stimme jagte mir einen Schauer über den ganzen Körper. „Ich, ja natürlich.“

„Danke Frau Arrens, der Tee war vorzüglich. Aber Ihre Nachbarin und ich haben so einiges aufzuholen. Ich denke wir verabschieden uns.“ Ich vergaß alles um mich herum, auch das ich eigentlich so schnell wie möglich weg wollte.

„Aber natürlich. Jungem Glück soll man nicht im Wege stehen.“ Während sie sprach schob mich Benni in den Flur und wie von selbst schloss ich meine Wohnung auf.  Ich ging vor und vermied es mich umzudrehen. Ihn anzusehen, würde nur dazu führen, dass ich gar keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Meine zittrigen Beine unter Kontrolle zu halten, war schon schwer genug. Aber in meinem Hinterkopf war etwas, noch unklar, aber nicht zu verleugnen.

Etwas konnte nicht stimmen, ich konnte es nur noch nicht greifen. Ich … Sehen Sie nur wer heute nochmal da war, der Mann mit dem netten Geschenk für Sie … Das Handy, das Foto, Benni war es. Ich drehte mich um, ein Tirade auf den Lippen. Ich kam nicht dazu auch nur ein Wort auszusprechen. Das letzte was ich fühlte war, wie er mich gegen die Wand stieß und ein Tuch auf meinen Mund drückte. Der scharfe Geruch brannte in meinen Augen. Jede Gegenwehr war zwecklos. Warum stand ich auch auf die starken Jungs?

Ich kam langsam wieder zu mir. Mein ganzer Körper tat weh, weil ich enger als nötig an einen Stuhl gefesselt wurde. Ich wollte noch nicht meine Augen öffnen. Ich wusste, dass danach nichts so sein würde, wie vorher.

„Die alte Moorhexe hext im Teufelsmoor herum“,

Eine leise Stimme sang. Ich kannte das Lied. Es war eindeutig Benni der sang. Langsam bemerkte ich den fauligen Geruch.

„dreht sich wild im Tanze um, lacht sich schief und lacht sich krumm“,

Es war unser Lied. Benni hat es für Vivien und mich gesungen. Wir fürchteten uns davor.

„wenn die Tiere ängstlich wittern und die Kinder alle zittern;“

Aber Benni war da. Wir verkrochen uns auf den unteren Zweigen unseres Baums und Benni beschützte uns. Am Ende gab es eine Hochzeit. Benni war mein Mann und Vivien endlich meine Schwester.

„hält die ganze Welt für dumm, hext herum, hext herum. Hu! Hu!“

Ich öffnete meine Augen und Benni stand nur ein paar Schritte entfernt.

„Du bist also endlich wach.“

„Benni, was soll das? Was hast du getan?“ Ich schluchzte auf. Was war nur aus ihm geworden?

„Ach komm schon, dass kannst du doch besser.“

„Ich weiß nicht, was du meinst. Ich weiß es wirklich nicht.“ Jetzt weinte ich hemmungslos. Durch meinen Tränenschleier konnte ich erkennen, wie er nur noch wütender wurde. Meine Gedanken drehten sich. Wie konnte das alles passieren? Ich wollte nichts mehr mit dieser Familie zu tun haben. Jetzt war ich es wahrscheinlich, die Stefan … ja was? Was hatte Benni ihm angetan?

Benni kam auf mich zu, er nahm mein Gesicht in seine Hände und kam ganz nah. Ich spürte seinen Atem auf meinem Gesicht. Ich konnte ihn riechen und trotz allem, er hatte einfach eine Anziehung auf mich, die selbst meine Angst überstieg.

„Ich will wissen was du ihr angetan hast.“

„Wem denn bitte?“ Meine Stimme zitterte extrem. Er blickte mich nur weiter an.

„Müssen wir wirklich dieses Spielchen spielen? Ich will dir nicht wehtun. Ich will nur die Wahrheit. Findest du nicht, dass Vivien das nach all den Jahren verdient hat?“

„Ich – Ich. Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich es war? Ich war ein Kind!“ Ich fasste mich langsam und fing an zu schreien, heraus zu brüllen wie absurd das Alles hier war. Ich hatte das nicht verdient.

„Ich weiß, dass du es warst. Genauso wie deine Familie. Unser ganzes Dorf.“

Er ließ mich endlich los. Ich konnte nicht antworten. Er würde mich nicht gehen lassen. Alleine befreien konnte ich mich auch nicht. Ich musste es tun.

Ich spuckte aus. Ich zog meinen Schnodder hoch. Nicht die beste Position für das, was ich vorhatte, aber mir blieb keine Wahl. Ich sah ihm direkt in die Augen und lachte. Lauthals, wie eine Irre. Aber die letzten Tage waren die Hölle. Heulen hat mich nicht weiter gebracht. Also jetzt eine andere Strategie.

„Nehmen wir mal an du hättest Recht. Mich zu entführen führt nur dazu, dass mein Geständnis nichts wert ist. Dazu kommt, dass alle glauben werden, dass du mit Stefans Verschwinden zu tun hast. Benni bitte. Lass uns vernünftig sein. Ich werde dich nicht anzeigen, aber du musst mich gehen lassen.“

„Das ging schneller als erwartet. Ich hatte mich schon gefragt wie lange du schauspielerst. Ich meine du hast es fast dein gesamtes Leben getan, warum jetzt so schnell einknicken?“

„Ich konnte dich noch nie anlügen. Ich habe dich geliebt. Und ich habe Vivien geliebt.“

„Das glaube ich dir sogar. Das hat dich trotzdem nicht davon abgehalten meine kleine Schwester umzubringen. Oder die kleine Blondine. Anabelle richtig? Warum du allerdings den armen Stefan beseitigt hast, kann ich mir nicht erklären. Hattest du einfach keine Lust mehr auf ihn?“

„Nette Verschwörungstheorie. Ist das dein Ernst? Wie soll ich das denn bitte gemacht haben? Habe ich sie gegessen, wie Hannibal, damit man keine Beweise findet?“

„Immer hinter Sarkasmus verstecken. So hat niemand gemerkt wie clever du bist. Nicht mal ich. Du warst schon immer ein Psychopath oder? Aber ich hatte lange genug Zeit dich zu beobachten. Als du so offensichtlich Schluss gemacht hast, musste ich aber einschreiten. Ich wusste, dass du ihn nicht so einfach gehen lassen würdest. Aber ich kam anscheinend zu spät, oder?“

„Ich bin kein Psychopath. Ich bin ein hochfunktionaler Soziopath.“ Ich grinste ihn an. Er hat schließlich mit den Sherlock Zitaten angefangen. „Aber das ist endlich mal etwas Wahres.“ Ein kleines Lächeln schlich sich über mein Gesicht. „ Ich bin cleverer. Ich habe dich aber wirklich geliebt, selbst als Kind. Das tue ich auch heute noch. Ich wollte nie, dass es so endet. Aber was hätte ich denn tun sollen?“ Ich machte eine Pause. Ich hatte keine andere Wahl. „Deine Schwester war mir einfach im Weg.“

Er starrte mich an. Damit hat er nicht gerechnet. Auch wenn das Handy und das Bild geplant gewesen waren, gerade weiß er selbst nicht weiter. Er empfindet noch etwas für mich, das weiß ich.

„Du gibst es also zu?“

„Es war ein Unfall, das musst du mir glauben. Ich wollte das doch alles nicht. Es war ein Streich.“ Ich fing wieder an zu weinen. „Das Auto kam aus dem Nichts. Es war nur eine dumme Mutprobe. Sie sollte wissen, dass ich die Mutigere bin.“

„All die Jahre. Und jetzt braucht es nichts weiter dich zum Reden zu bringen? Was hast du dieses Mal wieder … “

In dem Augenblick brach die ganze Welt zusammen. Kleine Fenster, die mir bis dahin gar nicht aufgefallen waren, zerbarsten. Etwas Metallisches klirrte auf dem Boden und Rauch verteilte sich überall. Ich verlor wieder das Bewusstsein.

Ich wachte erst im Krankenhaus wieder auf. Frau Arrens saß an meinem Bett. Ich konnte noch nicht sprechen, das wollte ich auch gar nicht. Irgendwann kamen Dick und Doof herein und bedankten sich bei meiner Nachbarin. Sie muss den Krach in meiner Wohnung gehört haben, als Benni mich überwältigte. Sie hatte mich gerettet. Die Klatschtante, die ich nie schnell genug los werden konnte.

„Sie haben wirklich Glück gehabt. Dieser Verrückte hätte Ihnen sonst etwas antun können. Und ich lasse Sie noch mit Ihm weg gehen“, redete sie auf mich ein. Ich verlor mich wieder in meinen Träumen.

Kapitel 5 Akzeptanz

Ich öffnete die Augen. Neben mir stand ein kleines Mädchen und hielt meine Hand. Sie zog mich zu sich herunter.

„Heute ist es endlich soweit. Die kleine Schlampe wird bezahlen.“ Ich sah sie das erste Mal an. Ich war es. Als Kind.

Die Kleine lief los. Ich wusste genau wohin. Ich ging langsam hinterher und sah gerade noch wie die beiden Mädchen mitten in der Nacht auf einem Feld rumtobten.

Ich fühlte mich schon immer in Dunkelheit wohl. Keine Erwachsenen die auf einen aufpassen. Wenn etwas schlimmes passierte, wie in dieser Nacht, fühlte es sich am nächsten Morgen an wie ein schlimmer Traum. Als sei nichts passiert.

„Ich wette du traust dich nicht über die Straße zu laufen.“ Sagte ich zu dem anderen Mädchen. Ich war kein Beobachter mehr. Ich war sie.

„Natürlich, du dumme Kuh“ antwortete Vivien spöttisch.

„Auch mit verbunden Augen?“ Ich lächelte. Damit hatte ich sie. Sie konnte einer Herausforderung nie widerstehen.

Wir gingen also zu der Straße. Der Straße zu der Alten Mühle. Aber es war gar keine Mühle mehr. Es war eine Kneipe. Mama schläft oft in meinem Bett, wenn Papa in der Alten Mühle war.

Der Spaß an der Mutprobe war, dass die Autos nicht aufpassten. Wir hatten schon so oft gesehen, wie ein Reh angefahren wurde. Das Licht der Scheinwerfer lässt das Blut so hübsch schimmern. 

Ich verband ihr die Augen. Der Schal verdeckte auch ihre Ohren. Sonst wäre es ja geschummelt.

„Auf die Plätze. Fertig. Los!“

Und Vivien lief. Hin und zurück. Sie lachte auf. Sie dachte, sie bewies mir hier etwas. Ich musste nicht mal mehr etwas sagen. Sie wurde mutiger. Blieb mitten auf der Straße stehen und zeigte mir die Zunge. Und dann geschah es. Ein Truck kam. Hupte nicht mal. Versuchte nicht mal auszuweichen. Vivien schrie nicht mal.

Da war es wieder. Das Schimmern, überall auf der Straße verteilt. Der Fahrer stieg aus und fluchte. Wörter für die ich Hausarrest bekommen würde. Er hob Vivien auf und legte sie in das Auto. Sie bewegte sich nicht. Ich blieb in meinem Versteck bis das Auto weg war.

„Das hat sie nun davon.“

Ich lief summend nach Hause und legte mich schlafen. Am nächsten Morgen stand ich auf. Rieb mir die Augen und rannte zu Mama. Ich umarmte sie so fest ich konnte.

„Och Schatz, hattest du einen bösen Traum?“, fragte Mama besorgt. „Du musst doch keine Angst haben, das war nur ein Traum. Das passiert alles nur in deinem Kopf. Nichts davon ist real, darum musst du dich auch nicht fürchten.“

„Was ist, wenn ich etwas Böses getan habe, Mama?“

„Das ist nicht deine Schuld. So verarbeiten gute und liebe Menschen, wenn andere gemein zu ihnen waren. Wir würden nichts Böses tun und wollen das auch nicht in unseren Gedanken haben. Also träumen wir davon, um es aus unseren Gedanken zu verbannen.“

Epilog

Ich hoffe, mit dieser Geschichte konnte ich dir die Augen öffnen. Du bist nicht besser, als deine finstersten Träume, deine dunkelsten Fantasien. Du bist nicht besser als ich.

Ich wünsche Dir süße Träume.

 

 

3 thoughts on “Traumfänger

  1. Liebe Annemarie,
    Ich finde deine Idee sehr gut und die Geschichte war spannend. Ich mochte auch die kleinen Erinnerungen und Zeitsprünge. Deinen Schreibstil empfinde ich als sehr angenehm zu lesen und auch bildhaft. Vor allem der Anfang hat mich total gefesselt. Die direkte Ansprache und das Düstere das vermittelt wurde, hat mich sofort gepackt und mich zum weiterlesen praktisch gezwungen (auf die positivste Art)

  2. Hallo Annemarie, ein Riesenlob für Deine Geschichte! Du hast es geschafft, den Spannungsbogen über die ganze Geschichte aufzubauen, um dann zu einem wirklich tollen Fknale zu kommen.
    Einziger Kritikpunkt wären für mich, die zerberstenden Scheiben und der dicke Qualm… das ist mir etwa zu dick aufgetragen. Aber das ist Geschmackssache, Deine Geschichte ist ansonsten für mich großartig gelungen.
    Mein Like hast du.

    P.S. vielleicht hast du ja Lust, auch meine Geschichte zu lesen >>Glasauge.
    Über ein Feedback würde ich mich sehr freuen.

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