Thriller.lover.15Weich wie Stahl

Kapitel 1 – Vergangenheit vergisst nicht.

Ihr Blick wanderte durch die Tram und sie dachte, dass dies ein Ort war, an dem die unterschiedlichsten Menschen zusammen kamen: Schüler, Berufstätige, Rentner, Studenten. In der Straßenbahn waren sie alle gleich: Fahrgäste, die von A nach B pendelten. Dieser sichere Normalzustand war für Nele alles andere als selbstverständlich. Hätte sie alles für sich behalten, wie hoch wäre der Preis gewesen? Doch die Konsequenzen ihres Handelns, vor denen Nele vor Jahren geflohen war, wiederholten sich. Der Alptraum, den sie lange hinter sich gelassen hatte, war wie ein Feuer neu entfacht und hatte ihre größten Ängste aufleben lassen.

Sie war mit ihrem Hund Pauli spazieren gewesen und hatte auf ihrer täglichen Standardroute einen Fotoapparat gefunden. Irgendwann hatte sie die Neugier gepackt. Nele wollte unbedingt einen Blick auf die gespeicherten Bilder werfen. Die gewonnene Erkenntnis traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. Auf dem Fotoapparat befand sich ein Bild von einer Überwachungskamera, versehen mit Datum und Uhrzeit. Es zeigte eindeutig Nele und das war nicht das einzige Bild von ihr. Jemand hatte sie während der ganzen Aktion beschattet und noch schlimmer – er hatte sie aufgespürt. Hatte nur auf den klitzekleinsten Fehler ihrerseits gewartet. Welchen Fehler hatte sie begangen? Seit Jahren herrschte Funkstille. Bis dato.

Der Alltag war wieder einkehrt. Der Kamerafund lag nun schon Wochen zurück. Alles lief normal weiter, so als ob nichts passiert wäre. Wenn ihr Verfolger sie tatsächlich nach all der Zeit wiedergefunden hatte – warum kam auf einmal kein Lebenszeichen mehr? Als sie mit Pauli die notgedrungene Gassirunde drehte, schnüffelte dieser lange an einer Stelle und schien etwas Essbares entdeckt zu haben. Sie war so in Gedanken vertieft, dass er es gefressen hatte, bevor sie auch nur erahnen konnte, was „es“ genau gewesen war. Zuhause angekommen schlief er sofort ein. Es sollte sein letzter Erdentag gewesen sein. Zudem fand Nele im Briefkasten eine Nachricht mit aufgeklebten Zeitungsbuchstaben.

Du HaSt MiR eTwaS geLiebTeS GeNoMmen – JeTzt BiSt dU dRaN!“

Die Angst zog sie in ein tiefes Loch. Ein toxischer Cocktail aus Trauer, Wut, Verzweiflung und Verlust gesellte sich hinzu. Pauli war ihr Ein und Alles gewesen. Er hatte die ganze Sache mit ihr durchgestanden und wich nie von ihrer Seite. Die Geschichte von damals würde nie enden. Sie musste zum Ursprung zurückkehren und den kannte Nele nur zu gut. In der Hast packte sie ein paar Sachen und buchte ein Hotelzimmer in ihrer alten Heimat.

 

Kapitel 2 – Auf alten Spuren.

Am nächsten Morgen machte sie sich auf den Weg zu ihrer ehemaligen Arbeitsstätte. Nun ja, zu dem, was von ihr übrig geblieben war. Außer einem alten Klingelschild, das vergessen worden war, konnte die Existenz der Stahl- & Metallverarbeitung Koslowski GmbH von außen nicht mehr nachvollzogen werden. Sie irrte alternativlos durch ihre frühere Kleinstadt. „Das gibt’s doch nicht! Nele! Du hier?!“, rief Marcus freudestrahlend.

Hey! Ja, ich dachte, ich schaue mal wieder vorbei.“, meinte Nele. Die beiden waren ehemalige Kollegen. Da sich die Gelegenheit bot und Nele ohnehin mit ihrer kläglichen Rechercheaktion nichts bewirkt hatte, gingen sie in ein Café. Marcus erzählte, dass er eine neue Arbeit gefunden hatte und damit sehr zufrieden war. In einem Nebensatz meinte er, dass nicht alle so ein Glück gehabt hätten. Sie wollte wissen, wie es den anderen Kollegen ergangen war. Marcus sagte, dass es bei Silke, der langjährigen Sekretärin des ehemaligen Geschäftsführers, bei der Jobsuche nicht mehr geklappt hat. Das war ein erster Ansatz. Immerhin suchte sie nach jemandem, dem sie mit ihrer Aktion massiv geschadet haben musste.

Nach dieser Rast waren ihre Akkus wieder aufgeladen. Ein Spontanbesuch stand an. Vielleicht würde sich hieraus noch die ein oder andere Spur ergeben. Ein weiterer Strohhalm, an den sie sich in ihrer Verzweiflung klammerte. Als sie bei der bekannten Adresse eintraf, war Silkes Name nicht mehr angebracht. „Verdammt!“, fluchte Nele leise. Nicht auch noch das! Sie konnte kaum alle Ex-Kollegen abklappern, um dem Verfolger auf die Spur zu kommen. Sie wollte umdrehen, da ertönte eine Stimme aus dem Off:

Kann ich Ihnen weiterhelfen?“ Nele überlegte fieberhaft, wie sie an weitere Informationen gelangen konnte. Im besten Fall würde sich die Rentnerin als nützliche Quelle erweisen. Kurzerhand stellte sie sich als ehemalige Kollegin vor, die auf einen Sprung vorbeigekommen war, um Silke zu besuchen. Die ältere Dame nickte verständnisvoll. Sie teilte Nele mit, dass es Silke nicht gut erging. Sie habe gehört, dass sie nach der Schließung der Firma keinen neuen Job mehr gefunden habe. Daraufhin habe sie woanders einen Neustart gewagt. Manchmal hilft nur ein Tapetenwechsel. Nele bedankte sich für das Gespräch und kehrte in ihr Hotel zurück.

Zu ihrer Überraschung meldete sich Marcus am nächsten Tag. Er wollte mit ihr zu Mittag essen. Nele stimmte zu. Beim Essen fiel ihr auf, dass ein auffälliges Logo Marcus´ Arbeitskleidung schmückte. Sie erkannte es sofort wieder. Es befand sich an dem ehemaligen Firmengebäude der Stahl- & Metallverarbeitung Koslowski GmbH. Er arbeitete noch immer im gleichen Gebäude. Nele konnte Hilfe gut gebrauchen. Konnte sie ihm trauen? Immerhin musste sie ihm im Gegenzug ihr wichtigstes Geheimnis auf dem Silbertablett servieren. Jenes, das sie seit Jahren mit sich herumtrug und das alles verkomplizierte. Mit schweißnassen Händen begann sie ihre Geschichte mit allen Facetten und Details zu erzählen. Die Konsequenzen, die ihre damalige Tat mit sich brachte, zum Beispiel die tote Ratte samt Brief „Ich weiß, du warst das!“ im Briefkasten, zerstochene Reifen und angsteinflößende Telefonanrufe. Wie sie sich dazu zwang, in eine Großstadt zu ziehen, in einer heimlich geplanten Nacht- und Nebelaktion. Sie ließ alles und jeden hinter sich. Niemand wurde informiert. Sie selbst nahm nur das Nötigste mit. Marcus nickte ab und an und wirkte mitfühlend. Als sie am Ende der Erzählung angelangt war, wollte Nele wissen, ob noch Inventar der alten Firma im Gebäude sei. Marcus erinnerte sich, dass es noch eine Art Abstellkammer gab. Gemeinsam schmiedeten sie einen Plan, um diesen Raum unbemerkt zu durchsuchen.

 

Kapitel 3 – Wer suchet, der findet.

Es war staubig und roch vermodert. Unter Umständen würden sie aus dem ganzen Krimskrams und Schrott keine einzige neue Erkenntnis erhalten. Sie waren schon seit zwei Stunden auf der Suche nach etwas Brauchbarem und langsam erschöpft. Nele beschloss, dass das nur Zeitverschwendung war und sie abbrechen sollten. Marcus lief noch einmal den ganzen Raum ab, blieb mit seinem Schnürsenkel unglücklich hängen, stolperte und warf dabei ein Regal um. Nele schmunzelte, da er dabei so ziemlich genau wie die Definition eines sprichwörtlichen „Elefanten im Porzellanladen“ aussah. Als beide erneut ihren Blick auf den Boden richteten, war er da – ein kleiner schwarzer Safe. Die Tür war nicht verschlossen und im Inneren waren mehrere Festplatten gestapelt. Ein beigelegter Zettel verriet: „Sicherung Videoaufzeichnungen“. Die offene Safetür machte Nele ein wenig stutzig. Jedoch geriet diese Skepsis schnell in Vergessenheit, da sie endlich einen Schritt weiter gekommen war.

In Marcus´ Wohnung schlossen sie die Festplatten an. Er stellte fest, dass außer dem Bildmaterial bei jedem Backup noch eine Log-Datei enthalten war. In dieser Datei wurde chronologisch protokolliert, welcher Mitarbeiter sich im System eingeloggt hatte sowie die Uhrzeit des erfolgten Zugriffs. Ihm kam ein Geistesblitz. „Nele, was wäre, wenn auf der Speicherkarte der Kamera die Log-Datei ebenfalls gespeichert wäre?“ Marcus fügte ergänzend hinzu: „Du wüsstest somit, wer an diesem Tag auf das System zugegriffen hat und dich heimlich beschattet!“ Auf diese Idee wäre sie nie gekommen. Es waren doch nur Bilder auf der SD-Karte oder etwa doch nicht? Es waren genau 15 Bilder und eine Log-Datei. Bingo! Das Gedankenkarussell in ihrem Kopf drehte sich. Marcus konnte genau zwei Kollegen aus dem Protokoll herausfiltern. Die nächste Phase war eröffnet.

 

Kapitel 4 – Wer ist es?

Bald würde sie wissen, wer für all den Spuk verantwortlich war, der sie damals psychisch fast zerstört hatte. Als Erstes steuerte sie Ute Maier an. Über das Telefonverzeichnis hatte sie die Anschrift ermittelt und klingelte an der Tür. Leider stellte sich der Besuch als Niete heraus, da Ute die Schließung des Werks nicht gut verkraftet hatte und rein gar nichts mit der Sache zu tun haben wollte. Bei Eberhard Meitinger hatte sie mehr Glück. Er bat sie herein und bot ihr einen Tee an. Während er mit der Zubereitung beschäftigt war, ließ Nele ihren Blick durch die Räumlichkeiten schweifen. Er hatte offenbar ein Faible für antike Gegenstände. Sein Haus war voll davon. Kerzenständer, Bauernkommoden und –stühle, eine alte Schreibmaschine und dazwischen ein Originalkarton des Kameramodells, das sie im Wald gefunden hatte. Nele wurde speiübel. Was, wenn er bewaffnet war oder sie überwältigen und fortan gefangen halten würde? Gleichzeitig wurde ihr ihre eigene Dummheit bewusst. Warum war sie alleine hier? Ihre Hilferufe würde niemand hören. Zu spät, Eberhard war schon mit einem gut gedeckten Tablett zurück. Überraschend, geisterte es Nele durch den Kopf. Er macht einen auf guten Gastgeber und wirkt gelassen. Fast so, als hätten ihn seine Taten abgestumpft… oder er bereite sich auf den drohenden Showdown vor. Sie verlor die Nerven. „Warum hast du mir das angetan?! Komm mir nicht auf die unschuldige Tour. Ich sehe, dass du einen Originalkarton der gefundenen Kamera hast!“, schrie Nele schon fast.

Welche Kamera? Meine ist bei der Reparatur und überhaupt verstehe ich nicht, was in dich gefahren ist!“, entgegnete er. Entweder verstand Eberhard nur Bahnhof oder er war einer der besten Schauspieler, die man sich vorstellen konnte.

Bei der Reparatur, ja? Es war echt schwer, dich aufzuspüren, aber so leicht kommst du mir nicht davon!“ Sie bebte vor Wut. Was fiel diesem Typen eigentlich ein?! Seine Tarnung war aufgeflogen! Eberhard war aufgestanden, hatte sich zu seiner vollen Größe aufgebäumt und holte tief Luft: „Hast du sie noch alle? Du verlässt jetzt sofort mein Haus!“ Er begleitete sie zur Tür und schlug diese mit voller Wucht zu.

 

Kapitel 5 – Ende gut, alles gut.

Eine tonnenschwere Last hatte sich von Neles Schultern gelöst. Zum ersten Mal, seit dieser Irrwitz Fahrt aufgenommen hatte, fühlte sie sich befreit. Auch wenn sie sich insgeheim fragte, warum sie das Gefühl nicht loswurde, einer falschen Fährte gefolgt zu sein. Eberhards Reaktion passte so gar nicht zu der, die man erwarten würde. Allerdings passte alles zusammen wie ein Puzzle. Die Kameraverpackung, die nicht vorhandene Kamera und zudem tauchte er namentlich in der Log-Datei auf. Es musste einfach so sein. Ihr jahrelanger Schatten war gefunden und konnte sie nicht mehr weiter anonym drangsalieren. Er hatte sich mit der Falschen angelegt. Gleichzeitig erkannte sie, dass sie das ohne ihren Helfer nie geschafft hätte. Marcus war intelligent und zudem attraktiv, bemerkte Nele beiläufig. Wobei beiläufig definitiv das falsche Wort war. Er gefiel ihr schon damals. „Eventuell ist er sogar noch Single“, dachte Nele und ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Sie lief die letzten Meter zu ihrem Hotel zu Fuß. Die Nacht war sternenklar und während sie noch von ihrer sorgenfreien Zukunft träumte, ging eine Whatsapp Nachricht von Marcus bei ihr ein. „Nele, WO bist du?!“ Sie wunderte sich über die abgehakte Schreibweise ohne Emojis. Irgendwas stimmte da definitiv nicht. Als sie im nächsten Moment aufschaute, blickte sie in den Lauf einer geladenen Pistole.

 

Kapitel 6 – Tot oder lebendig!

Bitte nicht schießen! Ich geben Ihnen mein Portmonee, aber lassen Sie mich am Leben!“, flehte Nele.

Dein Portmonee kannst du behalten, aber ich fürchte dein Leben nicht!“, entgegnete eine Frauenstimme. Nele erkannte ihr Gegenüber, als sie die Kapuze aus dem Gesicht zog.

Silke?! Warum richtest du die Waffe auf mich?“

Nele, Nele, Nele… du hast rein gar nichts verstanden. Der arme Eberhard. So ein unschöner Nachmittag für ihn.“ Silke setze ihr zuckersüßes Lächeln auf. Das konnte sie schon damals am besten.

Woher weißt du davon? Warte mal, das weiß außer mir nur – Marcus!“ bemerkte Nele verdattert.

Genau, Herzilein. Mein Schatz Marcus – der perfekte Lockvogel. Endlich bekommen wir die Rache, die wir alle verdient haben!“ Nele fühlte sich erniedrigt. Er hatte sie offenbar nur ausgeliefert.

Weißt du, es war gar nicht so einfach, dich wiederzufinden. Danke für dein öffentliches Profil in einem sozialen Netzwerk, das hat uns die Arbeit wesentlich erleichtert.“ Der „klitzekleine“ Fehler war gefunden. Über die Zeit hatte Nele sich in Sicherheit gewogen und öffentliche Fotos von sich gepostet.

Ich kann verstehen, dass du sauer bist wegen deines verlorenen Jobs. Aber jahrelange Schikane, reicht das denn nicht aus?“, fragte Nele.

Nein, das tut es nicht! Ohne deine Betriebsspionage wäre alles beim Alten und mein Leben hätte sich nicht in diesen Alptraum verwandelt!“

Wie bist du mir überhaupt auf die Schliche gekommen?“

Ich habe gesehen, dass du die zerknüllten Testergebnisse im Papierkorb des Chefs gefunden hast. Sie gaben eindeutig preis, dass die Firma minderwertigen weichen Stahl verkaufte. Verdammt, du hast alles kaputt gemacht!“

Was meinst du mit „alles“?“

Ich habe dich beobachtet, wie du Beweis für Beweis gesammelt hast. Mir lief die Zeit davon. Was ging dich das überhaupt an? Ich wusste es auch und habe einfach meine verdammte Klappe gehalten!“ fuhr Silke sie an.

Der Stahl wurde auch in öffentlichen Verkehrsmitteln verbaut. Züge, Busse, Straßenbahnen und sogar in Flugzeugen. Sind dir die Menschen so egal? Wie kannst du nur so egoistisch und skrupellos sein?!“ rief Nele.

Du hast keine Ahnung, wie ich bin. Wie es ist, alleinerziehend zu sein! Ich brauchte den Job, um mich und Ben durchzubringen. Das Geld war eh schon knapp und dann das. Nur weil du die Superheldin spielen musstest!“

Glaubst du nicht, dass ich lange gehadert habe, ob ich damit an die Öffentlichkeit gehe?!“ hakte Nele nach.

Nele, du hattest die Wahl. Ich habe meine getroffen.“ sagte Silke und zielte auf sie. Völlig außer Atem kam Marcus angerannt und stellte sich zwischen die beiden. „Silke, was machst du da? Das wird ihn nicht lebendig machen!“ keuchte er, während des Versuchs, die Situation zu deeskalieren.

Wen lebendig?“ fragte Nele irritiert.

Es war an dem Tag, als du anonym den Umschlag mit den Beweisen bei der Tageszeitung eingeworfen hast. Ich wollte mit dir reden. Um jeden Preis musste ich diesen Einwurf stoppen. Doch dann ging ein Notruf bei mir ein. Ben war aus dem Fenster gestürzt. Er hatte nicht den Hauch einer Chance.“ Eine Träne lief über Silkes Gesicht.

Die Insolvenz und alle Jobverluste gehen auf meine Kappe, aber ich bin keine Mörderin!“ protestierte Nele.

Lass mich das beenden und geh mir aus dem Weg, Marcus!“ zischte Silke.

Du hast gesagt, dass wir ihr das heimzahlen, aber von Mord war nie die Rede!“ rief Marcus empört.

Dann seid ihr eben beide dran. Mich hält niemand mehr auf. Ich habe nichts zu verlieren!“ sagte Silke mit einem Blick, der eiskalt und völlig emotionslos geworden war. Weder Wut noch Trauer lagen in ihren Augen. Nur noch Leere. Sie zielte zuerst auf Nele und ließ den Finger zum Abzug wandern.

Hände hoch, Silke Schneider! Sie sind verhaftet.“ rief ein Polizist, der gerade noch im allerletzten Moment aufgetaucht war. Instinktiv schaute Nele zu Marcus und dieser nickte ihr nur zu. Nachdem Silke abgeführt worden war, waren Nele und Marcus allein. Sie verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. „Warum hast du das getan? Ich habe mich dir anvertraut! Und du…“

Ich wusste nicht, dass sie so austickt und dir gleich an die Gurgel will! Damals war ich auch eine Zeit lang arbeitslos und bin aus meiner Wohnung geflogen. Silke hat mich für eine Weile bei sich aufgenommen. Vor kurzem hat sie mir alles erzählt. Ich wollte dir nur einen Denkzettel verpassen. Doch als du mir deine Version der Geschichte erzählt hast, habe ich langsam verstanden, dass Silke sich rächen wollte und zu allem fähig sein könnte. Ich wollte dich per Whatsapp warnen. Da du nicht reagiert hast, bin ich sofort in Richtung Hotel gelaufen. Als ich von weitem bereits Silke mit der Waffe gesehen habe, habe ich sofort die Polizei verständigt. Danach bin ich losgerannt und den Rest kennst du ja.“ Die Geschichte klang plausibel. Immerhin hatte Marcus sich selbst in Gefahr gebracht. Silke hätte ihn bei ihrem Rachefeldzug als Kollateralschaden betrachtet. Genauso, wie sie die noch junge Beziehung zu ihm nur gespielt hatte. Als Mittel zum Zweck. Sie hatte alle manipuliert und wie Schachfiguren benutzt. „Das war ein übles Spiel, Marcus. Ich dachte du wolltest mir helfen! Aber ohne deinen Notruf, würden wir nicht mehr hier stehen.“ Die Wahrheit war eine bittere Pille.

Mit ihrer Spionage hatte sie die Firma in den Ruin getrieben. Viele Großinvestoren sprangen ab und die Aufträge blieben aus. Zudem hagelte es haufenweise Klagen und Schadenersatzforderungen. Das Unternehmen hatte einen massiven Reputationsverlust erlitten und sich infolgedessen nicht mehr erholt. Am Ende verloren alle Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz. Manche traf es schwer. Dennoch rettete Nele unzähligen Menschen das Leben. Das war es ihr wert.

Eine Whistleblowerin – war nicht aus weichem Stahl gemacht.

Jetzt brauchte sie Ruhe und Zeit für sich, um das Erlebte zu verarbeiten und Revue passieren zu lassen. Die Ereignisse mussten gedanklich erst neu sortiert werden. Marcus hatte sie gefragt, ob sie sich nochmal sehen würden, aber im Moment war ihr alles zu viel. Die Eindrücke der letzten Stunden prasselten auf sie ein. Außerdem musste sie sich sammeln und die Beziehung zu ihm neu einordnen, immerhin war er nicht nur der Helfer, für den sie ihn gehalten hatte. Sie verabschiedete sich und meinte, dass sie sich melden würde. Das war sehr salopp gehalten, aber zu mehr konnte sie sich aktuell einfach nicht durchringen. Nele ging auf ihr Hotelzimmer und ließ sich auf das große Boxspringbett fallen. Eine Zeit lang starrte sie nur die Decke an und verlor sich im eigenen Gedankenwirrwarr. Irgendwann war sie vor Erschöpfung einfach eingeschlafen. Am nächsten Morgen duschte Nele und machte sich fertig. Sie wollte ein paar frühere Freunde besuchen, die sie seit ihrer Flucht aus den Augen verloren hatte. Erst jetzt bemerkte sie einen kleinen schwarzen Umschlag von der Hotelrezeption auf der Kommode. Jemand hatte eine Nachricht für sie hinterlassen. Sie öffnete den Briefumschlag und las folgende Zeilen:

Glückwunsch Nele, 1:0 für dich.

Mach dich auf eine Revanche gefasst!

Silke konnte dich nicht stoppen,

aber ich verfüge über ganz andere Mittel.“

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